Verantwortung für Generationen - Steinkohle 2017 - Gesamtverband Steinkohle e. V - Gesamtverband Steinkohle ...

 
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Steinkohle 2017

                      Verantwortung für Generationen

Steinkohle 2017

                  Gesamtverband Steinkohle e. V.
Verantwortung für Generationen - Steinkohle 2017 - Gesamtverband Steinkohle e. V - Gesamtverband Steinkohle ...
Titelbild:

Blick über die Ruhr auf das Fördergerüst des ehemaligen Bergwerks Heinrich, Schacht 3, in Essen.
Hier hebt die RAG bereits seit dem Jahr 1969 Grubenwasser.
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Gesamtverband Steinkohle e.V.

Jahresbericht 2017
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Ein Wort zuvor

                                Gut zehn Jahre nach der       die Grubenwasserhaltung, die Poldermaßnahmen und die
                                kohlepolitischen Verstän-     Grundwassersanierung ehemaliger Kokereien. Andererseits
                                digung im Februar 2007        um die endlichen Aufgaben wie die Entwicklung der Berg-
                                stehen wir nun unmittelbar    bauflächen und die Regulierung von Schäden, die durch den
                                vor dem Jahr, in dem die      Bergbau entstanden sind. Bei all den Dingen, die wir tun,
                                Steinkohlenförderung in       steht der Schutz von Mensch und Umwelt, ganz besonders
                                Deutschland endgültig         der Trinkwasserschutz, im Mittelpunkt. Parallel treiben
                                auslaufen wird. Eine bedeu-   wir die nachhaltige Nachnutzung unserer ehemaligen
                                tende Ära der deutschen       Bergbauflächen voran, um so den Bergbauregionen neue
                                Industriegeschichte geht      Perspek­tiven für ihre ­Entwicklung zu ermöglichen. Stellver-
                                ihrem Ende entgegen,          tretend für alle Aktivitäten möchte ich an dieser Stelle nur
                                eine Ära, die nicht nur       das interkommunale Projekt „Wandel als Chance“ nennen,
                                die Steinkohlenreviere        mit dem unter anderem 20 Bergbauflächen in Nordrhein-
                                geprägt hat, sondern auch     Westfalen revitalisiert werden sollen.
wesentlich zur wirtschaftlichen Entwicklung in Deutschland
beigetragen hat. Kohle und Stahl waren auch die ersten        Das kommende Jahr wird ganz im Zeichen des Abschlusses
Fundamente im europäischen Einigungsprozess.                  einer mehr als 200-jährigen Industriegeschichte stehen.
                                                              Gemeinsam haben die RAG-Stiftung, die RAG Aktiengesell-
Die Beendigung der aktiven Förderung bedeutet jedoch          schaft, die Evonik Industries AG und die IG BCE mit Blick
nicht das Ende der Verantwortung des Steinkohlenbergbaus      darauf das Projekt „Glückauf Zukunft!“ ins Leben gerufen.
in den bisherigen Bergbauregionen. Dies bringt auch der       Zusammen mit zahlreichen Partnern des kulturellen und
Titel des diesjährigen Jahresberichts des Gesamtverbands      gesellschaftlichen Lebens, Kirchen, Vereinen und Verbänden
zum Ausdruck: „Verantwortung für Generationen“. Er zeigt      sind viele Gelegenheiten geplant, in denen die Menschen
auf, dass wir uns der langfristigen Verantwortung für die     in den Bergbaurevieren die Leistungen des Bergbaus wür-
Bergbaufolgen bewusst sind und ihr auch gerecht werden.       digen können oder die Impulse für die Zukunft aufzeigen.
                                                              Mit zahlreichen kleineren und größeren Einzelprojekten
Mit Blick auf das Jahr 2018 heißt dies, dass wir – wie in     werden Signale für einen Aufbruch gegeben, um deutlich zu
der Vergangenheit auch – verlässlich unsere Förderziele       machen, dass das Erbe des Bergbaus auch Chancen für eine
erreichen und die Lieferverpflichtungen bis zum Schluss       erfolgreiche Weiterentwicklung der Bergbauregionen bietet.
erfüllen. Zugleich werden wir unser Versprechen einlösen,
den Bergbau sozialverträglich zu beenden.
                                                              Essen, im November 2017
Gleichzeitig bereitet sich die RAG Aktiengesellschaft
intensiv auf die Zeit nach dem aktiven Bergbau vor. Für die
Stillsetzungsphase in den unmittelbaren Folgejahren und
auch danach sind die notwendigen Prozesse und Strukturen
des Unternehmens bereits beschrieben. Damit schaffen
wir die Grundlagen, um alle Themen des Nachbergbaus           Bernd Tönjes
erfolgreich zu bearbeiten. Dabei handelt es sich einer-       Vorsitzender des Vorstands
seits um die sogenannten Ewigkeitsaufgaben rund um            Gesamtverband Steinkohle e.V.

                                                                                                                              5
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Inhaltsverzeichnis

Ein Wort zuvor                                                                      5
Inhaltsverzeichnis                                                                  7
Editorial                                                                           9

Kapitel 1
Politik und Wirtschaft                                                             14

Kohlepolitik                                                                       16
Regionalpolitik                                                                    19
Energie- und Klimapolitik                                                          22
Volks- und energiewirtschaftliche Lage                                             28
Arbeitsgemeinschaft Energiebilanzen e.V. und Statistik der Kohlenwirtschaft e.V.   31
Nationaler Steinkohlenmarkt                                                        33
Internationaler Steinkohlenmarkt                                                   37

Kapitel 2
Recht und soziale Sicherung                                                        42

Tarifabschluss 2017                                                                44
Tarifregelung zu Deputaten                                                         44
Alterssicherung und betriebliche Altersversorgung                                  44
Sozialwahl und soziale Selbstverwaltung                                            49
Arbeits-, Umwelt- und Gesundheitsschutz                                            53

Anhang

Statistik                                                                          60
Organisation                                                                       64
Impressum                                                                          65
Verzeichnis der Grafiken und Tabellen                                              66
Kennzahlen zum Steinkohlenbergbau in Deutschland 2016                              67

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Editorial

Editorial                                                      von Wasser gehalten werden müssen, entwickelte die RAG
                                                               ein Konzept für die langfristige Bearbeitung dieser Aufgabe.
Im Jahr 2018 geht nach mehr als 200 Jahren der indus­          Das oberste Gebot dabei ist der Trinkwasserschutz. Das
trielle Steinkohlenbergbau in Deutschland zu Ende. Die         Konzept ist darauf ausgerichtet, die Grubenwasserhaltung
RAG Aktiengesellschaft (RAG) sieht sich in der Pflicht, für    langfristig und effizient zu gestalten. Grubenwasser ist
das Erbe des Bergbaus nachhaltige Lösungen zu finden, die      Wasser, das entlang von Gesteinsschichten und Klüften in
langfristig bestehen. Der Übergang in die reine Nachberg-      den Boden sickert. Auf dem Weg in das sogenannte Gru-
bauära erfolgt nicht bruchartig. Nach der Produktionsphase     bengebäude löst es im Gestein Sedimente und Mineralien
bis Ende 2018 mit verlässlicher Belieferung der Kunden         wie zum Beispiel Salze. Deshalb soll zum Schutz des Trink-
erfolgt die Stillsetzungsphase in den Jahren 2019 bis 2021     wassers der Kontakt mit trinkwasserführenden Schichten
mit den Stillsetzungsarbeiten auf den letzten Bergwerken       vermieden werden. Für die langfristige Optimierung der
und dem abschließenden sozialverträglichen Personalab-         Grubenwasserhaltung berücksichtigt die RAG die unter-
bau. Ab 2022 trägt die RAG weiter die Verantwortung für        schiedlichen Gegebenheiten der einzelnen Bergbaugebiete
den Nachbergbau.                                               Ruhrgebiet, Ibbenbüren und Saarland.

Wie die RAG mit den Bergbaufolgen umgeht, hat sie in           Das Grubenwasserkonzept für das Ruhrgebiet sieht lang-
ihrer Nachhaltigkeitsstrategie festgelegt. Sie umfasst drei    fristig eine Reduzierung der Wasserhaltungsstandorte, die
thematische Schwerpunkte: Nachbergbau, Mitarbeiter und         Umrüstung auf Brunnenwasserhaltung und eine Anhebung
Unternehmen sowie Kultur und Soziales. Nachbergbau             des Pumpniveaus vor. Zahlreiche Flüsse und Bäche können
fasst die Folgearbeiten des Bergbaus zusammen, also die        so vom Grubenwasser entlastet werden. Von den derzeit
Alt­lasten- und Ewigkeitsaufgaben. Zur Verantwortung für       noch 13 Wasserhaltungen in den Steinkohlenrevieren
Mitarbeiter und Unternehmen gehört, weiterhin eine vor-        an der Ruhr sollen langfristig nur sechs die Grubenwas-
bildliche Sozialpartnerschaft zu leben und mit finanziellen    serhaltung übernehmen. Einige nicht für die langfristige
Mitteln sorgsam umzugehen. Kultur und Soziales widmet          Wasserhaltung benötigte Standorte werden als Sicherungs-
sich unter anderem der Pflege der Bergbaukultur, die Regio-    standorte vorgehalten, an denen bei Bedarf Grubenwasser
nen über Generationen hinweg prägte.                           gehoben werden kann. Über 70 Mio. m³ Grubenwasser
                                                               leitet die RAG derzeit pro Jahr in Lippe, Emscher, Ruhr und
Der sorgsame Umgang mit den Bergbaufolgen ist ein An-          Rhein. Mit den geplanten sechs Wasserhaltungen wird die
spruch, der den Bergbau schon heute begleitet – sei es bei     Emscher komplett vom Grubenwasser befreit sein. Für die
der Entwicklung ehemaliger Betriebsflächen, der verläss-       Lippe bedeutet das Konzept eine zusätzliche Entlastung
lichen Regulierung von Bergschäden oder der verantwor-         auf 45 Flusskilometern. Um das Grubenwasser nur noch an
tungsvollen Bearbeitung der Ewigkeitsaufgaben. Bei den         wenigen zentralen Standorten zu heben, bedarf es eines
Ewigkeitsaufgaben handelt es sich um Bergbaufolgen, die        Anstiegs des Grubenwassers, um untertägige Verbindungs-
auf ewig Maßnahmen erfordern. Dazu zählen das Sammeln          wege zu nutzen. Dazu muss im Ruhrgebiet die durch-
und Pumpen des Grubenwassers, das Reinigen und Über-           schnittliche Pumphöhe angehoben werden. Der wichtigste
wachen des Grundwassers im Bereich einiger ehemaliger          Aspekt dabei: Das Wasser steigt nur auf ein Niveau an, das
Kokereistandorte sowie Poldermaßnahmen über Tage in            mindestens 150 m unterhalb der für die Region wichtigen
bergbaulichen Senkungsgebieten. Derzeit stellt die RAG die     Trinkwasservorkommen der Haltener Sande liegt. Außerdem
Grubenwasserhaltung für die Nachbergbauzeit auf.               enthält das Grubenwasser zukünftig weniger Salze, da es
                                                               einen wesentlich kürzeren Weg durch das Gestein zurück-
Um überhaupt Steinkohle fördern zu können, mussten             legt. Eine möglichst geringe Pumphöhe verringert zudem
die Bergleute in der Vergangenheit immer das anfallende        den Energieverbrauch der Wasserhaltungen.
Grubenwasser heben, das ansonsten die Arbeit unter Tage
unmöglich machen würde. Auch nach Beendigung des               Die Wasserhaltung am Standort Ibbenbüren gliedert sich
Steinkohlenbergbaus im kommenden Jahr kümmert sich die         in zwei Bereiche. Im Ostfeld baut das Bergwerk noch bis
RAG um das Grubenwasser. Für die Zeit nach dem aktiven         Ende 2018 Anthrazitkohle ab und fördert das anfallende
Bergbau, in der untertägige Betriebsbereiche nicht mehr frei   Grubenwasser über die Schächte von Oeynhausen. Nach

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Beendigung des aktiven Bergbaus sieht das Grubenwas-          Defekte oder maschinelles Abspritzen aus Sicherheitsgrün-
     serkonzept der RAG vor, das Wasser vor Ort aus möglichst      den. Das Grubenwasser durchfließt seit Jahrzehnten auch
     geringer Tiefe zu heben. Der Bergbau im Westfeld wurde        Bereiche, in denen PCB eingesetzt wurde. Die RAG und
     bereits 1978 eingestellt. Die Geologie im Westfeld ermög-     auch die Aufsichtsbehörden lassen es regelmäßig durch
     licht einen drucklosen Zufluss des Grubenwassers über den     unabhängige, akkreditierte Messinstitute untersuchen.
     Dickenberger Stollen in die Ibbenbürener Aa, durch die das    In allen Flüssen, die Grubenwasser aufnehmen, wird die
     Wasser der Ems zufließt.                                      Umweltqualitätsnorm für Oberflächengewässer sicher
                                                                   eingehalten. Zudem belegt ein von der Landesregierung in
     Das Grubenwasserkonzept an der Saar sieht einen Anstieg       Auftrag gegebenes Gutachten aus dem Frühjahr 2017, dass
     in zwei Phasen vor. In der Phase 1 soll der Grubenwasser-     durch den geplanten Anstieg des Grubenwassers mehr
     spiegel in der Wasserprovinz Reden von derzeit −600 m bis     Schwebstoffe unter Tage verbleiben, so dass dadurch der
     auf −320 m ansteigen und einen Überlauf in die Wasserpro-     heute schon sehr geringe PCB-Austrag weiter reduziert
     vinz Duhamel ermöglichen. Nach dem Anstieg kann das Gru-      wird. Bereits heute beträgt der PCB-Anteil der RAG an der
     benwasser in Duhamel gehoben und von dort in die Saar ein-    gesamten PCB-Fracht beispielsweise in der Saar lediglich
     geleitet werden. Auf diese Weise würden Bäche und Flüsse      1 % und im Rhein 0,2 %.
     auf einer Länge von 70 km künftig frei von Grubenwasser
     sein. Für diese Phase läuft ein Genehmigungsverfahren mit     Neben den Ewigkeitsaufgaben kümmert sich die RAG auch
     Umweltverträglichkeitsprüfung und Öffentlichkeitsbeteili-     um die sogenannten Altlasten-Aufgaben, die endlichen
     gung. In der Phase 2 ist geplant, das Grubenwasser weiter     Folgen des Bergbaus. Dazu gehört beispielsweise der
     ansteigen und in Ensdorf drucklos in die Saar fließen zu      Altbergbau, den die Vorgängergesellschaften der RAG
     lassen. Das gesamte Grubenwasser des Saarreviers würde        betrieben. Für die Folgen des Altbergbaus übernimmt die
     dann – aus heutiger Sicht weit nach 2035 – in Ensdorf auf     RAG in ihrem Zuständigkeitsbereich die Verantwortung.
     kürzestem Weg in die Saar geleitet und weitere 17 km Fließ-   Bis zum 18. Jahrhundert gab es im Bergbau nur begrenzte
     gewässer würden grubenwasserfrei sein. Alle Pumpen, die       technische Möglichkeiten zur Kohlenförderung. Die damals
     heute noch Energie in der Größenordnung von etwa 17 000       zur Verfügung stehenden Techniken ermöglichten es den
     Haushalten verbrauchen, wären dann abgeschaltet. Für die      Bergbaugesellschaften, nur Kohle aus Lagerstätten abzu-
     Phase 2 ist noch kein Genehmigungsantrag gestellt.            bauen, die nah an der Oberfläche lagen. Als Zugang zu
                                                                   diesen Lagerstätten existieren noch heute alte Tagesöff-
     Bei den Grubenwasserkonzepten gilt es, verschiedene           nungen, die die RAG lokalisiert, erkundet und bei Bedarf
     Gegebenheiten im Blick zu behalten. Dazu gehört auch das      saniert und sichert. Rund 7 400 Tagesöffnungen fallen
     Bewusstsein für den Einsatz sogenannter polychlorierter       in den Zuständigkeitsbereich der RAG. Die tagesnahen
     Biphenyle (PCB), die ab den 1960er Jahren zum Schutz der      Abbaubereiche können durch äußere Einflüsse wie Regen
     Bergleute in Hydraulikflüssigkeiten unter Tage behördlich     erodieren, so dass Tagesbrüche entstehen können. Solche
     vorgeschrieben waren. Aufgrund eines Grubenunglücks           Bereiche sucht die RAG aktiv im Rahmen eines zertifizierten
     Mitte 1956 in Belgien wurden alle Bergbaubetriebe von den     Monitorings und sorgt, wenn erforderlich, für deren Sanie-
     Bergbehörden angewiesen, auf schwer entflammbare Hyd-         rung nach hohen Sicherheitsstandards. Das Know-how der
     raulikflüssigkeiten und Öle umzustellen. Diese PCB-haltigen   RAG im Umgang mit dem Altbergbau ist dabei weltweit
     Flüssigkeiten kamen vor allem in Maschinen, Hydraulikan-      einzigartig. Von dem Expertenwissen können auch andere
     lagen, Transformatoren und Getrieben zum Einsatz. In der      Länder profitieren.
     ersten Hälfte der 1980er Jahre zeigten neue Erkenntnisse
     erhebliche Gesundheits- und Umweltgefährdungen. Die           Auch Bergschäden aus dem heutigen Tiefenbergbau gehö­
     PCB-haltigen Flüssigkeiten wurden daher gegen unbedenkli-     ren zu den Altlasten. Rund 25 500 Bergschäden melden
     che ausgetauscht. Heute werden Hydraulikflüssigkeiten auf     Bürger der RAG jedes Jahr, für den Großteil davon werden
     Wasserbasis eingesetzt.                                       einvernehmliche Lösungen gefunden. Für strittige Fälle,
                                                                   etwa 120 pro Jahr, gibt es für die Eigentümer kostenlose
     Bei dem Einsatz in den 1970er und 1980er Jahren unter         Schlichtungsstellen. Weniger als 20 Fälle im Jahr landen
     Tage kam es zu Flüssigkeitsverlusten durch Leckagen,          vor Gericht. Für die Schadensmeldung bietet die RAG ein

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Editorial

Bergschadens-Service-Center mit kostenloser Hotline an.         west Wohnen und RAG Montan Immobilien bearbeitet. Auf
Bei einem Vor-Ort-Termin prüfen RAG-Mitarbeiter dann, ob        Grundlage der Quartiere Duisburg-Vierlinden und Friedrich-
die gemeldeten Schäden auf Bergbauaktivitäten zurückzu-         Heinrich in Kamp-Lintfort mit dem Areal des ehemaligen
führen sind. Liegt ein Bergschaden vor, können Eigentümer       Bergwerks West werden flexibel einsetzbare Lösungskon-
zwischen finanzieller Entschädigung und Reparatur wählen.       zepte entwickelt, die Modellcharakter für andere Quartiere
Nachhaltigkeit bei der Schadensregulierung umfasst für          in ganz Deutschland haben sollen. Im ersten Schritt haben
die RAG drei Komponenten: den fairen Umgang miteinan-           sechs renommierte Experten aus unterschiedlichen Fachdis-
der, ein transparentes Verfahren und vorausschauendes           ziplinen in einer Denkfabrik Thesen zur Förderung von Integ-
Handeln. Das stellen unter anderem ein standardisiertes         ration in der Nachbarschaft erarbeitet. In einer zweitägigen
Bearbeitungsverfahren, zertifiziert nach internationaler        Live-Werkstatt erörterten die Experten, Planungsteams aus
Norm DIN EN 9001, und Rücklagen sicher. Eine Umfrage            Dänemark, Deutschland, den Niederlanden und Österreich,
zeigt, dass die Bergschadensabteilung einen guten Job           engagierte Bewohner beider Quartiere sowie Vertreter der
macht: 74 % der befragten Immobilieneigentümer zeigten          Städte Duisburg und Kamp-Lintfort die Aspekte Wohnen,
sich mit den Leistungen „sehr zufrieden“ oder „zufrieden“.      Bildung, Freizeit, Nahversorgung und lokale Ökonomie.
Selbstverständlich werden die Schadensmeldungen auch
über das Jahr 2018 hinaus gewissenhaft bearbeitet.              Die Themen des Nachbergbaus werden auch aus wissen-
                                                                schaftlicher Perspektive betrachtet. Das Forschungszentrum
Die RAG verfügt mit einer Fläche von über 10 000 ha über        Nachbergbau der Technischen Hochschule Georg Agricola
ein umfangreiches Flächenportfolio in Nordrhein-Westfalen       (THGA) forscht dazu und bildet junge Fachexperten für
und im Saarland. Die nachhaltige Nutzung ehemaliger             dieses vielfältige Aufgabenfeld aus. Die weltweit einzig-
Bergwerksgelände bedeutet gestaltende Verantwortung für         artige Einrichtung wurde im Oktober 2015 eröffnet und
die nachfolgenden Generationen. Viele Flächen liegen an         beschäftigt sich mit den komplexen Herausforderungen von
für die Regionen günstigen Standorten. In den vergangenen       Bergwerksschließungen, Nachsorgemaßnahmen und Folge-
Jahren entwickelte die RAG mit ihrer Tochtergesellschaft        nutzungen. Schon 2013 wurde an der Hochschule der Mas-
RAG Montan Immobilien GmbH zahlreiche ehemalige                 terstudiengang „Geoingenieurwesen und Nachbergbau“
Bergwerksareale zu attraktiven Standorten – für Gewerbe         etabliert, für den die RAG-Stiftung eine Stiftungsprofessur
und Industrie, Technologieparks, Logistikzentren sowie          fördert. Spitzenforschung im Bereich Nachbergbau ist auch
für Wohn- und Grünanlagen. Mit RAG Montan Immobilien            weltweit gefragt: Immer mehr Länder interessieren sich für
entstehen auf Halden und Freiflächen Wind- und Sonnen-          den nachhaltigen Umgang mit ehemaligen Lagerstätten,
energieanlagen, Letztere vor allem im sonnenintensiveren        vom Braunkohlentagebau bis zur Gold- oder Urangewin-
Saarland. Insgesamt schuf das Unternehmen mit seinen            nung. Bereits heute erstrecken sich die Forschungsaktivitä-
Aktivitäten auch die Grundlage für neue Arbeitsplätze. Im       ten der THGA von China bis Südamerika.
Durchschnitt der vergangenen 10 bis 15 Jahre revitalisierte
der Bergbau rund 420 ha pro Jahr. Im interkommunalen            Mit 1 200 m Strecke, unterschiedlichen Gewinnungsein-
Projekt „Wandel als Chance“, das diesbezüglich im Februar       richtungen, Streckenvortrieben und einem Schacht wird im
2014 aktiviert wurde, verpflichtete sich die RAG zusammen       Trainingsbergwerk Recklinghausen (TZB) die Untertagewelt
mit anderen Partnern der Bergbauflächenvereinbarung zur         wirklichkeitsnah dargestellt. Im TZB sind die wichtigsten
vorausschauenden Revitalisierung von insgesamt 20 ehe-          Maschinen und Einrichtungen von der Vorleistung über die
maligen Bergbauflächen in Nordrhein-Westfalen. Mit der          Gewinnung sowie den Transport bis hin zu Kommunikations-
Entwicklung zukunftsweisender Konzepte zur wirtschaft­          und Steuerungseinrichtungen auf überschaubarem Raum
lichen und sozialen Erneuerung leistet die RAG einen            konzentriert. Dabei bietet das TZB optimale Voraussetzungen
großräumigen Beitrag zum Strukturwandel.                        auch für wissenschaftliche Forschung. Das Deutsche Zentrum
                                                                für Luft- und Raumfahrt testete im TZB in Kooperation mit der
Welchen Beitrag eine aktive Quartiers- und Flächenentwick-      RAG ein innovatives Schachtinspektionssystem mit Hightech-
lung für ein gutes Zusammenleben von Menschen in einem          Modulen für den Altbergbau. Einen besonderen Reiz bietet
Quartier leisten kann, ist die Fragestellung, die das Projekt   das TZB auch für Besucher wie Schulklassen, Vereine und
„Glückauf Nachbarn – Modellquartier Integration“ von Viva-      andere Interessengruppen. Unter sachkundiger Führung

                                                                                                                                11
können sie hier die Welt unter Tage entdecken. Das NRW-        tigen Energie- und Klimapolitik, in Deutschland unter dem
     Wirtschaftsministerium, die Stadt Recklinghausen und die       Schlagwort „Energiewende“ zusammengefasst, besonders
     RAG setzten sich für den Erhalt des Trainingsbergwerks ein.    gravierend aus. Nicht nur das weiterhin an Rhein und Ruhr
                                                                    bedeutende produzierende Gewerbe leidet unter steigenden
     Auch wenn Ende 2018 die Steinkohlenförderung auf den           Strompreisen. Gleichzeitig steht die Wirtschaftlichkeit des
     letzten beiden Bergwerken eingestellt wird, wird die RAG       Betriebes von konventionellen Kraftwerken in Frage oder
     weiter bestehen und nachhaltige Verantwortung für die          muss sogar in mehr und mehr Fällen verneint werden. So
     Bergbaufolgen in den Bergbauregionen übernehmen. Sie           war die STEAG gezwungen, im Frühjahr 2017 das Kraft-
     lebt in der Nachbergbauära fort und ist weiter Ansprech-       werk Voerde nach 47 Jahren stillzulegen. Obwohl dies
     partner für Bürger, Kommunen und Politik in den Regionen.      sozialverträglich, also ohne betriebsbedingte Kündigungen
     Hierfür hat die RAG Zeichen gesetzt. Im September 2016         erfolgen konnte, werden hier die konkreten Auswirkungen
     wurde im Saarland die neue RAG-Repräsentanz in einer           der Energiewende greifbar. Gleichzeitig ist festzustellen,
     ehemaligen Maschinenhalle auf der Anlage Duhamel in            dass die Versorgungssicherheit bundesweit mit Blick auf die
     Ensdorf eröffnet. Damit ist ein Ort der Kooperation und        verlässliche Lieferung von elektrischem Strom zunehmend
     Kommunikation, der Begegnung und des Dialogs entstan-          auf wackligen Füßen steht. Die sogenannte Dunkelflaute
     den. Gleichzeitig wurde auch die Landmarke Saarpolygon,        ohne Wind und gleichzeitig ohne nutzbare Sonnenenergie
     eine 30 m hohe Stahlskulptur, als neues, begehbares            Anfang des Jahres hat dies deutlich gezeigt.
     Wahrzeichen des Landes eingeweiht.
                                                                    Insofern ist es wünschenswert oder sogar erforderlich, dass
     Im Ruhrgebiet feierten Bauherren, Planer und Handwerker        die Maßnahmen der „Energiewende“ nachjustiert werden.
     nur ein halbes Jahr nach der Grundsteinlegung auf der          Der Fokus auf den Strommarkt muss erweitert werden. Für
     Baustelle des neuen Verwaltungssitzes von RAG-Stiftung         eine Energiewende ist eine reine Stromwende – so wie
     und RAG auf dem Kokerei-Areal Zollverein in Essen die          derzeit – insgesamt nicht Erfolg versprechend und kann in
     Fertigstellung des Rohbaus. Der zweigeschossige Neubau         diesem Sektor negative Folgen mit sich bringen, ohne dass
     neben der 2012 eröffneten Unternehmenszentrale der RAG         die gesteckten Ziele insgesamt erreicht werden. Innerhalb
     Montan Immobilien orientiert sich an innovativen Nachhal-      des Stromsektors sollte gleichzeitig die einseitige Betrach-
     tigkeitsstandards. Der Umzug der Verwaltung von Herne          tung der Kohle – Stein- wie Braunkohle – aufgegeben
     zum Welterbe Zollverein fand in der zweiten Jahreshälfte       werden. Denn es ist zu konstatieren: Zwar ist mittlerweile
     2017 statt.                                                    die Erzeugung von Strom aus erneuerbaren Energiequellen
                                                                    insgesamt als Nr. 1 in Deutschland etabliert und Braun-
     Damit wird die RAG von diesem Standort aus das letzte          wie Steinkohle reihen sich dahinter ein (gemeinsam indes
     Teilstück des Weges als förderndes Unternehmen be-             immer noch gewichtiger als die Erneuerbaren). Gleichwohl
     streiten. Bis zum Ende des Jahres 2018 gilt es, neben der      hat dahinter das Erdgas – vor allem aufgrund gesetzgebe-
     Vorbereitung auf die Nachbergbauzeit die Förderung und         rischer Maßgaben – an Bedeutung gewonnen. Dabei ist
     den Absatz von Steinkohle verlässlich sicherzustellen.         es fraglich, ob die Nutzung von Erdgas tatsächlich in einer
     Damit bewegt sich die RAG immer noch, ebenso wie die           Gesamtbilanz einschließlich Gewinnung, Transport und
     auch darüber hinaus Steinkohlenkraftwerke betreibende          Einsatzspektrum günstiger ist, um die gesteckten Ziele zur
     STEAG GmbH, im schwierigen, von politischen Interessen         Einsparung von Treibhausgasemissionen zu erreichen.
     und Vorgaben geprägten Marktumfeld der Rohstoffgewin-
     nung und Energieerzeugung. Dieses hat zugleich starke          Die Herausforderungen bestehen hierbei auf verschiede-
     regionale Auswirkungen.                                        nen Ebenen. Neben der nationalen Energiewende wirken
                                                                    international die Bestrebungen der EU und der Weltgemein-
     Obwohl das Ruhrgebiet heute nicht mehr die klassische          schaft, zuletzt manifestiert im Pariser Klimaabkommen, auf
     Industrieregion darstellt, als die es noch oft wahrgenom-      die Energiemärkte ein. Etwas anders stellt es sich vor allem
     men wird, trägt es einen deutlichen Anteil daran, dass         in Teilen Asiens dar, wo trotz gleichzeitiger Bestrebungen
     Nordrhein-Westfalen in Deutschland das Energieland Nr. 1       zum Umwelt- und Klimaschutz eine vergleichsweise stabile
     darstellt. Deshalb wirken sich hier die Folgen der gegenwär-   Entwicklung für die Kohleverstromung festzustellen ist.

12
Editorial

Im Unterschied zu einigen Ländern oder Regionen, in denen      mittelbar durch ihre Beteiligungsgesellschaften, insbeson-
der Kohleabbau mit Blick auf den Schutz der Beschäftigten      dere Krankenhäuser und wissenschaftliche Einrichtungen,
oder der Umwelt kritisch betrachtet werden kann, erfolgt       sind die Sozialversicherungsträger bedeutsame Arbeitgeber
in Deutschland die Förderung bis zum Ende unter größten        in den Bergbauregionen. Somit bilden auch diese Ehrenäm-
Anstrengungen zum Arbeits-, Gesundheits- und Umwelt-           ter einen Baustein des Engagements in und der Übernahme
schutz. Diese Anstrengungen zeigen Erfolge, wie sich an        von Verantwortung für die Menschen in diesen Regionen
der weiterhin positiven Entwicklung bei den Arbeitsunfällen    aktuell und über die Steinkohlenförderung hinaus.
exemplarisch ablesen lässt. Auch wenn im deutschen
Steinkohlenbergbau bereits seit Jahren die Arbeitsunfall-
quote unter dem Durchschnitt der gewerblichen Wirtschaft
insgesamt liegt, werden weiterhin erhebliche Anstrengun-
gen unternommen, um dem formulierten ehrgeizigen Ziel
„Null Unfälle“ weiter näher zu kommen. Die preisgekrönte
­RAG-Arbeitsschutzkampagne „Sicherheit! Denk daran,
 bevor du loslegst“ hat auch dazu beigetragen, dass die
 Unfallquote 2016 erneut gegenüber dem Vorjahr gesenkt
 werden konnte. Der transparente und verantwortliche
 Umgang mit Umweltfragen, die in der öffentlichen Debatte
 breiten Raum einnehmen, zeigt auf, dass der deutsche
 Steinkohlenbergbau auch hier Maßstäbe setzt. Entgegen
 der zum Teil durch einseitige und überzeichnete Darstel-
 lungen geprägten Wahrnehmung stellen sowohl die aktive
 Förderung als auch die jetzige und künftige Wasserhaltung
 keine Gefahr für das Trinkwasser dar. Es bleibt zu hoffen,
 dass die politische und öffentliche Diskussion besonders zu
 diesem Thema künftig weiter versachlicht wird.

Die Übernahme von Verantwortung zeigt sich auch auf
sozialpolitischem Gebiet. Beschäftigte des deutschen Stein-
kohlenbergbaus engagieren sich weiterhin in der sozialen
Selbstverwaltung. Der Gesetzgeber hat den Sozialpartnern
in der Gestaltung und Verwaltung der sozialen Sicherungs­
systeme eine große Eigenverantwortung übertragen. Ins­
besondere in den bergbaunahen Sozialversicherungsträgern,
der Deutschen Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See
und der Berufsgenossenschaft Rohstoffe und chemische
Industrie, arbeiten sie mit, diese wichtigen Säulen der
Gesellschaft sachgemäß mitzulenken. Damit tragen sie auch
im Auslauf und darüber hinaus dazu bei, diesen Trägern
der gesetz­lichen Renten-, Kranken- und Pflegeversiche-
rung sowie der Unfallversicherung auch nach dem aktiven
Steinkohlenbergbau eine gute Perspektive zu eröffnen.
So kann die weiterhin gute Versorgung der Versicherten
sichergestellt werden. Gleichzeitig gilt es, ein wirtschaft-
lich darstellbares und angemessenes Beitragsniveau zu
erreichen. Dieses Engagement hat auch mit Blick auf die
Bergbau­regionen wirtschaftliches Gewicht: Unmittelbar und

                                                                                                                            13
Kapitel 1
     Politik und Wirtschaft

     Bergwerk Prosper-Haniel, Bottrop

14
15
Kohlepolitik                                                             sozialverträgliche Auslauf des deutschen Steinkohlenberg-
     Die Entwicklung des deutschen Steinkohlenbergbaus wird                   baus bis zum Ende des Jahres 2018 eingeleitet worden,
     seit Jahrzehnten maßgeblich durch politische Entscheidun­                der seither planmäßig umgesetzt wird. Durch den EU-Rats-
     gen und Vorgaben bestimmt. Vor allem aufgrund der hiesi­-                beschluss vom Dezember 2010 über „staatliche Beihilfen
     gen geologischen Abbaubedingungen und großen Teufen                      zur Erleichterung der Stilllegung nicht wettbewerbsfähiger
     ist die heimische Steinkohle seit Langem nicht mehr wett­                Steinkohlebergwerke“ und die im Juli 2011 vom Parlament
     bewerbsfähig gegenüber Importsteinkohle und anderen                      verabschiedete Streichung der zunächst noch im Steinkoh-
     Energiequellen. Neben der sozial- und regionalpolitischen                lefinanzierungsgesetz vorgesehenen „Revisionsklausel“
     Abfederung der dadurch eingetretenen unvermeidlichen                     ist der Auslauf definitiv und unumkehrbar geworden. Die
     Anpassungsprozesse im Steinkohlenbergbau ging es in der                  Subventionen für die deutsche Steinkohle sinken daher
     Kohlepolitik lange Zeit auch darum, zur Sicherung der Ener-              kontinuierlich und werden nur noch im Rahmen eines
     gieversorgung einen Versorgungsbeitrag aus inländischer                  EU-rechtlich genehmigten Stilllegungsplans bewilligt, der
     Produktion und damit zugleich die Option auf die Nutzung                 die Einstellung der Beihilfen für die laufende Produktion
     der heimischen Lagerstätten zu erhalten. Zugleich sollte                 zum Ende des Jahres 2018 verlangt. Bis dahin mit immer
     der daraus hervorgegangenen hochentwickelten deutschen                   stärkeren Anteilen und ab 2019 noch für eine begrenzte Zeit
     Bergbautechnologie eine eigene Referenzbasis bewahrt                     ausschließlich sind auch Beihilfen zur Deckung der Stillle-
     werden. Durch die kohlepolitischen Beschlüsse im Jahr                    gungsaufwendungen sowie zur Deckung der Altlasten des
     2007 erfolgte ein fundamentaler Kurswechsel, der seinen                  bereits stillgelegten Steinkohlenbergbaus zulässig, um eine
     Ausdruck in der Rahmenvereinbarung „Sozialverträgliche                   geordnete Anpassung zu ermöglichen. Im Jahr 2017 macht
     Beendigung der subventionierten Steinkohlenförderung in                  dieser Teil der Beihilfen schon drei Viertel der Steinkohle-
     Deutschland“ und im Gesetz zur Finanzierung der Beendi-                  subventionen aus. Der größte Teil der Wegstrecke hin zum
     gung des subventionierten Steinkohlenbergbaus zum Jahr                   geordneten und sozialverträglichen Auslauf ist inzwischen
     2018 (Steinkohlefinanzierungsgesetz) fand. Damit ist der                 planmäßig absolviert worden und gemäß den Vorgaben

       EU-rechtlich genehmigte Stilllegungsbeihilfen für den deutschen Steinkohlenbergbau
       Mio. €                                                      Artikel 3*: Stilllegungsbeihilfen (Rückführung laufende Produktion)
                                                                   Artikel 4*: Beihilfen zur Deckung außergewöhnlicher Belastungen
        2 000                                                      (nicht im Zusammenhang mit der laufenden Produktion, Altlasten)

        1500        41 %
                                 36 %
                                             51 %         48 %
                                                                       54 %
        1000
                                                                                    62 %
                                                                                                 76 %         74 %
         500

                                                                                                                       100 %
            0
                    2011         2012        2013         2014         2015         2016         2017         2018     2019**

         * Bestimmungen der Ratsentscheidung 2010/787/EU
        ** Von 2019 an können Abschreibungen aus der Stilllegung der letzten Bergwerke und weitere Aufwendungen
        		 für stillgelegte Produktionseinheiten sachgerecht über mehrere Jahre verteilt werden; Schätzwert für 2019

16
Kapitel 1 Politik und Wirtschaft

erfolgt. Im Jahr 2018 biegt der Steinkohlenbergbau in            Anpassung im deutschen Steinkohlenbergbau
Deutschland dann sozusagen auf die Zielgerade seines Aus-
laufprozesses ein, bevor ab 2019 seine mehr als 200-jährige      140    130,3                          Belegschaft (Tausend)
Industriegeschichte ganz beendet sein wird.                                                            Förderung (Mio. t SKE)
                                                                 120
Die politische Flankierung des Ausstiegs aus der heimi-
schen Steinkohle kann damit jedoch nicht beendet werden,         100
zumindest nicht in regionaler Perspektive. Das zeigt sich
zum Beispiel an der Mitte 2017 öffentlich geäußerten              80            71,0
Aufforderung von unternehmer.nrw an die neue Landesre-                                   58,1
gierung von Nordrhein-Westfalen: „Steinkohle-Ausstieg             60
weiter begleiten. Im Jahr 2018 werden die beiden letzten
Bergwerke schließen und damit wird der Steinkohlenberg-           40                            34,3
bau in Nordrhein-Westfalen beendet. Für die Entwicklung                                                 24,2
unseres Landes zum Industriestandort war die heimische            20                                           13,2   7,5 3,9
Steinkohle die unverzichtbare Grundlage. Einerseits gilt
                                                                   0
es, dieses Stück Industriekultur als Teil unserer Landes-
                                                                           1990           2000            2010         2016
geschichte zu bewahren. Andererseits brauchen die vom
Ausstieg betroffenen Kommunen belastbare Perspektiven
für die Bergbaufolgeaktivitäten. Des Weiteren fordern wir      lösen des früheren „weißen Bereichs“ des RAG-Konzerns,
die Landesregierung auf, die Potenziale zur Nutzung von        der heutigen Evonik Industries AG, gebildet worden. Dieses
Grubengas, das heißt Erdgas aus Kohleflözen, zu erforschen     Vermögen soll durch Kapital- und Beteiligungserträge der
und als Beitrag zum Energiemix zugänglich zu machen.“          damit ermöglichten Investments erhalten und gemehrt
                                                               werden. Nur als Risikoabsicherung für den Fall, dass die
Aus der Perspektive des direkt betroffenen Unternehmens        RAG-Stiftung die Finanzierung der Ewigkeitsaufgaben aus
sind die Weichen in Richtung auf die eigentlichen Aufgaben     unvorhersehbaren Gründen einmal nicht leisten kann, garan-
des Nachbergbaus zu stellen. Seit der Auslauf des deut-        tieren die Länder Nordrhein-Westfalen und Saarland gemäß
schen Steinkohlenbergbaus unumkehrbar geworden ist, hat        dem Erblastenvertrag, die erforderlichen Mittel zur Verfü-
die ihn tragende RAG Aktiengesellschaft zusammen mit           gung zu stellen. Eine Rahmenvereinbarung sieht vor, dass
der Auslaufplanung ihre Strategie systematisch auf die Zeit    der Bund sich mit einem Drittel beteiligt, falls die Länder
danach, die Ära des Nachbergbaus, ausgerichtet. Eine we-       in Anspruch genommen werden. Über die Finanzierung der
sentliche unternehmerische Aufgabe der RAG wird dann in        Verpflichtungen aus den Ewigkeitsaufgaben hinaus fördert
der Erfüllung der sogenannten Ewigkeitsaufgaben bestehen       die RAG-Stiftung gemäß ihrer Satzung Bil­dung, Kultur und
– Grubenwasserhaltung, Poldermaßnahmen und Grundwas-           Wissenschaft in den Bergbauregionen in Nordrhein-West­
serreinigung, allesamt wasserwirtschaftlich geprägt und aus    falen und dem Saarland, soweit diese im Zusammenhang
Gründen der Daseinsvorsorge im Umweltschutz zwingend           mit dem Bergbau stehen.
und ewig erforderlich –, die Nachbergbau-RAG wird somit zu
einer „Ewigkeitsgesellschaft“.                                 Dennoch werden in der Subventionsdebatte in Deutschland
                                                               bisweilen immer noch die Steinkohlesubventionen genannt,
Während zur finanziellen Bewältigung der (zeitlich begrenzt)   wenn Subventionen thematisiert und Einsparpotenziale bei
abzuwickelnden Altlasten noch staatliche Beihilfen ge-         Subventionen benannt werden. Zwar gehören die Stein-
währt werden, sollen die Ewigkeitslasten – nach heutiger       kohlehilfen noch immer zu den größeren Einzelmaßnahmen
Abschätzung geht es um eine Größenordnung von rund             in den betreffenden Etats, doch ihr Anteil am gesamten
220 Mio. € p. a. – subventionsfrei finanziert werden. Um       Subventionsvolumen in Deutschland liegt längst unter 1 %,
die öffentliche Hand von diesen Aufgaben zu entlasten, ist     wie die regelmäßigen Subventionsstudien des IfW Kiel zu-
im Jahr 2007 die RAG-Stiftung gegründet worden. Deren          letzt für 2015 ermittelt haben. Dabei sind die Subventions-
Vermögen ist aus der Beteiligung bzw. den Kapitalmarkter-      äquivalente der EEG-Förderung für die Stromeinspeisung

                                                                                                                                17
Steinkohlenbergwerke und Standorte in Deutschland

                                           Osnabrück                                                      Bergwerke
                                  2                                                                       1 Prosper-Haniel
                               Ibbenbüren                                                                 2 Anthrazit Ibbenbüren

                                                                                                          Standorte RAG-Konzern
                                      Ruhrrevier                              Lipp                        und Verband
                                                                                  e                       Essen:
                                                                   Marl
                                Kamp-                                                                     RAG
                                Lintfort                                                       Hamm       RAG Deutsche Steinkohle
                                                                      Recklinghausen
                                                                                                          RAG Montan Immobilien
                                                       1           Herne                                  GVSt
                                                       Bottrop                  Dortmund
                                                              Essen                                       Herne:
                                  Duisburg                                                 r              RAG Mining Solutions
                                                                                        Ruh
                                                                                                          RAG Verkauf
                                              ein
                                            Rh                                                            Recklinghausen:
                                                                                                          RAG Konzernrevision
                                                                                                          Ensdorf:
                 Saarrevier                                                                               Regionalverwaltung Saar
                     Ensdorf

                                Saar-
                        Saar    brücken

     erneuerbarer Energien, die nicht über die öffentlichen                Zum Erbe des auslaufenden Steinkohlenbergbaus gehört in
     Haushalte laufen und deshalb vom IfW nicht als Subven-                Bezug auf das Subventionsthema auch die Erkenntnis, dass
     tionen erfasst werden, nicht berücksichtigt – obgleich sie            die Subventionen für die heimische Steinkohle lange Zeit
     im jährlichen Volumen mittlerweile mehr als das Vierfache             neben einem ehedem wichtigen Beitrag zur Sicherheit der
     dessen ausmachen, was jemals maximal für die Steinkoh-                nationalen Energieversorgung sowie sozial- und regional­
     lesubventionen aufgewandt wurde. Historisch betrachtet                politischen Funktionen auch bedeutsame wirtschaftliche
     wurden über das EEG bereits von 2000 bis 2015 nahezu                  Leistungen sichergestellt haben, deren Wegfall mit fiska­
     genauso viel Subventionen gezahlt wie für die Steinkohle              lischen Folgekosten verbunden ist. Subventionsabbau bei
     seit 1960. Jedoch wurde allein mit dem Teil der Steinkohle-           einmal bestehenden Produktionskapazitäten führt nicht
     subventionen, der als Absatzhilfe für die Verstromung von             in gleichem Umfang zu „frischem Geld“ und kurz- und
     heimischer Steinkohle eingesetzt wurde, ungefähr die vier-            mittelfristig nicht einmal zu einer Nettoersparnis, weil
     fache Menge an Strom erzeugt. Entsprechend geringer war               regelmäßig den verringerten Ausgaben für Subventionen
     die Subvention pro erzeugter Kilowattstunde aus heimischer            in den öffentlichen Kassen dann Mindereinnahmen (bei
     Steinkohle. Dies mag sich in Zukunft ändern, wenn sich die            Steuern und Sozialbeiträgen) und Mehrausgaben (für er­
     Wirtschaftlichkeit der erneuerbaren Energien im Rahmen                höh­te Arbeitslosigkeit sowie andere soziale und regionale
     der neuen Ausschreibungssysteme und durch weiteren                    Ausgleichsmaßnahmen etwa bei der Ausbildung, Infrastruk-
     technischen Fortschritt deutlich verbessern sollte.                   tur etc.) gegenüberstehen.

18
Kapitel 1 Politik und Wirtschaft

  Subventionsvolumen in Deutschland 2015: Anteil Steinkohle < 1 %
  Subventionen insgesamt – Finanzhilfen und Steuer-/Abgabenerleichterungen
  (ohne EEG-relevante Kosten in Höhe von 21,8 Mrd. t lt. BDEW):

                               168,7 Mrd. t
                                                               Sektorspezifische Hilfen
                                                               insges. 64,5 Mrd. t, darunter:
                                                                             Verkehr

                                                                     25,2              Wohnungswirtschaft
      Transfers an private und                                               3,5         Land- und Forstwirtschaft, Fischerei
      staatliche Organisationen                                                10,0
      ohne Erwerbszweck
                                                                                        2,0 Bergbau insges., davon
      (Sozial-, Gesundheits-                     78,1                                       Steinkohlenbergbau: 1,2 Mrd. t
      und Bildungswesen, Kultur,
                                                                                            (Haushaltsansätze nach erlösabh.
      Sport etc.)                                                           23,8            Kürzung zzgl. APG) = 0,7 %

                                                                                        Sonstige sektorspezifische Subven-
                                                              26,1                      tionen, davon insges. 9,3 Mrd. €
                                                                                        wie EEG-bedingte Vergünstigungen,
                                                                                        Hilfen des Energie- und Klimafonds
                                                             Branchen-                  sowie staatliche Einnahmeverzichte
                                                             übergreifende              (CO2-Zertifikate)
                                                             Subventionen

  Quelle: IfW, 11/2016

Regionalpolitik                                                      bergbau verbundene Belange spielen in der saarländischen
Die kohlepolitischen Beschlüsse sind so gefasst worden,              Landespolitik immer noch eine bedeutende Rolle, wie
dass sie einen Auslauf im „Gleitflug“ ermöglichen, das               nachdrücklich die Koalitionsvereinbarung der neuen (bzw.
heißt, genügend Anpassungszeit verschaffen, um den Be-               erneut bestätigten schwarz-roten) Landesregierung vom
schäftigungsabbau im Steinkohlenbergbau sozialverträglich            Mai 2017 gezeigt hat. Darin widmen sich gleich mehrere
zu gestalten, also betriebsbedingte Kündigungen zu vermei-           Abschnitte bergbaubezogenen Themen. Hierzu zählen
den. Die vom Auslauf des Steinkohlenbergbaus betroffenen             die Gestaltung des Nachbergbaus, die Folgenutzung von
Kommunen, Regionen und Länder müssen sich gleichwohl                 Bergbauflächen, die Konkretisierung von Bergschadensver-
regionalpolitisch auf den fortschreitenden Auslaufprozess            mutungen, die Risikovorsorge und die Transparenz bei der
und die Beendigung des Steinkohlenbergbaus als regiona­              Grubenwasserhaltung sowie die Industriekultur. Dass der
ler Wirtschafts- und Beschäftigungsfaktor einstellen, dies           Steinkohlenbergbau im Saarrevier nach rund 250-jähriger
bislang weitgehend ohne Unterstützung des Bundes.                    Geschichte bis heute dort tief verwurzelt ist, verdeutlicht
                                                                     auch der schon im Jahr 2011 gegründete Förderverein
Dieser Prozess ist im Saarland am weitesten fortgeschrit-            „BergbauErbeSaar“, der sich als „Heimat für alle, die sich
ten, wo mit der vorzeitigen Stilllegung des Bergwerks Saar           dem Bergbau mental, familiär, wirtschaftlich, politisch oder
im Dezember 2012 die Förderung bereits vor fünf Jahren               kulturell verbunden fühlen“, versteht. Eines seiner zentra­
komplett beendet worden ist. Doch mit dem Steinkohlen-               len Ziele hat er im Jahr 2016 mit der Fertigstellung des

                                                                                                                                    19
„Saarpolygons“ auf der Bergehalde Duhamel in Ensdorf              und Teile der bergbaulichen Infrastruktur wie Schächte,
     verwirklichen können. Mit der Errichtung dieser Landmarke         Halden und Flächen, verbunden mit speziellem Ingenieurs-
     als Identifikationspunkt sollen die technischen und sozialen      Know-how aus jahrzehntelanger Bergbauerfahrung, für das
     Leistungen des Saarbergbaus und seiner Beschäftigten,             neue Energiezeitalter genutzt werden können. Besonders
     die das Saarland im besonderen Maße geprägt haben, im             exemplarisch dafür wird der vorgesehene neue Energiepark
     kollektiven Bewusstsein gehalten werden. Das scheint              auf dem Areal des ehemaligen Bergwerks Lohberg in Dinsla-
     gelungen, denn über das Saarpolygon wird weit über die            ken sein, auf dem durch Erschließung aller dort verfügbaren
     Region hinaus berichtet. Es ist in diesem Jahr mit dem            Potenziale an Regenerativen einschließlich der energetischen
     BDA-Preis 2017 für Architektur und Städtebau im Saarland          Verwertung von Grubengas gemeinsam mit dem benachbarten
     ausgezeichnet worden.                                             Bezirk Gartenstadt das größte zusammenhängende CO2-neu­
                                                                       trale Stadtquartier Deutschlands entstehen soll. Eine Erfolgs-
     Gewissermaßen noch in der Vorbereitungsphase befindet             geschichte eigener Art ist die Entwicklung des Welterbes
     sich die „Kohle-Konversion“ in der Region Ibbenbüren, wo          Zollverein in Essen vom touristisch sehr begehrten Denkmal
     die Förderung des Bergwerks Anthrazit Ibbenbüren Ende             historischer Industriekultur zu einer Mischung aus Kultur- und
     2018 eingestellt wird. Die regionalen Planungen für die           Eventlocation, Naherholungsgebiet und Standort für Büro- und
     Nachbergbauzeit laufen intensiv und scheinen auf gutem            Gewerbeimmobilien vom Start-up bis zur Konzernzentrale
     Wege zu sein, doch wie gut die Stadt Ibbenbüren und das           sowie ab 2017 auch einer Hochschule (Fachbereich Gestal-
     umgebende Tecklenburger Land das Ende seiner ebenfalls            tung der Folkwang-Universität der Künste).
     langen Bergbaugeschichte und den folgenden Strukturwan-
     del verkraften werden, muss sich noch erweisen.                   Schon jetzt eine Erfolgsgeschichte ist auch das im Jahr
                                                                       2010 in der klassischen – und im Ruhrgebiet letzten – Berg-
     Anders und vielschichtiger ist die Situation im ungleich          baustadt Bottrop vom Initiativkreis Ruhr gestartete Projekt
     größeren Ruhrgebiet, wo sich der Rückzug der Steinkohle           InnovationCity Ruhr. Der Initiativkreis Ruhr ist ein Bündnis von
     schon seit Jahrzehnten vollzieht und Ende 2018 mit der letzten    inzwischen mehr als 70 Unternehmen und Institutionen aus
     Schicht auf Prosper-Haniel in Bottrop, dem letzten Bergwerk       Privatwirtschaft und Zivilgesellschaft mit mehr als 2,2 Mio.
     im Ruhrrevier, gewissermaßen der letzte Akt dieser Form des       Beschäftigten. Er wurde 1989 gegründet, um dem Struktur-
     Strukturwandels abgeschlossen wird. Die Bergbaukommunen           wandel im Ruhrgebiet gemeinsame positive Impulse in den
     des Ruhrgebiets haben – zum Teil zusammen mit der Stadt           Bereichen Wirtschaft, Bildung und Kultur zu geben, und ist
     Ibbenbüren – in Reaktion auf den Auslaufbeschluss schon           heute eines der stärksten regionalen Wirtschaftsbündnisse
     2008 das gemeinsame Projekt „Wandel als Chance“ initiiert.        in Deutschland. Mit dem Projekt InnovationCity Ruhr sollten
     Es gibt aber nach wie vor auch erhebliche Herausforderungen.      innovative Ideen und Lösungen entwickelt werden, wie den
     So zeigt die gründliche Erfassung der nach gegenwärtigem          Herausforderungen des Struktur- und des Klimawandels im
     Planungsrecht verfügbaren Industrie- und Gewerbeflächen,          städtischen Raum erfolgreich begegnet und ein klimagerech-
     dass diese drastisch knapper werden. Sehr bemerkenswert ist       ter Stadtumbau unter Berücksichtigung des Industriestandorts
     die Bilanz im Hinblick auf die „Grüne Infrastruktur Ruhr“. Aus-   in Gang gesetzt werden kann. Das Projekt ist gemeinsam von
     gerechnet im einstigen „Kohlenpott“, dem größten urbanen          Akteuren der Stadt, der Politik, der Wissenschaft und der
     Ballungsraum hierzulande, sind der Umwelt- und Klimaschutz        Wirtschaft (darunter RAG und STEAG) auf den Weg gebracht
     sowie Projekte zur Steigerung der Energieeffizienz enorm          und in über 200 Einzelprojekte umgesetzt worden. Die Ergeb­
     vorangekommen. Davon zeugen beispielsweise der beinahe            nisse haben mittlerweile weit über die regionalen und auch
     abgeschlossene Emscherumbau, der Ausbau der Fernwärme-            nationalen Grenzen hinaus Beachtung gefunden. Denn in
     schiene Rhein-Ruhr oder der Radschnellweg Ruhr RS1, die           Bottrop ist tatsächlich eine Entwicklung eingeleitet worden
     Wahl Essens zur „Grünen Hauptstadt Europas 2017“ oder die         – so belegen es bisher alle Zwischenbilanzen –, den kommu-
     vielen Vorhaben der „klimametropole RUHR 2022“ im Rahmen          nalen CO2-Ausstoß bis 2020 ohne Einbußen an Wirtschafts-
     der Klimaexpo.NRW. An Letzteren beteiligt sich auch die RAG       kraft und Lebensqualität zu halbieren. Ein ganz spezifisches
     mit gleich acht Projekten – von der ökologischen Stadtent-        Erfolgsrezept ist dabei die energetische Gebäudesanierung.
     wicklung bis zum Energiepark. Diese sollen demonstrieren,         Die energetische Modernisierungsrate der bestehenden
     wie auch nach dem Ende des Bergbaus dessen Ressourcen             Wohngebäude in den Quartieren der I­nnovationCity Ruhr in

20
Kapitel 1 Politik und Wirtschaft

  Nach wie vor überdurchschnittlich hohe Arbeitslosigkeit im Ruhrgebiet
  Durchschnitt Metropole Ruhr: 10,1% (Stand: Juli 2017)

                                                         Kreis Recklinghausen
                        Kreis Wesel                                                                            Hamm

                                               Bottrop
                                                           Gelsen-                                Kreis Unna
                                             Ober-         kirchen   Herne
                                                                                    Dortmund
                                            hausen
                                                                     Bochum
                                 Duisburg
                                            Mülheim      Essen
                                            a. d. Ruhr
                                                                        Ennepe-
                                                                       Ruhr-Kreis     Hagen

                                                                                                           6,6 % bis unter 9,5 %
                                                                                                           9,5 % bis unter 11,6 %
                                                                                                           11,6 % bis unter 15 %
  Grafik/Quelle: Regionalverband Ruhr, Essen

Bottrop lag bis 2016 bei über 3 % p. a., während sie bis-               Wichtig wird dabei sein, sich nicht an alten Klischees zu
lang im Bundesdurchschnitt weniger als 1 % beträgt. Das                 orientieren, sondern die Probleme und Chancen der Region
Bundesumweltministerium hat 2 % als Zielvorgabe für die                 realistisch einzuordnen. Eine Anfang 2017 veröffentlichte
Energiewende im Gebäudesektor ausgegeben. Angesichts                    Analyse des Statistischen Landesamtes von Nordrhein-
dieses enormen Erfolgs wird das InnovationCity-Konzept nun              Westfalen (IT.NRW) zur Wirtschaft in Nordrhein-Westfalen
seit dem Jahr 2016 in 23 weiteren Stadtquartieren quer durch            im Regionalvergleich hat belegt, dass das Ruhrgebiet, die
das Ruhrgebiet ausgerollt. Das Ruhrgebiet kann so insgesamt             einstige industrielle Kernregion des Landes, längst keine
zu einer internationalen Modellregion für die klimagerechte             typische Industrieregion mehr ist. Die Industrieanteile in
Erneuerung bestehender Stadtquartiere werden. Damit ist ein             der Region liegen relativ eng um den Durchschnitt von
interdisziplinär angelegtes Forschungsprojekt „Rahmenpro-               Nordrhein-Westfalen – und es gehört unter einer Reihe
gramm zur Umsetzung der Energiewende in den Kommunen                    von ökonomischen Aspekten seit Längerem und immer
des Ruhrgebiets“ (kurz: „Energiewende Ruhr“) verknüpft                  noch zu den schwächeren Regionen im Land. Doch das Bild
worden, das 2017 abgeschlossen wird und zeigt, wie die                  ist keineswegs einheitlich und sehr facettenreich. Beim
Themenkomplexe Klimaschutz, erneuerbare Energien, Energie-              Regionalvergleich der verfügbaren Einkommen etwa liegen
und Ressourceneffizienz, Mobilität und Verkehr, Stadtplanung            Herne, Duisburg und Gelsenkirchen ganz am Ende, dagegen
sowie Bildung und Netzwerke nachhaltig auf kommunaler                   Mülheim/Ruhr oder der Ennepe-Ruhr-Kreis über dem NRW-
Ebene vorangetrieben werden können.                                     Durchschnitt. Das Ruhrgebiet kann auch keineswegs als
                                                                        eine immer weiter „abgehängte“ Region eingestuft werden,
Das Ruhrgebiet braucht die tatkräftige regionalpolitische               denn im Betrachtungszeitraum der Analyse von 2000 bis
Unterstützung von Bund und Land. Die für das Jahr 2018                  2015 gab es einige sehr beachtliche Aufholprozesse gerade
von der neuen nordrhein-westfälischen Landesregierung                   der vermeintlich schwachen Kommunen. Vergleicht man
vorgesehene „Ruhrkonferenz“ könnte diesbezüglich Signal-                die Zuwachsraten bestimmter Indikatoren, sind Kommunen
charakter haben.                                                        aus dem Ruhrgebiet Spitzenreiter im NRW-Vergleich, so bei

                                                                                                                                     21
den Gründungsaktivitäten (Gelsenkirchen und Duisburg), der      aufgrund der erheblich gestiegenen finanziellen Belas-
     Arbeitsproduktivität (Herne) und der Erwerbsquote (Bottrop).    tung der Kommunen durch vor allem bundesgesetzlich
                                                                     bedingte Sozialausgaben und zum andern auch durch die
     Nichtsdestoweniger ist das Ruhrgebiet nach wie vor noch         Energiewende. Diese hat das Ruhrgebiet als bisheriges
     von einer signifikant überdurchschnittlichen Arbeitslosigkeit   Energiezentrum der Nation besonders stark getroffen. Für
     geprägt, die im Jahr 2016 und auch Mitte 2017 immer noch        die konventionelle Energiewirtschaft wie für die stromin-
     zweistellig war. Im Durchschnitt lag die Arbeitslosenquote      tensiven Industriezweige – zu denen unter anderem die
     bei über 10 %, in einzelnen Städten auch bei bis zu 15 %.       chemische Industrie und die Stahlindustrie, aber auch der
     Diese sehr hohe Arbeitslosigkeit geht mit einem verfestig-      Steinkohlenbergbau ebenso wie künftig der Nachbergbau
     ten Anteil Langzeitarbeitsloser und Hartz-IV-Bezieher einher,   gehören – bietet die Energiewende nicht nur Chancen. Sie
     was gleichzeitig Stadtteile mit anhaltender Kinderarmut und     hat auch Risiken, wenn sie nicht hinreichend ganzheitlich
     Bildungsferne hervorgebracht hat. Die soziale Problematik       gedacht und konzipiert wird.
     verbindet sich dabei oft mit den besonderen Problemen
     der Integration von Zuwanderern. Als regionaltypische           Energie- und Klimapolitik
     wirtschaftliche Probleme kommen Defizite in der Infra-          Die Nutzung und – noch bis Ende 2018 – Gewinnung von
     struktur und der bereits angesprochene drohende Mangel          Steinkohle in Deutschland wird ebenso wie die inzwischen
     an Gewerbeflächen hinzu. All das zusammen vergrößert            entwickelten Kapazitäten für erneuerbare Energien durch
     und verschärft zugleich die Finanznot der Kommunen des          die hierzulande maßgebliche Energie- und Klimapolitik
     Ruhrgebiets. Die Gesamtverschuldung des Ruhrgebiets lag         bestimmt, die unter dem Schlagwort „Energiewende“
     Ende 2015 bei gut 25 Mrd. €, das sind 41 % der gesamten         zusammengefasst wird. Unverändert gelten dafür die Ziele
     kommunalen Schuldenlast in Nordrhein-Westfalen bei              des bereits im Jahr 2010 von der damaligen Bundesregie-
     einem Anteil von 29 % an der Bevölkerung. Dadurch verlan-       rung aufgestellten Energiekonzepts, das 2011 nach der
     gen die Kommunen hohe Gewerbesteuersätze und müssen             Reaktorkatastrophe im japanischen Fukushima um den
     kommunale Angebote reduzieren, was ihrer Attraktivität          beschleunigten Atomausstieg modifiziert wurde. Diese
     zusätzlich schadet. Eine Abwärtsspirale, die sich noch          sind von der ab 2013 folgenden Großen Koalition bestätigt
     beschleunigen kann, wenn etwa das Zinsniveau einmal             worden und werden bisher von kaum einer politischen
     wieder steigen sollte oder sich die Konjunktur bundesweit       Kraft in Deutschland grundsätzlich in Frage gestellt. Diese
     verschlechtert.                                                 Ziele sind langfristig bis 2050 (mit Zwischenzielen für jede
                                                                     Dekade bis dahin) angelegt und fokussieren sich auf eine
     Der Initiativkreis Ruhr hat in der Neuauflage seines Posi-      drastische Reduktion der energiebedingten nationalen
     tionspapiers „Starke Industrie braucht modernes Umfeld“         Treibhausgasemissionen (insbesondere CO2), massive
     vom Januar 2017 beschrieben, woran es der Wirtschaft            Einsparungen beim Energie- und Stromverbrauch sowie den
     in der Region am meisten mangelt: an Investitionen in           schrittweisen Ausbau der erneuerbaren Energien zur tra-
     moderne Mobilität und Datennetze, in eine international         genden Säule der Energieversorgung Deutschlands. Für die
     leistungsfähige Logistik und in attraktive Stadtviertel         bislang in der Energieversorgung dominierenden fossilen
     und Quartiere. All dies und insbesondere die Anforde-           Energieträger Öl, Gas und Kohle enthält das Energiekonzept
     rungen an eine moderne Flächenpolitik werden näher              keine Ziele, sondern nur noch eine negative Richtungsvor-
     ausgeführt. Es wird erläutert, wie der Wirtschaftsstandort      gabe – die „Dekarbonisierung“.
     Ruhrgebiet gestärkt und das Ruhrgebiet sogar Pilotregion
     für Gesamtdeutschland werden kann. Darüber hinaus               Im letzten Fortschrittsbericht im Rahmen des offiziellen
     setzt sich der Initiativkreis selbst sehr engagiert für die     Monitoring-Prozesses zur Energiewende, der im Jahr
     Förderung von Gründungsaktivitäten und jungen Talenten          2014 vorgelegt worden ist, hat die Bundesregierung eine
     in der Region ein. Zugleich wird vom Initiativkreis Ruhr        neue „Zielarchitektur“ aufgestellt und das Zielsystem
     nachdrücklich darauf hingewiesen, dass sich die gesamt-         stärker systematisiert. Danach gehören das mit konkreten
     staatlichen Rahmenbedingungen für die wirtschaftliche           Vorgaben zur Emissionsreduktion verknüpfte Klimaziel, der
     Entwicklung und Modernisierung des Ruhrgebiets in den           Atomausstieg bis 2022, die Wettbewerbsfähigkeit und die
     letzten Jahren eher negativ entwickelt haben. Zum einen         Versorgungssicherheit zu den „Leitzielen“ der deutschen

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