Die Elektroindustrie als Leitbranche der Digitalisierung - Innovationschancen nutzen, Innovationshemmnisse abbauen - ZVEI

Die Seite wird erstellt Frank Adler
 
WEITER LESEN
Die Elektroindustrie als Leitbranche der Digitalisierung - Innovationschancen nutzen, Innovationshemmnisse abbauen - ZVEI
Studie

        Die Elektroindustrie als
Leitbranche der Digitalisierung
                          Innovationschancen nutzen,
                      Innovationshemmnisse abbauen

          Zentralverband Elektrotechnik- und Elektronikindustrie
Die Elektroindustrie als Leitbranche der Digitalisierung - Innovationschancen nutzen, Innovationshemmnisse abbauen - ZVEI
Impressum
Die Elektroindustrie als Leitbranche der Digitalisierung
Auftraggeber:
ZVEI e. V. / Initiiert aus dem Vorstandsarbeitskreis
Innovationspolitik
ZVEI - Zentralverband Elektrotechnik- und
Elektronikindustrie e. V.
Lyoner Straße 9, 60528 Frankfurt am Main
www.zvei.org
Mit freundlicher Unterstützung der Unternehmen
Infineon Technologies AG, Robert Bosch GmbH,
Sennheiser electronic GmbH & Co. KG, Siemens AG
Autorenteam:
Fraunhofer ISI: Dr. Rainer Frietsch, Dr. Bernd Beckert,
Dr. Stephanie Daimer, Dr. Christian Lerch, Dr. Niclas Meyer,
Dr. Peter Neuhäusler, Oliver Rothengatter
IW Consult: Dr. Karl Lichtblau, Manuel Fritsch,
Hanno Kempermann, Dr. Thorsten Lang,
Steuerkreis:
Dr. Norbert Lütke-Entrup, Dr. Sicco Lehmann-Brauns,
Siemens AG
Dr. Nathalie Martin-Hübner, Robert Bosch GmbH
Volker Bartels, Sennheiser electronic GmbH & Co. KG
Dr. Alfred Hoffmann, Infineon Technologies AG
sowie
Expertenteam des ZVEI e. V. unter
Leitung von Dr. Klaus Mittelbach:
Dr. Bernhard Diegner, Dr. Andreas Gontermann,
Dr. Christian Kellermann-Langhagen, Dr. Patricia Solaro
                                                               Ansprechpartner
www.zvei.org
                                                               Dr. Rainer Frietsch
November 2016                                                  Fraunhofer Institut für System- und Innovationsforschung ISI
Trotz größtmöglicher Sorgfalt übernimmt der ZVEI               Breslauer Str. 48
keine Haftung für den Inhalt. Alle Rechte, insbesondere        76139 Karlsruhe
die zur Speicherung, Vervielfältigung und Verbreitung          Telefon: 0721 6809-197
sowie der Übersetzung, sind vorbehalten.                       E-Mail: rainer.frietsch@isi.fraunhofer.de
Die Elektroindustrie als Leitbranche der Digitalisierung - Innovationschancen nutzen, Innovationshemmnisse abbauen - ZVEI
INHALT

           Executive Summary                                                4
         1 Einleitung		                                                     8
         2 Megatrend Digitalisierung                                       10
           2.1 Chancen der Digitalisierung                                 10
           2.2 Stand der Digitalisierung                                   13
           2.3 Hemmnisse der Digitalisierung                               21
           2.4 Fokusthema: Digitale Schlüsseltechnologien                  24
           2.5 Fokusthema: Breitband                                       26
           2.6 Ableitung der Fragestellungen für die Studie                29
         3 Bedeutung der Elektroindustrie                                  30
           3.1 Abgrenzung und Beiträge zum Geschäftsmodell Deutschland     30
           3.2 Märkte, Marktführerschaft und Konkurrenzsituation           35
         4 Die Elektroindustrie in der Wertschöpfungskette                 37
           4.1 Produktionsnetze – Elektroindustrie als Enabler             37
           4.2 Die Elektroindustrie als Wissensimpulsgeber                 42
           4.3 Elektroindustrie ein wichtiger Partner                      46
         5 Enabler-Funktion der Elektroindustrie für die Digitalisierung   50
           5.1 Digitale Aktivitäten in Kernmärkten der Elektroindustrie    50
         		 5.1.1 Digitalisierungsstrategien                               50
         		     5.1.2 Digitale Produkte und Dienstleistungen               55
           5.2 Schlüsseltechnologie-Patente und CIE                        56
           5.3 Fokusthema: Maschinell erzeugte Daten                       59
         6 Innovationspolitische Einordnung und Handlungsempfehlungen      62
         7 Referenzen		                                                    79

                            3
Die Elektroindustrie als Leitbranche der Digitalisierung - Innovationschancen nutzen, Innovationshemmnisse abbauen - ZVEI
Executive Summary
             Die digitale Transformation ist ein unauf-     In der vorliegenden Studie wurden erstmals
             haltbarer Megatrend, der Unternehmen,          die Bedeutung der Elektroindustrie für die
             Branchen und ganze Volkswirtschaften           digitale Transformation und deren Umset-
             grundlegend verändert. Aus Wertschöp-          zungsstand wissenschaftlich untersucht.
             fungsketten werden digitale Wertschöp-         Basis waren neben Sekundärdatenanalysen
             fungsnetze. Branchen wandeln sich grund-       drei repräsentative Befragungen mit mehr
             legend, und es ist noch nicht ausgemacht,      als 2.500 Befragten: erstens der Mitglieds-
             welche Akteure an welchen Standorten die       unternehmen des ZVEI, zweitens der Zuliefe-
             mit der Digitalisierung verbundenen hohen      rer und Kunden der Elektroindustrie – d. h.
             Wertschöpfungspotenziale nutzen werden.        Unternehmen des Verarbeitenden Gewerbes
             Es besteht jedoch die Gefahr eines Digital     und industrienaher Dienstleistungen – im
             Divide mit wenigen Großunternehmen auf         Rahmen des IW-Zukunftspanels sowie drit-
             der einen Seite, die durch eine intensive      tens Ergebnisse der Erhebung „Modernisie-
             Nutzung der Digitalisierung gekennzeichnet     rung der Produktion“ des Fraunhofer ISI.
             sind. Auf der anderen Seite steht eine große
             Zahl an kleinen und mittleren Unternehmen
             (KMU) deutlich entfernt von digitalen Pro-     Ergebnisse von Standortbestimmung
             dukten, Prozessen oder Geschäftsmodellen.      und Ausblick
                                                            Die Digitalisierung ist in der Elektroindus-
             Vor diesem Hintergrund werden in der hier      trie als digitaler Leitbranche im Vergleich
             vorgelegten Studie eine Standortbestim-        mit der deutschen Wirtschaft insgesamt
             mung und ein Ausblick für die deutsche         sowohl in der Umsetzung als auch in der
             Elektroindustrie auf Basis einer repräsenta-   strategischen Ausrichtung weiter entwickelt.
             tiven Befragung der Mitgliedsunternehmen       Als Anwender der Digitalisierung besitzt die
             des ZVEI vorgenommen und Handlungs-            Elektroindustrie im Digital Index einen dop-
             empfehlungen für die Branche sowie für die     pelt so hohen Indexwert wie die Gesamt-
             Gestaltung der politischen Rahmenbedin-        wirtschaft. Mit im Vergleich zu anderen
             gungen formuliert.                             Branchen hohen Nutzeranteilen bei digi-
                                                            talen Technologien und Geschäftsmodellen
             Dabei wird deutlich, dass die Digitalisie-     ist die Elektroindustrie einer der führenden
             rung kein Selbstläufer ist und ein hohes       Anwender im Verarbeitenden Gewerbe. So
             disruptives Potenzial besitzt. Die mit der     nutzen derzeit bereits 90 Prozent der Unter-
             Digitalisierung verbundenen Chancen müs-       nehmen Smart Processes, zwei Drittel nut-
             sen daher bewusst ergriffen und strategisch    zen Smart Products und die Hälfte Smart
             angegangen werden. Dazu ist Gestaltungs-       Services.
             wille in den Unternehmen, in der Politik,
             in der Wissenschaft und in der Gesellschaft    Gleichwohl steht auch die Elektroindustrie
             notwendig. Die Unternehmen werden die          als Anbieter digitaler Produkte und Services
             digitale Transformation nicht allein bewäl-    erst am Anfang. Derzeit erwirtschaftet die
             tigen können, sondern sind auf die Unter-      Branche erst etwas mehr als 20 Prozent ihrer
             stützung insbesondere der Politik und der      Umsätze mit digitalen oder digital veredel-
             Gesellschaft angewiesen.                       ten Produkten oder Dienstleistungen. Dabei
                                       4
Die Elektroindustrie als Leitbranche der Digitalisierung - Innovationschancen nutzen, Innovationshemmnisse abbauen - ZVEI
stehen mit einem Umsatzanteil von 15 Pro-      Die Elektroindustrie besitzt eine zentrale
zent v. a. Smart Products im Mittelpunkt der   Bedeutung für die Wertschöpfungsnetze in
digitalen Angebote der Unternehmen. Neue       Deutschland und weltweit: Als Drehschei-
Geschäftsmodelle und Dienstleistungsange-      ben-Industrie und Enabler liefert sie mit
bote, in denen besonders hohe Wertschöp-       25 Milliarden Euro die höchsten Vorleistun-
fungspotenziale erwartet werden, stehen        gen in andere Branchen (Vergleich Chemie
hingegen noch ganz am Anfang.                  (ohne Pharma): 17 Milliarden). Dadurch
                                               vernetzt sie global Märkte und trägt dazu
Die Elektroindustrie ist (nach dem Fahr-       bei, dass die Produkte der Zuliefererindus-
zeugbau) die Branche mit den zweithöchs-       trien weltweit abgesetzt werden. In Kombi-
ten FuE-Aufwendungen in Deutschland.           nation mit der hohen Innovationsintensität
Mit 15,5 Milliarden Euro stammte 2015          wird die Elektroindustrie damit zu einer
ein Viertel aller FuE-Aufwendungen der         der wichtigsten Quellen von Wissens- und
Industrie hierzulande aus der Elektroindus-    Technologieimpulsen für die gesamte Wirt-
trie. Für die Digitalisierung der gesamten     schaft. Ein Großteil der Innovationsleistung
Wirtschaft sind es gerade die forschungs-      der Elektroindustrie kommt de facto ande-
intensiven Teilbereiche wie bspw. Halb-        ren Branchen zugute – auch und gerade im
leiter, Sensoren oder Aktoren, mit denen       Bereich der Digitalisierung. Weltweit gibt es
die Elektroindustrie zur Weiterentwicklung     keine andere Branche, deren Technologien
des Standorts Deutschland beiträgt. Auch       so stark mit anderen Technologiefeldern
die Innovationsintensität der Branche ist      vernetzt sind wie die Elektroindustrie.
überdurchschnittlich hoch: Gemessen am
Umsatz liegen die Aufwendungen für Pro-        Herausforderungen und
dukt- und Prozessinnovationen doppelt so       Handlungsempfehlungen
hoch wie im Verarbeitenden Gewerbe und         Die künftige internationale Wettbewerbsfä-
mehr als dreieinhalbmal so hoch wie in der     higkeit der Elektroindustrie als Leitbranche
Gesamtwirtschaft.                              der Digitalisierung wird in hohem Maße
                                               davon abhängen, dass die nachfolgend
40 Prozent aller in Deutschland angemel-       genannten Herausforderungen von Wirt-
deten transnationalen Patente stammen aus      schaft, Gesellschaft und Politik gemeinsam
der Elektroindustrie. In Schlüsseltechnolo-    gemeistert werden. Die ersten drei ergeben
gien wie digitalen Kommunikationstechno-       sich direkt aus der Befragung der ZVEI-Mit-
logien, Bildgebung, Mikro- und Nanoelek-       gliedsunternehmen, die weiteren Themen
tronik, Leistungselektronik und industri-      aus den Ergebnissen dieser Studie.
ellen Anwendungen (Sensoren, Aktoren,
Maschinensteuerungen) stammen deutlich
mehr als die Hälfte der Patente deutscher
Unternehmen aus der Elektroindustrie. Zu
den sogenannten computerimplementierten
Erfindungen (CIE) in Deutschland trägt die
Elektroindustrie rund 60 Prozent bei.

                               5
Die Elektroindustrie als Leitbranche der Digitalisierung - Innovationschancen nutzen, Innovationshemmnisse abbauen - ZVEI
Executive Summary
             Die Studie zeigt Handlungsbedarf für Unter-
             nehmen, Politik und Wissenschaft in sieben
             Feldern auf:

             1. Fachwissen bereitstellen                    4. Schlüsseltechnologien stärken
             • Digitale Kompetenzen über die gesamte        • Besonderer Handlungsbedarf besteht bei
               Bildungskette ausbauen                         Netzkommunikation und Datenanalyse
             • Aufwertung der Digitalisierung in den          wie auch bei Mikroelektronik, Sensorik,
               Fachdidaktiken sowie in der Aus- und           Aktorik und Embedded Software
               Fortbildung der Lehrer                       • Regelmäßiges Kompetenzmonitoring
                                                            • Ausbau von international ausgerichteten
             2. Datensicherheit gewährleisten                 FuE-Forschungsschwerpunkten z. B. in
             • Datensicherheit fördern auf Basis von          den Bereichen Netzkommunikation und
               „Security by Design“-Ansätzen                  Datenanalyse
             • Aufbau von Plattformen zur IT-Sicher-
               heit, um die Verbreitung von geeigneten      5. Wertschöpfungspotenziale
               Lösungen zu unterstützen                     weiter heben
             • Teilnahme an internationaler Standardi-      • Entwicklung digitaler Angebote in der
               sierung                                        strategischen Unternehmensplanung aus-
                                                              bauen, v. a. bei neuen Geschäftsmodellen
             3. Breitband flächendeckend                      und Smart Services
             leistungsfähig machen                          • Datengetriebene Innovationen stärker
             • Kommunikationsinfrastrukturen auf die          unterstützen: Datennutzungsrechte klä-
               Qualitätsanforderungen der industriellen       ren, um Potenziale bei datenbasierten
               Anwendungsfelder ausrichten (Industrie-        Dienstleistungen (z. B. Nutzung von
               tauglichkeit: Latenz, Symmetrie, Stabili-      Maschinendaten) zu heben; gleichzei-
               tät etc.)                                      tig Vermeidung innovationshemmender
             • Technologieneutraler Ausbau bei Festnetz       Regulierungen für datenbasierte Dienste
               und Mobilfunk                                • Regulative Widersprüche bei Richtlinien
             • Zusätzliche Investitionsprojekte fördern       wie der Funkanlagen-, der Fahrzeug-, der
               und als öffentlich-private Partnerschaften     Maschinen- oder der Niederspannungs-
               (PPP) aufbauen                                 richtlinie beseitigen
                                                            • Wertschöpfungsnetzwerke aufbauen und
                                                              KMU mitnehmen;
                                                            • Angemessene Erhöhung der FuE-Auf-
                                                              wendungen sowohl der Unternehmen als
                                                              auch des Staates (s. Punkt 6)

                                      6
Die Elektroindustrie als Leitbranche der Digitalisierung - Innovationschancen nutzen, Innovationshemmnisse abbauen - ZVEI
6. Forschungs- und                             7. Volkswirtschaftliche Indikatorik
Innovationspolitik neu denken                  weiterentwickeln
• Breiteren Innovationsbegriff zugrunde        • Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung, In-
  legen, digitale Geschäftsmodellentwick-        dikatoren und Kennzahlen weiterent-
  lung bzw. Smart Services stärker berück-       wickeln, damit sie auch im Zeitalter
  sichtigen                                      der Digitalisierung die Bedeutung der
• Engere Koordination zwischen Ressorts          Branchen im Wirtschaftsgefüge adäquat
  in Bezug auf Querschnitts- und Schlüs-         widerspiegeln
  selthemen                                    • Investitionen weit fassen: über die
• Förderinstrumentarium um steuerliche           „klassischen“ Ausrüstungsinvestitionen
  Förderung von forschenden Unternehmen          hinaus auch FuE-, Innovations- und Bil-
  ergänzen                                       dungsaufwendungen sowie Investitionen
• Kohärenz und Transparenz der staatlichen       in nicht tangible Assets bzw. Wissens-/
  Förderung steigern und diese konsequent        Humankapital, Software und Prozesse etc.
  an der Hightech-Strategie ausrichten           berücksichtigen („erweiterter Investiti-
• Digitale Schlüsseltechnologien mit kriti-      onsbegriff“)
  scher Masse fördern, Aufbau von Exzel-
  lenzzentren fortführen sowie themenof-
  fene Förderangebote stärken
• ZIM weiterentwickeln: marktnahe Inno-
  vationsaktivitäten stärker fördern, insbe-
  sondere die Netzwerkförderung von Groß-
  unternehmen und KMU
• Wissensnetzwerke stärken: Kompetenz-
  zentren nach dem Vorbild der Industrie-
  4.0-Kompetenzzentren auch für andere
  Schlüsselmärkte ausbauen

                         7
Die Elektroindustrie als Leitbranche der Digitalisierung - Innovationschancen nutzen, Innovationshemmnisse abbauen - ZVEI
1. EINLeitung
            Kaum ein Thema wird derzeit in Politik und                         Der digitale Wandel, wie er derzeit weltweit
            Wirtschaft mehr diskutiert als die Digitali-                       in industrialisierten Ländern stattfindet,
            sierung. Die Digitalisierung ist ein Quer-                         unterscheidet sich von Veränderungspro-
            schnittsphänomen, das alle Branchen und                            zessen früherer Dekaden deutlich. Neue
            Märkte von der Industrie bis zu Dienst-                            Dienstleistungen und neue Geschäftsmo-
            leistungen betrifft und nicht selten völlig                        delle werden auf Basis von digital vernetz-
            neue Geschäftsmodelle hervorbringt. Aller-                         ten Technologien entwickelt. Erzeugnisse
            dings befindet sich die deutliche Mehrheit                         der Elektroindustrie, von der Elektronik
            der deutschen Unternehmen noch in der                              bis zur industriellen Software, spielen hier
            Startphase: Mit der Umsetzung haben erst                           eine wesentliche Rolle als Enabler. Entspre-
            wenige Unternehmen begonnen.                                       chend dynamisch entwickeln sich die digi-
                                                                               talen Leitmärkte der Elektroindustrie, die
            Der globale Wettbewerb um die digitalen                            von Energie über Wohnen, Gesundheit und
            Märkte der Zukunft ist noch nicht entschie-                        Mobilität bis hin zu Fabrik- und Prozessau-
            den. Die Unternehmen können im globalen                            tomatisierung (Industrie 4.0) reichen.
            Wettlauf um die Digitalisierung gleichwohl
            nur dann bestehen, wenn die Politik diesen                         Mit Blick auf die Elektroindustrie zeigt
            mit den richtigen Maßnahmen flankiert.                             die Studie auf, wie wichtig diese Branche
            Aber auch die Unternehmen selbst stehen                            sowohl als Anbieter als auch als Anwender
            vor der Herausforderung, die Digitalisie-                          für den Erfolg der digitalen Transforma-
            rung strategisch einzubinden und ihre                              tion Deutschlands ist. Die Ergebnisse zei-
            Geschäftsmodelle weiterzuentwickeln.                               gen, dass die Elektroindustrie vielfältige
                                                                               Impulse generiert und als Leitbranche der
            In dieser Studie wird beleuchtet,                                  Digitalisierung betrachtet werden muss. Die
            • wo die deutsche Wirtschaft bei der digita-                       Technologien der Elektroindustrie stecken
              len Transformation steht,                                        in vielen Produkten anderer Branchen. So
            • welche Treiber wesentlichen Einfluss                             stammt jede dritte Innovation in der Indus-
              haben,                                                           trie aus der Elektroindustrie – und in moder-
            • welche Hemmnisse bremsen und                                     nen Automobilen bauen sogar vier von fünf
            • welche Handlungsempfehlungen abzulei-                            Innovationen auf diesen Technologien auf.1
              ten sind.

            Als roter Faden dient dabei die Rolle der
            Elektroindustrie als Leitbranche der digita-
            len Transformation.

            1
                Sebastian Schmidt: Infineon setzt auf Internet der Dinge, Börsen-Zeitung, 25.08.2015.

                                                  8
Die Elektroindustrie als Leitbranche der Digitalisierung - Innovationschancen nutzen, Innovationshemmnisse abbauen - ZVEI
Um die Studie empirisch zu validieren,        Es bedarf deshalb eines erweiterten Sets an
wurden Ergebnisse dreier groß angelegter      Indikatoren, um das notwenige Umdenken
Befragungen berücksichtigt:                   in der Wirtschafts- und Innovationspolitik
• Erstens wurden die ZVEI-Mitgliedsunter-     zu unterstützen.
  nehmen eigens für diese Studie befragt,
• zweitens wurden andere Unternehmen          Der hier vorliegende Bericht hat zum Ziel,
  des Verarbeitenden Gewerbes und indus-      die mit der Digitalisierung einhergehen-
  trienaher Dienstleistungen im Rahmen        den Veränderungen im industriellen Kon-
  des IW-Zukunftspanels zu den hier adres-    text darzustellen. Das Kapitel 2 beschäftigt
  sierten Themen befragt,                     sich mit dem Megatrend der Digitalisie-
• drittens wurden Ergebnisse der Erhebung     rung, führt die grundlegenden Definitionen
  „Modernisierung der Produktion“ des         ein, zeigt den Stand der digitalen Trans-
  Fraunhofer ISI mit aufgenommen.             formation der deutschen Wirtschaft und
                                              benennt wesentliche Hemmnisse. Kapitel 3
Die Digitalisierung stellt aber auch die      analysiert die Bedeutung der Elektroindus-
ökonomische Forschung vor große Heraus-       trie als wissensintensive, aber oft unter-
forderungen, denn es werden neue Fakto-       schätzte Branche, die wesentlich zum Erfolg
ren relevant, die bisher nicht erfasst wer-   des industriegeprägten „Geschäftsmodells
den oder derzeit gar nicht erfassbar sind.    Deutschland“ beiträgt. In Kapitel 4 wird
Zwar werden klassische Indikatoren wie die    diese Sichtweise erweitert und die Rolle der
Ausgaben für Forschung und Entwicklung,       Elektroindustrie als Technologiegeber in den
Patente oder auch Hochtechnologieexporte      Wertschöpfungsnetzwerken betont. In dem
weiterhin wichtig bleiben, Technologien       anschließenden Kapitel 5 wird die Rolle der
sind jedoch in Zukunft noch mehr als bis-     Elektroindustrie als Leit- und Schlüsselbran-
her zwar notwendige, aber keineswegs          che der Digitalisierung analysiert und ihre
mehr hinreichende Voraussetzung. Neue         Vorreiterrolle gezeigt. Abschließend werden
Geschäftsmodelle und Dienstleistungsin-       aus diesen Befunden Handlungsempfehlun-
novationen stammen nicht aus formalen         gen sowohl für die Wirtschaft als auch für
Forschungs- und Entwicklungsprozessen in      die politischen Entscheidungsträger abge-
Forschungsabteilungen von Unternehmen,        leitet.
sondern werden kundenorientiert und teil-
weise auch gemeinsam mit dem Kunden
vorangetrieben. Somit entsteht ein Erfas-
sungsproblem, das mit klassischen Indika-
toren alleine nicht behoben werden kann.

                         9
Die Elektroindustrie als Leitbranche der Digitalisierung - Innovationschancen nutzen, Innovationshemmnisse abbauen - ZVEI
2. Megatrend Digitalisierung

           Die Digitalisierung entfaltet große Chan-      Über die Hälfte der Berichte über Themen
           cen für die Unternehmen. 85 Prozent der        wie Industrie 4.0 fallen positiv aus, nur
           Unternehmen in Deutschland halten die          vier Prozent haben einen negativen Tenor
           Digitalisierung für wichtig (BMWi 2016).       (Sonderauswertung der IW Consult via
           Die digitale Transformation findet in umfas-   ubermetrics, 2016). Die Digitalisierung ist
           sender Art und Weise statt – Produkte, Pro-    ein Zukunftsthema, das als Chance für den
           zesse und Geschäftsmodelle erfahren einen      Industriestandort Deutschland begriffen
           radikalen Wandel. Gleichwohl stehen die        wird. Das zeigen einschlägige Untersuchun-
           meisten Unternehmen bei der digitalen          gen ( u. a. ZEW 2016):
           Transformation noch in den Startlöchern.       • 85 Prozent der Unternehmen in Deutsch-
           Deshalb müssen Hemmnisse überwunden              land halten die Digitalisierung für wich-
           werden, um die Chancen vollständig zur           tig.
           Entfaltung zu bringen. Hemmnisse wie feh-      • Zwei Drittel der deutschen Industrieun-
           lendes Fachwissen, mangelndes Vertrauen          ternehmen wollen durch Industrie 4.0
           in die Datensicherheit oder eine unzuläng-       ihre Effizienz und Umsätze erhöhen.
           liche Breitbandversorgung erschweren eine      • Jedes vierte Unternehmen im Verarbei-
           erfolgreiche Transformation.                     tenden Gewerbe investierte 2015 mehr
                                                            als zehn Prozent des Umsatzes in Digitali-
                                                            sierungsprojekte.
           2.1 Chancen der Digitalisierung
           Die Digitalisierung verändert die Welt         Viele Studien weisen auf die hohen Wert-
           in rasantem Tempo. Sie durchdringt alle        schöpfungseffekte hin:
           Lebenswelten. Unternehmen, Verbände,           • Analysten von Roland Berger (2015)
           Wissenschaft und Politik beschäftigen            sehen in der Digitalisierung bis 2025 ein
           sich immer stärker mit diesem Megatrend.         Potenzial von insgesamt 1,25 Billionen
           Auch in der Medienwelt nimmt die Digita-         Euro für die europäische Industrie.
           lisierung immer breiteren Raum ein. Die        • Eine Metastudie des Bundeswirtschafts-
           Meldungen in Onlinemedien dazu sind              ministeriums (Wischmann et al. 2015)
           sprunghaft gestiegen. Im September 2016          schätzt den Effekt von Industrie 4.0 für
           wurden fünfmal so viele Artikel mit dem          Deutschland in den nächsten fünf Jahren
           Begriff Digitalisierung gesucht wie noch im      auf ein zusätzliches Prozent des BIP pro
           September 2011.                                  Jahr.

                                    10
Abb. 1: Aufmerksamkeit für Digitalisierung in den Onlinemedien

                                             100
                                              90
                                              80
                                              70
                                              60
                                              50
                                              40
                                              30
                                              20
                                              10
 Die Werte geben das Suchinteresse
         relativ zum höchsten Punkt             0
      im Diagramm im festgelegten
                                                  11

                                                  12

                                                  13
                                                  12

                                                  14
                                                  13

                                                  14

                                                  15

                                                  16
                                                  15

                                                  16
                                               /20

                                               /20

                                               /20
                                               /20

                                               /20
                                               /20

                                               /20

                                               /20

                                               /20
                                               /20

                                               /20
   Zeitraum an. Der Wert 100 steht
                                            /01

                                            /01

                                            /01
                                            /01

                                            /01
                                            /01

                                            /01

                                            /01

                                            /01
                                            /01

                                            /01
  für die höchste Beliebtheit dieses
                                          09

                                          09

                                          09
                                          03

                                          09
                                          03

                                          03

                                          03

                                          03
                                          09

                                          09
Suchbegriffs. Der Wert 50 bedeutet,
                                            Quelle: Sonderauswertung der IW Consult via Google Trends (2016)
 dass der Begriff halb so beliebt ist.

                                         Digitalisierung ist aber kein Selbstläufer                   Unter Digitalisierung wird die Sammlung,
                                         und hat ein hohes disruptives Potenzial.                     Verdichtung, Analyse, Weiterverarbeitung
                                         Damit einher geht die Gefahr, dass Deutsch-                  und Weitergabe von Daten verstanden,
                                         land den Anschluss bei der Digitalisierung                   und im erweiterten Sinne auch die da-
                                         international (weiter) verliert und auch                     rauf basierende automatisierte Ableitung
                                         die industriellen Kernmärkte wie der Fahr-                   und Umsetzung von Entscheidungen (z. B.
                                         zeug- oder der Maschinenbau durch agilere                    autonom agierende Maschinen im Wert-
                                         Wettbewerber aus den USA und Asien unter                     schöpfungsnetzwerk). So sachlich richtig
                                         starken Wettbewerbsdruck geraten.                            diese Definition ist, so wenig hilft sie bei
                                                                                                      der Abschätzung der ökonomischen Potenzi-
                                         Auch müssen die mit der Digitalisierung                      ale. Auch alle Versuche, die Digitalisierung
                                         einhergehenden Chancen erst noch geho-                       als ein Branchenkonzept (etwa IKT-Branche
                                         ben werden. Dazu ist in den Unternehmen,                     plus Internetwirtschaft) zu verstehen, grei-
                                         in der Politik, in der Wissenschaft und der                  fen zu kurz. Digitalisierung ist ein Quer-
                                         Gesellschaft Gestaltungswille notwendig.                     schnittsphänomen, das alle Unternehmen,
                                         Die Elektroindustrie hat dabei eine Schlüs-                  Branchen, Märkte, Prozesse, Produkte und
                                         selrolle – sie leistet entscheidende Beiträge                Technologien berührt.
                                         durch die Ausrüstung aller Branchen mit
                                         digitalen Technologien.                                      Zwei wesentliche technische Entwicklungen
                                                                                                      treiben die Digitalisierung der Wirtschaft:
                                         Digitalisierung im Kontext der                               • Das ist erstens die Vernetzung von Men-
                                         Elektroindustrie                                                schen und Maschinen durch das Internet
                                         Bevor diese Schlüsselrolle der Elektroindus-                    vermittels alter und neuer Kommuni-
                                         trie in den nächsten Kapiteln eingehend                         kationstechnologien. Sie erlaubt neue
                                         analysiert wird, soll zunächst erläutert wer-                   Formen der Kommunikation, der Interak-
                                         den, welches Konzept der Digitalisierung                        tion und der Arbeitsteilung. Die nahezu
                                         dieser Studie zugrunde liegt. Das ist not-                      grenzenlose Vernetzung generiert eine
                                         wendig, weil die Digitalisierung durch ihre                     Fülle von Daten, deren Auswertung und
                                         begriffliche Weite eine Unschärfe hat.                          Nutzung zu neuen Geschäftsmodellen
                                                                                                         und Services mit hohem ökonomischem
                                                                                                         Potenzial führt. Der wichtigste Rohstoff
                                                                                                         dieser neuen Geschäftsmodelle sind
                                                                                                         Daten.

                                                                         11
Abb. 2: Dimensionen der Digitalisierung

                                              Physisch                                      Virtuell
                                   IV.                                                                      I.

                Prozessebene
                                             Smart Integration                Smart Operations
                                             Vernetzte Produktion                 Virtualisierte Prozesse
                                             (Factory/Plant, Energienetze,             und Steuerungen
                                             Infrastruktur, Maschinen und                   (Software und
                                             Anlagen, Cyber-physische                 Datenmanagement)
                                             Systeme)

                                                                                   Smart Services
                Produktionsebene
  Vernetzte                                  Smart Products                                                       Vernetzte
Lieferanten                                  Vernetzte Produkte auf der      Datenbasierte und vernetzte          Kunden
                                             Hersteller-Kunden-Ebene                   Dienstleistungen
                                             (Komponenten und Endgeräte)            (Apps und Analysen)

                                   III.                                                                     II.
                                                   Smart Markets / digitale Geschäftsmodelle

    Quelle: IW Consult; eigene Darstellung

• Zweitens entstehen verbesserte Fähig-                                      Smart Products: Darunter sind physisch-
  keiten, Prozesse mit Algorithmen zu                                        materielle Produkte zu verstehen, die über
  beschreiben und zu simulieren und damit                                    Sensoren und Aktoren eine Beobachtung
  „digitale Zwillinge“ der physischen Welt                                   und Steuerung in der Nutzungsphase des
  zu schaffen. Neben der Vernetzung liegt                                    Produkts beim Kunden zulassen. Herstel-
  in dieser Virtualisierung von Produkten                                    ler und Verbraucher bleiben so über den
  und Prozessen das eigentliche disruptive                                   gesamten Lebenszyklus verbunden. Indus-
  Potenzial der Digitalisierung.                                             trienahe Dienstleistungen bekommen in
                                                                             digitalen Geschäftsmodellen eine ganz
Die Zielrichtung ist klar: Wir sind auf dem                                  neue Dimension.
Weg zu einer Datenökonomie, weil nahezu
alles mit Datenmodellen beschrieben und                                      Smart Operations: Hier geht es um die
in Echtzeit bereitgestellt werden kann.                                      Virtualisierung von physischen Prozes-
Diese technische Dimension der Digitalisie-                                  sen – also um die Modellierung durch die
rung lässt sich gut fassen, wenn zwischen                                    zuvor genannten digitalen Schatten oder
der Produkt- und der Prozessebene einer-                                     Zwillinge. Dadurch können Planungs- und
seits sowie zwischen der physischen und der                                  Steuerungsprozesse optimiert werden, weil
virtuellen Welt andererseits unterschieden                                   Simulationen und die Suche nach besseren
wird (Abbildung 2). Daraus ergeben sich                                      Lösungen einfacher werden. Das gilt für die
vier Felder:                                                                 innerbetriebliche Ebene (Verbindung von
                                                                             Shop Floor und Office Floor) genauso wie für
Smart Integration: Dazu zählen z. B. in der                                  Interaktionen mit Zulieferern und Kunden.
Produktion Anlagen und Maschinen, die in                                     Dabei werden umfangreiche Datenerfas-
datengestützten Cyber-Physischen Syste-                                      sungssysteme, moderne Auswertungs- und
men gesteuert werden. Das ist eine Fortent-                                  Analysetechniken und Softwarelösungen
wicklung der klassischen Automatisierungs-                                   eingesetzt. So können beispielsweise Ent-
technik und Robotik, deren Möglichkeiten                                     wicklungsingenieure sehr frühzeitig Schwä-
durch innerbetriebliche und betriebsüber-                                    chen und Entwicklungspotenziale in den
greifende Vernetzungen deutlich erweitert                                    Systemen erkennen. Mithilfe von Algorith-
werden. Am Ende werden selbst lernende                                       men lassen sich auch mögliche Ausfälle von
und sich steuernde Prozesse in Echtzeit-                                     Maschinen voraussagen. Logistiker können
Wertschöpfungsnetzen stehen. Gleiches gilt                                   Routen ihrer Transportfahrzeuge auf Basis
analog für andere industrielle Domänen,                                      von Verkehrs- und Bedarfsdaten in Echtzeit
etwa die Gebäudetechnik oder die Energie-                                    steuern.
wirtschaft.

                                              12
Smart Services: Smart Services sind umfas-                         2.2 Stand der Digitalisierung
                                         sende, digital unterstützte Dienstleistungen                       Die Analyse zeigt, dass die Digitalisierung
                                         zu Produkten oder Systemen über den gan-                           für die Unternehmen der Elektroindustrie
                                         zen Lebenszyklus, inklusive vorausschau-                           ein positiv besetztes Chancenthema ist. Wie
                                         ender Wartung, Upgrades etc. Dazu gehört                           sieht es aber mit dem Stand der Umsetzung
                                         ein breites Dienstleistungsspektrum, das                           der Digitalisierung in den Unternehmen
                                         von Onlineshops, Apps, Softwarelösungen,                           aus? Mit dieser Frage beschäftigt sich dieses
                                         Streaming-Diensten bis zu den oben er-                             Kapitel. Dabei werden Befragungsergeb-
                                         wähnten produktbezogenen After-Sales-                              nisse zum Digitalanteil im Produktprogramm
                                         Dienstleistungen reicht.                                           der Unternehmen der Elektroindustrie, ein
                                                                                                            Industrie 4.0 Readiness Check der Unter-
                                         Diese vier Bausteine als solche gibt es in                         nehmen, der Digital Index der IW Consult
                                         unterschiedlichen Ausprägungen schon                               und die Erhebung „Modernisierung der
                                         recht lange. Neu an der Digitalisierung                            Produktion“ des Fraunhofer ISI, in der die
                                         ist, dass sie über die gesamten Prozesse                           Nutzung und die Planung des Produzieren-
                                         in den Unternehmen, zwischen Unterneh-                             den Gewerbes von Industrie-4.0-ähnlichen
                                         men und mit Kunden vernetzt sind – Wert-                           Technologien beleuchtet werden, verwendet.
                                         schöpfungsketten werden zu Wertschöp-
                                         fungsnetzwerken. Am Ende stehen digitale                           Für die vorliegende Studie wurden im Juni
                                         Geschäftsmodelle und die Entwicklung                               und Juli 2016 zwei empirische Erhebungen
                                         neuer datenbasierter Märkte. Auf diesen                            durchgeführt. Erstens haben im Rahmen
                                         Märkten haben Plattformen eine beson-                              eines Surveys 132 Mitgliedsunternehmen
                                         dere Bedeutung. Dort können Marktaktivi-                           des ZVEI an einer Befragung teilgenom-
                                         täten zu sehr niedrigen Transaktionskosten                         men. Davon haben 63 Unternehmen bis zu
                                         und mit hoher Skalierung durchgeführt                              499 Mitarbeiter und 69 Unternehmen
                                         werden. Ökonomisch betrachtet sind diese                           500 Mitarbeiter oder mehr. Zweitens nah-
                                         Plattformmärkte eines der konstituierenden                         men im Rahmen des IW-Zukunftspanels
                                         Merkmale der Digitalisierung, die disrup-                          1.120 Unternehmen des Verarbeitenden
                                         tive Effekte entfalten.                                            Gewerbes (ohne Elektroindustrie) und der
                                                                                                            industrienahen Dienstleistungen an einer
                                         Wie wichtig die Elektroindustrie für die Di-                       Befragung teil. 979 dieser Unternehmen
                                         gitalisierung ist, zeigt ein Blick auf das Pro-                    beschäftigen maximal 499 Mitarbeiter, 141
                                         duktprogramm der Branche. Viele dieser                             Unternehmen 500 Mitarbeiter oder mehr.
                                         Angebote stellen eine grundlegende Voraus-                         Die Befragungsergebnisse wurden umsatz-
                                         setzung dar, um überhaupt Produkte und                             gewichtet hochgerechnet – große Unterneh-
                                         Prozesse digitalisieren zu können. Abbil-                          men werden damit angemessen berücksich-
                                         dung 3 illustriert dies mit einigen Beispielen.                    tigt – und haben repräsentativen Charakter.

                                            Abb. 3: Digitale Angebote der Elektroindustrie

                                                  Systemintegration für vernetzte Systeme                                                    ERP/MES/MOM
                                                  Technologien für sichere                                                                         CAD/CAM
                                                  Mensch-Maschine-                                                                      Digitaler Austausch
                                                  Interaktion                                                                         von Dispositionsdaten
                                                                                           Smart                  Smart
                                                                                           Integration        Operations

                                                                                                     Vernetzung

                                                                                           Smart                    Smart
                         Definitionen:            Digital veredelte,          Products                            Services
                                                  vernetzte Produkte                                                                               Remote /
   ERP = Enterprise Resource Planning;            für die Leitmärkte Energie,                                                        predicitve maintenance
MES = Manufacturing Execution System;             Mobilität, Gebäude, Gesundheit und                                          Product-Lifecycle-Management
     MOM = Manufacturing Operations               Fabrik- und Prozessautomation                                              Datenbasierte Geschäftsmodelle
                         Management;
       CAD = Computer-Aided Design;          Quelle: IW Consult; eigene Darstellung
 CAM = Computer-Aided Manufacturing

                                                                                      13
Tab. 1: Umsätze mit digitalen Produkten und Dienstleistungen
                                                                                 Elektroindustrie
                                                        KMU     2)
                                                                                          Große3)                           Gesamt
 Smart Products1)                                        11,8                               18,4                              15,3

 Smart Processes1)                                        1,2                                1,1                               1,1

 Smart Integration1)                                      1,1                                3,2                               2,2

 Smart Services1)                                         1,2                                2,4                               1,8

 Digitale Angebote                                       15,3                               25,1                              20,4

 Konventionelle Angebote                                 84,7                               74,9                              79,6
Umsatzanteile für 2016 in Prozent
1)
   Siehe Quadranten in Abbildung 2; 2) Unternehmen mit bis zu 500 Beschäftigten; 3) Mehr als 500 Beschäftigte; umsatzgewichtete Ergebnisse

Der beste Maßstab zur Messung des Umset-                                    das Betreiben von Webshops oder Social
zungsstands der Digitalisierung sind die                                    Media. Eine Onlinepräsenz, auf der digitale
Umsätze mit digitalen Produkten und                                         Begriffe zu finden sind, ist ein erstes Maß
Dienstleistungen. Da es dazu keine statisti-                                für den Umgang mit digitalen Themen im
schen Daten gibt, wurden diese im Rahmen                                    Unternehmen.
der Befragung der ZVEI-Unternehmen erho-
ben. Dabei lag die Definition zugrunde, wie                                   Die Onlineaktivitäten, die Modernität
sie im vorigen Kapitel eingeführt wurde.                                      der eingesetzten Webtechnologien und
                                                                              die Vernetzung im Web können mit dem
Der Umsatzanteil mit digitalen Produk-                                        Digital Index der IW Consult gemessen
ten und Dienstleistungen liegt erst bei                                       werden (s. IHK Köln/Stadt Köln, Startup
20,4 Prozent. Den mit Abstand größten                                         Region Köln, 2016). Basis der Analyse
Bereich machen die Smart Products mit                                         sind alle rund 2,8 Millionen Online-
15,3 Prozent aus. Die anderen drei Berei-                                     auftritte deutscher Unternehmen. Dies
che, die auf Systemintegration, Prozesse                                      kommt einer Vollerhebung gleich. In
und Dienstleistungen fokussieren, tragen                                      acht Clustern wie Social Media, Mobile,
lediglich 5,1 Prozent zum Gesamtumsatz                                        Digital Topics oder Traffic werden rund
bei. Die Elektroindustrie ist also in ihrem                                   10.000 Merkmale bewertet. Die schiere
Kernbereich – dem Verkauf von Produkten –                                     Datenmenge ermöglicht Analysen in
weiter fortgeschritten. Die Nutzung der sich                                  höchster Granularität. Diese Informa-
aus der Digitalisierung ergebenden Poten-                                     tionen gehen in einen Index ein, der
ziale für die Prozessoptimierung und die                                      für jedes Unternehmen in Deutschland
Entwicklung neuer Geschäftsmodelle steht                                      definiert ist. Der Index wird von 0 Punk-
dagegen noch ganz am Anfang.                                                  ten (nicht digitalisiert) bis 100 Punkten
                                                                              (vollständig digitalisiert) skaliert.
Auch sind deutliche Unterschiede zwischen
Unternehmensgrößenklassen zu beobach-                                       Abbildung 4 zeigt den Hauptbefund: Die
ten. Während in kleinen Unternehmen erst                                    deutsche Wirtschaft steht bei der Digitali-
insgesamt 15,3 Prozent des Umsatzes mit                                     sierung vielfach noch am Anfang. Mit einem
digitalen Produkten und Dienstleistungen                                    durchschnittlichen Punktwert von 4,8 sind
erzielt werden, liegt der Anteil bei großen                                 deutsche Unternehmen heute noch schwach
Unternehmen bereits bei 25,1 Prozent.                                       digitalisiert. Die Elektroindustrie als digi-
Auch hier zeigt sich ein Vorsprung der Groß-                                tale Querschnittsbranche liegt mit einem
unternehmen.                                                                Indexwert von durchschnittlich 10,2 Punk-
                                                                            ten auf einem mehr als doppelt so hohen
Um die vollständigen Digitalisierungspo-                                    Niveau. Im Vergleich zum Verarbeitenden
tenziale erschließen zu können, ist eine                                    Gewerbe liegt der Vorsprung bei über drei
hohe digitale Reife im gesamten Unterneh-                                   Punkten. Gleichwohl steht auch die Elektro-
men notwendig. Darunter fallen zunehmend                                    industrie noch am Anfang.
auch im B2B-Bereich Onlineaktivitäten wie

                                         14
Abb. 4: Digital Index nach Branchen
   1. Halbjahr, 2016; Branchenmittelwerte in Punkten auf einer Skala von 0 bis 100
     12
                                                                                          10,2
     10

         8                                                    7,0

         6                         4,8

         4

         2

         0
                       Gesamtwirtschaft              Verarbeitendes Gewerbe         Elektroindustrie
   Quelle:IW Consult, beDirect, DATAlovers (2016)

Der Vorsprung der Elektroindustrie zeigt                        Abbildung 6 zeigt, wo diese 20 Prozent
sich auch in der Verteilung (Abbildung 5):                      vornehmlich zu suchen sind. Während die
Fünf Prozent dieser Unternehmen erreichen                       Unternehmen mit weniger als 250 Mitarbei-
einen Indexwert von mindestens 33 Punk-                         tern einen Indexwert von 9,9 Punkten errei-
ten und zählen damit zu den Pionieren der                       chen, liegen die großen Unternehmen mit
Digitalisierung. Gesamtwirtschaftlich errei-                    5.000 Mitarbeitern und mehr bereits bei
chen nur 1,4 Prozent aller Unternehmen                          38,9 Punkten. Je größer ein Unternehmen
diesen Schwellenwert. Lediglich rund 20                         ist, desto mehr investiert es in sein „digita-
Prozent der Unternehmen in der Elektroin-                       les Gesicht“. Dadurch werden diese Unter-
dustrie besitzen einen digitalen Reifegrad                      nehmen automatisch auch digital wahr-
von null Punkten. Das sind deutlich weniger                     genommen. Kleine Unternehmen müssen
als in der gesamten Wirtschaft (57 Prozent).                    hier aufholen, um von den Möglichkeiten
Insbesondere die Unternehmen mit null                           der Digitalisierung umfassend profitieren
Punkten haben Handlungsbedarf.                                  zu können, auch wenn sie ebenfalls schon
                                                                deutlich weiter sind als die kleinen Unter-
                                                                nehmen aus anderen Branchen.

   Abb. 5: Verteilung des Digital Index
   1. Halbjahr, 2016; Punkte auf einer Skala von 0 bis 100

   80
                                                               n Elektroindustrie
   70                                                          n Gesamtwirtschaft

   60

   50

   40

   30

   20

   10

     0
             0     5       10 15 20 25 30 35 40 45 50 55 60 65 75 80 85 90 95 100

   Quelle: IW Consult, beDirect, DATAlovers (2016)

                                            15
Abb. 6: Digital Index – Elektroindustrie nach Größenklassen,
 1. Halbjahr, 2016; Größenklassenmittelwerte in Punkten auf einer Skala von 0 bis 100

   45                         Elektroindustrie                                                                                   38,9
   40                         Verarbeitendes Gewerbe                                                                                    33,9
   35                                                                                                 29,3
   30                                                                                                           25,1
                                              22,3                      22,8 21,7
   25
                                                     18,3
   20
   15
                   9,9
   10                       6,9
    5
    0
                 Unter 250                250 bis 499               500 bis 999                1.000 bis 4.999                 5.000 und mehr
                                                                       Mitarbeiter
 Quelle: IW Consult, beDirect, DATAlovers (2016)

Neben dem Digital Index lässt sich der                                                  Basis ist eine komplexe empirische Erhe-
Digitalisierungsgrad von Unternehmen                                                    bung, in der die Unternehmen zu den
auch über einen Industrie 4.0 Readiness                                                 vier bereits eingeführten Dimensionen
Check bewerten. Dabei wird die Reife bei                                                Smart Products, Smart Operations, Smart
Industrie-4.0-Aktivitäten ermittelt. Der                                                Services sowie Smart Integration Aussa-
Check, den die IW Consult in Zusammen-                                                  gen treffen müssen. Darüber hinaus
arbeit mit dem Forschungsinstitut für                                                   werden noch die beiden Dimensionen
Rationalisierung (FIR) e. V. an der RWTH                                                Strategie und Mitarbeiter berücksichtigt.
Aachen entwickelt hat, gibt Unterneh-                                                   Die Unternehmen werden auf Basis von
men die Möglichkeit, ihren derzeitigen                                                  Selbstangaben auf einer Skala von null
Entwicklungsstand zu erfahren und mit                                                   (Außenstehender) bis fünf (Exzellenz)
anderen Unternehmen zu vergleichen. Er                                                  hinsichtlich ihres digitalen Reifegrads
zeigt, dass die große Mehrheit der Unter-                                               eingeordnet. Gleichzeitig erhalten sie
nehmen bei der Implementierung von                                                      Handlungsempfehlungen, wie sie die
Industrie 4.0 ebenfalls noch am Anfang                                                  jeweils nächste Stufe erreichen können.
steht.                                                                                  Dieser Selbst-Check ist erreichbar unter
                                                                                        http://www.industrie40-readiness.de.

  Abb. 7: Industrie 4.0 Readiness Check
  Anteile in Prozent / Anzahlgewichtete Ergebnisse

                                      0,0
                Exzellenz             0,0                                                                               Elektroindustrie

                                      0,0                                                                               Verarbeitendes Gewerbe
                   Experte            0,4

                                              4,5
              Erfahrener                    2,9

                                                                                   22,4
  Fortgeschrittener                                             13,4

                                                                                                   31,1
                Anfänger                                                                       28,3

                                                                                                                        42,0
    Außenstehender                                                                                                                             55,0

                                     0                10                   20                  30                  40             50                  60
  Quelle: IW Consult, FIR (2015); IW-Zukunftspanel, 26. Befragungswelle, Industrie 4.0 Readiness Check (2016)

                                            16
Mehr als die Hälfte der Unternehmen des                Um diese Ergebnisse zu konkretisieren,
Verarbeitenden Gewerbes sehen sich noch                wurde der aktuelle Verbreitungsgrad von
als Außenstehende bei Industrie 4.0, knapp             Industrie-4.0-affinen Technologien im Ver-
ein Drittel als Anfänger. Insgesamt beschäf-           arbeitenden Gewerbe analysiert. Es wur-
tigen sich erst rund 15 Prozent der Unter-             den insgesamt acht digitale Technolo-
nehmen bereits intensiver mit Industrie                gien erfasst, die als Voraussetzung für die
4.0. Die Elektroindustrie ist auch hier schon          Anwendung und das Angebot einer digital
einen Schritt weiter als das Verarbeitende             vernetzten Produktion im Sinne der Indus-
Gewerbe insgesamt, hier bezeichnet sich ein            trie 4.0 dienen und die bereits heute in den
deutlich größerer Teil als fortgeschritten.            Betrieben Anwendung finden können (vgl.
                                                       ausführlich Tabelle 2).
  Die repräsentative Befragung „Moder-
  nisierung der Produktion“ wird alle                  Konkret wurden die teilnehmenden Betriebe
  drei Jahre regelmäßig vom Fraunhofer                 der Erhebung befragt, ob sie entsprechende
  ISI durchgeführt und beleuchtet Fra-                 Technologien bereits einsetzen oder bis
  gen zur Wertschöpfung und Innovation                 2018 einzusetzen gedenken bzw. in wel-
  in der Produktion. Die hier analysierte              chem Umfang sie diese bereits einsetzen.
  Erhebungswelle fand im Jahr 2015 statt               In Kombination mit der Betriebs- und Pro-
  und umfasst die Angaben von insgesamt                duktionsstruktur sowie sektoralen Klassifi-
  1.282 zufällig ausgewählten Betrieben.               kation können mit diesen Daten strukturelle
  Sie bietet dabei ein repräsentatives                 Zusammenhänge für die Verbreitung der
  Abbild des Verarbeitenden Gewerbes in                acht Technologien identifiziert werden.
  Deutschland hinsichtlich Größenklassen,
  Branchenstruktur und regionaler Vertei-              In Abbildung 8 ist der Anteil der Betriebe
  lung.                                                des Verarbeitenden Gewerbes dargestellt,
                                                       die digitale Technologien entweder bereits

Tab. 2: Digitale Technologien für den Einsatz in der Produktion

Digitale Technologien für die Produktion aus Anwenderperspektive
 1        IT-gestützte Produktionsplanung: Einsatz von Softwaresystemen zur         Digitale
          Produktionsplanung und -steuerung (z. B. ERP-System)                      Management-
                                                                                    systeme
 2        IT-System für Product-Lifecycle-Management: Product-Lifecycle-Manage-
          mentsysteme (PLM) oder ggf. auch Produkt-Prozessdaten-Management

 3        Mobiler/drahtloser Zugang zu Arbeitsanweisungen: Einsatz von digitalen    Drahtlose
          Lösungen zum Bereitstellen und Nutzen von Zeichnungen, Arbeitsplänen      Mensch-
          oder Arbeitsanweisungen direkt am Arbeitsplatz des Werkers                Maschine-
          (z. B. Tablets, Smartphones)                                              Kommunikation
 4        Mobile/drahtlose Programmierung von Maschinen: Einsatz von mobilen/
          drahtlosen Geräten zur Programmierung und Bedienung von Anlagen
          und Maschinen (z. B. Tablets)

 5        Echtzeitnahes Produktionsleitsystem: Einsatz von echtzeitnahen Produk-    Cyber-Physical-
          tionsleitsystemen (z. B. Systeme mit zentraler Maschinen-/Prozessdaten-   Systems-nahe
          erfassung, MES)                                                           Prozesse
 6        IT-System für Supply-Chain-Management: digitaler Datenaustausch mit
          Zulieferern bzw. Kunden (Supply-Chain-Managementsysteme)

 7        IT-gestützte Steuerung der internen Logistik: Einsatz von Techniken zur
          Automatisierung und Steuerung der internen Logistik (z .B. Lagerverwal-
          tungssysteme, RFID)

 8        Sichere Mensch-Maschine-Kooperation: Anwendung von Technologien für       Mensch-
          eine sichere Mensch-Maschine-Kooperation (z. B. kooperative Roboter,      Maschine-
          „zaunfreie“ Stationen etc.)                                               Kooperation
Quelle: Fraunhofer ISI; eigene Darstellung

                                         17
einsetzen oder bis 2018 einsetzen wol-                                             Noch ernüchternder wird das Ergebnis,
len. Dabei zeigt sich, dass die jeweiligen                                         wenn man die Nutzungsintensitäten der
Techniken bisher stark unterschiedlich                                             Technologien in den einzelnen Betrieben
Verbreitung gefunden haben. So werden                                              betrachtet (vgl. Abbildung 9). Lediglich
Softwaresysteme zur Produktionsplanung                                             beim Softwaresystem zur Produktionspla-
und -steuerung bereits in zwei von drei                                            nung und -steuerung geben 62 Prozent der
Betrieben eingesetzt. Die CPS-nahen Pro-                                           nutzenden Betriebe an, dass diese Technolo-
zesse weisen Nutzeranteile zwischen 27 und                                         gie auch in hohem Maße in ihrer Produktion
31 Prozent auf, die digitale Visualisierung                                        eingesetzt wird. Bei allen anderen Technolo-
kommt auf 33 Prozent. Alle anderen Tech-                                           gien liegt die Nutzungsintensität im Schnitt
niken weisen lediglich Anteile von deutlich                                        deutlich darunter. Hier geben etwa zwischen
unter 20 Prozent auf. Bei einem Blick auf                                          50 und 80 Prozent der Betriebe an, dass die
den geplanten Einsatz bis 2018 lässt sich                                          jeweilige Technologie nur in geringem oder
außerdem erkennen, dass nicht von einer                                            in mittlerem Maße zum Einsatz kommt.
beschleunigenden Verbreitung bzw. einem
überproportionalen Anstieg des Nutzeran-                                           Bei einer kombinierten Betrachtung der
teils in den nächsten Jahren ausgegangen                                           Verbreitung und der Nutzungsintensitäten
werden kann. So geben über alle Technolo-                                          der digitalen Technologien lässt sich resü-
gien hinweg lediglich fünf bis zehn Prozent                                        mieren, dass lediglich Bruchteile an Betrie-
der Betriebe an, in den nächsten drei Jah-                                         ben im Verarbeitenden Gewerbe digitale
ren die entsprechende digitale Technologie                                         Technologien in relevantem Maße einset-
in ihren Produktionsprozessen einsetzen                                            zen. Die überwiegende Mehrheit derjenigen
zu wollen. Von einer Digitalisierung in der                                        Betriebe, bei denen diese Technologien zum
Breite der industriellen Produktion kann                                           Einsatz kommen, nutzen diese derzeit ledig-
demnach derzeit nicht gesprochen werden.                                           lich in geringem bis mittlerem Umfang.

  Abb. 8: Anwendung und geplante Anwendung digitaler
  Technologien im Verarbeitenden Gewerbe
                                                                                                                Nutzung            Planung

            Softwaresysteme zur Produktions-
                                                                                                67 %                               5,8 %
                     planung und -steuerung

                                     Product Lifecycle                      11 %          6%                   Digitale Managementsysteme
                                  Managementsysteme

                               Digitale Visualisierung                              33 %                   9,9 %

         Geräte zur Programmierung und                                           19 %          8,1 %
                                                                                                               Drahtlose Mensch-Maschine-
                                                                                                                           Kommunikation
   Bedienung von Anlagen und Maschinen

       Echtzeitnahes Produktionsleitsystem                                         27 %                9,8 %

                          Digitaler Datenaustausch                                  31 %               4,7 %              CPS-nahe Prozesse
                           mit Kunden/Lieferanten

         Techniken zur Automatisierung und                                          30 %                 9,5 %
            Steuerung der internen Logistik

                      Technologien für sichere                              3 % 4,6 %                      Mensch-Maschine-Kooperation
                 Mensch-Maschine-Kooperation

                                                                            0%                  Anteil Betriebe                      80 %

   Quelle: Erhebung Modernisierung in der Produktion 2015, Fraunhofer ISI

                                            18
Abb. 9: Nutzungsintensität der digitalen Technologien im
     Verarbeitenden Gewerbe

                                              niedrig                 mittel            hoch

            Softwaresysteme zur Produktions-
                                                                    8%           30 %                            62 %
                     planung und -steuerung

                                  Product-Lifecycle-                      23 %                     50 % Digitale Managementsysteme
                                                                                                                        27 %
                                Managementsysteme

                             Digitale Visualisierung                      22 %                  42 %                    36 %

         Geräte zur Programmierung und                                       31 %                       47 %                22 %
   Bedienung von Anlagen und Maschinen

        Echtzeitnahes Produktionsleitsystem                         11 %            38 %                           52 %

                          Digitaler Datenaustausch                        22 %                   47 %                     31 %
                           mit Kunden/Lieferanten

          Techniken zur Automatisierung und                           14 %                48 %                          38 %
             Steuerung der internen Logistik

                      Technologien für sichere                            25 %                         53 %                 22 %
                 Mensch-Maschine-Kooperation

                                                                   0%                          Anteil Betriebe                   100 %
 Quelle: Erhebung Modernisierung in der Produktion 2015, Fraunhofer ISI

Entsprechend bleibt ein sehr großes Poten-                                     kleine Betriebe mit bis zu 49 Beschäftigten
zial hinsichtlich der weiteren Verbreitung                                     am häufigsten gar keine oder nur eine oder
und der Intensivierung digitaler Technolo-                                     zwei der Technologien an. Betriebe mit 50
gien in der Produktion.                                                        bis zu 249 Beschäftigten setzen am ehesten
                                                                               drei oder vier der digitalen Technologien
Der geringe Entwicklungsstand der digital                                      ein, während große Betriebe mit mehr als
vernetzten Produktion wird noch offen-                                         250 Beschäftigten ihre höchsten Anteile bei
sichtlicher, wenn die Summe der digitalen                                      der Gruppe von fünf oder mehr eingesetz-
Technologien, die in einem Betrieb zum Ein-                                    ten Technologien erreichen. Große Betriebe
satz kommen, herangezogen wird. Fast ein                                       scheinen also insgesamt einen deutlichen
Viertel aller Betriebe (23 Prozent) des Ver-                                   Vorsprung auf dem Weg in die digital ver-
arbeitenden Gewerbes setzt demnach gar                                         netzte Produktion gegenüber mittleren oder
keine der acht digitalen Technologien ein.                                     gar kleinen Betrieben zu haben.
Weitere 38 Prozent setzen lediglich eine
oder zwei der Technologien ein, 27 Prozent                                     Durch diesen Größenzusammenhang kommt
der Betriebe immerhin drei oder vier der                                       es beim Anteil der Beschäftigten zu einer
digitalen Technologien. Lediglich zwölf                                        leichten Verschiebung zugunsten der obe-
Prozent aller Industriebetriebe setzen mehr                                    ren Stufen. Bezieht man die Beschäftigten-
als fünf Technologien in ihrer Produktion                                      zahlen der Betriebe in den jeweiligen Stu-
gleichzeitig ein.                                                              fen mit ein, so sind noch zwölf Prozent aller
                                                                               Beschäftigten im Verarbeitenden Gewerbe
Insbesondere zeigt sich dabei auch, dass                                       in Betrieben tätig, die keinerlei digitale
die Betriebsgröße einen entscheidenden                                         Technologien einsetzen. 30 bzw. 35 Pro-
Zusammenhang zur Anzahl der eingesetz-                                         zent aller Beschäftigten sind in den beiden
ten Technologien aufweist. So wenden                                           mittleren Stufen zu finden, während dann

                                         19
immerhin 23 Prozent aller Beschäftigten                                                 stoffindustrie, eingesetzt. Digitale Manage-
des Verarbeitenden Gewerbes in Betrieben                                                mentsysteme oder drahtlose Mensch-
arbeiten, die sich in der höchsten Stufe                                                Maschine-Kommunikationstechniken kom-
befinden.                                                                               men hingegen insbesondere im Maschi-

   Abb. 10: Verbreitung digitaler Technologien nach Branchen

                                                                                          und Keramikindustrie
                                                                                          Gummi-, Kunststoff-

                                                                                                                                                                                   Sonstige Branchen
                                                  Getränkeindustrie

                                                                      Chemieindustrie
              Die Top-3-Branchen

                                                                                                                                   Elektroindustrie
                                                                                                                 Metallindustrie
                                                  Nahrungs- und

                                                                                                                                                      Maschinenbau

                                                                                                                                                                     Fahrzeugbau
                mit dem höchsten
            Verbreitungsgrad sind
                  jeweils markiert
                          Softwaresystem zu
                          Produktionsplanung      43 % 65 % 74 % 67 % 83 % 75 % 72 % 57 %
     Digitale             und -steuerung
     Management-
     systeme
                           Product-Lifecycle-
                           Managementsysteme        6 % 10 % 14 %                                                8 % 16 % 16 % 20 %                                                6%

                          Geräte zur
                          Programmierung
     Drahtlose            und Bedienung           15 % 15 % 21 % 20 % 13 % 23 % 25 % 19 %
     Mensch-              von Anlagen und
     Maschine-            Maschinen
     Kommuni-
     kation                Digitale
                           Visualisierung         12 % 21 % 31 % 35 % 50 % 43 % 30 % 27 %

                           Echtzeitnahes
                           Produktionsleitsystem 21 % 34 % 38 % 31 % 22 % 19 % 26 % 30 %

                           Digitaler
     CPS-nahe              Datenaustausch mit     15 % 26 % 43 % 34 % 32 % 32 % 59 % 24 %
     Prozesse              Kunden/Lieferanten

                           Techniken zur
                           Automatisierung
                           und Steuerung der      22 % 33 % 32 % 27 % 39 % 29 % 40 % 29 %
                           internen Logistik

                           Technologien
     Mensch-               für sichere
     Maschine-             Mensch-Maschine-         0%                1%                     5%                  3%                2%                 3 % 11 %                     4%
     Kooperation           Kooperation

     Quelle: Fraunhofer ISI; eigene Darstellung

Neben diesem Größeneffekt ist auch die                                                  nenbau und der Elektroindustrie zur
Branche für die Verbreitung digitaler                                                   Anwendung. Der Fahrzeugbau ist wiederum
Technologien von Relevanz. Abbildung 10                                                 in allen Technologiefeldern relativ breit
zeigt eine Übersicht der acht untersuchten                                              aufgestellt. Insbesondere beim Blick auf
Technologien und Technologiefelder nach                                                 die Elektroindustrie wird aber sehr deutlich,
Branchen. Die Top-3-Branchen, also die                                                  dass diese auch in der Digitalisierungsan-
drei Branchen, die bei einer Technologie                                                wendung eine Führungsrolle übernimmt.
den höchsten Verbreitungsgrad aufweisen,                                                Die Elektroindustrie weist überdurchschnitt-
sind in der Darstellung entsprechend mar-                                               lich hohe Verbreitungsgrade auf und zählt
kiert. Auch bei dieser Darstellungsweise                                                damit zu den führenden Anwendermärkten
lassen sich Muster erkennen. So werden                                                  hinsichtlich Digitalisierung im deutschen
die CPS-nahen Prozesse tendenziell stärker                                              Verarbeitenden Gewerbe.
in Prozessindustrien, wie bspw. der Che-
miebranche oder der Gummi- und Kunst-

                                       20
Fazit: Die Digitalisierung steht in Deutsch-     an High-End-Lösungen. Auf der anderen
land noch so weit am Anfang, dass viele          Seite KMU mit eher traditioneller Ferti-
Unternehmen noch nicht einmal eine               gung und dem Bedarf an kostengünsti-
eigene Internetpräsenz pflegen. Insbeson-        gen, individuellen Digitalisierungslösun-
dere kleine Unternehmen haben hier noch          gen.
Nachholbedarf.
                                               Gleichwohl gilt im Vergleich der Digitalisie-
Etwa vier Fünftel der Industrieunternehmen     rungsreifegrade der Branchen untereinan-
stehen bei der Einführung von Industrie-       der, dass die Elektroindustrie nicht nur als
4.0-Aktivitäten noch am Anfang. Größere        Anbieter-, sondern auch als Anwenderbran-
Unternehmen sind dabei deutlich weiter         che für die fortschreitende Digitalisierung
als die KMU. Insgesamt gibt es nur wenige      hohe Relevanz besitzt. Mit vergleichsweise
Pioniere. Dieser doch ernüchternde Befund      hohen Nutzeranteilen bei digitalen Techno-
bestätigt die Befragungsergebnisse zu den      logien kann die Elektroindustrie also durch-
relativ geringen Umsatzanteilen mit digi-      aus als eine der führenden Anwendermärkte
talen Produkten und Dienstleistungen. Ein      im Verarbeitenden Gewerbe bezeichnet wer-
wesentlicher Grund liegt darin, dass die       den. Sie muss in Zukunft die Entfaltung der
Digitalisierung eine Frage der Vernetzung      Potenziale forcieren, ist dabei aber in ihrer
mit anderen Unternehmen ist. Einzelne          Enabler-Rolle auf die Partner in den Wert-
Unternehmen können nur begrenzt Fort-          schöpfungsnetzen angewiesen.
schritte erzielen, wenn die Partner in der
Lieferkette oder die Kunden nicht mitzie-
hen, maßgebliche Infrastrukturen nicht         2.3 Hemmnisse der Digitalisierung
gegeben oder rechtliche Voraussetzungen        Warum ist die Wirtschaft bei der digitalen
nicht geregelt sind. Die Mehrheit der Indus-   Transformation nicht schon weiter, obwohl
triebetriebe befindet sich noch in einer       die Unternehmen ganz klar die Chancen in
Phase von „Industrie 3.0“:                     den Vordergrund stellen? Diese Frage stellt
• Digitale Technologien kommen insge-          sich vor dem Hintergrund der hohen Poten-
   samt nur zögerlich zum Einsatz. Dies gilt   ziale, die der Digitalisierung zugemessen
   sowohl für die grundsätzliche Verbrei-      werden. Darauf ergeben sich aus den Ana-
   tung als auch für die Nutzungsintensität    lysen drei Antwortansätze:
   der Technologien in Betrieben. Von einer    • Selbst bei optimalen Rahmenbedin-
   digital vernetzten Produktion kann folg-       gungen und Aufgeschlossenheit der
   lich in weiten Teilen des Verarbeitenden       Unternehmen braucht es Zeit, bis die
   Gewerbes nicht gesprochen werden.              entsprechenden Technologien, Prozesse,
• Der Entwicklungsstand der Betriebe hin-         Produkte und Geschäftsmodelle imple-
   sichtlich einer digital vernetzen Produk-      mentiert sind.
   tion ist stark von deren Betriebs- und      • Digitalisierungspotenziale entfalten im
   Produktionscharakteristika abhängig. So-       Netzwerk besonders starke Effekte. Des-
   wohl die Betriebsgröße als auch die Bran-      halb sind nicht nur die eigenen Aktivi-
   che determiniert maßgeblich den Einsatz        täten wichtig, sondern auch, dass eine
   digitaler Technologien.                        kritische Masse von anderen Unterneh-
• Derzeit scheint ein prioritärer Fokus beim      men entsteht, mit denen Vernetzungspo-
   Einsatz auf Industrie-4.0-Lösungen zur         tenziale bestehen. Unternehmen müssen
   Hebung von Automatisierungspotenzia-           motiviert sein, Pilotprojekte zu starten,
   len im Rahmen von Großserienprodukti-          um das Signal auszusenden, dass sich die
   onen zu liegen. Lösungen für eine höhere       digitale Transformation lohnt.
   Flexibilität, Wandlungsfähigkeit oder für   • Es gibt zusätzliche Hindernisse, die die
   die Datennutzung scheinen derzeit noch         Digitalisierung auf der individuellen
   Potenzial zu besitzen.                         Unternehmensebene, aber auch den Auf-
• Es existiert eine Kluft zwischen großen         bau von integrierten Wertschöpfungs-
   Unternehmen und kleinen und mittleren          netzen bremsen. Neben unzureichenden
   Unternehmen (KMU). Dabei besteht die           Rahmenbedingungen zählen dazu auch
   Gefahr, dass sich zwei unterschiedliche        fehlendes Fachwissen, Unsicherheiten
   Produktionswelten entwickeln. Auf der          oder kulturelle Aspekte.
   einen Seite Großunternehmen mit sehr
   hohem Digitalisierungsgrad und Bedarf

                         21
Abb. 11: Hemmnisse der Digitalisierung,
   Umsatzgewichtete Ergebnisse
                                                                 Elektroindustrie
                 Fachwissen
            Datensicherheit
    Breitbandinfrastruktur
    Normen und Standards
           Unklarer Nutzen
  Ungeklärte Rechtsfragen
            Interne Abläufe
      Externe Regulierung
 Skepsis in der Belegschaft
                Finanzkraft
                                         0       10       20    30     40      50     60        70   80      90     100
                                                                 Verarbeitendes Gewerbe
                 Fachwissen
           Unklarer Nutzen
            Datensicherheit
    Breitbandinfrastruktur
  Ungeklärte Rechtsfragen
    Normen und Standards
 Skepsis in der Belegschaft
            Interne Abläufe
                Finanzkraft
      Externe Regulierung
                                         0       10       20    30     40      50     60        70   80      90     100

              Großes Hemmnis                     Mittleres Hemmnis           Geringes Hemmnis             Kein Hemmnis

 Quelle: ZVEI-Befragung (2016), IW Zukunftspanel (2016)

Welche Hemmnisse die Digitalisierung                                    seit vielen Jahren unverändert die Stär-
besonders bremsen, wurde in dieser Studie                               kung der MINT-Fächer in Bildungssys-
eigens ermittelt. Dazu werden die Ergeb-                                temen. Daneben ist es von besonderer
nisse des ZVEI-Surveys und der Erhebung                                 Bedeutung, fächerübergreifende Kom-
im Rahmen des IW-Zukunftspanels gemein-                                 petenzen zu entwickeln, beispielsweise
sam ausgewertet. Die Unternehmen haben                                  durch die Verbindung von Hardware- und
dazu zehn Aspekte auf einer Vierer-Skala                                Softwarekompetenzen in den Curricula
von „großes“ bis „kein“ Hemmnis bewertet.                               oder die zielgerichtete Kombination von
                                                                        Haupt- und Nebenfächern in der univer-
Vier Befunde stechen hervor:                                            sitären Ausbildung. Es geht also einer-
• Besonders hinderlich in der Elektroin-                                seits um zusätzliche Absolvierende in den
  dustrie mit Quoten bis fast 50 Prozent                                MINT-Fächern, aber auch um den Aufbau
  oder darüber sind fehlendes Fachwissen                                neuer Studien- und Ausbildungsgänge an
  und eine unzureichende Datensicherheit.                               der Schnittstelle zwischen digitalen und
  Auch die mangelhafte Breitbandinfra-                                  klassischen Technologien. Nur so kann
  struktur hemmt die Unternehmen über-                                  einem Fachkräftemangel vorgebeugt
  durchschnittlich stark.                                               werden. Ohne gut ausgebildete und hin-
• Die Geschäftsmodelle der deutschen                                    reichend viele Ingenieure und Techniker
  Unternehmen leben sehr stark von der                                  kann eine digitale Transformation nicht
  hohen Qualifikation ihrer Mitarbeiter, die                            gelingen, weil sie durch diese technische
  kontinuierlich weiterentwickelt werden                                Dimension definiert ist (IW Köln 2016).
  muss. Durch die Digitalisierung werden                              • Bei allen Hemmnissen fällt die Beurtei-
  die bisherigen bildungspolitischen Anfor-                             lung der Unternehmen der Elektroindus-
  derungen noch wichtiger. Dazu gehört                                  trie skeptischer aus als in den anderen

                                        22
Sie können auch lesen