Die Elektroindustrie als Leitbranche der Digitalisierung - Innovationschancen nutzen, Innovationshemmnisse abbauen - ZVEI
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Studie Die Elektroindustrie als Leitbranche der Digitalisierung Innovationschancen nutzen, Innovationshemmnisse abbauen Zentralverband Elektrotechnik- und Elektronikindustrie
Impressum Die Elektroindustrie als Leitbranche der Digitalisierung Auftraggeber: ZVEI e. V. / Initiiert aus dem Vorstandsarbeitskreis Innovationspolitik ZVEI - Zentralverband Elektrotechnik- und Elektronikindustrie e. V. Lyoner Straße 9, 60528 Frankfurt am Main www.zvei.org Mit freundlicher Unterstützung der Unternehmen Infineon Technologies AG, Robert Bosch GmbH, Sennheiser electronic GmbH & Co. KG, Siemens AG Autorenteam: Fraunhofer ISI: Dr. Rainer Frietsch, Dr. Bernd Beckert, Dr. Stephanie Daimer, Dr. Christian Lerch, Dr. Niclas Meyer, Dr. Peter Neuhäusler, Oliver Rothengatter IW Consult: Dr. Karl Lichtblau, Manuel Fritsch, Hanno Kempermann, Dr. Thorsten Lang, Steuerkreis: Dr. Norbert Lütke-Entrup, Dr. Sicco Lehmann-Brauns, Siemens AG Dr. Nathalie Martin-Hübner, Robert Bosch GmbH Volker Bartels, Sennheiser electronic GmbH & Co. KG Dr. Alfred Hoffmann, Infineon Technologies AG sowie Expertenteam des ZVEI e. V. unter Leitung von Dr. Klaus Mittelbach: Dr. Bernhard Diegner, Dr. Andreas Gontermann, Dr. Christian Kellermann-Langhagen, Dr. Patricia Solaro Ansprechpartner www.zvei.org Dr. Rainer Frietsch November 2016 Fraunhofer Institut für System- und Innovationsforschung ISI Trotz größtmöglicher Sorgfalt übernimmt der ZVEI Breslauer Str. 48 keine Haftung für den Inhalt. Alle Rechte, insbesondere 76139 Karlsruhe die zur Speicherung, Vervielfältigung und Verbreitung Telefon: 0721 6809-197 sowie der Übersetzung, sind vorbehalten. E-Mail: rainer.frietsch@isi.fraunhofer.de
INHALT Executive Summary 4 1 Einleitung 8 2 Megatrend Digitalisierung 10 2.1 Chancen der Digitalisierung 10 2.2 Stand der Digitalisierung 13 2.3 Hemmnisse der Digitalisierung 21 2.4 Fokusthema: Digitale Schlüsseltechnologien 24 2.5 Fokusthema: Breitband 26 2.6 Ableitung der Fragestellungen für die Studie 29 3 Bedeutung der Elektroindustrie 30 3.1 Abgrenzung und Beiträge zum Geschäftsmodell Deutschland 30 3.2 Märkte, Marktführerschaft und Konkurrenzsituation 35 4 Die Elektroindustrie in der Wertschöpfungskette 37 4.1 Produktionsnetze – Elektroindustrie als Enabler 37 4.2 Die Elektroindustrie als Wissensimpulsgeber 42 4.3 Elektroindustrie ein wichtiger Partner 46 5 Enabler-Funktion der Elektroindustrie für die Digitalisierung 50 5.1 Digitale Aktivitäten in Kernmärkten der Elektroindustrie 50 5.1.1 Digitalisierungsstrategien 50 5.1.2 Digitale Produkte und Dienstleistungen 55 5.2 Schlüsseltechnologie-Patente und CIE 56 5.3 Fokusthema: Maschinell erzeugte Daten 59 6 Innovationspolitische Einordnung und Handlungsempfehlungen 62 7 Referenzen 79 3
Executive Summary Die digitale Transformation ist ein unauf- In der vorliegenden Studie wurden erstmals haltbarer Megatrend, der Unternehmen, die Bedeutung der Elektroindustrie für die Branchen und ganze Volkswirtschaften digitale Transformation und deren Umset- grundlegend verändert. Aus Wertschöp- zungsstand wissenschaftlich untersucht. fungsketten werden digitale Wertschöp- Basis waren neben Sekundärdatenanalysen fungsnetze. Branchen wandeln sich grund- drei repräsentative Befragungen mit mehr legend, und es ist noch nicht ausgemacht, als 2.500 Befragten: erstens der Mitglieds- welche Akteure an welchen Standorten die unternehmen des ZVEI, zweitens der Zuliefe- mit der Digitalisierung verbundenen hohen rer und Kunden der Elektroindustrie – d. h. Wertschöpfungspotenziale nutzen werden. Unternehmen des Verarbeitenden Gewerbes Es besteht jedoch die Gefahr eines Digital und industrienaher Dienstleistungen – im Divide mit wenigen Großunternehmen auf Rahmen des IW-Zukunftspanels sowie drit- der einen Seite, die durch eine intensive tens Ergebnisse der Erhebung „Modernisie- Nutzung der Digitalisierung gekennzeichnet rung der Produktion“ des Fraunhofer ISI. sind. Auf der anderen Seite steht eine große Zahl an kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) deutlich entfernt von digitalen Pro- Ergebnisse von Standortbestimmung dukten, Prozessen oder Geschäftsmodellen. und Ausblick Die Digitalisierung ist in der Elektroindus- Vor diesem Hintergrund werden in der hier trie als digitaler Leitbranche im Vergleich vorgelegten Studie eine Standortbestim- mit der deutschen Wirtschaft insgesamt mung und ein Ausblick für die deutsche sowohl in der Umsetzung als auch in der Elektroindustrie auf Basis einer repräsenta- strategischen Ausrichtung weiter entwickelt. tiven Befragung der Mitgliedsunternehmen Als Anwender der Digitalisierung besitzt die des ZVEI vorgenommen und Handlungs- Elektroindustrie im Digital Index einen dop- empfehlungen für die Branche sowie für die pelt so hohen Indexwert wie die Gesamt- Gestaltung der politischen Rahmenbedin- wirtschaft. Mit im Vergleich zu anderen gungen formuliert. Branchen hohen Nutzeranteilen bei digi- talen Technologien und Geschäftsmodellen Dabei wird deutlich, dass die Digitalisie- ist die Elektroindustrie einer der führenden rung kein Selbstläufer ist und ein hohes Anwender im Verarbeitenden Gewerbe. So disruptives Potenzial besitzt. Die mit der nutzen derzeit bereits 90 Prozent der Unter- Digitalisierung verbundenen Chancen müs- nehmen Smart Processes, zwei Drittel nut- sen daher bewusst ergriffen und strategisch zen Smart Products und die Hälfte Smart angegangen werden. Dazu ist Gestaltungs- Services. wille in den Unternehmen, in der Politik, in der Wissenschaft und in der Gesellschaft Gleichwohl steht auch die Elektroindustrie notwendig. Die Unternehmen werden die als Anbieter digitaler Produkte und Services digitale Transformation nicht allein bewäl- erst am Anfang. Derzeit erwirtschaftet die tigen können, sondern sind auf die Unter- Branche erst etwas mehr als 20 Prozent ihrer stützung insbesondere der Politik und der Umsätze mit digitalen oder digital veredel- Gesellschaft angewiesen. ten Produkten oder Dienstleistungen. Dabei 4
stehen mit einem Umsatzanteil von 15 Pro- Die Elektroindustrie besitzt eine zentrale zent v. a. Smart Products im Mittelpunkt der Bedeutung für die Wertschöpfungsnetze in digitalen Angebote der Unternehmen. Neue Deutschland und weltweit: Als Drehschei- Geschäftsmodelle und Dienstleistungsange- ben-Industrie und Enabler liefert sie mit bote, in denen besonders hohe Wertschöp- 25 Milliarden Euro die höchsten Vorleistun- fungspotenziale erwartet werden, stehen gen in andere Branchen (Vergleich Chemie hingegen noch ganz am Anfang. (ohne Pharma): 17 Milliarden). Dadurch vernetzt sie global Märkte und trägt dazu Die Elektroindustrie ist (nach dem Fahr- bei, dass die Produkte der Zuliefererindus- zeugbau) die Branche mit den zweithöchs- trien weltweit abgesetzt werden. In Kombi- ten FuE-Aufwendungen in Deutschland. nation mit der hohen Innovationsintensität Mit 15,5 Milliarden Euro stammte 2015 wird die Elektroindustrie damit zu einer ein Viertel aller FuE-Aufwendungen der der wichtigsten Quellen von Wissens- und Industrie hierzulande aus der Elektroindus- Technologieimpulsen für die gesamte Wirt- trie. Für die Digitalisierung der gesamten schaft. Ein Großteil der Innovationsleistung Wirtschaft sind es gerade die forschungs- der Elektroindustrie kommt de facto ande- intensiven Teilbereiche wie bspw. Halb- ren Branchen zugute – auch und gerade im leiter, Sensoren oder Aktoren, mit denen Bereich der Digitalisierung. Weltweit gibt es die Elektroindustrie zur Weiterentwicklung keine andere Branche, deren Technologien des Standorts Deutschland beiträgt. Auch so stark mit anderen Technologiefeldern die Innovationsintensität der Branche ist vernetzt sind wie die Elektroindustrie. überdurchschnittlich hoch: Gemessen am Umsatz liegen die Aufwendungen für Pro- Herausforderungen und dukt- und Prozessinnovationen doppelt so Handlungsempfehlungen hoch wie im Verarbeitenden Gewerbe und Die künftige internationale Wettbewerbsfä- mehr als dreieinhalbmal so hoch wie in der higkeit der Elektroindustrie als Leitbranche Gesamtwirtschaft. der Digitalisierung wird in hohem Maße davon abhängen, dass die nachfolgend 40 Prozent aller in Deutschland angemel- genannten Herausforderungen von Wirt- deten transnationalen Patente stammen aus schaft, Gesellschaft und Politik gemeinsam der Elektroindustrie. In Schlüsseltechnolo- gemeistert werden. Die ersten drei ergeben gien wie digitalen Kommunikationstechno- sich direkt aus der Befragung der ZVEI-Mit- logien, Bildgebung, Mikro- und Nanoelek- gliedsunternehmen, die weiteren Themen tronik, Leistungselektronik und industri- aus den Ergebnissen dieser Studie. ellen Anwendungen (Sensoren, Aktoren, Maschinensteuerungen) stammen deutlich mehr als die Hälfte der Patente deutscher Unternehmen aus der Elektroindustrie. Zu den sogenannten computerimplementierten Erfindungen (CIE) in Deutschland trägt die Elektroindustrie rund 60 Prozent bei. 5
Executive Summary Die Studie zeigt Handlungsbedarf für Unter- nehmen, Politik und Wissenschaft in sieben Feldern auf: 1. Fachwissen bereitstellen 4. Schlüsseltechnologien stärken • Digitale Kompetenzen über die gesamte • Besonderer Handlungsbedarf besteht bei Bildungskette ausbauen Netzkommunikation und Datenanalyse • Aufwertung der Digitalisierung in den wie auch bei Mikroelektronik, Sensorik, Fachdidaktiken sowie in der Aus- und Aktorik und Embedded Software Fortbildung der Lehrer • Regelmäßiges Kompetenzmonitoring • Ausbau von international ausgerichteten 2. Datensicherheit gewährleisten FuE-Forschungsschwerpunkten z. B. in • Datensicherheit fördern auf Basis von den Bereichen Netzkommunikation und „Security by Design“-Ansätzen Datenanalyse • Aufbau von Plattformen zur IT-Sicher- heit, um die Verbreitung von geeigneten 5. Wertschöpfungspotenziale Lösungen zu unterstützen weiter heben • Teilnahme an internationaler Standardi- • Entwicklung digitaler Angebote in der sierung strategischen Unternehmensplanung aus- bauen, v. a. bei neuen Geschäftsmodellen 3. Breitband flächendeckend und Smart Services leistungsfähig machen • Datengetriebene Innovationen stärker • Kommunikationsinfrastrukturen auf die unterstützen: Datennutzungsrechte klä- Qualitätsanforderungen der industriellen ren, um Potenziale bei datenbasierten Anwendungsfelder ausrichten (Industrie- Dienstleistungen (z. B. Nutzung von tauglichkeit: Latenz, Symmetrie, Stabili- Maschinendaten) zu heben; gleichzei- tät etc.) tig Vermeidung innovationshemmender • Technologieneutraler Ausbau bei Festnetz Regulierungen für datenbasierte Dienste und Mobilfunk • Regulative Widersprüche bei Richtlinien • Zusätzliche Investitionsprojekte fördern wie der Funkanlagen-, der Fahrzeug-, der und als öffentlich-private Partnerschaften Maschinen- oder der Niederspannungs- (PPP) aufbauen richtlinie beseitigen • Wertschöpfungsnetzwerke aufbauen und KMU mitnehmen; • Angemessene Erhöhung der FuE-Auf- wendungen sowohl der Unternehmen als auch des Staates (s. Punkt 6) 6
6. Forschungs- und 7. Volkswirtschaftliche Indikatorik Innovationspolitik neu denken weiterentwickeln • Breiteren Innovationsbegriff zugrunde • Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung, In- legen, digitale Geschäftsmodellentwick- dikatoren und Kennzahlen weiterent- lung bzw. Smart Services stärker berück- wickeln, damit sie auch im Zeitalter sichtigen der Digitalisierung die Bedeutung der • Engere Koordination zwischen Ressorts Branchen im Wirtschaftsgefüge adäquat in Bezug auf Querschnitts- und Schlüs- widerspiegeln selthemen • Investitionen weit fassen: über die • Förderinstrumentarium um steuerliche „klassischen“ Ausrüstungsinvestitionen Förderung von forschenden Unternehmen hinaus auch FuE-, Innovations- und Bil- ergänzen dungsaufwendungen sowie Investitionen • Kohärenz und Transparenz der staatlichen in nicht tangible Assets bzw. Wissens-/ Förderung steigern und diese konsequent Humankapital, Software und Prozesse etc. an der Hightech-Strategie ausrichten berücksichtigen („erweiterter Investiti- • Digitale Schlüsseltechnologien mit kriti- onsbegriff“) scher Masse fördern, Aufbau von Exzel- lenzzentren fortführen sowie themenof- fene Förderangebote stärken • ZIM weiterentwickeln: marktnahe Inno- vationsaktivitäten stärker fördern, insbe- sondere die Netzwerkförderung von Groß- unternehmen und KMU • Wissensnetzwerke stärken: Kompetenz- zentren nach dem Vorbild der Industrie- 4.0-Kompetenzzentren auch für andere Schlüsselmärkte ausbauen 7
1. EINLeitung Kaum ein Thema wird derzeit in Politik und Der digitale Wandel, wie er derzeit weltweit Wirtschaft mehr diskutiert als die Digitali- in industrialisierten Ländern stattfindet, sierung. Die Digitalisierung ist ein Quer- unterscheidet sich von Veränderungspro- schnittsphänomen, das alle Branchen und zessen früherer Dekaden deutlich. Neue Märkte von der Industrie bis zu Dienst- Dienstleistungen und neue Geschäftsmo- leistungen betrifft und nicht selten völlig delle werden auf Basis von digital vernetz- neue Geschäftsmodelle hervorbringt. Aller- ten Technologien entwickelt. Erzeugnisse dings befindet sich die deutliche Mehrheit der Elektroindustrie, von der Elektronik der deutschen Unternehmen noch in der bis zur industriellen Software, spielen hier Startphase: Mit der Umsetzung haben erst eine wesentliche Rolle als Enabler. Entspre- wenige Unternehmen begonnen. chend dynamisch entwickeln sich die digi- talen Leitmärkte der Elektroindustrie, die Der globale Wettbewerb um die digitalen von Energie über Wohnen, Gesundheit und Märkte der Zukunft ist noch nicht entschie- Mobilität bis hin zu Fabrik- und Prozessau- den. Die Unternehmen können im globalen tomatisierung (Industrie 4.0) reichen. Wettlauf um die Digitalisierung gleichwohl nur dann bestehen, wenn die Politik diesen Mit Blick auf die Elektroindustrie zeigt mit den richtigen Maßnahmen flankiert. die Studie auf, wie wichtig diese Branche Aber auch die Unternehmen selbst stehen sowohl als Anbieter als auch als Anwender vor der Herausforderung, die Digitalisie- für den Erfolg der digitalen Transforma- rung strategisch einzubinden und ihre tion Deutschlands ist. Die Ergebnisse zei- Geschäftsmodelle weiterzuentwickeln. gen, dass die Elektroindustrie vielfältige Impulse generiert und als Leitbranche der In dieser Studie wird beleuchtet, Digitalisierung betrachtet werden muss. Die • wo die deutsche Wirtschaft bei der digita- Technologien der Elektroindustrie stecken len Transformation steht, in vielen Produkten anderer Branchen. So • welche Treiber wesentlichen Einfluss stammt jede dritte Innovation in der Indus- haben, trie aus der Elektroindustrie – und in moder- • welche Hemmnisse bremsen und nen Automobilen bauen sogar vier von fünf • welche Handlungsempfehlungen abzulei- Innovationen auf diesen Technologien auf.1 ten sind. Als roter Faden dient dabei die Rolle der Elektroindustrie als Leitbranche der digita- len Transformation. 1 Sebastian Schmidt: Infineon setzt auf Internet der Dinge, Börsen-Zeitung, 25.08.2015. 8
Um die Studie empirisch zu validieren, Es bedarf deshalb eines erweiterten Sets an wurden Ergebnisse dreier groß angelegter Indikatoren, um das notwenige Umdenken Befragungen berücksichtigt: in der Wirtschafts- und Innovationspolitik • Erstens wurden die ZVEI-Mitgliedsunter- zu unterstützen. nehmen eigens für diese Studie befragt, • zweitens wurden andere Unternehmen Der hier vorliegende Bericht hat zum Ziel, des Verarbeitenden Gewerbes und indus- die mit der Digitalisierung einhergehen- trienaher Dienstleistungen im Rahmen den Veränderungen im industriellen Kon- des IW-Zukunftspanels zu den hier adres- text darzustellen. Das Kapitel 2 beschäftigt sierten Themen befragt, sich mit dem Megatrend der Digitalisie- • drittens wurden Ergebnisse der Erhebung rung, führt die grundlegenden Definitionen „Modernisierung der Produktion“ des ein, zeigt den Stand der digitalen Trans- Fraunhofer ISI mit aufgenommen. formation der deutschen Wirtschaft und benennt wesentliche Hemmnisse. Kapitel 3 Die Digitalisierung stellt aber auch die analysiert die Bedeutung der Elektroindus- ökonomische Forschung vor große Heraus- trie als wissensintensive, aber oft unter- forderungen, denn es werden neue Fakto- schätzte Branche, die wesentlich zum Erfolg ren relevant, die bisher nicht erfasst wer- des industriegeprägten „Geschäftsmodells den oder derzeit gar nicht erfassbar sind. Deutschland“ beiträgt. In Kapitel 4 wird Zwar werden klassische Indikatoren wie die diese Sichtweise erweitert und die Rolle der Ausgaben für Forschung und Entwicklung, Elektroindustrie als Technologiegeber in den Patente oder auch Hochtechnologieexporte Wertschöpfungsnetzwerken betont. In dem weiterhin wichtig bleiben, Technologien anschließenden Kapitel 5 wird die Rolle der sind jedoch in Zukunft noch mehr als bis- Elektroindustrie als Leit- und Schlüsselbran- her zwar notwendige, aber keineswegs che der Digitalisierung analysiert und ihre mehr hinreichende Voraussetzung. Neue Vorreiterrolle gezeigt. Abschließend werden Geschäftsmodelle und Dienstleistungsin- aus diesen Befunden Handlungsempfehlun- novationen stammen nicht aus formalen gen sowohl für die Wirtschaft als auch für Forschungs- und Entwicklungsprozessen in die politischen Entscheidungsträger abge- Forschungsabteilungen von Unternehmen, leitet. sondern werden kundenorientiert und teil- weise auch gemeinsam mit dem Kunden vorangetrieben. Somit entsteht ein Erfas- sungsproblem, das mit klassischen Indika- toren alleine nicht behoben werden kann. 9
2. Megatrend Digitalisierung Die Digitalisierung entfaltet große Chan- Über die Hälfte der Berichte über Themen cen für die Unternehmen. 85 Prozent der wie Industrie 4.0 fallen positiv aus, nur Unternehmen in Deutschland halten die vier Prozent haben einen negativen Tenor Digitalisierung für wichtig (BMWi 2016). (Sonderauswertung der IW Consult via Die digitale Transformation findet in umfas- ubermetrics, 2016). Die Digitalisierung ist sender Art und Weise statt – Produkte, Pro- ein Zukunftsthema, das als Chance für den zesse und Geschäftsmodelle erfahren einen Industriestandort Deutschland begriffen radikalen Wandel. Gleichwohl stehen die wird. Das zeigen einschlägige Untersuchun- meisten Unternehmen bei der digitalen gen ( u. a. ZEW 2016): Transformation noch in den Startlöchern. • 85 Prozent der Unternehmen in Deutsch- Deshalb müssen Hemmnisse überwunden land halten die Digitalisierung für wich- werden, um die Chancen vollständig zur tig. Entfaltung zu bringen. Hemmnisse wie feh- • Zwei Drittel der deutschen Industrieun- lendes Fachwissen, mangelndes Vertrauen ternehmen wollen durch Industrie 4.0 in die Datensicherheit oder eine unzuläng- ihre Effizienz und Umsätze erhöhen. liche Breitbandversorgung erschweren eine • Jedes vierte Unternehmen im Verarbei- erfolgreiche Transformation. tenden Gewerbe investierte 2015 mehr als zehn Prozent des Umsatzes in Digitali- sierungsprojekte. 2.1 Chancen der Digitalisierung Die Digitalisierung verändert die Welt Viele Studien weisen auf die hohen Wert- in rasantem Tempo. Sie durchdringt alle schöpfungseffekte hin: Lebenswelten. Unternehmen, Verbände, • Analysten von Roland Berger (2015) Wissenschaft und Politik beschäftigen sehen in der Digitalisierung bis 2025 ein sich immer stärker mit diesem Megatrend. Potenzial von insgesamt 1,25 Billionen Auch in der Medienwelt nimmt die Digita- Euro für die europäische Industrie. lisierung immer breiteren Raum ein. Die • Eine Metastudie des Bundeswirtschafts- Meldungen in Onlinemedien dazu sind ministeriums (Wischmann et al. 2015) sprunghaft gestiegen. Im September 2016 schätzt den Effekt von Industrie 4.0 für wurden fünfmal so viele Artikel mit dem Deutschland in den nächsten fünf Jahren Begriff Digitalisierung gesucht wie noch im auf ein zusätzliches Prozent des BIP pro September 2011. Jahr. 10
Abb. 1: Aufmerksamkeit für Digitalisierung in den Onlinemedien 100 90 80 70 60 50 40 30 20 10 Die Werte geben das Suchinteresse relativ zum höchsten Punkt 0 im Diagramm im festgelegten 11 12 13 12 14 13 14 15 16 15 16 /20 /20 /20 /20 /20 /20 /20 /20 /20 /20 /20 Zeitraum an. Der Wert 100 steht /01 /01 /01 /01 /01 /01 /01 /01 /01 /01 /01 für die höchste Beliebtheit dieses 09 09 09 03 09 03 03 03 03 09 09 Suchbegriffs. Der Wert 50 bedeutet, Quelle: Sonderauswertung der IW Consult via Google Trends (2016) dass der Begriff halb so beliebt ist. Digitalisierung ist aber kein Selbstläufer Unter Digitalisierung wird die Sammlung, und hat ein hohes disruptives Potenzial. Verdichtung, Analyse, Weiterverarbeitung Damit einher geht die Gefahr, dass Deutsch- und Weitergabe von Daten verstanden, land den Anschluss bei der Digitalisierung und im erweiterten Sinne auch die da- international (weiter) verliert und auch rauf basierende automatisierte Ableitung die industriellen Kernmärkte wie der Fahr- und Umsetzung von Entscheidungen (z. B. zeug- oder der Maschinenbau durch agilere autonom agierende Maschinen im Wert- Wettbewerber aus den USA und Asien unter schöpfungsnetzwerk). So sachlich richtig starken Wettbewerbsdruck geraten. diese Definition ist, so wenig hilft sie bei der Abschätzung der ökonomischen Potenzi- Auch müssen die mit der Digitalisierung ale. Auch alle Versuche, die Digitalisierung einhergehenden Chancen erst noch geho- als ein Branchenkonzept (etwa IKT-Branche ben werden. Dazu ist in den Unternehmen, plus Internetwirtschaft) zu verstehen, grei- in der Politik, in der Wissenschaft und der fen zu kurz. Digitalisierung ist ein Quer- Gesellschaft Gestaltungswille notwendig. schnittsphänomen, das alle Unternehmen, Die Elektroindustrie hat dabei eine Schlüs- Branchen, Märkte, Prozesse, Produkte und selrolle – sie leistet entscheidende Beiträge Technologien berührt. durch die Ausrüstung aller Branchen mit digitalen Technologien. Zwei wesentliche technische Entwicklungen treiben die Digitalisierung der Wirtschaft: Digitalisierung im Kontext der • Das ist erstens die Vernetzung von Men- Elektroindustrie schen und Maschinen durch das Internet Bevor diese Schlüsselrolle der Elektroindus- vermittels alter und neuer Kommuni- trie in den nächsten Kapiteln eingehend kationstechnologien. Sie erlaubt neue analysiert wird, soll zunächst erläutert wer- Formen der Kommunikation, der Interak- den, welches Konzept der Digitalisierung tion und der Arbeitsteilung. Die nahezu dieser Studie zugrunde liegt. Das ist not- grenzenlose Vernetzung generiert eine wendig, weil die Digitalisierung durch ihre Fülle von Daten, deren Auswertung und begriffliche Weite eine Unschärfe hat. Nutzung zu neuen Geschäftsmodellen und Services mit hohem ökonomischem Potenzial führt. Der wichtigste Rohstoff dieser neuen Geschäftsmodelle sind Daten. 11
Abb. 2: Dimensionen der Digitalisierung Physisch Virtuell IV. I. Prozessebene Smart Integration Smart Operations Vernetzte Produktion Virtualisierte Prozesse (Factory/Plant, Energienetze, und Steuerungen Infrastruktur, Maschinen und (Software und Anlagen, Cyber-physische Datenmanagement) Systeme) Smart Services Produktionsebene Vernetzte Smart Products Vernetzte Lieferanten Vernetzte Produkte auf der Datenbasierte und vernetzte Kunden Hersteller-Kunden-Ebene Dienstleistungen (Komponenten und Endgeräte) (Apps und Analysen) III. II. Smart Markets / digitale Geschäftsmodelle Quelle: IW Consult; eigene Darstellung • Zweitens entstehen verbesserte Fähig- Smart Products: Darunter sind physisch- keiten, Prozesse mit Algorithmen zu materielle Produkte zu verstehen, die über beschreiben und zu simulieren und damit Sensoren und Aktoren eine Beobachtung „digitale Zwillinge“ der physischen Welt und Steuerung in der Nutzungsphase des zu schaffen. Neben der Vernetzung liegt Produkts beim Kunden zulassen. Herstel- in dieser Virtualisierung von Produkten ler und Verbraucher bleiben so über den und Prozessen das eigentliche disruptive gesamten Lebenszyklus verbunden. Indus- Potenzial der Digitalisierung. trienahe Dienstleistungen bekommen in digitalen Geschäftsmodellen eine ganz Die Zielrichtung ist klar: Wir sind auf dem neue Dimension. Weg zu einer Datenökonomie, weil nahezu alles mit Datenmodellen beschrieben und Smart Operations: Hier geht es um die in Echtzeit bereitgestellt werden kann. Virtualisierung von physischen Prozes- Diese technische Dimension der Digitalisie- sen – also um die Modellierung durch die rung lässt sich gut fassen, wenn zwischen zuvor genannten digitalen Schatten oder der Produkt- und der Prozessebene einer- Zwillinge. Dadurch können Planungs- und seits sowie zwischen der physischen und der Steuerungsprozesse optimiert werden, weil virtuellen Welt andererseits unterschieden Simulationen und die Suche nach besseren wird (Abbildung 2). Daraus ergeben sich Lösungen einfacher werden. Das gilt für die vier Felder: innerbetriebliche Ebene (Verbindung von Shop Floor und Office Floor) genauso wie für Smart Integration: Dazu zählen z. B. in der Interaktionen mit Zulieferern und Kunden. Produktion Anlagen und Maschinen, die in Dabei werden umfangreiche Datenerfas- datengestützten Cyber-Physischen Syste- sungssysteme, moderne Auswertungs- und men gesteuert werden. Das ist eine Fortent- Analysetechniken und Softwarelösungen wicklung der klassischen Automatisierungs- eingesetzt. So können beispielsweise Ent- technik und Robotik, deren Möglichkeiten wicklungsingenieure sehr frühzeitig Schwä- durch innerbetriebliche und betriebsüber- chen und Entwicklungspotenziale in den greifende Vernetzungen deutlich erweitert Systemen erkennen. Mithilfe von Algorith- werden. Am Ende werden selbst lernende men lassen sich auch mögliche Ausfälle von und sich steuernde Prozesse in Echtzeit- Maschinen voraussagen. Logistiker können Wertschöpfungsnetzen stehen. Gleiches gilt Routen ihrer Transportfahrzeuge auf Basis analog für andere industrielle Domänen, von Verkehrs- und Bedarfsdaten in Echtzeit etwa die Gebäudetechnik oder die Energie- steuern. wirtschaft. 12
Smart Services: Smart Services sind umfas- 2.2 Stand der Digitalisierung sende, digital unterstützte Dienstleistungen Die Analyse zeigt, dass die Digitalisierung zu Produkten oder Systemen über den gan- für die Unternehmen der Elektroindustrie zen Lebenszyklus, inklusive vorausschau- ein positiv besetztes Chancenthema ist. Wie ender Wartung, Upgrades etc. Dazu gehört sieht es aber mit dem Stand der Umsetzung ein breites Dienstleistungsspektrum, das der Digitalisierung in den Unternehmen von Onlineshops, Apps, Softwarelösungen, aus? Mit dieser Frage beschäftigt sich dieses Streaming-Diensten bis zu den oben er- Kapitel. Dabei werden Befragungsergeb- wähnten produktbezogenen After-Sales- nisse zum Digitalanteil im Produktprogramm Dienstleistungen reicht. der Unternehmen der Elektroindustrie, ein Industrie 4.0 Readiness Check der Unter- Diese vier Bausteine als solche gibt es in nehmen, der Digital Index der IW Consult unterschiedlichen Ausprägungen schon und die Erhebung „Modernisierung der recht lange. Neu an der Digitalisierung Produktion“ des Fraunhofer ISI, in der die ist, dass sie über die gesamten Prozesse Nutzung und die Planung des Produzieren- in den Unternehmen, zwischen Unterneh- den Gewerbes von Industrie-4.0-ähnlichen men und mit Kunden vernetzt sind – Wert- Technologien beleuchtet werden, verwendet. schöpfungsketten werden zu Wertschöp- fungsnetzwerken. Am Ende stehen digitale Für die vorliegende Studie wurden im Juni Geschäftsmodelle und die Entwicklung und Juli 2016 zwei empirische Erhebungen neuer datenbasierter Märkte. Auf diesen durchgeführt. Erstens haben im Rahmen Märkten haben Plattformen eine beson- eines Surveys 132 Mitgliedsunternehmen dere Bedeutung. Dort können Marktaktivi- des ZVEI an einer Befragung teilgenom- täten zu sehr niedrigen Transaktionskosten men. Davon haben 63 Unternehmen bis zu und mit hoher Skalierung durchgeführt 499 Mitarbeiter und 69 Unternehmen werden. Ökonomisch betrachtet sind diese 500 Mitarbeiter oder mehr. Zweitens nah- Plattformmärkte eines der konstituierenden men im Rahmen des IW-Zukunftspanels Merkmale der Digitalisierung, die disrup- 1.120 Unternehmen des Verarbeitenden tive Effekte entfalten. Gewerbes (ohne Elektroindustrie) und der industrienahen Dienstleistungen an einer Wie wichtig die Elektroindustrie für die Di- Befragung teil. 979 dieser Unternehmen gitalisierung ist, zeigt ein Blick auf das Pro- beschäftigen maximal 499 Mitarbeiter, 141 duktprogramm der Branche. Viele dieser Unternehmen 500 Mitarbeiter oder mehr. Angebote stellen eine grundlegende Voraus- Die Befragungsergebnisse wurden umsatz- setzung dar, um überhaupt Produkte und gewichtet hochgerechnet – große Unterneh- Prozesse digitalisieren zu können. Abbil- men werden damit angemessen berücksich- dung 3 illustriert dies mit einigen Beispielen. tigt – und haben repräsentativen Charakter. Abb. 3: Digitale Angebote der Elektroindustrie Systemintegration für vernetzte Systeme ERP/MES/MOM Technologien für sichere CAD/CAM Mensch-Maschine- Digitaler Austausch Interaktion von Dispositionsdaten Smart Smart Integration Operations Vernetzung Smart Smart Definitionen: Digital veredelte, Products Services vernetzte Produkte Remote / ERP = Enterprise Resource Planning; für die Leitmärkte Energie, predicitve maintenance MES = Manufacturing Execution System; Mobilität, Gebäude, Gesundheit und Product-Lifecycle-Management MOM = Manufacturing Operations Fabrik- und Prozessautomation Datenbasierte Geschäftsmodelle Management; CAD = Computer-Aided Design; Quelle: IW Consult; eigene Darstellung CAM = Computer-Aided Manufacturing 13
Tab. 1: Umsätze mit digitalen Produkten und Dienstleistungen Elektroindustrie KMU 2) Große3) Gesamt Smart Products1) 11,8 18,4 15,3 Smart Processes1) 1,2 1,1 1,1 Smart Integration1) 1,1 3,2 2,2 Smart Services1) 1,2 2,4 1,8 Digitale Angebote 15,3 25,1 20,4 Konventionelle Angebote 84,7 74,9 79,6 Umsatzanteile für 2016 in Prozent 1) Siehe Quadranten in Abbildung 2; 2) Unternehmen mit bis zu 500 Beschäftigten; 3) Mehr als 500 Beschäftigte; umsatzgewichtete Ergebnisse Der beste Maßstab zur Messung des Umset- das Betreiben von Webshops oder Social zungsstands der Digitalisierung sind die Media. Eine Onlinepräsenz, auf der digitale Umsätze mit digitalen Produkten und Begriffe zu finden sind, ist ein erstes Maß Dienstleistungen. Da es dazu keine statisti- für den Umgang mit digitalen Themen im schen Daten gibt, wurden diese im Rahmen Unternehmen. der Befragung der ZVEI-Unternehmen erho- ben. Dabei lag die Definition zugrunde, wie Die Onlineaktivitäten, die Modernität sie im vorigen Kapitel eingeführt wurde. der eingesetzten Webtechnologien und die Vernetzung im Web können mit dem Der Umsatzanteil mit digitalen Produk- Digital Index der IW Consult gemessen ten und Dienstleistungen liegt erst bei werden (s. IHK Köln/Stadt Köln, Startup 20,4 Prozent. Den mit Abstand größten Region Köln, 2016). Basis der Analyse Bereich machen die Smart Products mit sind alle rund 2,8 Millionen Online- 15,3 Prozent aus. Die anderen drei Berei- auftritte deutscher Unternehmen. Dies che, die auf Systemintegration, Prozesse kommt einer Vollerhebung gleich. In und Dienstleistungen fokussieren, tragen acht Clustern wie Social Media, Mobile, lediglich 5,1 Prozent zum Gesamtumsatz Digital Topics oder Traffic werden rund bei. Die Elektroindustrie ist also in ihrem 10.000 Merkmale bewertet. Die schiere Kernbereich – dem Verkauf von Produkten – Datenmenge ermöglicht Analysen in weiter fortgeschritten. Die Nutzung der sich höchster Granularität. Diese Informa- aus der Digitalisierung ergebenden Poten- tionen gehen in einen Index ein, der ziale für die Prozessoptimierung und die für jedes Unternehmen in Deutschland Entwicklung neuer Geschäftsmodelle steht definiert ist. Der Index wird von 0 Punk- dagegen noch ganz am Anfang. ten (nicht digitalisiert) bis 100 Punkten (vollständig digitalisiert) skaliert. Auch sind deutliche Unterschiede zwischen Unternehmensgrößenklassen zu beobach- Abbildung 4 zeigt den Hauptbefund: Die ten. Während in kleinen Unternehmen erst deutsche Wirtschaft steht bei der Digitali- insgesamt 15,3 Prozent des Umsatzes mit sierung vielfach noch am Anfang. Mit einem digitalen Produkten und Dienstleistungen durchschnittlichen Punktwert von 4,8 sind erzielt werden, liegt der Anteil bei großen deutsche Unternehmen heute noch schwach Unternehmen bereits bei 25,1 Prozent. digitalisiert. Die Elektroindustrie als digi- Auch hier zeigt sich ein Vorsprung der Groß- tale Querschnittsbranche liegt mit einem unternehmen. Indexwert von durchschnittlich 10,2 Punk- ten auf einem mehr als doppelt so hohen Um die vollständigen Digitalisierungspo- Niveau. Im Vergleich zum Verarbeitenden tenziale erschließen zu können, ist eine Gewerbe liegt der Vorsprung bei über drei hohe digitale Reife im gesamten Unterneh- Punkten. Gleichwohl steht auch die Elektro- men notwendig. Darunter fallen zunehmend industrie noch am Anfang. auch im B2B-Bereich Onlineaktivitäten wie 14
Abb. 4: Digital Index nach Branchen 1. Halbjahr, 2016; Branchenmittelwerte in Punkten auf einer Skala von 0 bis 100 12 10,2 10 8 7,0 6 4,8 4 2 0 Gesamtwirtschaft Verarbeitendes Gewerbe Elektroindustrie Quelle:IW Consult, beDirect, DATAlovers (2016) Der Vorsprung der Elektroindustrie zeigt Abbildung 6 zeigt, wo diese 20 Prozent sich auch in der Verteilung (Abbildung 5): vornehmlich zu suchen sind. Während die Fünf Prozent dieser Unternehmen erreichen Unternehmen mit weniger als 250 Mitarbei- einen Indexwert von mindestens 33 Punk- tern einen Indexwert von 9,9 Punkten errei- ten und zählen damit zu den Pionieren der chen, liegen die großen Unternehmen mit Digitalisierung. Gesamtwirtschaftlich errei- 5.000 Mitarbeitern und mehr bereits bei chen nur 1,4 Prozent aller Unternehmen 38,9 Punkten. Je größer ein Unternehmen diesen Schwellenwert. Lediglich rund 20 ist, desto mehr investiert es in sein „digita- Prozent der Unternehmen in der Elektroin- les Gesicht“. Dadurch werden diese Unter- dustrie besitzen einen digitalen Reifegrad nehmen automatisch auch digital wahr- von null Punkten. Das sind deutlich weniger genommen. Kleine Unternehmen müssen als in der gesamten Wirtschaft (57 Prozent). hier aufholen, um von den Möglichkeiten Insbesondere die Unternehmen mit null der Digitalisierung umfassend profitieren Punkten haben Handlungsbedarf. zu können, auch wenn sie ebenfalls schon deutlich weiter sind als die kleinen Unter- nehmen aus anderen Branchen. Abb. 5: Verteilung des Digital Index 1. Halbjahr, 2016; Punkte auf einer Skala von 0 bis 100 80 n Elektroindustrie 70 n Gesamtwirtschaft 60 50 40 30 20 10 0 0 5 10 15 20 25 30 35 40 45 50 55 60 65 75 80 85 90 95 100 Quelle: IW Consult, beDirect, DATAlovers (2016) 15
Abb. 6: Digital Index – Elektroindustrie nach Größenklassen, 1. Halbjahr, 2016; Größenklassenmittelwerte in Punkten auf einer Skala von 0 bis 100 45 Elektroindustrie 38,9 40 Verarbeitendes Gewerbe 33,9 35 29,3 30 25,1 22,3 22,8 21,7 25 18,3 20 15 9,9 10 6,9 5 0 Unter 250 250 bis 499 500 bis 999 1.000 bis 4.999 5.000 und mehr Mitarbeiter Quelle: IW Consult, beDirect, DATAlovers (2016) Neben dem Digital Index lässt sich der Basis ist eine komplexe empirische Erhe- Digitalisierungsgrad von Unternehmen bung, in der die Unternehmen zu den auch über einen Industrie 4.0 Readiness vier bereits eingeführten Dimensionen Check bewerten. Dabei wird die Reife bei Smart Products, Smart Operations, Smart Industrie-4.0-Aktivitäten ermittelt. Der Services sowie Smart Integration Aussa- Check, den die IW Consult in Zusammen- gen treffen müssen. Darüber hinaus arbeit mit dem Forschungsinstitut für werden noch die beiden Dimensionen Rationalisierung (FIR) e. V. an der RWTH Strategie und Mitarbeiter berücksichtigt. Aachen entwickelt hat, gibt Unterneh- Die Unternehmen werden auf Basis von men die Möglichkeit, ihren derzeitigen Selbstangaben auf einer Skala von null Entwicklungsstand zu erfahren und mit (Außenstehender) bis fünf (Exzellenz) anderen Unternehmen zu vergleichen. Er hinsichtlich ihres digitalen Reifegrads zeigt, dass die große Mehrheit der Unter- eingeordnet. Gleichzeitig erhalten sie nehmen bei der Implementierung von Handlungsempfehlungen, wie sie die Industrie 4.0 ebenfalls noch am Anfang jeweils nächste Stufe erreichen können. steht. Dieser Selbst-Check ist erreichbar unter http://www.industrie40-readiness.de. Abb. 7: Industrie 4.0 Readiness Check Anteile in Prozent / Anzahlgewichtete Ergebnisse 0,0 Exzellenz 0,0 Elektroindustrie 0,0 Verarbeitendes Gewerbe Experte 0,4 4,5 Erfahrener 2,9 22,4 Fortgeschrittener 13,4 31,1 Anfänger 28,3 42,0 Außenstehender 55,0 0 10 20 30 40 50 60 Quelle: IW Consult, FIR (2015); IW-Zukunftspanel, 26. Befragungswelle, Industrie 4.0 Readiness Check (2016) 16
Mehr als die Hälfte der Unternehmen des Um diese Ergebnisse zu konkretisieren, Verarbeitenden Gewerbes sehen sich noch wurde der aktuelle Verbreitungsgrad von als Außenstehende bei Industrie 4.0, knapp Industrie-4.0-affinen Technologien im Ver- ein Drittel als Anfänger. Insgesamt beschäf- arbeitenden Gewerbe analysiert. Es wur- tigen sich erst rund 15 Prozent der Unter- den insgesamt acht digitale Technolo- nehmen bereits intensiver mit Industrie gien erfasst, die als Voraussetzung für die 4.0. Die Elektroindustrie ist auch hier schon Anwendung und das Angebot einer digital einen Schritt weiter als das Verarbeitende vernetzten Produktion im Sinne der Indus- Gewerbe insgesamt, hier bezeichnet sich ein trie 4.0 dienen und die bereits heute in den deutlich größerer Teil als fortgeschritten. Betrieben Anwendung finden können (vgl. ausführlich Tabelle 2). Die repräsentative Befragung „Moder- nisierung der Produktion“ wird alle Konkret wurden die teilnehmenden Betriebe drei Jahre regelmäßig vom Fraunhofer der Erhebung befragt, ob sie entsprechende ISI durchgeführt und beleuchtet Fra- Technologien bereits einsetzen oder bis gen zur Wertschöpfung und Innovation 2018 einzusetzen gedenken bzw. in wel- in der Produktion. Die hier analysierte chem Umfang sie diese bereits einsetzen. Erhebungswelle fand im Jahr 2015 statt In Kombination mit der Betriebs- und Pro- und umfasst die Angaben von insgesamt duktionsstruktur sowie sektoralen Klassifi- 1.282 zufällig ausgewählten Betrieben. kation können mit diesen Daten strukturelle Sie bietet dabei ein repräsentatives Zusammenhänge für die Verbreitung der Abbild des Verarbeitenden Gewerbes in acht Technologien identifiziert werden. Deutschland hinsichtlich Größenklassen, Branchenstruktur und regionaler Vertei- In Abbildung 8 ist der Anteil der Betriebe lung. des Verarbeitenden Gewerbes dargestellt, die digitale Technologien entweder bereits Tab. 2: Digitale Technologien für den Einsatz in der Produktion Digitale Technologien für die Produktion aus Anwenderperspektive 1 IT-gestützte Produktionsplanung: Einsatz von Softwaresystemen zur Digitale Produktionsplanung und -steuerung (z. B. ERP-System) Management- systeme 2 IT-System für Product-Lifecycle-Management: Product-Lifecycle-Manage- mentsysteme (PLM) oder ggf. auch Produkt-Prozessdaten-Management 3 Mobiler/drahtloser Zugang zu Arbeitsanweisungen: Einsatz von digitalen Drahtlose Lösungen zum Bereitstellen und Nutzen von Zeichnungen, Arbeitsplänen Mensch- oder Arbeitsanweisungen direkt am Arbeitsplatz des Werkers Maschine- (z. B. Tablets, Smartphones) Kommunikation 4 Mobile/drahtlose Programmierung von Maschinen: Einsatz von mobilen/ drahtlosen Geräten zur Programmierung und Bedienung von Anlagen und Maschinen (z. B. Tablets) 5 Echtzeitnahes Produktionsleitsystem: Einsatz von echtzeitnahen Produk- Cyber-Physical- tionsleitsystemen (z. B. Systeme mit zentraler Maschinen-/Prozessdaten- Systems-nahe erfassung, MES) Prozesse 6 IT-System für Supply-Chain-Management: digitaler Datenaustausch mit Zulieferern bzw. Kunden (Supply-Chain-Managementsysteme) 7 IT-gestützte Steuerung der internen Logistik: Einsatz von Techniken zur Automatisierung und Steuerung der internen Logistik (z .B. Lagerverwal- tungssysteme, RFID) 8 Sichere Mensch-Maschine-Kooperation: Anwendung von Technologien für Mensch- eine sichere Mensch-Maschine-Kooperation (z. B. kooperative Roboter, Maschine- „zaunfreie“ Stationen etc.) Kooperation Quelle: Fraunhofer ISI; eigene Darstellung 17
einsetzen oder bis 2018 einsetzen wol- Noch ernüchternder wird das Ergebnis, len. Dabei zeigt sich, dass die jeweiligen wenn man die Nutzungsintensitäten der Techniken bisher stark unterschiedlich Technologien in den einzelnen Betrieben Verbreitung gefunden haben. So werden betrachtet (vgl. Abbildung 9). Lediglich Softwaresysteme zur Produktionsplanung beim Softwaresystem zur Produktionspla- und -steuerung bereits in zwei von drei nung und -steuerung geben 62 Prozent der Betrieben eingesetzt. Die CPS-nahen Pro- nutzenden Betriebe an, dass diese Technolo- zesse weisen Nutzeranteile zwischen 27 und gie auch in hohem Maße in ihrer Produktion 31 Prozent auf, die digitale Visualisierung eingesetzt wird. Bei allen anderen Technolo- kommt auf 33 Prozent. Alle anderen Tech- gien liegt die Nutzungsintensität im Schnitt niken weisen lediglich Anteile von deutlich deutlich darunter. Hier geben etwa zwischen unter 20 Prozent auf. Bei einem Blick auf 50 und 80 Prozent der Betriebe an, dass die den geplanten Einsatz bis 2018 lässt sich jeweilige Technologie nur in geringem oder außerdem erkennen, dass nicht von einer in mittlerem Maße zum Einsatz kommt. beschleunigenden Verbreitung bzw. einem überproportionalen Anstieg des Nutzeran- Bei einer kombinierten Betrachtung der teils in den nächsten Jahren ausgegangen Verbreitung und der Nutzungsintensitäten werden kann. So geben über alle Technolo- der digitalen Technologien lässt sich resü- gien hinweg lediglich fünf bis zehn Prozent mieren, dass lediglich Bruchteile an Betrie- der Betriebe an, in den nächsten drei Jah- ben im Verarbeitenden Gewerbe digitale ren die entsprechende digitale Technologie Technologien in relevantem Maße einset- in ihren Produktionsprozessen einsetzen zen. Die überwiegende Mehrheit derjenigen zu wollen. Von einer Digitalisierung in der Betriebe, bei denen diese Technologien zum Breite der industriellen Produktion kann Einsatz kommen, nutzen diese derzeit ledig- demnach derzeit nicht gesprochen werden. lich in geringem bis mittlerem Umfang. Abb. 8: Anwendung und geplante Anwendung digitaler Technologien im Verarbeitenden Gewerbe Nutzung Planung Softwaresysteme zur Produktions- 67 % 5,8 % planung und -steuerung Product Lifecycle 11 % 6% Digitale Managementsysteme Managementsysteme Digitale Visualisierung 33 % 9,9 % Geräte zur Programmierung und 19 % 8,1 % Drahtlose Mensch-Maschine- Kommunikation Bedienung von Anlagen und Maschinen Echtzeitnahes Produktionsleitsystem 27 % 9,8 % Digitaler Datenaustausch 31 % 4,7 % CPS-nahe Prozesse mit Kunden/Lieferanten Techniken zur Automatisierung und 30 % 9,5 % Steuerung der internen Logistik Technologien für sichere 3 % 4,6 % Mensch-Maschine-Kooperation Mensch-Maschine-Kooperation 0% Anteil Betriebe 80 % Quelle: Erhebung Modernisierung in der Produktion 2015, Fraunhofer ISI 18
Abb. 9: Nutzungsintensität der digitalen Technologien im Verarbeitenden Gewerbe niedrig mittel hoch Softwaresysteme zur Produktions- 8% 30 % 62 % planung und -steuerung Product-Lifecycle- 23 % 50 % Digitale Managementsysteme 27 % Managementsysteme Digitale Visualisierung 22 % 42 % 36 % Geräte zur Programmierung und 31 % 47 % 22 % Bedienung von Anlagen und Maschinen Echtzeitnahes Produktionsleitsystem 11 % 38 % 52 % Digitaler Datenaustausch 22 % 47 % 31 % mit Kunden/Lieferanten Techniken zur Automatisierung und 14 % 48 % 38 % Steuerung der internen Logistik Technologien für sichere 25 % 53 % 22 % Mensch-Maschine-Kooperation 0% Anteil Betriebe 100 % Quelle: Erhebung Modernisierung in der Produktion 2015, Fraunhofer ISI Entsprechend bleibt ein sehr großes Poten- kleine Betriebe mit bis zu 49 Beschäftigten zial hinsichtlich der weiteren Verbreitung am häufigsten gar keine oder nur eine oder und der Intensivierung digitaler Technolo- zwei der Technologien an. Betriebe mit 50 gien in der Produktion. bis zu 249 Beschäftigten setzen am ehesten drei oder vier der digitalen Technologien Der geringe Entwicklungsstand der digital ein, während große Betriebe mit mehr als vernetzten Produktion wird noch offen- 250 Beschäftigten ihre höchsten Anteile bei sichtlicher, wenn die Summe der digitalen der Gruppe von fünf oder mehr eingesetz- Technologien, die in einem Betrieb zum Ein- ten Technologien erreichen. Große Betriebe satz kommen, herangezogen wird. Fast ein scheinen also insgesamt einen deutlichen Viertel aller Betriebe (23 Prozent) des Ver- Vorsprung auf dem Weg in die digital ver- arbeitenden Gewerbes setzt demnach gar netzte Produktion gegenüber mittleren oder keine der acht digitalen Technologien ein. gar kleinen Betrieben zu haben. Weitere 38 Prozent setzen lediglich eine oder zwei der Technologien ein, 27 Prozent Durch diesen Größenzusammenhang kommt der Betriebe immerhin drei oder vier der es beim Anteil der Beschäftigten zu einer digitalen Technologien. Lediglich zwölf leichten Verschiebung zugunsten der obe- Prozent aller Industriebetriebe setzen mehr ren Stufen. Bezieht man die Beschäftigten- als fünf Technologien in ihrer Produktion zahlen der Betriebe in den jeweiligen Stu- gleichzeitig ein. fen mit ein, so sind noch zwölf Prozent aller Beschäftigten im Verarbeitenden Gewerbe Insbesondere zeigt sich dabei auch, dass in Betrieben tätig, die keinerlei digitale die Betriebsgröße einen entscheidenden Technologien einsetzen. 30 bzw. 35 Pro- Zusammenhang zur Anzahl der eingesetz- zent aller Beschäftigten sind in den beiden ten Technologien aufweist. So wenden mittleren Stufen zu finden, während dann 19
immerhin 23 Prozent aller Beschäftigten stoffindustrie, eingesetzt. Digitale Manage- des Verarbeitenden Gewerbes in Betrieben mentsysteme oder drahtlose Mensch- arbeiten, die sich in der höchsten Stufe Maschine-Kommunikationstechniken kom- befinden. men hingegen insbesondere im Maschi- Abb. 10: Verbreitung digitaler Technologien nach Branchen und Keramikindustrie Gummi-, Kunststoff- Sonstige Branchen Getränkeindustrie Chemieindustrie Die Top-3-Branchen Elektroindustrie Metallindustrie Nahrungs- und Maschinenbau Fahrzeugbau mit dem höchsten Verbreitungsgrad sind jeweils markiert Softwaresystem zu Produktionsplanung 43 % 65 % 74 % 67 % 83 % 75 % 72 % 57 % Digitale und -steuerung Management- systeme Product-Lifecycle- Managementsysteme 6 % 10 % 14 % 8 % 16 % 16 % 20 % 6% Geräte zur Programmierung Drahtlose und Bedienung 15 % 15 % 21 % 20 % 13 % 23 % 25 % 19 % Mensch- von Anlagen und Maschine- Maschinen Kommuni- kation Digitale Visualisierung 12 % 21 % 31 % 35 % 50 % 43 % 30 % 27 % Echtzeitnahes Produktionsleitsystem 21 % 34 % 38 % 31 % 22 % 19 % 26 % 30 % Digitaler CPS-nahe Datenaustausch mit 15 % 26 % 43 % 34 % 32 % 32 % 59 % 24 % Prozesse Kunden/Lieferanten Techniken zur Automatisierung und Steuerung der 22 % 33 % 32 % 27 % 39 % 29 % 40 % 29 % internen Logistik Technologien Mensch- für sichere Maschine- Mensch-Maschine- 0% 1% 5% 3% 2% 3 % 11 % 4% Kooperation Kooperation Quelle: Fraunhofer ISI; eigene Darstellung Neben diesem Größeneffekt ist auch die nenbau und der Elektroindustrie zur Branche für die Verbreitung digitaler Anwendung. Der Fahrzeugbau ist wiederum Technologien von Relevanz. Abbildung 10 in allen Technologiefeldern relativ breit zeigt eine Übersicht der acht untersuchten aufgestellt. Insbesondere beim Blick auf Technologien und Technologiefelder nach die Elektroindustrie wird aber sehr deutlich, Branchen. Die Top-3-Branchen, also die dass diese auch in der Digitalisierungsan- drei Branchen, die bei einer Technologie wendung eine Führungsrolle übernimmt. den höchsten Verbreitungsgrad aufweisen, Die Elektroindustrie weist überdurchschnitt- sind in der Darstellung entsprechend mar- lich hohe Verbreitungsgrade auf und zählt kiert. Auch bei dieser Darstellungsweise damit zu den führenden Anwendermärkten lassen sich Muster erkennen. So werden hinsichtlich Digitalisierung im deutschen die CPS-nahen Prozesse tendenziell stärker Verarbeitenden Gewerbe. in Prozessindustrien, wie bspw. der Che- miebranche oder der Gummi- und Kunst- 20
Fazit: Die Digitalisierung steht in Deutsch- an High-End-Lösungen. Auf der anderen land noch so weit am Anfang, dass viele Seite KMU mit eher traditioneller Ferti- Unternehmen noch nicht einmal eine gung und dem Bedarf an kostengünsti- eigene Internetpräsenz pflegen. Insbeson- gen, individuellen Digitalisierungslösun- dere kleine Unternehmen haben hier noch gen. Nachholbedarf. Gleichwohl gilt im Vergleich der Digitalisie- Etwa vier Fünftel der Industrieunternehmen rungsreifegrade der Branchen untereinan- stehen bei der Einführung von Industrie- der, dass die Elektroindustrie nicht nur als 4.0-Aktivitäten noch am Anfang. Größere Anbieter-, sondern auch als Anwenderbran- Unternehmen sind dabei deutlich weiter che für die fortschreitende Digitalisierung als die KMU. Insgesamt gibt es nur wenige hohe Relevanz besitzt. Mit vergleichsweise Pioniere. Dieser doch ernüchternde Befund hohen Nutzeranteilen bei digitalen Techno- bestätigt die Befragungsergebnisse zu den logien kann die Elektroindustrie also durch- relativ geringen Umsatzanteilen mit digi- aus als eine der führenden Anwendermärkte talen Produkten und Dienstleistungen. Ein im Verarbeitenden Gewerbe bezeichnet wer- wesentlicher Grund liegt darin, dass die den. Sie muss in Zukunft die Entfaltung der Digitalisierung eine Frage der Vernetzung Potenziale forcieren, ist dabei aber in ihrer mit anderen Unternehmen ist. Einzelne Enabler-Rolle auf die Partner in den Wert- Unternehmen können nur begrenzt Fort- schöpfungsnetzen angewiesen. schritte erzielen, wenn die Partner in der Lieferkette oder die Kunden nicht mitzie- hen, maßgebliche Infrastrukturen nicht 2.3 Hemmnisse der Digitalisierung gegeben oder rechtliche Voraussetzungen Warum ist die Wirtschaft bei der digitalen nicht geregelt sind. Die Mehrheit der Indus- Transformation nicht schon weiter, obwohl triebetriebe befindet sich noch in einer die Unternehmen ganz klar die Chancen in Phase von „Industrie 3.0“: den Vordergrund stellen? Diese Frage stellt • Digitale Technologien kommen insge- sich vor dem Hintergrund der hohen Poten- samt nur zögerlich zum Einsatz. Dies gilt ziale, die der Digitalisierung zugemessen sowohl für die grundsätzliche Verbrei- werden. Darauf ergeben sich aus den Ana- tung als auch für die Nutzungsintensität lysen drei Antwortansätze: der Technologien in Betrieben. Von einer • Selbst bei optimalen Rahmenbedin- digital vernetzten Produktion kann folg- gungen und Aufgeschlossenheit der lich in weiten Teilen des Verarbeitenden Unternehmen braucht es Zeit, bis die Gewerbes nicht gesprochen werden. entsprechenden Technologien, Prozesse, • Der Entwicklungsstand der Betriebe hin- Produkte und Geschäftsmodelle imple- sichtlich einer digital vernetzen Produk- mentiert sind. tion ist stark von deren Betriebs- und • Digitalisierungspotenziale entfalten im Produktionscharakteristika abhängig. So- Netzwerk besonders starke Effekte. Des- wohl die Betriebsgröße als auch die Bran- halb sind nicht nur die eigenen Aktivi- che determiniert maßgeblich den Einsatz täten wichtig, sondern auch, dass eine digitaler Technologien. kritische Masse von anderen Unterneh- • Derzeit scheint ein prioritärer Fokus beim men entsteht, mit denen Vernetzungspo- Einsatz auf Industrie-4.0-Lösungen zur tenziale bestehen. Unternehmen müssen Hebung von Automatisierungspotenzia- motiviert sein, Pilotprojekte zu starten, len im Rahmen von Großserienprodukti- um das Signal auszusenden, dass sich die onen zu liegen. Lösungen für eine höhere digitale Transformation lohnt. Flexibilität, Wandlungsfähigkeit oder für • Es gibt zusätzliche Hindernisse, die die die Datennutzung scheinen derzeit noch Digitalisierung auf der individuellen Potenzial zu besitzen. Unternehmensebene, aber auch den Auf- • Es existiert eine Kluft zwischen großen bau von integrierten Wertschöpfungs- Unternehmen und kleinen und mittleren netzen bremsen. Neben unzureichenden Unternehmen (KMU). Dabei besteht die Rahmenbedingungen zählen dazu auch Gefahr, dass sich zwei unterschiedliche fehlendes Fachwissen, Unsicherheiten Produktionswelten entwickeln. Auf der oder kulturelle Aspekte. einen Seite Großunternehmen mit sehr hohem Digitalisierungsgrad und Bedarf 21
Abb. 11: Hemmnisse der Digitalisierung, Umsatzgewichtete Ergebnisse Elektroindustrie Fachwissen Datensicherheit Breitbandinfrastruktur Normen und Standards Unklarer Nutzen Ungeklärte Rechtsfragen Interne Abläufe Externe Regulierung Skepsis in der Belegschaft Finanzkraft 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 Verarbeitendes Gewerbe Fachwissen Unklarer Nutzen Datensicherheit Breitbandinfrastruktur Ungeklärte Rechtsfragen Normen und Standards Skepsis in der Belegschaft Interne Abläufe Finanzkraft Externe Regulierung 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 Großes Hemmnis Mittleres Hemmnis Geringes Hemmnis Kein Hemmnis Quelle: ZVEI-Befragung (2016), IW Zukunftspanel (2016) Welche Hemmnisse die Digitalisierung seit vielen Jahren unverändert die Stär- besonders bremsen, wurde in dieser Studie kung der MINT-Fächer in Bildungssys- eigens ermittelt. Dazu werden die Ergeb- temen. Daneben ist es von besonderer nisse des ZVEI-Surveys und der Erhebung Bedeutung, fächerübergreifende Kom- im Rahmen des IW-Zukunftspanels gemein- petenzen zu entwickeln, beispielsweise sam ausgewertet. Die Unternehmen haben durch die Verbindung von Hardware- und dazu zehn Aspekte auf einer Vierer-Skala Softwarekompetenzen in den Curricula von „großes“ bis „kein“ Hemmnis bewertet. oder die zielgerichtete Kombination von Haupt- und Nebenfächern in der univer- Vier Befunde stechen hervor: sitären Ausbildung. Es geht also einer- • Besonders hinderlich in der Elektroin- seits um zusätzliche Absolvierende in den dustrie mit Quoten bis fast 50 Prozent MINT-Fächern, aber auch um den Aufbau oder darüber sind fehlendes Fachwissen neuer Studien- und Ausbildungsgänge an und eine unzureichende Datensicherheit. der Schnittstelle zwischen digitalen und Auch die mangelhafte Breitbandinfra- klassischen Technologien. Nur so kann struktur hemmt die Unternehmen über- einem Fachkräftemangel vorgebeugt durchschnittlich stark. werden. Ohne gut ausgebildete und hin- • Die Geschäftsmodelle der deutschen reichend viele Ingenieure und Techniker Unternehmen leben sehr stark von der kann eine digitale Transformation nicht hohen Qualifikation ihrer Mitarbeiter, die gelingen, weil sie durch diese technische kontinuierlich weiterentwickelt werden Dimension definiert ist (IW Köln 2016). muss. Durch die Digitalisierung werden • Bei allen Hemmnissen fällt die Beurtei- die bisherigen bildungspolitischen Anfor- lung der Unternehmen der Elektroindus- derungen noch wichtiger. Dazu gehört trie skeptischer aus als in den anderen 22
Sie können auch lesen