Monatsbericht des BMF - April 2019 - Bundesfinanzministerium
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Titelbild: Detlev-Rohwedder-Büste Am 1. April 2019 jährte sich der Todestag von Detlev Karsten Rohwedder zum 28. Mal. Seit 1992 trägt das Gebäude sei- nen Namen, das seit 1999 Haupt-Dienstsitz des BMF ist. Nach der deutschen Einheit zog zunächst die Treuhandanstalt ein – Detlev Rohwedder übernahm 1991 deren Leitung. 1932 im thüringischen Gotha geboren, war es ihm stets ein wich- tiges Anliegen, auf die besonderen Belange und Lebensbedingungen der Menschen in Ostdeutschland einzugehen. Mit seinem Motto „Erst kommen die Menschen, dann die Paragraphen“ gab er die Richtung vor für die Privatisierung von etwa 8.500 sogenannten volkseigenen Betrieben der DDR und 45.000 Betriebsstätten mit circa 4,1 Millionen Beschäftig- ten. Rohwedder konnte seine Aufgabe nur wenige Monate erfüllen. Am 1. April 1991 wurde er in seinem Haus in Düssel- dorf von Unbekannten erschossen. Obwohl es ein Bekennerschreiben der RAF gab, konnten bis heute keine Täter ermit- telt werden. Weitere Informationen zur Geschichte des Bundesministeriums der Finanzen und seines Dienstgebäudes finden Sie unter: www.bundesfinanzministerium.de/geschichte
Editorial Editorial Monatsbericht des BMF April 2019 bis zum Jahre 2038 auch aus der Verstromung der Kohle auszusteigen, werden große und langfristige Investitionen in neue umweltfreundliche Kraft- werke, Stromnetze und Speichertechnologien aus- gelöst. Um auch dann rund um die Uhr zuverlässi- gen, bezahlbaren und regelbaren Strom zu haben, müssen wir die Weichen für den Ausbau der Netze stellen und den nötigen Ausbauplan beschließen. Zugleich hat das Klimakabinett die Arbeit aufge- nommen, um in den nächsten Monaten die nötigen Schritte einzuleiten, damit Deutschland die Klima- schutzziele 2030 erreicht. Dazu passt es, dass sich in Washington die Finanz- Liebe Leserinnen, liebe Leser, ministerinnen und Finanzminister vieler Staaten zur Allianz für Klimaschutz zusammengeschlos- vor einer Woche war es wieder soweit: Die Finanzmi- sen haben. Die beteiligten Länder wollen sich in die- nisterinnen und Finanzminister kamen mit den Che- sem Gremium über ihre finanzpolitischen und mak- finnen und Chefs der Notenbanken beim Internatio- roökonomischen Erfahrungen im Kampf gegen den nalen Währungsfonds in Washington, D.C. zusammen. Klimawandel eng austauschen und voneinander Ein wichtiges Thema war die faire Besteuerung der lernen, welche Instrumente am wirksamsten sind. multinationalen Unternehmen, insbesondere aus Auch das BMF ist mit dabei. dem Digitalbereich. Finanzminister Olaf Scholz warb erfolgreich für den gemeinsamen deutsch-französi- Nachdem im Monatsbericht März die finanzielle schen Vorschlag für eine effektive globale Mindestbe- Lage der 16 Länder beleuchtet wurde, finden Sie dies- steuerung. Die entsprechenden Arbeiten in der OECD mal eine Übersicht über die Finanzlage der Kommu- sollen beschleunigt und möglichst im nächsten Jahr nen. Die umfangreiche Förderung des Bundes tritt zum Abschluss gebracht werden. neben die deutlich gestiegenen Steuereinnahmen von Ländern und Gemeinden. Derzeit verhandeln Sorgen bereiteten vielen Teilnehmenden die Han- Bund und Länder über die weitere Unterstützung delskonflikte und deren Auswirkungen auf die Welt- im Bereich der Integration – der Koalitionsvertrag wirtschaft. Auch in Deutschland bleiben die Unsi- sieht dafür 8 Mrd. Euro vor. Bund und Länder hat- cherheiten aufgrund dieser Spannungen sowie des ten im letzten Jahr vereinbart, davon für 2019 circa Brexits nicht ohne Folgen. Die Bundesregierung hat 4,2 Mrd. Euro einzusetzen – nun geht es darum, die ihre Prognose zur Entwicklung des Wirtschafts- restlichen Mittel möglichst effektiv zu nutzen, um wachstums daher abgesenkt. In der Frühjahrsprojek- vor allem die Kommunen bestmöglich bei ihrer Auf- tion geht sie nun von 0,5 % BIP-Wachstum für dieses gabe zu unterstützen. Jahr aus – im nächsten Jahr sollen es dann 1,5 % sein. Die Prognose zeigt, warum es wichtig ist, dass der Bund mit fiskalischen Impulsen gegensteuert. Allein in diesem Jahr tragen die investiven und andere Maß- nahmen der Bundesregierung sowie die Steuer- und Abgabensenkungen mit 0,7 % zum Wachstum des Wolfgang Schmidt BIP bei. Durch den Beschluss der Bundesregierung, Staatssekretär im Bundesministerium der Finanzen 3
Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis Deutsches Stabilitätsprogramm: Steigende Investitionen bei sinkender Schuldenquote____________________ 8 Die Finanzsituation der Kommunen – eine Bestandsaufnahme___________________________________________ 16 Das Brexit-Steuerbegleitgesetz___________________________________________________________________________ 21 Vereinfachte Veranlagung von Rentnern im Ausland_____________________________________________________ 25 Bilanz des deutschen Zolls 2018__________________________________________________________________________ 31 Aufteilung der 2018 neu berechneten Budgetsemielastizität auf Bund, Länder, Gemeinden und Sozialversicherungen____________________________________________________________________________________ 36 Höhepunkte des Münzjahres 2019_______________________________________________________________________ 41 Aktuelle Wirtschafts- und Finanzlage____________________________45 Überblick zur aktuellen Lage_____________________________________________________________________________ 46 Konjunkturentwicklung aus finanzpolitischer Sicht______________________________________________________ 47 Steuereinnahmen im März 2019_________________________________________________________________________ 53 Entwicklung des Bundeshaushalts bis einschließlich März 2019__________________________________________ 57 Entwicklung der Länderhaushalte bis einschließlich Februar 2019________________________________________ 62 Finanzmärkte und Kreditaufnahme des Bundes__________________________________________________________ 63 Europäische Wirtschafts- und Finanzpolitik_____________________________________________________________ 74 Aktuelles aus dem BMF__________________________________________83 Im Portrait: Stephan Ramge, Leiter der Abteilung für Beteiligungen, Bundesimmobilien und Privatisierungen_________________________ 84 Termine_________________________________________________________________________________________________ 87 Publikationen___________________________________________________________________________________________ 88 Statistiken und Dokumentationen_______________________________89 Übersichten zur finanzwirtschaftlichen Entwicklung____________________________________________________ 90 Übersichten zur Entwicklung der Länderhaushalte_______________________________________________________ 91 Gesamtwirtschaftliches Produktionspotenzial und Konjunkturkomponenten des Bundes________________ 91 Kennzahlen zur gesamtwirtschaftlichen Entwicklung____________________________________________________ 92
Analysen und Berichte Deutsches Stabilitätsprogramm: Steigende Investitionen bei sinkender Schuldenquote 8 Die Finanzsituation der Kommunen – eine Bestandsaufnahme 16 Das Brexit-Steuerbegleitgesetz 21 Vereinfachte Veranlagung von Rentnern im Ausland 25 Bilanz des deutschen Zolls 2018 31 Aufteilung der 2018 neu berechneten Budgetsemielastizität auf Bund, Länder, Gemeinden und Sozialversicherungen 36 Höhepunkte des Münzjahres 2019 41
Analysen und Berichte Monatsbericht des BMF April 2019 Deutsches Stabilitätsprogramm: Steigende Investitionen bei sinkender Schuldenquote ●● Die gesamtstaatliche Schuldenstandsquote wird im Jahr 2019 erstmals seit dem Jahr 2002 wieder unter die Obergrenze des Maastricht-Vertrags von 60 % des Bruttoinlandsprodukts sinken. ●● Die gesamtstaatlichen Investitionen sind im Jahr 2018 auf ein neues Rekordniveau gestiegen; sie werden im Jahr 2019 mit 7 ¾ % weiter wachsen, der höchsten Wachstumsrate seit zehn Jahren. ●● Der Staatshaushalt, also der gemeinsame Haushalt von Bund, Ländern, Gemeinden und Sozialver- sicherungen, erfüllt sämtliche europäische Vorgaben. Einleitung Nach den aktuellen Projektionen zur Entwicklung des gesamtstaatlichen Haushalts wird die gesamt- Das Bundeskabinett hat am 17. April das Deutsche staatliche Schuldenstandsquote von 60,9 % des Brut- Stabilitätsprogramm 2019 beschlossen. Deutsch- toinlandsprodukts (BIP) im Jahr 2018 auf 58 ¾ % im land hat im Jahr 2018 alle haushaltsrechtlichen Jahr 2019 sinken. Damit wird Deutschland zu Ende Vorgaben auf europäischer Ebene aus dem Stabi- dieses Jahres erstmals seit dem Jahr 2002 wieder die litäts- und Wachstumspakt (SWP) und dem Fis- Obergrenze des Maastricht-Vertrags von 60 % ein- kalvertrag erfüllt. Das vom Bundeskabinett ge- halten (siehe Abbildung 1). billigte Stabilitätsprogramm wird unmittelbar an die Europäische Kommission und den Ministerrat Die robuste Entwicklung am Arbeitsmarkt mit (ECOFIN) übersandt. Rekordbeschäftigung und deutlich steigenden Staatsschuldenquote nach Maastricht-Abgrenzung Abbildung 1 in % des BIP 90 80 70 60 50 40 30 20 1991 1993 1995 1997 1999 2001 2003 2005 2007 2009 2011 2013 2015 2017 2019 2021 2023 Quellen: 1991 - 2018 Deutsche Bundesbank, März 2019; 2019 - 2023 BMF-Projektion; April 2019 8
Analysen und Berichte Monatsbericht des BMF Deutsches Stabilitätsprogramm: Steigende Investitionen bei sinkender Schuldenquote April 2019 Löhnen, höhere Steuereinnahmen und zugleich Finanzmittel an Länder und Gemeinden weiter, erhebliche Zinsminderausgaben haben die öffent- um Investitionen in Infrastruktur, Bildung und lichen Finanzen in Deutschland begünstigt. Die Forschung zu fördern. Länder und Gemeinden Analysen und Berichte Zinsausgaben der öffentlichen Hand verringerten stehen vor entscheidenden Aufgaben, Investiti- sich im Jahr 2018 auf nur noch 0,9 % des BIP – den onsprojekte zu identifizieren, planungs- und aus- tiefsten Stand seit 50 Jahren. schreibungsrechtlich umzusetzen und gewerblich zu beauftragen. Mit ihrer Finanzpolitik verbessert die Bundesre- gierung die Wachstumsgrundlagen der deutschen Die Bundesregierung hat wesentlich dazu beige- Wirtschaft, sichert die konjunkturelle Entwicklung tragen, dass die gesamtstaatlichen Investitionen angesichts der aktuellen außenwirtschaftlichen Ri- auf Rekordniveau gestiegen sind und sich die Zu- siken und stärkt den sozialen Zusammenhalt. Für wächse verstetigt haben. Die jährlichen Zuwächse das Jahr 2019 sind Maßnahmen der deutschen Fi- liegen nun schon seit drei Jahren über 7 ½ %; der nanzpolitik vorgesehen, die zu Mehrausgaben in Zuwachs von 7 ¾ % im Jahr 2019 ist der höchste seit Höhe von 0,5 % des BIP sowie Mindereinnahmen zehn Jahren. einschließlich Steuersenkungen in Höhe von 0,2 % des BIP führen. Gleichzeitig steht die Finanzpolitik vor weiteren He- rausforderungen, u. a. durch den baldigen Eintritt Zugleich plant die Bundesregierung bis Ende der der Babyboomer in die Rente, die Klimaschutzfinan- Finanzplanungsperiode im Jahr 2023 mit ausge- zierung, die Übernahme internationaler Verantwor- glichenen Haushalten ohne Neuverschuldung und tung in der sicherheits- und entwicklungspolitischen trägt so zur Solidität der öffentlichen Haushalte Zusammenarbeit sowie durch die Finanzierung des bei. Die Bundesregierung gibt zudem erhebliche Haushalts der Europäischen Union (EU). Entwicklung der staatlichen Investitionen (Bruttoanlageinvestitionen) Abbildung 2 in Mrd. € in % 100 12 Projektion 10 90 8 80 6 70 4 2 60 0 50 -2 40 -4 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 Staatliche Investitionen Wachstum staatlicher Investitionen Quellen: Statistisches Bundesamt und eigene Berechnungen 9
Analysen und Berichte Monatsbericht des BMF Deutsches Stabilitätsprogramm: Steigende Investitionen bei sinkender Schuldenquote April 2019 Konjunktur außenwirtschaftlicher Konjunkturrisiken den da- raus resultierenden negativen Entwicklungen zu Die deutsche Wirtschaft befand sich im Jahr 2018 begegnen. weiter auf Wachstumskurs, hat jedoch in der zwei- ten Jahreshälfte deutlich an Dynamik verloren. Das preisbereinigte BIP ist gegenüber dem Vorjahr Entwicklung des um 1,4 % gestiegen. Der Anstieg lag damit spürbar Gesamtstaatlichen Haushalts unter den Wachstumsraten der beiden Vorjahre (je- weils +2,2 %) und leicht unterhalb des gesamtwirt- schaftlichen Produktionspotenzials von 1,6 % p. a. Entwicklung der staatlichen Die gebremste konjunkturelle Dynamik zeigte sich Finanzierungssalden insbesondere in der schwächeren Exportentwick- lung, die neben einer allgemein geringeren welt- Im Jahr 2018 wurde ein Finanzierungsüberschuss wirtschaftlichen Dynamik auf Unsicherheiten von 1,7 % des BIP erzielt. Die öffentlichen Haus- wegen drohender Handelskonflikte und der Unge- halte von Bund, Ländern und Gemeinden profi- wissheiten im Zuge des Brexit-Prozesses zurückzu- tierten in besonderem Maße von der dynamischen führen ist. Im Gegenzug stützte die starke Binnen- Entwicklung der Steuereinnahmen, darunter ins- wirtschaft die Konjunktur. besondere von der Entwicklung der gewinnabhän- gigen Steuern. Darüber hinaus trugen beim Bund Der Arbeitsmarkt entwickelte sich weiterhin sehr die empfangenen Vermögenseinkommen auf- positiv. So stieg die Erwerbstätigkeit im Jahr 2018 grund des deutlich erhöhten Bundesbankgewinns auf durchschnittlich 44,8 Millionen Personen und zur positiven Entwicklung bei. Die Sozialversiche- damit auf einen neuen Höchststand seit der deut- rungen konnten ebenfalls überproportional stei- schen Einheit. Der Anstieg ist insbesondere auf die gende Beiträge vereinnahmen. Zugleich entlasteten höhere Anzahl sozialversicherungspflichtiger Be- geringere Zinsausgaben die staatlichen Haushalte. schäftigungsverhältnisse zurückzuführen. Die Zahl In der Folge konnten alle Teilsektoren des Staates der Arbeitslosen hat im Jahr 2018 mit durchschnitt- im Jahr 2018 Überschüsse verzeichnen. lich 2,34 Millionen Personen ein neues langjähriges Rekordtief seit der deutschen Einheit erreicht. Die Für das laufende Jahr wird ein gesamtstaatlicher jahresdurchschnittliche Arbeitslosenquote betrug Finanzierungssaldo von ¾ % des BIP erwartet. Der lediglich 5,2 %. Besonders betroffen von Fachkräf- Überschuss liegt damit um rund ¾ % des BIP nied- teengpässen waren technische Berufe, Bauberufe riger als im Jahr 2018. Ursache für die Verringe- sowie Gesundheits- und Pflegeberufe. rung sind insbesondere die von der Bundesregie- rung beschlossenen Maßnahmen. Hinzu kommt Das globale Wachstum hat im vergangenen Jahr an ein im Vergleich zum Vorjahr abgeschwächter An- Tempo verloren. Im Euroraum verzeichneten alle stieg der Steuereinnahmen aufgrund der aktu- größeren Mitgliedstaaten ein geringeres Wachstum ell schwächeren konjunkturellen Entwicklung. als im Vorjahr. Im laufenden Jahr dürfte die kon- Auch im Jahr 2020 ist nach dem jetzigen Stand junkturelle Dynamik auch in Deutschland aber- noch von einem Staatsüberschuss von rund ¾ % mals leicht an Fahrt verlieren. Der Arbeitsmarkt des BIP auszugehen. Dieser wird sich dann in den dürfte sich weiterhin robust entwickeln und eine Jahren 2021 bis 2023 auf rund ½ % des BIP verrin- wichtige Stütze der deutschen Konjunktur blei- gern. Die weitere Verringerung des Überschusses ben. Insgesamt erscheint für Deutschland eine Fi- ab dem Jahr 2021 ergibt sich zum einen aufgrund nanzpolitik angemessen, welche die Wachstums der geplanten Absenkung des Solidaritätszuschlags potenziale der deutschen Wirtschaft strukturell und zum anderen durch den prognostizierten An- zu verbessern hilft und zugleich mit ihrer expansi- stieg des Finanzierungsdefizits der gesetzlichen ven Ausrichtung auch dafür Sorge trägt, angesichts Rentenversicherung. 10
Analysen und Berichte Monatsbericht des BMF Deutsches Stabilitätsprogramm: Steigende Investitionen bei sinkender Schuldenquote April 2019 Finanzierungssalden nach staatlichen Ebenen Tabelle 1 in % des BIP Analysen und Berichte 2018 2019 2020 2021 2022 2023 Bund 0,5 0 0 0 0 ¼ Länder 0,3 ½ ½ ¼ ¼ ¼ Gemeinden 0,4 ¼ ¼ 0 0 0 Sozialversicherungen 0,4 ¼ ¼ 0 0 0 Staat insgesamt 1,7 ¾ ¾ ½ ½ ½ Angaben für die Projektionsjahre sind auf ¼ Prozentpunkte des BIP gerundet. Differenzen zwischen dem Finanzierungssaldo für den Staat und der Summe der Finanzierungssalden der Ebenen sind rundungsbedingt. Quelle: Bundesministerium der Finanzen Der staatliche Finanzierungssaldo wird von der Fi- Einflussfaktoren und Einmaleffekte gemäß der nanzpolitik in erster Linie durch die Haushaltspoli- EU-einheitlichen Methodik bereinigt. Im vergan- tik beeinflusst, also die Gestaltung von Einnahmen genen Jahr verbesserte sich der strukturelle Saldo und Ausgaben. Daneben wirkt jedoch eine Reihe von Bund, Ländern, Gemeinden und Sozialversi- konjunktureller, struktureller und außergewöhnli- cherungen von 0,9 % des BIP auf 1,4 % des BIP. Hin- cher Faktoren, die zu großen Teilen außerhalb der tergrund dieser Entwicklung war insbesondere der direkten Kontrolle von Regierungen liegen. Um überproportionale Anstieg der Steuereinnahmen. den Einfluss und die Ausrichtung der Finanzpolitik zu bewerten, werden daher im europäischen Haus- Im laufenden Jahr ist mit einer deutlichen Ver- haltsüberwachungsverfahren strukturelle Indi- ringerung des strukturellen Überschusses auf katoren betrachtet. Dabei werden der strukturelle rund ¾ % des BIP zu rechnen. In den kommenden Finanzierungssaldo und die Entwicklung der Pri- Jahren sinkt der strukturelle Finanzierungssaldo märausgaben im Vergleich mit der trendmäßigen weiter auf ¼ % des BIP im Jahr 2022. Zum Ende der Entwicklung des BIP bei konjunktureller Normal- Programmperiode im Jahr 2023, bei einer dann an- auslastung herangezogen. nahmegemäß geschlossenen Produktionslücke und somit einer Konjunkturkomponente von null, steigt der strukturelle Überschuss bei konstantem Struktureller Finanzierungssaldo gesamtstaatlichem Finanzierungsüberschuss wie- der leicht an. Zur Ermittlung des strukturellen Finanzierungs- saldos wird der nominale Saldo um konjunkturelle Struktureller Finanzierungssaldo Tabelle 2 in % des BIP 2018 2019 2020 2021 2022 2023 struktureller Finanzierungssaldo 1,4 ¾ ½ ½ ¼ ½ Angaben für die Projektionsjahre sind auf ¼ Prozentpunkte des BIP gerundet. Quelle: Bundesministerium der Finanzen 11
Analysen und Berichte Monatsbericht des BMF Deutsches Stabilitätsprogramm: Steigende Investitionen bei sinkender Schuldenquote April 2019 Schuldenstand 2019 unter 60 % Pakt Obergrenzen für Haushaltsdefizit und Schul- des BIP denstand vor. Die Einhaltung dieser Ziele und Grenzmarken sichert die finanzielle Handlungs- Seit dem Jahr 2012 geht die Schuldenstandsquote fähigkeit eines jeden einzelnen Mitgliedstaats der kontinuierlich zurück. Hatte der Schuldenstand in Wirtschafts- und Währungsunion. Relation zum BIP im Jahr 2012 noch bei 79,9 % ge- legen, sank die Schuldenstandsquote zu Ende des Deutschland hat die Vorgaben des SWP im Jahres 2018 auf 60,9 % des BIP. Jahr 2018 erneut vollständig erfüllt. Dabei wurde die Obergrenze eines nominalen Haushaltsdefizits Der Rückgang der Schuldenstandsquote im ver- von 3 % in Relation zum BIP mit deutlichem Ab- gangenen Jahr ist maßgeblich auf die gute gesamt- stand unterschritten. So lag der tatsächliche Fi- wirtschaftliche Entwicklung zurückzuführen. Alle nanzierungssaldo des gesamtstaatlichen Haushalts Ebenen (Bund, Länder, Gemeinden, Sozialversiche- (Bund, Länder, Gemeinden und Sozialversiche- rungen) wiesen deutliche Überschüsse aus und ha- rungen einschließlich ihrer Extrahaushalte) im ben im Jahr 2018 ihre Schulden reduziert. Einen Jahr 2018 bei +1,7 % des BIP. Im Jahr 2018 hat der spürbaren Beitrag zum Schuldenabbau haben, wie Gesamtstaat auch einen strukturellen Überschuss auch schon in den Vorjahren, die staatlichen Ab- in Höhe von 1,4 % erzielt, wie Abbildung 3 zeigt. wicklungsanstalten durch die Verwertung ihrer Portfolien geleistet. Mit der Reform zur Stärkung des Stabilitätspakts im Jahr 2011 ist die sogenannte 1/20-Regel hin- Auch über den Projektionszeitraum ist von einem sichtlich der Rückführung übermäßiger Schulden- fortgesetzten Rückgang der Schuldenstandsquote stände verbindlich für alle Mitgliedstaaten verein- auszugehen. Im Jahr 2019 ist mit einer Rückführung bart worden. Diese Regel sieht vor, dass der über die um rund 2 Prozentpunkte auf rund 58 ¾ % des BIP Maastricht-Obergrenze von 60 % des BIP hinausge- zu rechnen. Der Referenzwert des Maastricht-Ver- hende Schuldenstand um jährlich mindestens 1/20 trags würde im Ergebnis zum Ende des Jahres 2019 im Durchschnitt der abgelaufenen drei Jahre ver- unterschritten werden. Bis zum Ende des Projekti- ringert werden muss. Tatsächlich wurde der Schul- onszeitraums 2023 wird ein Rückgang der Schul- denstand noch stärker zurückgeführt; damit hält denstandsquote auf 51 ¼ % des BIP prognostiziert. Deutschland auch diese Vorgabe des SWP zum Schuldenabbau mit deutlichem Abstand ein. Europäische Vorgaben werden Deutschland unterliegt derzeit dem sogenannten erfüllt präventiven Arm des SWP. Mitgliedstaaten, für wel- che die Maßgaben des präventiven Arms des SWP Der Stabilitäts- und Wachstumspakt verpflichtet gelten, müssen mittelfristig einen nahezu ausgegli- die Mitgliedstaaten, den gesamtstaatlichen Haus- chenen Haushalt oder einen Haushaltsüberschuss halt mittelfristig nahezu auszugleichen und sich erreichen. Dafür setzen sich diese Mitgliedstaaten hierzu verbindliche Ziele zu setzen. Zudem gibt der selbst ein mittelfristiges Haushaltsziel (Medium Entwicklung der gesamtstaatlichen Schuldenstandsquote Tabelle 3 in % des BIP 2018 2019 2020 2021 2022 2023 Schuldenstandsquote 60,9 58 ¾ 56 ½ 54 ¾ 53 51 ¼ Angaben für die Projektionsjahre sind auf ¼ Prozentpunkte des BIP gerundet. Quelle: Bundesministerium der Finanzen 12
Analysen und Berichte Monatsbericht des BMF Deutsches Stabilitätsprogramm: Steigende Investitionen bei sinkender Schuldenquote April 2019 Struktureller und tatsächlicher Finanzierungssaldo im Vergleich Abbildung 3 in % des BIP Analysen und Berichte 3 2 1 0 -1 -2 -3 -4 -5 -6 Finanzierungssaldo des Staates Maastricht-Referenzwert – in Abgrenzung der Volkswirtschaftlichen (Obergrenze für Maastricht-Defizit) Gesamtrechnungen Struktureller Finanzierungssaldo Mittelfristiges Haushaltsziel des Staates (MTO – Obergrenze für strukturelles Defizit) 1995: Ohne die Vermögenstransfers infolge der Übernahme der Schulden der Treuhandanstalt und der Wohnungsbau- unternehmen der ehemaligen DDR. Inklusive dieses Effekts belief sich das gesamtstaatliche Defizit auf 9,4 % des BIP. 2000: Ohne UMTS-Erlöse. Inklusive dieses Effekts wies der Staatshaushalt einen Überschuss in Höhe von 0,9 % des BIP auf. Datenbasis bis 2018: Statistisches Bundesamt, Februar 2019. 2019 bis 2023: BMF-Projektion, April 2019. Quelle: Bundesministerium der Finanzen Term Objective, MTO) für den strukturellen ge- Strategische Ausrichtung samtstaatlichen Finanzierungssaldo. Für die Eu- der Finanzpolitik der ro-Mitgliedstaaten gilt außerdem der Fiskalvertrag Bundesregierung („Vertrag über Stabilität, Koordinierung und Steu- erung in der Wirtschafts- und Währungsunion“). Nach dessen Vorgabe muss der gesamtstaatliche Die Bundesregierung hat sich zum Ziel gesetzt, die Haushalt ausgeglichen oder im Überschuss sein. Zukunftsfähigkeit und die Wachstumsgrundlagen Dies ist erreicht, wenn das MTO eingehalten wird. der deutschen Wirtschaft zu verbessern, den sozi- Deutschland behält mit seinem Stabilitätspro- alen Zusammenhalt in der Gesellschaft zu stärken gramm das mittelfristige Haushaltsziel eines struk- und zugleich die Solidität der öffentlichen Finan- turellen Defizits von maximal 0,5 % des BIP bei. zen sicherzustellen. Das finanzpolitische Umfeld 13
Analysen und Berichte Monatsbericht des BMF Deutsches Stabilitätsprogramm: Steigende Investitionen bei sinkender Schuldenquote April 2019 mit robustem Arbeitsmarkt und Rekordbeschäf- Produktivität und Wachstumspotenzial stärkt. tigung, überdurchschnittlichen Steuereinnahmen Nach den aktuellen Projektionen der Bundesre- und niedrigen Zinsen auf Staatsschulden ist bislang gierung wird der gesamtstaatliche Haushalt auch ausgesprochen günstig gewesen. Allerdings gilt es, im Jahr 2019 einen deutlichen Finanzierungs- sich auf vielfache Herausforderungen vorzuberei- überschuss aufweisen, der jedoch geringer ausfällt ten, vor denen Deutschland steht. als im Vorjahr (+¾ % des BIP im Jahr 2019 gegen- über +1,7 % im Jahr 2018). Für das Jahr 2019 sind Zu diesen Herausforderungen zählen u. a. die Kli- Maßnahmen der deutschen Finanzpolitik vorge- maschutzfinanzierung, der von einer Experten- sehen, die zu Mehrausgaben in Höhe von 0,5 % kommission empfohlene Ausstieg Deutschlands des BIP sowie Mindereinnahmen einschließlich aus dem Kohleabbau und der Kohleverstromung, Steuersenkungen in Höhe von 0,2 % des BIP füh- die Übernahme internationaler Verantwortung in ren. Der konjunkturbereinigte Primärsaldo wird der sicherheits- und entwicklungspolitischen Zu- sich im Jahr 2019 nach der Projektion um ¾ Pro- sammenarbeit und die künftigen deutschen Finan- zentpunkte von 2,2 % auf 1 ½ % des BIP verrin- zierungsbeiträge zum EU-Haushalt. Zudem steht gern; demnach ist die Ausrichtung der Finanzpo- der Abgang der geburtenstarken Generation der litik als deutlich expansiv einzuordnen. Trotz des Babyboomer aus dem Arbeitsmarkt schon bald be- abgeschwächten Wirtschaftswachstums sind die vor. Die Folgen dieser Entwicklung werden die Fi- Kapazitäten in der deutschen Wirtschaft weiter- nanzpolitik auf die Probe stellen. Die Bundesre- hin leicht überausgelastet; die positive Produkti- gierung hat daher die „Kommission Verlässlicher onslücke wird sich von 0,8 % des potenziellen BIP Generationenvertrag“ eingesetzt, die sich mit der im Jahr 2018 auf 0,4 % im Jahr 2019 verringern. Die nachhaltigen Sicherung und Fortentwicklung der expansive Ausrichtung der Finanzpolitik erscheint gesetzlichen Rentenversicherung wie auch der bei- angemessen, um Konjunktur- und Außenwirt- den weiteren Rentensäulen ab dem Jahr 2025 be- schaftsrisiken zu mindern. fassen und bis zum März 2020 Empfehlungen vor- legen wird. Die Politik der Bundesregierung trägt ferner dazu bei, dass im Jahr 2019 sowohl die gesamtstaatli- Eine höhere Erwerbstätigkeit, insbesondere von Äl- chen Investitionen der öffentlichen Hand (+7 ¾ % teren, Frauen und Zugewanderten, und ein stärke- gegenüber dem Vorjahr) als auch die Investitionen res Produktivitätswachstum bleiben wesentlich für des Bundes (38,9 Mrd. €) auf ein neues Hoch stei- dauerhaft solide Finanzen. Die Bundesregierung gen. Bis zum Jahr 2023 fokussiert die Bundesregie- erleichtert daher die Eingliederung von Älteren in rung ihre Zukunftsinvestitionen auf Infrastruktur, den Arbeitsmarkt, verbessert die Vereinbarkeit von Bildung, Hochschulen, Forschung und Digitalisie- Familie und Beruf durch den Ausbau der Ganzta- rung. Da viele dieser Bereiche in der Verantwortung gesbetreuung weiter und ermöglicht eine gezieltere der Länder und Gemeinden liegen, hat die Bundes- Steuerung der Zuwanderung von Fachkräften. Wei- regierung die Weichen dafür gestellt, dass diese Ge- tere Potenziale entstehen durch produktivitätsstei- bietskörperschaften über umfangreiche Mittel ver- gernde Maßnahmen, u. a. durch eine bessere Qua- fügen, um Investitionsvorhaben voranzubringen. lifizierung der Erwerbstätigen in Kombination mit lebenslangem Lernen, einer konsequenten Digita- Ein weiteres wichtiges Ziel der Bundesregierung lisierung von Wirtschaft und öffentlicher Verwal- ist es, soziale Gerechtigkeit zu stärken und den ge- tung sowie investitions- und innovationsfreundli- sellschaftlichen Zusammenhalt zu sichern. Da- chen Rahmenbedingungen für Unternehmen. her stärkt die Bundesregierung die Bezieher von unteren und mittleren Einkommen sowie Fami- Die Bundesregierung verfolgt eine Finanzpoli- lien. Im Bereich des sozialen Wohnungsbaus wer- tik, die über höhere Investitionen Bildung, For- den die Mittel im Jahr 2019 angehoben. Zudem schung und Digitalisierung voranbringt und damit werden die Ausgaben für die Eingliederung von 14
Analysen und Berichte Monatsbericht des BMF Deutsches Stabilitätsprogramm: Steigende Investitionen bei sinkender Schuldenquote April 2019 Langzeitarbeitslosen erhöht. Diese Zielsetzung bil- die Staatsschuldenquote weiter gesunken ist und det sich in den Ausgaben des Bundes für Sozia- die staatlichen Investitionen auf ein Rekordniveau les ab. So werden die Sozialausgaben im Jahr 2019 gestiegen sind. Dabei wurden die verfassungsrecht- Analysen und Berichte auf 173 Mrd. €, der Anteil am Bundeshaushalt zu- lichen und europäischen Vorgaben vollumfäng- gleich auf über 50 % steigen. Auf gesamtstaatli- lich eingehalten. Diese positiven Entwicklungen cher Ebene werden die Sozialausgaben einen Anteil werden sich nach aktuellen Projektionen auch im von 24 ¼ % des BIP haben. Jahr 2019 fortsetzen. Gleichzeitig steht die deutsche Finanzpolitik vor Fazit mehrfachen Herausforderungen, die im Stabili- tätsprogramm 2019 benannt werden. Alle Voraus- In einem guten gesamtwirtschaftlichen Umfeld setzungen sind weiter gegeben, dass die deutsche verzeichneten die Staatshaushalte im Jahr 2018 au- Finanzpolitik auch in den kommenden Jahren die ßergewöhnlich hohe Überschüsse. Die Finanzpoli- europäischen und nationalen finanzpolitischen tik der Bundesregierung hat dazu beigetragen, dass Vorgaben erfüllen kann. 15
Analysen und Berichte Monatsbericht des BMF April 2019 Die Finanzsituation der Kommunen – eine Bestandsaufnahme ●● Die Finanzsituation der Kommunen in den Flächenländern stellt sich weiterhin positiv dar. Nach dem Rekordüberschuss im Jahr 2017 erzielten die kommunalen Kernhaushalte mit einem deutschlandweiten Überschuss von 8,7 Mrd. € im abgelaufenen Jahr erneut ein sehr gutes Ergeb- nis. Zugleich sind die Investitionsausgaben mit 12,9 % gegenüber 2017 sehr deutlich gestiegen. ●● Der Bund unterstützt die Kommunen auch in der neuen Legislaturperiode finanziell in erhebli- chem Umfang. Zahlreiche Maßnahmen in den Bereichen Schule, Kinderbetreuung und sozialer Wohnungsbau laufen derzeit an. ●● In allen Ländern verzeichnen die Kommunen insgesamt Überschüsse. Die Finanzlage der einzel- nen Kommunen ist gleichwohl heterogen. Dies ist auch ein Thema der Kommission „Gleichwerti- ge Lebensverhältnisse“. Insgesamt positive Entwicklung Schuldenstatistik 38,9 Mrd. €. Nach einem erstma- der Finanzsituation der ligen Rückgang im Jahr 2017 gingen die Kassenkre- Kommunen ditbestände zum 31. Dezember 2018 weiter signifi- kant zurück (-7,3 Mrd. € beziehungsweise -15,9 %). Die Finanzsituation der Kommunen in den Flä- Zu diesem Rückgang hat maßgeblich beigetragen, chenländern verbesserte sich signifikant über die dass Hessen über die sogenannte Hessenkasse ei- vergangenen Jahre. Seit dem Jahr 2012 wies die Ge- nen Großteil der Kassenkredite der hessischen samtheit der kommunalen Kernhaushalte Finanzie- Kommunen übernommen hat und diese nun nicht rungsüberschüsse aus. Nach dem Rekordergebnis mehr in der Schuldenstatistik ausgewiesen werden. im Jahr 2017 erzielten die kommunalen Kernhaus- Auch in anderen Ländern mit hohen Kassenkredit- halte 2018 erneut ein sehr gutes Ergebnis: Mit ei- beständen wie Nordrhein-Westfalen und Rhein- nem Finanzierungssaldo von 8,7 Mrd. € erreichte land-Pfalz gab es nennenswerte Rückgänge. die kommunale Ebene insgesamt einen deutlichen Überschuss. Dieser fiel zwar circa 1 Mrd. € gerin- ger aus als im Vorjahr, zugleich stiegen jedoch die Kassenkredite Investitionsausgaben um 3,2 Mrd. € beziehungs- (auch: Liquiditätskredite, Kredite zur Liqui- weise 12,9 % gegenüber dem Vorjahr. Die sozialen ditätssicherung, Kassenverstärkungskredi- Ausgaben stiegen mit 0,5 % gegenüber dem Vorjahr te) bezeichnen – neben Krediten zur Finan- hingegen nur moderat, was insbesondere auf einen zierung von Investitionen – eine Schuld zur deutlichen Rückgang bei den Leistungen nach dem Deckung eines kurzfristigen Bedarfs an li- Asylbewerberleistungsgesetz zurückzuführen ist. quiden Mitteln. Dies entspricht etwa bei pri- Im zweiten Jahr in Folge konnten die kommunalen vaten Haushalten dem Überziehungskredit Ebenen aller Länder Überschüsse erzielen. (Dispokredit). Hohe Kassenkreditbestände, die zur dauerhaften Finanzierung laufender Der Bestand an Kassenkrediten betrug zum 31. De- Aufgaben verwendet werden, gelten allge- zember 2018 nach den Zahlen der vorläufigen mein als Indikator für Finanzschwäche. 16
Analysen und Berichte Monatsbericht des BMF Die Finanzsituation der Kommunen – eine Bestandsaufnahme April 2019 Finanzierungssaldo der Kommunen Abbildung 1 in Mrd. € Analysen und Berichte 12 9,7 8,7 8 4,7 3,5 4 2,6 1,5 1,3 0 -1,0 -4 -8 -6,9 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 Quelle: Statistisches Bundesamt; 2010 bis 2016: Rechnungsergebnisse der kommunalen Haushalte; ab 2017: Kassenstatistik Erhebliche Unterschiede Unterstützung der Kommunen zwischen den einzelnen durch den Bund Kommunen Im zweigliedrigen Staatsaufbau der Bundesrepu Die insgesamt gute Finanzsituation darf jedoch blik liegt die Verantwortung für die Kommunen nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Finanzlage verfassungsrechtlich bei den Ländern. Die Garantie der einzelnen Kommunen in Deutschland sehr un- der kommunalen Selbstverwaltung umfasst auch terschiedlich ist. Dies lässt sich u. a. am weiterhin die finanzielle Eigenverantwortung der Kommu- hohen Bestand an kommunalen Kassenkrediten in nen. Der Staat ist allerdings verpflichtet, den Kom- vielen Kommunen ausmachen.1 munen gegebenenfalls die Mittel zur Verfügung zu stellen, die sie zur Erfüllung ihrer Aufgaben benö- Die Problematik der kommunalen Altschulden/ tigen. Diese Aufgabe trifft – der staatsorganisati- Kassenkredite ist – neben fünf anderen Themen- onsrechtlichen Zuordnung der Kommunen zu den feldern – auch ein Thema der Kommission „Gleich- Ländern entsprechend – zuerst die Länder. wertige Lebensverhältnisse“. In dieser wollen Bund, Länder und kommunale Spitzenverbände gemein- Dessen ungeachtet hat der Bund, insbesondere in sam bis Sommer 2019 Handlungsempfehlun- den vergangenen Jahren, im Rahmen seiner ver- gen erarbeiten, mit denen effektive und sichtbare fassungsrechtlichen Möglichkeiten viele Maßnah- Schritte hin zu einer Gleichwertigkeit der Lebens- men ergriffen, um die Kommunen bei der Bewäl- verhältnisse erreicht werden können. tigung ihrer Aufgaben finanziell zu unterstützen. Daran hält er auch im Jahr 2019 und darüber hi- naus fest. Viele der Maßnahmen, auf deren priori- täre Umsetzung sich die Regierungsparteien in der 1 Die Kassenkreditbestände einzelner Kommunen sind Koalitionsvereinbarung für diese Legislaturperiode beispielsweise unter http://www.wegweiser-kommune.de/ verständigt haben, dienen der Unterstützung der statistik/finanzen in der Datenbank „Wegeweiser Kommune“ der Bertelsmann Stiftung abrufbar. Kommunen bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben. 17
Analysen und Berichte Monatsbericht des BMF Die Finanzsituation der Kommunen – eine Bestandsaufnahme April 2019 Bund entlastet bei den Flüchtlings- Bund entlastet bei der kosten frühkindlichen Kinderbetreuung Im Koalitionsvertrag wurde vereinbart, dass der Die Weiterentwicklung der Qualität in Kinderta- Bund die Länder und Kommunen auch in dieser gesstätten (Kitas) und in der Kindertagespflege ist Legislaturperiode bei den Flüchtlingskosten (Inte- eine wichtige gesellschaftliche Aufgabe und ein grationspauschale, Kosten der Unterkunft, unbe- Anliegen des Bundes. Am 1. Januar 2019 ist das Gu- gleitete minderjährige Flüchtlinge) unterstützen te-KiTa-Gesetz in Kraft getreten. Im Rahmen des wird. Diese Unterstützung soll effektiver ausgestal- Gesetzes wird der Bund Länder und Kommunen tet werden. Der Koalitionsvertrag sieht hierfür ins- bis 2022 mit insgesamt 5,5 Mrd. € bei den Kosten gesamt 8 Mrd. € vor. Bund und Länder haben sich für die Weiterentwicklung der Qualität und Teil- im vergangenen Jahr über die Entlastung der Län- habe in Kitas und in der Kindertagespflege inklu- der und Kommunen von flüchtlingsbedingten Aus- sive der Gebührenfreiheit unterstützen. Hierfür gaben für 2019 in Höhe von rund 4,235 Mrd. € ge- verzichtet der Bund auf entsprechende Anteile am einigt. Zuzüglich der Pauschale für unbegleitete Aufkommen der Umsatzsteuer. minderjährige Flüchtlinge und der sogenannten Spitzabrechnung entlastet der Bund Länder und Kommunen 2019 um 5,067 Mrd. €: Bund unterstützt Maßnahmen für saubere Luft ●● Pauschale für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in Höhe von 350 Mio. €, Die Bundesregierung unterstützt die zuständigen Länder und Kommunen bei ihren Bemühungen ●● Integrationspauschale in Höhe von 2 Mrd. €, zur Reduzierung von Stickstoffdioxidemissionen die einmalig um 435 Mio. € erhöht wird, (NO2). Mit dem Sofortprogramm „Saubere Luft“ mit den Schwerpunkten Elektrifizierung des Ver- ●● vollständige Entlastung von den Kosten der kehrs, Nachrüstung von Dieselbussen und Digita- Unterkunft und Heizung für anerkannte lisierung kommunaler Verkehrssysteme sowie mit Asyl- und Schutzberechtigte im Sozialgesetz- weiteren Maßnahmen zur Hardware-Nachrüstung buch II (SGB II) im Umfang von voraussicht- bestimmter Fahrzeuge stellt der Bund für die von lich 1,8 Mrd. €, Überschreitungen des NO2-Jahresmittelgrenzwer- tes betroffenen Städten und Kommunen zusam- ●● weitere Beteiligung an den Kosten für Asyl- men annähernd 2 Mrd. € zur Verfügung. bewerber und Flüchtlinge von der Registrie rung bis zur Erteilung eines erstmaligen Be- scheids durch das Bundesamt für Migration Grundgesetzänderung zur und Flüchtlinge in Höhe von monatlich 670 € Ermöglichung zusätzlicher je Flüchtling. Für abgelehnte Antragsteller werden pauschal für einen weiteren Monat Unterstützungsmaßnahmen ebenfalls 670 € gezahlt. Die Abschlagszah- lungen hierfür betragen für 2019 insgesamt Der Bund soll künftig Länder und Kommunen im rund 482 Mio. €. Bildungsbereich sowie beim sozialen Wohnungs- bau und der Verkehrswegefinanzierung umfassen- Zur Finanzierung der Flüchtlings- und Integrati- der mit Finanzhilfen unterstützen können. Ent- onskosten ab 2020 ist der Bund mit den Ländern sprechende Änderungen der Finanzverfassung2 im Gespräch. 2 Betroffen sind Art. 104c, 104d, 125c und 143e des Grundgesetzes. 18
Analysen und Berichte Monatsbericht des BMF Die Finanzsituation der Kommunen – eine Bestandsaufnahme April 2019 sind Anfang April 2019 in Kraft getreten. Diese Än- den Ganztagsausbau stellt der Bund daher ab dem derungen ermöglichen die folgenden Maßnahmen: Jahr 2020 insgesamt 2 Mrd. € zur Verfügung. Analysen und Berichte DigitalPakt Schule Weitere Entlastungen der Kommunen Mit dem DigitalPakt Schule wollen Bund und Län- der für eine bessere Ausstattung der Schulen mit Zum Ende des Jahres 2018 erfolgten mit der Been- digitaler Technik sorgen. Der Bund wird hierfür digung der Beteiligung der Kommunen an den Kos- bis 2024 insgesamt 5 Mrd. € zur Verfügung stellen. ten ihrer Länder an der Abfinanzierung des Fonds Die für die Umsetzung des DigitalPakts erforderli- „Deutsche Einheit“ – die wegen der vorzeitigen fikti- che Verwaltungsvereinbarung soll nun unmittel- ven Tilgung aufgrund guter Zinskonditionen bereits bar nach dem Inkrafttreten der Grundgesetzände- zum Ende des Jahres 2018 beendet wurde – aufgrund rung abgeschlossen werden. einer Änderung der Gemeindefinanzreformgeset- zes Entlastungen der westdeutschen Kommunen in Höhe von rund 500 Mio. € jährlich. Sozialer Wohnungsbau Zudem läuft die 1993 durch das Gesetz zur Um- Der Bund wird zweckgebundene Finanzhilfen für setzung des föderalen Konsolidierungspro- den sozialen Wohnungsbau gewähren. Ziel ist es, gramms eingeführte erhöhte Gewerbesteuerum- dem Mangel an bezahlbarem Wohnraum entge- lage nach § 6 Abs. 3 Gemeindefinanzreformgesetz genzuwirken. Das betrifft vor allem Ballungszen- (sogenannte Solidarpakt-Umlage) nach geltendem tren. Hierfür sind Finanzhilfen im Umfang von Recht zum 31. Dezember 2019 aus. Die Gemeinden insgesamt 2 Mrd. € für die Jahre 2020 und 2021 ge- werden in diesem Rahmen dann um weitere circa plant. Eine Verwaltungsvereinbarung über den so- 3,4 Mrd. € jährlich entlastet. zialen Wohnungsbau im Programmjahr 2020 be- findet sich in Erarbeitung. Fokus auf Unterstützung finanzschwacher Kommunen Unterstützung im Verkehrsbereich Weitere Maßnahmen, die der Bund bereits in der Künftig soll mehr Geld in Projekte des Gemeinde- Vergangenheit beschlossen hat und die die Kom- verkehrsfinanzierungsgesetzes (GVFG) fließen , z. B. munen zusätzlich entlasten, zielen insbesondere für den Bau neuer U- und S-Bahnen. Neu- und Aus- auf die finanzielle Unterstützung finanzschwa- baumaßnahmen werden ermöglicht. Hierfür ist cher Kommunen ab. Diese Maßnahmen sollen eine Erhöhung der Mittel für das GVFG-Bundes- zum Ausgleich unterschiedlicher Wirtschaftskraft programm um 1,7 Mrd. € für den Zeitraum bis ein- im Bundesgebiet beitragen. Hierfür stellt der Bund schließlich 2022 vorgesehen. den Ländern Finanzhilfen zur Förderung von In- vestitionen finanzschwacher Kommunen im Rah- men des Kommunalinvestitionsförderungsgeset- Ganztagsschule/ zes (KInvFG) zur Verfügung. Das Gesamtvolumen Ganztagsbetreuung des Fonds beträgt 7 Mrd. € und verteilt sich auf zwei Förderprogramme. Der Ausbau ganztägiger Bildungs- und Betreu- ungsangebote für Kinder im Grundschulalter hat Mit dem Infrastrukturprogramm (KInvFG, Ka- für den Bund hohe Priorität. Für Investitionen in pitel 1) fördert der Bund im Zeitraum von 2015 19
Analysen und Berichte Monatsbericht des BMF Die Finanzsituation der Kommunen – eine Bestandsaufnahme April 2019 bis 2020 mit insgesamt 3,5 Mrd. € kommunale In- Fazit vestitionen in verschiedene Teilbereiche der Inf- rastruktur, z. B. städtebauliche Maßnahmen, Maß- Die Finanzsituation der Kommunen ist – insge- nahmen zum Lärmschutz und den Ausbau von samt betrachtet – sehr gut. Die kommunale Ebene Breitbandverbindungen. Auch Investitionen in die verzeichnet seit Jahren zum Teil erhebliche Haus- Bildungsinfrastruktur können gefördert werden, haltsüberschüsse. Es ist davon auszugehen, dass allerdings nur insoweit, als der Bund auch die ent- dies auch in den nächsten Jahren der Fall sein wird. sprechende Gesetzgebungskompetenz hat. Eine allgemeine strukturelle Unterfinanzierung der Kommunen besteht demnach nicht. Mit dem Schulsanierungsprogramm (KInvFG, Kapitel 2) unterstützt der Bund ebenfalls mit Zuerst sind die Länder in der Verantwortung, für 3,5 Mrd. € gezielt kommunale Investitionen zur eine aufgabenangemessene Finanzausstattung ih- Sanierung, zum Umbau und zur Erweiterung von rer Kommunen zu sorgen. Gleichwohl entlastet Schulgebäuden. Der Förderzeitraum dieses Pro- auch der Bund die Kommunen finanziell in erheb- gramms endet 2022. lichem Maße. Mit den in dieser Legislaturperiode ergriffenen Maßnahmen unterstützt der Bund die Darüber hinaus entlastet der Bund die Kommunen Kommunen bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben insbesondere bei den Sozialausgaben. Hiervon pro- insbesondere in den Bereichen Schule, Kinderbe- fitieren in der Regel finanzschwache Kommunen treuung und sozialer Wohnungsbau. in besonderem Maße, da in diesen die Belastun- gen mit Sozialausgaben häufig höher sind als bei fi- Die Finanzlage der einzelnen Kommunen in nanzstärkeren Kommunen. So erstattet der Bund Deutschland ist jedoch weiterhin heterogen. Dies den Kommunen die Ausgaben für die Grundsiche- ist auch ein Thema der Kommission „Gleichwertige rung im Alter und bei Erwerbsminderung in voller Lebensverhältnisse“3, die ihre Handlungsempfeh- Höhe (im Jahr 2019: 7,1 Mrd. €) und beteiligt sich lungen voraussichtlich im Sommer 2019 vorstellen verstärkt an den Kosten für Unterkunft und Hei- wird. zung nach dem SGB II inklusive der vollständigen Entlastung von den Kosten der Unterkunft und Heizung für anerkannte Asyl- und Schutzberech- tigte nach dem SGB II (für 2019: 6,7 Mrd. €). 3 http://www.bundesfinanzministerium.de/mb/20190423 20
Analysen und Berichte Monatsbericht des BMF April 2019 Das Brexit-Steuerbegleitgesetz Analysen und Berichte ●● Am 29. März 2019 ist das Gesetz über steuerliche und weitere Begleitregelungen zum Austritt des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland aus der Europäischen Union (Bre- xit-Steuerbegleitgesetz) in Kraft getreten. ●● Das Gesetz soll in verschiedenen Bereichen des Steuer- und Finanzmarktrechts Rechtssicher- heit schaffen und besondere Nachteile verhindern, die andernfalls aufgrund des Brexits für Steuerpflichtige und Finanzmarktteilnehmer eintreten würden. ●● Die Besonderheit dieses Gesetzgebungsverfahrens lag darin, die Regelungen wegen des bis zuletzt unklaren Ausgangs der Austrittsverhandlungen so auszugestalten, dass alle denkbaren Szenarien des Austritts sowohl hinsichtlich seines Zeitpunkts als auch seiner Art und Weise abgedeckt werden. Der Austritt des Vereinigten und sonstigen Gesetze aus dem Zuständigkeitsbe- Königreichs aus der EU reich des BMF daraufhin zu überprüfen, welche Folgen der Brexit jeweils für die Bürgerinnen und Am 29. März 2017 hat das Vereinigte Königreich Bürger sowie die Unternehmen in Deutschland Großbritannien und Nordirland – so die offizielle und dem Vereinigten Königreich auslösen könnte Bezeichnung – dem Europäischen Rat seine Ab- und dabei diejenigen Regelungen zu identifizieren, sicht mitgeteilt, die Europäische Union (EU) verlas- bei denen ein Tätigwerden des Gesetzgebers zur sen zu wollen. An diesem Tag begann zugleich die Abwendung besonders unerwünschter Folgen für von Art. 50 Abs. 3 des Vertrags über die Europäische die Betroffenen notwendig erschien. Union (EUV) vorgesehene zweijährige Frist, nach deren Ablauf am 29. März 2019 der Austritt grund- sätzlich wirksam geworden wäre, hätten sich nicht Kriterien für das Brexit- die EU und das Vereinigte Königreich beim Euro- Steuerbegleitgesetz päischen Rat am 21. März 2019 auf eine zeitliche Verschiebung des Austritts verständigt. Wie für alle Mit dem Austritt aus der EU finden auf das Ver- anderen Ministerien begann auch für das BMF am einigte Königreich die vier unionsrechtlichen 29. März 2017 die Phase der konkreten Vorberei- Grundfreiheiten des Binnenmarkts (freier Verkehr tung auf den Austritt des Vereinigten Königreichs von Waren, Personen, Dienstleistungen und – mit aus der EU, den Brexit. Einschränkungen – Kapital) ebenso wie diejenigen nationalen Regelungen, die an die Mitgliedschaft in der EU anknüpfen, keine Anwendung mehr. Dies ist Vorbereitungsmaßnahmen des letztlich Folge der freien Entscheidung des Verei- BMF nigten Königreichs, die EU zu verlassen und künftig im Verhältnis zu den verbleibenden EU-Mitglied- Das BMF hat zahlreiche Maßnahmen zur Vorberei- staaten ein sogenannter Drittstaat zu sein. Diese tung auf den Brexit ergriffen. Dazu gehörte, bereits Entscheidung soll auch nicht durch einseitige Maß- frühzeitig alle steuerlichen, finanzmarktrechtlichen nahmen eines Mitgliedstaates, der das Vereinigte 21
Analysen und Berichte Monatsbericht des BMF Das Brexit-Steuerbegleitgesetz April 2019 Königreich weiterhin wie einen EU-Mitgliedstaat Die Gesetzentwürfe des behandelt, in Frage gestellt werden. Daher werden Brexit-Steuerbegleitgesetzes z. B. künftig Schulgeldzahlungen an eine Schule im Vereinigten Königreich anders als Zahlungen an Als federführendes Ressort für das Steuer- und Fi- eine Schule in der EU nicht mehr als Sonderausga- nanzmarktrecht hat das BMF zunächst – wie dies ben abziehbar sein. Auch kann das in einem zerti- bei Gesetzentwürfen, die von der Bundesregie- fizierten Altersvorsorgevertrag („Riester-Vertrag“) rung eingebracht werden, üblich ist – am 8. Okto- gebildete Altersvorsorgevermögen zukünftig nicht ber 2018 einen Referentenentwurf veröffentlicht mehr förderunschädlich für die Anschaffung oder und den Ländern und Verbänden Gelegenheit ge- Herstellung einer im Vereinigten Königreich bele- geben, Stellung zu nehmen sowie Änderungsvor- genen Wohnung verwendet werden. schläge zu machen. Am 20. November 2018 hat das BMF den Referentenentwurf um bestimmte fi- In bestimmten Fällen könnte der Brexit ohne ge- nanzmarktrechtliche Regelungen ergänzt. Unter setzliche Begleitregelungen für Steuerpflichtige Berücksichtigung der eingegangenen Stellungnah- und Finanzmarktteilnehmer allerdings auch in be- men hat das BMF anschließend den Gesetzentwurf reits weitgehend abgeschlossenen Sachverhalten, der Bundesregierung vorbereitet, der am 12. De- deren rechtliche Wirkungen aber über den Zeit- zember 2018 vom Bundeskabinett beschlossen punkt des Brexits hinaus andauern, erhebliche wurde. Im Rahmen des parlamentarischen Verfah- nachteilige Folgen auslösen. Um bei dem bereits ge- rens wurden weitere Regelungen aus dem Bereich nannten Riester-Beispiel zu bleiben, hätte der Bre- des Steuer- und Finanzmarktrechts ergänzt. xit ohne das Brexit-Steuerbegleitgesetz etwa dazu geführt, dass Steuerpflichtige – auch bei Altersvor- Eine besondere Herausforderung dieses Gesetzge- sorgeverträgen, die bereits lange vor dem Brexit bungsverfahrens bestand darin, dass bis zuletzt un- abgeschlossen worden sind und aus denen das Al- klar war, ob das Vereinigte Königreich überhaupt – tersvorsorgevermögen für eine im Vereinigten Kö- und wenn ja, zu welchem Zeitpunkt (zum Ablauf nigreich angeschaffte oder hergestellte Wohnung der Frist nach Art. 50 Abs. 3 EUV oder zu einem an- bereits förderunschädlich ausgezahlt wurde – zur deren Zeitpunkt) und in welcher Form (mit oder Rückzahlung der ausgezahlten Altersvorsorgezu- ohne Austrittsabkommen) – aus der EU austreten lagen verpflichtet gewesen wären. Darüber hin- würde. Aus diesem Grund mussten die einzelnen aus bestand die Befürchtung, dass sich die sofor- Regelungen des Gesetzes jeweils so formuliert wer- tige und generelle Unanwendbarkeit bestimmter den, dass sie – je nach Zielrichtung – entweder auf finanzmarktrechtlicher Regelungen nachteilig auf alle oder nur auf bestimmte Austrittsszenarien An- die Funktionsfähigkeit und Stabilität der Finanz- wendung finden.1 märkte auswirken könnte. Das Brexit-Steuerbegleitgesetz greift diese Aspekte Das Brexit-Steuerbegleitgesetz in Form von Übergangsregelungen auf. Darüber hin- aus enthält das Gesetz eine Regelung zur Lockerung Nachdem der Deutsche Bundestag das Brexit-Steu- des Kündigungsschutzes für bestimmte Risikoträger erbegleitgesetz am 21. Februar 2019 angenommen von bedeutenden Finanzinstituten. Hierdurch wer- und der Bundesrat dem Gesetz am 15. März 2019 den die Risiken für diese Institute weiter verringert zugestimmt hat, ist das Gesetz nach seiner Verkün- und die Attraktivität des Finanzstandorts Deutsch- dung am 29. März 2019 in Kraft getreten. Es enthält land weiter gesteigert. 1 Referentenentwürfe, Stellungnahmen, Regierungsentwürfe sowie die verkündeten Gesetzestexte aus dem Zuständigkeitsbereich des BMF finden Sie unter www.bundesfinanzministerium.de/MB/20190431 22
Analysen und Berichte Monatsbericht des BMF Das Brexit-Steuerbegleitgesetz April 2019 die folgenden steuerlichen und finanzmarktrecht- Steuerpflichtigen oder in eine britische Kör- lichen Regelungen: perschaft zu Werten unterhalb des gemeinen Werts eingebracht wurden, sowie Analysen und Berichte Steuerliche Regelungen des Brexit- ●● § 6 Abs. 5 Satz 4 und Abs. 8 des Außensteuer- Steuerbegleitgesetzes gesetzes (AStG), der ebenfalls den Status quo (d. h. die zeitlich unbefristete Stundung der so- Diverse steuerliche Regelungen betreffen Sachver- genannten Wegzugssteuer nach § 6 AStG) in halte aus dem Bereich der Unternehmensbesteue- Fällen anordnet, in denen ein Steuerpflichtiger rung. Dazu zählen vor dem Brexit in das Vereinigte Königreich verzogen ist. ●● § 4g Abs. 6 des Einkommensteuergesetzes (EStG) zur Verhinderung der sofortigen Auflö- Weitere steuerliche Regelungen des Brexit-Steuer- sung eines vor dem Brexit2 – z. B. im Anschluss begleitgesetzes betreffen an eine steuerpflichtige Überführung eines Wirtschaftsguts in eine britische Betriebs- ●● Bestandsschutzregelungen zur „Riester“-Förde- stätte – gebildeten Ausgleichspostens, rung3 zur Vermeidung des Eintritts der Folgen einer schädlichen Verwendung, ●● § 6b Abs. 2a EStG zur Vermeidung einer Ver zinsung des Zahlungsaufschubs nach § 6b EStG, ●● § 4 Nr. 6 des Grunderwerbsteuergesetzes sofern der Antrag auf Ratenzahlung bereits vor (GrEStG), der den durch den Brexit ausgelösten dem Brexit gestellt wurde, Übergang des zivilrechtlichen Eigentums an einem inländischen Grundstück bei britischen ●● § 12 Abs. 3 Satz 4 und Abs. 4 des Körperschaft- Körperschaften mit inländischer Geschäftslei- steuergesetzes (KStG), der den Status quo für tung von der Grunderwerbsteuer befreit, britische Kapitalgesellschaften (u. a. Limited Companies) mit Geschäftsleitung im Inland ●● § 6a Satz 5 GrEStG, der bei konzerninternen (§ 12 Abs. 4 KStG) beziehungsweise in Großbri- Umstrukturierungen vor dem Brexit unter Be- tannien (§ 12 Abs. 3 Satz 4 KStG) sicherstellt, teiligung einer britischen Körperschaft mit in- ländischer Geschäftsleitung Bestandsschutz ge- ●● § 1 Abs. 2 Satz 3 des Umwandlungssteuerge- währt, setzes (UmwStG), der britischen Kapitalge- sellschaften für eine Übergangszeit nach dem ●● § 37 Abs. 17 des Erbschaft- und Schenkung- Brexit die Möglichkeit einräumt, steuerbe- steuergesetzes, der für vor dem Brexit erfolgte günstigt auf eine deutsche Gesellschaft zu ver- Erwerbe ebenfalls Bestandsschutz gewährt. schmelzen, sofern der Verschmelzungsvertrag vor dem Brexit notariell beurkundet wurde, Finanzmarktrechtliche Regelungen des Brexit-Steuerbegleitgesetzes ●● § 22 Abs. 8 UmwStG zur Verhinderung einer rückwirkenden Besteuerung des Einbringungs- Im Bereich des Finanzmarktrechts werden der gewinns, wenn Betriebe, Teilbetriebe, Mitunter- Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht nehmeranteile oder Anteile an einer Kapitalge- (BaFin) für den Fall eines „harten“ Brexits (ohne sellschaft vor dem Brexit von einem britischen Austrittsabkommen) aufgrund von Änderungen 2 Die in diesem Abschnitt verwendete Bezeichnung „Brexit“ umfasst regelmäßig sowohl den Zeitpunkt des Austritts ohne 3 § 3 Nr. 55c Satz 2 Buchstabe c EStG, § 92a Abs. 1 Satz 5 und Austrittsabkommen als auch den Ablauf der Übergangsfrist im Abs. 2a Satz 5 Nr. 2 EStG, § 93 Abs. 1 Satz 4 Buchstabe c EStG Fall eines Austrittsabkommens. und § 95 Abs. 1 Satz 2 EStG 23
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