Versandapotheken in Deutschland - Die Geburt einer neuen Dienstleistung
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Versandapotheken in Deutschland – Die Geburt einer neuen Dienstleistung Wer wird eigentlich der Vater? Von Martin Gersch 1. Innovative Geschäftssysteme zur Beherr- In Folge aktueller und zukünftiger Reformen schung neuer Erfolgsfaktoren in veränderten des Gesundheitswesens (u. a. GMG 2004) ökonomischen Rahmenbedingungen kommt es erstmalig zur Gründung so genann- ter Versand- und Internetapotheken in 1.1. Die Etablierung neuer E-Commerce- Deutschland, die gegenüber dem traditionel- Geschäftssysteme len Leistungsangebot stationärer Apotheken durchaus innovative Services realisieren. Auf E-Commerce und E-Business sind Schlagworte einer so der Basis des Resource-based View analy- genannten „Internetökonomie“ [1]. Leistungserstel- siert der Beitrag mögliche Träger eines E- lung, Koordination und Transaktionen haben durch Digi- Commerce-Geschäftssystems. Nach der talisierung und Vernetzung veränderte oder gar neue Re- Darstellung notwendiger Partialmodelle eines geln bekommen, innerhalb derer die „alten“ Restriktio- Geschäftssystems Versandapotheke werden nen und Begrenzungen scheinbar nicht mehr in gewohn- die kritischen Erfolgsfaktoren identifiziert. ter Weise gelten (Schmid 2001; Shapiro/Varian 1998; Hierfür notwendige und bei denkbaren Trä- Zerdick et al. 2001). gern des Geschäftssystems vorhandene Häufig sind neue technische Möglichkeiten aber nur der Ressourcen und Kompetenzen werden ana- Auslöser für eine fundamentale Veränderung traditionel- lysiert. Da kein Akteur über alle notwendigen ler Branchenstrukturen und Wettbewerbsregeln. Die ge- Eigenschaften verfügt, folgt eine Diskussion nerischen Treiber der Veränderungen sind z. B. in Dere- grundsätzlicher Alternativen des Kompetenz- gulierung, ineffizienten Wertketten oder wenig nachfra- und Ressourcenerwerbs. In Abhängigkeit von georientierten Leistungsangeboten in den bisherigen Eckpunkten einer zukünftigen Marktregulie- Marktstrukturen zu sehen. Internetgestützte Geschäfts- rung kann insbesondere – neben den auf ab- systeme treten in Konkurrenz zu bereits etablierten An- sehbare Zeit als unverzichtbar erscheinen- geboten auf traditionellen Absatzmärkten oder erfordern den Apothekern – der deutsche, gegebenen- durch innovative Leistungsangebote sogar die Abgren- falls aber auch der international agierende zung neuer Branchen- und Marktgrenzen. Dies wird Pharmagroßhandel als möglicher „Vater“ zu- auch zur Geburtsstunde neuer Dienstleistungsangebo- künftiger Service-Angebote in innovativen te, die bisher in den etablierten Märkten nicht realisiert Geschäftssystemen identifiziert werden. wurden. Voraussetzung für ein erfolgreiches Angebot ist die Beherrschung der Kritischen Erfolgsfaktoren ent- sprechender Geschäftssysteme. Notwendige Kompeten- zen besitzen aber nicht nur etablierte Anbieter aus ver- meintlich verwandten Branchen. Mögliche Geschäfts- systembetreiber stammen eventuell aus ganz unter- schiedlichen Märkten. Sie werden jetzt zu potenziellen Konkurrenten. Insbesondere die Notwendigkeit zur ko- operativen Realisierung entsprechender Leistungsange- bote durch bisherige Geschäftspartner und/oder potenzi- elle Wettbewerber wird nachfolgend anhand eines aktu- ellen Praxisbeispiels aus dem Dienstleistungsbereich ausführlicher betrachtet [2]. Dr. Martin Gersch ist Leiter des Competence Center E-Com- Im ersten Schritt werden in Abschnitt 1.2 unter Verwen- merce des Instituts für Unter- dung eines Partialmodells Eckpunkte neuer Geschäfts- nehmungsführung und Unter- nehmensforschung an der systeme und innovativer Dienstleistungsangebote skiz- Ruhr-Universität Bochum, ziert. Der Resource-based View wird in Kapitel 2 zur GC 4/37, 44780 Bochum, Identifikation notwendiger und bei denkbaren Akteuren Tel.: 0234/32–22254; E-Mail: martin.gersch@rub.de. vorhandener Ressourcen und Kompetenzen genutzt. Ka- pitel 3 diskutiert auf dieser Grundlage geeignet erschei- MARKETING · ZFP · 26. Jg. · Spezialausgabe „Dienstleistungsmarketing“ 2004 · S. 59 – 70 59 https://doi.org/10.15358/0344-1369-2004-Sonderheft-2004-59 Generiert durch IP '46.4.80.155', am 19.02.2024, 21:04:25. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Gersch, Versandapotheken in Deutschland – Die Geburt einer neuen Dienstleistung Marktmodell •Nachfrage l •F lösm odel •Wettbewerb ru anz odell an Le otsm •E italm ge b ell istu od ng ie- od p ng ell sm Ka r s- in Geschäfts- modell ell Or mo gsm s- od ga del lun g tel tun nis l ers Leis at i on s- Beschaffungs-/ Distributionsmodell Abb. 1: Relevante Teilbereiche eines Geschäftsmodells [6] nende Kooperationsformen, da keiner der potenziellen Geschäftssystemträger über alle notwendigen Vorausset- Abb. 2: Die traditionelle Struktur des deutschen Pharmamarktes zungen verfügt. Der Ausblick in Kapitel 4 wagt eine (Quelle: Kunz 2001, S. 64) Prognose bezüglich der im Titel dieses Beitrages gestell- ten „Vaterschaftsfrage“. Neben den zu erfüllenden Min- Services ausgestaltet werden und vor allem, welche Ak- destvoraussetzungen hinsichtlich benötigter Ressourcen teure die Erfolgsfaktoren der neuen Geschäftssysteme und Kompetenzen sind hierbei weitere strategische Fak- beherrschen. toren zu beachten, die einen nachhaltigen Erfolg der neu- en Dienstleistungsangebote beeinflussen. Je nach Er- Die Darstellung erfolgt hierbei in Anlehnung an die wei- scheinungsform zukünftiger Versandapotheken handelt ter entwickelte Systematik von Wirtz (siehe Abb. 1; es sich um eine klassische Dis- oder Reintermediation Gersch 2002, S. 412 f.). traditioneller Wertschöpfungsstrukturen. 1.2.1. Apotheken als Bezugspunkt des Marktmodells 1.2. Versandapotheken in Deutschland als Das Marktmodell analysiert die für das Geschäftssystem Beispiel internetgestützter E-Commerce- relevanten Märkte. Ausgangspunkt der Überlegungen ist Geschäftssysteme hier der traditionelle Arzneimittelmarkt in Deutsch- land und seine vorgelagerten Wertschöpfungsstufen Vor dem Hintergrund der kontinuierlich steigenden Kos- (Abb. 2) [7]. Die Versorgung der Endkunden erfolgte ten im Gesundheitswesen und den damit verbundenen 2002 durch 21.465 öffentliche Apotheken (563 Kranken- Forderungen nach Reformen findet aktuell eine lebhafte, hausapotheken bleiben nachfolgend unberücksichtigt), z. T. stark emotional geführte Diskussion um neue Ge- die neben apothekenpflichtigen Produkten auch so ge- schäftssysteme im Arzneimittelsektor statt. Vor allem die nannte Ergänzungssortimente sowie eine Reihe von Ser- Legalisierung auch internetgestützter Geschäftssyste- vices, z. B. in Form von Behandlungsleistungen und Be- me [3] „Versandapotheke“ [4] steht bei dieser Diskus- ratung, anbieten. Hiermit erzielten sie im Jahre 2002 sion im Mittelpunkt. Obwohl E-Commerce in vorgela- einen Gesamtumsatz von 31,1 Mrd. Euro (ohne MwSt.) gerten Wertschöpfungsstufen in Deutschland (zwischen (ABDA 2003). den 16 deutschen Pharmagroßhändlern und den derzeit ca. 21.500 öffentlichen Apotheken) seit den 1970er Jah- Die bisherige rechtliche Reglementierung bildet „vier ren (Gersch 1998, S. 419 ff.) und im Endkundengeschäft Säulen“ für die traditionelle Position öffentlicher Apo- international (Badenhoop/Seiter/Emrich 2002) seit meh- theken (Kerckhoff 2002; Kunz 2001; Riehm et al. 2002): reren Jahren bereits Realität ist, besteht in Deutschland Das Angebotsmonopol (§43 AMG, §1 ApoG) sichert für apothekenpflichtige Produkte im Endkonsumenten- die Exklusivität des Absatzes von Arzneimitteln über Bereich bis Ende 2003 noch ein Versandhandelsverbot. Apotheker. Das fixierte Preissystem (§78 AMG; §2–3 Aufgrund der aktuellen Gesundheitsreform 2003/2004 AMPreisV) sichert über Höchstzuschläge auf der Groß- [5], anstehender Urteile des Europäischen Gerichtshofes handels- und Festzuschläge auf der Apothekenstufe bun- und auch von Erfahrungen in anderen Ländern ist aber in desweit einheitliche Abgabepreise. Das Versandhan- Zukunft mit deutlichen Veränderungen in Deutschland delsverbot (§43 AMG; §17 ApBetrO) beschränkt die zu rechnen (u. a. BMG 2003; Pfaff et al. 2002; Prinz/Vo- Abgabe auf die Räumlichkeiten einer Apotheke (die so gel 2002; Riehm et al. 2002). Die Frage ist kaum noch genannte „Botenausnahme“ wird seit Jahren von vielen ob, sondern eher wie die neuen medikamentenbezogenen Apotheken überstrapaziert, so dass Versandapotheken de 60 MARKETING · ZFP · 26. Jg. · Spezialausgabe „Dienstleistungsmarketing“ 2004 https://doi.org/10.15358/0344-1369-2004-Sonderheft-2004-59 Generiert durch IP '46.4.80.155', am 19.02.2024, 21:04:25. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Gersch, Versandapotheken in Deutschland – Die Geburt einer neuen Dienstleistung facto schon länger existieren). Und schließlich verhin- tive Service-Angebote im Rahmen so genannter „Dis- dert das Fremd- und Mehrbesitzverbot die Bildung so ease Management Konzepte“ [8], anstreben. Auch Phar- genannter Apothekenketten (§7 ApoG), da jeder Apothe- mahersteller sehen in Versandapotheken eine Chance zur ker selbständig sein muss und auch nur eine Apotheke Disintermediation bisheriger Wertkettenstrukturen und betreiben darf. Daneben gilt eine Reihe weiterer Regulie- zur effizienten „Direktbehandlung“ interessanter Patien- rungen, die die Aktionsfreiheit der Akteure beschränken, tengruppen mit deutlich geringeren Streuverlusten z. B. so z. B. das Werbeverbot oder die Beschränkung des Sor- im Bereich Information und Kommunikation. Dem steht timents auf ein apothekenübliches Waren- und Leis- insbesondere die Gruppe der Apotheker entgegen, die tungsangebot (Riehm et al. 2002, S. 157 ff.; Sterzel/Was- um ihre wirtschaftliche Situation, aber insbesondere sener 2001; Prinz/Vogel 2002). auch um ihre Unabhängigkeit fürchten (Gersdorff 2002; Mihm 2002; www.pro-apotheke.de). Eine weitere Besonderheit besteht in der marktunüb- lichen Trennung zwischen Entscheider (Arzt), Kostenträ- 1.2.2. Mögliche Leistungsangebotsmodelle ger (Krankenkasse) und Verwender (Patient). Durch die- se Konstruktion fehlen bisher weitestgehend wirksame Die aktuelle Diskussion zeigt ein relativ deutliches Bild Anreizstrukturen: die Nachfrage nach Arzneimitteln be- bezüglich der zukünftigen Ausgestaltung des Ge- sitzt faktisch keine Preiselastizität, das Angebot wird schäftssystems Versandapotheke. Aufgrund der über- vordergründig durch gesundheitspolitische Zielsetzun- ragenden Bedeutung einer staatlich kontrollierten Ver- gen bestimmt. Auch durch diese Konstruktion begründet, sorgungssicherheit werden ausländische Anbieter, die hat sich in Deutschland ein international unüblich breites nicht den europäischen bzw. deutschen Bestimmungen und tiefes Arzneimittelangebot etabliert. Während ande- unterliegen, möglichst vom Markt ausgeschlossen. Nur re Länder mit 3.500 (Schweden) bis 14.000 (Großbritan- über das Internet agierende Anbieter außerhalb der Euro- nien) zugelassenen Arzneimitteln auskommen, sind in päischen Union werden daher kaum eine Chance erhal- Deutschland im Jahre 2002 über 52.000 verkehrsfähige ten. Vielmehr zeichnen sich die im April 2002 durch Arzneimittel auf dem Markt. einen so genannten „runden Tisch“ im Bundesgesund- heitsministerium erarbeiteten und im Rahmen der Ge- Insgesamt hat sich – insbesondere durch die Digitalisie- sundheitsreform 2003/2004 weitgehend umgesetzten rung und Vernetzung der den Apotheken vorgelagerten Eckpunkte als realistische Rahmenbedingungen zukünf- Wertschöpfungskette – ein fast beispiellos leistungsfähi- tiger Leistungsangebote ab (BMG 2002b; 2003). Ver- ges Gesamtsystem bei der Arzneimittelversorgung ent- sandapotheken sind Apotheken mit besonderem Ver- wickelt. Jede Apotheke kann innerhalb weniger Stunden triebsweg, neuen und z. T. patientengruppenspezifischen über 100.000 Produkte für den Patienten bereitstellen. oder gar individuellen Zusatzdienstleistungen sowie ten- Der Pharmagroßhandel übernimmt durch seine Dienst- denziell geringeren Kosten, die – falls rechtlich ermög- leistungen die Ausgleichsfunktion, da Apotheken übli- licht – in geringeren Verkaufspreisen oder Rabatten an cherweise nur 3.000 bis 8.000 der gängigsten Präparate die Endkunden bzw. Kostenträger (insb. Krankenkassen) vorrätig halten. Bis zu fünfmal am Tag werden Apothe- weitergegeben werden können. Sie müssen ebenso wie ken durch den Großhandel mit einer Defektquote von un- traditionelle Apotheken u. a. ein Vollsortiment anbieten, ter einem Prozent und einem Lieferfenster von ca. 2–3 Notdienste versehen, die sachgemäße Betreuung durch Stunden versorgt. 93 % der Bestellungen zwischen Apo- Fachpersonal gewährleisten (inkl. Apotheker als Verant- theken und Großhandel laufen hierbei online, noch über wortlicher) und darüber hinaus sicherstellen, dass ver- 70 % der Bestellungen des Großhandels bei den Pharma- sandte Arzneimittel nur an den Patienten mit Rezept herstellern sind seit den 1970er Jahren als E-Commerce (oder Bevollmächtigten) ausgehändigt werden. anzusehen (Riehm et al. 2002, S. 164). Somit gehört die- se Branche zu den Bereichen mit dem höchsten Diffu- sionsgrad derartiger Anwendungen (Gersch 2001). Ihr Angebot ist nicht grundsätzlich für alle bisherigen Apothekenkunden überlegen attraktiv (z. B. eilige Arz- Dass zukünftig Versandapotheken diese „elektronische neimittel bei akutem Bedarf oder Wunsch nach persön- Kette“ bis zum Endkunden schließen, deutet sich auf- lichem Kontakt und Beratung), daher droht keine voll- grund der Gesundheitsreform 2003/2004 und aktueller ständige Substitution stationärer Apotheken. Allerdings Diskussionen an [5]. So zeigen Modellrechnungen und sind Erfolge bei besonders geeigneten Zielgruppen sehr internationale Vergleiche das mögliche Einsparpotenzial, wahrscheinlich. Hierzu zählen insbesondere chronisch welches auch von politischer Seite als realistischer und Kranke mit einem vorhersehbaren und konstanten Arz- erstrebenswerter Beitrag zur Senkung der Kosten im Ge- neimittelbedarf, immobile Kunden ohne akuten Bedarf, sundheitswesen gesehen und akzeptiert wird (Pfaff et al. aber auch Patienten mit einem sehr speziellen Behand- 2002; Prinz/Vogel 2002). Weitere einflussreiche Interes- lungs- und Informationsbedarf. Insgesamt schätzen un- sengruppen unterstützen aktiv die Etablierung innovati- abhängige Studien und Experten einen realisierbaren ver Geschäftssysteme. Neben politischen Entscheidungs- Marktanteil zwischen 8 und 15 % des Gesamtmarktes trägern sind dies insbesondere Krankenkassen, die u. a. (mit deutlichen Unterschieden bei einzelnen Produkt- auch eine bessere und effizientere Betreuungsmöglich- und Zielgruppen) (BMG 2002a; Kerckhoff 2002; Pfaff et keit verschiedener Patientengruppen, z. B. durch innova- al. 2002; Prinz/Vogel 2002). MARKETING · ZFP · 26. Jg. · Spezialausgabe „Dienstleistungsmarketing“ 2004 61 https://doi.org/10.15358/0344-1369-2004-Sonderheft-2004-59 Generiert durch IP '46.4.80.155', am 19.02.2024, 21:04:25. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Gersch, Versandapotheken in Deutschland – Die Geburt einer neuen Dienstleistung Es ist daher zu erwarten, dass sich viele Versandapothe- Aktivitäten, wie z. B. Bestellannahme, Kommissionie- ken in ihrem Angebot – trotz Vollsortimentspflicht – auf rung der Einzellieferung oder Einkauf und Transport der einzelne Regionen, Patientengruppen und/oder Medika- angebotenen Ware, bedarf es einer Reihe sekundärer Ak- tionsbereiche bzw. (in Kooperation mit Pharmaherstel- tivitäten, die auf der linken Seite der Abbildung genannt lern) Einzelprodukte spezialisieren. Diese Spezialisie- werden. Eine besondere Bedeutung wird die Möglichkeit rung wird sich insbesondere in den zusätzlichen, z. T. in- eines „elektronischen Rezeptes“ erhalten. Versandapo- novativen (Electronic) Services äußern, die hierbei voll- theken müssen im Rahmen der traditionellen Strukturen umfänglich auch Online-Medien zur Information, Inter- den Versand, die Überprüfung und die Digitalisierung aktion und Community-Bildung einbeziehen werden z. T. noch von Hand erstellter Rezepte realisieren (siehe (Däinghaus 2003, S. 99 ff.) [9]. Neben diesen speziali- hierzu das Schweizer Geschäftssystem Mediservice: sierten Leistungsangeboten gehen aktuelle Studien auch www.mediservice.ch). Durch derzeit diskutierte Mög- von der Herausbildung großer, besonders effizient und lichkeiten elektronisch erstellter und übermittelter Re- kostengünstig agierender Versandapotheken aus, die mit zepte würden nicht nur diese Medienbrüche entfallen einem geschätzten Umsatz ab ca. 250 Mio. Euro die Grö- und Kosten eingespart, der ausstellende Arzt würde – je ße traditioneller stationärer Apotheken (2002 betrug der nach Ausgestaltung des elektronischen Rezeptes – ver- Durchschnittsumsatz 1,44 Mio. Euro) um mehr als den mutlich auch eine andere Bedeutung bei der Auswahl des Faktor 170 übersteigen würden (ABDA 2003; Pfaff et al. zu nutzenden Apotheken-Geschäftssystems erhalten. 2002, S. 36 ff.). 1.2.4. Das Kapitalmodell des Geschäftssystems Ver- 1.2.3. Notwendige Wertkettenaktivitäten im Leis- sandapotheke tungserstellungs-, Beschaffungs- und Distributions- Nach Angaben der ABDA konnten die traditionellen modell Apotheken in den letzten Jahren trotz sinkender Handels- Für das Angebot der beschriebenen Leistungen muss das spannen ein positives ökonomisches Ergebnis realisie- in Abb. 3 skizzierte Leistungserstellungsmodell so oder ren. 2002 erreichten sie im Durchschnitt aller Apotheken in ähnlicher Form realisiert werden. Neben den primären ein Betriebsergebnis nach Vollkosten (u. a. inkl. kalkula- Abb. 3: Notwendige Wertkettenaktivitäten des Geschäftssystems Versandapotheke (Quelle: Gersch/Theißen 2003, S. 30) 62 MARKETING · ZFP · 26. Jg. · Spezialausgabe „Dienstleistungsmarketing“ 2004 https://doi.org/10.15358/0344-1369-2004-Sonderheft-2004-59 Generiert durch IP '46.4.80.155', am 19.02.2024, 21:04:25. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Gersch, Versandapotheken in Deutschland – Die Geburt einer neuen Dienstleistung torischer Kosten!) von noch 0,5 % des Umsatzes nach interpretiert werden, die im Zusammenspiel darüber ent- 1,4 % im Vorjahr (ABDA 2003). scheiden, ob das Unternehmen auf seinen relevanten Märkten nachhaltige Wettbewerbsvorteile realisieren Modellrechnungen gehen bei Versandapotheken – je kann. Als Ressourcen werden sämtliche zur Leistungser- nach konkreter Ausgestaltung der rechtlichen Rahmen- stellung verwendeten Potenzial- und Inputfaktoren inter- bedingungen, je nach Ausrichtung des Leistungsangebo- pretiert, die Leistungserstellungsprozesse und Absatzob- tes und je nach Betriebsgröße – von einem realisierbaren jekte ermöglichen und die insbesondere durch Verede- Betriebsergebnis zwischen 6 % und 11 % des Umsatzes lungsprozesse zu unternehmenseigenen Merkmalen für aus (Pfaff et al. 2002, S. 36 ff.; Berechnungen erfolgten Wettbewerbsfähigkeit weiterentwickelt wurden (Freiling noch ohne das so genannte „Vorschaltgesetz“ vom No- 2001, S. 84 ff.). Ressourcen können sowohl einzelne vember 2002 und ohne die Gesundheitsreform 2003/ („veredelte“ = so nicht am Markt erhältliche) Faktoren 2004 [5]). Dies sind im Vergleich zu anderen Bereichen sein, als auch bereits zueinander in spezifischer Bezie- des Einzelhandels überragende Ergebnisse. Basieren die hung stehende Kombinationen und Netzwerke von Fak- Studien und Modellrechnungen auch auf einzelnen, z. T. toren. Ressourcen im Sinne des RBV werden somit zu diskussionswürdigen Prämissen, so zeigt sich insgesamt einer besonderen Teilmenge der Potenzialdimension des dennoch die grundsätzlich positiv beurteilte Zukunft des oder der Geschäftssystemträger(s). Sie sichern die Wett- Geschäftssystems Versandapotheke. Typisch für E-Com- bewerbsfähigkeit und sind gleichzeitig durch so genann- merce-Geschäftssysteme werden auf der Erlösseite nicht te Isolationselemente und -mechanismen vor Dritten ge- nur direkte Leistungsentgelte realisiert. Daneben bestim- schützt. Ressourcen sind das Ergebnis unternehmensspe- men weitere Erlösquellen – z. B. Werbeeinnahmen, Ver- zifischer „Veredelungsprozesse“ generischer, durchaus marktungsverträge mit der Pharmaindustrie oder Infor- marktfähiger Inputfaktoren (so auch Schneider 1998). mationsdienstleistungen bzgl. einzelner Arzneimittel Abnutzbarkeit, Transferierbarkeit, Imitierbarkeit und oder Patientengruppen – den Erfolg des Geschäftssys- Substituierbarkeit werden zu zentralen Ressourceneigen- tems. schaften, deren Ausprägung über Art und Ausmaß mög- licher Wettbewerbsvorteile entscheidet (Bamberger/Wro- na 1996a, S. 135 ff. und 1996b, S. 387; Freiling 2001, 2. Identifikation Kritischer Erfolgsfaktoren S. 94 ff.). und notwendiger Kernkompetenzen Die Verfügung über Ressourcen in einem Zeit- Die ganzheitliche Sicht eines E-Commerce-Geschäfts- raum/-punkt begründet als ein wichtiges Element die systems ermöglicht die Identifikation wesentlicher Ein- Möglichkeit eines Unternehmens, die als kritisch identi- flussfaktoren auf die zukünftige Kosten- und Erlösstruk- fizierten Erfolgsfaktoren zu beherrschen und somit Er- tur des Geschäftssystems. Hierdurch lassen sich Kriti- folg oder Misserfolg mit einem Geschäftssystem zu ha- sche Erfolgsfaktoren benennen, die über den zukünfti- ben. Allein die Verfügungsgewalt über Ressourcen reicht gen Erfolg oder Misserfolg entscheiden. In einem zwei- aber als Erklärung nicht aus. Unternehmen müssen auch ten Schritt müssen dann notwendige Kompetenzen die Kompetenz besitzen, diese Ressourcen im Bedarfs- identifiziert werden, die die Beherrschung der Erfolgs- fall geeignet zu aktivieren und in wettbewerbsfähige faktoren sicherstellen. Abschließend sind unterschied- Leistungsangebote umzusetzen (Schneider 1998. liche Quellen des Kompetenzerwerbs zu identifizieren S. 345). (Kern-)Kompetenzen werden somit zur „Ei- und gegeneinander abzuwägen. Kooperationen erschei- genschaft“ eines Unternehmens, vorhandene Ressourcen nen bei der Sicherung notwendiger Ressourcen und und personelle Fähigkeiten „richtig“ zu nutzen. Kompetenzen als realistische Alternative zu Eigenerstel- Die Analyse wird somit folgerichtig mit der Skizzierung lung, Fremderwerb oder Fusion (Backhaus 2003, Kritischer Erfolgsfaktoren fortgesetzt. Diese werden als S. 282). zentrale Anforderungen identifiziert, welche im Rahmen eines konkreten Geschäftssystems zu erfüllen sind, damit 2.1. Der Zusammenhang zwischen Kritischen die Aktivität grundsätzlich erfolgreich sein kann. In Erfolgsfaktoren sowie notwendigen und verfüg- einem Folgeschritt gilt es zu analysieren, welche Res- baren Kernkompetenzen aus der Perspektive des sourcen und Kompetenzen notwendig erscheinen, um die Resource-based View Erfolgsfaktoren zu beherrschen. Hierbei ist dieser Zu- Jedes E-Commerce-Geschäftssystem zur Realisierung sammenhang indeterminiert (Bamberger/Wrona 1996a, z. T. integrativ erstellter Leistungsangebote ist durch spe- S. 138; Gersch 2002, S. 419). D. h., verschiedene Kom- zielle Erfolgsfaktoren gekennzeichnet, deren Beherr- binationen unterschiedlicher Potenzialfaktoren können schung erfolgreiche von nicht erfolgreichen Ansätzen prinzipiell bewirken, dass ein Anbieter die jeweils als unterscheidet. In der Terminologie des Resource-based kritisch identifizierten Erfolgsfaktoren beherrscht. Allen- View (RBV) versetzen so genannte Ressourcen einen falls tendenziell lassen sich zentrale Ressourcen benen- Anbieter in die Lage, diesen Anforderungen gerecht zu nen, die als unverzichtbar erscheinen. Es lässt sich derart werden (Bamberger/Wrona 1996a; Barney 1991; Frei- ein (nicht allein richtiges) Soll-Profil ableiten, über wel- ling 2001; 2002; Gersch 2002). Jedes Unternehmen kann che Ressourcen und Kompetenzen ein Geschäftssystem- demnach als spezifische Kombination von Ressourcen träger verfügen sollte. Diesem Soll-Profil können Ist- MARKETING · ZFP · 26. Jg. · Spezialausgabe „Dienstleistungsmarketing“ 2004 63 https://doi.org/10.15358/0344-1369-2004-Sonderheft-2004-59 Generiert durch IP '46.4.80.155', am 19.02.2024, 21:04:25. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Gersch, Versandapotheken in Deutschland – Die Geburt einer neuen Dienstleistung Profile von Anbietern gegenübergestellt werden. Es er- Elemente spezialisierter Unternehmen in ihr Leis- geben sich Übereinstimmungen, aber voraussichtlich tungsangebot integrieren [10]. auch Lücken, die es zu füllen gilt. ) Effizienz in primären und sekundären Aktivitäten: Trotz der aktuell noch scheinbar positiven ökonomi- 2.2. Kritische Erfolgsfaktoren der Versand- schen Branchensituation ist in Zukunft ein härterer apotheke und hierfür notwendige Kompetenzen Wettbewerb, z. T. auch über das Instrument Preis Für jeden denkbaren Träger eines möglichen Geschäfts- (Marge) zu erwarten. Hierbei setzen die Leistungseck- systems Versandapotheke gilt es, die nachfolgenden drei daten der bisherigen mehrstufigen Wertkette zur Arz- Erfolgsfaktoren als Grundvoraussetzungen zu erfüllen neimittelversorgung hohe Anforderungen an einen zu- [10]. Die zunächst allgemein klingenden Aspekte müs- künftigen Versandapotheker. Höchste Effizienz im sen dabei insbesondere unter Nutzung neuer technischer Rahmen aller Prozesse der Leistungserstellung ist Möglichkeiten im Rahmen des Leistungsangebotes und ebenso unabdingbar wie wettbewerbsfähige Einkaufs- der Leistungserstellung konsequent beachtet werden. preise, die zukünftig entweder über Volumeneffekte Nachfolgend werden gleichzeitig die jeweils erforderlich und/oder Exklusivabkommen mit einzelnen Produ- erscheinenden Ressourcen und Kompetenzen skizziert: zenten zu erreichen sind. Insbesondere das Bestands- management durch eine optimierte Bestellpolitik so- ) Vertrauen: wie die effizienzorientierte Gestaltung der gesamten Arzneimittel sind Produkte mit weitgehenden Ver- logistischen Lieferkette von den Produzenten über die trauenseigenschaften. Notwendiges Vertrauen in Kommissionierung bis über die so genannte „letzte einen Anbieter bezieht sich hierbei sowohl auf die Meile“ zum Endkunden kennzeichnen erforderliche Qualität der Produkte und der Beratung als auch auf Kompetenzen. Hierfür ist die Nutzung unternehmens- die Verlässlichkeit im Notfall und seine Verschwie- übergreifender ganzheitlich integrierter IT-Systeme genheit bezüglich der erlangten kundenbezogenen In- erforderlich. Vorbild ist hierbei das Beispiel des deut- formationen. Zur Sicherstellung dieses Vertrauens schen Pharmagroßhandels (Gersch 1998, S. 437 ff.). gilt es, die Zuverlässigkeit sämtlicher kritischen Pro- Weiterhin muss der Kundenkontakt über mehrere zesse des Geschäftssystems zu gewährleisten sowie Kontaktkanäle (insbesondere Internet und diverse Zu- auch extern nachzuweisen und glaubwürdig zu kom- gänge über Call-Center) gestaltet werden. Ein beson- munizieren. Neben gesetzlichen Zulassungs- und deres Gewicht muss – trotz des Effizienzdrucks – auf Überwachungsverfahren bieten sich insbesondere einer zuverlässigen und qualitativ hochwertigen Be- etablierte Marken, qualifizierte Zertifizierungen und/ treuung durch entsprechend geschulte Call-Center ge- oder Gütesiegel an. legt werden. Die notwendige Integration verschiede- ) Erfolgsorientierte Sortimentsgestaltung: ner Kontaktkanäle und ggf. Teilleistungen dritter An- bieter in ein geschlossenes und aus Nachfragerper- Dies bedeutet insbesondere Konzentration auf attrak- spektive stimmiges Gesamtkonzept mit wettbewerbs- tive Betätigungsfelder trotz angebotenem Vollsorti- fähiger Integralqualität kennzeichnet ganz besondere ment, zu dem auch Versandapotheken zukünftig ge- Herausforderungen zukünftiger Leistungsangebote. setzlich verpflichtet sein werden (BMG 2003). Dies könnten insbesondere spezielle Indikationsgruppen Abb. 4 fasst die skizzierten notwendigen Ressourcen und sein (z. B. chronisch Kranke mit hohem permanentem Kompetenzen zur erfolgreichen Realisierung des Ge- Medikamentenbedarf und hohem Warenwert je Liefe- schäftssystems Versandapotheke noch einmal übersichts- rung), Direktabsatzkonzepte mit einzelnen Pharma- artig zusammen. herstellern an spezifische Patientengruppen oder die Integration in so genannte „Disease Management Konzepte“ [8] freier Dienstleister oder in Kooperation mit Krankenkassen zur ganzheitlichen Betreuung se- lektierter Patientengruppen. Bei all diesen Möglich- keiten kommt es, neben der entsprechenden medizini- schen Fachkenntnis, auf zielgruppenspezifische, z. T. sogar patientenindividuelle Leistungsangebotskon- zepte an. Hierbei gilt es, das Warensortiment durch geeignete Zusatz- und Ergänzungsleistungen attraktiv zu gestalten. Neben entsprechendem Category Ma- nagement Know-how sind hierfür One-to-One-Mar- keting Ansätze gegenüber den Endkunden und Ko- operationsmanagement gegenüber möglichen Part- nern erforderlich. Im Rahmen von so genannten „Ma- ke-or-buy-Entscheidungen“ werden sich die Ge- Abb. 4: Notwendige Ressourcen und Kompetenzen zur erfolgreichen schäftssystemträger insbesondere auch überlegen, ob Realisierung des Geschäftssystems Versandapotheke (Quelle: sie geeignete (E-)Services selbst erstellen oder besser Gersch/Theißen 2003, S. 45) 64 MARKETING · ZFP · 26. Jg. · Spezialausgabe „Dienstleistungsmarketing“ 2004 https://doi.org/10.15358/0344-1369-2004-Sonderheft-2004-59 Generiert durch IP '46.4.80.155', am 19.02.2024, 21:04:25. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Gersch, Versandapotheken in Deutschland – Die Geburt einer neuen Dienstleistung Abb. 5: Denkbare Akteure und ihre verfügbaren Kompetenzen (Quelle: Gersch/Theißen 2003, S. 53) 2.3. Alternative Akteure zur Realisierung von Kompetenzen im Beziehungs-Marketing gilt es, an das Versandapotheken und ihre verfügbaren Kompe- Endkundengeschäft anzupassen. Auch die aktuelle Mar- tenzen kenbekanntheit wird für die notwendige Vertrauensposi- tion bei Konsumenten nicht ausreichen [10]. Auch Erfahrungen aus anderen Branchen (z. B. Lebens- mittelheimbelieferung oder Heimwerkerbedarf) zeigen, dass potenzielle Träger eines Geschäftssystems Versand- 3. Kooperationen als Instrument des apotheke nicht nur national und im Umfeld verwandter Kompetenz-Managements Branchen zu suchen sind (Gersch 2003). Regelmäßig er- weisen sich auch Unternehmen aus anderen Betätigungs- Keiner der in Abb. 5 skizzierten Akteure scheint allein feldern als prinzipiell geeignet. Das Aufbrechen bisheri- über alle notwendigen Ressourcen und Kompetenzen für ger deutscher Marktstrukturen kann insbesondere auch ein wettbewerbsfähiges Geschäftssystem Versandapotheke das Signal für internationale Akteure sein, ein Engage- zu verfügen. Häufig können fehlende Kapazitäten und ment auf dem weltweit drittgrößten Markt für Arzneimit- Kompetenzen einzelner Akteure nicht schnell genug, nicht tel zu prüfen. ausreichend effizient und nicht in der notwendigen Quali- Abb. 5 skizziert denkbare Akteure [11]. Bildet die linke tät autonom und unternehmensintern aufgebaut werden Seite ein so genanntes Soll-Profil notwendiger Ressour- (Picot/Reichwald/Wigand 2003, S. 289 ff.; Reiß 2001, cen und Kompetenzen, so ergibt sich durch die einzelnen S. 123 f.). Ein möglicher Zukauf generischer Inputfaktoren Kompetenzprofile der Akteure insgesamt eine „Kompe- mit anschließender Entwicklung zu wettbewerbsrelevan- tenz-Lücken-Analyse“ (Freiling 1998b und 1998c; ten Ressourcen erscheint aufgrund des großen Zeit- und Gersch 2003). Ohne im Detail die Situation jeden Ak- Kostenbedarfs – zumindest für komplexe Ressourcenbün- teurs darstellen zu können wird deutlich, dass insbeson- del – unrealistisch und in Bezug auf die Erfolgsaussichten dere der Pharmagroßhandel (PHGH) über die beste Aus- auch mit großer Unsicherheit behaftet. Allenfalls in einzel- gangslage hinsichtlich verfügbarer Ressourcen- und nen Kompetenzbereichen eröffnen sich Möglichkeiten – Kompetenzbündel verfügt. Doch auch der PHGH weist zumindest einzelne Ressourcenelemente – gemeinsam mit Lücken auf, die es zu schließen gilt. So reichen weder die spezialisierten Dienstleistern zu entwickeln bzw. die Leis- derzeitigen Call-Center Kapazitäten (weder qualitativ tung fremd zu vergeben (Backhaus/Meyer 1993, S. 333; noch quantitativ) aus noch verfügt er über die Möglich- Baden-Fuller/Volberda 1998, S. 5; Engelhardt/Reckenfel- keiten zur effizienten Gestaltung der letzten Meile. Ins- derbäumer 1993; Zocholl 2003). gesamt ist das Angebot endnachfragerorientierter Leis- Grundsätzlich bieten sich Kooperationen – im Sinne ver- tungsbündel inklusive zielgruppenspezifischer oder gar traglich geregelter Zusammenarbeit rechtlich selbständi- individueller Services in Deutschland eine gänzlich neue ger Unternehmen zur gemeinschaftlichen Erfüllung einer Herausforderung für die Grossisten. Die bisher vorwie- Aufgabe (Picot/Reichwald/Wigand 2003, S. 304) – als gend im Business-to-Business-Bereich erworbenen denkbares Instrument zur Kombination entsprechender MARKETING · ZFP · 26. Jg. · Spezialausgabe „Dienstleistungsmarketing“ 2004 65 https://doi.org/10.15358/0344-1369-2004-Sonderheft-2004-59 Generiert durch IP '46.4.80.155', am 19.02.2024, 21:04:25. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Gersch, Versandapotheken in Deutschland – Die Geburt einer neuen Dienstleistung Kompetenzbereiche an. Das primäre Kooperationsziel übersehen. Bereits jetzt orientieren sich die Großhändler wird die Ergänzung fehlender Ressourcen und Kompe- international auf europäischer Ebene. Hierzu gehört auch tenzen durch andere Partner mit komplementärem Profil der Erwerb und die Weiterentwicklung von Apotheken- sein. Es handelt sich daher überwiegend um so genannte ketten in Ländern, in denen dies bereits heute rechtlich „Closing-Gap-Allianzen“ im Gegensatz zu „Critical- möglich ist. So besitzt z. B. die deutsche GEHE 2002 Mass-Allianzen“, die bei überlappenden Kompetenzbe- über 1.800 Apotheken u. a. in Großbritannien, Italien, Ir- reichen auf synergetische Mengeneffekte der Zusam- land und Norwegen. In Verbindung mit möglichen Dis- menarbeit abstellen (Freiling 1998a, S. 27 ff.; Gersch intermediationsgefahren durch große Versandapothe- 2003). ken wäre der Einstieg des Großhandels auch in deutsche Apothekenketten eine realistische Option (Hofmann/ Dies wird aber regelmäßig durch Vorbehalte der beteilig- Fröndhoff 2002; Kerckhoff 2002; Ossenberg-Engels ten Akteure und durch so genannte Isolationsmechanis- 2002). Der Ersatz bisheriger Wertschöpfungsstufen men erschwert, die der Übertragung vorhandener Res- durch Versandapotheken, die Pharmahersteller und Pati- sourcen und Kompetenzen in andere Betätigungsfelder enten(-gruppen) direkt miteinander verbinden, wäre das entgegenstehen können. Vor einer Analyse dieser zentra- klassische Beispiel einer Reintermediation (Wirtz 2001, len Kooperationsaspekte müssen grundsätzlich denkbare S. 161) oder Transintermediation (Picot/Reichwald/Wi- Szenarien der Zusammenarbeit zwischen den möglichen gand 2003, S. 381 ff.) in der Internet-Ökonomie. Akteuren identifiziert werden. Die aktuelle Gesundheitsreform sieht nur eine Locke- 3.1. Denkbare Szenarien bei der Realisierung des rung des Mehrbesitzverbotes vor. Ein selbständiger Apo- Geschäftssystems Versandapotheke theker kann auf dieser Grundlage insgesamt bis zu vier Unterstellt man in einem ersten Schritt zunächst nur den Apotheken betreiben. Weiterhin bleibt das Fremdbesitz- Wegfall des Versandhandelsverbotes (nach §43 AMG verbot bestehen. Diese Veränderung bietet zunächst kei- und §17 ApBetrO), so erscheinen grundsätzlich folgende ne ausreichende Grundlage zur Bildung erfolgreicher sechs Szenarien und Akteurskonstellationen – eventuell Apothekenketten. Ob das Gesetz in der derzeitigen Form auch parallel – möglich [10] [11]: jedoch vor deutschen und europäischen Gerichten Be- stand haben kann, wird von vielen Experten bezweifelt ) Szenario 1: Zukünftiger Alleingang einzelner Pharma- [10]. großhändler (PHGH) unter Nutzung des Angebotes dritter Dienstleistungsanbieter als Spezialisten, z. B. 3.2. Isolationsmechanismen zentraler eines Logistikers zur Überwindung der letzten Meile. Ressourcen und Kompetenzen ) Szenario 2: Kooperative Lösung Apotheke – PHGH. sowie Ansätze zu ihrer Überwindung Entweder unter Führung eines Pharmagroßhändlers Wirken Isolationsmechanismen einerseits als Schutz oder durch Bildung von Großversandapotheken unter nachhaltiger Wettbewerbsvorteile, so können sie ande- Miteinbeziehung eines PHGH. rerseits im Falle geplanter Kooperationen auch als zu ) Szenario 3: Herausbildung von Großversandapothe- überwindendes Hindernis interpretiert werden (Gersch 2002, S. 426 ff.; Sanchez et al. 1996, S. 8 f.). Je nach ken durch Kooperation und Nutzung von Synergien, Kompetenzprofil möglicher Kooperationspartner muss evtl. durch Koordination eines Dritten (z. B. ABDA, es gelingen, die jeweils vorhandenen Stärken der Akteu- Bundesverband Deutscher Versandapotheker/Innen re in ein konkretes Geschäftssystem einzubringen. Rele- (BVDVA), MediService aus der Schweiz, Logistiker). vante Ressourcen und Kompetenzen sind aber z. B. in ) Szenario 4: Einbruch eines Marktfremden (z. B. inter- Form von implizitem Mitarbeiterwissen (z. B. Category nationaler PHGH, nationaler Versandhandel, interna- Management oder One-to-One-Marketing-Know-how) tionale Versand-/Internetapotheke) in den deutschen oder komplexen Ressourcenbündeln (z. B. Bündel aus Markt. Prozessabläufen und IuK-Systemen im Fall von artikel- genauen unternehmensübergreifenden Computergestütz- ) Szenario 5: Etablierung vieler kleiner Versandapothe- ten Warenwirtschaftssystemen oder CRM-Anwendun- ken als zweites Standbein traditioneller Apotheken. gen) in den Potenzial- und Prozessstrukturen der jeweili- ) Szenario 6: Etablierung neuer Services, z. B. Disease gen Akteure gebunden (Gersch 2002, S. 426 f.). Diese Management [8] durch einzelne Krankenkassen, die Isolationsmechanismen zielgerichtet zu überwinden, u. a. Versandapotheken allein oder in Kooperationen stellt hohe Anforderungen an das Organisationsmodell realisieren. des kooperativ zu realisierenden Geschäftssystems. Eine deutliche Veränderung erfahren die Szenarien bei Neben den Aspekten der funktionellen Übertragung sind der zusätzlichen Aufhebung des Fremd- und Mehrbe- aber insbesondere auch die Vorbehalte potenzieller Ko- sitzverbotes (nach §7 ApoG). Durch die grundsätzliche operationspartner gegenüber einer drohenden Erosion Erlaubnis von Apothekenketten würden sich sowohl und/oder Diffusion relevanter Ressourcen und Kompe- ausländische Akteure als auch der deutsche Pharmagroß- tenzen zu beachten. Auch in traditionellen Geschäftsfel- handel einer grundsätzlich veränderten Situation gegen- dern werden erfolgskritische Bereiche nicht ohne ent- 66 MARKETING · ZFP · 26. Jg. · Spezialausgabe „Dienstleistungsmarketing“ 2004 https://doi.org/10.15358/0344-1369-2004-Sonderheft-2004-59 Generiert durch IP '46.4.80.155', am 19.02.2024, 21:04:25. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Gersch, Versandapotheken in Deutschland – Die Geburt einer neuen Dienstleistung sprechende Absicherungen in denkbare Kooperationen Ressourcen und Kompetenzen überwiegen derart, dass eingebracht. zwar auf Dauer angelegte Kooperationsformen wie Stra- tegische Allianzen in Ausprägungen wie dem Joint Ven- Die hier nur ansatzweise genannten Problembereiche be- ture (Gersch 2002, S. 431 ff.) grundsätzlich möglich stimmen die Anforderungen der Beteiligten an die zu ge- sind, realistischer erscheint aber die noch stärkere An- staltende Kooperationsform zur Realisierung des Ge- bindung der – relativ kleineren – Apotheken als Koope- schäftssystems Versandapotheke. Bevor nicht die Be- rationspartner durch Kapitalbeteiligungen oder beispiels- dürfnisse der Akteure berücksichtigende Organisations- weise durch Realisierung von Franchise-Konzepten. designs der Kooperation gefunden werden, können die Hierzu wäre allerdings die Aufhebung des Fremd- und zur Überwindung der Isolationsmechanismen notwendi- Mehrbesitzverbotes bei Apotheken (nach §7 ApoG) gen Maßnahmen (z. B. Abstellen von Mitarbeitern mit zwingende Voraussetzung. Es wäre der Einstieg (oder die entsprechendem Know-how für Aufbau und Betrieb be- Ergänzung) von Apothekenketten unter der Leitung na- nötigter Leistungserstellungspotenziale; Erweiterung tionaler oder internationaler Pharmagroßhändler. Sollen und Anpassung vorhandener Kapazitäten im Rahmen Versandapotheken ohne diese Möglichkeiten, aber unter eines notwendigen „Competence Leveraging“ bzw. Beteiligung des PHGH realisiert werden, bleiben sie ent- „Competence Building“; siehe Gersch 2002, S. 424 ff.) weder auf den Bereich genossenschaftlich durch Apothe- nicht ergriffen werden. ken getragener PHGH (wie z. B. die NOWEDA) be- schränkt oder sie werden durch z. B. enge vertragliche 3.3. Grundsätzlich geeignet erscheinende Koope- Bindungen zwischen partizipierenden Apotheken und rationen zur Realisierung des Geschäftssystems dem jeweiligen PHGH abgesichert. Ausländische PHGH Versandapotheke verfügen derzeit nicht über die notwendige Infrastruktur Die konkrete Gestaltung denkbarer Kooperationen ist in Deutschland, könnten aber versuchen, den Umweg der mit einer Vielzahl von Herausforderungen verbunden Übernahme eines deutschen PHGH zu gehen (Ossen- (u. a. rechtliche Ausgestaltung und Absicherung der Zu- berg-Engels 2002). sammenarbeit, Lösung zu erwartender Kooperationskon- Eine Realisierung ohne die Beteiligung des PHGH müsste flikte, Gestaltung der konkreten operativen Leistungser- entweder auf kleine sachliche/regionale Nischen begrenzt stellung etc.), die hier nur ansatzweise genannt werden bleiben oder würde den Nachbau der skizzierten logisti- können [12]. Auch können aus den skizzierten Szenarien schen PHGH-Infrastruktur erfordern. Dies und die not- nur zwei denkbare Kooperationen exemplarisch aufge- wendige Mindestgröße zur Erreichung wettbewerbsfähiger griffen und kurz skizziert werden. Aufgrund der augen- Einkaufskonditionen über das auch zukünftig gesetzlich fällig besten Ausgangsvoraussetzung scheint der Phar- vorgeschriebene Vollsortiment wäre prinzipiell erst ab magroßhandel eine entscheidende Rolle bei der Etablie- einer Geschäftssystemgröße jenseits 250 Mio. Euro denk- rung von Versandapotheken einzunehmen. Aus der Per- bar und auch dann kaum wahrscheinlich (Kerckhoff 2002; spektive fehlender Kompetenzen bedarf es aber insbe- Ossenberg-Engels 2002). sondere der Ergänzung um Vermarktungs-Know-how im Endkonsumenten-Bereich und um Konzepte zur Über- windung der letzten Meile. Denkbar wäre daher die Ko- 4. Ausblick operation mit einem Logistikdienstleister. Ohne die Ein- schaltung von Apothekern fehlen allerdings notwendige Das Beispiel der Versandapotheke zeigt, dass E-Com- rechtliche Voraussetzungen. Darüber hinaus können die merce-Geschäftssysteme regelmäßig deutliche Unter- PHGH auf absehbare Zeit nicht ihre Hauptkunden – die schiede zu traditionellen Branchen und Betätigungsfel- derzeit noch 21.465 öffentlichen Apotheken – durch ein- dern aufweisen. Kein potenzieller Akteur allein verfügt deutige Disintermediation verprellen. Wahrscheinlicher über alle notwendigen Ressourcen und Kompetenzen, erscheinen kooperative Lösungen unter Einschaltung se- um ein Geschäftssystem mit den benötigten Potenzial- lektierter Apotheken, die sich als stationäre Outlets in ein und Prozessstrukturen zur wettbewerbsfähigen Leis- „Mehrkanal-Konzept“ einbringen können. So wären tungserstellung autonom zu realisieren. Kooperationen auch Defizite reiner Fernabsatzkonzepte, beispielsweise bieten sich zur Realisierung an. Scheinen einzelne Apo- durch das optionale Angebot des persönlichen Gesprächs theken bzw. Apotheker – insbesondere auch aufgrund mit involvierten Apothekern, zu vermeiden. der auf absehbare Zeit gültigen Grundsätze der Regle- mentierung des Arzneimittelmarktes – zunächst unver- Das zu realisierende Geschäftssystem Versandapotheke zichtbar, so zeigt die Diskussion möglicher Väter als er- ist dauerhaft zu etablieren. Die durch Kooperationspart- gänzende Akteure zur Realisierung von Versandapothe- ner einzubringenden Ressourcen und Kompetenzen zur ken, dass insbesondere die derzeitigen deutschen Pharma- Schaffung wettbewerbsfähiger Potenzial- und Prozess- großhändler hier die besten Ausgangspositionen haben. strukturen erscheinen nicht durch Entwicklung eigener Kapazitäten in der erforderlichen Zeit, Qualität und Effi- Sollten zukünftige rechtliche Rahmenbedingungen durch zienz möglich (auch nicht unter Miteinbeziehung mög- Wegfall des aktuell noch gültigen Fremdbesitzverbotes licher Dienstleister in einer Aufbauphase) [10]. Die Vor- die Bildung auch größerer Apothekenketten ermög- teile des Pharmagroßhandels hinsichtlich vorhandener lichen, wäre eine konsequente Multi-Channel-Strategie MARKETING · ZFP · 26. Jg. · Spezialausgabe „Dienstleistungsmarketing“ 2004 67 https://doi.org/10.15358/0344-1369-2004-Sonderheft-2004-59 Generiert durch IP '46.4.80.155', am 19.02.2024, 21:04:25. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Gersch, Versandapotheken in Deutschland – Die Geburt einer neuen Dienstleistung deutscher Großhändler, insbesondere auch zur Abwehr [5] Die aktuelle Gesundheitsreform 2003/2004 wird als GMG denkbarer Aktivitäten ausländischer Akteure und dro- („Gesetz zur Modernisierung der Gesetzlichen Krankenversi- hender Disintermediationstendenzen, wahrscheinlich. cherung“) ab dem 1. Januar 2004 in Kraft treten. Wichtige As- pekte sind die Aufhebung des Versandhandelsverbotes, die Lo- Der Gesetzgeber hat mit der Gesundheitsreform 2003/ ckerung des Mehrbesitzverbotes unter Beibehaltung des 2004 einen ersten Schritt getan und den Beginn einer Fremdbesitzverbotes (ein unabhängiger Apotheker kann zu- „eTransformation“ angestoßen. künftig insgesamt maximal 4 Apotheken betreiben) sowie eine Veränderung der Preisregulierung (insb. Möglichkeiten zur Aufgrund der starken Position des PHGH wird sein zu- Schließung von Einzelverträgen zwischen Kostenträgern und künftiges Verhalten darüber bestimmen, ob es überhaupt Leistungserbringern sowie die teilweise Einführung einer Ein- zur Etablierung neuer Geschäftssysteme mit z. T. innova- zelentgeltung von Apothekenleistungen) (BMG 2003). tiven (E-)Service-Angeboten kommen wird [12]. Zentra- [6] Siehe hier und im Folgenden Wirtz (2001, S. 210 ff.). Die le Aspekte zukünftiger Geschäftssysteme können zum Teilmodelle von Wirtz wurden modifiziert und insbesondere jetzigen Informationsstand nur vermutet und auf der Ba- um das Organisationsmodell ergänzt. Das Organisationsmo- dell wird in Abschnitt 3 diskutiert. sis theoretischer Überlegungen ansatzweise prognosti- [7] Die in Abb. 2 skizzierte Struktur trägt 2001 folgende Größen- ziert werden. Der sich verändernde Markt bleibt auch zu- ordnungen: 70 Mio. Versicherte, 360 Krankenkassen, künftig ein hoch interessantes Betätigungsfeld einer an- 110.000 Ärzte, 53.000 Zahnärzte, 1.100 Pharmahersteller, wendungsorientierten Betriebswirtschaftslehre mit einer 21.569 öffentliche Apotheken, 2.200 Krankenhäuser mit 563 Vielzahl relevanter Fragestellungen. Krankenhausapotheken sowie 120.000 sonstige Leistungser- bringer erzeugen jährlich ca. 600 Mio. Rezepte mit 900 Mio. Verordnungen. Apothekenpflichtige Arzneimittel generieren Anmerkungen hierbei 27 Mrd. Euro Umsatz (ohne MwSt.) auf Seiten der [1] Synonym auch „New Economy“. Gemeint ist hiermit das Apotheken, von denen 6,7 Mrd. nicht verschreibungspflichtig Handeln in einer Volkswirtschaft mit durch Digitalisierung waren (ABDA 2003; Pfaff et al. 2002, S. 62). und Vernetzung geprägten Rahmenbedingungen, die z. T. [8] Disease Management Konzepte kennzeichnen strukturierte auch zu veränderten oder neuen Regeln für die Akteure füh- Behandlungsprogramme, die sich speziell auf bestimmte Pa- ren (siehe hierzu auch Wirtz 2001, S. 18 ff.). tientengruppen (z. B. chronisch Kranke oder Transplanta- [2] Hierbei kennzeichnet „Coompete“ oder „Coopetition“ das in tionspatienten) konzentrieren und so eine koordinierte und der Internet-Ökonomie vermehrt zu beobachtende Phänomen qualitativ hochwertige Versorgung über verschiedene Fach- der beiderseitigen Vorteilhaftigkeit bei der Kooperation von bereiche der Medizin hinweg aus einer Hand organisieren. potenziellen und/oder aktuellen Konkurrenten (Bengtsson/ Seit dem 1. Juli 2002 hat der deutsche Gesetzgeber derartige Kock 2000, S. 414 ff.; Gersch 2000b, S. 2 f.). Service-Angebote, die als Intermediäre etablierte Versor- gungsstrukturen ergänzen, nach § 137f SGB V zugelassen [3] Mit dem Begriff Geschäftsmodell wird hier die Abbildung (Bundesärztekammer 2002). des betrieblichen Produktions- und Leistungssystems eines [9] In Anlehnung an Bruhn (2002, S. 6) werden so genannte Unternehmens oder einer Kooperations-/Anbietergemein- Electronic Services (synonym auch E-Services) wie folgt de- schaft bezeichnet. In stark vereinfachter und aggregierter finiert: Electronic Services sind selbständige, marktfähige Form wird dargestellt, welche Ressourcen in die Unterneh- Leistungen, die durch die Bereitstellung von elektronischen mung fließen und wie diese durch innerbetriebliche und ko- Leistungsfähigkeiten des Anbieters (Potenzialdimension) operative Erstellungsprozesse in vermarktungsfähige Leis- und durch die Integration externer Faktoren (u. a. mit Hilfe tungsbündel für als relevant erachtete Märkte transformiert des elektronischen Datenaustausches) (Prozessdimension) werden. Ansatzpunkte zur Generierung von Erlösen und Kos- auf eine nutzenstiftende Wirkung (u. a. durch Be- oder Verar- ten durch eine Geschäftstätigkeit werden aufgezeigt und so- beitung externer Faktoren) (Ergebnisdimension) abzielen. mit die Grundlagen für Erfolg oder Misserfolg analysiert (siehe hierzu auch Wirtz 2001, S. 210 ff.). Der Begriff Ge- Charakteristisches Merkmal ist die Nutzung der Informa- schäftssystem kennzeichnet die konkrete Realisierung eines tionstechnologie bei der Gestaltung der Potenzial-, Prozess- allgemeinen Geschäftsmodells. Die niederländische Internet- und Ergebnisdimension integrativ erstellter Leistungsangebo- Apotheke „Doc Morris“ ist nach diesem Begriffsverständnis te. Für den Kunden insbesondere wahrnehmbar sind die mit ein konkretes Geschäftssystem des allgemeinen Geschäfts- E-Services zumeist verbundenen Mensch-Maschine-Interak- modells „Merchant“ nach Rappa (2002) bzw. „E-Shop“ nach tionen an wichtigen Kundenkontaktpunkten. Timmers (1998). [10] Dies ist das Ergebnis mehrerer Expertendiskussionen, die am Competence Center E-Commerce der Ruhr-Universität Bo- [4] Im Rahmen des vorliegenden Beitrages werden die Begriffe chum seit August 2002 geführt wurden. Hierzu gehören auch Versand- und Internetapotheke verwendet. Versandapotheke Kerckhoff (2002); Ossenberg-Engels (2002); Zocholl (2003). ist dabei der umfassendere Begriff eines Geschäftssystems im Einzelne Ergebnisse sind ausführlicher dokumentiert in Bereich Fernabsatz mit Medikamenten auf der Basis der Gersch/Theißen (2003). Empfehlung des runden Tisches im Bundesministerium für Gesundheit vom April 2002 (Vollsortiment; Nacht- und Not- [11] Hierbei ist zu beachten, dass auch nach der Gesundheitsre- dienst; Lieferzwang; Leitung durch einen Apotheker) und der form 2003/2004 selbständige Apotheker verantwortliche Trä- Gesundheitsreform 2003/2004 [5]. Es handelt sich somit um ger des Geschäftssystem Versandapotheke sein müssen eine öffentliche Apotheke mit Sondervertriebsweg durch (BMG 2003). Es ist in näherer Zukunft nicht mit einer gänz- Aufhebung des §43,I Arzneimittelgesetz sowie §17,I Apothe- lichen Aufhebung des Fremdbesitzverbotes zu rechnen. Hier- kenbetriebsordnung. Internetapotheke kennzeichnet in die- durch entfallen zunächst die Optionen einzelner Akteure zur sem Sinne nur einen speziellen Kommunikations- und Be- autarken Realisierung eines Geschäftssystems. Die als Über- stellkanal zum Endkunden. Erfolgt die verbindliche Bestel- blick zusammen gefassten Informationen basieren auf sehr lung der Leistungen via Internet, so handelt es sich bei die- ausführlichen Ergebnissen einer Reihe von Expertendiskus- sem Typus der Versandapotheke um ein E-Commerce-Ge- sionen [10]. schäftssystem (Gersch 2000a, S. 3 ff.; Sterzel/Wassener [12] Die zukünftige Entwicklung ist darüber hinaus wesentlich 2001, S. 17). von (z. T. politischen) Entscheidungen unterschiedlicher Ebe- 68 MARKETING · ZFP · 26. Jg. · Spezialausgabe „Dienstleistungsmarketing“ 2004 https://doi.org/10.15358/0344-1369-2004-Sonderheft-2004-59 Generiert durch IP '46.4.80.155', am 19.02.2024, 21:04:25. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Sie können auch lesen