Verschwörungsmentalität und Extremismus - Befunde aus Befragungsstudien in der Schweiz - Research ...
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ETH Library Verschwörungsmentalität und Extremismus – Befunde aus Befragungsstudien in der Schweiz Journal Article Author(s): Baier, Dirk; Manzoni, Patrik Publication date: 2020 Permanent link: https://doi.org/10.3929/ethz-b-000448041 Rights / license: Creative Commons Attribution 4.0 International Originally published in: Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform 103(2), https://doi.org/10.1515/mks-2020-2044 This page was generated automatically upon download from the ETH Zurich Research Collection. For more information, please consult the Terms of use.
MschrKrim 2020; 103(2): 83–96 Dirk Baier* und Patrik Manzoni Verschwörungsmentalität und Extremismus – Befunde aus Befragungsstudien in der Schweiz Conspiracy Mentality and Extremism – Survey Findings from Switzerland https://doi.org/10.1515/mks-2020-2044 authoritarianism increase conspiracy mentality. To test the hypotheses, two samples are used: a nationwide youth Zusammenfassung: Im Beitrag wird einerseits der Zusam- survey among 8,317 pupils and a nationwide representati- menhang zwischen der Verschwörungsmentalität und ge- ve survey among 2,111 adults. Both samples show largely waltbereiten extremistischen Einstellungen untersucht. comparable findings: Anomic attitudes, low institutional Andererseits werden Einflussfaktoren der Verschwörungs- trust and political deprivation increase conspiracy menta- mentalität betrachtet, wobei angenommen wird, dass ano- lity, while authoritarianism does not. A more pronounced mische Einstellungen, eine Distanz zum politischen System conspiracy mentality in turn increases agreement to extre- und Autoritarismus die Zustimmung zu einer Verschwö- mist attitudes, whereby this correlation is stronger in the rungsmentalität erhöhen. Zur Prüfung der Annahmen wird youth than in the adult sample. auf zwei Befragungsstudien zurückgegriffen: eine schweiz- Keywords: Conspiracy mentality, extremist attitudes, au- weite Jugendbefragung unter 8.317 Schülerinnen und Schü- thoritarianism, surveys, Switzerland lern und eine schweizweite Repräsentativbefragung unter 2.111 Erwachsenen. In beiden Stichproben zeigen sich weitestgehend vergleichbare Befunde: Anomische Einstel- lungen, geringes Institutionenvertrauen und politische De- 1 Einleitung privation erhöhen die Zustimmung zur Verschwörungs- mentalität, Autoritarismus hingegen nicht. Eine stärker Verschwörungstheorien sind nicht erst im aktuellen Zeit- ausgeprägte Verschwörungsmentalität wiederum erhöht alter von Social Media und Fake News Gegenstand sozial- die Zustimmung zu extremistischen Einstellungen, wobei wissenschaftlicher Forschung. Bereits Popper setzte sich dieser Zusammenhang in der Jugendstichprobe stärker aus- mit ihnen auseinander; seine Definition lautete: Eine sol- geprägt ist als in der Erwachsenenstichprobe. che »Theorie behauptet, daß die Erklärung eines sozialen Phänomens in dem Nachweis besteht, daß gewisse Men- Schlüsselwörter: Verschwörungsmentalität, extremisti- schen oder Gruppen an dem Eintreten dieses Ereignisses sche Einstellungen, Autoritarismus, Befragungsstudien, interessiert waren und daß sie konspiriert haben, um es Schweiz herbeizuführen« (Popper 1992 [1957]), 112). In Anlehnung daran gehen auch aktuellere Definitionen davon aus, dass Abstract: The article aims at, on the one hand, to examine Verschwörungstheorien Versuche darstellen »to explain the relationship between conspiracy mentality and violent the ultimate causes of significant social and political extremist attitudes. On the other hand, factors influencing events and circumstances with claims of secret plots by conspiracy mentality are examined, assuming that anomic two or more powerful actors« (Douglas et al. 2019, 4). attitudes, distance to the political system, and right-wing Verschwörungstheorien werden dabei nicht deshalb geglaubt, weil sie rational und kognitiv überzeugend wä- *Kontaktperson: Prof. Dr. Dirk Baier, ZHAW Zürcher Hochschule für ren, sondern weil sie u. a. dazu beitragen, das eigene Welt- Angewandte Wissenschaften, Departement Soziale Arbeit, Institut für bild zu festigen (Salzborn 2017); sie erfüllen also spezi- Delinquenz und Kriminalprävention, Pfingstweidstrasse 96, fische individuelle Bedürfnisse. Dementsprechend wer- Postfach 707, 8037 Zürich/Schweiz, E-Mail: Dirk.Baier@zhaw.ch den ihnen verschiedene Funktionen attestiert, die an- Prof. Dr. Patrik Manzoni, ZHAW, Departement Soziale Arbeit, Institut für Delinquenz und Kriminalprävention, scheinend in Gegenwartsgesellschaften weiterhin von Pfingstweidstrasse 96, Postfach 707, 8037 Zürich/Schweiz, besonderer Bedeutsamkeit sind, wird die hohe Anzahl und E-Mail: Patrik.Manzoni@zhaw.ch Verbreitung verschiedener zirkulierender Verschwörungs- Open Access. © 2020 Dirk Baier und Patrik Manzoni, publiziert von De Gruyter. Dieses Werk ist lizenziert unter der Creative Commons Attribution 4.0 Lizenz.
84 Dirk Baier und Patrik Manzoni theorien betrachtet (u. a. 9/11-Verschwörungstheorien, et al. (2017, 540) zu konstatieren: »Although scholars have Leugnung der Mondlandung, Reichsbürgerbewegung, theorized about the consequences of conspiracy beliefs for Chemtrails). Zu diesen Funktionen gehört u. a. die Kom- their adherents and the community, relatively little empi- plexitätsreduktion (die Komplexität moderner Gesell- rical research has been done to explore them.« In ver- schaften und ihrer Prozesse wird auf einfache Erklärungen gleichbarer Weise äußern sich Douglas et al. (2019, 23): verkürzt, was Orientierung gibt), die Kontingenzbewälti- »most research has focused on the causes rather than the gung (fehlende Vorhersehbarkeit und Ungewissheit wird consequences of conspiracy theorizing.« Gleichwohl wur- sinnhaft interpretiert) und die Identitätsstiftung (die durch den durchaus verschiedene Folgen von Verschwörungs- eine Unterscheidung von Freund- und Feindbildern und theorien untersucht, bspw. Zusammenhänge mit Vorurtei- die damit einhergehende Vergemeinschaftung ermöglicht len und politischem Engagement (vgl. u. a. Douglas et al. wird; vgl. u. a. Metzenthin 2019). 2019). Anhand existierender Studien kann zudem gefol- Wenn Menschen Verschwörungstheorien zustimmen, gert werden, dass Verschwörungsmentalitäten und extre- so weisen sie eine Verschwörungsmentalität auf. Diese mistische Einstellungen miteinander in Zusammenhang stellt nach Imhoff (2014, 334) eine »politische Einstellung« stehen: »Conspiracy theories may be associated with in- dar, die die Wahrnehmung beinhaltet, dass die Welt creased radicalized and extremist behavior« (Douglas et »durch im Geheimen ausgeheckte Pläne und Verabredun- al. 2019, 20). gen« gekennzeichnet ist. Im englischen Sprachraum wird Krouwel et al. (2017) zeigen anhand einer schwedischen auch von »conspiracy belief« (Douglas et al. 2019, 4) ge- Online-Stichprobe, dass politisch extremere Einstellungen sprochen (»refers to belief in a specific conspiracy theory, und Verschwörungsmentalitäten korrelieren; dies gilt so- or set of conspiracy theories«). Solch ein Glaube oder eine wohl für links- wie für rechtsextreme politische Positionen. Mentalität ist dabei in ein breiteres Weltbild eingebunden Die Zusammenhänge lassen sich mit verschiedenen über- und stellt eine »generalisierte Einstellung« (Imhoff 2014) einstimmenden Merkmalen von Verschwörungstheorien oder ein »conspiracy mindset« (Douglas et al. 2019, 5) dar. und extremistischen Weltbildern erklären: Hierzu gehören Dies bedeutet, dass Personen, die bestimmten Verschwö- das Schwarz-Weiß-Denken, Freund-Feind-Schemata, Ein- rungstheorien Glauben schenken, auch anderen Theorien fachheit der Erklärungsmuster und Intoleranz (vgl. auch zustimmen; zudem wird die Verschwörungsmentalität Bartlett & Miller 2010; van Prooijen & Krouwel 2019). Van durch andere Einstellungen und Orientierungen gestützt Prooijen et al. (2015, 571) folgern in Bezug auf die Beziehung und beeinflusst (s. u.). zwischen Verschwörungsmentalität und Extremismus: Insbesondere die Konstruktion von Freund- und »Hence, although conspiracy theories can differ substanti- Feindbildern, die Förderung von »Differenz und Polarisie- ally in content, they are driven by similar underlying psy- rung« (Eser Davolio 2019, 19), erklärt, warum eine Ver- chological processes.« In ihren Analysen können die Auto- schwörungsmentalität auch mit der Zustimmung zu extre- ren belegen, dass ein solcher psychologischer Prozess in ei- mistischen Orientierungen einhergehen sollte: Die Feinde, nem »highly structured thinking style that is aimed at einmal als Feinde konstruiert, können bekämpft wer- making sense of societal events« besteht (van Prooijen et al. den; der Gewalteinsatz zur Durchsetzung der Ziele der 2015, 576), was als Hinweis darauf interpretiert werden Eigengruppe ist legitim. »Verschwörungstheorien eignen kann, dass Autoritarismus mit Verschwörungsmentalitäten sich somit sehr gut [...] zur Legitimation von Gewalt« (Eser und extremistischen Einstellungen in Beziehung stehen Davolio 2019, 21). Vor diesem Hintergrund möchte die sollte, insofern autoritäre Personen als »wenig flexibel, rigi- vorliegende Studie den Zusammenhang zwischen Ver- de und konventionalistisch« gelten (Rippl et al. 2007, 172). schwörungstheorien und extremistischen Einstellungen Erwähnenswert in diesem Zusammenhang ist auch die Stu- empirisch untersuchen. Hierfür wird zunächst der For- die von Uscinski & Parent (2014), die zeigen konnte, dass schungsstand zu ausgewählten Einflussfaktoren der Zu- diejenigen, die allgemein zu Verschwörungstheorien nei- stimmung zu Verschwörungstheorien sowie zum Zusam- gen, eher der Meinung zustimmten, dass Gewalt ein akzep- menhang von Verschwörungstheorien und Extremismus tabler Weg sei, um Unzufriedenheit mit der Arbeit der Regie- vorgestellt. rung auszudrücken. Auch Imhoff & Bruder (2014) bestäti- gen, dass Personen, die stärker Verschwörungstheorien zustimmen, eher bereit sind, sich für einen politischen Wan- 2 Forschungsstand del einzusetzen. Dass Verschwörungstheorien zudem das Verhalten beeinflussen, belegt eine Studie von Jolley et al. Wird die vorhandene Forschung zu möglichen Folgen von (2019). Zwar wurde in dieser nicht extremistisches Verhal- Verschwörungsmentalitäten betrachtet, so ist mit Douglas ten untersucht; es zeigt sich in der Studie aber ein Zusam-
Verschwörungsmentalität und Extremismus – Befunde aus Befragungsstudien in der Schweiz 85 menhang zwischen Verschwörungsmentalität und Alltags- Gruppe der Migranten ein erhöhender, für das interper- kriminalität (u. a. Barzahlung, um Steuern zu vermeiden; sonelle Vertrauen ein reduzierender Einfluss auf die Ver- Verschweigen von Mängeln bei Second-Hand-Verkauf), schwörungsmentalität festgestellt. Unsicherheitserleben was entsprechend der Autoren u. a. damit zu erklären ist, und der damit verbundene Kontrollverlust stellen eine dass anomische Einstellungen, die delinquentes Verhalten Grundlage dar, warum Verschwörungstheorien geglaubt wahrscheinlicher machen, mit Verschwörungsmentali- wird: »Der Glaube [...] könnte dabei eine Möglichkeit sein, täten einhergehen. Mit Lamberty (2017, 77) lässt sich alles in Kontrolle wiederzuerlangen, da sie den Versuch darstel- allem folgern, dass »erste Indizieren [sic] zur Rolle von Ver- len, Ordnung ins Chaos zu bringen« (Lamberty 2017, 73). schwörungstheorien für Radikalisierungsprozesse existie- Ebenfalls anhand einer Stichprobe aus den USA, wobei ren«, dass aber gleichzeitig »die empirische Basis [...] noch Studierende einbezogen wurden, berichten Abalakina- lange nicht zufriedenstellend ist«. Paap et al. (1999), dass eine höhere Anomieeinschätzung, Die erwähnten Forschungsbefunde machen zugleich aber ebenso ein höherer Autoritarismus sowie die Ein- darauf aufmerksam, dass bei der Analyse des Zusammen- schätzung der Machtlosigkeit (powerlessness) mit stärke- hangs von Verschwörungsmentalität und Extremismus rer Zustimmung zu Verschwörungstheorien korrelieren. weitere Faktoren wie anomische und autoritäre Einstellun- Enge Zusammenhänge zwischen politikbezogenen Ein- gen berücksichtigt werden sollten, die mit der Verschwö- stellungen und Verschwörungmentalitäten können Swami rungsmentalität zu korrelieren scheinen. In der Literatur zu et al. (2010) anhand eines britischen Samples bestätigen. Verschwörungsmentalitäten werden diese dabei meist als Ihre Ergebnisse lauten: individuelle Einflussfaktoren diskutiert. Dass anomische Wahrnehmungen bzw. Einstellungen diesbezüglich be- «For participants who reject the political system, believing it to be undemocratic or cynical, mainstream explanations of an deutsam sind, wird bspw. damit erklärt, dass Menschen event do not suffice, because they are provided by the very sour- »die Lebensverhältnisse in der postmodernen Gesellschaft ces (political authorities) that these participants doubt. These [...] als permanent krisenhaft oder zumindest riskant« individuals may also feel powerless to confront political autho- (Ruch 2019, 44) erleben und dies zu einer Art »Flucht in die rities, and in such a scenario, beliefs in conspiracy theories [...] Sicherheit« (Oesterreich 1996) von Verschwörungstheorien allows them to exert some control over their lives« (Swami et al. führen kann. Darüber hinaus wird davon ausgegangen, 2010, 759). dass sich Personen, die das Vertrauen in demokratische In- stitutionen verloren haben, Verschwörungstheorien zu- Auch Douglas et al. (2019, 8) folgern auf Basis ihres Lite- wenden, die »gedeihen [...] wenn Menschen sich von Ent- raturüberblicks: »Conspiracy beliefs are correlated with scheidungsprozessen ausgeschlossen fühlen« (Pöhlmann alienation from the political system and anomie«; »low 2019, 94). Vermutet wird ebenfalls, dass insbesondere die- political trust, feelings of powerlessness, uncertainty, and jenigen Personen zu Verschwörungsmentalitäten neigen, unpredictability« (Douglas et al. 2019, 10) sind entspre- die sich stark an Autoritäten orientieren, d. h. autoritär ein- chend der Autoren relevante Einflussfaktoren von Ver- gestellt sind, dies u. a. deshalb, weil diese Pluralität und schwörungsmentalitäten. Ebenso bestätigen Swami & Co- Toleranz distanziert gegenüberstehende Orientierung mit les (2010, 562), dass es »significant associations between dem »Totalitätsanspruch eines Verschwörungsglaubens« conspiracist ideation and anomie, distrust in authority, (Pöhlmann 2019, 107) übereinstimmt. Es kann also gefol- political cynicism, powerlessness« gibt (vgl. zum Einfluss gert werden, dass allgemeingesellschaftliche Orientierun- des politischen Zynismus auch Swami 2012). Brotherton gen (Anomie), politikbezogene Einstellungen (fehlendes at al. (2013) bestätigen anhand einer angelsächsischen Vertrauen, Machtlosigkeit) und Persönlichkeitsmerkmale Online-Befragung, dass Verschwörungsmentalität nega- (Autoritarismus) die Zustimmung zu Verschwörungstheo- tiv mit interpersonalem Vertrauen und positiv mit ano- rien beeinflussen – Merkmale also, die ebenfalls als Ein- mischen Einstellungen korreliert. flussfaktoren des Extremismus diskutiert werden (u. a. Lö- Die Studie von van Prooijen & Acker (2015), die eine sel et al. 2018). US-amerikanische Erwachsenenstichprobe untersuchen, Werden die Befunde empirischer Studien betrachtet, so zeigt ebenfalls, dass ein höheres Vertrauen in die Regie- werden diese Annahmen weitestgehend bestätigt. Goertzel rung mit einer geringeren Verschwörungsmentalität ein- (1994) berichtet auf Basis einer US-amerikanischen Befra- hergeht; zudem macht diese Studie darauf aufmerksam, gung, dass anomische Orientierungen mit höherer Ver- dass eine wichtige Kontrollvariable für Zusammenhangs- schwörungsmentalität einhergehen, wobei diese Variable analysen das Bildungsniveau von Befragten ist: eine höhe- insgesamt den stärksten Einfluss aller analysierten Fak- re Bildung senkt die Zustimmung zu Verschwörungstheo- toren ausübt. Zusätzlich wurde für die Zugehörigkeit zur rien. Den signifikanten Einfluss niedriger Bildung auf Ver-
86 Dirk Baier und Patrik Manzoni schwörungsmentalitäten erklärt u. a. van Prooijen: Weil Verschwörungsmentalität haben. Alles in allem folgern niedrig gebildetere Personen seltener Kontrollüberzeu- Wood & Douglas (2018): »People who are high in the psy- gungen aufweisen (gemessen in Bezug auf politische Ent- chological variable of right-wing authoritarianism [...] are scheidungen; z. B. »Citizens can influence government de- more likely to buy into conspiracy theories.« Auf der Basis cisions«, van Prooijen 2017, 54) und stärker der Auffas- von Befragungen in sechs europäischen Ländern folgert sung sind, dass es einfache Lösungen für Probleme in auch Drochon (2018, 344), dass »right-wing respondents Gegenwartsgesellschaften gibt (z. B. »Most societal pro- more readily accepted conspiracy theory statements«. Ei- blems have a clear cause and a simple solution«, van ne Studie aus Polen kommt zu demselben Schluss: Zwi- Prooijen 2017, 54), stimmen sie häufiger Verschwörungs- schen Autoritarismus und Verschwörungsmentalitäten theorien zu. Die Auswertungen einer Bevölkerungsbefra- besteht eine mittelstarke Korrelation (Grzesiak-Feldman gung aus Italien zeigen hingegen, dass politisches Ver- & Irzycka 2009; vgl. für entsprechende Ergebnisse einer trauen nicht mit Verschwörungstheorien in Zusammen- Studie aus Malaysia Swami 2012). hang steht, wobei darauf hinzuweisen ist, dass das In Deutschland wurde sich der Verschwörungsmentali- verwendete Instrument vor allem Vertrauen in Parteien tät bereits wiederholt in repräsentativen Befragungsstudien (und nicht in gesellschaftliche Institutionen allgemein) er- unter Erwachsenen gewidmet, für die Schweiz liegen bis- fasst hat (Mancosu et al. 2017). Die Studie konnte zugleich lang hingegen keine vergleichbaren Studienergebnisse vor. ebenfalls belegen, dass eine höhere Bildung mit einer ge- Rees & Lamberty (2019) berichten unter Verwendung einer ringeren Verschwörungsmentalität einhergeht. Fünf-Item-Skala, dass je nach Item zwischen 11,6 und Richey (2017) untersucht anhand einer Stichprobe aus 45,7 % der Befragten eine Zustimmung äußerten. »Ins- den USA den Zusammenhang von Autoritarismus und Ver- gesamt 38,5 Prozent der Befragten bewegten sich über alle schwörungsmentalität und vermutet, dass autoritäre Per- Aussagen hinweg betrachtet durchschnittlich auf der sonen eher zu dieser Mentalität neigen: »The combination zustimmenden Seite« (Rees & Lamberty 2019, 221) – Ver- of distrust in the system combined with a difficulty with co- schwörungsmentalitäten sind in der bundesdeutschen gnitive problems and a general resistance to correct false Bevölkerung mithin recht weit verbreitet. Die Auswer- beliefs would make authoritarians highly susceptible hol- tungen dieser Studie zeigen weiterhin, dass Personen, die ding conspiracy beliefs« (Richey 2017, 467). Unter Nutzung der Verschwörungsmentalität zustimmen, häufiger men- einer spezifischen Skala zur Messung von Autoritarismus – schenfeindliche Einstellungen vertreten und zudem eine genutzt wird nicht das vielfach eingesetzte Instrument von höhere Gewaltbereitschaft aufweisen (Rees & Lamberty Altemeyer (1996), sondern eine Frage danach, zu welchen 2019, 215 ff.). Decker et al. (2016) nutzten ebenfalls eine Fünf- Eigenschaften Kinder erzogen werden sollten (z. B. Gehor- Item-Skala, anhand derer sie einen Anteil an Befragten von sam, gute Umgangsformen) – wird festgestellt, dass Auto- 33,3 % bestimmen, die eine Verschwörungsmentalität auf- ritarismus ein dominanter Einflussfaktor ist: »Authoritari- weisen; dieser Anteil ist dabei im Vergleich zum Jahr 2012 an personality is an important predictor of holding conspi- leicht rückläufig (37,7 %). Zu dieser Verschwörungsmenta- racy theory beliefs« (Richey 2017, 480). lität wird zudem berichtet, dass sie »eng an die autoritäre Autoritarismus weist auch in der Studie von Bruder et Orientierung geknüpft ist« (Decker & Brähler 2016, 102). al. (2013) einen mittelstarken Zusammenhang mit der Ver- Werden die vorhandenen Befunde zusammengefasst, schwörungsmentalität auf. Neben anderen signifikanten lassen sich für die nachfolgenden Auswertungen drei zu Korrelationen werden in dieser Befragung an einer deut- prüfende Hypothesen formulieren. Hypothese 1 nimmt da- schen Universität zudem Einflüsse der Anomieeinschät- bei an, dass anomische Einstellungen, eine Distanz zum po- zung und der Wahrnehmung von Machtlosigkeit (power- litischen System (geringes Vertrauen, geringes Wirksam- lessness) auf eine erhöhte Verschwörungsmentalität be- keitserleben) und Autoritarismus die Zustimmung zu einer richtet. Verschwörungsmentalität erhöhen. Hypothese 2 geht da- Allerdings weisen nicht alle Studien auf einen Zusam- von aus, dass je stärker die Verschwörungsmentalität aus- menhang zwischen Autoritarismus und Verschwörungs- geprägt ist, umso eher extremistische Einstellungen befür- mentalität hin. Imhoff & Bruder (2014) berichten bspw. an- wortet werden; die Verschwörungsmentalität sollte dabei hand einer Bevölkerungsbefragung eine nicht signifikante den Einfluss der in Hypothese 1 genannten Variablen auf Korrelation zwischen diesen Variablen; gleichwohl wird in extremistische Einstellungen zumindest teilweise mediie- einer zweiten Studie ein mittlerer Zusammenhang bestä- ren. Hypothese 3 nimmt schließlich an, dass sich die tigt. Stichprobenbesonderheiten sowie eingesetzte Mess- verschiedenen Zusammenhänge für verschiedene Alters- instrumente dürften insofern einen Einfluss auf Zusam- gruppen in gleicher Weise zeigen, also nicht für junge Men- menhänge zwischen unabhängigen Variablen und der schen, die eine höhere Affinität zum Extremismus aufwei-
Verschwörungsmentalität und Extremismus – Befunde aus Befragungsstudien in der Schweiz 87 sen (vgl. u. a. Baier & Boehnke 2008), spezifisch sind. Eine Gymnasium und Fach-/Wirtschaftsmittelschule. Je nach solche Hypothese wurde in den vorliegenden Studien bis- Kanton wurden die für eine Befragungsteilnahme vorgese- lang nicht explizit geprüft; da sich die verschiedenen vor- henen Klassen je Schulform per Zufallsziehung bestimmt gestellten Zusammenhänge aber in unterschiedlichen Sam- oder es wurden alle Schulen gebeten, an der Befragung ples gezeigt haben (in Studierenden- ebenso wie in Er- teilzunehmen (und danach wurde jede zweite bzw. dritte wachsenenstichproben, in Stichproben aus verschiedenen Klasse in die Stichprobe aufgenommen). Ländern), ist davon auszugehen, dass sie nicht abhängig In den zehn Kantonen wurden insgesamt 232 Schulen vom Lebensalter der Befragten sind. angesprochen, sich an der Befragung zu beteiligen; nur 123 Schulen und damit nur etwa die Hälfte (53,0 %) sind der Bitte nachgekommen. In den Schulen, die einer Betei- ligung zustimmten, wurden insgesamt 722 Klassen für Be- 3 Stichproben und fragungen ausgewählt. 127 Klassen lehnten eine Befra- Messinstrumente gung aus verschiedenen Gründen ab; 595 Klassen standen für eine Befragung zur Verfügung. In diesen wurden 9.293 3.1 Stichproben Schülerinnen und Schüler unterrichtet, von denen 8.317 und damit 89,5 % an der Befragung teilgenommen haben. Douglas et al. folgern auf Basis ihres Literatur-Reviews: Wird die Gesamt-Rücklaufquote berechnet, dann ergibt »Specifically, to be more confident in the power of re- sich eine Quote von 39,1 % (inkl. ablehnende Schulen und search findings, we would recommend the use of larger, Klassen). more representative samples« (Douglas et al. 2019, 21). Mit Die Zusammensetzung der Stichprobe stellt sich wie dieser Empfehlung übereinstimmend werden im Folgen- folgt dar: 55,8 % der Jugendlichen weisen ein Alter von den zwei umfangreiche Stichproben zur Prüfung der Hy- 17 oder 18 Jahren auf; 22,5 % sind jünger, 21,7 % älter. pothesen herangezogen: eine Jugend- und eine Erwachse- Etwa die Hälfte der befragten Jugendlichen ist männ- nenstichprobe aus der Schweiz. lich (49,7 %), 50,3 % sind weiblich. Von allen Befrag- Bei der Jugendstichprobe handelt es sich um eine schul- ten besuchen 52,0 % die Berufsschule, 12,3 % die Fach-/ klassenbasierte Online-Befragung, die von geschulten In- Wirtschaftsmittelschule bzw. Berufsmaturität, 9,3 % eine terviewerinnen und Interviewern bzw. Lehrkräften ad- Übergangsausbildung und 26,4 % ein Gymnasium – letzt- ministriert wurde. Im Vorfeld der Befragung wurde ent- genannte Befragte werden als Befragte mit hoher Bildung schieden, die Altersgruppe der durchschnittlich 17- und eingestuft. Der Anteil an Jugendlichen, die selbst Sozial- 18-jährigen Jugendlichen zu erreichen, weil in dieser hilfe bzw. deren Eltern Arbeitslosengeld oder Sozialhilfe etwas älteren Jugendgruppe erwartet werden konnte, dass erhalten, liegt in der Stichprobe bei 18,8 % (abhängig von eine mehr oder weniger stabile politische Orientierung aus- staatlichen Transferleistungen). Zusätzlich sollten die Ju- gebildet ist – im Mittelpunkt der Befragung stand die Erhe- gendlichen die Einwohnerzahl ihrer Gemeinde mitteilen. bung von Linksextremismus, Rechtsextremismus und isla- Unterschieden werden drei Gemeindegrößen: In einer mistischem Extremismus (vgl. Manzoni et al. 2018). ländlichen Gemeinde mit unter 5.000 Einwohnerinnen Für die Befragung wurde keine schweizweite Reprä- und Einwohnern leben 44,7 % aller befragten Schülerin- sentativität beansprucht, da diese bei 26 Kantonen nur mit nen und Schüler, in einer kleinstädtischen Gemeinde bis hohem Aufwand zu erreichen wäre. Stattdessen wurde die unter 20.000 Einwohner 37,6 %, in einer städtischen Ge- Befragung in zehn Kantonen durchgeführt, die hinsicht- meinde ab 20.000 Einwohner 17,7 %. Der Anteil an Ju- lich ihrer geografischen Lage, ihres städtischen bzw. länd- gendlichen mit Migrationshintergrund liegt in der Stich- lichen Charakters sowie ihres Anteils an Muslimen die Va- probe bei 52,1 %. Um den Migrationshintergrund zu be- riabilität der Schweiz zumindest in Teilen abbildet. Die stimmen, wurden die Jugendlichen gebeten, anzugeben, Datenerhebung fand im Zeitraum von April bis Dezember in welchem Land die leibliche Mutter und der leibliche 2017 statt. Vater geboren worden sind. Wenn mindestens ein Eltern- Einbezogen wurden folgende Schulformen: Berufs- teil nicht in der Schweiz geboren wurde, dann wird vom schule (inkl. Berufsmaturität), Übergangsausbildung1, Vorliegen eines Migrationshintergrunds bei einem Befrag- ten ausgegangen. Bei der Erwachsenenstichprobe handelt es sich um 1 Diese Schulform besuchen weitestgehend Jugendliche, die nach eine repräsentative postalische Befragung (Baier 2019). Abschluss der neunten Jahrgangsstufe keine Berufsausbildung begin- Die zufällige Ziehung von Adressen erfolgte durch ein nen konnten. Marketing-Unternehmen, wobei insgesamt 10.749 Adres-
88 Dirk Baier und Patrik Manzoni sen bzw. Personen in die Stichprobe einbezogen wurden; ten verbreitet sind Studien, die nach der Zustimmung pro Kanton wurden zwischen 150 und 1.761 Personen in zu konkreten Verschwörungstheorien fragen. Swami et al. die Stichprobe aufgenommen. Beim Versand der Fragebö- (2017) berichten in Bezug auf die meisten vorhandenen gen wurde zusätzlich als Anreiz ein Kugelschreiber sowie Instrumente Probleme hinsichtlich der internen Kon- ein adressierter Rückumschlag beigelegt. Die Fragebögen sistenz (Eindimensionalität) und der Validität. Es zeich- wurden im Februar 2018 verschickt. Etwa drei Wochen net sich daher bislang kein Konsens dahingehend ab, wel- später wurde zusätzlich ein Erinnerungsschreiben versen- ches Messinstrument besonders geeignet wäre, Verschwö- det. rungsmentalitäten zu erfassen. Von den 10.749 Adressen war eine kleine Anzahl un- In beiden vorliegenden Befragungen kam eine gekürz- gültig (verzogen, verstorben usw.; 225 Adressen). Auswert- te Skala von Imhoff (2014) zum Einsatz, die ursprünglich bare Fragebögen lagen zu 2.111 Personen vor. Dies bedeu- fünf Items enthält. Aufgenommen wurden jeweils die drei tet, dass eine Rücklaufquote von 20,1 % erreicht wurde. Items, bei denen eine hohe Zustimmung eine Verschwö- Das Alter der Befragten reichte von 18 bis 85 Jahren. Hin- rungsmentalität signalisiert (Tabelle 1; Antwortkategorien sichtlich des Alters, des Geschlechts und der Kantons- von »1 – stimmt gar nicht« bis »6 – stimmt völlig«). Die zugehörigkeit wich die Stichprobe von der Verteilung in Reliabilität der Skala ist in beiden Stichproben gegeben der Grundgesamtheit ab, weshalb ein Gewichtungsfaktor (Cronbachs Alpha = .81 bzw. .74). Bezogen auf die Befrag- berechnet wurde; alle nachfolgend präsentierten deskrip- ten, die den Aussagen im Durchschnitt zustimmen (Mittel- tiven Auswertungen der Erwachsenenstichprobe basieren wert über 3.5), ergibt sich, dass insgesamt 31,4 % der auf gewichteten Daten. Jugendlichen und 35,9 % der Erwachsenen eine aus- Die gewichtete Erwachsenenstichprobe kann wie folgt geprägte Verschwörungsmentalität aufweisen. Diese Wer- beschrieben werden: 50,4 % der Befragten sind weiblich, te sind vergleichbar mit denen der bundesdeutschen Stu- 49,6 % männlich. Das Durchschnittsalter beträgt 49.3 Jah- dien (Rees & Lamberty 2019; Decker et al. 2016). re. 37,0 % der Befragten leben in einer ländlichen Region (unter 5.000 Einwohner), 33,9 % in einer kleinstädtischen Tabelle 1: Items und deskriptive Statistiken der Skala Region (unter 20.000 Einwohner), 29,1 % in einer städti- Verschwörungsmentalität schen Region (ab 20.000 Einwohner). 22,2 % der Befragten haben einen Migrationshintergrund (eigene Staatsangehö- Jugend- Erwachsenen- stichprobe stichprobe rigkeit oder eigenes Geburtsland nicht Schweiz). 4,1 % der Befragten haben einen niedrigen Bildungsabschluss (kei- Mittel- Anteil Mittel- Anteil nen Abschluss), 40,9 % einen mittleren Abschluss (Sekun- wert Zustim- wert Zustim- dar-, Real-, Bezirksschulabschluss) und 55,0 % einen ho- mung mung hen Bildungsabschluss (Maturität, Studium). 3,6 % der Be- V1: Die meisten Menschen 2.78 35,1 2.92 35,6 fragten berichten davon, dass sie selbst aktuell arbeitslos erkennen nicht, in welchem sind oder Arbeitslosengeld bzw. Sozialhilfe beziehen. Ausmaß unser Leben durch Verschwörungen bestimmt wird, die im Geheimen ausgeheckt werden. 3.2 Messinstrumente V2: Es gibt geheime 3.02 40,4 3.29 46,2 Zur Erfassung von Verschwörungsmentalitäten kamen in Organisationen, die großen Einfluss auf politische der Vergangenheit verschiedene Messinstrumente zum Ent-scheidungen haben. Einsatz. Wiederholt wurde bspw. die Zustimmung zu kon- kreten Verschwörungstheorien wie »The FBI was involved V3: Politiker und andere 2.81 33,4 3.24 41,5 Führungspersönlichkeiten in the assassination of Martin Luther King« (Goertzel 1994) sind nur Marionetten der oder »The financial crisis was planned by bankers and po- dahinterstehenden liticians for their personal gain« (Krouwel et al. 2017) er- Mächte. fasst. Zudem liegen Studien vor, die die Verschwörungs- Skala 2.87 31,4 3.15 35,9 mentalität mit einem Ein-Item-Instrument erfasst haben (Lantian et al. 2016; »I think that the official version of the Cronbachs Alpha .81 .74 events given by the authorities very often hides the truth«) sowie Studien, die Skalen mit mehreren Items verwende- ten (Bruder et al. 2013; Brotherton et al. 2013). Am weites-
Verschwörungsmentalität und Extremismus – Befunde aus Befragungsstudien in der Schweiz 89 Tabelle 2: Items und deskriptive Statistiken verschiedener Skalen Jugend- Erwachsenen- stichprobe stichprobe Mittel- Anteil Zu- Mittel- Anteil Zu- wert stimmung wert stimmung gewaltbereite extremistische E1: Es ist in Ordnung, Gruppen zu unterstützen, die mit 2.55 29,5 2.05 12,0 Einstellungen Gewalt gegen Ungerechtigkeiten kämpfen. E2: Es ist manchmal nötig, mit Gewalt, Anschlägen oder 1.78 11,5 1.62 7,0 Entführungen für eine bessere Welt zu kämpfen. E3: Manchmal müssen Menschen zu Gewalt greifen, um 2.27 22,2 2.29 21,3 ihre Werte, Überzeugungen oder ihren Glauben zu verteidigen. E4: Es ist manchmal nötig, Gewalt anzuwenden, um 2.69 33,0 2.34 23,7 gegen Dinge zu kämpfen, die sehr ungerecht sind. Skala 2.33 13,1 2.08 7,4 Cronbachs Alpha .76 .75 Anomie A1: In diesen Tagen ist alles so unsicher geworden, dass 3.97 67,5 3.50 53,5 man auf alles gefasst sein muss. A2: Wenn man die Ereignisse der letzten Jahre 3.82 64,9 3.57 56,2 betrachtet, wird man richtig unsicher. Skala 3.89 58,2 3.53 44,7 Cronbachs Alpha .63 .69 Institutionenvertrauen I1: der schweizerischen Politik 6.33 64,8 6.05 63,2 I2: den schweizerischen Gerichten 6.77 71,9 6.99 77,4 I3: der schweizerischen Polizei 6.75 70,7 7.67 87,6 I4: den schweizerischen Ämtern/Behörden 6.26 63,3 6.72 73,6 Skala 6.52 70,0 6.86 77,0 Cronbachs Alpha .86 .84 politische Deprivation P1: Leute wie ich haben sowieso keinen Einfluss darauf, 3.28 42,9 3.52 49,8 was die Regierung tut. P2: Ich halte es für sinnlos, mich politisch zu 2.90 32,3 2.84 29,5 engagieren. Skala 3.09 29,2 3.18 30,0 Cronbachs Alpha .54 .57 Autoritarismus R1: Wir sollten dankbar sein für führende Köpfe, die uns 2.92 33,8 2.75 30,2 genau sagen, was wir tun sollen und was nicht. R2: Kinder sollten sich den Vorstellungen der Eltern 2.51 21,8 2.50 21,7 anpassen. R3: Um Recht und Ordnung zu bewahren, sollte man 3.23 42,5 2.98 34,7 härter gegen Randständige (z. B. Obdachlose, Drogenabhängige) und Unruhestifter vorgehen Skala 2.89 25,4 2.74 19,7 Cronbachs Alpha .55 .50 Weitere, in beiden Befragungen in identischer Weise trauen: von »1 – überhaupt nicht« bis »10 – voll und eingesetzte Instrumente sind in Tabelle 2 aufgeführt. Mit ganz«). Die abhängige Variable der Analyse bilden extre- Ausnahme des Institutionenvertrauens waren die Aus- mistische Einstellungen, die mit dem von Ribeaud et al. sagen auf einer Antwortskala von »1 – stimmt gar nicht« (2017) entwickelten Vier-Item-Instrument »gewaltbereite bis »6 – stimmt völlig« zu beantworten (Institutionenver- extremistische Einstellungen« erfasst wurden. Zu beach-
90 Dirk Baier und Patrik Manzoni ten ist bei dieser Skala: »Die Aussagen wurden so formu- 3.3 Analytisches Vorgehen liert, dass sie Gewaltausübung als politisches Mittel dar- stellen, unabhängig spezifischer rechter, linker oder reli- Die Zusammenhänge zwischen den vorgestellten Mess- giöser Ideologien« (Ribeaud et al. 2017, 2), d. h. es wird die instrumenten werden nachfolgend mittels Strukturglei- Befürwortung extremistischer Gewalt unabhängig von der chungsmodellen untersucht, wobei auf das Programm konkreten ideologischen Ausrichtung erfasst. Wie die Mplus 7.31 (Muthén & Muthén 2015) zurückgegriffen wur- Analysen von Manzoni et al. (2018, 50 f.) zeigen konnten, de. Dieses Vorgehen erlaubt es, Messmodelle (latente Va- korreliert die Skala tatsächlich sowohl mit rechtsextre- riablen) und Strukturmodelle (Beziehungen zwischen la- men, linksextremen und islamistisch extremen Einstellun- tenten Variablen) zu spezifizieren. Im Folgenden wurden gen. Die Reliabilität der Skala ist in beiden vorliegenden zuerst die entsprechenden Messmodelle geprüft und in ei- Stichproben gegeben; die Zustimmung fällt in der Jugend- nem zweiten Schritt das Strukturmodell geschätzt. Inso- stichprobe mit 13,1 % höher aus als in der Erwachsenen- fern die Zusammenhänge zwischen den latenten Varia- stichprobe (7,4 %); einzelnen Items wird aber sowohl von blen durch Drittfaktoren beeinflusst werden können, wird den Jugendlichen als auch den Erwachsenen in hohem zunächst geprüft, ob die Verschwörungsmentalität und Maße zugestimmt. die gewaltbereiten extremistischen Einstellungen – die im Anomische Einstellungen wurden mit zwei Items aus Mittelpunkt des Beitrags stehenden Variablen – mit sozio- dem Anomie-Instrument von Fischer & Kohr (2014) erfasst. demografischen Variablen in Zusammenhang stehen, die Beide Items bilden ein reliables Messinstrument. Die Zu- dann in Strukturgleichungsmodellen zu kontrollieren stimmung zu den Items wie zur Gesamtskala fällt hoch sind. Zur Prüfung dieser Frage wurden OLS-Regressionen aus: 58,1 % der Jugendlichen und 44,7 % der Erwachsenen berechnet. weisen auf der Mittelwertskala einen Mittelwert über 3.5 auf. Die Distanz gegenüber dem politischen System wird 4 Ergebnisse mit zwei Instrumenten abgebildet: Einerseits wurde in bei- den Befragungen das Vertrauen in verschiedene Institutio- Tabelle 3 stellt die Ergebnisse von OLS-Regressionen auf nen erhoben, wobei nach dem Vertrauen in die Politik all- die Variablen Verschwörungsmentalität und gewaltberei- gemein, sowie in die Gerichte, die Polizei und die Ämter/ te extremistische Einstellungen vor. Zwar werden eini- Behörden gefragt wurde. Die Reliabilität dieses Vier-Item- ge Zusammenhänge als signifikant ausgewiesen – dies Instruments ist sehr gut; im Durchschnitt wird in beiden ist aufgrund der Stichprobengrößen aber nicht überra- Stichproben ein hohes Vertrauen festgestellt, wobei Er- schend. Standardisierte Koeffizienten ab .10, d. h. als min- wachsene in Bezug auf drei von vier Institutionen ein hö- destens gering einzustufende Regressionskoeffizienten heres Vertrauen aufweisen. Andererseits wurde mit zwei (Cohen 1988), finden sich drei Mal: Eine hohe Bildung Items die politische Deprivation erfasst, d. h. die Einstel- geht in der Erwachsenenstichprobe mit einer geringeren lung, keinen Einfluss auf politische Prozesse nehmen zu Verschwörungsmentalität einher (β = -.18); männliche Be- können (Rippl & Baier 2005). Die Reliabilität des Instru- fragte stimmen sowohl in der Jugend- als auch in der Er- ments fällt etwas niedriger aus, ist aber für eine Zwei-Item- wachsenenstichprobe stärker extremistischen Einstellun- Skala noch ausreichend. Die Zustimmungsquoten sind gen zu als weibliche Befragte (β = .27 bzw. .16). Alle ande- hoch: Jeweils fast ein Drittel der Jugendlichen bzw. Er- ren Koeffizienten sind mit β < .10 als vernachlässigbar wachsenen weist politische Deprivation auf. einzustufen, was zu der Schlussfolgerung führt, dass in Zur Messung von Autoritarismus kam schließlich ein den Strukturgleichungsmodellen nur die Variablen Ge- Instrument zum Einsatz, das drei Items enthält und das schlecht und Bildung zu berücksichtigen sind. autoritäre Unterwürfigkeit (Items R1 und R2; »R« für right- wing authoritarianism nach Altemeyer 1996) bzw. auto- ritäre Aggression (R3) abbildet (Baier & Pfeiffer 2011, 173). Auch bei diesem Instrument fällt die Reliabilität niedriger, für eine Drei-Item-Skala aber ausreichend aus. In der Ju- gendstichprobe ergibt sich mit 25,4 % ein höherer Anteil autoritär eingestellter Befragter als in der Erwachsenen- stichprobe (19,7 %).
Verschwörungsmentalität und Extremismus – Befunde aus Befragungsstudien in der Schweiz 91 Tabelle 3: Soziodemografische Merkmale als Einflussfaktoren der Verschwörungsmentalität und der gewaltbereiten extremistischen Einstel- lungen (OLS-Regression, abgebildet: Beta-Koeffizienten) Verschwörungsmentalität gewaltbereite extremistische Einstellungen Jugendstichprobe Erwachsenen- Jugendstichprobe Erwachsenen- stichprobe stichprobe Geschlecht: männlich .08 *** -.00 .27 *** .16 *** Alter in Jahren .04 *** .02 -.07 *** -.00 Migrationshintergrund: ja .07 *** .07 ** .07 *** .08 ** abhängig von staatlichen Transferleistungen .02 -.02 .06 *** .06 ** Bildung: hoch -.06 *** -.18 *** -.06 *** -.08 ** ländlich (unter 5.000 Einwohner) Referenz Referenz Referenz Referenz kleinstädtisch (unter 20.000 Einwohner) .02 .03 -.01 .05 * städtisch (ab 20.000 Einwohner) .01 -.04 .02 -.02 N 7.284 2.028 7.357 2.028 R2 .021 .038 .092 .039 * p < .05 ** p < .01 *** p < .001 Die verschiedenen Variablen wurden in verschiedene für den Autoritarismus; der Einfluss der anderen Varia- Strukturgleichungsmodelle integriert. Dabei wurde zu- blen wird durch die Verschwörungsmentalität mediiert. nächst für beide Stichproben ein Modell ohne die Ver- Werden zunächst die Messmodelle betrachtet, so zeigt schwörungsmentalität geschätzt (nicht dargestellt), um sich, dass die Faktorladungen jeweils über λ > .50 liegen, die Beziehungen zwischen Anomie, Institutionenvertrau- was noch einmal die Reliabilität der eingesetzten Instru- en, politischer Deprivation, Autoritarismus und gewalt- mente unterstreicht. Eine Ausnahme ist allerdings zu er- bereiten extremistischen Einstellungen zu prüfen.2 Da- wähnen: Das erste Item des Autoritarismus (»führende bei haben sich folgende signifikante Regressionspfade Köpfe«) lädt in der Erwachsenenstichprobe nur mit λ = (γ-Koeffizienten) ergeben: Anomie erhöht sowohl in der .30; in der Jugendstichprobe fällt die Faktorladung dieses Jugend- als auch in der Erwachsenenstichprobe extremis- Items hingegen ausreichend hoch aus. Festgestellt werden tische Einstellungen (.12/.19, p < .001); Institutionenver- kann zudem, dass die Faktorladungen in beiden Stichpro- trauen reduziert in der Jugendstichprobe extremistische ben zwar meist nicht identisch sind, die Unterschiede aber Einstellungen (-.16, p < .01), in der Erwachsenenstichprobe mit Ausnahme des ersten Autoritarismus-Items eher ge- nicht (-.03, p > .05); politische Deprivation erhöht in bei- ring ausfallen. den Stichproben extremistische Einstellungen (.13/.15, p < Von besonderem Interesse sind die Pfade zwischen .001/.01); Autoritarismus erhöht in beiden Stichproben die den verschiedenen latenten Variablen (Strukturmodell). Zustimmung zu extremistischen Einstellungen (.09/.10; p Dabei zeigt sich, dass die Verschwörungsmentalität ein < .001/.05). Dies bedeutet, dass mit Ausnahme der Be- starker Einflussfaktor der extremistischen Einstellungen ziehung Institutionenvertrauen – gewaltbereite extremis- ist (je stärker die Verschwörungsmentalität ausgeprägt ist, tische Einstellungen die Verschwörungsmentalität als Me- desto höher fällt die Zustimmung zu extremistischen Ein- diator fungieren kann. stellungen aus): In der Jugendstichprobe findet sich ein Die Befunde der endgültigen Strukturgleichungsmo- Zusammenhang von γ = .56, in der Erwachsenenstichpro- delle finden sich in Abbildung 1. Direkte signifikante, be von .35 (p < .001). Der Autoritarismus hängt ebenfalls, nicht-vernachlässigbare Beziehungen zwischen den ver- allerdings deutlich schwächer, mit extremistischen Ein- schiedenen unabhängigen Variablen und den gewaltbe- stellungen zusammen (γ = .13/.15). reiten extremistischen Einstellungen finden sich nur noch Werden die Einflussfaktoren der Verschwörungsmen- talität betrachtet, so findet sich ein starker positiver Zu- sammenhang mit der Anomie – in beiden Stichproben (γ 2 Die Fit-Maße der Modelle lauten: Jugendstichprobe Chi2 = 1656.03, df = 100, RMSEA = .04, CFI = .95, TLI = .93, SRMR = .03; Erwachsenen- = .32/.42). Das Institutionenvertrauen senkt die Verschwö- stichprobe Chi2 = 634.79, df = 100, RMSEA = .05, CFI = .94, TLI = .92, rungsmentalität, wobei der Zusammenhang schwächer, SRMR = .04. zugleich in beiden Stichproben nahezu gleich hoch aus-
92 Dirk Baier und Patrik Manzoni Abbildung 1: Modell zur Erklärung gewaltbereiter extremistischer Einstellungen Abgebildet: standardisierte Koeffizienten; Schätzverfahren: Maximum Likelihood; linke Koeffizienten: Jugendstichprobe, rechte Koeffizienten: Erwachsenenstichprobe; alle Koeffizienten signifikant bei p < .001; n.s. nicht signifikant bei p < .001. fällt (γ = -.18/-.17). Politische Deprivation hingegen erhöht terschiede der Pfade des Jugend- und Erwachsenenmo- die Verschwörungsmentalität – in der Jugendstichprobe dells auf Signifikanz zu prüfen; bereits ab einer Differenz weniger stark als in der Erwachsenenstichprobe (γ = .14/ von Δ = .05 ist von einem signifikanten Unterschied (p < .33). Für den Autoritarismus ergeben sich unerwartete Be- .05) auszugehen (Fisher-Test). Ausgewiesen ist in Abbil- ziehungen mit der Verschwörungsmentalität: In der Er- dung 1 auch die erklärte Varianz der Verschwörungsmen- wachsenenstichprobe findet sich keine Beziehung zwi- talität und extremistischen Einstellungen: In der Jugend- schen beiden Variablen, in der Jugendstichprobe eine ne- stichprobe wird die Verschwörungsmentalität weniger gut gative Beziehung (γ = -.16): Je autoritärer Jugendliche erklärt als in der Erwachsenenstichprobe (20 zu 61 %); in eingestellt sind, umso geringer ausgeprägt ist die Ver- Bezug auf die extremistischen Einstellungen verhält es schwörungsmentalität. sich umgekehrt (42 zu 19 %). Die Modelle weisen in beiden Stichproben einen aus- In Abbildung 1 sind verschiedene Korrelationen zwi- reichenden Fit auf (vgl. Hu & Bentler 1999); dies bedeutet, schen den unabhängigen Variablen bzw. Regressions- dass die in den Modellen spezifizierten theoretischen An- gewichte der Kontrollvariablen aus grafischen Gründen nahmen gut zu den empirischen Beobachtungen passen. nicht dargestellt. Die Ergebnisse zu diesen Korrelationen Dass die Chi2-Statistik als signifikant ausgewiesen wird bzw. Pfaden finden sich in Tabelle 4. Dabei zeigt sich, dass (und damit auf eine weniger gute Passung von Theorie die Korrelationen zwischen den unabhängigen Variablen und Daten hindeutet), ist den umfangreichen Stichproben in der Erwachsenenstichprobe fast durchweg stärker aus- geschuldet. Aus diesem Grund ist dieser Kennwert nicht fallen; die Richtung der Korrelationen ist aber weitest- mehr als relevantes Kriterium für Annahme oder Ableh- gehend gleich: Anomie geht mit politischer Deprivation nung des Modells anzusehen, sondern andere Kennwerte und Autoritarismus einher, mit dem Institutionenvertrau- wie der RMSEA (guter Fit: ≤ .05) oder CFI und TLI (guter en ergibt sich ein negativer Zusammenhang; Institutio- Fit: ≥ .95, ausreichender Fit: ≥ 90) sollten zur Beurteilung nenvertrauen und politische Deprivation korrelieren eben- herangezogen werden. Mit den Stichprobengrößen lässt falls negativ, politische Deprivation und Autoritarismus sich auch begründen, warum darauf verzichtet wird, Un- positiv. Eine Korrelation unterscheidet sich in den beiden
Verschwörungsmentalität und Extremismus – Befunde aus Befragungsstudien in der Schweiz 93 Tabelle 4: Weitere Korrelationen/Regressionsgewichte der Strukturgleichungsmodelle (abgebildet: standardisierte Koeffizienten) Jugendstichprobe Erwachsenenstichprobe Korrelationen Anomie – Institutionenvertrauen -.11 *** -.43 *** Anomie – politische Deprivation .23 *** .58 *** Anomie – Autoritarismus .33 *** .50 *** Institutionenvertrauen – politische Deprivation -.30 *** -.42 *** Institutionenvertrauen – Autoritarismus .23 *** -.12 *** politische Deprivation – Autoritarismus .15 *** .47 *** Regressionsgewichte Geschlecht männlich – Anomie -.19 *** -.10 *** Geschlecht männlich – Institutionenvertrauen -.01 .03 Geschlecht männlich – politische Deprivation .02 -.07 * Geschlecht männlich – Autoritarismus .03 .05 Geschlecht männlich – Verschwörungsmentalität .15 *** .07 ** Geschlecht männlich – gewaltbereite extremistische .27 *** .13 *** Einstellungen Bildung hoch – Anomie -.16 *** -.19 *** Bildung hoch – Institutionenvertrauen .23 *** .11 *** Bildung hoch – politische Deprivation -.21 *** -.23 *** Bildung hoch – Autoritarismus -.27 *** -.23 *** Bildung hoch – Verschwörungsmentalität -.00 -.03 Bildung hoch – gewaltbereite extremistische .03 * .07 ** Einstellungen * p < .05 ** p < .01 *** p < .001 Stichproben hinsichtlich der Richtung des Zusammen- Hypothese 1 ging davon aus, dass anomische Einstellun- hangs: In der Jugendstichprobe geht ein höheres Institu- gen, eine Distanz zum politischen System (geringes Ver- tionenvertrauen mit höherem Autoritarismus einher, in trauen, geringes Wirksamkeitserleben) und Autoritaris- der Erwachsenenstichprobe korrelieren beide Merkmale mus die Zustimmung zu einer Verschwörungsmentalität negativ miteinander. erhöhen. Diese Hypothese konnte nur teilweise bestätigt Werden die beiden Kontrollvariablen betrachtet, so werden. Zwar ergaben sich für anomische und politikbe- kann gefolgert werden, dass in der Jugend- und der Er- zogene Einstellungen Zusammenhänge mit der Verschwö- wachsenenstichprobe männliche Befragte signifikant sel- rungsmentalität, für den Autoritarismus hingegen nicht. tener anomisch eingestellt sind, häufiger eine Verschwö- Zudem sind bzgl. der erstgenannten Faktoren Differenzie- rungsmentalität aufweisen und ebenfalls häufiger ex- rungen notwendig: Der alles in allem stärkste Einflussfak- tremistischen Einstellungen zustimmen. Befragte mit tor der Verschwörungsmentalität ist die Wahrnehmung höherer Bildung stimmen ebenfalls in beiden Stichproben von Anomie – bei Jugendlichen wie Erwachsenen. Eine seltener anomischen Einstellungen zu, äußern weniger Verschwörungsmentalität ist demnach vor allem als eine politische Deprivation und sind weniger autoritär orien- Reaktion auf ein Unsicherheitserleben einzustufen. Ver- tiert; das Institutionenvertrauen ist bei Befragten mit hö- schwörungstheorien liefern Orientierung und Halt, wenn herer Bildung hingegen stärker ausgeprägt als bei Befrag- die gesellschaftliche Ordnung verloren zu gehen scheint. ten mit niedriger bzw. mittlerer Bildung. Wichtig in diesem Zusammenhang ist, darauf hinzuwei- sen, dass ca. die Hälfte der Befragten anomischen Einstel- lungen zustimmt, es also eine recht große, für Verschwö- 5 Diskussion rungstheorien anfällige Bevölkerungsgruppe gibt. Hiermit übereinstimmend zeigt sich, dass ca. ein Drittel der Be- Die vorgestellten Auswertungen sollen abschließend in fragten eine Tendenz zur Verschwörungsmentalität äu- Bezug auf die formulierten Hypothesen diskutiert werden. ßert. Dies stellt einen in zweifacher Hinsicht erstaunlichen
94 Dirk Baier und Patrik Manzoni Befund dar: zum einen, dass der Anteil insgesamt relativ feld genauso gehören wie Autoritäten aus den Bereichen hoch ausfällt; zum anderen, dass er bei Erwachsenen und Wissenschaft und Politik, und dass alternativen Autoritä- bei Jugendlichen nahezu identisch ist. Angenommen wer- ten, die Verschwörungstheorien verbreiten, mit Misstrau- den könnte, dass Erwachsene solchen Theorien seltener en begegnet wird. Hierauf weist auch die positive Korrela- anhängen, da sie im Unterschied zu Jugendlichen weniger tion hin, die bei Jugendlichen zwischen dem Autoritaris- leichtgläubig sein sollten. mus und dem Institutionenvertrauen gefunden wurde. Die politikbezogenen Faktoren wirken sich weniger Hypothese 2, die angenommen hat, dass eine stärker stark als die Anomie auf die Verschwörungsmentalität ausgeprägte Verschwörungsmentalität mit erhöhter Zu- aus. Das Vertrauen in Institutionen senkt diese, die politi- stimmung zu extremistischen Einstellungen einhergeht, sche Deprivation erhöht sie – die Zusammenhänge sind konnte bestätigt werden. Dabei wurde für die Erwachse- aber als gering einzustufen, mit einer Ausnahme: Politi- nenstichprobe ein mittlerer Einfluss, für die Jugendstich- sche Deprivation ist bei Erwachsenen ähnlich bedeutsam probe ein starker Einfluss der Verschwörungsmentalität wie die anomischen Einstellungen. Die Orientierung an festgestellt. Die Verbreitung von Verschwörungstheorien Verschwörungstheorien ist damit auch als Ergebnis der ist damit eine Grundlage dafür, dass Menschen extremisti- Abwendung vom politischen System zu deuten. Die politi- sche Einstellungen befürworten. Zwar wurden an dieser sche Enttäuschung ist aber alles in allem ein geringerer Stelle keine Verhaltensweisen untersucht; da aber grund- Einflussfaktor als die Perzeption der gesellschaftlichen Zu- sätzlich von einem mehr oder weniger stark ausgepräg- stände. ten Zusammenhang von Einstellungen und Verhalten Nicht bestätigt wurde, dass Autoritarismus ein Ein- auszugehen ist, lassen die präsentierten Analysen den flussfaktor der Verschwörungsmentalität darstellt. In der Schluss zu, dass Verschwörungstheorien und Verschwö- Erwachsenenstichprobe zeigt sich kein Zusammenhang, rungsmentalitäten einen wichtigen Erklärungsansatz für in der Jugendstichprobe sogar ein negativer Zusammen- die Existenz des gewalttätigen Extremismus darstellen; hang, d. h. hier senkt der Autoritarismus die Zustimmung umso problematischer ist der hohe Anteil an jugendlichen zur Verschwörungsmentalität. Dass es in Bezug auf Auto- wie erwachsenen Befragten, die eine Verschwörungsmen- ritarismus keine einheitliche Befundlage gibt, bestätigen talität aufweisen. auch Douglas et al. (2019, 11): »Several studies [...] repor- Der zweite Teil der Hypothese 2 nahm an, dass die ted a link between conspiracy beliefs and right-wing au- Verschwörungsmentalität den Einfluss anderer Faktoren thoritarianism [...] On the other hand [studies] did not find mediiert. Dies ist weitestgehend der Fall, mit zwei Ausnah- a link between authoritarianism and conspiracy belief.« men: Der Autoritarismus erhöht unabhängig von der Ver- Möglicherweise sind bzgl. der Deutung dieses Befundes schwörungsmentalität extremistische Einstellungen; und methodische Aspekte von Bedeutung: Einerseits weist das das Institutionsvertrauen weist keinen eigenständigen Zu- hier eingesetzte Autoritarismus-Instrument eine geringere sammenhang mit extremistischen Einstellungen auf – zu- Reliabilität auf – insbesondere in der Erwachsenenstich- mindest nicht in der Erwachsenenstichprobe. Für ano- probe ergibt sich für ein Item eine geringere Faktorladung. mische Einstellungen und politische Deprivationsgefühle Andererseits ist denkbar, dass bei einer alternativen Erfas- erweist sich die Verschwörungsmentalität aber als bedeut- sung der Verschwörungsmentalität ein Zusammenhang samer Mediator. gefunden worden wäre: Wenn die Zustimmung zu konkre- Hypothese 3 ging zuletzt davon aus, dass sich die pos- ten, vor allem in konservativen und politisch rechtsgerich- tulierten Zusammenhänge für verschiedene Altersgruppen teten Milieus verbreiteten Verschwörungstheorien erfasst zeigen. Geprüft wurde diese Hypothese mittels des Ver- worden wäre, hätte sich möglicherweise ein Zusammen- gleichs der Jugend- und der Erwachsenenstichprobe. Die hang mit right-wing authoritarianism ergeben. Zugleich Ergebnisse der Analysen bestätigen, auch wenn die Höhe sollten nicht nur methodische Erklärungen herangezogen der Zusammenhänge in beiden Stichproben nicht exakt werden. Denkbar ist ebenso, dass eine Orientierung an gleich ist, eine gemeinsame Struktur: Sowohl bei Jugend- Autoritäten, die dem Autoritarismus eigen ist, davon ab- lichen als auch bei Erwachsenen führen allgemeingesell- halten kann, Verschwörungstheorien Glauben zu schen- schaftliche Orientierungen der Ordnungslosigkeit sowie, ken, die sich nicht auf Quellen oder Autoritäten berufen in etwas geringerem Maß, politikbezogene Einstellungen können. Gerade für Jugendliche scheint dies der Fall zu des fehlenden Institutionenvertrauens und der wahr- sein, wie der negative Koeffizient andeutet: Bei diesen genommenen Machtlosigkeit zu einer verstärkten Befür- kann eine Orientierung an Autoritäten bedeuten, dass tra- wortung von Verschwörungstheorien; eine solchen Theo- ditionelle Autoritäten geschätzt werden, zu denen Alltags- rien zugewandte Mentalität wiederum verstärkt extre- autoritäten wie Lehrkräfte und andere Erwachsene im Um- mistische Einstellungen. Für Jugendliche ist dabei der
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