Vögel in Deutschland - Dachverband Deutscher Avifaunisten
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Herausgeber C. Sudfeldt, R. Dröschmeister, T. Langgemach & J. Wahl im Auftrag des Dachverbandes Deutscher Avifaunisten, des Bundesamtes für Naturschutz und der Länderarbeitsgemeinschaft der V ogelschutzwarten Zitierweise C. Sudfeldt, R. Dröschmeister, T. Langgemach & J. Wahl (2010): Vögel in Deutschland – 2010. DDA, BfN, LAG VSW, Münster. Zitierweise einzelner Beiträge: Sonntag, N., J. Bellebaum & S. Garthe (2010): Nachhaltige Fischereiwirtschaft und Seevogelschutz. In: Sudfeldt, C., R. Dröschmeister, T. Langgemach & J. Wahl (Hrsg.): Vögel in Deutschland – 2010. DDA, BfN, LAG VSW, Münster. S. 18-19. Impressum ISBN 978-3-9811698-6-7 © Dachverband Deutscher Avifaunisten e.V., An den Speichern 4a, 48157 Münster „Vögel in Deutschland“ erscheint im Eigenverlag des D achverbandes Deutscher Avifaunisten e.V. Druck: Strube Druck & Medien OHG, Felsberg Titelfoto: Rotmilan, Mario Böni (www.naturphotograf.com) Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Gren- zen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung der Herausgeber unzulässig und strafbar. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. „Vögel in Deutschland – 2010“ steht allen Interessierten zum kostenlosen Download auf den Internetseiten des DDA (www.dda-web.de) und des BfN (www.bfn.de) zur Verfügung.
Editorial Liebe Leserin, lieber Leser, die Erhaltung der biologischen Vielfalt stellt eine der größten Herausforderun gen dar, vor denen die internationale Staatengemeinschaft derzeit steht. Das Jahr 2010 wurde von den Vereinten Nationen zum Internationalen Jahr der Biodiversität erklärt und markierte das Ende der Frist, die Anfang dieses Jahr tausends gesetzt worden war, um das „2010-Ziel“ zu erreichen: Der Verlust an biologischer Vielfalt sollte bis dahin möglichst aufgehalten oder zumindest deutlich verringert sein. Auf der 10. Vertragsstaatenkonferenz der Biodiversitäts-Konvention, die vom 18. bis 29. Oktober 2010 in Nagoya, Japan, stattfand, wurde festgestellt, dass das „2010-Ziel“ sowohl auf globaler und europäischer Ebene als auch in Deutschland verfehlt wurde – vielfach belegt, u. a. auch durch den Ende Prof. Dr. Beate Jessel 2010 von der Bundesregierung herausgegebenen Indikatorenbericht 2010 zur Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt. Der darin dargelegte, auf Vogel daten basierende Indikator „Artenvielfalt und Landschaftsqualität“ bestätigt, dass auch in Deutschland nach wie vor erheblicher Handlungsbedarf zum Schutz der biologischen Vielfalt besteht. Die Beteiligten der Nagoya-Konfe renz verständigten sich deshalb auf 20 neue messbare Ziele, deren Erreichung künftig konsequent verfolgt werden soll. Um der hohen Dringlichkeit gemein schaftlichen Handelns mehr Nachdruck zu verleihen, haben die Vereinten Nationen im Dezember 2010 zudem die kommenden zehn Jahre zur UN- Dekade der Biodiversität erklärt. Mit der aktuellen Ausgabe von Vögel in Deutschland wollen wir aufzeigen, welchen Beitrag Vogelschutz und Vogelmonitoring zur Erreichung der neu ausgerichteten Ziele liefern können: Vögel werden bereits jetzt als wichtige Dr. Torsten Langgemach biologische Indikatoren zur Bewertung von Erfolgen in der Naturschutzpolitik verwendet, damit dient das Vogelmonitoring der Erfassung und Darstellung von Veränderungen der biologischen Vielfalt. Um das Ziel erreichen zu kön nen, die Werte biologischer Vielfalt gesellschaftlich stärker zu verankern, soll zukünftig die erhebliche ökonomische Bedeutung von Vögeln für Landnut zung und Tourismus stärker in den Fokus gerückt werden. Das Naturbewusst sein soll gesteigert werden; es basiert sowohl auf einer positiven Grundhal tung, die den Eigenwert der Natur anerkennt, als auch auf fundiertem Wissen über die biologische Vielfalt. Eine umfassende Umfrage unter Schülerinnen und Schülern zur Vogelartenkenntnis zeigt, dass in diesem Bereich eklatante Mängel bestehen. Mit der aktuellen Ausgabe von Vögel in Deutschland wollen wir helfen, das Problembewusstsein und Verständnis für die Erhaltung der Vogelwelt und dar über hinaus der gesamten biologischen Vielfalt zu erhöhen. Hoffen wir, dass Bernd Hälterlein unsere Vorschläge und Diskussionsbeiträge den Verantwortlichen Mut ma chen, entscheidende Schritte zu gehen, damit wir 2020 das Fazit ziehen kön nen, aus den Fehlern und Versäumnissen bei der Umsetzung der 2010-Ziele „nachhaltig“ gelernt zu haben. Prof. Dr. Beate Jessel Dr. Torsten Langgemach Bernd Hälterlein Präsidentin des Bundes Geschäftsführer der Vorsitzender des Dach amtes für Naturschutz Länderarbeitsgemeinschaft verbandes Deutscher der Vogelschutzwarten Avifaunisten 3
Das Wichtigste in Kürze Auf der 10. Vertragsstaatenkonferenz der Konvention über die biologische Vielfalt im Herbst 2010 beklagte die Weltvölkergemeinschaft, dass das 2002 proklamierte 2010-Ziel, den Verlust an biologi- scher Vielfalt aufzuhalten oder zumindest zu reduzieren, deutlich verfehlt wurde. Vor diesem Hinter- grund haben die CBD-Vertragsparteien 20 neue Kernziele als Mission 2020 formuliert, die innerhalb der kommenden UN-Dekade der Biodiversität, erreicht sein sollen. Vögel in Deutschland 2010 befasst sich mit ausgewählten Zielen der Mission 2020 und stellt heraus, welchen Beitrag Vogelbeobachtung, -forschung und -schutz leisten, um der dringend gebotenen Erhaltung der Artenvielfalt mehr Nach- druck zu verleihen. Vögel stärken das Bewusstsein für die Natur Vögel sind die weltweit und in Deutschland am besten untersuchte Artengruppe, sie begeistern viele Menschen und sind zur Vermittlung von Naturschutzzielen hervorragend geeignet: Mehrere 100.000 Menschen erfreuen sich in Deutschland an der Vogelbeobachtung; allein mehr als 5.000 Ehrenamtliche beteiligen sich derzeit regelmäßig an zeitaufwändigen Vogelerfassungen, leisten jährlich über 200.000 Stunden Arbeit und erbringen eine Wertschöpfung von 5 bis 10 Mio. Euro. Vögel als Indikatoren – Werte der biologischen Vielfalt gesellschaftlich verankern Vögel zeigen den Zustand der biologischen Vielfalt an; vogelbasierte Indikatoren liefern deshalb wichtige Hinweise für die breite Öffentlichkeit und gesellschaftliche Entscheidungsträger: Der Indikator Artenvielfalt und Landschaftsqualität liegt bei 69 % des Zielwertes für das Jahr 2015 und damit weit vom Zielbereich entfernt. Die drei Teilindikatoren für Agrarland, Siedlungen und Küsten/Meere zeigten über die letzten zehn Jahre einen Trend weg vom Zielwert, nur der Teilindikator Wälder entwickelte sich in dieser Zeit hin zum Zielwert. Lebensraumverlust und -zerschneidung als bedeutender Gefährdungsfaktor Unzerschnittene terrestrische wie auch marine Lebensräume gehen durch Anlage von Infrastruktur und den Ausbau der Windenenergie verloren: Dies betrifft vor allem Vogelarten mit großen Raumansprüchen (z. B. Schreiadler, Großtrappe, Auerhuhn) oder störungsempfindliche Vogelarten. Allein durch die bis zum August 2008 genehmigten Offshore-Windparks würden 9 % eines 12.000 km2 großen Gebietes in der deutschen Nordsee gestört, in dem sich die hier rastenden Seetaucher konzentrieren. Nutzungen an der Erhaltung der biologischen Vielfalt ausrichten Nach wie vor werden negative Auswirkungen auf die Vogelartenvielfalt durch intensivierte, nicht nachhaltige Nutzungen festgestellt: Aktuell gehen große Beeinträchtigungen von der intensiven Fischereiwirtschaft auf hoher See wie auch in küstennahen Meeresgewässern aus, insbesondere durch den Beifang von Seevögeln und Verknappung des Nahrungsangebotes. Die sich rasant beschleunigende Intensivierung der Landwirtschaft durch den hoch sub ventionierten Anbau von nachwachsenden Rohstoffen zur Energiegewinnung verschärft die ohnehin ungünstige Bestandssituation bei Vogelarten der Agrarlandschaft erheblich. Schad- und Nährstoffe reduzieren Insbesondere Vögel der Agrarlandschaft sind trotz des Verbotes einiger Pestizide weiterhin stark beeinträchtigt: Durch den Einsatz von Insektiziden und Fungiziden vermindert sich – weil explizit im Sinne der landwirtschaft lichen Ertragsoptimierung „gewünscht“ – die Diversität scheinbar konkurrierender Pflanzen und Insekten. Den Brut- wie Rastvögeln dieser Lebensräume wird dadurch die Nahrungsgrundlage entzogen. 4
Schutzgebietsnetze sichern und Biotopverbund ausbauen Das Wirksamkeit des Netzes von Natura 2000-Gebieten (EU-Vogelschutzgebiete, FFH-Gebiete) ist zu verbessern, der Biotopverbund ist auszubauen: Für die EU-Vogelschutzgebiete sind Maßnahmenkonzepte und Managementpläne zu erstellen und umzusetzen. Nur 4,1 % der Landfläche Deutschlands sind streng geschützt, obwohl 15,4 % der terrestrischen Landfläche dem Natura 2000-Netzwerk angehören (EU-Vogelschutzgebiete: 11,2 %). Insbesondere für Vogelarten mit großen Raumansprüchen, wie Schreiadler und Rotmilan ist der Aufbau eines effektiven Verbundes ihrer Lebensräume zu forcieren. Erhaltungszustand von Vögeln verbessern Insbesondere bei vielen im Anhang I der Vogelschutzrichtlinie geführten sowie bei einigen ehemals häufigen Vogelarten intensiv genutzter Lebensräume – vor allem Arten der Agrarlandschaft – besteht dringender Handlungsbedarf: Bei den 64 dargestellten, häufigen Brutvögeln ist die Zahl langfristig deutlich rückläufiger Arten auf 15 ange stiegen, nur fünf Arten haben sich langfristig deutlich positiv entwickelt. Über die letzten fünf Jahre zeigte von 64 häufigen Arten keine einzige eine deutlich positive Entwicklung, die Bestände von Mauersegler, Star, Girlitz, Bluthänfling und Stieglitz gingen allein in diesem Zeitraum jedoch um über 20 % zurück. Lediglich bei einigen ehemals hochgradig bedrohten Vogelarten (Seeadler, Großtrappe, Kranich) zeigen sich aufgrund umfassender Artenhilfsprogramme und durch ein verbessertes Management von Schutzgebieten Erfolge ab. Vogelbeobachtung und Naturerlebnis als Wirtschaftsfaktor Die Freude an der Natur und insbesondere die faszinierende Wirkung von Vögeln spielen für den Tourismus eine große Rolle und tragen in erheblichem Maße zur Wertschöpfung bei: In den USA wurde im Jahr 2006 ein Gesamtumsatz von 82 Milliarden US $ in Verbindung mit der Vogelbeob achtung errechnet. Für den Tourismus in den deutschen Nationalparken sind Naturerlebnisse und Naturbeob achtung unverzichtbare und existenzsichernde Merkmale, hervorzuheben ist hier das von den Vereinten Nati onen als Weltnaturerbe ausgezeichnete Wattenmeer als Lebensraum für viele gefährdete Brut- und Rastvogel arten. Konsequente Umsetzung der NBS notwendig Mit der 2007 beschlossenen Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt (NBS) hat Deutschland die Voraussetzungen dafür geschaffen, den anhaltenden Verlust an Artenvielfalt zu stoppen: Mit dem 2011 aufgelegten Bundesprogramm Biologische Vielfalt wird die NBS jetzt durch ein neues Förder programm untersetzt. In den Fokus wurden auch sieben Vogelarten (u. a. Rotmilan) gerückt, für deren Schutz Deutschland eine hohe Verantwortung trägt. Wissen über Vogelarten und Artenvielfalt mangelhaft Das Interesse an der Natur und an Vögeln bei Kindern und Jugendlichen ist groß, die Artenkenntnisse sind jedoch stark verbesserungsbedürftig: In einer Studie an Schülerinnen und Schülern wurden durchschnittlich lediglich vier von zwölf häufigen Vogel arten richtig erkannt. Acht Prozent der Befragten erkannten keine einzige Vogelart. Schulen und Hochschulen sollten Artenkenntnis von Tieren und Pflanzen als Lehrinhalt deutlich aufwerten. 5
Die Vielfalt der Vogelarten Artenvielfalt und Ökosystem Die Anzahl der Arten eines Lebensraumes oder Gebietes wird als Artenvielfalt bezeichnet. Sie ist ebenso Teil der b iologischen Vielfalt (Biodiversität) wie die genetische Vielfalt und die Vielfalt der Ökosysteme. Die Konvention über die biologische Vielfalt (Convention on Biological Diversity, CBD) befasst sich mit allen drei Ebenen der biologischen Vielfalt. Warum müssen wir die Artenvielfalt vorteilhafter sind. Zur Beurteilung schützen? Sind artenreiche Ökosys der Stabilität unterscheidet man teme stabiler als artenarme? Über nach Persistenz (zeitliche Stabili nimmt jede Art in einem Ökosystem tät), Resistenz (Widerstandsfähig eine bestimmte Funktion und ist sie keit gegenüber Störungen) und deshalb unersetzlich? Oder können Resilienz (Fähigkeit eines Systems, diese Aufgaben in artenreicheren nach einer Störung selbstständig Biozönosen von unterschiedlichen in den Ausgangszustand zurück Arten übernommen werden und zukehren). Untersuchungen bele sind sie deshalb austauschbar? Wie gen, dass die zeitliche Stabilität mit beeinflusst die Artenvielfalt die höherer Artenzahl ansteigt. Funktionsfähigkeit von Lebensräu men? Wie hängen ökosystemare Natur und Landschaft sowie die Dienstleistungen für den Menschen biologische Vielfalt sind aber auch von der biologischen Vielfalt ab? um ihrer selbst willen zu schützen. Wie alle großen Religionen lehrt Trotz jahrzehntelanger Forschung das Christentum die Ehrfurcht vor lassen sich Fragen wie diese immer dem Leben, und viele indigene noch nicht abschließend beantwor Völker betrachten Tiere und Pflan ten, zu komplex ist das Faktorenge zen als spirituelle Wesen oder füge, zu vielgestaltig und mannig als essenzielle Bestandteile der faltig sind die gegenseitigen Wech Gesamtheit des Lebens. Dem Wil selwirkungen, als dass die Bedeu len und Bestreben, die biologische tung einer einzelnen Art darunter Vielfalt zu erhalten, liegen somit sichtbar werden würde. Neueste auch ethische Werte zugrunde, die Erkenntnisse weisen jedoch darauf die „richtige” Handlungsweise des hin, dass „stabile“ Ökosysteme für Menschen gegenüber der Natur das Wohlergehen der Menschheit bestimmen. Der ästhetische Wert 250 Anzahl Brutvogelarten 200 150 100 50 0 NI BY SH MV BB ST NW BW SN HE TH RP HH BE HB SL Übersicht über die Anzahl der aktuell sicher nachgewiesenen heimischen Brutvogelarten (2005–2009) in Feldsperlinge. Foto: M. Putze einzelnen Bundesländern. Quelle: ADEBAR (Atlas deutscher Brutvogelarten – vorläufiges Ergebnis, Stand November 2010). 6
der Natur hingegen ist es, der für der einheimischen den Tourismus, eines der größten Fauna an. Weitere 65 Wirtschaftsfelder weltweit, von Arten ziehen auf ihren „unschätzbarer” Bedeutung ist. Wanderungen zwi schen den Brut- und Verlust und Gefährdung Überwinterungsgebie Massives Artensterben, ausgelöst ten regelmäßig durch durch geologische oder atmosphä Deutschland oder risch-kosmische Ursachen, hat es verbleiben hier als immer wieder gegeben. Das letzte Wintergäste. 160 Arten von insgesamt fünf großen erdge wurden nach 1950 schichtlichen Aussterbeereignissen nur ausnahmsweise fand vor 65 Millionen Jahren statt. als „Irrgast“ festgestellt Der aktuelle, um ein Vielfaches und 40 weitere Arten beschleunigte Rückgang der biolo traten lediglich vor gischen Vielfalt ist jedoch maßgeb 1950 als Wildvogel lich auf das Handeln des Menschen auf. Darüber hinaus zurückzuführen und setzte verstärkt wurden in Deutsch nach Beginn der industriellen Revo land inzwischen mehr lution ein. als 300 Neozoen nachgewiesen, von Neueste Erhebungen gehen davon denen 20 regelmäßig aus, dass die derzeitige Aussterbe in Deutschland brüten. rate von 3 bis 130 Arten pro Tag Anzahl der Brutvogelarten je Topographischer Karte 1 : 25.000 (ca. 125 km2). Die Ergebnisse basieren auf vorläufigen Daten des Projektes ADE- um den Faktor 100 bis 1.000 Die Vogelartenvielfalt BAR (Atlas deutscher Brutvogelarten) und stellen den Sachstand vom über dem natürlichen Wert liegt. hängt erwartungs Januar 2011 dar. Nachmeldungen sind vor allem aus Baden-Württem- Weltweit sind mehr als ein Drittel gemäß stark von der berg und Bayern angekündigt. der untersuchten Tier- und Pflan naturräumlichen zenarten vom Aussterben bedroht. Ausstattung ab. Aktuelle Ergeb Insbesondere die Flussniederungen Diese erschreckende Bilanz zog nisse, die auf Kartierungen im der mittleren Elbe, der Oder und die Weltnaturschutzunion IUCN im Rahmen des bundesweiten Pro die gewässerreichen Regionen November 2009 anlässlich der Ver jektes ADEBAR (Atlas deutscher der Nordostdeutschen Tiefebene öffentlichung der aktuellen Roten Brutvogelarten) beruhen, zeigen zeichnen sich durch eine ver Liste. Jede vierte Säugetierart, ein eine Zunahme der Artenzahl gleichsweise reichhaltige Vogelar Drittel aller Amphibienarten und von SW- nach NO-Deutschland. tenvielfalt aus. jede achte Vogelart sind gefährdet. Hauptursachen des ungünstigen Erhaltungszustandes vieler Arten sind Lebensraumzerstörung, Übernutzung, illegaler Handel, das Einbringen gebietsfremder Tiere und Pflanzen sowie Umweltver schmutzung. Zunehmend wird auch der anthropogen verursachte Klimawandel als bedeutender Fak tor erkannt. Vogelartenvielfalt in Deutschland Seit 1800 wurden in Deutschland über 500 natürlich vorkommende Vogelarten nachgewiesen. Im Zeit Der Bestand des Grünfinks wird für Deutschland auf 1,7 bis 2,6 Millionen Paare geschätzt. Die Art steht raum von 1980 bis 2005 gehörten in der Rangfolge der häufigsten heimischen Brutvogelarten an 13. Stelle. Foto: M. Schäf 260 regelmäßige Brutvogelarten 7
Mission 2020 Das Übereinkommen über die biologische Vielfalt Das Übereinkommen über die Die Ausgangssituation war alles biologische Vielfalt (Convention on andere als ermutigend: Das 2002 Biological Diversity, CBD) wurde beschlossene globale 2010-Ziel, bei der Konferenz der Vereinten den weltweiten Verlust an biologi Nationen für Umwelt und Ent scher Vielfalt erheblich zu redu wicklung in Rio de Janeiro 1992 zieren, wurde deutlich verfehlt. verabschiedet. Deutschland ist seit Vor dieser ernüchternden Bilanz dem In-Kraft-Treten am 29. Dezem mussten neue Ziele für die Zeit ber 1993 Vertragspartei der CBD. nach 2010 gesetzt werden. Verab Entscheidungen werden bei den schiedet und im Strategischen Plan Vertragsstaatenkonferenzen getrof fixiert wurden letztendlich eine fen (Conference of the Parties, langfristige Vision (bis 2050), die COP), die alle zwei Jahre für zwei mittelfristige Mission 2020 sowie Wochen stattfinden. Die 10. Ver fünf strategische Ziele, die in insge tragsstaatenkonferenz der CBD samt 20 – teilweise quantifizierte – (CBD-COP10), die vom 18. bis Kernziele untergliedert sind. 29. Oktober 2010 in Nagoya/Japan Ein ehrgeiziger Plan zur Mobili abgehalten wurde, stellte den sierung der finanziellen Mittel, die Höhepunkt des Internationalen Jah- erforderlich sind, um den weltwei res der biologischen Vielfalt 2010 ten Biodiversitätsverlust bis 2020 dar: Über 18.000 Delegierte aus zu stoppen, soll die Umsetzung 193 Vertragsparteien (inklusive EU) begleiten. sowie Vertreter/innen von NGOs Insgesamt darf die Konferenz in verhandelten und/oder diskutierten Nagoya als Erfolg gewertet wer unter japanischem Vorsitz über den – vorbehaltlich einer konse Maßnahmen gegen die anhaltende quenten Umsetzung der im Strategi- Naturzerstörung. schen Plan festgelegten Aufgaben. Die Mission 2020 Die Mission 2020 umfasst „die Ergreifung wirksamer und dringender Maßnahmen zur Eindämmung des Verlusts an biologischer Vielfalt, um sicherzustellen, dass bis 2020 die Ökosysteme widerstandsfähig sind und weiterhin die wesentlichen Leistungen bereitstellen und auf diese Weise die Vielfalt des Lebens auf unserem Planeten sichern und zum menschlichen Wohlergehen und zur Beseitigung der Armut beitragen; um dies zu gewährleisten, werden die auf die biologische Vielfalt einwirkenden Belastungen verringert, die Ökosysteme wie- derhergestellt, die biologischen Ressourcen nachhaltig genutzt und die sich aus der Nutzung der genetischen Ressourcen ergebenden Vorteile ausgewogen und gerecht geteilt, angemessene finanzielle Ressourcen bereitgestellt, die Kapazitäten verstärkt, die Belange und Werte der biologischen Vielfalt durchgängig einbezogen, angemes- sene Strategien wirksam umgesetzt und die Entscheidungsfindung auf fundierte wissenschaftliche Erkenntnisse und den Vorsorgegrundsatz Die Stadt Nagoya in Japan gestützt.“* Foto: www.cbd.int * Übersetzung des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit vom Januar 2011. 8
Auf der 10. Vertragsstaatenkonferenz der CBD in Nagoya/Japan wurden im Rahmen der Mission 2020 fünf Strategische Ziele (Handlungsziele) mit 20 Kernzielen (Qualitätsziele als Beschreibung des Sollzustandes der Welt im Jahr 2020) verabschiedet.* Strategische Ziele Kernziele Seite 1. Die Menschen sind sich des Wertes der biologischen Vielfalt bewusst und biologischer Vielfalt 10 wissen, wie sie geschützt und nachhaltig genutzt wird. ansprechen und A. Gründe des Verlustes an 2. Der Wert der biologischen Vielfalt ist in nationale und lokale Strategien, Pläne angehen 12 und Prozesse integriert. 3. Die biologische Vielfalt schädigende Subventionen sind beseitigt, positive -- Anreize sind gesetzt. 4. Produktion und Konsum sind nachhaltig ausgestaltet. -- 5. Die Verlustrate natürlicher Lebensräume, einschließlich der Wälder, ist 14 mindestens halbiert. B. Negative Einflussfaktoren 6. Fischerei ist nachhaltig und hat keinen schädlichen Einfluss auf bedrohte reduzieren, nachhaltige 20 Tierarten und Ökosysteme. Nutzung fördern 7. Land- und Forstwirtschaft werden nachhaltig betrieben und berücksichtigen ViD den Schutz der biologischen Vielfalt. 2009* 8. Schad- und Nährstoffbelastung wurden auf ein Niveau reduziert, das 22 Ökosystemen und der biologischen Vielfalt nicht schadet. 9. Bestände invasiver Arten und die Ausbreitungswege sind erkannt und werden ViD kontrolliert oder beseitigt. 2009* 10. Bis 2015 sind anthropogene Einflüsse auf Korallenriffe und andere gefährdete -- Ökosysteme, die durch Klimawandel und Versauerung belastet sind, minimiert. 11. Mindestens 17 Prozent der globalen Landfläche und 10 Prozent der 24 C. Zustand von Vielfalt durch Meeresfläche sind unter Schutz gestellt und werden angemessen gemanagt. biologischer Schutzmaß verbessern nahmen 12. Das Aussterben bekanntermaßen gefährdeter Arten ist verhindert und ihr 26 Erhaltungszustand verbessert. 13. Die genetische Vielfalt von Kulturpflanzen und Zuchttieren sowie ihrer -- wilden Verwandten ist gesichert. 14. Ökosysteme, die essenzielle Dienstleistungen für Gesundheit und Wohlstand der biologischen 30 D. Vorteile aus erbringen, sind wiederhergestellt und gesichert. Vielfalt zum Wohle aller steigern 15. Die Resilienz von Ökosystemen ist verbessert; mindestens 15 % degradierter -- Ökosysteme sind wiederhergestellt. 16. Bis zum Jahr 2015 sind die Regeln zum Zugang zu genetischen Ressourcen -- und gerechtem Vorteilsausgleich in Kraft gesetzt. 17. Jeder Vertragsstaat hat bis 2015 eine Strategie und einen Aktionsplan zum Wissensmanagement und 34 partizipative Planungen, Förderung der Bildung Schutz der biologischen Vielfalt entwickelt und mit der Umsetzung begonnen. verbessern durch 18. Das für den Schutz und die nachhaltige Nutzung vorhandene traditionelle E. Umsetzung Wissen, Innovationen und Praktiken indigener und lokaler Gemeinschaften -- werden respektiert. 19. Das Wissen um den Zustand, den Wert und die Folgen des Verlustes der 36 biologischen Vielfalt wird verbessert, geteilt und angewendet. 20. Die finanziellen Mittel, die nötig sind, um den Strategischen Plan 2011-2020 -- umzusetzen, werden effektiv aufgestockt. * Der volle Wortlaut der offiziellen Übersetzung der hier verkürzt wiedergegebenen 20 Kernziele ist den folgenden Kapiteln vorangestellt. In Vögel in Deutschland 2010 werden ausschließlich Kernziele mit unmittelbarer Relevanz für den Vogelschutz behandelt. Die Inhalte der CBD- Ziele 7 und 9 wurden bereits ausführlich in Vögel in Deutschland 2009 behandelt. 9
Gründe des Verlustes an biologischer Vielfalt ansprechen und angehen Bewusstsein für die biologische CBD-Ziel 1 Vielfalt stärken Bis spätestens 2020 sind sich die Menschen des Wertes der biologi Eine umfassende Bewusstseins Wissen und Einstellung zur biolo schen Vielfalt und der Schritte bildung über die mit dem Verlust gischen Vielfalt sind mangelhaft bewusst, die sie zu ihrer Erhaltung an Arten und Lebensräumen Im Indikatorenbericht 2010 zur und nachhaltigen Nutzung unter verbundenen Risiken und die Nationalen Strategie zur biologi- nehmen können. persönlichen sowie wirtschaftli schen Vielfalt (NBS) wird festge chen Vorteile intakter Ökosysteme stellt, dass im Jahr 2009 nur 22 % ist eine wichtige Voraussetzung der erwachsenen Bevölkerung ein dafür, den Schutz der biologischen mindestens ausreichendes Wissen Vielfalt zum festen Bestandteil sowie eine positive Einstellung zur gesellschaftlichen Handelns zu biologischen Vielfalt hatten. Ziel der machen. NBS ist es, dass bis zum Jahr 2015 für mindestens 75 % der Bevölke Die Vermittlung ökologischer rung die Erhaltung der biologischen Zusammenhänge soll das Verant Vielfalt zu den prioritären gesell wortungsgefühl der Menschen schaftlichen Aufgaben zählt. stärken, so dass die Erhaltung der biologischen Vielfalt durch das Vögel beobachten – mehr als eigene Handeln unterstützt wird ein faszinierendes Hobby! und Zustimmung und Mitwirkung Vögel erregen das Interesse in der Gesellschaft wachsen. vieler Menschen. Sie wecken WVZ: gezählte Gebiete Januar MhB (neu): vergebene Probeflächen MhB (alt): Punkt-Stopp-Routen und Revierkartierungen 2000 1500 Anzahl 1000 500 0 1990 1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 Eine stetig wachsende Zahl an Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern beteiligt sich am Vogelmonitoring in Deutschland (hier dargestellt: Monitoring häufiger Brutvögel – MhB; Wasservogelzählung – WVZ). Durch die Mitarbeit erhalten sie einen tiefen Einblick in die heimische Vogelwelt und die Lebensräume der einzelnen Arten. Langfristiges Engagement ermöglicht zudem die bewusste Wahrnehmung sowohl von Bestandsveränderungen einzelner Arten als auch des zugrunde liegenden Landschaftswandels. Auf der Grundlage dieser eigenen Erfahrungen fungieren sie als Multiplikatoren, die wichtige Themen zur biologischen Vielfalt in den unmittelbaren Bekanntenkreis und in die Öffentlichkeit tragen. Foto: C. Moning 10
Heimische Tiere und Pflanzen waren und sind Wie kann Ziel 1 erreicht beliebte Briefmarken- werden? Motive. „Prinzesschen“, Deutschlands bekannteste Störchin, zierte 2004 eine ➠➠ Leichter Zugang zur Vogel Briefmarke der Deutschen beobachtung durch Aktio Post und war zugleich nen, die Spaß machen: Das Hauptdarstellerin einer ZDF-Dokumentation, die vielen Menschen einen bundesweite „Birdrace“ faszinierenden Einblick in die großartigen Leistungen der Zugvögel und die des DDA, die „Stunde Karte: Geospace/Worldsat Bedeutung internationaler Schutzbemühungen eröffnete. der Gartenvögel“ und die Begeisterung aufgrund ihrer Viel und ganz allgemein der Artenviel „Stunde der Wintervögel“ gestaltigkeit, ihrer Farbenpracht, falt rasch anzeigen. von NABU und LBV bieten ihres Gesanges und des auffälligen Keine andere Artengruppe zieht ideale Voraussetzungen für Vogelzuges, lassen sich zu jeder mehr Menschen in ihren Bann: die Kontaktaufnahme zu Jahreszeit gut beobachten und sind In Deutschland beteiligen sich Interessierten und führen – trotz ihrer großen Mobilität – ver derzeit rund 5.000 Personen am Artenvielfalt durch eigene gleichsweise einfach zu erfassen. Vogelmonitoring, seit Beginn der Beobachtungen direkt vor Programme in den 1960er Jahren Augen Vögel sind die am besten unter waren es insgesamt über 10.000. suchte Artengruppe und zur Alljährlich verbringen sie über ➠➠ Ausbau hochwertiger und Vermittlung von Naturschutzzielen 200.000 Stunden mit dem syste informativer Angebote im und der Umsetzung von Maßnah matischen Zählen und Erfassen von Internet: Mit dem Inter men sehr gut geeignet – auch weil Vögeln. Die Zahl Interessierter, die netportal ornitho.de, dem sie sensibel auf Umweltverände auf dem morgendlichen Spazier deutschen Internetportal für rungen reagieren und positive wie gang oder am winterlichen Futter avifaunistisch und vogel negative Entwicklungen in Natur häuschen Vögel beobachten, wird kundlich Engagierte, wird und Landschaft, in Ökosystemen auf ein Vielfaches geschätzt. ab 2011 ein attraktives Angebot zur Verfügung stehen ➠➠ Öffentlichkeitswirksame Vermittlung von Informa tionen über die heimische Vogelwelt und deren Ver änderungen: Ausgewählte Vogelarten stehen als Indi katoren stellvertretend für den Erhaltungszustand der biologischen Vielfalt ➠➠ Aufbau von Allianzen für gemeinsame Kommunika tions- und Bildungsange bote bezüglich biologischer Vielfalt und deren Beob achtung: Angesprochen sind Verbände, Behörden, Über das Onlineportal www.ornitho.de können ab dem Frühjahr 2011 Vogelbeobachtungen komfortabel ein- Unternehmen, Bildungs gegeben und verwaltet werden. Das Portal soll sich zu einer wichtigen Datenquelle des Vogelmonitorings in einrichtungen, Schulen und Deutschland entwickeln. Bei ornitho.ch in der Schweiz steigt die Zahl der Mitarbeiter/innen seit dem Start Universitäten kontinuierlich an; mittlerweile haben sich über 6.000 Personen angemeldet. 2010 sind etwa eine Dreiviertel- Million Einzelmeldungen eingegangen. 11
Gründe des Verlustes an biologischer Vielfalt ansprechen und angehen Werte der biologischen Vielfalt CBD-Ziel 2 in allen Bereichen verankern Bis spätestens 2020 ist der Wert der biologischen Vielfalt in den nati In Deutschland ist der Schutz der zur NBS ist ernüchternd: Bei allen onalen und lokalen Entwicklungs- natürlichen Lebensgrundlagen wesentlichen Einflussfaktoren wie und Armutsbekämpfungsstrategien als Staatsziel in die Verfassung Nährstoffeintrag und Flächenver und Planungsprozessen berücksich aufgenommen worden. Über den brauch ebenso wie bei Zustands tigt worden und wird soweit ange Zustand der biologischen Vielfalt größen zur Gewässerqualität, messen in die volkswirtschaftliche werden Entscheidungsträger/innen zum Zustand der Auen und dem Gesamtrechnung und die Berichts aller Ebenen von Politik und Ver Erhaltungszustand von FFH-Arten systeme einbezogen. waltung mit Hilfe von Indikatoren und FFH-Lebensraumtypen liegen informiert, die in komprimierter die Indikatorwerte weit oder sehr Weise Entwicklungen in Natur und weit vom Zielbereich entfernt. Landschaft bilanzieren. Vögel zeigen den Zustand der Mit der Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt an biologischen Vielfalt (NBS) hat die Die Bestandssituation der heimi Bundesregierung im Jahr 2007 schen Brutvogelarten wird in der eine wesentliche Grundlage für NBS für zwei Indikatoren herange die Verankerung der biologischen zogen: Der Indikator „Artenvielfalt Vielfalt in einer Vielzahl von und Landschaftsqualität“ basiert gesellschaftlichen Bereichen gelegt auf den Bestandsgrößen von 59 und in etwa 330 Qualitäts- und Vogelarten und der Indikator Handlungszielen konkretisiert. Die „Gefährdete Arten“ auf der Gefähr Umsetzung der NBS verlangt nach dungssituation heimischer Wirbel einer verlässlichen und transpa tiere. Ebenso wie auf Bundesebene renten Erfolgskontrolle. Diese wird in vielen Bundesländern mit geschieht mit Hilfe von 19 Indika vogelbasierten Indikatoren gear toren, die sich an den Zielen der beitet, um die Nachhaltigkeit der NBS orientieren und regelmäßig Landnutzung und die Auswirkun aktualisiert werden. Die aktuelle gen der Agrarumweltförderung Bilanz im Indikatorenbericht 2010 darzustellen. Index 140 120 +1 % 100 80 – 11 % 60 40 – 49 % alle häufigen Arten (137 Arten) Arten der Wälder (30 Arten) 20 Arten der Agrarlandschaft (36 Arten) EBCC/RSPB/BirdLife/Statistics Netherlands 0 1980 1985 1990 1995 2000 2005 Im „Bericht zur Bewertung der biologischen Vielfalt Europas 2010“ der Europäischen Umweltagentur wird die Populationsentwicklung häufiger Brutvögel Europas als Index dargestellt. Dieser gehört zu den Alpenstrandläufer. Foto: C. Moning Schlüsselindikatoren einer nachhaltigen Entwicklung in Europa. 12
Der Indikator „Artenvielfalt und Zielwerterreichung in % Landschaftsqualität“ 120 Der Indikator „Artenvielfalt und Zielwert Landschaftsqualität“ wird in 100 Deutschland für die Erfolgskon trolle der Nationalen Nachhaltig- 80 69 % keitsstrategie und der Nationalen 60 Strategie zur Biologischen Vielfalt verwendet. 40 Der bundesweite Indikator liefert 20 eine Maßzahl über die bundeswei BfN (2010) 0 ten Bestandsgrößen ausgewählter 1970 1975 1990 1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014 2015 repräsentativer Vogelarten in sechs Hauptlebensraum- und Landschafts typen, die in Beziehung zum Ziel Kein statistisch signifikanter Der aktuelle Wert liegt noch Trend feststellbar. weit vom Zielwert entfernt. wert für das Jahr 2015 gesetzt wird. Die Größe der Bestände zeigt die Die 6 Hauptlebensraumtypen fließen mit folgenden Anteilen in den Gesamtindikator ein: Agrarland 50 % Siedlungen 11 % Küsten/Meere 3% Eignung der Landschaft als Lebens Wälder 27 % Binnengewässer 6% Alpen 3% raum für die ausgewählten Vogelar ten an. Da neben diesen Vogelarten auch Pflanzen- und andere Tierarten Wie kann Ziel 2 erreicht werden? an eine reichhaltig gegliederte Landschaft mit intakten, nachhaltig ➠➠ Weiterentwicklung der vogelbezogenen Indikatoren genutzten Lebensräumen gebunden ➠➠ Differenzierende Studien zur genaueren Analyse von Ursachen- sind, bildet der Indikator indirekt Wirkungs-Beziehungen auch die Entwicklung zahlreicher weiterer Arten in der Landschaft ➠➠ Entwicklung eines bundesweiten Klimawandel-Indikators nach und die Nachhaltigkeit der Landnut europäischem Vorbild und Aufnahme in nationale Indikatoren zung ab. Bisher wurde auf posi systeme tive Entwicklungen des Indikators jedoch vergeblich gewartet: Der ➠➠ Berücksichtigung der Indikatoraussagen bei der politischen Ent Indikatorwert stagnierte in den letz scheidungsfindung in allen relevanten Bereichen der Gesellschaft ten zehn Jahren und liegt weit vom Zielwert entfernt – ein eindeutiger ➠➠ Ausbau der bestehenden Planungs- und Berichtsinstrumente, um Beleg dafür, dass das 2010-Ziel in ein breites öffentliches Bewusstsein für die Belange der biologi Deutschland nicht erreicht wurde. schen Vielfalt zu schaffen Alpenstrandläufer, Knutt und Austernfischer. Foto: C. Moning 13
Negative Einflussfaktoren reduzieren, nachhaltige Nutzung fördern Verlust und Zerschneidung CBD-Ziel 5 von Lebensräumen Bis 2020 ist die Verlustrate aller natürlichen Lebensräume ein Meeresnaturschutz im Konflikt mit Nutzungen schließlich Wäldern mindestens um die Hälfte und, soweit möglich, Die biologische Vielfalt europäi sich die Seevögel nicht gleich auf nahe Null reduziert und die scher Meeresregionen ist in ihrer mäßig auf der Meeresoberfläche, Verschlechterung und Fragmentie Existenz bedroht: Versauerung, sondern sie suchen je nach Art rung erheblich verringert. Nähr- und Schadstoffeinträge, unterschiedliche Regionen auf. Abfallentsorgung, Rohstoffgewin Einige dieser Arten erreichen in nung, Überfischung und Beifang, räumlich abgrenzbaren Bereichen Tourismus und der Klimawandel international bedeutende Rastbe führen zunehmend zu Konflikten. stände von mindestens 1 % der In deutschen Meeresgewässern biogeografischen Population, d. h. gehen für Tiere und Pflanzen dass sich von 100 Individuen der bedeutende Lebensräume zudem betroffenen Art mindestens eines durch Verkehrswege und Offshore- dort aufhält. Energieerzeugung verloren. Auf der Grundlage von „Seabirds Während der Zugzeiten und der at Sea“ (SAS)-Zählungen wurde Überwinterung beherbergen zwar eine Reihe von EU-Vogel die deutsche Nord- bzw. Ostsee schutzgebieten als europäisches regelmäßig 28 bzw. 35 See- und Naturerbe Natura 2000 ausgewie Wasservogelarten. Dabei verteilen sen, doch schließt die EU nicht Ñ Ñ Ñ Ñ Ñ Ñ Ñ Ñ Ñ Ñ Ñ Ñ Ñ Ñ Ñ Ñ Ñ Ñ Ñ Ñ Ñ Ñ Ñ Ñ Ñ Ñ Ñ Ñ Ñ Ñ Ñ Ñ #Ñ S Ñ Ñ Ñ Ñ Ñ Ñ Ñ # S Ñ Ñ Ñ Ñ Ñ Ñ Ñ Ñ Ñ Ñ Ñ Ñ Ñ Ñ Ñ Ñ Ñ Ñ Ñ Ñ Ñ S # # S Ñ Ñ S Ñ # Ñ S # # S # S # S Ñ Ñ Ñ # Ñ Ñ Ñ Ñ S # S # S S # # S Ñ Ñ Ñ S # # S Ñ Ñ Ñ Ñ # S Ñ Ñ Ñ Ñ Ñ Ñ Ñ S # # S # S # S # S Ñ Ñ Ñ # S S Ñ Ñ Ñ Ñ # S # # #S S S # S #S #S #S #Ñ S # #S# S#S S Ñ # Ñ Ñ Ñ #S #S#Ñ S Ñ ##S S# Ñ Ñ Ñ #S Ñ # S Ñ Ñ Ñ Ñ S S # #S S#S # Ñ Ñ Ñ Ñ Ñ Ñ Ñ # S S#S# #S S##S S#S# #SÑ #S Ñ Ñ Ñ Ñ Ñ Ñ # Ñ Ñ Ñ Ñ S Ñ S Ñ Ñ # # Ñ S Ñ Ñ Seetaucher (Gavia spp.) # #S #S #S #S #S Ñ #S #S #S S S #S# Ñ Ñ Ñ Ñ Ñ Ñ Ñ # S Ñ Ñ Ñ Ñ Ñ Ñ Ñ Ñ Ñ # S #S #S #S Ñ Ñ Ñ Ñ # S Ñ Ñ Ñ S # S # #S S # S S # # #S S #S #S # #S #S Ñ # Ñ Ñ #Ñ Ñ ÑS S S #S #S S ##S S#Ñ S# #S#S S##S #S#S #SÑ Ñ #S Ñ Ñ Ñ Ñ # S # Abundanz (Ind./km2) S #S # # S #S# S Ñ # # S Ñ # S Ñ Ñ Ñ Ñ Ñ Ñ Ñ #S #S Ñ S # #S S # #S Ñ S 0 S#S# S#Ñ S#S # S## # S S Ñ Ñ # S Ñ #S #S Ñ Ñ Ñ Ñ Ñ Ñ Ñ Ñ #S #S # Ñ # # #S Ñ S S #Ñ S Ñ Ñ S #Ñ S # Ñ #S S S # #S #S S # #S Ñ Ñ Ñ Ñ # S S >0 -1 # S # # S S # Ñ S S # # # S # Ñ Ñ Ñ Ñ Ñ Ñ Ñ Ñ Ñ # S # S Ñ # # S S #Ñ S S S # # S # #S S##S S#Ñ S#Ñ S # S # S Ñ # # S S S # # S # Ñ Ñ Ñ Ñ Ñ Ñ S Ñ S > 1 - 2,5 Ñ Ñ Ñ Ñ Ñ Ñ # Ñ Ñ Ñ Ñ Ñ Ñ Ñ #S # SS #S # #S #S #S # S # S Ñ Ñ Ñ Ñ Ñ Ñ Ñ Ñ Ñ Ñ Ñ Ñ Ñ #S #S S # # S S S # # S # S # Ñ #S Ñ #S S S #Ñ S#Ñ S#Ñ S#S# #S#S #S #S S##S ##S #SÑ #SÑ #S#S Ñ Ñ Ñ Ñ Ñ Ñ > 2,5 - 5 Ñ Ñ Ñ Ñ Ñ Ñ # S #S #S #S Ñ Ñ Ñ # Ñ S # S Ñ Ñ Ñ # S Ñ Ñ Ñ # Ñ Ñ Ñ Ñ Ñ Ñ Ñ Ñ Ñ Ñ Ñ S #S #S #S # S S Ñ # >5 S S# #S #S Ñ Ñ #S #S Ñ #S Ñ Ñ Ñ Ñ Ñ Ñ Ñ Ñ Ñ Ñ # S # S Ñ # # ÑS # Ñ Ñ Ñ Ñ Ñ Ñ Ñ Ñ S # Ñ Ñ #S # Ñ Ñ # S #S Ñ # S Ñ Ñ Ñ Ñ # S #S Ñ Ñ S # S # # S S Ñ # S Ñ # S # S # S # S Ñ Ñ S # # S S Ñ # S #S #S Ñ # S S # Quelle: Seabirds-at-Sea-Datenbank Ñ Ñ Ñ Ñ Ñ Ñ # S Ñ S # Ñ Ñ #S Ñ Ñ Ñ Ñ #S #S #S S S # S # # S # S Ñ # S Ñ # S # S # S # S S Ñ # FTZ Westküste # S # Ñ # S S # # S # S # S Ñ # S S # # S # #S Ñ #S Ñ Ñ Ñ Ñ Ñ #S #S #S Ñ #S Ñ #S #S #S #S Ñ #S Ñ Ñ Ñ Ñ Ñ Ñ Ñ S # S # S S # S Ñ # S Ñ S # # Ñ Ñ #S Ñ Ñ Ñ S # Ñ S # # S # S # S # S # S # S Ñ S # Ñ Ñ Windparks Ñ Ñ Ñ S# Ñ #S # S Ñ #S Ñ Ñ # S S Ñ # # S S # S # Ñ Ñ # S # S # S Ñ # S # S # S Ñ Ñ Ñ Ñ Ñ S# Ñ #S S # # S Ñ # S S S # # # # S S S # Ñ # S Ñ # S # S # S Ñ # S # S # S # S # S # S genehmigt # S Ñ Ñ Ñ Ñ S # S # Ñ Ñ # S #S # S S Ñ Ñ Ñ Ñ # # S # S # S Ñ Ñ Ñ Ñ Ñ # S # S # S Ñ Ñ Ñ #S ## S S #S Ñ Ñ #S Ñ # S # #S S S # # S S # S Ñ # # S # S # S # S Ñ Ñ Ñ geplant S Ñ Ñ # Ñ # S # # S S # S Ñ #S # S # # S S S Ñ Ñ Ñ Ñ Ñ # # S S # # S # S # S # S S # Ñ Ñ Ñ Ñ Ñ #S S # # S Ñ #S Ñ #S # S # S S Ñ # # S Ñ S # S # # im Bau S S # # S # S Ñ Ñ # S S # Ñ Ñ #S## S #S#S#S S # S # S Ñ # # S #S # S # S Ñ Ñ #S S # # S S # # S Ñ # S # S Ñ# S S # # # S Ñ Ñ Quelle: BSH, Stand Aug. 2009 Ñ Ñ #S Ñ #S Ñ # Ñ S # S #S # Ñ Ñ # S S S # # #S S #S S # # S # S S S # # S Ñ # S # S # S S # # S # S S # # S S S # # S # S # S # S # # S # #S S S # S # S # # S # S S # S # Ñ Ñ Ñ Ñ Ñ Ñ EU-Vogelschutzgebiet (nur AWZ) # S # S S Ñ S # # # S S # # S S # S # S # # S # S # S # S S # #S S # Ñ Ñ S # Ñ # S S # Ñ Verkehrstrennungsgebiet S Ñ # # S Ñ Ñ # S # S S # # S S S S # S # # # S S # # # # S S Ñ Ñ Ñ Ñ Ñ S # Ñ S Ñ Ñ #Ñ S Ñ Ñ Ñ Ñ Ñ S # # S # S # S Ñ Ñ Ñ Vorranggebiete für Schifffahrt S Ñ Ñ # Ñ Ñ Ñ Ñ Ñ Ñ Ñ Quelle: BSH 50 25 0 50 km Verbreitung der Seetaucher im Frühjahr in der Deutschen Bucht. Die Karte fasst Daten aus dem Zeitraum 1.3.–15.5. der Jahre 2002 bis 2008 zusammen (Datengrundlage: FTZ). Zusätzlich sind Offshore-Windpark- Eiderenten. Foto: M. Putze planungen sowie Verkehrstrennungsgebiete und Vorranggebiete für die Schifffahrt (Quelle: Raumordnungs- plan für die deutsche AWZ – Ausschließliche Wirtschaftszone; BSH 2009) dargestellt. 14
aus, dass Rohstoffe wie Sand, Kies, Öl und Gas künftig auch in Natura 2000-Gebieten abgebaut werden dürfen. Offshore-Energieerzeugung und Schiffsverkehr Seetaucher und Meeresenten zäh len zu den störungsempfindlichsten Seevogelarten. Sie weichen dem Schiffsverkehr schon auf große Entfernungen aus, weswegen viel befahrene Verkehrswege – ebenso wie Offshore-Windparks – weiträu mig gemieden werden. Seetaucher konzentrieren sich in der deutschen Nordsee auf ein Hauptverbreitungsgebiet von ca. 12.000 km2. Allein durch die bis zum August 2008 genehmigten Offshore-Windparks würden 9 % dieses Gebietes, in dem etwa 7 % des deutschlandweiten Frühjahrs 4.000 Prachttaucher rasten im Frühjahr in Deutschland, fast ausschließlich in küstenfernen Gewässern von bestandes zeitgleich vorkommen, Nord- und Ostsee. Foto: H.-J. Fünfstück als ungestörtes Rast- und Nah rungshabitat verloren gehen. Hinzu kommt die Nutzung vor allem Wie kann Ziel 5 im Lebensraum Meer erreicht werden? der küstennahen Meeresgewässer durch den Schiffsverkehr, dessen ➠➠ Zügige Umsetzung der Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie der EU Bewertung hinsichtlich des Lebens zur Erreichung des „guten Umweltzustands“ raumverlustes jedoch schwieriger ist, da das Störungsausmaß von der ➠➠ Vorrang des Naturschutzes in den ausgewiesenen Meeresschutz Intensität des Verkehrs abhängt. gebieten vor anthropogenen Nutzungen Bereiche mit intensivem Schiffs ➠➠ Festlegung von arten-, lebensraum- und ökosystembezogenen verkehr auf den Hauptseewegen Zielwerten zur Erfolgskontrolle nördlich der Ostfriesischen Inseln und in den Mündungsbereichen ➠➠ Erarbeitung und Umsetzung eines Monitorings als wissenschaft von Elbe, Weser und Jade werden liche Grundlage für die Bewertung des Umweltzustands von Seetauchern gemieden. Vogelarten der deutschen Nord- und Ostsee mit den höchsten Anteilen an der jeweiligen biogeographischen Population Nordsee Ostsee Vogelart Jahreszeit Anteil (%) Vogelart Jahreszeit Anteil (%) Eiderente Herbst 23,7 Eiderente Winter 25,0 Heringsmöwe Sommer 19,9 Bergente Winter 21,3 Brandseeschwalbe Sommer 12,5 Trauerente Winter 14,4 Trauerente Winter 8,4 Zwergmöwe Herbst 13,0 Sterntaucher Frühjahr 5,5 Eisente Winter 6,8 15
Negative Einflussfaktoren reduzieren, nachhaltige Nutzung fördern Verlust und Zerschneidung terrestrischer Lebensräume Knapp 7 % der Fläche Deutsch Wachtelkönig, und optische Reize lands werden als Siedlungsfläche führen zu Flucht und Meidung. genutzt, weitere 5 % als Verkehrs Einige Vogelarten schaffen es zwar, fläche. Täglich wurde im Jahr 2009 sich vergleichsweise schnell an die eine Fläche in der Größe von 131 Beeinträchtigungen zu gewöhnen, Fußballfeldern neu für Siedlung doch kann dies wiederum Direkt und Verkehr erschlossen. Der verluste begünstigen. Als indirekte Flächenverbrauch nahm damit Einflüsse der Lebensraumzer zwar seit 2000 von 129 ha/Tag auf schneidung können auch geän 94 ha/Tag ab, befindet sich aber derte Konkurrenzverhältnisse oder weiterhin auf einem sehr hohen Räuber-Beute-Beziehungen auftre Niveau und ist vom Zielwert der ten. Davon profitieren in der Regel Nationalen Strategie zur biologi- die „Allerweltsarten“, während die schen Vielfalt von 30 ha/Tag im Spezialisten weiter zurückgedrängt Jahr 2020 noch sehr weit entfernt. werden. 230.000 km Straßen, von der Kreis Mehr als alle anderen sind Tier straße bis zur Bundesautobahn, arten, die große Reviere besetzen und 370.000 km Freileitungen oder wandern, auf störungsarme durchziehen Deutschland wie ein und naturnahe Landschaften engmaschiges Netz und führen angewiesen. Unter den Brutvögeln durch Barrierewirkungen zu einer gilt das für Arten wie Seeadler und Zerschneidung von Lebensräumen. Schwarzstorch sowie für Birk- und Unzerschnittene, verkehrsarme Auerhuhn. In vielen Regionen Räume mit einer Mindestgröße von Deutschlands meiden Rastvögel 100 km2 werden immer seltener wie Gänse und Kraniche die Nähe – allein zwischen 2000 und 2005 zu Siedlungen und Verkehrswegen. ging ihr Anteil an der Landfläche Deutschlands von 26,5 % auf 25,4 % zurück. Bedeutung unzerschnittener Räume für Vögel Die anlage- und betriebsbedingten Auswirkungen der Infrastruktur können in erheblichem Maße zur Erhöhung der Sterblichkeitsrate vieler Vogelarten beitragen. Direkt verluste in mindestens siebenstel liger Größenordnung entstehen durch Freileitungen (Kollision und Stromschlag), Verkehrswege und Windkraftanlagen. Letztere sind in Brandenburg für 35 % der Rot milan-Verluste verantwortlich. Landwirtschaft: 52 % Wald: 30 % Gebäude, Freiflächen: 7 % Straßen- oder Industrielärm stören Verkehrsfläche: 5 % Sonstiges: 6 % die Kommunikation bei Singvö geln und anderen rufaktiven Arten Flächennutzung in Deutschland 2009. (Quelle: wie Rebhuhn, Rohrdommel oder Statistisches Bundesamt 2010; Werte gerundet). Foto: J. Wahl 16
Zwei Fallbeispiele 500 Bundesstraßen Als Charakterarten unzerschnitte Stromleitungen ner und unverbauter Lebensräume 400 gelten die Großtrappe und der Schreiadler. Eine Habitatanalyse Dichte [m/km²] in Brandenburg zeigt, dass Schrei 300 adler zu anthropogenen Strukturen wie Verkehrswegen, Freileitungen und Siedlungen in der Regel große 200 Abstände halten. Die systematische Erschließung vormals abgelege 100 ner und ungestörter Gebiete hat sich daher zunehmend zu einem Gefährdungsfaktor entwickelt und 0 Brutreviere entwertet. Geradezu 0 500 1000 1500 2000 2500 3000 BB D symbolisch sind ein Verlust auf Entfernung zum Horst [m] einer neuerbauten Autobahn und erste Kollisionen mit Windkraftan Dichte an Stromleitungen und Bundesstraßen (m/km2) mit zunehmendem Abstand von Schreiadlerrevieren sowie in Brandenburg und Deutschland insgesamt (n = 27). lagen. Bei der Großtrappe entzog vor und Vergrößerung der Siedlungs Habitatresten dar und können allem die grundlegende Umwand fläche. In der Konsequenz wurde Direktverluste verursachen. In lung und immer weitere Intensi der Lebensraum der Großtrappe den 1980er Jahren ist der Zusam vierung der landwirtschaftlichen immer stärker fragmentiert. Struk menhang zwischen der Errichtung Nutzung den Vögeln die Lebens turen wie Energiefreileitungen und von Energiefreileitungen und dem grundlagen. Daneben spielte aber zunehmend auch Windkraftanlagen Verwaisen von Großtrappenvor auch direkter Lebensraumverlust stellen zudem Hindernisse auf den kommen mehrfach belegt worden. eine Rolle, z. B. durch Straßenbau Flugwegen zwischen den isolierten Eine aktuelle Untersuchung zeigt, Keine Stromleitungen, keine Straßen und weite Sicht, so wünschen sich Großtrappen ihren Lebensraum. In Deutschland ist davon wenig übrig geblieben. Foto: H. Glader 17
Negative Einflussfaktoren reduzieren, nachhaltige Nutzung fördern Berlin Fiener Bruch Landkreise Brandenburgs Havelländisches Luch Untersuchungsgebiet Belziger Landschaftswiesen Selbst im dünnbesiedelten Brandenburg ist kaum derartiger Maßnahmen nachgewie noch Platz für Großtrappen: Die Beobachtungen von sen wird, werden Querungshilfen Großtrappen (Punkte) konzentrieren sich auf die letz- für Tiere wie beispielsweise Tier ten größeren unzerschnittenen Landschaftsräume durchlässe oder Grünbrücken vor Großtrappensichtungen (eingefärbte Fläche: aus Landschafts- und Infrastruk- Flächenverlust kumulativ turelementen abgeleitete Meidungsbereiche). gesehen. Darüber hinaus erarbeiten das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit und das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwick lung ein Bundesprogramm „Wie- dervernetzung“. Die Analyse von Großtrappen-Lebensräumen zeigt, dass sich diese Bemühungen nicht Windkraftanlagen nur auf Säugetiere sowie Amphibien Freileitungen und Reptilien beschränken dürfen, Konfliktbereich sondern auch Vogelarten einschlie Brutgebiet und Wintereinstand ßen müssen. Wanderkorridor Winterreinstand, geleg. Brut Wie kann Ziel 5 in terrestrischen Lebensräumen erreicht werden? SPA-Gebiete: Fiener Bruch ➠➠ Konsequente Umsetzung Havelländisches Luch der Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt und Belziger Landschaftswiesen des Bundesnaturschutzge Flächenverlust kumulativ setzes zur Reduzierung der Lebensraumzerschneidung Kollisionsgefahr auf den Flugwegen von Großtrappen durch Energie-Freileitungen (nachweisliches Risiko) und Windkraftanlagen (potenzielles Risiko). und Ausweitung und ökologi schen Aufwertung des Biotop verbundes dass selbst in einem vergleichsweise Für den Schutz der biologischen dünn besiedelten Flächenland wie Vielfalt ist es besonders wichtig, ➠➠ Erhaltung großer unzerschnit Brandenburg mit einem hohen dass Lebensraumnetzwerke nicht tener und von technischen Anteil von Agrarflächen und im weiter zerschnitten werden. Beim Anlagen unberührter Land Bundesmaßstab überdurchschnitt Neu- und Ausbau von Bundesver schaftsräume lichen Schlaggrößen nur noch ein kehrswegen ist die Berücksichtigung ➠➠ Entwicklung von Natura 2000 sehr eingeschränktes Potenzial von einer ausreichenden ökologischen als kohärentes und wirksames hinreichend großen und unzer Durchlässigkeit bereits gängige Schutzgebietssystem schnittenen Flächen vorhanden ist. Praxis. Soweit die Erforderlichkeit 18
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