Masterplan 2020 NABU-Aktionsplan für die biologische Vielfalt in Deutschland - Gregor Louisoder Umweltstiftung
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Impressum © 2012, NABU-Bundesverband Naturschutzbund Deutschland (NABU) e.V. www.NABU.de Charitéstraße 3 10117 Berlin Tel. 030.28 49 84-0 Fax 030.28 49 84-20 00 NABU@NABU.de Redaktion: Kristian Klöckner, Moritz Klose, Jörg-Andreas Krüger, Bernd Pieper Gestaltung: Christine Kuchem (www.ck-grafik-design.de) Druck: Druckhaus Berlin-Mitte GmbH, Berlin, zertifiziert nach EMAS; gedruckt auf 100 % Recyc- lingpapier, ausgezeichnet mit dem Umweltzeichen „Der Blaue Engel”. 1. Auflage 06/2012 Bezug: Die Broschüre erhalten Sie beim NABU Natur Shop, Gutenbergstr. 12, 30966 Hemmingen, Tel. 05 11.89 81 38-0, Fax 05 11.89 81 38-60, Info@NABU-Natur-Shop.de oder unter www.NABU.de/shop. Die Schutzgebühr von 2,50 Euro pro Exemplar zzgl. Versandkosten wird Ihnen in Rechnung gestellt. Art.-Nr. 5233 Bildnachweis: Titelseite v. l. n. r.: Blickwinkel/I. Weber, NABU/F. Schöne, NABU/K. Karkow, Pixelio/www.JenaFoto24. de; S. 3: Blickwinkel/S. Ott; S. 4: NABU; S. 5: Fotolia/Volker Z.; S. 6 v. l. n. r.: NABU/M. Kaatz, NABU/K. Karkow, Pixelio/Christiane; S. 8 v. l. n. r.: Arco/P. Schickert, Arco/R. Dirscherl, Arco/NPL/J. Aldred, Arco/L. Weyers, unten: Marine Photobank/NASA; S. 9: Arco/NPL/T. Laman; S. 10 oben v. l. n. r.: Arco/M. Pfefferle, Arco/NPL/S. Kazlowski, Arco/NPL/D. Noton, unten: Waldhäusl/K. Bisztyga; S. 11 v. l. n. r.: M. Hapke, NABU/B. Königs; S. 12 v. l. n. r.: Pixelio/Klicker, Photocase/SirName, Digitalstock/M. Jakobi; S. 13 v. l. n. r.: NABU/M. Premke-Kraus, L. Khil; S. 14 v. l. n. r.: Arco/T. Aichinger, Fotolia/Eisenhans, Arco/NPL/M. Payne-Gill; S. 15 oben: Ch. Kuchem, unten: NABU/I. Ludwichowski; S. 16 oben v. l. n. r.: R. Oppermann, Ch. Kuchem, Pixelio/R. van Melis, Fotocent/O. v. Lieres, unten: L. Khil; S. 17: NABU/H. May; S. 18 v. l. n. r.: Pixelio/R. Sturm, NABU/F. Hennek, Pixelio/A. Bieber; S. 19 oben: NABU/S. Scho- bel, unten: R. Oppermann; S. 20 v. l. n. r.: Pixelio/Harald KU, NABU, F. Derer; S. 21 v. o. n. u.: NABU/T. Kirschey, INL Bühl, Pixelio/T. Siepmann; S. 22 v. l. n. r.: NABU/H. May, NABU/D. Frings; S. 23 v. o. n. u.: Pixelio/J. Lohmann, Wildbiologisches Büro Lupus, Fotolia/Kaarsten; S. 24 v. l. n. r.: Fotocent/E. Utz, Marine Photobank/D. Peake, R. Hahn; S. 25: Fotocent/O. v. Lieres; S. 26 v. l. n. r.: NABU/Felten, Arco/NPL/P. Clement; S. 27 v. o. n. u.: Lausitz-Bild.de, W. Rolfes; S. 28 v. l. n. r.: Fotocent/M. Kelich- haus, Fotocent/R. W. Froelich; S. 29 v. o. n. u.: Arco/C. Braun, Arco/H. Reinhard, Fotolia/W. Jargstorff; S. 30 v. l. n. r.: Blickwinkel/I. Weber, NABU/F. Schöne, NABU/H. May, Waldhäusl/K. Bisztyga, unten: NABU/R. Jürgens; S. 31: Fotolia/auremar; S. 32: Pixelio/D. Schütz; S. 33 links: Arco/W. Doliwa, rechts unten: Pixelio/S. Hofschläger, oben: NABU/M. Schmitz; S. 34 v. l. n. r.: Blickwinkel/E. Teister, Pixelio/A. Wolter; S. 35: Pixelio/T. Caspary; S. 36 links: Blickwinkel/R. König, rechts: Blickwinkel/H. Pieper; S. 37: NABU/K. Karkow; S. 38 v. l. n. r.: BLE/Th. Stephan, Ch. Kuchem, NABU/F. Hennek; S. 39: NABU/M. Klose; S. 40 v. l. n. r.: NABU, NABU/H. May, Siemens; S. 41: Bosch&Partner; S. 42: W. Rolfes; S. 43 links: NABU/H. May, rechts oben: W. Rolfes, unten: M. Delpho; S. 44 v. l. n. r.: NABU, Blickwinkel/J. Fieber, Arco/NPL/S. Dalton; S. 45 oben: NABU/J. Noack, unten: Blickwinkel/A. Laule; S. 46: NABU/D. Cimiotti; S. 47: Pixelio/U. Kunze; S. 48: Ch. Kuchem; S. 49 oben: NABU, unten: Arco/Imagebroker/G. K. Smith/FLPA; S. 50: M. Delpho; S. 51: Rotholl/G. Rotheneder; S. 52 v. l. n. r.: M. Delpho, Waldhäusl/ Imagebroker/Ch. GUY, NABU/S. Müller; S. 53 oben: NABU, unten: NABU/St. Zibolsky; S. 54 oben: NABU/H. May, unten: Pixelio/F. Frühling; S. 55: A. Schüring; S. 56 v. l. n. r.: NABU/S. Szcepanski, NABU/Ch. Falk, NABU/S. Szcepanski; S. 57: NABU/H. May; S. 58: Zoonar/tbkmedia; S. 59 oben: F. Hecker, unten: S. Gust; S. 60 oben: S. Koschinsky/Fjord and Belt Kerteminde DK, unten: Fotolia/wman; S. 61 oben: Marine Photobank/K. Reaugh, unten: NABU/M. Povel; S. 62 v. l. n. r.: Arco/P. Weimann, Arco/H. Je-gen; S. 63 v. o. n. u.: Pixelio/M. Granel, Arco/NPL/A. Gandolfi, Waldhäusl/Imagebroker/M. Riedo, Arco/NPL/S. Knell; Rückseite: W. Schön gefördert durch Die Erstellung und Veröffentlichung dieser Broschüre wurde ermöglicht durch die Gregor Louisoder Umweltstiftung Gregor Louisoder Umweltstiftung, München. umweltstiftung.com Gemeinsam für die Natur: Machen Sie mit! Werden Sie NABU-Mitglied, spenden Sie für unsere Naturschutzprojekte. www.NABU.de
Vorwort ........ ...................................................................................................... 4 1 Einleitung ....................................................................................................... 6 2 Globale Herausforderungen.......................................................................... 8 2.1 Klimawandel . ........................................................................................ 10 2.2 Wachsende Weltbevölkerung ................................................................. 12 2.3 Endliche Rohstoffe ersetzen . ................................................................. 13 2.4 Nachhaltiges Wirtschaften für die Zukunft.............................................. 14 3 Gefahren für die biologische Vielfalt in Deutschland . ............................... 16 3.1 Landwirtschaft........................................................................................ 18 3.2 Forstwirtschaft........................................................................................ 20 3.3 Landschaftsverbrauch und Landschaftszerschneidung ........................ 22 3.4 Raubbau in den Meeren ........................................................................ 24 3.5 Schutzgebiete, die nicht schützen......................................................... 26 3.6 Vollzugs- und Umsetzungsdefizite......................................................... 28 4 Wege in die Zukunft – aktiv für mehr biologische Vielfalt......................... 30 4.1 Schutzgebiete – vom Refugium zum Netzwerk ..................................... 34 4.2 Nachhaltige Landnutzung sicherstellen . ............................................... 38 4.3 Energiewende natur- und klimaverträglich gestalten ............................. 40 4.4 Den Reichtum in der Landschaft erhalten.............................................. 42 4.5 Arten schützen ...................................................................................... 44 4.6 Umweltbildung – Der Erosion des Naturwissens entgegentreten .......... 48 4.7 Lebendige Wälder für Mensch und Natur . ............................................ 50 4.8 Lebendige Gewässer ............................................................................ 52 4.9 Moore – Klimaschutz natürlich .............................................................. 54 4.10 Stadtnatur – ein wichtiger Rückzugsraum ............................................ 56 4.11 Meere & Küsten – Verantwortung für Nord- und Ostsee . ..................... 58 4.12 Hochgebirge – Extremlebensraum Alpen sichern ................................. 62 Literatur........ .................................................................................................... 64 Glossar . ....... .................................................................................................... 66
Masterplan 2020 Vorwort Das Jahr 2010 war von den Vereinten Nationen zum In- Rund um den Globus wächst die Erkenntnis, dass wir ternationalen Jahr der biologischen Vielfalt ausgerufen uns ein Scheitern beim Erhalt der biologischen Vielfalt worden. Bis dahin sollte, so war es von den Staats- und nicht leisten können. Und so haben die Vereinten Natio- Regierungschefs beschlossen worden, der dramatische nen von 2011 bis 2020 die internationale UN-Dekade der Verlust an biologischer Vielfalt weltweit gebremst, in der biologischen Vielfalt ausgerufen. Die Mitgliedsstaaten Europäischen Union sogar vollends gestoppt werden. der Europäischen Union haben sich bis 2020 abermals ehrgeizige Ziele gesetzt. So soll nicht nur der Verlust an Beide Zielsetzungen wurden klar verfehlt. Dies lässt sich biologischer Vielfalt, sondern auch die Verschlechterung nicht nur an den langen Listen gefährdeter Tier- und von Ökosystemdienstleistungen in der EU aufgehalten Pflanzenarten ablesen, sondern immer deutlicher auch werden. Dort, wo biologische Vielfalt und Ökosysteme bei jedem Spaziergang erleben. Wer in unseren Land- bereits beeinträchtig sind, müssen sie weitgehend wieder schaften unterwegs ist, erkennt einen rasanten Wandel. hergestellt werden. Wo früher Wiesen und Weiden das Auge erfreuten und vielen Arten Lebensraum boten, stehen heute monotone Den Schutz der biologischen Vielfalt gibt es nicht zum Maisäcker. Hecken, Baumgruppen, Wegraine und all‘ die Nulltarif. Die Wirtschaft muss in die Pflicht genommen anderen vermeintlich kleinen, aber wichtigen Farbtupfer und Politiker müssen zum Abbau von umweltschädli- in unserer Heimat verschwinden. Eine immer intensive- chen Subventionen gezwungen werden. Auch wir Ver- re Nutzung lässt auch die einstige Vielfalt unserer Wäl- braucher müssen uns unbequeme Fragen stellen – und der, Flussauen und Küsten massiv verarmen. die richtigen Antworten finden. Denn wo Ökosysteme 4
Masterplan 2020 ihre Funktionen nicht mehr erfüllen können, schwindet Der NABU macht seinen Masterplan 2020 zum Prüf- auch der Lebens- und Wirtschaftsraum für den Men- stein für Politik und Wirtschaft. Wir fordern entschlos- schen, unsere Lebensqualität wird beeinträchtigt. Dies senes und glaubwürdiges Handeln, damit unsere na- gilt für Deutschland ebenso wie im globalen Maßstab. türlichen Lebensgrundlagen für künftige Generationen gesichert werden. Dabei setzen wir auf Ihre Unterstüt- Der NABU engagiert sich seit mehr als 110 Jahren für zung! den Schutz von Mensch und Natur. Mit dem Masterplan 2020 stellen wir die wichtigsten Handlungsfelder für den Erhalt der biologischen Vielfalt in Deutschland vor. In jedem dieser Handlungsfelder setzen wir uns eigene Zie- le, um mit beispielhaftem ehrenamtlichem Engagement unseren Beitrag zum Erhalt der biologischen Vielfalt zu leisten. Olaf Tschimpke NABU-Präsident 5
Masterplan 2020 Einleitung Die biologische Vielfalt oder „Biodiversität“ umfasst neben der Artenvielfalt die genetische Vielfalt sowie die Vielfalt von Ökosystemen und Prozessen. Sie ist Lebens- 1 jedoch einen alarmierenden Zustand der biologischen Vielfalt (BfN 2007a, BMU 2007, Riecken et al. 2006, Se- cretary of the Convention on Biological Diversity 2010). und Wirtschaftsgrundlage für den Menschen. Funktio- Weltweit zählen intensive Landnutzung, die Zerstörung nierende Ökosysteme mit ihren vielfältigen Ökosystem- von natürlichen Lebensräumen, Ressourcenausbeutung, dienstleistungen sowie der Vielfalt und Schönheit von Umweltverschmutzung und fortschreitender Klimawan- Natur und Landschaften sind wesentliche Grundlage für del zu den Gefährdungsursachen. eine hohe Lebensqualität. Zu den wirtschaftlich bislang kaum berücksichtigten „kostenlosen“ Dienstleistungen Dies gilt auch für Deutschland. Im europäischen Ver- der Natur zählen z. B. die Bereitstellung von sauberem gleich liegen die Anteile der gefährdeten heimischen Trinkwasser, intakten Böden, gesunden Nahrungsmit- Lebensräume (72,5 Prozent), Farn- und Blütenpflanzen teln, erneuerbaren Energien wie Wind und Sonne sowie (26,8 Prozent) sowie Tierarten (36 Prozent) bei uns so- von nachwachsenden Rohstoffen. Ebenso wichtig sind gar außergewöhnlich hoch (SRU 2008). die klimaregulierenden Funktionen und der Erholungs- wert von Naturräumen. Der Erhalt der biologischen Vielfalt kann angesichts der vielfältigen Gefährdungsursachen nur dann gelingen, Nur ein funktionsfähiger Naturhaushalt gewährleistet wenn wirkungsvolle Maßnahmen umgesetzt werden. eine ausreichende Anpassungsfähigkeit an den sich Das von den EU-Mitgliedstaaten 2001 beschlossene Ziel vollziehenden Klima- und Nutzungswandel, trägt zum zum Stopp des Artenverlusts bis 2010 wurde vor allem Schutz vor Naturkatastrophen bei, stellt biogene Res- deshalb verfehlt, weil dieser einfachen Erkenntnis nicht sourcen bereit und sichert somit die Lebensgrundla- gefolgt wurde (EU 2010b). So wurden existierende Na- gen künftiger Generationen. Zahlreiche Studien zeigen turschutzinstrumente nicht genutzt, der Aufbau und das 6
Masterplan 2020 381 32 273 11 47 Verantwortlich für die Gefährdung vieler Arten ist die Zerstörung von geeigneten Lebensräumen. 92 41 Beispielhaft dafür ist die Entwicklung der Dauergrünlandflächen der Bundesländer im Zeitraum von 2005 bis 2008 dargestellt. NABU & DVL 2009 2017 Säugetiere Brutvögel Lurche Kriechtiere Gefährdung (Gesamtartenzahl: 75) (Gesamtartenzahl: 234) (Gesamtartenzahl: 19) (Gesamtartenzahl: 13) 8 24 5 ausgestorben 9 14 30 4 vom Aussterben bedroht 4 21 11 2 stark gefährdet 2 3 16 gefährdet 11 potenziell gefährdet 1 2 nicht gefährdet BfN 2009 32 129 10 3 Management des europäischen Schutzgebietsnetzes Na- schon lange bestehende gesetzliche Verpflichtung der tura 2000 nicht ausreichend finanziert und gleichzeitig EU-Mitgliedsstaaten, alle wildlebenden Vogelarten so- umweltschädliche Subventionen, z. B. im Agrar- und Fi- wie bestimmte andere Arten und Lebensräume in einen schereisektor, weiter gezahlt. günstigen Erhaltungszustand zu bringen, in den näch- sten Jahren in der Vordergrund rücken. Es bedarf eines Mit der neuen EU-Biodiversitätsstrategie wurden erste umfassenden Engagements vieler unterschiedlicher Ak- Voraussetzungen dafür geschaffen, den Verlust der biolo- teure, um die biologische Vielfalt angesichts der großen gischen Vielfalt bis zum Jahr 2020 nicht nur zu stoppen, Herausforderungen und vielen Gefährdungsfaktoren zu sondern auch die Wiederherstellung von Populationen erhalten. und Ökosystemen einzuleiten (EU 2011a). In Deutsch- land lässt sich die Trendwende zur Erhaltung der Biodi- Der NABU-Masterplan 2020 stellt die wichtigsten Hand- versität nur dann erreichen, wenn die „Nationale Strate- lungsbereiche beim Schutz der biologischen Vielfalt zu- gie zur biologischen Vielfalt“ aus dem Jahr 2007 (BMU sammen. Wenn die hier geforderten Maßnahmen umge- 2007) konsequent umgesetzt wird. Diese Strategie wur- setzt werden, kann das EU-Naturschutzziel – den Verlust de von der Bundesregierung beschlossen und umfasst der biologischen Vielfalt zu stoppen – bis zum Jahr 2020 insgesamt rund 330 Qualitäts- und Handlungsziele aus erreicht werden. Der NABU fordert aber nicht nur mehr allen biodiversitätsrelevanten Themenfeldern, die bis zu Engagement von anderen, sondern möchte auch eigene den Jahren 2015, 2020 und 2050 erreicht werden sollen. Aktivitäten im Naturschutz auf die prioritären Natur- schutzfelder fokussieren und insgesamt deutlich erhö- Direkte Sanktionsmechanismen für die Nichterfüllung hen. Damit leistet der NABU einen messbaren Beitrag, der Ziele bestehen allerdings weder auf der Ebene der das gemeinsame Ziel zu erreichen. EU noch in Deutschland. Gleichzeitig dürfte aber die 7
Masterplan 2020 Globale Herausforderungen Die letzten Jahrzehnte waren weltweit geprägt Spätestens seit der Verabschiedung der UN-Kon- von grundlegenden Veränderungen der Ökosy- ventionen zum Schutz des Klimas und zum Erhalt steme. Die Zahl bedrohter und aussterbender der biologischen Vielfalt 1992 in Rio de Janeiro Tier- und Pflanzenarten nahm weiterhin zu, vor steht fest: Alle Länder und alle Regionen der Erde allem verursacht durch Störung, Zerschneidung müssen zum Schutz des Klimas und der biologi- und Vernichtung ihrer Lebensräume. Tropische schen Vielfalt beitragen. Mit der Globalisierung Regenwälder gingen in großem Umfang verloren, steigt die Warennachfrage und so auch der Druck Wüsten breiteten sich aus. Intakte Feuchtgebiete auf Natur und Umwelt. Durch die komplexen Roh- und Moore gingen stark zurück, viele Kulturland- stoff- und Warenströme sind die Umweltauswir- schaften werden immer intensiver genutzt. Land- kungen von Produkten längst nicht mehr auf den und Forstwirtschaft, Fischerei und Rohstoffabbau Ort begrenzt, an dem sie produziert oder genutzt haben an Intensität zugenommen. Die Gefahr irre- werden. Umweltprobleme, die in Industrieländern versibler Umweltschäden mit dramatischen Aus- als gelöst galten, tauchen auf Grund dieser Neu- wirkungen auf den Menschen ist dadurch – trotz ordnung an anderen Orten dieser Welt wieder und einer Vielzahl politischer Beschlüsse und Strategi- zum Teil in erheblich größerem Ausmaß auf. Wenn en – weiter gestiegen (Secretary of the Convention den nachfolgend skizzierten Herausforderungen on Biological Diversity 2010). nicht weltweit entschlossen begegnet wird, kann auch das Engagement für den Erhalt der biologi- schen Vielfalt in Deutschland und Europa nicht dauerhaft erfolgreich sein. 9
Masterplan 2020 2.1 Klimawandel Der Mensch greift grundlegend in das Klima der Erde Im Laufe des 20. Jahrhunderts ist die globale Durch- ein, indem er durch die Nutzung fossiler Energieträger, schnittstemperatur um 0,7 °C gestiegen, was zu einem durch die Landnutzung und durch Industrieprozesse Anstieg des Meeresspiegels um etwa 17 Zentimeter ge- Treibhausgase wie Kohlendioxid, Lachgas oder Methan führt hat. Eine weitere Folge ist der Rückgang der Glet- freisetzt. Der dadurch verstärkte Treibhauseffekt führt scher, der Schneeflächen und des Meereises. Die Mo- zu einer globalen Erwärmung – doch damit ist der Kli- dellrechnungen für das 21. Jahrhundert lassen eine be- mawandel noch nicht ausreichend beschrieben. Denn er schleunigte Fortsetzung dieses Trends erwarten – je nach bedeutet auch, dass Temperaturzonen sich in Richtung Szenario mit einer zusätzlichen Erwärmung von knapp 2 der Pole und in größere Höhen verschieben, dass die bis weit über 4 °C gegenüber dem vorindustriellen Zeit- Niederschläge sich in ihrer Menge und in ihrer Vertei- alter (IPCC 2007). Klimawissenschaftler können mitt- lung ändern und letztlich, dass sich die Lebensbedingun- lerweile zeigen, dass verheerende Naturkatastrophen wie gen für Mensch und Natur grundlegend wandeln. die Waldbrände in Russland, Überschwemmungen in Südostasien oder auch die Stärke der Hurricans im Golf von Mexiko mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit bereits auf die Erderwärmung zurückzuführen sind. Die meisten Experten gehen davon aus, dass menschli- che Aktivitäten das Klimasystem der Erde über kritische Grenzen hinweg belasten werden und somit wichtige Abläufe im Gesamtgefüge „kippen“, welche von da an grundsätzlich anders ablaufen. Werden solche Grenzen, wie z. B. das Auftauen der arktischen Permafrostböden oder des Grönlandeisschildes, überschritten, tritt eine drastische und sich selbst verstärkende Beschleunigung des Klimawandels ein, die sich über Jahrhunderte hin- weg nicht mehr stoppen lässt. 10
Masterplan 2020 Bereits die bisherige Temperaturerhöhung hat direkten Der Schutz des Klimas, vor allem durch die Reduzierung Einfluss auf die Ökosysteme: Da Arten und Ökosyste- der Treibhausgasemissionen, ist zwar weltweit in den me unterschiedlich schnell auf die Klimaveränderungen Fokus der politischen Diskussionen gerückt – bislang reagieren, kommen die Wechselbeziehungen zwischen allerdings ohne die notwendigen Konsequenzen. Treib- ihnen unter Druck. So werden bei zahlreichen Tier- und hausgase entstehen im Wesentlichen dort, wo fossile Pflanzenarten Veränderungen ihres Wander- und Zug- Energieträger (Öl, Kohle, Gas, Torf) zur Energiegewin- verhaltens oder ihrer Physiologie (z. B. zeitigeres Schlüp- nung eingesetzt werden. Energieerzeugung, Industrie, fen von Insekten, früherer Austrieb der Obstbaumblü- Hausbrand und der Verkehrssektor zählen daher zu den ten) festgestellt (LUBW 2007, Møller et al. 2004). Durch größten Verursachern von Treibhausgasen. solche zeitlichen Verschiebungen – sogenannte Desyn- chronisationen – werden Lebensgemeinschaften und Aber auch die Intensivierung der Landwirtschaft und die Nahrungskreisläufe getrennt. Kühle Lebensräume in damit einhergehenden Landnutzungsänderungen üben Gewässern, Mooren, Feuchtgebieten und Gebirgen sowie nicht nur zusätzlichen Druck auf Ökosysteme und bio- die daran gebundenen Arten drohen sogar zu verschwin- logische Vielfalt aus, sondern heizen den Klimawandel den. Viele Ökosysteme sind zudem bereits durch intensi- weiter an. So bewirkt die erhöhte Nachfrage nach Soja ve Nutzung beeinträchtigt, so dass die in ihnen lebenden und Palmöl in den Industrieländern eine massive Aus- Tier- und Pflanzenarten zusätzlichen Veränderungen weitung der Anbauflächen auf der Südhalbkugel. Die ihrer Lebensbedingungen kaum standhalten können. Bewohner der Industrieländer sind durch ihr Konsum- In Deutschland sind ca. 30 Prozent der bundesweit vor- verhalten somit nicht nur direkt verantwortlich für die kommenden Arten bis zum Ende des Jahrhunderts vom Zerstörung von natürlichen Lebensräumen in anderen Aussterben bedroht, wenn sich die Erwärmung unge- Teilen der Welt, sondern auch auf diesem Wege für die bremst fortsetzt (Leuschner & Schipka 2004). Verstärkung des Klimawandels. Wissenschaftler und Politiker sind sich einig, dass ein Temperaturanstieg von mehr als 2 °C gegenüber dem vorindustriellen Niveau zu nicht vertretbaren Risiken führt. Doch selbst die optimistischsten Szenarien lassen diese Grenze kaum noch realistisch erscheinen. 11
Masterplan 2020 2.2 Wachsende Weltbevölkerung 2011 erreichte die Weltbevölkerung die Sieben-Milliar- In den Industrieländern Europas und in Nordamerika den-Marke. 2020 werden nach UN-Prognosen fast acht ist der ressourcenbedingte Flächenverbrauch pro Kopf Milliarden Menschen die Erde bevölkern, für die Mitte besonders hoch. Würden alle Menschen weltweit so vie- dieses Jahrhunderts werden über 9,5 Milliarden Men- le natürliche Ressourcen verbrauchen wie die Menschen schen prognostiziert. Wachsen wird dabei vor allem die in Deutschland, würden dafür 2,6 Erden benötigt. Bei Bevölkerungsstärke in den wenig entwickelten bzw. den einem Ressourcenverbrauch wie in den USA würde der am wenigsten entwickelten Ländern der Erde (UN 2011). Bedarf auf vier Erden ansteigen (WWF 2012). In vielen Der Bedarf an Lebensmitteln, Trinkwasser, Rohstoffen, heutigen Schwellenländern streben die Menschen einen und Energie wird sich ebenfalls erhöhen. Der Druck auf ähnlichen Wohlstand wie in Deutschland bzw. den USA landwirtschaftlich nutzbare Flächen, auf Wälder und an. Mit dem weltweit wachsenden Ressourcenverbrauch Meere wird weltweit weiter ansteigen. geht folglich ein überall steigender Flächenbedarf einher. Dadurch erhöht sich die Zahl an Erden, die theoretisch benötigt wird, um diesen Bedarf zu befriedigen. Für den Erhalt der biologischen Vielfalt ist die Reduzierung des Ressourcenverbrauchs pro Einwohner zwingend erfor- derlich, da er die Kapazität unseres Planeten in zuneh- mendem Maße übersteigt. 1,5 Anzahl an Erden 1,0 0,5 0,0 1960 1965 1979 1975 1980 1985 1990 1995 2000 2005 Quelle: Global Footprint Network 2010 12
Masterplan 2020 2.3 Endliche Rohstoffe ersetzen Der weltweit zunehmende Ressourcenverbrauch, der aus die Ausweisung von geeigneten Flächen für die Winden- der wachsenden Weltbevölkerung sowie dem steigenden ergienutzung, neue Trassen für Stromnetze und Infra- Pro-Kopf-Verbrauch resultiert, führt zu einer ungebro- strukturen wie Wasserkraftwerke oder Pumpspeicher. chenen Entnahme von Rohstoffen. So wurden allein in Aber auch bei Biomasse bestehen viele Nutzungs- und Deutschland im Jahr 2006 rund 1.283 Millionen Tonnen Flächenkonkurrenzen, die zu einer Intensivierung in der nicht erneuerbare Rohstoffe verbraucht (Statistisches Land- und Forstwirtschaft führen. Ein naturverträgli- Bundesamt 2011). Nicht nur für die Energieerzeugung, ches Landnutzungskonzept muss von massiven Anstren- sondern auch für Produkte aller Art müssen Wirtschaft gungen zur Effizienzsteigerung und zur Eindämmung und Gesellschaft auf erneuerbare, nachwachsende Roh- von Stromverschwendung flankiert werden. Energieein- stoffe setzen. Derzeit ist die Entwicklung gegenläufig: Im- sparungen in großem Umfang sind bei der Reduzierung mer neue Rohstofflagerstätten werden ausgebeutet. Ne- des Wärme- und Kältebedarfs sowie beim Kraftstoffver- ben den katastrophalen Folgen für die Natur sind Men- brauch möglich. Neben der energetischen Modernisie- schenrechtsverletzungen die Regel (Misereor et al. 2010). rung des Gebäudebestands sind auch energieeffiziente, flächensparende Siedlungsstrukturen notwendig. Für die Produktion von Lebensmitteln, für den Anbau von Energiepflanzen oder von Pflanzen zur stofflichen Durch die global wachsende Nachfrage nach Lebensmit- Nutzung (z. B. in der Papier- oder Baustoffindustrie) teln und die zunehmende Produktion von nachwach- werden bei einer steigenden Weltbevölkerung derzeit senden Rohstoffen steigen auch die Erzeugerpreise für immer mehr landwirtschaftliche Flächen benötigt. Ne- Agrarprodukte (Mitchell 2008, OECD&FAO 2008). Da- ben Nahrungsmitteln dominieren so auch in Deutsch- her ist mit einem verstärkten Wettbewerb um Flächen land Raps für die Biodieselgewinnung, Mais für die Bio- für die Produktion von Bioenergie, etablierten Biomasse- gaserzeugung oder Zuckerrüben und Getreide für die produkten wie Holz sowie Nahrungs- und Futtermitteln Herstellung von Bioethanol. In der Folge werden struk- zu rechnen. Gerade in Entwicklungsländern verschärft turreiche, vielfältige Kulturlandschaften zunehmend sich die Ernährungssituation der Bevölkerung, die auf- durch monotone, intensiv genutzte Flächen ersetzt. So grund der zunehmenden Nutzungskonkurrenz gezwun- ist in Deutschland der Maisanbau zur Verwertung in gen ist, die verbliebenen natürlichen Lebensräume land- Biogasanlagen zwischen 2005 und 2011 von 70.000 auf wirtschaftlich zu nutzen. über 900.000 Hektar angestiegen – vielfach zu Lasten von artenreichen oder feuchten Grünlandstandorten Ohne eine drastische Reduzierung des viel zu hohen (Kreins 2011, NABU 2011). Verbrauchs an Materialien und Energie, eine funktio- nierende Kreislaufwirtschaft und massiv gesteigerte Der Ausbau von erneuerbaren Energien und der Ersatz Ressourceneffizienz ist eine Substitution durch nach- fossiler durch nachwachsende Rohstoffe dürfen nicht auf wachsende Rohstoffe und erneuerbare Energien nicht Kosten der biologischen Vielfalt geschehen. Das betrifft zu realisieren. 13
Masterplan 2020 2.4 Nachhaltiges Wirtschaften für die Zukunft Angesichts der Vielzahl globaler Herausforderungen be- Wir müssen auch dort Verantwortung für die Natur darf es einschneidender Veränderungen im Denken, Pla- übernehmen, wo sie keinem direkten Nutzungs- oder nen und Wirtschaften, um die biologische Vielfalt lang- Verwertungsinteresse dient. Neben einem verbindlichen fristig zu sichern. Mit der Agenda 21 wurde der Nachhal- Rechtsrahmen, mit dem besonders schädliche Aktivitä- tigkeitsansatz bereits 1992 auf dem Weltgipfel in Rio de ten untersagt werden, kommt wirtschaftlichen Mecha- Janeiro von der Staatengemeinschaft anerkannt. Nach- nismen eine besondere Bedeutung zu (Jackson 2011). haltig ist eine Entwicklung, die Umweltgesichtspunkte Produktion und Konsum können und müssen auf nach- gleichberechtigt mit sozialen und wirtschaftlichen Ge- haltige Entwicklung ausgerichtet werden. Die derzeit do- sichtspunkten berücksichtigt und auch für zukünftige minierenden Produktions- und Konsummuster, die auf Generationen ein intaktes ökologisches, soziales und einer Verschwendung natürlicher Ressourcen aufbauen, ökonomisches Gefüge erhält. Zugleich muss nachhaltige müssen sich verändern. Entwicklung Generationengerechtigkeit herstellen, also die gleichen Chancen und natürlichen Ressourcen auch Die immer komplexeren und internationaleren Wert- für nachfolgende und an anderer Stelle lebende Genera- schöpfungsketten erfordern besondere Anstrengungen, tionen garantieren. Nachhaltigkeitsprinzipien entlang der gesamten Pro- duktion bis zum Ende des Lebensweges eines Produktes Die Ausbeutung der natürlichen Ressourcen, der hohe zu etablieren und kontrollieren. Dazu muss die Trans- Rohstoffverbrauch pro Kopf in den Industrieländern parenz des gesamten Produktionsprozesses sichergestellt sowie globale Ungleichgewichte bei der Verteilung und werden. Nutzung der Ressourcen- und Warenströme sind der- zeit ebenso wenig nachhaltig wie die Zahlung umwelt- Nur wenn etwa ein Textilkonzern bewusst auswählt, wie schädlicher Agrarsubventionen oder die Förderung des und wo seine Baumwolle produziert wird und darauf Grünlandumbruchs durch den Anbau nachwachsender achtet, dass Zulieferbetriebe Textilarbeiter menschen- Rohstoffe. Die Entwicklung von intelligenten und na- würdig und sozialverträglich beschäftigen, wird nach- turverträglichen Nutzungskaskaden für nachwachsende haltige Herstellerverantwortung tatsächlich gelebt. Rohstoffe ist notwendig. 14
Masterplan 2020 Wir profitieren von den ökonomischen Leistungen, die die Natur quasi kostenlos erbringt, und die – sollten sie technisch bereitgestellt werden müssen – mit einem enormen Aufwand und hohen Kosten verbunden wären (Wittmer 2011). Zu diesen Leistungen zählen Versor- gung (u. a. mit Nutzpflanzen und pflanzlichen Arznei- mitteln), Regulierung (u. a. Schadstofffilterung, Klima- regulierung, Bestäubung), Kultur (Erholungswert) so- wie unterstützende Funktionen (u. a. Bodenbildung, Photosynthese). Deren Kosten müssen künftig in Wirt- schaftlichkeitsberechnungen einbezogen werden, so dass ökologische Schäden bezifferbar neben den erwarteten wirtschaftlichen Schäden oder Gewinnen stehen. Die Ergebnisse der TEEB-Studien (The Economics of Eco- systems and Biodiversity 2010, Förster 2010, Teichmann & Berghöfer 2007, Vandaele 2010, Wittmer 2011) haben gezeigt, dass die Kosten der ökologischen Schäden we- sentlich höher sind als die (betriebs-) wirtschaftlichen Gewinne. 15
Masterplan 2020 3 16
Masterplan 2020 Gefahren für die biologische Vielfalt in Deutschland Die Geschwindigkeit, mit der Arten und ganze Le- bensräume heute weltweit verschwinden, ist um das 100- bis 1.000-fache höher als die vermute- te natürliche Aussterberate. Ohne effektive Ge- genmaßnahmen wird sich der aktuelle Verlust an Biodiversität bis zum Jahr 2050 aller Voraussicht nach verzehnfachen (BMU 2007). Der Erhalt der biologischen Vielfalt in Deutschland ist untrennbar mit den in Kapitel 2 vorgestellten globalen Herausforderungen verknüpft. Dennoch lohnt sich der Blick auf die einzelnen, konkreten Gefährdungsursachen: 17
Masterplan 2020 3.1 Landwirtschaft Die Landwirtschaft nimmt als größter Flächenbewirt- Ähnlich dramatisch sieht es im Ackerland aus. Die Ac- schafter in Deutschland mit über 50 Prozent Flächenan- kerschläge sind in den vergangenen Jahrzehnten be- teil starken Einfluss auf Natur und Landschaft. Bezogen ständig gewachsen, Hecken und Raine wurden aus der auf die Biotoptypen sind 36,3 Prozent durch Intensivie- Landschaft geräumt. Durch immer größere Bewirtschaf- rung der landwirtschaftlichen Nutzung, 22,4 Prozent tungseinheiten (Schlagflächen) werden Standortunter- durch Eutrophierung und 13,3 Prozent durch die Aufga- schiede nivelliert und ökologisch wichtige Kleinstruk- be extensiver Nutzung und anschließende Sukzession ge- turen vernichtet. Außerdem werden vielfach die Frucht- fährdet (BMU 2009). Der Trend zur Intensivierung wird folgen weiter eingeengt und eine zunehmend effiziente durch den zunehmenden Bedarf an Biomasse zur ener- Erntetechnik führt dazu, dass bei günstiger Witterung an getischen und stofflichen Nutzung weiter verschärft. ein bis zwei Tagen im Jahr ganze Landschaften abgemäht oder abgeerntet werden. So gehen die Nahrungs- und Die artenreichen Lebensräume des Grünlands sind im Reproduktionsstätten unzähliger Tier- und Pflanzenar- Laufe der letzten Jahrhunderte durch Wiesennutzung ten plötzlich verloren. Nach wie vor zu hohe Nitratwerte bzw. durch Beweidung entstanden und können nur in Grund- und Oberflächenwasser, ein zunehmender durch eine extensive Bewirtschaftung erhalten werden. Verbrauch an Pflanzenschutz- und Düngemitteln und Sowohl Nutzungsintensivierung als auch ihre vollstän- ein massiver Verlust ökologischer Rückzugsflächen in dige Aufgabe gefährden die Vielfalt des Grünlands: Wer- der Agrarlandschaft bewirken eine Abnahme der biolo- den beispielsweise traditionell zweischürige, nur leicht gischen Vielfalt auf allen Ebenen. gedüngte Wiesen in vier- bis fünfschürige, stark gedüng- te Silagewiesen umgewandelt, geht der Artenreichtum Die Folgen der intensiven Landwirtschaft sind gravie- dauerhaft verloren. Das Grünland ist durch Landwirte rend: die Bestände einstiger Allerweltsarten der Agrar- entstanden und braucht Landwirte, die es standortange- landschaft wie Feldlerche, Grauammer, Kiebitz oder passt und naturverträglich bewirtschaften. Uferschnepfe sind eingebrochen, Ackerwildkräuter und 18
Masterplan 2020 artenreiche Wiesen und Weiden sind auf dem Rückzug (Bauer et al. 2003, BMU 2007, NABU 2008c). Heute sind über 10 Prozent der Pflanzenarten in Deutschland durch die Landwirtschaft, hauptsächlich durch den Verlust von Grünland, direkt gefährdet (Schumacher 2005). Bun- desweit ist der Grünlandanteil an der gesamten land- wirtschaftlichen Nutzfläche durch Umbruch seit 2003 von 5,02 Millionen Hektar auf 4,73 Millionen Hektar zurückgegangen. Das bedeutet einen Rückgang um 4,8 Prozent (BMELV 2011). Fast 60 Prozent der Vogelarten der offenen Kultur- und Agrarlandschaft sind als gefährdet eingestuft oder stehen in der Vorwarnliste (BfN 2010, SRU 2008). Die Arten- vielfalt der Wildbienen, die eine grundlegende Bedeu- tung für die Bestäubung haben, sank um bis zu 80 Pro- zent aufgrund von intensivierter Nutzung in Verbindung mit einer flächendeckenden Anwendung von Pestiziden und dem damit einhergehenden Verlust an blütenrei- chen Pflanzen und kleinteiligen, vielfältigen Landschaf- ten (Biesmeijer et al. 2006, Klein et al. 2007). 19
Masterplan 2020 3.2 Forstwirtschaft Mit rund 11,1 Millionen Hektar ist Deutschland aktuell zahl der Waldarten zum Überleben benötigt. Entgegen zu knapp einem Drittel bewaldet (BMELV 2006). Nach der landläufigen Meinung tragen alte Wälder aber auch den landwirtschaftlich genutzten Offenlandflächen ist zum Klimaschutz bei. Sie speichern große Mengen Koh- der Wald damit die flächenmäßig zweitgrößte Landnut- lenstoff und erhalten ihre CO2-Senkenfunktion über zungsform. Jahrhunderte aufrecht (Luyssaert et al. 2008). Alle Waldflächen Deutschlands sind über die Jahrhun- Für die forstliche Nutzung werden die Bäume im ersten derte forstwirtschaftlich intensiv genutzt und verän- Drittel ihrer biologischen Lebenszeit gefällt. So werden dert worden. Die – unter anderem durch Streunutzung Buchen meist mit 120 bis 140 Jahren und Eichen im Al- und Übernutzung – ruinierten Wälder des Mittelalters ter von 200 bis 300 Jahren geerntet. Buchen können bis wurden mit der Zeit langsam wieder aufgebaut. Im 20. zu 350 und Eichen über 850 Jahre alt werden (NABU Jahrhundert setzte sich dann der nadelholzdominierte 2008a). Angesichts des deutlich höheren, natürlicher- Altersklassenwald durch. Traditionelle Nutzungsformen weise zu erwartenden Lebensalters vieler heimischer wie z. B. Nieder- und Mittelwälder sowie Hutewälder, die Baumarten zeigt sich hier ein Grundproblem für den einer großen Vielfalt von Organismen als Lebensraum Naturschutz im Wald: Für Tier-, Pflanzen-, und Pilzar- dienen, verschwanden. Ursprüngliche Urwälder gibt es ten, die auf alte Bäume bzw. alte Waldbestände angewie- in Deutschland nicht mehr. sen sind, müssen gezielt Maßnahmen ergriffen werden, um den Anteil alter und abgestorbener Bäume im Wirt- Die forstwirtschaftliche Nutzung gefährdet direkt mehr schaftswald zu erhöhen. als 274 Farn- und Blütenpflanzen (Häusler & Scherer- Lorenzen 2002). Hauptursachen sind Maßnahmen wie Daneben sind für den Erhalt der biologischen Vielfalt Eingriffe in die natürliche Baumartenzusammensetzung, der Wälder – auf einem kleinen Teil der Waldfläche – die Einbringung fremdländischer Baumarten, Wegebau, auch vollständig nutzungsfreie Wälder notwendig. Vie- Entwässerungen und Schad-/Nährstoffeinträge (BfN le Strukturen und Prozesse dynamischer Naturwälder, 2004). Durch die verstärkte Nachfrage nach Holz für die wie etwa das klein- und großflächige Zusammenbre- Energiegewinnung steigt der Nutzungsdruck auf den chen einzelner Bäume, die massenhafte Akkumulation Wald, so dass auch Biotopbäume und das Kronenholz von Totholz oder der ungestörte Ablauf verschiede- verschwinden. Die Ausbaupläne der Europäischen Kom- ner Sukzessionstadien nach Störereignissen, gibt es im mission für die energetische Holznutzung überschreiten Wirtschaftswald nicht. Typische Urwaldarten, wie zum bei weitem das in Deutschland und Europa nachhaltig Beispiel der Stachelbart, das Grüne Besenmoos und der nutzbare Holzangebot. Hirschkäfer, sind aber genau auf solche Waldstrukturen angewiesen. Gleichzeitig dienen diese Waldflächen als Viele auf alte Wälder und auf urwaldähnliche Strukturen Rückzugsräume und Spenderflächen für besonders be- angewiesene Arten sind durch die forstliche Nutzung der drohte Tier- und Pflanzenarten, von denen sie sich wie- Bäume gefährdet. Gerade in der zweiten Lebenshälfte der in andere Gebiete ausbreiten können. der Bäume entstehen jene Strukturen, welche die Mehr- 20
Masterplan 2020 Solche Wälder sind in Deutschland extrem selten. So fin- den sich ungenutzte Buchenwälder in einem Alter von mehr als 160 Jahren nur noch auf 0,16 Prozent der Land- fläche, und das, obwohl die Buchenwälder in Deutsch- land natürlicherweise etwa 67 Prozent der Landfläche bedecken würden (Knapp et al. 2007). Für den Erhalt der biologischen Vielfalt sind daher nut- zungsfreie Wälder von zentraler Bedeutung. Mit der nationalen Biodiversitätsstrategie strebt die Bundesre- gierung bis 2020 einen nutzungsfreien Anteil von fünf Prozent der gesamten Waldfläche bzw. von zehn Prozent des öffentlichen Waldbesitzes an (BMU 2007). Obwohl der Anteil nutzungsfreier Waldflächen seit den 1970er Jahren deutlich zugenommen hat, dürfte er derzeit noch deutlich unter den Zielen der Biodiversitätsstrategie lie- gen (Meyer et al. 2011). 21
Masterplan 2020 3.3 Landschaftsverbrauch und Landschaftszerschneidung Eine unwirksame Raumplanung, steuerliche Fehlanrei- Große unzerschnittene Lebensräume zu finden, wird in ze, öffentliche Förderungen und Subventionen führen in Deutschland immer schwieriger. Mit über 600.000 Kilo- Deutschland zu einem täglichen Landschaftsverbrauch metern hat Deutschland eines der dichtesten Straßen- von rund 87 Hektar (Mittel 2007-2010, Statistisches netze der Welt. Davon zerschneiden 230.000 Kilometer Bundesamt 2011), mit gravierenden Folgen für die bio- die offene Landschaft. Wandernde Tierarten können sie logische Vielfalt. oft schwer oder gar nicht überwinden. Für einige stark gefährdete Arten wie Fischotter, Wildkatze und Wolf ist Wichtige Funktionen im Naturhaushalt wie die Filter- der Straßenverkehr eine der häufigsten Todesursachen. funktion des Bodens, die Grundwasserneubildung und Insgesamt kommen auf Deutschlands Straßen bei Kolli- der natürliche Hochwasserschutz werden beeinträchtigt sionen jährlich über 200.000 Wildtiere ums Leben (DJV oder sogar zerstört. Durch Versiegelung und Zerschnei- 2011). Aber auch großflächige Windparks an Engpässen dung werden Lebensräume zerstört und geschädigt. des Vogelzugs oder schlecht geplante Trassenführungen Auch der großflächige Abbau von Kohlen und Salzen für neue Stromleitungen entwerten und zerschneiden beeinträchtigt das Landschaftsbild massiv. Abgeschnit- wichtige Naturräume. tene Verbindungen zwischen zahlreichen Naturräumen erschweren den Austausch zwischen Tier- und Pflan- Große (über 100 km²) verkehrsarme Gebiete, die nicht zenpopulationen. Auch der typische Charakter vieler durch Verkehrswege zerschnitten sind (sogenannte Landschaften geht zunehmend verloren. Ausgedehnte UZV-Räume), finden sich in Deutschland nur noch an Siedlungsstrukturen wirken sich zudem negativ auf die wenigen Stellen (siehe Karte). Energieeffizienz und auf die Treibhausgas-Emissionen aus. 22
Masterplan 2020 Quellen: Bundesamt für Naturschutz (BfN), 2011 Geodaten GeoBasis-DE / BKG (2011) 23
Masterplan 2020 3.4 Raubbau in den Meeren Die Fischerei in ihrer heutigen Praxis führt zu schwer- Aber nicht nur die Fischerei führt zum Verlust mariner wiegenden Umweltschäden und gefährdet die dauerhaf- Artenvielfalt, auch mechanische Schädigungen durch te Nutzung mariner Ressourcen. Die zentralen Probleme Kies- und Sandabbau, Öl- und Gasförderung und liegen in der Überfischung der Bestände, dem Beifang Fahrrinnenvertiefungen gefährden die Meere. Als neue unzähliger Nicht-Zielarten und Jungfische sowie der Herausforderung kommt der Ausbau der Offshore- großflächigen Schädigung des Meeresbodens durch Windkraft dazu. Mehr als 15 Prozent der deutschen grundberührende Fanggeräte (SRU 2004, 2011). Nord- und Ostsee sind bereits verplant, mit teilweise noch unzureichend untersuchten Risiken für Meeres- Allein in der Nordsee sind heute über 60 Prozent der säuger, See- und Zugvögel sowie am Boden lebende Or- kommerziell genutzten Fischarten überfischt, im Mittel- ganismen (Benthos). Weitere Gefährdungsfaktoren sind meer sind es mehr als 80 Prozent (EU 2011b). Darüber Nähr- und Schadstoffeinträge durch Landwirtschaft und hinaus sterben zahllose Seevögel und marine Säuger Industrie, die mit der maritimen Industrialisierung ein- (z. B. Schweinswale) als ungewollter Beifang in den Stell- hergehende Lärmbelastung durch Schiffsverkehr, Sonar- netzen der europäischen Fischer. In der Nordsee sind die Einsatz, seismische Untersuchungen und Bauprojekte Fischereiaktivitäten hauptverantwortlich für den Rück- sowie der anhaltende Eintrag von Abfällen, insbesondere gang der Biodiversität und Veränderungen der Ökosy- aus Kunststoff. steme (EU 2009, 2011b). 24
Masterplan 2020 (BfN 2012b) 25
Masterplan 2020 3.5 Schutzgebiete, die nicht schützen Schutzgebieten kommt beim Erhalt der biologischen 738 EU-Vogelschutzgebieten (11,2 Prozent der Landes- Vielfalt eine Schlüsselrolle zu, denn in ihnen hat die Na- fläche, ausgewiesen nach der EU-Vogelschutzrichtlinie tur Vorrang vor Nutzungsansprüchen des Menschen. von 1979; Richtlinie 79/409/EWG) und 4.621 FFH-Ge- Dass Schutzgebiete ein wirksames Mittel zum Erhalt der bieten (9,3 Prozent der Landesfläche, ausgewiesen nach Biodiversität sind, ist erwiesen (Donald et al. 2007, Gas- der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie; Richtlinie 92/43/ ton et al. 2006). In Deutschland sind über 30 Prozent der EG) zusammensetzt. Durch identische Gebietsauswei- Landfläche durch unterschiedlichste Schutzgebiete ge- sungen haben diese Natura 2000-Gebiete ingesamt ei- schützt, Kernelemente bilden dabei die 14 Nationalparke nen Anteil von 15 Prozent der Landfläche Deutschlands. und 16 Biosphärenreservate (BfN 2012a). Im europäischen Vergleich liegt Deutschland damit nur im Mittelfeld der EU-Staaten (BfN 2012a, Mayer 2009, Dabei wird allerdings nur auf 0,7 Prozent der Landesflä- Mayr 2008). che der Natur absoluter Vorrang eingeräumt. Von diesen Wildnisgebieten, in denen kein menschlicher Einfluss Dazu kommen Schutzgebiete auf Watt-, Bodden- und wirken soll, liegt die Hälfte in den Nationalparken (BfN Meeresflächen. Von diesen marinen Schutzgebietsflä- 2010). In den meisten Schutzgebieten wird ein Ausgleich chen entfallen 943.984 Hektar auf die Ausschließlichen zwischen den Ansprüchen des Menschen einerseits und Wirtschaftszonen (AWZ; Meeresflächen außerhalb der den zu schützenden Tieren und Pflanzen andererseits 12-Seemeilenzone) Deutschlands in Nord- und Ostsee angestrebt. Bestehende Nutzungen können hier fast so (BfN 2012a). intensiv wie vor der Ausweisung des Schutzgebietes fort- geführt werden. Dies gilt zum Beispiel für die meisten Schutzziele und Managementpläne sollen für diese Ge- Natura 2000-Gebiete. biete die notwendigen Maßnahmen zusammenfassen, die den Schutz von Lebensräumen und Arten langfristig Ein an den ökologischen Erfordernissen orientierter garantieren und den Zustand der Schutzgüter bewahren Schutz von Flächen kann jedoch vor allem durch dieses oder verbessern. Sie sollen gleichzeitig Handlungsleitfa- Schutzgebietsnetz geleistet werden, das sich aktuell aus den für Grundbesitzer und Nutzer sowie für die öffent- 26
Masterplan 2020 lichen Verwaltungen sein, um die Nutzung und die Pfle- schwächt (BUND & NABU 2012). Für keines der mari- ge der Gebiete darzustellen, zu erläutern und zu regeln. nen Natura 2000-Gebiete in der deutschen AWZ liegen, Managementpläne minimieren Interessenkonflikte und mehr als vier Jahre nach der Anerkennung durch die Eu- beziehen die Bevölkerung in den Schutz von Arten und ropäische Kommission, Managementpläne vor. Darüber Lebensräumen ein. hinaus fehlt es oft an der finanziellen Ausstattung und der nötigen politischen Unterstützung der Schutzgebie- Bereits die hohe Zahl von über 4.600 FFH-Gebieten deu- te. In Deutschland sind nur etwa 25 Prozent der in den tet es an: Die Schutzgebiete sind sehr klein. Zwar sind FFH-Gebieten eigentlich zu schützenden Lebensraum- auch die großflächigen Nationalparke und Biosphären- typen und nur etwa 20 Prozent der untersuchten Arten reservate vollständig bzw. zumindest auf der weitaus in einem „günstigen“ Erhaltungszustand (BMU 2007). überwiegenden Fläche Natura 2000-Gebiete, das durch- schnittliche FFH-Gebiet aber kommt nur auf 800 Hektar (EEA 2010). In Deutschland ist jedes vierte FFH-Gebiet sogar kleiner als 50 Hektar (BfN 2012a). Wirksamen Schutz können diese Gebiete nur erbringen, wenn sie gut gemanagt und in ein funktionsfähiges Schutzgebiets- netzwerk eingebunden sind. Doch daran fehlt es in vielen Fällen. In keinem Bun- desland sind mehr als 50 Prozent der Natura 2000-Ma- nagementpläne erstellt und umgesetzt (BUND & NABU 2010). Zudem sind die Managementpläne rechtlich oft nicht verbindlich, ohne Wirkung auf die Bewirtschaf- tung und zumeist nicht partizipativ entstanden, was die Akzeptanz durch Landnutzer und Interessengruppen 27
Masterplan 2020 3.6 Vollzugs- und Umsetzungsdefizite Vergleicht man das gesetzliche Schutzniveau für Natur So laufen gesetzliche Schutzvorschriften und konstruk- und Umwelt in Deutschland mit dem in anderen Staa- tive Strategien ins Leere. Beim Schutz der biologischen ten, so ergibt sich zunächst ein relativ positives Bild. Und Vielfalt sind die Auswirkungen offensichtlich: In gro- damit nicht genug: In der Nachhaltigkeits- und Biodi- ßem Umfang wird gegen das Verschlechterungsverbot in versitätsstrategie der Bundesregierung sind konkrete Natura 2000-Gebieten verstoßen, artenreiches Grünland Qualitäts- und Handlungsziele festgeschrieben. Für den intensiviert oder umgebrochen und werden naturnahe Verlust an landschaftlicher und biologischer Vielfalt ist Buchenwälder massiv durchforstet (NABU 2011). Auch in den meisten Fällen also nicht ein unzureichender die „Pflegeruinen“, die aus der unzureichenden Umset- rechtlicher Schutz verantwortlich. zung von Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen im Rah- men der Eingriffsregelung entstanden, sind ein weiteres Der Grund liegt vielmehr in der fehlenden bzw. mangel- negatives Beispiel (BfN 2003). Gravierende Missstände haften Umsetzung und Kontrolle der Vorschriften und bestehen auch im Artenschutz. So ignorieren Land- und Strategien. Die Umweltverwaltungen der Bundesländer Forstwirtschaft in erheblichem Maße artenschutzrecht- stehen dabei vor einer doppelten Herausforderung: Ei- liche Vorgaben und fachgesetzliche Bewirtschaftungs- nerseits unterliegen sie in Zeiten knapper Kassen und regeln: immer noch werden Spechtbäume gefällt oder dem allgemeinen Ruf nach Bürokratieabbau einem durch unangepasste Bewirtschaftung Gelege und Bio- starken Druck, ihr Handlungsspektrum zu reduzieren. tope gefährdet. Auch die Bewirtschaftungsregeln der Andererseits nehmen Bandbreite und Schwierigkeits- „guten fachlichen Praxis“ werden häufig ignoriert. Die grad der Aufgaben zu. Angebliche Reformen, Sparmaß- angemessene Umsetzung des Naturschutzrechts schei- nahmen und Stellenabbau haben dazu geführt, dass die tert oft an fehlendem Personal in den Fachbehörden, an Umweltverwaltungen an der Grenze der Belastbarkeit mangelnder Bereitschaft, einen Konflikt mit Nutzungs- arbeiten und ihre gesetzlich vorgegebenen Aufgaben interessen einzugehen sowie fehlender Beratung und In- nicht mehr voll erfüllen können (SRU 2007). formationsvermittlung (SRU 2007). 28
Masterplan 2020 Negativ wirkt sich die fehlende Leistungsfähigkeit der Umweltverwaltungen auch auf die Planungs- und Ge- nehmigungsverfahren aus. Die Verfahren schleppen sich über lange Zeiträume hin, ohne dass die Verwaltungs- entscheidung am Ende die nötige Rechts- und Planungs- sicherheit bietet (DNR et al. 2008). Fehlende personelle Ressourcen, gekoppelt mit Zeitdruck und teilweise un- nötigem Aktionismus der politischen Entscheidungsträ- ger, führen vielerorts zu Fehlentwicklungen, z. B. bei der massiven Förderung nachwachsender Rohstoffe (SRU 2007). Das Problem des mangelnden Vollzugs betrifft nicht nur Deutschland. Die Europäische Kommission geht davon aus, dass die Nichtanwendung des Umweltrechts in den Mitgliedsstaaten die EU-Wirtschaft jedes Jahr etwa 50 Milliarden Euro in Form von Gesundheits- und direkten Umweltkosten verursacht (EU 2012). 29
Masterplan 2020 4 30
Masterplan 2020 Wege in die Zukunft – aktiv für mehr biologische Vielfalt Ziel des NABU ist es, die biologische Vielfalt dau- erhaft in einem guten Zustand zu erhalten und sie dort, wo es noch möglich ist, wieder herzustellen. Neben der Vielfalt der Arten und der genetischen Vielfalt kommt funktionsfähigen Ökosystemen da- bei eine zentrale Bedeutung zu. Intakte Ökosyste- me sind die Lebensgrundlage sowohl für mensch- liches Wohlergehen und Wirtschaften als auch für die Vielfalt der Arten. Umgekehrt ist gerade die Ar- tenvielfalt oft unerlässlich für die dauerhafte Be- reitstellung von Ökosystemdienstleistungen. Da- her ist insbesondere die natürliche Anpassungs- fähigkeit von Arten und Ökosystemen zu stärken. 31
Masterplan 2020 Jedes dauerhaft wirksame Konzept für den Erhalt der und sie mit ihren Fähigkeiten und Kompetenzen an der biologischen Vielfalt muss einerseits den bestehenden Entwicklung der Gesellschaft teilhaben zu lassen. Gefährdungsursachen (vgl. Kap. 3) begegnen, anderer- seits Antworten auf die globalen Herausforderungen Naturschutz „gegen den Trend“ der globalen Heraus- (vgl. Kap. 2) geben. Es kommt entscheidend darauf an, forderungen (vgl. Kap. 2) kann nach Überzeugung des den Energie- und Materialverbrauch pro Kopf auf ein NABU nicht dauerhaft erfolgreich sein. Letztlich muss Maß zu reduzieren, das die Leistungsfähigkeit des Na- der Erhalt der biologischen Vielfalt in alle Lebensbe- turhaushalts nicht überlastet. Erforderlich sind dafür ein reiche integriert werden. Unternehmerisches Handeln sparsamerer Umgang mit Ressourcen, eine intelligente muss wie selbstverständlich Schäden an der biologi- Kreislaufwirtschaft sowie ein naturverträglicher Um- schen Vielfalt vermeiden und ihren Erhalt unterstützen, stieg auf erneuerbare Energien. Kaufverhalten und Mobilität genauso an ihr ausgerichtet werden wie Energieerzeugung und Landnutzung. Not- Der Erhalt einer sicheren und gesunden Umwelt und die wendig sind ein differenziertes und effizientes Konzept Entwicklung nachhaltiger Lebensstile können ohne das zur nachhaltigen, produktiven Landnutzung, das inte- Engagement und die Partizipation der Bürgerinnen und grative Naturschutzelemente einschließt, und ein wir- Bürger nicht gelingen. Es gehört daher zu den großen kungsvolles Schutzgebietsnetz. Der NABU verfolgt dazu gesellschaftlichen Herausforderungen, Menschen für ein zwei strategische Ansätze: Engagement zu motivieren, ihr Engagement zu fördern Verbraucher in der Verantwortung Ressourcenverbrauch ist Naturverbrauch! Die Ziele des Naturschutzes werden sich daher nur errei- chen lassen, wenn es gelingt, den menschlichen Ressourcenverbrauch zu reduzieren. Es liegt aller- dings nicht allein in der Hand von Politikern und Regierungen, Maßnahmen zum Schutz der biologi- schen Vielfalt durchzusetzen. Jeder Einzelne sollte sich in der Pflicht sehen, durch einen sparsamen Umgang mit Ressourcen im Alltag selbst zum Natur- und Umweltschutz beizutragen. Häufig bedarf dies nicht einmal großer Anstrengungen, sondern kleiner, aber bewusster Entscheidungen, die oft genug sogar ein Plus an Lebensqualität mit sich bringen: Fleischkonsum – die Zerstörung von Lebensräumen zu verhindern. Mit einem maßvollen und bewussten Konsum von tierischen Zurück zum Sonntagsbraten! Produkten kann jeder seine individuelle Klimabilanz Zur Umwandlung einer pflanzlichen in eine tierische verbessern, den Druck auf sensible Ökosysteme verrin- Kalorie werden je nach Tierart fünf bis 30 pflanzliche gern und somit seinen Teil zum Naturschutz beitragen. Kalorien benötigt. Daher beansprucht die Produkti- on von tierischem Eiweiß enorme Flächen, die schon jetzt rund 30 bis 40 Prozent der weltweiten Land- fläche einnehmen. So macht allein der Sojabedarf der deutschen Tierproduktion eine Anbaufläche von 2,9 Millionen Hektar aus, der größte Teil davon in Brasi- lien und Argentinien. Zudem ist die Tierhaltung weltweit für 18 Prozent aller Treibhausgase verantwortlich – das ist mehr als die Emissionen aus dem gesamten Verkehrs- sektor (FAO 2006). Biofleisch stellt zwar eine Alternative zur ethisch be- denklichen Massentierhaltung und zu umstrittenen gentechnisch veränderten Futtermitteln dar. Aber auch die Produktion von Biofleisch benötigt viel Fläche. Ins- gesamt muss weniger Fleisch konsumiert werden, um 32
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