Ehrenamt im Gottesdienst - FÜR MITARBEITENDE - EKKW

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Ehrenamt im Gottesdienst - FÜR MITARBEITENDE - EKKW
4–2021

                                                    FÜR MITARBEITENDE

                                                 Ehrenamt im
                                                 Gottesdienst
Foto: Wilfried Wüst

                      INTERVIEW
                      Kirchenvorsteherinnen
                      fehlt der Gottesdienst

                      ALLE ARBEITEN MIT
                      Prädikanten, Lektoren,
                      Kirchensänger und andere
Ehrenamt im Gottesdienst - FÜR MITARBEITENDE - EKKW
INHALT | EDITORIAL

Inhalt                                                      Liebe Leserinnen,
                                                            liebe Leser,
THEMA
                                                                 dass die Kirche nach Corona nie

                                                                                                                                  Fotos: medio.tv/Schauderna
    4       Interview: Gottesdienst als Aushängeschild      wieder so sein wird wie vorher, hört und
    6	Erfahrungsbericht:                                   liest man momentan allenthalben. Da-
       Corona und die Kirchengemeinde                       bei verändern die technisch-medialen
                                                            Möglichkeiten auch die Inhalte, stellt
    7       Was brauchen Ehrenamtliche in der Krise?
                                                            etwa der Berliner Bischof Stäblein fest.
    8	Kirchensängerin Bolle:                               Die westfälische Präses Kurschus for-
       Ich singe, und ich werde gehört                      dert, nach der Pandemie dürfe es kein
    9	Organist Vogeltanz:                                  „Weiter so“ geben: Der „Traum von der
       An Heiligabend ins kalte Wasser                      Rückkehr in die Weite und Fülle des Le-
    10	Küsterin Trosien:                                   bens“ dürfe nicht verwechselt werden „mit dem dünnen Aufguss
        Kirche geht nicht ohne Ehrenamt                     eines 'Genauso wie früher'“. „Wir werden verändert, mit einem
                                                            neuen Blick auf kirchliche Arbeit, gebeutelt und gezeichnet aus
    11	Prädikanten:
                                                            der Krise kommen”, sagt auch Bischöfin Beate Hofmann.
        Aus dem Feuerwehrauto an den Altar
                                                                 Die Bereitschaft zu radikalen Kurswechseln scheint derzeit
    12	Interview Pfarrerin Zahn:                           groß: In der hannoverschen Landeskirche prüft man gar, ob und
        Die Vielfalt wird nach Corona bleiben               wie rein digitale Netzgemeinden gegründet werden können.
    13	Lektoren zwischen Kreativität                       Gleichzeitig wächst aber auch die Kritik an einer quasi körper-
        und Zwangspause                                     losen Kirche. „Man ist dabei, aber nicht nahe dran“, klagt etwa
    32      Preiswürdige Gottesdienste                      eine enttäuschte Teilnehmerin nach dem digitalen Ökumenischen
                                                            Kirchentag, der fast nur auf dem Monitor stattfand.
                                                                 Der Sonntagmorgen-Gottesdienst, vor Kurzem noch unhinter-
LANDESKIRCHE                                                fragt Kern des christlichen Gemeindelebens, verliert zusehends
                                                            an Relevanz. Das nicht erst seit Corona, aber die Pandemie hat
    14	Interview Arnd Henze:
                                                            sich als Durchlauferhitzer erwiesen. Das macht natürlich auch
        Bonhoeffer hätte da nicht mitgemacht
                                                            etwas mit den Ehrenamtlichen in der EKKW, die landauf, landab
    15      Reformprozess „Auftrag der Kirche“              an der Gottesdienstgestaltung beteiligt sind. Auf den nächsten
    16      Empfangsdienst in Altenheimen                   Seiten lesen Sie, was viele verunsichert und in ihrem Engage-
    17      Ethikcafé im Altenheim in Kassel                ment blockiert. Aber in der Mehrzahl, so mein Eindruck, kommen
                                                            hoffnungsvolle Stimmen zu Wort. Die Liebe zur Tradition bleibt,
    18      Corona: Hilferuf aus Indien
                                                            die Begeisterung für Neues in der Kirche wächst. Es bleibt eben
    19      Pfarrer absolviert Praktikum im Tierpark        alles anders.
    19      Gottesdienste an der Sababurg                                                                   Lothar Simmank
                                                                                                 Redakteur blick in die kirche
    20      Neues Gesangbuch ist in Arbeit
    21      Benefizprojekt: Musiker helfen Musikern
                                                            Schauen Sie in Ihre Zeitung ...
    22      Synode: 277 Mitarbeiter in Kurzarbeit
    22      Ehrenamts-Standards in der Landeskirche                                        • Frankfurter Rundschau (FR)
                                                                                              im Main-Kinzig-Kreis
    23	Synode positioniert sich gegen
                                                                                           • Fuldaer Zeitung (FZ)
        Judenmission und Antisemitismus
                                                                                           • Gelnhäuser Neue Zeitung (GNZ)
    24      Erfahrungsbericht Ökumenischer Kirchentag                                      • Hanauer Anzeiger (HA)
    26      Von Personen                                                                   • Hersfelder Zeitung (HZ)
                                                                                           • Hessische/Niedersächsische
    27      Experimentalorgel in Kassel
                                                                                              Allgemeine (HNA)
    27      Hilfe für Schule im Libanon                                                    • Maintaler Tagesanzeiger
                                                                                           • Oberhessische Presse (OP)
SERVICE                                                                                    • Südthüringer Zeitung (STZ)
                                                            Am Samstag, 26. Juni 2021,     • Waldeckische Landeszeitung
    28      Termine / Kirchenmusik /Kirche im Radio         erscheint das blick in die        (WLZ)
    31      Neu erschienen                                  kirche-magazin als Beilage in: • Werra-Rundschau (WR)

2        blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 4–2021
Ehrenamt im Gottesdienst - FÜR MITARBEITENDE - EKKW
UMFRAGE | IMPRESSUM

Der schönste Gottesdienst, den Sie erlebt haben
                               Foto: privat

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 Mein schönster Gottesdienst                    Mehr als fünf Monate hat-                 Vor einigen Jahren bin ich in                         Als ich als Prädikantin einen
 war mein Prüfgottesdienst                      ten wir keinen Gottesdienst,              New York City eher zufällig                           meiner schönsten Gottesdiens-
 als Lektor am 27. Mai 2018.                    es fanden lediglich Online-               an einer liberalen jüdischen                          te gefeiert habe, habe ich das
 Die aufwendige Vorbereitung                    Gottesdienste statt, die ich              Gemeinde, der „Central Syna-                          erst im Nachhinein gemerkt:
 darauf hat mir gezeigt, dass                   teilweise begleitet habe. Am              gogue“, vorbeigekommen.                               Nach einem Gottesdienst in
 ich für die Kirche und die Ge-                 Pfingstsonntag durfte ich zum             Es war Freitagabend und ei-                           einer kleinen Dorfkirche nahm
 meinde mehr sein kann als                      ersten Mal wieder meinen                  ne Viertelstunde vor Gottes-                          ich eine Besucherin im Auto
 nur jemand, der in der Bank                    Orgeldienst versehen, wenn                dienstbeginn zum Beginn des                           mit, und wir kamen ins Ge-
 sitzt. Das Gefühl, zum ersten                  auch unter coronabedingten                Sabbats. Emotional berührend                          spräch. Sie sagte: „Wenn ich
 Mal selbstverantwortlich ei-                   Einschränkungen.                          und intellektuell ansprechend                         bei Ihnen im Gottesdienst bin,
 nen Gottesdienst vorzube-                          Darüber habe ich mich                 feiern die dortigen Juden ei-                         dann fällt mir das Glauben
 reiten, ist unvergesslich. Die                 riesig gefreut, und in einer              nen wunderbaren Gottes-                               hinterher leichter. Ich nehme
 Unterstützung, die ich auf                     Gemeinde wurde mir sogar                  dienst. Ich habe mich als                             da etwas für meinen Alltag
 diesem Weg erfahren habe,                      mein Orgelspiel mit einem                 christlicher Gast sofort wohl-                        mit, und dann weiß ich, dass
 und die sehr positive Rück-                    Applaus gedankt. Dies hat                 gefühlt. Die ausgleichende                            ich auch Fragen und Zweifel
 meldung von der Gemeinde                       mich besonders gerührt und                Mischung aus „modern“ und                             haben darf und dass Gott an
 und den prüfenden Pfarrern                     zuversichtlich gestimmt für               „traditionell“ hat mich da-                           meiner Seite ist.“ Sie erzählte
 waren ein erhebendes Ge-                       die Zukunft. Mit dem Gesang               mals umgehauen und prägt                              mir von Enttäuschungen im
 fühl in einer für mich schwe-                  der Gemeindemitglieder ist                mein eigenes pfarramtliches                           Glauben und wie sie den Weg
 ren persönlichen Phase. Das                    das Ganze natürlich noch viel             Handeln in Gottesdiensten                             zurück in die Kirche und damit
 erste Mal alleine vorm Altar                   schöner.                                  in Fulda bis heute. Wenn Sie                          auch in die Gottesdienste ge-
 wird immer etwas Besonderes                                                              einmal New York besuchen:                             funden hat. Dieses Gespräch
 bleiben.                                                                                 Nicht verpassen!                                      hat uns beiden gutgetan.

Fabian Kanngießer (31),                        Annette Wilke (49),                      Marvin Lange (42),                                     Stefanie Kühn (55),
Software-Entwickler und Lektor                 Organistin in den Kirchenge-             Pfarrer der Bonhoeffer-                                Dipl.-Sozialpädagogin und
im Kirchenkreis Schmalkalden,                  meinden Elleringhausen und               Gemeinde in Fulda                                      Vorsitzende des
Immelborn                                      Ober-Waroldern                                                                                  Prädikantenbeirats,
                                                                                                                                               Kaufungen

IMPRESSUM
 blick in die kirche erscheint sechsmal jährlich und       Redaktion:                                                          Anschrift:
 wird an haupt- und ehrenamtliche Mitarbeiterinnen         Lothar Simmank (Leitung)                                            Ev. Medienhaus, Heinrich-Wimmer-Straße 4
 und Mitarbeiter der Landeskirche kostenlos verteilt.      Telefon 0561 9307-127                                               34131 Kassel-Bad Wilhelmshöhe
                                                           Olaf Dellit                                                         redaktion@blickindiekirche.de
 Direkt-Abonnement:                                        Telefon 0561 9307-132                                               www.blickindiekirche.de
 12,50 Euro pro Jahr inklusive Zustellkosten                                                          RG 4
                                                           Redaktionsbüro /               www.blauer-engel.de/uz195            Gestaltung: Lothar Simmank, Olaf Dellit
 Herausgeber:                                              Anzeigen:                    Dieses Druck-Erzeugnis wurde mit dem   Layout-Konzept: Liebchen+Liebchen, Frankfurt am Main
 Landeskirchenamt der Evangelischen                        Andrea Langensiepen               Blauen Engel ausgezeichnet.       Herstellung: Bonifatius GmbH, Paderborn
 Kirche von Kurhessen-Waldeck                              Telefon 0561 9307-152                                               Auflage: 17.300 Exemplare
 Wilhelmshöher Allee 330                                   Daniela Denzin
 34131 Kassel-Bad Wilhelmshöhe                             Telefon 0561 9307-128                                               Mehr Informationen über die Evangelische Kirche
                                                           Fax     0561 9307-155                                               von Kurhessen-Waldeck unter www.ekkw.de

                                                                                                     blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 4–2021                                       3
Ehrenamt im Gottesdienst - FÜR MITARBEITENDE - EKKW
THEMA

                „Der Gottesdienst ist das Aushängeschild“
                Zwei Kirchenvorsteherinnen erzählen im Interview, was sich geändert hat und was bleibt

                M
                         onate ohne Präsenzgottesdiens-          Gottesdiensten mitzuwirken. Das fehlt jetzt   eher noch zunehmen. Wie finden Sie
                         te, stattdessen Videoformate,           auch: sich Gedanken über einen Bibeltext      diese Entwicklung?
                         zwischendurch Kurzgottesdiens-          machen und Gottesdienste vorbereiten.         Kickstein: Wir sind in der Gemeinde gut
                te oder besondere Formen im Freien. Wie                                                        aufgestellt mit Lektoren und Prädikanten
                haben Kirchenvorsteherinnen die Zeit er-
                lebt, und wie sehen sie die Zukunft? Wir
                sprachen mit Julia Überreiter aus Fulda
                                                                 ?  Gibt es bei Ihnen in Vollmarshausen
                                                                    zurzeit digitale Gottesdienste?
                                                                 Kickstein: Es gibt aufgezeichnete Online-
                                                                                                               und haben dadurch eine große Vielfalt. Es
                                                                                                               ist doch schön, wenn mal jemand anderes
                                                                                                               spricht und die Predigt aus einer anderen
                und Jessica Kickstein aus Vollmarshausen.        Gottesdienste bei Youtube, wir machen         Feder stammt. Aber natürlich wird hier auf
                                                                 auch Zoom-Gottesdienste und hatten lan-       dem Dorf auch gerne die Pfarrerin auf der

                ?   Wie sehr fehlt Ihnen der sonntäg-
                    liche Gottesdienst, wenn er wegen
                Corona ausfallen muss?
                                                                 ge Zeit eine Telefonandacht geschaltet.
                                                                 Überreiter: Auch wir haben Begrüßungs-
                                                                 dienst, das ist im Moment mit Corona-
                                                                                                               Kanzel gesehen. Gerade an Weihnachten
                                                                                                               und Ostern wäre die Gemeinde schwer ent-
                                                                                                               täuscht, wenn jemand anderes käme. Da
                Julia Überreiter: Er fehlt sehr. Er gab für      auflagen verbunden: Wir haken die Liste       finden wir aber eine gute Balance.
                meine Familie dem Sonntag eine Struktur.         der Besucher ab, bitten die Menschen,         Überreiter: Das beobachte ich auch. Der
                Ich weiß, dass viele Gemeindeglieder das         sich die Hände zu desinfizieren, suchen       Pfarrer hat seine Gemeinde geprägt, und
                Streaming-Angebot gut annehmen, aber             gemeinsam nach einem freien Platz. Der        das finde ich auch richtig. Gerade vielen
                für mich persönlich ist es keine Alterna-        KV übernimmt in jedem Gottesdienst die        Senioren gibt es Halt, wenn da vorne ein
                tive. Ich finde es live und in Farbe besser.     Lesung und die Abkündigungen. Wir sind        Pfarrer oder eine Pfarrerin steht. Ich finde
                Jessica Kickstein: Da kann ich mich nur          meistens zu dritt und können uns das gut      es gut, wenn man im Team arbeitet, das
                anschließen. Mir fehlt auch alles, was da-       aufteilen, damit wir ansprechbar sind.        lockert den Gottesdienst auf. Gerade in ei-
                zugehört: sich auf den Weg machen, die               Die Online-Formate hat unser Pfarrer      ner Zeit, wo nicht gesungen werden darf,
                Gemeinde treffen, Kirche erleben. Für mich       gemeinsam mit anderen evangelischen           ist eine Abwechslung der Sprecher gut.
                ist der Gottesdienst auch ein Ort der Ruhe,      Pfarrern in Fulda gestaltet. Das Format ist
                wo ich für mich sein kann, ohne mich mit
                etwas anderem zu beschäftigen.
                                                                 richtig gut, unter anderem gab es aufge-
                                                                 zeichnete Gespräche aus dem Pfarrhaus.        ?  „Der Gottesdienst ist das zentrale Er-
                                                                                                                  eignis im Leben der christlichen Ge-
                                                                                                               meinschaft“, schreibt die EKD. Ist das

                ?  Als Kirchenvorsteherinnen gestalten
                   Sie Gottesdienste mit. Welche Auf-
                gaben haben Sie üblicherweise?
                                                                 ?   Haben Sie ein Mitspracherecht bei
                                                                     der Gottesdienst-Gestaltung?
                                                                 Überreiter: Doch, das haben wir. Die Pfar-
                                                                                                               in Ihrer Gemeinde wirklich so?
                                                                                                               Überreiter: Ja, ich würde das für uns so un-
                                                                                                               terschreiben. Natürlich gibt es auch ande-
                Kickstein: Ein Teil der Aufgabe ist der Be-      rer aus zwei Gemeinden haben sich zusam-      re Angebote und Grupen: Jugend, Kinder
                grüßungsdienst. Ich finde es sehr schön,         mengeschlossen und verfolgen ein neues        und Konfis zum Beispiel. Aber beim Got-
                die Menschen in Empfang zu nehmen                Konzept. Gerade hier in der Diaspora ist      tesdienst treffen sich alle Generationen.
                und ins Gespräch zu kommen. Wir halten           es gut, sich zusammenzutun. Es gibt ver-      Kickstein: Der Gottesdienst ist wie ein
                auch die Ansprachen an Täuflinge. Jeder          schiedene Gottesdienstformate: klassisch,     Aushängeschild und findet zuverlässig
                Kirchenvorsteher, jede Kirchenvorsteherin        modern, Familiengottesdienst und Jugend-      statt. Bei einer Gruppe muss ich schau-
                hat die Möglichkeit, an der Gestaltung von       gottesdienst – immer mehrere an einem         en, in welchem Rhythmus sie stattfindet
                                                                 Sonntag. Da werden wir im Vorfeld gefragt
                                                                 und können auch Ideen einbringen. Das
                ZUR PERSON: JESSICA KICKSTEIN                                                                  ZUR PERSON: JULIA ÜBERREITER
                                                                 ist ein demokratischer Prozess.
                                         Jessica Kickstein ist   Kickstein: Wir haben einen Gottesdienst-       Julia Überreiter ist
                                         37 Jahre alt und        Ausschuss, in dem auch Kirchenvorsteher        Lehrerin, verheira-
                                         Lehrerin. Sie           sitzen. Auch jeder andere Kirchenvorsteher     tet und Mutter von
                                         engagiert sich im       hat die Möglichkeit, sich im Gottesdienst      zwei Töchtern. Die
                                         Kirchenvorstand in      einzubringen. Vieles plant der Ausschuss       42-Jährige
                                         Vollmarshausen          gemeinsam mit der Pfarrerin. Er bringt         engagiert sich als
                                         (Kirchenkreis                                                          Kirchenvorsteherin
Fotos: privat

                                                                 halbjährlich einen Flyer mit der Gottes-
                                         Kaufungen) und ist                                                     in der Bonhoeffer-
                                                                 dienstplanung heraus.
                                         in ihrer Kirchenge-                                                    Gemeinde in
                                         meinde unter                                                           Fulda-Petersberg.
                    anderem auch in der Konfirmandenarbeit
                    aktiv.                                       ?  Die Bedeutung des Ehrenamtes für
                                                                    die Gottesdienstgestaltung wird
                                                                                                                Außerdem leitet sie den Kindergottes-
                                                                                                                dienst.

                4        blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 4–2021
Ehrenamt im Gottesdienst - FÜR MITARBEITENDE - EKKW
THEMA

                                                                                                                                            Fotos: medio.tv/Schauderna
Konfirmation einmal anders: Corona hat dafür gesorgt, dass viele Gottesdienstformen neu und an anderen Orten erprobt wurden. Unser
Foto zeigt die Konfirmation mit Pfarrer Carsten Köthe im September 2020 im Wald bei Schwarzenhasel

und ob ich da reinpasse. Der Gottesdienst      Kickstein: Man hängt in der Kirche doch       Satz gehört: „Das haben wir schon pro-
ist für alle offen und so gestaltet, dass      immer sehr an Traditionen. Und jetzt muss-    biert, hat nicht geklappt.“ Da wurde vie-
auch alle – durch ein Lied, einen Psalm        ten wir uns Gedanken machen, was die          les ausgebremst. Das geschieht jetzt nicht
oder die Predigt – angesprochen werden.        elementaren Teile des Gottesdienstes sind     mehr so stark. Wir werden in der Gemein-
Ich bin da auch richtig, wenn ich nur das      und was vielleicht mal wegbleiben kann.       de evaluieren, was richtig gut funktioniert
stille Gebet suche. Jeder kann sich etwas      Dadurch ergeben sich ganz neue Chancen.       hat, und das beibehalten.
rausziehen, deswegen ist der Gottesdienst          Bei uns war „Kirche to go“ – da hat       Überreiter: Die Gemeindemitglieder kom-
zentral. In der Corona-Zeit haben viele, die   sich also die Kirche auf den Weg gemacht      munizieren sehr klar, was sie gut finden
nicht jeden Sonntag zum Gottesdienst ge-       und an vier, fünf Stellen im Ort Gottes-      und was sie nicht gut finden. Es ist unser
hen, gesagt: Mir fehlt der Gottesdienst an     dienst gehalten. Der Gottesdienst kam zu      Job, dass wir da ein Bindeglied sind. Dann
Weihnachten und an Ostern. Das ist den         den Menschen, und da standen plötzlich        ist es auch leicht, etwas Neues zu legiti-
Menschen jetzt sehr bewusst geworden.          ganz andere, um den Gottesdienst zu erle-     mieren, wenn die Menschen es möchten.
                                               ben. Das sollten wir mitnehmen: sich mit      Natürlich kann auch mal etwas scheitern,

?   Durch Corona sind ganz neue Got-
    tesdienst-Formate entstanden. Wel-
che Erfahrungen haben Sie gemacht?
                                               dem Gottesdienst auf den Weg machen.
                                               Und genau zu schauen, welchen Teil der
                                               Liturgie wir wirklich für welchen Gottes-
                                                                                             was man ausprobiert. Das ist überhaupt
                                                                                             nicht schlimm.

Überreiter: Ich war am Anfang irritiert,
dass unser Gottesdienst plötzlich so kurz
war. Die Gemeinde hat das sehr gut ange-
                                               dienst brauchen. Wir sollten flexibel und
                                               variabel bleiben. Traditionen sind wichtig,
                                               aber man kann sich auch wandeln.
                                                                                             ?  Wenn die Pandemie (hoffentlich) vo-
                                                                                                rüber ist, auf welchen Gottesdienst
                                                                                             freuen Sie sich dann ganz besonders?
nommen. Mein Part ist oft die Lesung, das                                                    Kickstein: Mir hat letztes Jahr der Ernte-
mache ich gerne. Danach hatte ich jetzt
das Gefühl: Ach, jetzt ist der Gottesdienst
schon wieder vorbei. Die anderen Ideen –
                                               ?   Besteht nicht die Gefahr, dass man
                                                   wieder in altes Fahrwasser gerät?
                                               Kickstein: Klar, das kann passieren. Aber
                                                                                             dank-Gottesdienst sehr gefehlt, bei dem
                                                                                             es im Anschluss immer ein Suppen-Büffet
                                                                                             gibt, wo man gemeinsam isst und sich aus-
Gottesdienste draußen oder den Fahrrad-        es ist die Verantwortung des Kirchenvor-      tauscht. Ich hoffe, dass dieses Event dieses
gottesdienst – fand ich total gut.             stands, dafür zu sorgen, dass es nicht so     Jahr wieder zulässig sein wird.
     Wenn uns die Pandemie beschert hat,       kommt. Und wenn auch die Gemeinden im         Überreiter: Für uns ist es das Krippenspiel
dass wir über Gottesdienstformate nach-        Umfeld so lebendig bleiben, ist die Gefahr    mit berstend voller Kirche, wo sich alle El-
denken und erfolgreiche Ideen entwickeln,      nicht so groß. Jetzt, wo die Hemmschwel-      tern und Geschwister förmlich übereinan-
war das ein großes Geschenk. Es gab viele      le einmal überwunden wurde, ist es leich-     derstapeln und sich über diesen wunder-
schöne Aktionen, auch Kindergottesdiens-       ter, innovativ zu denken. In meiner ersten    baren Abend freuen.
te im Freien.                                  Wahlperiode im KV habe ich noch oft den             Fragen: Olaf Dellit/Lothar Simmank

                                                                             blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 4–2021          5
Ehrenamt im Gottesdienst - FÜR MITARBEITENDE - EKKW
THEMA

Das Abendmahl als Sternstunde
Albrecht Weisker über seine Bilanz als Kirchenvorsteher nach über einem Jahr in der Corona-Pandemie

W
           ie auch immer man die Corona-
           Pandemie deuten mag: Sie ist
           eine Prüfung, persönlich, im fa-
miliären und beruflichen Kontext und für
Gesellschaft, Wirtschaft und Politik. Und
sie ist eine Provokation unseres Selbstver-
ständnisses als aufgeklärte Kirche. Dass
wegen eines Virus' Gottesdienste lange
nicht gefeiert werden durften, so etwas
hatte unsere Generation noch nicht erlebt.
     Wie als Gemeinde damit umgehen?
Im Rückblick sind die Erfahrungen wider-

                                                                                                                                            Archivfoto: medio.tv/Dellit
sprüchlich. Einerseits haben wir bald einen
guten Weg gefunden, wieder Präsenzgot-
tesdienste zu feiern. Aber anfangs gab es
auch viel Nichtwissen über das Virus, Rück-
zug, Verzagtheit. Eine Kirche der geschlos-
senen Türen, Kirchenleitungen, die wie
                                               Das große Bänkerücken: Im Mai 2020 wurden in der Friedenskirche die Bänke so verschoben,
abgetaucht wirkten – der Hoffnungsstrahl
                                               dass der Mindestabstand von 1,50 Meter garantiert war. Pfarrer Matthias Meißner, Küster
des Osterlichtes war spärlich.                 Ernst Wolter und Pfarrer Carsten Köstner-Norbisrath packten mit an
     Doch bald folgte vorsichtiges Voran-
tasten, wir schöpften neue Hoffnung. Uns       alles penibel eingehalten. Persönlich fehlt     für Sonntag Abendmahl – normalerweise.
im Kirchenvorstand war klar: Kirche ist sys-   mir das gemeinsame Singen am stärksten.         Weil der Verzicht schwer fiel, musste ein
temrelevant! So bald wie möglich wollten       Schwer zu ertragen, dass unser Kirchen-         Konzept her, für das Abendmahl „in einer-
wir wieder liturgische Angebote machen.        chor über ein Jahr nicht proben konnte.         lei Gestalt“, wie es im Theologendeutsch
Klar war aber auch, dass wir uns konse-            Aber ich gebe zu, dass ich der Situati-     heißt. Für uns wurde es eine Sternstunde.
quent an den Regelungen der Landeskir-         on auch Positives abgewinnen kann: Die              Als Pioniere im Kirchenkreis haben wir
che orientieren und ein umfassendes Hy-        Kurzform mit gestraffter Liturgie hat ihren     schon an Pfingsten 2020 wieder Abend-
gienekonzept erstellen.                        eigenen Charme, eine Rückbesinnung auf          mahl gefeiert – kontaktlos. Die Hostie et-
     So vielversprechend die neuen digita-     den Protestantismus als Worttheologie mit       wa wird mit einer Hostienzange am aus-
len Formate auch sind: mehrheitlich waren      Fokus auf Bibelwort, Predigt und Gebet.         gestreckten Arm gereicht – man muss das
wir der Auffassung, dass reale Gottesdiens-                                                    wirklich üben! Gottes guter Geist wirkt
te zentraler Bestandteil unseres gemeind-        »Als Ehrenamtlicher fühle                     weiter, nun kehrt auch der Kelch zurück:
lichen Lebens sind und wieder angeboten                                                        Pfingsten 2021 haben wir erstmals wieder
                                               ich mich im Gottesdienst gut
werden sollten. Im KV haben wir es uns                                                         Abendmahl in „beiderlei Gestalt“ feiern
nicht leicht gemacht. In intensiven, ernst-       aufgehoben und sicher.«                      können. Zwar mit Einzelkelchen aus Ton,
haften Diskussionen – bald per Videokon-                                                       aber es klappte.
ferenz – war spürbar, dass unsere indivi-          Wenn ich als Ehrenamtlicher an Got-             Einige der treuen Kirchgänger und
duellen Risikoschwellen verschieden sind.      tesdiensten mitwirke, fühle ich mich gut        Kirchgängerinnen waren regelrecht glück-
     Es war in Ordnung, dass die/der eine      aufgehoben und sicher. Die Besucher hal-        lich und beseelt. Endlich wieder Abend-
oder andere zunächst auf die gottesdienst-     ten sich an die Spielregeln, ihre Zahl bleibt   mahl in Gemeinschaft! Das ist mehr als
lichen KV-Dienste verzichtete. Für mich ist    im großen Kirchengebäude überschaubar.          nur ein Hoffnungsschimmer. ●
dieser wechselseitige Respekt und der of-      An Weihnachten allerdings, als die noch
fene, konzentrierte Austausch ein Beleg für    ungeimpfte Oma zu Besuch kam und die            Albrecht Weis-
die gute Diskussionskultur im Gremium.         Inzidenzen in die Höhe schnellten, verzich-     ker (50) ist Jour-
     Unser Hygienekonzept hat sich in der      tete ich auf den Kirchgang. Stattdessen         nalist und Kir-
Praxis bewährt. Als Nachbargemeinden           war der kreative Open-Air-Gottesdienst der      chenvorsteher in
noch auf Gottesdienste verzichteten, gin-      Kinderkirche im Park vor der Apostelkapel-      Kassel (Friedens-
gen wir schrittweise voran. Desinfektion       le eine gelungene Heiligabend-Premiere.         kirche). Er ist ver-
am Eingang, Abstand in den Bankreihen,             Als lutherisch geprägte Gemeinde            heiratet und hat
                                                                                                                                                   Foto: privat

Mund-Nasen-Schutz, Einbahn-Regelung –          feiern wir in der Friedenskirche Sonntag        zwei Kinder.

6      blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 4–2021
Ehrenamt im Gottesdienst - FÜR MITARBEITENDE - EKKW
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                                                                                              INFOKASTEN

                                                                                                       Satte 112 Seiten stark ist die neue Pra-
                                                                                                       xishilfe „Für Engagement begeistern“ der

                                                                                                                                                         Foto: medio.tv/Striepecke
                                                                                                       Fachstelle Engagementförderung. In zehn
                                                                                                       Kapiteln bekommen Freiwilligenkoordina-
                                                                                                       toren aus Kirche und Diakonie Hinweise
                                                                                                       für ihre Arbeit, ob es nun um die Baustei-
                                                                                                       ne einer nachhaltigen Ehrenamtsarbeit
                                                                                                       oder um rechtliche Fragen geht, etwa
Foto: Fachstelle Engagementförderung

                                                                                                       Versicherungen. Spirituelle Kraftquellen,
                                                                                                       Wertschätzung und die Werbung neuer
                                                                                                       Ehrenamtlicher – das Themenspektrum ist
                                                                                                       groß. Die Praxishilfe als kostenloser Down-
                                                                                                       load unter www.engagiert-mitgestalten.
                                                                                                       de/de/Praxishilfe
                                                                                                       Bestellungen der gedruckten Ausgabe per
                                                                                                       Mail: engagiert@ekkw.de

Was brauchen Ehrenamtliche in der Krise?
Blockiertes Engagement, weniger Kontakt – die Bindung von Ehrenamtlichen ist schwieriger geworden

D
         ie Corona-Krise hat deutliche Spu-          Viele Freiwilligenkoordinator*innen      drinnen, Bouletreff statt Stammtisch, digi-
         ren hinterlassen – auch im Enga-        und Verantwortliche in Kirchengemeinden      tale Kaffeekränzchen oder Online-Fortbil-
         gement. Auf der einen Seite gab         bewegt deshalb die Frage: Wie kommen         dungen von Haupt- und Ehrenamtlichen
es eine große Welle der Hilfsbereitschaft        wir aus dem Tief heraus? Wie können wir      gemeinsam.
und einen kreativen Schub. Auf der ande-         die Bindung von Ehrenamtlichen an un-             • Gemeinsam planen: Teilen Sie Po-
ren Seite waren viele Ehrenamtliche in ih-       sere Organisation auch über die Distanz      sitives und Erfolge. Laden Sie Ehrenamtli-
rem Engagement blockiert, weil Angebote          hinweg erhalten?                             che zum Brainstorming ein. Überlegen Sie
nicht mehr stattfinden konnten oder sie              • Raus aus der Blockade: Alternative,    gemeinsam: Was hat sich bewährt? Was
zur sogenannten Risikogruppe gehörten.           kontaktfreie Engagementangebote ermög-       möchten wir auch nach der Krise beibe-
     Für viele war das ein großer Einschnitt.    lichen Ehrenamtlichen, weiterhin aktiv zu    halten in unserer Gemeinde? Welche krea-
Schließlich ist eine freiwillige Tätigkeit ein   sein und Gutes zu tun. Das stärkt auch die   tiven Ideen für den Wiedereinstieg haben
positives Element im Leben. Ein Ehrenamt         Bindung an die Organisation. Auf www.        wir? Ideen spinnen, Perspektiven ausloten,
– vorausgesetzt, es überfordert nicht dau-       engagiert-mitgestalten.de haben wir dafür    Zukunft planen: Das alles setzt positive
erhaft – baut Stress ab und Energie auf.         eine Liste von Ideen und guten Beispielen    Energien frei.
Diese wichtige Ressource hat in der Pan-         aus Kirchengemeinden und Vereinen be-             • Gut begleiten: Es wäre ein Trug-
demie vielen gefehlt.                            reitgestellt.                                schluss zu glauben, aufgrund des Rück-
     Auch die zivilgesellschaftlichen Or-            • In Kontakt bleiben: Egal ob es gute    gangs von Ehrenamtlichen seien weniger
ganisationen, in denen das Engagement            News gibt oder schlechte oder gar keine      Kapazitäten für deren Begleitung nötig.
normalerweise stattfindet, sind durch            – bleiben Sie mit den Ehrenamtlichen in      Im Gegenteil: Um Ehrenamtliche zu halten
den coronabedingten Engagement-Stopp             Verbindung. Insidernews motivieren un-       und attraktiv für weitere Mitstreiter*innen
enorm gefordert. Aktuelle Studien zeigen,        gemein, und auch ein „Wie geht es dir?“,     zu bleiben, braucht es Kümmerer – mit Zeit
dass die Bereitschaft zum Engagement             „Hast du Ideen für unsere Gemeinde?“,        und Ressourcen, um Engagierte zu beglei-
im Laufe der Pandemie nachgelassen               „Was können wir für dich tun?“ sind posi-    ten, zu unterstützen und neu zu gewin-
hat. Gleichzeitig hat sich die Belastung         tive Signale. Ansonsten entsteht bei Enga-   nen. ●
für ehrenamtliche Vorstände verstärkt.           gierten schlimmstenfalls der Eindruck: Die
Durch den Rückzug von Engagierten ver-           melden sich nur, wenn sie mich brauchen,                                       Anneke Gitter-
teilt sich zum einen die Arbeit auf weniger      ansonsten bin ich ihnen egal.                                                  mann,
Schultern, zum anderen waren in der Kri-             • Das Wir-Gefühl stärken: Fast die                                         Leiterin der
se schwierige Entscheidungen von großer          Hälfte aller Vereine beklagt aktuell ein                                       Fachstelle
Tragweite zu treffen. Sorge bereitet Enga-       nachlassendes Gemeinschaftsgefühl. Vie-                                        Engagement-
                                                                                              Foto: Frank Gerhold

gementforschern insbesondere, dass durch         lerorts sind deshalb kreative Beispiele                                        förderung der
die lange Zwangspause die Bindung von            entstanden, um das Wir-Gefühl zu erhal-                                        EKKW
Engagierten an ihre Organisation bröckelt.       ten – Spaziergang draußen statt Meeting

                                                                              blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 4–2021                       7
Ehrenamt im Gottesdienst - FÜR MITARBEITENDE - EKKW
THEMA
    Fotos: medio.tv/Schauderna

„Ich singe, und ich werde gehört”
Regina Kathrin Bolle unterstützt die Gottesdienstbesucher in Vellmar als Kirchensängerin

M
          anchmal kann sie es selbst noch                             sie richtig „flashte“; das Singen war bei ihr   meindegesang zu unterstützen, auch solo
          nicht ganz glauben, nämlich                                 angekommen.                                     zu singen, wenn kein Instrument im Got-
          dann, wenn sie ihren Namen                                       Sie, die einer Familie entstammt, in der   tesdienst gespielt wird.
in der Ankündigung für die Gottesdienst                               man nur „bei Schallplatten mitgesungen“             Das Singen krempelte schier ihre Per-
schwarz auf weiß in der Zeitung liest –                               hat, traute sich bald immer mehr zu. Regi-      sönlichkeit um, sie wurde sogar zur Früh-
aber ja, das ist sie tatsächlich, „Kirchen-                           na Bolle scheint keine Frau fürs Zaudern        aufsteherin und sang bald in fast jedem
sängerin“ Regina Kathrin Bolle.                                       zu sein, sondern packt die Gelegenheiten        Sonntagsgottesdienst. Zunächst nur in der
    Die Frau mit den blitzkurzen roten                                beim Schopf. Ebenso entschieden, wie sie        Gemeinde, aber so kräftig, dass sich an-
Haaren, die sie „Corona-Mecki“ nennt, und                             damals bei der zweiten Begegnung den            dere gern an ihre Stimme „dranhängten“.
den schwingenden Ohrringen wartet vor                                 Pfarrer bat, „Können wir uns nicht duzen?“,     Inzwischen lässt sie weiter ihre Stimme
der Vellmarer Adventskirche, den Kirchen-                             und wie sie auch die Interviewerin rasch        ausbilden, freut sich immer, wenn sie im
schlüssel in der Hand. Denn in ihrer Kirche                           ums Du bittet, so machte sie auch beim          Gottesdienst auftreten kann – zur Corona-
singt sie nicht nur an den Sonntagen für                              Singen keine halben Sachen. Sie nahm            Zeit ein Privileg: Sie ist eine der wenigen
die Gemeinde und übt – neuerdings – das                               Gesangsunterricht, begann ihre Stimme zu        Personen, die öffentlich singen darf!
Orgelspielen, sondern hier ist sie auch mit                           entdecken, und siehe da, es kam vieles zu-          Sie stellt selbstbewusst fest, dass sie
einer Viertelstelle Küsterin, sichtlich mit                           tage. Zunächst einmal mussten die damals        jemand „für die Bühne“ ist, in diesem Fall
Schlüsselgewalt.                                                      meterlangen Dreadlocks ab, die kiloschwer       also die Empore der Adventskirche, und
    Dass sie heute so zu Hause ist in dem                             zur Verspannung ihres Nackens beitrugen.        nicht der Typ Sängerin für daheim, sie
50er-Jahre-Backsteinbau, war vor wenigen                                                                              liebt das Echo im Gottesdienst: „Ich singe,
Jahren nicht absehbar. Nach einem beweg-                              Die Haare waren zu schwer                       und ich werde gehört!“ Bereits zu Beginn
ten Leben – das Regina Bolle früh nach                                                                                ihrer Kirchensängerzeit hatte sie erfreut
Israel und Afrika führte, das nach einem                                  Beim Singen aber sollten der Hals           bemerkt, wenn die Menschen in den Rei-
Lehramtsstudium dann sie über eine Ergo-                              entlastet, Kopf und Körper beweglich            hen um sie herum dank ihres Einsatzes die
therapieausbildung schließlich zur eigenen                            sein und die Sängerin bereit, loszulassen,      Lieder lauter und freudiger mitsangen –
Praxis als Heilpraktikerin und Klangpäda-                             immer wieder locker zu sein ... Dann ent-       denn da war ja Regina Bolle, auf die sich
gogin brachte – näherte sie sich eigentlich                           puppte sich ihre Stimme, von der Bolle ge-      die anderen stützen konnten. Heute ist sie,
durch einen Zufall der Kirche an.                                     meint hatte, es sei eine tiefe („Ich begann     die anfangs kaum Choräle kannte, mit ei-
    Der „lebendige Advent“ war es vor                                 als stolze Tenöse“), als Sopran. Es dauerte     nem breiten Repertoire an Kirchenliedern
sechs Jahren, durch den sie in der Gemein-                            nicht lange, bis sie 2019 die Ausbildung        vertraut, bereitet sich zu Hause auf ihren
de „andockte“. An einer Andacht nahm sie                              zur Kirchensängerin an der Kirchenmusi-         Sonntagseinsatz vor und freut sich, wenn
mit ihren Klangschalen-Tönen teil, kurz da-                           kalischen Fortbildungsstätte absolvierte.       einst wieder alle mit einstimmen dürfen.
rauf begann sie, zuerst zaghaft, dann bald                                Kaum hatte sie davon erfahren, war          Denn „ohne Gesang“, sagt sie und schüt-
überzeugt, im Gospelchor zu singen. Ein                               sie schon angemeldet und hat an drei Wo-        telt ihre Ohrringe, „ohne Gesang ist das
Gesangs-Workshop war es schließlich, der                              chenenden das Wichtigste gelernt: den Ge-       nichts!“ ●             Anne-Kathrin Stöber

8                                blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 4–2021
                                                                           1–2021
Ehrenamt im Gottesdienst - FÜR MITARBEITENDE - EKKW
THEMA

An Heiligabend ins kalte Wasser
Oliver Vogeltanz begeisterte sich von klein auf für die Orgel – heute ist er ein gefragter Organist in Kassel

E
      r war noch ein Junge und sang im         „Ja, stimmt.“ Es ist natürlich ein passendes   den und sagt: „Ich liebe es, den Menschen
      Kinderchor, als die Kantorin eines Ta-   Bild für ihn. Mit kaltem Wasser hat er näm-    etwas zu geben – die Orgel macht doch
      ges zu einem Besuch der Orgel einlud     lich unter der Woche zu tun als gelernter      die Atmosphäre im Gottesdienst!“
– jeder durfte darauf spielen. Oliver Vogel-   Schwimmmeister, der sich jetzt sehr über           Da wegen der Pandemie sonst nie-
tanz erinnert sich: dort begann seine Orgel-   die Wiedereröffnung der Bäder im zweiten       mand singen darf, tut er es – singt mit,
leidenschaft. „Das will ich einmal machen,     Corona-Sommer freute.                          während er orgelt. Überhaupt hat er sich
wenn ich groß bin!“                                Zunächst hatte er Koch gelernt, ging       in den Livemusik-armen Monaten verdient
     Der 30-Jährige ist in der Kasseler Mar-   zum Ausgleich in die Sauna und mach-           gemacht: Zu den Festen vom Kirchturm
kuskirchengemeinde aufgewachsen und            te dort gelegentlich selbst die Aufgüsse;      trompetet oder an den Sonntagabenden
lebt bis heute im Stadtteil. In der hellen,    dann wurde aus dem Hobby mehr. Eines           der Nachbarschaft Konzerte gegeben:
modernen Kirche im Auefeld wurde er ge-        Tages fragte ihn der Saunachef, ob er          Fenster auf, Lautsprecher an und dann
tauft, konfirmiert und spielt heute an vie-    nicht den Beruf wechseln wolle – und Vo-       Bach auf der Heimorgel. Vogeltanz findet:
len Sonntagen die Orgel. Wie groß schon        geltanz wurde Schwimmmeister. Gleichzei-       „Musik verbindet doch!“
früh seine Begeisterung für die Königin        tig brachte ihn der Unterricht bei einem           Er macht das alles mit Herzblut und
der Instrumente war, zeigt sein Lernei-        Kasseler Organisten auch an der Orgel          schätzt sich glücklich, dass seine Freundin
fer: Ohne Klavierunterricht und aus einer      weiter.                                        die musikalischen Einsätze unterstützt.
„nicht besonders musikalischen Familie“                                                       „Die Woche über oft auswärts arbeiten
stammend, brachte er sich an der Heimor-                                                      und am Sonntag früh aufstehen zum Or-
                                                »Die Orgel macht die Atmo-
gel in der Jugend die ersten Stücke bei –                                                     geln, damit muss jemand auch einver-
ein wenig Trompete konnte er schon spie-         sphäre im Gottesdienst.«                     standen sein.“ Ziemlich kontrastreich:
len und Noten lesen – und bald war er so                                                      Heute Barockmusik, und morgen muss er
weit, dass er zu kleineren Andachten als                                                      Schwimmbad-Chaoten zur Räson bringen?
Organist angefragt wurde.                          Dennoch war klar, dass mangels Stel-       „Ich bin nicht zimperlich, wenn die Stress
     Dann kam Heiligabend 2009, Vo-            len die fernere Zukunft nicht etwa „Kan-       machen“, sagt er.
geltanz war 19 Jahre alt und der für die       tor“ heißen konnte; doch war er bald in            Respekt sei am Beckenrand oft Man-
Christvesper eingeplante Musiker plötzlich     der Markus- und später in der Paul-Ger-        gelware – und auch betreffs Einsparungen
erkrankt. Anruf des Pfarrers: Können Sie       hard-Kirche, wo er im Kirchenvorstand ist,     im kirchenmusikalischen Sektor ließe sich
aushelfen? Kein Zögern, er sagte zu und        als Organist so gefragt, dass er aus dem       vieles bemängeln. Macht er aber nicht,
meisterte mit viel Mut den Abend in der        „Ehrenamt“ herauswuchs und sich vertrag-       sondern sagt zum Abschied strahlend:
vollbesetzten Kirche. „Ein echter Sprung       lich fester einbinden ließ. Sonntags ist er    „Die Orgel, die ist einfach das tollste In-
ins kalte Wasser?“, fragt man ihn beim Ge-     nun hier oder dort im Einsatz, schätzt die     strument!“ ●
spräch in der heute leeren Kirche. Er lacht.   unterschiedliche Ausstrahlung der Gemein-                            Anne-Kathrin Stöber

                                                                                                                                            Fotos: medio.tv/Schauderna

  Sein Platz ist
  die Orgelbank:
  Organist Oliver
  Vogeltanz in der
  Markuskirche in Kassel

                                                                              blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 4–2021         9
Ehrenamt im Gottesdienst - FÜR MITARBEITENDE - EKKW
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„Kirche geht
nicht ohne
Ehrenamt“

C
       hristine Trosien (59) ist Küsterin und
       Kirchenvorsteherin in Hasselroth-
       Niedermittlau (Main-Kinzig-Kreis).
Seit einem Jahr gehört die dreifache Mut-
ter und Oma einer Enkeltochter dem Lan-
desküsterbeirat an. Im Interview spricht

                                                                                                                                                   Foto: Kilian Trosien
die leidenschaftliche Näherin und Imkerin
über ihr Engagement für die Kirche.

?  Sie sind Physiotherapeutin und wa-
   ren katholisch. Wie wird man da
Küsterin in einer evangelischen Kirche?
                                                Die Altargestaltung ist nur ein kleiner Teil der Arbeit: Küsterinnen wie Christine Trosien haben
                                                ein breites Aufgabenfeld. Im Interview erzählt sie davon.

Christine Trosien: Da kommt man dazu            Trosien: Ganz klar die Begegnung mit             land funktionieren. Das ist also nicht nur
wie die Jungfrau zum Kind (lacht). Ich          den Menschen. Wir sind seit 2014 Offene          ein Problem unserer Landeskirche.
hatte eigentlich nie viel mit Kirche am         Kirche, und da erlebe ich öfter, dass Men-
Hut, aber das hat sich geändert, als mei-
ne Kinder konfirmiert wurden. Dann habe
ich selbst beim Weltgebetstag der Frauen
                                                schen in die Kirche kommen, weil sie die
                                                Nähe zu Gott suchen. Da hatte ich zum
                                                Beispiel ein sehr berührendes Gespräch
                                                                                                 ?  Es ist eine Frage des Geldes ….?
                                                                                                    Trosien: Sicher auch. Aber umso wich-
                                                                                                 tiger ist es, dass die Kirche auf die Bedürf-
mitgemacht, und irgendwann wurde ich            mit einer Witwe. Mir gefällt aber auch das       nisse der Ehrenamtlichen eingeht. Mir
in den Kirchenvorstand berufen. Als dann        Arrangieren. Das Ganze mit der biblischen        wäre zum Beispiel geholfen, wenn ich die
meine Vorgängerin in den Ruhestand              Geschichte zu verbinden ist eine große           Glocken von zu Hause aus programmieren
ging, habe ich mich beworben.                   Freude für mich. Und man kann sich mit           könnte. Technisch geht so etwas. In so ei-
                                                seinen Ideen einbringen.                         ner großen Organisation dauern aber Ent-

?  Als Küsterin bereiten Sie den Gottes-
   dienst vor; welche weiteren Aufga-
ben übernehmen Sie?                             ?  Das heißt, Sie sind stark eingebun-
                                                   den. Sind Sie fest angestellt?
                                                                                                 scheidungen unglaublich lang. Von ande-
                                                                                                 ren Küstern höre ich auch die Wünsche, es
                                                                                                 mögen freie Sonntage eingehalten werden
Trosien: Neben der Gestaltung des Altars        Trosien: In erster Linie arbeite ich eh-         und es solle möglichst wenig kurzfristige
mit Blumen, Kerze und dem Parament die          renamtlich. Zwar habe ich einen Vertrag          Änderungen durch die Pfarrer geben.
Lieder stecken und bei Feierlichkeiten wie      über sechs Stunden im Monat, das macht
zum Beispiel Taufen die Taufeltern emp-
fangen. Bei uns kommt dann noch die Pro-
grammierung der Glocken hinzu, und das
                                                ungefähr 80 Euro. Aber meistens bin ich
                                                zehn bis fünfzehn Stunden in der Kirche
                                                beschäftigt. Ich mache zwar im Sommer
                                                                                                 ?   Sie sitzen seit 2020 im Landesküs-
                                                                                                     terbeirat. Welche Aufgabe hat der?
                                                                                                 Trosien: Wir sind Ansprechpartner für un-
nicht nur für die Gottesdienste, sondern        einen langen, fünfwöchigen Urlaub, aber          sere Kollegen in allen beruflichen Belan-
auch für die Todesfälle.                        mit den zusätzlichen Angeboten für Kin-          gen. Fortbildungen sind unheimlich wich-
                                                der, Konfis und Senioren kommen wir in           tig, denn Küster ist ja kein Lehrberuf. Dort

?   Das klingt für mich Stadtmensch et-
    was fremd ...
Trosien: Wenn jemand aus der Gemeinde
                                                unserer Gemeinde auf knapp 100 Gottes-
                                                dienste. Das könnte die Kirche gar nicht
                                                alles bezahlen ...
                                                                                                 tauschen wir auch Ideen aus: zum Beispiel
                                                                                                 für Karfreitag eine Dornenkrone mit Zwei-
                                                                                                 gen aus der Natur mit viel Au und Weh zu
stirbt, werden bei uns im Dorf fünf Minu-                                                        winden. Die Idee habe ich von einer ande-
ten die Glocken geläutet: wochentags um
16 Uhr, sonntags um 12 Uhr. Und dann
nochmal bei den Beerdigungen. Da über-
                                                ?  Was würden Sie sich wünschen?.
                                                   Trosien: Manchmal würde ich mir mehr
                                                Wertschätzung wünschen. Ich weiß, dass
                                                                                                 ren Küsterin übernommen. Und ich habe
                                                                                                 wiederum meinen „Altar to go“ vorgestellt:
                                                                                                 eine Kiste, in der alles für einen Gottes-
nehme ich das übrigens auch für die ka-         unser Kirchenvorstand mir auch gerne             dienst an anderen Orten enthalten ist.
tholischen Brüder und Schwestern, denn          mehr Stunden bezahlen würde, aber er             Angefangen von Kerze, Feuerzeug, Kreuz
die haben leider keine Glocke.                  hat eben nur einen kleinen Etat. Die Ge-         und Hussen samt Stecknadeln und sogar
                                                meinden fühlen sich oft in wirtschaftlicher      einer Bluetooth-Box. Damit kann man aus

?    Sie sind seit Ende 2014 Küsterin.
     Was gefällt Ihnen an Ihrer Arbeit?
                                                Sicht im Stich gelassen. Deshalb könnte
                                                ohne Ehrenamt keine Kirche in Deutsch-
                                                                                                 jedem Bierzelttisch einen Altar machen. ●
                                                                                                             Fragen: Christine Lang-Blieffert

10
THEMA

Aus dem Feuerwehrauto an den Altar
190 Prädikanten in Kurhessen-Waldeck feiern als Ehrenamtliche Gottesdienste – auch sie trifft Corona

S
      ie leiten Firmen, pflegen im Kranken-
      haus oder löschen hauptberuflich
      Brände – und stehen in ihrer Freizeit
auf einer Kanzel, auf dem Friedhof oder
vor einem Brautpaar: 190 Prädikanten
und Prädikantinnen tun in der Evangeli-
schen Kirche von Kurhessen-Waldeck ihren
Dienst und sind, wie es Irmhild Heinicke
formuliert, ein Schatz für die Landeskirche.
    Pfarrerin Heinicke ist Studienleiterin
und organisiert die Ausbildung für das

                                                                                                                                             Fotos: medio.tv/Schauderna
Ehrenamt. Wer Prädikant werden möch-
te, muss einige Voraussetzungen erfüllen,
dazu gehören theologische und biblische
Kenntnisse, aber auch die Fähigkeit, seel-
sorgerliche Gespräche zu führen. Wer
vorgeschlagen und von der Bischöfin
zugelassen wird, kann die 15-monatige          Einsegnung von Prädikantinnen 2019: Kreissynoden-Präses Jürgen Schmitt, Prälat Bernd Bött-
Ausbildung beginnen, die aus einer Ein-        ner und Pfarrerin Irmhild Heinicke (von links) im Festgottesdienst 2019 in Schlüchtern
führungswoche, sechs Wochenenden und
zwei Studientagen besteht.                     matisch gewesen. Von elf Kursteilnehmern       oder das Gefühl hätten, ihre Ideen seien
    Prädikanten dürfen Abendmahlsgot-          hätten nur zwei Abendmahlsgottesdienste        nicht gefragt. Der Wunsch, auf Augenhöhe
tesdienste leiten und haben das Recht zur      feiern können. Da sei noch viel nachzuho-      mitzuwirken, sei da – und biete Potenzial.
freien Wortverkündigung, schreiben also        len.                                           Sie wünsche sich zum Beispiel in Koope-
ihre Predigten selbst. Wer ein Aufbaumo-                                                      rationsräumen Dienstbesprechungen mit
dul absolviert, ist auch für Taufen, Trauun-           »Die Sache Jesu                        allen, die Gottesdienste halten.
gen und Beerdigungen qualifiziert.                                                                Corona hat dafür gesorgt, dass neue
                                                    braucht Begeisterung.«
    Während Pfarrerinnen und Pfarrer                                                          Gottesdienstformen ausprobiert werden
häufig einen sehr ähnlichen Hintergrund                                                       mussten. Die Resonanz sei unterschied-
hätten, brächten Prädikanten neue, ande-           Einige hätten sich aber auch mit gro-      lich: Manchen Prädikanten hätten kürzere
re Aspekte in die Verkündigung ein, sagt       ßem Erfolg in digitalen und anderen For-       Formen sehr gefallen, andere vermissten
Heinicke. Das sieht Marita Natt genau-         maten erprobt, etwa mit schriftlichen Got-     den klassischen Gottesdienst. Klar sei aber,
so. Die frühere Prälatin ist Beauftragte       tesdiensten an der Wäscheleine. Es habe        so Natt, dass sich in der Gottesdienstland-
                           der Bischöfin für   sich gezeigt, dass Predigtwerkstätten auch     schaft etwas verändert habe und vieles
                           den Prädikanten-    digital gut machbar seien, gerade wenn         von dem Neuen auch bleiben werde.
                           dienst und freut    sich die Gruppe schon kenne. Wenn es               Die Prädikanten seien keine Lücken-
                           sich über die       aber darum gehe, sich kennenzulernen           füller, sagen beide Verantwortliche, aber
                           „bunte Gruppe“.     und Vertrauen zueinander zu fassen, so         wichtig, um zu helfen, wenn etwa eine
                           Als sie gefragt     Heinicke, müsse man sich real treffen.         Pfarrerin fünf Predigtstellen betreue. Vor
                           worden sei, ob          Diese Verbindungen hielten auch in         allem seien sie ein Schatz mit anderen Le-
                           sie das Ehrenamt    der Krise, hat Natt beobachtet. So hätten      benserfahrungen und -entwürfen.
                           übernehmen wol-     sich Prädikanten gegenseitig ihre digitalen        Natt fasst die Arbeit mit den Prädikan-
Marita Natt
                        le, habe sie nicht     Gottesdienste zugeschickt und um Rück-         ten so zusammen: „Die Sache Jesu braucht
lange gezögert, erzählt Natt: „Ich bin jeden   meldungen gebeten.                             Begeisterung – das erlebe ich dort.“ ●
Tag dankbar, dass ich ja gesagt habe.“             Die Tatsache, dass wegen Corona viel                                       Olaf Dellit
    Wie überall, hat das Virus auch die        weniger Gottesdienste gefeiert wurden, ha-
Prädikantenarbeit beeinträchtigt. „Das war     be dazu geführt, dass die Prädikanten we-     KONTAKT
unter Coronabedingungen sehr schwierig“,       niger eingesetzt wurden, berichtet Heini-       Informationen zur Prädikanten-Ausbildung
sagt Heinicke über die Ausbildung. Gera-       cke. Es könne zu Frustration führen, wenn       gibt Pfarrerin Irmhild Heinicke:
de mit den praktischen Teilen, also den        die Ehrenamtlichen nicht in die Gottes-         Mail: irmhild.heinicke@ekkw.de
Gottesdiensten in Präsenz, sei es proble-      dienstkonzeptionen eingebunden würden           Tel. 05671/ 881254

                                                                              blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 4–2021         11
THEMA

„Die Vielfalt wird nach Corona bleiben“
Pfarrerin Margit Zahn über die veränderten Formen von Gottesdiensten

A
        ls Studienleiterin der Arbeitsstelle                                                  sicher leichter. Menschen sind überrascht

                                               Foto: Eugen Sommer
        Gottesdienst ist Pfarrerin Margit                                                     und neugierig, was alles möglich ist.
        Zahn Expertin für alle Fragen rund                                                        Ich feiere viele Zoom-Gottesdienste mit
um den Gottesdienst. Im Interview spricht                                                     und vermute, dass da Menschen sind, die
sie über neue und klassische Formen und                                                       sonst keine Präsenzgottesdienste feiern. Es
die Frage, was nach Corona kommt.                                                             gibt jetzt eine große Bereitschaft der Kir-
                                                                                              che, sich zu öffnen – und umgekehrt eine

?  Nehmen wir an, jemand wäre mit
   Kirche überhaupt nicht vertraut und
fragt Sie: Was ist das, ein Gottesdienst?
                                                                                              Bereitschaft, plötzlich bei Kirche dabei zu
                                                                                              sein. Da gibt es sehr schöne Beispiele.

Margit Zahn: Menschen sprechen mit Gott
und kommen mit Gottes Wort in Berüh-
rung. So unterschiedlich Gottesdienste sein
                                                                                              ?   Was, glauben Sie, wird bleiben?
                                                                                                  Zahn: Die Grundhaltung der Vielfalt
                                                                                              wird bleiben. Es wird nicht mehr das Bild
mögen. Das gehört dazu.                                                                       des einen Gottesdienstes geben. Wenige
                                                                                              Gemeinden werden aus eigenen Kräften

?  Ist der Gottesdienst im Leben einer
   Kirchengemeinde ein Element unter
vielen oder das unstrittige Zentrum?
                                               Zahn: Für Menschen wird der Gottesdienst
                                               wichtig, wenn er sich mit ihrer aktuellen
                                               Lebenssituation gut verknüpfen lässt. Ich
                                                                                              zu Gottesdiensten in unterschiedlichen For-
                                                                                              men einladen können. Vielfältig feiern, das
                                                                                              wird aber kooperativ und in den Regionen
Zahn: Im Leben einer Kirchengemeinde           verstehe Gottesdienst da sehr weit. Es ist     gehen. Das werden die Fragen sein: In wel-
passiert sehr viel mehr als Gottesdienst.      nicht nur der Sonntag-10-Uhr-Gottesdienst,     cher Kirche feiern wir sonntags in welchem
Aktuelle Untersuchungen zeigen aber: Ge-       sondern es sind auch Beerdigungen. Oder        Rhythmus klassisch weiter? Was werden
rade Menschen, die mit der Kirche wenig        man findet in der Kapelle im Krankenhaus       wir lassen müssen? Wo gibt es junge Leu-
in Kontakt sind, haben den Eindruck, Kir-      einen schriftlichen Impuls vor oder hört ei-   te, die weiter andere junge Leute digital
che – das ist Gottesdienst. Kirche wird sehr   ne Andacht.                                    einladen? Wer kann geistliche Abendspa-
stark mit dem Gottesdienst sonntagsmor-                                                       ziergänge gestalten? In der EKKW werden
gens um 10 Uhr identifiziert. Es braucht
Zeit, bis es im Blick vieler Menschen ist,
dass es längst eine große Vielfalt gibt –
                                               ?   Gibt es einen Punkt, wo Sie sagen:
                                                   Das ist kein Gottesdienst mehr?
                                               Zahn: Wichtig ist, dass es ein Gebet gibt
                                                                                              solche gemeinsamen gottesdienstlichen
                                                                                              Initiativen perspektivisch unterstützt.

gerade auch unter Corona.
    Der Gottesdienst ist eine Kraftquelle
– auch für viele Aktive in den Gemeinden.
                                               – eine Adressierung an Gott – und einen
                                               Impuls für das eigene Leben. Kein Gottes-
                                               dienst wäre es, wenn es der Weite und der
                                                                                              ?   Zwei Szenarien sind nach Corona
                                                                                                  denkbar: Entweder die Leute strö-
                                                                                              men in die Gottesdienste, oder sie
Verantwortliche wünschen sich, dass in         Zuwendung Gottes in Jesus Christus wider-      haben sich an ein Leben ohne Gottes-
einem Gottesdienst möglichst alle zusam-       sprechen würde. Wenn inhaltlich Dinge          dienst gewöhnt. Womit rechnen Sie?
menkommen. Dieses Bild von dem einen           vertreten werden, die menschenverachtend       Zahn: Ich frage oft Menschen, die früher
Gottesdienst als „die Mitte der Gemeinde“      oder ausgrenzend sind, dann ist es kein        regelmäßig in den Gottesdienst gekom-
verändert sich.                                Gottesdienst. Es ist also eher eine inhalt-    men sind. Die warten sehr darauf, dass et-
                                               liche Frage. Die Formen sind veränderbar.      was wiederkommt, das fest zu ihrem Leben

?  Der Gottesdienst ist also ein Aus-
   hängeschild der Gemeinde?
Zahn: Der Gottesdienst ist da zentral. In      ?   Corona hat große Einschnitte und
                                                   Innovationen gebracht. Ist das eher
                                                                                              gehört. Sie werden wiederkommen. Ich be-
                                                                                              fürchte aber, dass die Zahl der Menschen
                                                                                              in Gottesdiensten kleiner werden wird.
der Außenwahrnehmung hieß es unter Co-         Fortschritt oder Einschränkung?                     Ich habe Menschen getroffen, die Fern-
rona oft: Was ist mit den Kirchen? Was ist     Zahn: Beides. Musik im Raum, gemeinsam         sehgottesdienste für sich entdeckt haben,
mit den Gottesdiensten? Es war den Ge-         singen, sich versammeln, Brot und Kelch        von denen ich das nicht erwartet hätte.
meinden sehr wichtig, den Gottesdienst         teilen – die Menschen, die das lieben, ver-    Da passiert auch viel, das Menschen geist-
durchzuhalten; gerade in der Zeit, wo vie-     missen viel, ich auch. Aber ich sehe auch      lich stärkt. Eine Rolle spielt sicher das Ge-
les nicht stattfinden konnte.                  sehr viel sehr Positives. Ich war 31 Jahre     fühl von Zeitgleichheit, also dass ich das
                                               lang Gemeindepfarrerin, bin jetzt seit sie-    gleichzeitig mit vielen anderen gucke. Wir

?  Es verändert sich viel in der Gottes-
   dienstlandschaft. Welche Entwick-
lungen beobachten Sie?
                                               ben Jahren in der Beratung und habe er-
                                               lebt, dass Veränderungen im Blick auf den
                                               Gottesdienst schwergefallen sind. Das wird
                                                                                              müssen aber auch dem Rechnung tragen,
                                                                                              dass die Rhythmen der Menschen sehr un-
                                                                                              terschiedlich sind. ●  Fragen: Olaf Dellit

12     blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 4–2021
THEMA

                        Zwischen Kreativität und Zwangspause
                        Auch für Lektoren bringt die Corona-Krise neue Herausforderungen, die überall anders erlebt werden

            L
                             ektor Manuel Haim hat auch in der
                             Corona-Zeit viel zu tun in seiner Kir-
                             chengemeinde. Zu normalen Zeiten
                        ist er einmal pro Monat für einen Got-
                        tesdienst im Einsatz, jetzt produzierte er
                        gemeinsam mit Dr. Sigrid Popp Video-
                        Kurzgottesdienste. Das ist, wie er erzählt,
                        viel Aufwand. Für die Bearbeitung eines
                        20-Minuten-Films brauche er bis zu zwei
                        Stunden, sagt der Informatiker.
                            Doch die Resonanz sei, besonders in
                        den ersten Monaten, gut gewesen. Gleich-
                        zeitig sei bei ihm und bei den Gemein-

                                                                                                                                                                    Foto: Annika Wölfel
                        degliedern die Freude groß gewesen, als
                        es wieder Präsenzgottesdienste gab. Sich
                        nach zwei Monaten Pause wiederzusehen
                        und einfach mal zu fragen: „Wie geht es
                        dir?“, das sei gut und wichtig.               Froh über die vielen Möglichkeiten in der Gemeinde: Manuel Haim ist Lektor in der Marburger
                            Nicht überall werden Lektoren und         Markuskirchengemeinde, aber auch Kirchenvorsteher und stellvertretender Organist
                        Lektorinnen in Pandemiezeiten so gut in
                        die Arbeit einbezogen wie in Haims Mar-       auch neue Herausforderungen, sagt Uwe          manchmal, wenn die Vorlage passt, lese er
                        kusgemeinde in Marburg, bemängeln Su-         Degenhardt und erzählt von einer Lektorin      sie auch komplett so vor.
                        sanne Stoklasa und Uwe Degenhardt, die        in der Ausbildung, die sich keinen Compu-          Haim ist Lektor, aber auch im Kirchen-
                        die Lektorenarbeit der Landeskirche leiten.   ter für die Online-Seminare leisten könne      vorstand und an der Orgel aktiv, bei der
                        Es gebe Gemeinden, wo Lektoren während        und ihr Handy nutzen müsse. Da wünsche         Gestaltung der Internetseite bringt der
                        Corona keine Gottesdienste feiern durften.    er sich mehr Unterstützung für die Arbeit.     38-Jährige sein Fachwissen ein. Das sei
                        Einige hätten sich aber auch wegen Ge-                                                       eher die Regel bei Lektoren, so Stoklasa,
                        sundheitsbedenken selbst zurückgezogen.            »Die Lektorenarbeit ist                   viele hätten auch andere Ehrenämter.
                            Wieder andere entwickelten große Kre-                                                        Ihre Bedeutung dürfte in Zukunft eher
                                                                          eine Erfolgsgeschichte.«
                        ativität und arbeiteten flexibel mit, sagt                                                   noch wachsen, so werden Lektoren ab
                        Stoklasa, etwa bei Online-Formaten. Unter                                                    2022 voraussichtlich auch Abendmahls-
                        den 721 Lektoren der EKKW gebe es ei-             Lektoren haben im Gegensatz zu Prä-        gottesdienste halten dürfen. Für Uwe
                        ne große Bandbreite, erzählt Degenhardt,      dikanten (siehe Seite 11) nicht das Recht      Degenhardt ist klar: „Die Lektorenarbeit
                        sie seien sehr unterschiedlicher Herkunft     zur freien Wortverkündigung, sie schreiben     in Kurhessen-Waldeck ist eine Erfolgsge-
                        und hätten diverse Hintergründe. Und das      ihre Predigten nicht selbst, sondern nutzen    schichte.“ Diesen Satz würde Manuel Haim
                        spiegele sich auch in den Ansichten wäh-      spezielle Lektorenpredigten. Das bedeutet      sicher unterstreichen. Er sagt: „Ich freue
                        rend Corona: Einige bevorzugten den klas-     aber nicht, dass die Männer und Frauen         mich, in der Gemeinde so viele Möglich-
                        sischen Gottesdienst, andere freuten sich     einfach einen Text vorlesen. Bevor sie auf     keiten zu haben, mich auszuprobieren.“ ●
                        über neue (Kurz-)Formen. Doch es gebe         die Kanzel steigen, eignen sie sich den                                       Olaf Dellit
                                                                      Text an, erklärt Stoklasa. Der rote Faden
                                                                      der Lektorenpredigt soll erhalten bleiben,     NEUE KURSE IM HERBST 2021
                                                                      aber eigene Beispiele eingefügt, eigene
                                                                      Worte gefunden werden. „Das muss in             Neue Ausbildungskurse für Lektoren und
                                                                      einen guten Einklang kommen“, sagt sie.         Lektorinnen beginnen im September 2021
Foto: medio.tv/Simmen

                                                                                                                      in Schwalmstadt und in Bad Hersfeld. Uwe
                                                                          Diese Arbeit kann bei Manuel Haim
                                                                                                                      Degenhardt weist darauf hin, dass in den
                                                                      bis zu acht Stunden dauern, erzählt er. Er
                                                                                                                      Kursen noch Plätze frei sind.
                                                                      sehe sich den Predigttext und mehrere Lek-      Kontakt unter
                                                                      torenpredigten – auch ältere – an. Einlei-      uwe.degenhardt@ekkw de
                                                                      tung und Schluss formuliere er fast immer       Tel. 0561/ 9378 401
                        Experten für Lektorenarbeit: Susanne Sto-
                        klasa und Uwe Degenhardt (Archivbild)         selbst, manchmal setze er seine Predigt         susanne.stoklasa@ekkw.de
                                                                      aus fünf, sechs Vorlagen zusammen. Und          Tel. 0561/ 9378437

                                                                                                     blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 4–2021         13
LANDESKIRCHE

„Bonhoeffer hätte da nicht mitgemacht“
Journalist Arnd Henze über Querdenker, die sich in Bonhoeffers Tradition sehen

A
        rnd Henze, 59, ist Reporter           Nachdenken gebracht hat. Sie sind zu
        und Redakteur beim Westdeut-          belanglosen, kitschigen Kalenderweishei-
        schen Rundfunk mit Schwer-            ten geworden, die man auf irgendwelche
punkt investigativer Journalismus. Henze      bunten Bildchen von Frühlingslandschaf-
ist verheiratet und Vater von drei Kin-       ten gesetzt hat.
dern. Als Synodaler der EKD und seiner            Wenn man etwas so aus dem Zusam-
Landeskirche engagiert er sich ehren-         menhang reißt, wird es beliebig, und jeder
amtlich. Er hat sich damit befasst, wie       kann es vereinnahmen, wenn er sich mit
sogenannte Querdenker Dietrich Bon-           dem großen Namen Bonhoeffer schmü-
hoeffer für sich zu vereinnahmen suchen.      cken will. Dann kann es einen nicht mehr
                                              wundern, dass die AfD genauso „Von gu-

?

                                                                                                                                           Foto: Solveig Böhl
   Können Sie sich vorstellen, dass           ten Mächten wunderbar geborgen“ auf ih-
   Dietrich Bonhoeffer heute bei einer        re Facebook-Kachel setzt, wie das Kirchen-
Querdenker-Demo mitliefe?                     gemeinden machen.
Arnd Henze: Das halte ich für ausge-
schlossen. Dietrich Bonhoeffer hat sich
in seinem Denken, seinem Handeln und
in seiner Theologie immer an der Realität
                                              ?  Sie beobachten einen längeren Pro-
                                                 zess am rechten Rand, sich Bonhoef-
                                              fer einzuverleiben. Begonnen habe das
                                                                                             ren die Geschichte so um, dass es eine
                                                                                             Kontinuität gibt von der NS-Diktatur über
                                                                                             die SED-Diktatur bis zur „Merkel-Diktatur“
orientiert – und nicht umgekehrt sein Den-    in den USA. Wie funktionierte das?             und dem „rot-grünen Zeitgeist“ heute.
ken oder seine Theologie einer Ideologie      Henze: Ein sehr prominenter Autor, Eric            Umgekehrt zieht man eine Traditionsli-
untergeordnet –, sodass er diesen Mix aus     Metaxa, hat eine Biografie geschrie-           nie von der Bekennenden Kirche und dem
Realitätsverweigerung, Verschwörungs-         ben und versucht, Bonhoeffer zu einem          Widerstand gegen Hitler über die, die in
ideologien und Ressentiments niemals          Evangelikalen umzudeuten. Das wirkte           der DDR Widerstand geleistet haben, bis
mitgemacht hätte.                             zunächst innerkirchlich, aber Metaxa ist       zu denen, die heute gegen die „Merkel-Dik-
                                              dann durch die Talkshows gezogen und           tatur“ Widerstand leisten. Als diese Stra-

?  Trotzdem stellen sich Menschen aus
   dieser Szene in die Bonhoeffer-Tradi-
tion. Wie kommt das zustande?
                                              hat die aktuelle Situation in den USA –
                                              damals noch unter Obama – als eine Lage
                                              beschrieben, in der man so wie Bonhoeffer
                                                                                             tegie von der AfD festgeschrieben wurde,
                                                                                             hat man das auch in Kirchenkreisen für
                                                                                             abstrus gehalten. Man hätte es viel ernster
Henze: Es ist ein völlig sinnentleertes       Widerstand leisten müsse. Als es dann um       nehmen und erkennen müssen, dass man
Widerstands-Pathos, das schon lange vor       die Frage Donald Trump oder Hillary Clin-      sich nur mit einer ganz starken Erinne-
Corona in rechten Kreisen gepflegt wurde.     ton ging, war es Metaxa, der der evangeli-     rungskultur gegen diese Geschichtsverfäl-
Man hat versucht, alle denkbaren Wider-       kalen Szene sagte: Trump ist das geringere     schung wehren kann. Und nachdem man
stands-Traditionen von der Bekennenden        Übel, und wir sind in einem „Bonhoeffer-       dieses Terrain freigegeben hatte, durfte
Kirche über die Friedliche Revolution in      Moment“ und müssen das Richtige tun,           man sich nicht wundern, dass die Quer-
der DDR, Mahatma Gandhi bis zur Bür-          um etwas ganz Furchtbares zu verhindern.       denker auf diesen Zug aufgesprungen sind
gerrechtsbewegung in den USA für seine        Er hat wörtlich vor „Hitlery “ Clinton ge-     und den „Widerstand“ gegen die Corona-
eigenen, kruden Ziele zu vereinnahmen.        warnt, ein Wortspiel aus Hillary und Hitler.   Politik in diese Tradition einreihen.
Das liegt allerdings auch daran, dass diese   Das hat sich in der evangelikalen Szene
Traditionen oft so verkitscht wurden, dass
man den inhaltlichen Kern gar nicht mehr
stark gemacht hat.
                                              durchgesetzt: eine Gleichsetzung von Wi-
                                              derstand gegen den Zeitgeist und Trump
                                              als Retter gegen alles Böse.
                                                                                             ?  Eine Gruppe nennt sich „Christen im
                                                                                                Widerstand“ – das ist genau das?
                                                                                             Henze: Man muss unterscheiden. Es gibt
                                                                                             extrem apokalyptisch geprägte, eher sek-

?  Sie sagen, der Protestantismus habe
   Bonhoeffer trivialisiert und seine
Theologie ausgehöhlt.
                                              ?  „Widerstand gegen den Zeitgeist“
                                                 – ist da auch eine Verbindung nach
                                              Deutschland, zum Beispiel zur AfD?
                                                                                             tiererisch geprägte Gruppen am Rande.
                                                                                             Aber es gibt auch aus der Mitte von Kir-
                                                                                             chengemeinden und aus dem kirchlichen
Henze: Seine berühmten Zitate, die wir        Henze: Wir müssen uns klar machen, dass        Bildungsbürgertum eine Reihe von Quer-
alle kennen, sind in den letzten Jahren       die von der AfD propagierte „180-Grad-         denker-Aktivitäten.
nicht mehr eingeordnet worden als das,        Wende in der Erinnerungspolitik“ eine
was Bonhoeffer in den 1930er-Jahren ge-
prägt, immer wieder verändert und zum
                                              kampfstrategische Herangehensweise ist.
                                              Dort wurde ganz früh gesagt: Wir definie-      ?  Was kann man gegen diesen Miss-
                                                                                                brauch von Bonhoeffer tun?

14    blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 4–2021
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