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Wachstum gut, alles gut? Warum Afrikas Wirtschaftswachstum seine demografische Herausforderung nicht löst
Impressum Die Autoren: Originalausgabe Alisa Kaps, 1991, Masterstudium in Wirtschafts- und Sozialgeografie November 2020 an der Universität Salzburg. Ressortleiterin Internationale Demogra- fie am Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung. © Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung Daniel Hegemann, 1990, Masterstudium in Sozialwissenschaften an Herausgegeben vom der Universität Augsburg. Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Ressort Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung Internationale Demografie am Berlin-Institut für Bevölkerung und Schillerstraße 59 Entwicklung. 10627 Berlin Telefon: (030) 22 32 48 45 Catherina Hinz, 1965, Magisterstudium in den Fachbereichen Germa- Telefax: (030) 22 32 48 46 nistik, Geschichte und Südasienwissenschaften an den Universitäten E-Mail: info@berlin-institut.org Hamburg und Heidelberg. Geschäftsführende Direktorin des Berlin- www.berlin-institut.org Instituts für Bevölkerung und Entwicklung. Das Berlin-Institut finden Sie auch bei Facebook und Twitter (@berlin_institut). Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Sämtliche, auch auszugsweise Verwertung bleibt vorbehalten. Lektorat: Pelumi Olusanya Design: Jörg Scholz (www.traktorimnetz.de) Layout und Grafiken: Christina Ohmann (www.christinaohmann.de) Druck: Spree Druck Berlin GmbH ISBN: 978-3-946332-60-2 Einige thematische Landkarten wurden auf Grundlage des Programms EasyMap der Lutum+Tappert DV-Beratung GmbH, Bonn, erstellt. Das Berlin-Institut dankt dem Auswärtigen Amt für die Finanzierung des Projekts. Für den Inhalt der Studie trägt das Berlin-Institut die alleinige Verantwortung. 2 Wachstum gut, alles gut?
INHALT Das Wichtigste in Kürze................................................................................................. 4 1 | Doppeltes Wachstum – ein Erfolgsversprechen? ................................................ 6 2 | Warum Wirtschaftswachstum allein Afrikas Entwicklung nicht beschleunigt................................................................................... 8 2.1 | Ohne Arbeitsplätze kein inklusives Wachstum.................................................. 9 2.2 | Wenig Investitionen ins Humankapital............................................................ 10 2.3 | Bevölkerungswachstum erschwert wirtschaftliche Aufholjagd....................12 3 | Wie sinkende Kinderzahlen Entwicklungsmöglichkeiten eröffnen..................13 4 | Wie weiter?................................................................................................................17 Quellen........................................................................................................................... 18 Berlin-Institut 3
DAS WICHTIGSTE IN KÜRZE Afrika befindet sich in doppelter Hinsicht Spätestens seit Ausbruch der COVID- Dies führt dazu, dass fast neun von zehn Afri- auf Wachstumskurs. Seit 1950 hat sich die 19-Pandemie und dem damit einhergehen- kaner darauf angewiesen sind, ihre Familien Bevölkerung mehr als verfünffacht, und ein den Zusammenbruch globaler Lieferketten mit informellen Tätigkeiten zu ernähren. Ne- Ende ist im Gegensatz zu anderen Weltregi- scheint es jedoch mehr als fraglich, dass das ben den direkten Folgen für die Menschen – onen noch nicht in Sicht: Bis zur Mitte des afrikanische Wirtschaftswachstum ausreicht, fehlende soziale Absicherung im Alter, prekäre Jahrhunderts wird mehr als die Hälfte des um einen Entwicklungsweg einzuleiten, der zu Arbeitsbedingungen und niedrige Einkommen globalen Bevölkerungszuwachses auf den mehr Wohlstand und Sicherheit für alle und – wirkt sich dies ebenfalls negativ auf die afrikanischen Kontinent entfallen. Auch die so zu kleineren Familien und einem Rückgang Staatseinnahmen aus. Denn wer nicht formal Volkswirtschaften Afrikas befanden sich seit des Bevölkerungswachstums führt. arbeitet, zahlt auch keine Steuern. Daher feh- etwa zwei Jahrzehnten auf Wachstumskurs len vielerorts die dringend benötigten Mittel – einzig Süd- und Ostasien verzeichneten im für Investitionen in Infrastruktur, Bildung und weltweiten Vergleich höhere durchschnittli- Warum das Wirtschaftswachstum Gesundheit. So bleibt die wichtigste Ressour- che Wachstumsraten. allein die demografischen Heraus- ce des Kontinents weitgehend ungenutzt: das forderungen nicht löst Humankapital. Dieser Trend mag zu der Annahme verleiten, dass der starke Bevölkerungszuwachs für Nicht nur müssen die zukünftigen Wohl- Solange sich die Lebensbedingungen und Afrika kein Problem darstellt. Eine verbreitete standsgewinne bei anhaltendem Bevölke- Zukunftsperspektiven der Menschen nicht Meinung besagt, dass das vergleichsweise rungszuwachs auf immer mehr Köpfe verteilt verbessern, dürften erfahrungsgemäß auch hohe Wirtschaftswachstum den Bevölke- werden. Das Wirtschaftswachstum in Afrika die Kinderzahlen auf hohem Niveau verhar- rungszuwachs ausgleicht bzw. dass eine ist zudem nicht inklusiv, denn es entstehen ren. Dies mindert die Chancen auf Entwick- stetig wachsende und junge Bevölkerung kaum Arbeitsplätze für eine zunehmen- lungsfortschritte. Die wirtschaftlichen Folgen als Arbeitskräfte, Konsumenten und Inno- de Schar an jungen Erwerbstätigen. Das der Pandemie tragen zu einer weiteren Ver- vatoren für mehr Wirtschaftswachstum und Wachstum kann vielmehr auf den Export schlechterung der Situation bei. Der Kreislauf sozioökonomischen Fortschritt sorgen kann. unverarbeiteter Erzeugnisse und Bodenschät- aus niedrigen Gesundheits- und Bildungswer- In der Folge würden die hohen Geburtenzif- ze zurückgeführt werden – wodurch nur ver- ten, schwacher wirtschaftlicher Leistungsfä- fern irgendwann von alleine sinken und das hältnismäßig wenige formale Jobs geschaffen higkeit und anhaltend hohem Bevölkerungs- Bevölkerungswachstum ausklingen lassen, so werden. wachstum dürfte sich so fortsetzen. die Schlussfolgerung. 4 Wachstum gut, alles gut?
Wie die Chancen des Bevölkerungs- Damit die afrikanischen Staaten die positiven … Internationale Finanzinstitutionen, wachstums genutzt werden können Altersstruktureffekte auf dem Weg zu einer nicht zuletzt der IWF, die makroökonomi- demografischen Dividende für sich nutzen schen Auswirkungen der demografischen Afrikas größte Chance auf einen Entwick- können, sollte(n): Entwicklung stärker in den Blick nehmen lungsschub, der breiten Teilen der Bevölke- und diese ebenfalls im Dialog mit afrikani- rung zugutekommt, sind kleiner werdende … Demografiepolitik ein fester Be- schen Partnerländern thematisieren. Familien. Denn erst mit einem Rückgang der standteil einer integrierten Wirtschafts- Fertilität setzt ein Wandel der Altersstruktur politik in Afrika sein und das Wohl und … afrikanische Handlungsansätze in ein, den sich auch die asiatischen Tigerstaa- die Bedürfnisse der Menschen im Fokus demografierelevanten Bereichen wie etwa ten bei ihrer wirtschaftlichen Aufholjagd stehen. Neben der verstärkten Förderung von die Ouagadougou Partnership oder die AU zunutze gemacht haben. Dieser sogenannte Wirtschaftsbereichen, die für die Schaffung Roadmap on Harnessing the Demographic demografische Bonus – bei dem überpropor- von formalen Einkommensmöglichkeiten Dividend von deutscher wie auch internati- tional viele junge Produktivkräfte einem sin- zentral sind, gehört dazu auch eine stärkere onaler Seite stärker unterstützt werden. kenden Anteil von zu versorgenden Kindern Ausrichtung von Ausbildungsangeboten auf und Jugendlichen sowie älteren Menschen die Bedürfnisse des Arbeitsmarktes. gegenüberstehen – ermöglicht im Idealfall einen solchen wirtschaftlichen Aufschwung. … die deutsche Außenpolitik den Eine umfassende Demografiepolitik mit dringenden Handlungsbedarf in demo- Investitionen in die Kernbereiche Gesundheit, grafierelevanten Bereichen im Dialog Bildung, Frauenförderung und Familienpla- mit afrikanischen Staaten stärker in den nungsprogramme sowie die Schaffung von Vordergrund stellen. Dabei gilt es klar zu Arbeitsplätzen ist dafür unerlässlich – auch kommunizieren, dass Wirtschaftswachstum und gerade in der aktuellen Krise. allein nicht ausreicht, um die demografischen Herausforderungen in Afrika zu bewältigen. in Prozent Wenn ein Virus Wachstum hemmt 10 8 Die meisten Regierungen in Afrika reagierten Anfang 2020, als sich das Corona-Virus über dem Globus zu 6 verbreiten begann, mit strikten Beschränkungen und 4 Maßnahmen. Das blieb – wie auch in anderen Teilen der Welt – nicht ohne Folgen für die Wirtschaftskraft 2 auf dem Kontinent: Im Juni korrigierte die Weltbank 0 die Wachstumsprognosen für das Jahr 2020 für alle afrikanischen Staaten deutlich nach unten. Die -2 Annahme, dass das hohe Wirtschaftswachstum das -4 rasche Bevölkerungswachstum auf dem Kontinent abfängt, ist spätestens damit obsolet. -6 -8 Prognostizierte Wachstumsrate des Bruttoinlands- produkts, in Prozent, Januar und Juni 2020 -10 (Datengrundlage: Weltbank 1, 2) Subsahara- Äthiopien Südafrika Botsuana Ruanda Nigeria Januar Ghana Afrika Juni Berlin-Institut 5
DOPPELTES WACHSTUM – EIN ERFOLGSVERSPRECHEN? Afrika wächst. Und das in doppelter Hinsicht. Trotz regionaler Differenzen in Sachen gängigen Prognosen auch für die kommen- Einerseits gewinnt der Kontinent zurzeit mit Wirtschaftsleistung trug der insgesamt solide den Jahren so gelten sollte –, schien dieses jeder Minute mehr als 60 Einwohner hinzu. ökonomische Aufschwung auf dem Konti- Argument bislang zu stützen.5 Während die Bis zur Mitte des Jahrhunderts kommt das nent bis zuletzt dazu bei, dass viele afrika- Bevölkerung Afrikas laut den Vorausschät- einem Zuwachs von über einer Milliarde nische Regierungen zuversichtlich in die zungen der Vereinten Nationen bis 2025 Menschen und damit fast einer Verdopplung Zukunft blickten. So sprach etwa Südafrikas jährlich um etwa 2,5 Prozent wachsen soll, der Bevölkerungszahl gleich. Damit entfällt Präsident Ramaphosa beim Weltwirtschafts- prognostizierten Experten der Afrikanischen die Hälfte des globalen Bevölkerungszuwach- forum zu Afrika 2019 in Kapstadt von einem Entwicklungsbank (AfDB) Anfang 2020 ein ses bis 2050 allein auf den afrikanischen kommenden „afrikanischen Jahrhundert“.4 Wachstum der afrikanischen Wirtschaft von Kontinent.1 Die positive ökonomische Entwicklung 3,9 Prozent im Jahr 2020 und sogar 4,1 Pro- verleitet viele Politiker und Entscheidungs- zent im darauffolgenden.6 In den Augen der Auch wirtschaftlich standen die Zeichen auf träger – auch über den Kontinent hinaus Wachstumsgläubigen gibt das hohe Bevölke- dem afrikanischen Kontinent bis zuletzt auf – immer wieder zu der Annahme, dass das rungswachstum also keinen Grund zur Sorge. Wachstumskurs: Seit dem Millenniumswech- hohe Wirtschaftswachstum das Bevölke- sel ließ sich ein solider wirtschaftlicher Auf- rungswachstum auffängt. Denn solange die wärtstrend beobachten.2 Im Schnitt wuchsen wirtschaftlichen Wachstumsraten höher Einbruch durch COVID-19 die Staaten Afrikas seit dem Jahr 2000 jähr- liegen als die demografischen, sollte sich das lich um mehr als vier Prozent. Weltweit lagen Mehr an Menschen gut versorgen lassen, so Mit dem Ausbruch der COVID-19-Pandemie die durchschnittlichen Wachstumsraten des eine verbreitete Meinung. haben sich die wirtschaftlichen Wachs- Bruttoinlandsprodukts in diesem Zeitraum tumsaussichten des Kontinents allerdings nur in Süd- und Ostasien höher.3 Dass die jährliche Wachstumsrate der drastisch verändert – zumindest vorüber- afrikanischen Bevölkerung in den letzten gehend. Nachdem seit der ersten Hälfte zwei Jahrzehnten deutlich niedriger lag als des Jahres 2020 „Lockdowns“ und „Social- das Wirtschaftswachstum – und dies laut den Distancing“-Maßnahmen das wirtschaftliche unter 0 0 bis unter 25 25 bis unter 50 50 bis unter 75 75 bis unter 100 100 bis unter 125 125 bis unter 150 150 und mehr Wachstumszentrum Afrika Das weltweite Bevölkerungswachstum konzentriert sich zunehmend auf die wenig entwickelten Staaten in Westasien und vor allem auf Subsahara-Afrika. Viele Länder der Region dürften laut den Schätzun- gen der UN in den kommenden drei Jahrzehnten eine Vorausgeschätztes Bevölkerungswachstum Verdopplung ihrer Einwohnerzahl erleben, einige weltweit, in Prozent, 2020 bis 2050 sogar fast eine Verdreifachung. (Datengrundlage: UNDESA10) 6 Wachstum gut, alles gut?
Wirtschaftlicher Aufwärtstrend Als Nachzügler in Sachen sozioökonomischer Entwicklung haben viele afrikanische Staaten in den letzten knapp 20 Jahren ein vergleichsweise hohes Wirtschaftswachstum erlebt – wenn auch überwiegend ausgehend von einem niedrigen Niveau. Während viele Industrie- und zunehmend auch Schwellenländer nur noch niedrige Wachstumsraten ihres Bruttoinlandsprodukts (BIP) unter 0 verzeichneten, trug Afrika dazu bei, den globalen Wirtschafts- 0 bis unter 3 motor am Laufen zu halten. Im Zeitraum zwischen 2000 und 3 bis unter 5 2018 gehörten mit Äthiopien, Äquatorialguinea und Ruanda drei afrikanische Staaten zu den am schnellsten wachsenden 5 bis unter 8 Durchschnittliche jährliche Wachstumsraten des BIP (kaufkraftbe- Volkswirtschaften der Welt. Nun trübt die COVID-19-Pandemie 8 und mehr reinigt, in internationalen 2017 US-Dollar), in Prozent, 2000 bis 2018 allerdings die wirtschaftlichen Aussichten des Kontinents. keine Daten (Datengrundlage: Weltbank14) Leben vielerorts auf dem Kontinent zum das Virus für viele Menschen auf dem lungsrückschläge infolge der Pandemie das Stillstand gebracht haben, zeigen sich nun Kontinent den oft ohnehin schon schwierigen hohe Bevölkerungswachstum auch künftig die Folgen einbrechender Rohstoffpreise, Zugang zu Gesundheitsdienstleistungen und noch länger anhalten. ausbleibender Touristenströme, unterbro- Bildung. Über 250 Millionen Kinder und Ju- chener globaler Lieferketten und zurückge- gendliche besuchten im Juli 2020 keine Schu- Bei einem genaueren Blick auf die bisherige hender Investitionen und Geldtransfers der le.12 Wann alle Bildungseinrichtungen wieder sozioökonomische Entwicklung des afrikani- Diaspora.7 Das zu erwartende Wirtschafts- öffnen und ob dann alle Schüler und Schüle- schen Kontinents wird allerdings schnell klar, wachstum in diesem, aber auch in den rinnen zurückkehren können, bleibt unklar. dass die Einschätzungen der Wachstumsop- kommenden Jahren, dürfte dadurch deutlich Und da die Pandemie die ohnehin schon timisten auch ohne die Folgen von COVID-19 geringer ausfallen, als zuvor erwartet. Den maroden Gesundheitssysteme zusätzlich nicht der Realität entsprechen. Die vorhan- jüngsten Prognosen der Weltbank zufolge belastet, dürften sich auch die Gesundheits- denen Daten zeigen, dass auch das hohe könnten die Länder südlich der Sahara 2020 werte, insbesondere bei Frauen und Kindern, Wirtschaftswachstum der letzten beiden ein Negativwachstum von rund drei Prozent verschlechtern.13 Diese Rückschläge könnten Jahrzehnte nicht ausgereicht hat, um mit den zu verzeichnen haben – ein Rückgang von sich mittel- bis langfristig auch auf Afrikas bisher gesehenen Bevölkerungszuwächsen in fast sechs Prozentpunkten gegenüber den demografische Entwicklung auswirken: Denn Afrika mitzuhalten. Denn der wirtschaftliche vorangegangenen Prognosen im Januar solange sich die Lebensbedingungen auf dem Aufwärtstrend hat sich nicht oder nur kaum 2020.8 Damit dürfte der Kontinent 2020 zum Kontinent nicht verbessern – oder sie sich in tatsächliche sozioökonomische Fortschrit- ersten Mal seit 25 Jahren in eine Rezession sogar verschlechtern – bleiben erfahrungsge- te übersetzt, die nötig wären, damit sich das schlittern.9 mäß auch die Kinderzahlen hoch. hohe Bevölkerungswachstum langfristig reduziert. Kapitel 2 zeigt einige wesentliche Die vielseitigen Folgen der Pandemie wirken Gründe dafür auf und legt dar, warum die sich aber nicht nur auf die Wirtschaft, Handlungsbedarf – nicht nur wegen Kinderzahlen auf dem afrikanischen Konti- sondern auch in erheblichem Umfang auf die der Pandemie nent weiterhin auf hohem Niveau verharren. Lebensbedingungen der Menschen auf dem Kapitel 3 zeigt dagegen, welche (wirtschaft- Kontinent aus und könnten bereits erzielte Damit ist die Annahme, dass das hohe Wirt- lichen) Möglichkeiten sich für Afrika ergeben Entwicklungsfortschritte in Afrika zunich- schaftswachstum das rasche Bevölkerungs- würden, wenn die Kinderzahlen sinken, und temachen. Laut Schätzungen der Weltbank wachstum auf dem Kontinent abfängt, in welche Maßnahmen dafür dringend nötig könnten infolge der Pandemie 13 Millionen doppelter Hinsicht obsolet. Denn kurzfristig wären – gerade in Krisenzeiten. Nur wenn Menschen in Afrika in diesem Jahr in die werden die Wohlstandsgewinne, die in Zu- heute bereits an den richtigen Stellschrauben extreme Armut abrutschen. Je nachdem wie kunft auf immer mehr Köpfe verteilt werden gedreht wird, haben afrikanische Staaten schwerwiegend die wirtschaftlichen Folgen müssen, aufgrund des Wirtschaftseinbruchs die Aussicht auf einen demografiebedingten tatsächlich ausfallen, könnten es sogar noch nun noch geringer ausfallen. Und gleichzeitig Entwicklungsschub, eine „demografische deutlich mehr werden.11 Noch dazu erschwert könnte durch die zu befürchtenden Entwick- Dividende“. Berlin-Institut 7
WARUM WIRTSCHAFTSWACHS- TUM ALLEIN AFRIKAS ENTWICK- LUNG NICHT BESCHLEUNIGT Wirtschaftliches Wachstum bringt mehr Bildungswerte auf dem Kontinent, sondern absolute Zahl an Menschen, die in extremer Wohlstand für alle – so die gängige ökonomi- auch die anhaltende Armut. Zwar ist die Armut lebt: Während 1990 noch knapp 280 sche Theorie. In Afrika scheint dies bislang Armutsrate insbesondere in den Ländern süd- Millionen Menschen in den Ländern südlich jedoch nicht oder nur eingeschränkt der Fall lich der Sahara seit dem Millenniumswechsel der Sahara täglich mit weniger als 1,90 US- zu sein. Ein Blick auf das Bruttoinlandspro- bereits gesunken: Von fast 60 Prozent in Sub- Dollar auskommen mussten, waren es 2015 dukt pro Kopf zeigt, dass von dem erwirt- sahara-Afrika im Jahr 2000 auf 42 Prozent rund 420 Millionen.17 Sofern sich der aktuelle schafteten Wohlstand auf dem Kontinent für im Jahr 2015, was ohne Frage ein Erfolg ist. Trend fortsetzt, wird Afrika das oberste Ziel jeden einzelnen bisher wenig übrigbleibt: Allerdings verläuft die Armutsreduktion lang- der Nachhaltigen Entwicklungsziele (SDGs), Zwischen 2000 und 2019 sind die Pro- samer, als zuvor in anderen Weltregionen wie bis 2030 Armut komplett auszuradieren, nicht Kopf-Einkommen in den Ländern südlich der etwa in Südasien und auch in Lateinamerika.16 erreichen. Laut Schätzungen der Weltbank Sahara im Schnitt jährlich nur um rund 1,9 Und vor allem stieg mit dem Zuwachs an Ein- dürfte in zehn Jahren noch immer jeder Vierte Prozent gewachsen. Im gleichen Zeitraum ist wohnern in den letzten drei Jahrzehnten die auf dem Kontinent in Armut leben.18 das BIP pro Kopf in Ost- und Südasien um 4,6 respektive 4,7 Prozent jährlich gestiegen. Der Tunesien starke Zuwachs an Einwohnern hat also dafür Marokko gesorgt, dass das reale BIP pro Kopf in Subsa- hara-Afrika heute noch etwa auf demselben Algerien Lybien Ägypten Niveau liegt wie in den 1970er Jahren.15 Westsahara Zudem hat sich das vergleichsweise hohe Mauretanien Wirtschaftswachstum bislang kaum in Mali Niger Eritrea sozioökonomische Entwicklungsfortschritte Gambia Senegal Tschad Sudan Burkina Dschibuti übersetzt, die breiten Teilen der Bevölkerung Guinea- Faso Bissau Guinea Benin zugutekommen. Dafür sprechen nicht nur die Ghana Nigeria Zentral- Äthiopien vergleichsweise schlechten Gesundheits- und Sierra Leone afrikanische Südsudan Republik Togo Kamerun Liberia Elfenbein- Somalia küste Äquatorial Uganda Kenia Guinea Kongo Gabun Demokratische Ruanda Saõ Tomé Geringe Einkommen für viele Menschen und Príncipe Republik Kongo Burundi Tansania Das Wohlstandsniveau auf dem afrikanischen Kontinent ist weltweit am niedrigsten – auch weil der erwirtschaftete Wohlstand auf viele Köpfe verteilt werden muss. Das BIP pro Kopf, also das pro Einwohner erwirtschaftete Volks- Angola Malawi einkommen, liegt in den Ländern südlich der Sahara im Schnitt bei nur rund Sambia 4.000 US-Dollar und damit weit unter dem weltweiten Durchschnitt von knapp unter 2.000 18.000 US-Dollar. Die regionalen Unterschiede auf dem Kontinent sind dabei 2.000 bis unter 4.000 Mosambik Simbabwe aber erheblich: Während in Burundi pro Person gerade einmal 780 US-Dollar Namibia Madagaskar 4.000 bis unter 6.000 zur Verfügung stehen, sind es auf den Seychellen 30.000 US-Dollar. Botsuana 6.000 bis unter 8.000 8.000 bis unter 10.000 Pro-Kopf-Einkommen (kaufkraftbereinigt, in US-Dollar, 2019) und durchschnitt- Swasiland liche jährliche Wachstumsrate des BIP pro Kopf (in Prozent, 2000 bis 2019) 10.000 und mehr (Datengrundlage: Weltbank19) keine Daten Südafrika Lesotho 8 Wachstum gut, alles gut?
Absolute Zahl, in Millionen in Prozent Mehr Arme trotz sinkender Armutsraten 450 70 Auf den ersten Blick ist es eine positive Nachricht, 400 dass die Armutsrate in den Ländern südlich der 60 Sahara in den letzten Jahrzehnten deutlich gesunken 350 ist. Der Vergleich der absoluten Zahlen zeigt jedoch, 50 dass heute mehr Menschen in Subsahara-Afrika in 300 extremer Armut leben als noch 1990 – das Ergebnis unzureichender sozioökonomischer Fortschritte und 250 40 eines hohen Bevölkerungszuwachses. Sofern das BIP pro Kopf künftig weiter wächst wie zwischen 1998 200 und 2013, dürften nach den Schätzungen der Welt- 30 bank auch im Jahr 2030 – wenn Armut laut den SDGs 150 weltweit ausradiert sein sollte – noch immer über 20 300 Millionen Menschen weniger als 1,90 US-Dollar täglich zur Verfügung haben. 100 10 Entwicklung der Armutsrate (in Prozent) sowie der 50 absoluten Zahl der Menschen in extremer Armut (< 1,90 US-Dollar täglich) in Afrika, in Millionen, 0 0 unterschiedliche erhobene Jahre sowie Vorausschät- 1990 1993 1996 1999 2002 2005 2008 2010 2011 2012 2013 2030 zung für 2030 (nach Basisszenario) Zahl der extrem Armen (Quelle: Christiaensen und Beegle 2019 20) Armutsrate in Prozent 2.1. Ohne Arbeitsplätze Geringer Industrialisierungsgrad den Ländern wie Äthiopien oder Ruanda (die große Anstrengungen unternehmen, einen kein inklusives Wachstum In anderen Weltregionen sorgte die verarbei- Industrialisierungsprozess voranzutreiben) tende Industrie stets für die Entstehung einer liegt das Potenzial der Verarbeitungs- und Warum profitieren die Afrikanerinnen und Vielzahl von Einkommensmöglichkeiten, wie Fertigungsindustrie auf dem Kontinent größ- Afrikaner bislang kaum von den hohen zuletzt etwa in Asien: Asiatische Schwellen- tenteils brach.22 Insgesamt ist der Anteil des Wirtschaftswachstumsraten? Ein Grund länder – allen voran China – haben in der verarbeitenden Gewerbes an der Wertschöp- dafür ist der Ursprung des wirtschaftlichen Vergangenheit als verlängerte Werkbänke der fung in den Ländern südlich der Sahara in den Wachstums in Afrika: Anders als in Ländern Weltwirtschaft einfache Produktionsbetriebe letzten Jahren sogar zurückgegangen – sprich: Asiens, die in den vergangenen Jahrzehnten aufgebaut, in denen die wachsende Zahl an der Kontinent hat sich eher de-industrialisiert einen raschen Industrialisierungsprozess Erwerbsfähigen unterkam – inklusive jener, statt industrialisiert.23 durchlaufen haben, basiert das Wirtschafts- die in der immer produktiver werdenden wachstum in vielen afrikanischen Staaten Landwirtschaft nicht mehr gebraucht wurden. weiterhin überwiegend auf dem Export von Ausgehend von Wirtschaftszweigen wie der Wachstum ohne Jobs Rohstoffen und unverarbeiteten landwirt- Textil-, Leder- und anderer Leichtindustri- schaftlichen Erzeugnissen. Das macht viele en sind diese Länder schließlich in höhere Das Ausbleiben dieses Strukturwandels afrikanische Volkswirtschaften einerseits Wertschöpfungsketten aufgestiegen, die sorgt für einen Mangel an sicheren Ein- empfindlich für Preisschwankungen auf dem Produktivitäts- und Einkommensgewinne mit kommensmöglichkeiten für die wachsende Weltmarkt. Andererseits wirkt sich diese sich brachten. Erwerbsbevölkerung in Afrika. Schätzungen Wirtschaftsstruktur unmittelbar auf die zufolge fanden zwischen 2010 und 2020 nur Chancen zur Armutsreduktion aus – nicht nur, Die Fabriken und Industrieanlagen, die 4 Prozent der Berufseinsteiger einen formalen weil mit einem Reichtum an Bodenschätzen zunächst in Europa und zuletzt in Asien den Job in der Industrie, 21 Prozent kamen im meist auch ein hoher Grad an Korruption und Motor für wirtschaftliches Wachstum und Dienstleistungssektor unter, während der Rest mangelnden Investitionen in die Basisinfra- Entwicklungsfortschritte darstellten, fehlen in leer ausging.24 Und mit dem stetigen Zuwachs struktur einhergeht, sondern vor allem, da afrikanischen Ländern bislang überwiegend. an Menschen verschärft sich diese Situation: in diesem Bereich meist nur wenige formale Mit einigen Ausnahmen wie Südafrika, Ägyp- Aktuell wächst die Zahl der Menschen im Arbeitsplätze entstehen.21 ten und Nigeria (die als mehr oder weniger in- Erwerbsalter in Afrika jährlich um über 20 dustrialisiert gelten) und einigen aufstreben- Millionen Menschen.25 Allein in Subsahara- Berlin-Institut 9
Afrika müssten jedes Jahr etwa 18 Millionen Arbeitsplätze geschaffen werden, um der 2.2. Wenig Investitionen Ungenutzte Ressourcen wachsenden Zahl an Erwerbsfähigen eine ins Humankapital Damit fehlt es den afrikanischen Staaten nicht Zukunftsperspektive und ein Einkommen zu nur an Möglichkeiten, mit eigenen Mitteln garantieren. Zuletzt entstanden jedes Jahr Schätzungsweise 86 Prozent der Afrikaner in die Infrastruktur zu investieren, die für aber nur etwa 3 Millionen formale Arbeitsplät- müssen sich mit informellen Arbeitsplätzen einen Strukturwandel hin zur verarbeiten- ze.26 Durch die wirtschaftlichen Folgen der zufriedengeben.27 Das bedeutet meist nicht den Industrie und einen auf breitere Beine Corona-Pandemie, könnten es künftig noch nur prekäre Arbeitsbedingungen, niedrige gestellten wirtschaftlichen Wachstumskurs weniger sein. Einkommen und eine fehlende soziale Absi- nötig wären – von Straßen, Schienen, cherung für die Menschen selbst. Auch für den Stromleitungen bis hin zu Solaranlagen und Der Jobmangel verdammt die Mehrheit der Staat hat das negative Folgen: Denn wer nicht Windparks. Es mangelt auch an Mitteln, um in Afrikaner dazu, sich als Subsistenzbauern formal als Arbeitnehmer registriert ist, zahlt die wohl größte Ressource des Kontinents zu oder im informellen Dienstleistungssektor auch keine Steuern – zumindest keine direk- investieren: In die Gesundheit und vor allem über Wasser zu halten. Denn ohne ein staatli- ten. Dies trägt mit zu den insgesamt niedrigen die Bildung seiner jungen Bevölkerung – also ches Auffangnetz und mit insgesamt geringen Staatseinnahmen auf dem Kontinent bei.28, 29 in das, was Ökonomen als Humankapital be- Haushaltseinkommen kann es sich kaum Im Schnitt lagen die Steuereinnahmen in af- zeichnen. Dabei wäre genau das eine zentrale jemand leisten, arbeitslos zu sein. Solange rikanischen Ländern mit niedrigen-mittleren Voraussetzung für Wirtschaftswachstum und sich die afrikanischen Volkswirtschaften nicht Einkommen 2013 bei gerade einmal 19 Pro- sozioökonomische Fortschritte. diversifizieren und produktivere Arbeitsplätze zent des BIPs – gegenüber 34 Prozent (2015) in der Industrie und im formalen Dienstleis- im OECD-Schnitt. Die Staaten mit niedrigem Dass gerade die Staaten südlich der Sahara tungssektor – etwa in der Technologie-, der Einkommen kommen sogar nur auf einen dabei großen Nachholbedarf haben, zeigt sich Kommunikations- oder Finanzbranche – ge- Schnitt von 14 Prozent. In einigen Ländern etwa bei einem Blick auf den Human Capital schaffen werden, bleiben ihre Aussichten, in liegen die Steuereinnahmen unter 13 Prozent Index der Weltbank. Dieser bewertet anhand Zukunft sichere und auskömmliche Einkom- und somit unterhalb des Niveaus, ab dem die von Gesundheits- und Bildungsindikatoren, men zu erzielen, getrübt. Erfahrungsgemäß Aufrechterhaltung grundlegender staatlicher wieviel Humankapital ein heute geborenes verharren dann auch die Kinderzahlen auf Aufgaben gewährleistet werden kann.30 Kind bis zu seinem 18. Lebensjahr voraus- hohem Niveau und das Bevölkerungswachs- tum hält an. Wo das Humankapital ausgebaut werden muss Eine gute Gesundheit und eine solide Aus- bildung sind Grundvoraussetzungen dafür, dass Menschen sich für die Gesellschaft einbringen, Ideen entwickeln oder Unter- nehmen gründen können. Dann tragen sie zum Wachstum ihrer Volkswirtschaften bei und verbessern gleichzeitig ihren eigenen unter 0,4 Lebensstandard. Ein Blick auf den Human 0,4 bis unter 0,5 Capital Index der Weltbank zeigt jedoch, 0,5 bis unter 0,6 dass es afrikanischen Staaten genau an 0,6 bis unter 0,7 diesen Grundlagen mangelt, die für einen Human Capital Index (wobei „0“ niedriger und sozioökonomischen Aufholprozess nötig 0,7 und mehr „1“ hoher Stand des Humankapitals bedeutet), 2018 wären. nicht klassifiziert (Datengrundlage: Weltbank 38) 10 Wachstum gut, alles gut?
Bildung zahlt sich aus Welt Verstärkte Investitionen im Bildungsbereich bringen Subsahara- nicht nur volkswirtschaftliche Vorteile, sondern auch Afrika Einkommenseffekte für jeden Einzelnen. Trotz aller Probleme der afrikanischen Bildungssysteme fällt der monetäre Nutzen von Bildung im Schnitt in keiner Südasien Region der Welt höher aus als in Subsahara-Afrika. In Ruanda etwa bringt jedes zusätzliche Bildungsjahr Naher Osten ein Lebenseinkommensplus von etwa 22 Prozent. und Nordafrika Dabei profitieren Frauen stärker von einer höheren Bildung als Männer. Lateinamerika und Karibik Frauen Durchschnittlicher Anstieg des Lebenseinkommens Männer je zusätzlich abgeschlossenem Schuljahr nach Welt- Europa und region und Geschlecht, in Prozent, 2014 Gesamt Zentralasien (Datengrundlage: Montenegro und Patrinos39) Ostasien und Pazifik 0 2 4 6 8 10 12 14 in Prozent sichtlich erwerben kann. Dabei sind die Chan- Defizite im Bildungsbereich Verstärkte Investitionen in die Gesundheit cen der jungen Generation in den Staaten und Bildung der Menschen in Afrika sind südlich der Sahara im weltweiten Vergleich Auch bei den Bildungswerten zeigen sich auf damit dringend nötig – nicht nur in Zeiten am trübsten: Mit einem Durchschnittswert dem gesamten Kontinent große Defizite: Zwar der Corona-Krise. Im Jahr 2001 hatten sich von 0,40 liegen die Länder der Region weit hat sich der Bildungszugang formal in den die Mitgliedsstaaten der Afrikanischen unter dem weltweiten Schnitt von 0,57.31 letzten beiden Jahrzehnten bereits deutlich Union (AU) in der Abuja-Deklaration dazu verbessert. Doch von dem Ziel, allen Kindern verpflichtet, mindestens 15 Prozent ihrer Das schlechte Abschneiden der afrikanischen und Jugendlichen bis 2030 eine Sekundar- jährlichen Budgets für die Verbesserung des Staaten in Sachen Gesundheit und Bildung schulbildung zu ermöglichen, wie es die Nach- Gesundheitssektors einzusetzen. Bis 2014 verwundert dabei kaum. Die Kinder- und Müt- haltigen Entwicklungsziele (SDGs) vorsehen, hatten sich allerdings nur vier Länder daran tersterblichkeit ist vor allem in den Ländern waren die afrikanischen Staaten schon vor der gehalten.35 Auch die Empfehlung der Unesco, südlich der Sahara weiterhin hoch, vermeid- COVID-19-Pandemie weit entfernt. Im Schnitt jährlich 15 bis 20 Prozent des Staatshaushalts bare Infektionskrankheiten sind noch immer schließen in Subsahara-Afrika nur 6 von 10 für Bildung auszugeben, wird längst nicht von verbreitet und vielerorts mangelt es an grund- eingeschulten Kindern eine Grundschule allen Ländern erfüllt.36 Höhere Investitionen legenden Voraussetzungen für ein gesundes ab und nur jeder Vierte schafft das Abitur.33 in diesen Bereich dürften laut Weltbank auch Leben, wie sauberem Wasser oder sanitären Selbst wer in den Genuss von Bildung kommt, enorme Effekte auf die wirtschaftliche Ent- Einrichtungen. Das trägt dazu bei, dass der ist damit meist schlecht qualifiziert, um auf wicklung der Region haben: Wenn alle Mäd- Kontinent weltweit die höchste Krankheitslast dem Arbeitsmarkt im 21. Jahrhundert zu chen und Jungen in Afrika ihr volles Potenzial trägt – bei gleichzeitig der geringsten Dichte bestehen. Das liegt meist schon an fehlenden ausschöpfen könnten, dürfte das BIP pro an medizinischem Personal und insgesamt Grundlagen: So konnten laut repräsentativen Arbeitnehmer 2,5-mal höher liegen als heute. maroden Gesundheitssystemen.32 Umfragen in Senegal, Kenia, Tansania, Nige- Das entspräche einem zusätzlichen jährlichen ria, Togo, Uganda und Mosambik im Schnitt Wirtschaftswachstum von 1,8 Prozent über 38 Prozent der Schülerinnen und Schüler der die kommenden 50 Jahre.37 vierten Klasse keinen einzigen Buchstaben, 53 Prozent keinen vollständigen Satz und 89 Prozent keinen ganzen Absatz lesen.34 Berlin-Institut 11
2.3. Bevölkerungswachs- Mangelnde Entwicklung bremst liarde Menschen in den kommenden drei Fertilitätsrückgang – und hohe Jahrzehnten erschwert dabei die dringend tum erschwert Aufholjagd Kinderzahlen verhindern Entwicklung nötige Schaffung einer ausreichenden Zahl von Arbeitsplätzen und einer Verbesserung Der Mangel an Arbeitsplätzen und Humanka- Die langsamen sozioökonomischen Fort- des Humankapitals weiter. Während 2018 pital mindert die Chancen der afrikanischen schritte tragen so dazu bei, dass die Gebur- beispielsweise noch immer rund 35 Millionen Volkswirtschaften auf ein – womöglich noch tenziffern in Afrika bislang deutlich langsamer Grundschulkinder in Afrika nicht zur Schule höheres – Wirtschaftswachstum, das dazu sinken als zuvor in anderen Weltregionen. gingen, wächst die Altersgruppe der zu be- beitragen könnte, die Lebensbedingungen Während in Asien die Geburtenziffer zwi- schulenden Kinder im kommenden Jahrzehnt der Menschen zu verbessern und Armut schen 1965 und 1985 von 5,7 auf 3,5 Kinder mit jedem Jahr im Schnitt um über vier Millio- zu reduzieren. Die geringen Chancen der pro Frau gesunken ist – ein Rückgang um 40 nen.41, 42 Die COVID-19-Pandemie vergrößert Afrikaner, von dem vorhandenen wirtschaft- Prozent –, sank sie in Afrika nicht nur 20 bis die Zugangslücken nun noch zusätzlich. Der lichen Wachstum zu profitieren, hat auch 30 Jahre später, sondern auch nur um gerade Kreislauf aus niedrigen Gesundheits- und einen demografischen Effekt: Denn solange einmal 17 Prozent. Bildungswerten, schwacher wirtschaftlicher Menschen keine Möglichkeiten haben, sich Leistungsfähigkeit und anhaltend hohem dank einer guten Gesundheit, einer adäqua- Das Ergebnis dieses langsamen Rückgangs Bevölkerungswachstum setzt sich so fort. ten Bildung und über vorhandene Einkom- ist, dass Afrikanerinnen heute im Laufe ihres mensmöglichkeiten selbst aus der Armut zu Lebens im Schnitt 4,4 Kinder zur Welt bringen befreien, verharren erfahrungsgemäß auch und damit fast doppelt so viele wie Frauen die Kinderzahlen auf hohem Niveau. in anderen Weltregionen.40 Der dadurch zu erwartende Zuwachs von über einer Mil- Kinder je Frau Spät und langsam 7 Beim Fertilitätsrückgang hinkt Afrika anderen Weltregionen bislang deutlich hinterher, denn 6 dieser setzte hier nicht nur 20 bis 30 Jahre später ein als etwa in Asien oder Lateiname- rika, sondern verläuft bislang auch deutlich 5 langsamer. Die anhaltend hohen Bevölkerungs- Afrika zuwächse machen es immer schwieriger, aus- reichend Gesundheitseinrichtungen, Schulen 4 oder Arbeitsplätze für alle bereitzustellen. Dabei wäre genau das zentral, damit die 3 Staaten Afrikas sozioökonomisch aufschließen können. Ozeanien Asien 2 Lateinamerika Durchschnittliche Kinderzahl je Frau nach Nordamerika Weltregionen, 1950 bis 2020 Europa (Datengrundlage: UNDESA43) 1 0 2000– 2005– 1960– 1990– 1980– 2010– 1950– 1970– 1965– 1995– 1985– 2015– 1955– 1975– 1980- 2000 2005 1960 1990 2020 2010 1970 1965 1995 1985 2015 1955 1975 12 Wachstum gut, alles gut?
WIE SINKENDE KINDERZAHLEN ENTWICKLUNGSMÖGLICHKEITEN ERÖFFNEN Afrikas Wirtschaftswachstum reicht bei wei- demografische Entwicklung beschreibt, die übergehend kommt es so zu einem starken tem nicht aus, um die stetig wachsende Zahl den sozioökonomischen Fortschritt bislang in Bevölkerungswachstum. Erst wenn sich die an Einwohnern adäquat zu versorgen. Und da allen Ländern weltweit begleitet hat. Einsicht durchsetzt, dass der Nachwuchs sich so die Lebensbedingungen der Men- überlebt und gleichzeitig sozioökonomische schen auf dem Kontinent kaum verbessern, Fortschritte die Lebensbedingungen der gehen die Kinderzahlen nur sehr langsam Wenn sich die Altersstruktur wandelt Menschen verbessern – wenn sich also die zurück, was für weitere hohe Bevölkerungs- Gesundheitsversorgung weiter verbessert, zuwächse sorgt. Was aber würde passieren, Der demografische Übergang beschreibt den Schulen und Universitäten neue Bildungs- wenn die Geburtenziffern zurückgehen Wandel von Gesellschaften mit hohen Sterbe- möglichkeiten bieten, formale Arbeitsplätze und sich das Bevölkerungswachstum und Geburtenraten hin zu solchen, in denen entstehen und Frauen mehr Rechte erlangen verlangsamen würde? Wäre dann auch ein beide ein niedriges Niveau erreichen. Auf- – beginnen zeitverzögert auch die Geburten- sozioökonomischer Aufholprozess möglich? grund einer besseren Ernährung und Hygiene ziffern zu sinken. Das Bevölkerungswachstum Antworten auf diese Fragen gibt das Modell sinkt dabei zunächst die Sterberate, während klingt aus oder kehrt sich sogar in einen des demografischen Übergangs, der jene die Geburtenrate vorläufig hoch bleibt. Vor- Schwund um. USA Bevölkerung Ein Weg für alle Staaten China Tunesien Deutschland Im Zuge ihrer sozioökonomischen Entwicklung durchlaufen alle Länder einen demografischen Ghana Übergang – allerdings zeitversetzt und mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten. Dabei Äthiopien sinkt zunächst durch eine Verbesserung der Le- bensbedingungen die Sterberate und mit einer Senegal Zeitverzögerung von ein bis zwei Generationen - schließlich auch die Geburtenrate. In dieser Zwischenphase wächst die Bevölkerung stark. Zum Ende des Übergangs stagniert sie oder Niger beginnt sogar zu schrumpfen, sofern es keine Sterberate Zuwanderung gibt. Im Laufe dieses Transfor- mationsprozesses verändert sich aber nicht nur die Größe einer Bevölkerung, sondern auch ihre Geburtenrate Altersstruktur. Phase 1 Phase 2 Phase 3 Phase 4 Phase 5 Schematische Darstellung der Entwicklung von Geburten- und Sterberate sowie der Gesamtbe- völkerung in Abwesenheit von Migration Männer Frauen Alter (eigene Darstellung) 65 15 Berlin-Institut 13
Früher oder später zum Bonus 2,1 Demografischer Bonus Niedrige Variante Wann die afrikanischen Staaten die günstige Alters- 2,0 struktur des demografischen Bonus erreichen und wie das Verhältnis zwischen Erwerbsfähigen und 1,9 zu versorgenden Kindern und Alten ausfallen wird, hängt davon ab, wie rasch die Kinderzahlen auf dem 1,8 Kontinent künftig sinken. Sofern die Geburtenziffern Mittlere Variante in Zukunft mit einer Geschwindigkeit zurückgehen, 1,7 wie sie zuvor in anderen Weltregionen beobachtet wurde, dürfte sich das Zeitfenster des demografi- Hohe Variante schen Bonus in Afrika im Schnitt um das Jahr 2055 1,6 eröffnen. Ein schnellerer Rückgang, wie ihn das Niedrig-Fertilitätsszenario der UN vorsieht, könnte 1,5 dagegen schon ab 2040 einen Bonus entstehen lassen. 1,4 Vorausgeschätzte Entwicklung der Abhängigenquote 1,3 (Verhältnis der Erwerbsbevölkerung im Alter zwi- schen 15 und 64 Jahren zur abhängigen Bevölkerung unter 15 und über 64 Jahren) in Afrika nach UN-Bevöl- 1,2 kerungsszenarien, 2020 bis 2100 2090 2080 2040 2060 2030 2050 2070 2065 2085 2045 2095 2020 2055 2100 2035 2075 2025 (Datengrundlage: UNDESA48) Sämtliche Industriestaaten und die ersten punkt der Bevölkerung hin zu den jungen die Fertilitätsraten zuvor rasch gesunken Schwellenländer haben diesen Übergang Erwerbsfähigen (siehe Grafik Seite 13, Phase waren. Dank guter sozialer, wirtschaftlicher weitgehend abgeschlossen. In Afrika ist er 4). Während der Anteil der zu versorgenden und politischer Rahmenbedingungen gelang dagegen noch im Gange beziehungsweise Kinder und Jugendlichen sinkt und die Zahl es den ostasiatischen Staaten diesen Bonus hat in manchen Ländern erst begonnen. Die der älteren Menschen zu diesem Zeitpunkt in ein „Wirtschaftswunder“ umzusetzen. Der Sterberaten, insbesondere von Kindern und noch gering ist, stehen der Volkswirtschaft Wandel der Altersstruktur dürfte dabei für Müttern, sind durch hygienische und medi- in dieser Phase überproportional viele junge etwa ein Drittel des Wirtschaftswachstums zinische Errungenschaften sowie dank einer Produktivkräfte zur Verfügung. in diesem Zeitraum verantwortlich gewesen besseren Versorgung mit Nahrungsmitteln sein.44, 45 bereits gesunken. Die mangelnden Fortschrit- te beim Zugang zu Gesundheitsleistungen, Der Weg zur Dividende Die meisten Staaten Afrikas sind aber noch zu einer qualitativ hochwertigen Bildung und weit davon entfernt, die wirtschaftlich günsti- zu sicheren Einkommen sowie die fehlen- Diese günstige Altersstruktur – der sogenann- ge Altersstruktur des demografischen Bonus den Mitspracherechte für Frauen lassen die te demografische Bonus – lässt sich unter zu erreichen. Denn dieser eröffnet sich erst, Geburtenziffern aber vielerorts auf hohem guten Rahmenbedingungen, bei politischer wenn auf jede abhängige Person mindestens Niveau verharren (siehe Grafik S. 12). Stabilität, einer ausreichenden Qualifika- 1,7 Erwerbsfähige im Alter zwischen 15 tion der nachwachsenden Arbeitskräfte und 64 Jahren kommen.46 Einige nord- und Das verzögert den Wandel der Altersstruktur, und einem guten Angebot an Jobs, in einen südafrikanische Staaten wie etwa Tunesi- der stets mit einem demografischen Transfor- wirtschaftlichen Aufschwung verwandeln, en, Südafrika und Marokko haben dieses mationsprozess einhergeht und der Staaten in eine „demografische Dividende“. Den Verhältnis zwischen Erwerbsfähigen und in anderen Regionen neue wirtschaftliche wirtschaftlichen Aufstieg ostasiatischer Abhängigen bereits erreicht und müssen nun Möglichkeiten eröffnet: Denn mit dem Rück- Staaten in den 1980er Jahren führen Öko- Wege finden, den Bonus in eine Dividende gang der Kinderzahlen in Phase 3 werden die nomen zu einem wesentlichen Teil auf eine umzusetzen. Der Großteil der Staaten südlich jeweils jüngsten nachwachsenden Geburten- optimale Nutzung des demografischen Bonus der Sahara kann dagegen frühestens ab 2055 jahrgänge kleiner und aus der klassischen zurück: Zwischen 1965 und 1990 wuchs darauf hoffen, diese günstige Altersstruktur Bevölkerungspyramide wird eine Art Bie- dort die Erwerbsbevölkerung fast viermal zu erreichen.47 nenkorb. Dabei verschiebt sich der Schwer- stärker als die abhängige Bevölkerung, da 14 Wachstum gut, alles gut?
Selbst dieser späte Wandel der Altersstruktur dem Niveau einiger afrikanischer Staaten wie Bangladesch – setzt allerdings voraus, dass die Fertilitäts- Ghana oder der Elfenbeinküste und Frauen Mit Frauenförderung zum Bonus raten in Subsahara-Afrika künftig so stark brachten im Laufe ihres Lebens etwa sechs sinken wie zuvor in anderen Weltregionen. Kinder zur Welt.49 Heute bekommen Südko- Dem Entwicklungspfad Südkoreas und Sollte der Rückgang der Kinderzahlen in reanerinnen dagegen im Schnitt nur noch ein anderer Tigerstaaten folgten etwas später Zukunft langsamer vorangehen, als in der Kind.50 Und dieses kann ein deutlich besseres weitere asiatische Länder wie China, Malay- Vergangenheit in anderen Teilen der Welt Leben führen als noch seine Großeltern. Denn sia, Thailand, Indonesien und Vietnam, die – etwa aufgrund befürchteter Entwicklungs- der 50-Millionen-Einwohner-Staat hat es auf in den vergangenen Jahrzehnten ebenfalls rückschläge durch die COVID-19-Pandemie Platz 12 der größten Volkswirtschaften der große Entwicklungsfortschritte verzeichnen – , könnte es im Schnitt sogar noch etwa 20 Welt geschafft und beheimatet einige der konnten. In diese Reihe hat sich zuletzt ein Jahre länger dauern bis Subsahara-Afrika den größten global agierenden Unternehmen – anderer Staat eingereiht, der lange als hoff- demografischen Bonus erreicht. darunter Technologieschwergewichte wie nungsloser Fall der Entwicklungspolitik galt: Samsung und LG oder die Autobauer Hyundai Bangladesch. Schon als das Land 1971 nach und Kia.51 einem blutigen Bürgerkrieg mit Pakistan die Ein Blick über den Kontinentrand Unabhängigkeit erlangte, zählte es zu den Diese Erfolgsgeschichte fußt in großen Teilen am dichtesten besiedelten Staaten der Welt Afrikas größte Chance auf einen länger auf massiven Investitionen in die Bildung der und die Bevölkerung wuchs mit jedem Jahr im anhaltenden Wirtschaftsaufschwung, der südkoreanischen Bevölkerung – insbesonde- Schnitt um über zwei Prozent.57 breiten Teilen der Bevölkerung zugutekommt, re in die der Frauen. Damit einher ging eine sind kleiner werdende Familien. Wie aber Familienpolitik, die vor allem auf die Verbrei- Während zur Zeit der Staatsgründung jede lässt sich der Rückgang der Fertilitätsraten in tung moderner Verhütungsmittel und die Ver- Bangladescherin im Schnitt noch beinahe Afrika, insbesondere in den Ländern südlich besserung von Mütter- und Kindergesundheit sieben Kinder zur Welt brachte, sind es der Sahara, beschleunigen – und das ohne abzielte. Das zeigte Wirkung: Zwischen 1960 heute nur noch knapp über zwei. Einen solch Zwangsmaßnahmen wie sie etwa aus China und 2000 halbierten sich die Geburtenziffern rapiden Fertilitätsrückgang hat kaum ein bekannt sind? Und wenn der demografische alle 20 Jahre.52 Damit setzte der Wandel der anderes Land erlebt.58 Die durchschnitt- Bonus erst einmal erreicht ist, was ist nötig, Altersstruktur ein: Die Zahl der Menschen im lichen Kinderzahlen sind in Bangladesch um ihn in wirtschaftliches Wachstum und Erwerbsalter stieg überproportional an. Und damit schon unter das bestandserhaltende sozioökonomischen Fortschritt zu verwan- da vor allem die auf den Export ausgerichtete Niveau von 2,1 Kindern gesunken, die eine deln? Wo die zentralen Stellschrauben liegen verarbeitende Industrie ausreichend Arbeits- Gesellschaft braucht, um gerade ihre Größe und welche Maßnahmen wirksam sind, um plätze für sie bot, begann die Wirtschaft zu zu erhalten. Bis zur Mitte des Jahrhunderts den demografischen Übergang voranzubrin- wachsen.53 Durch die steigenden Steuerein- dürfte das Bevölkerungswachstum im Land gen und bestmöglich für die wirtschaftliche nahmen hatte das Land weiteres Kapital zur zum Erliegen kommen.59 Entwicklung zu nutzen, lässt sich aus den Verfügung, das es wiederum in den Bildungs- Erfahrungen asiatischer Staaten ableiten. und Gesundheitssektor, aber auch in Infra- struktur und die Entwicklung abgelegener Demografiepolitisches Regionen investierte. Auf diesem Wege stieg Maßnahmenpaket Südkorea – Vom armen Agrarstaat die Lebenserwartung im Land weiter an und zur Technologiehochburg immer mehr junge Menschen kamen in den Dass sich die Familien in Bangladesch so Genuss einer besseren Ausbildung, was ihnen rasch verkleinerten, ist auf einen ganzen Als Paradebeispiel für die Nutzung des demo- die Möglichkeit bot, in Branchen mit höherer Strauß von Maßnahmen zurückzuführen, die grafischen Bonus gilt neben Taiwan und den Wertschöpfung und besseren Einkommen das Leben der Menschen in vielerlei Hinsicht Stadtstaaten Singapur und Hongkong – den aufzusteigen. Und weil sie davon einen Teil verbesserten und die vor allem Frauen in den sogenannten asiatischen Tigerstaaten – Süd- zurücklegten, stieg die Sparquote, und das Blick nahmen. Gemeinsam mit Nichtregie- korea. Noch vor 60 Jahren gehörte es zu den Geld floss als Investitionen zurück in den rungsorganisationen begann die Regierung in ärmsten Ländern der Welt, in dem die Bevöl- Aufbau neuer innovativer Unternehmen.54 Im den 1970er Jahren, sich um Schulen, Gesund- kerung überwiegend von der Landwirtschaft Jahr 1996 wurde Südkorea Mitglied der OECD heitsdienste, Familienplanung und Mikrokre- lebte und kaum Bildung erfuhr. Anfang der und war somit in die Ränge der Industrienati- ditprogramme für Frauen zu kümmern. Dies 1960er Jahre lag das BIP pro Kopf noch unter onen aufgestiegen.55 trug unter anderem dazu bei, dass sich die Berlin-Institut 15
Gesundheit der Bangladescher – insbesonde- Die Fortschritte in diesen Bereichen haben Prozent).61 Befeuert wurde das Wachstum re der Kinder – weiter verbesserte, moderne dazu beigetragen, dass Bangladesch 2010 bislang vor allem durch die Textilindustrie. Verhütungsmittel sich stark verbreiteten und den demografischen Bonus erreichte. Dass Doch während die Branche zwischen 2003 Bildung für Jungen und Mädchen gleicherma- die jährlichen Wachstumsraten des BIPs und 2015 noch mehr Arbeitsplätze schuf, ßen zugänglich wurde. 1994 führte die Regie- seither stets bei über sechs Prozent lagen, als Erwerbsfähige nachwuchsen, hat die rung ein Stipendienprogramm für Mädchen spricht dafür, dass das Land einen ersten Geschwindigkeit bei der Schaffung von Jobs ein, um ihren Zugang zur Sekundarschule zu Nutzen aus dieser günstigen Altersstruktur zuletzt abgenommen.62 Bangladesch steht verbessern. Dies sollte sie nicht nur fit für ziehen konnte – was auch auf die vergleichs- nun vor der Herausforderung, mehr und Karrieren als Lehrerinnen oder Gesundheits- weise hohe Erwerbsbeteiligung der Bangla- höherwertige Arbeitsplätze zu schaffen, helferinnen machen, sondern auch dafür descherinnen zurückzuführen sein dürfte. um seinen demografischen Bonus nutzen sorgen, dass sie später heiraten und auch 45 Prozent der 25- bis 34-jährigen Frauen zu können. Ob es dem Land wirklich gelingt später Nachwuchs bekommen.60 sind wirtschaftlich aktiv – deutlich mehr dem Pfad der Tigerstaaten zu folgen und eine als in anderen muslimischen Ländern wie demografische Dividende einzufahren, bleibt Pakistan (23 Prozent) oder Afghanistan (25 also noch abzuwarten. Viele Gebildete Am Beispiel Südkorea wird deutlich, dass sich Bildung gesellschaftlich und wirtschaftlich auszahlt. So waren 1970 noch viele Menschen im höheren Erwerbsalter Analphabeten. Doch da die nachkommenden Jahrgänge eine immer bessere Ausbildung erfuhren, machten sie sich langsam aber sicher in der Bevölkerungspyramide breit und konnten so für den Aufstieg südkoreanischer Unternehmen im Hochtechnologiebereich sorgen. Heute gehört Südkorea zu den Nationen mit dem höchsten Bildungsstand, rund 45 Prozent der über 25-Jährigen verfügt über einen Hochschulabschluss. Gesamtbevölkerung 1970: 32 Millionen 1990: 43 Millionen 2010: 49 Millionen 2030: 52 Millionen 100+ 95-99 90-94 85-89 80-84 75-79 70-74 65-69 60-64 55-59 50-54 45-49 40-44 35-39 30-34 25-29 20-24 15-19 10-14 5-9 0-4 2 1 0 1 2 2 1 0 1 2 2 1 0 1 2 2 1 0 1 2 Männer Frauen Männer Frauen Männer Frauen Männer Frauen Bevölkerungszusammensetzung nach Alter und Bildungsstand in unter 15 Jahre Südkorea (2030 Projektion nach mittlerem Bildungsszenario), (noch) keine Bildung in Millionen Grundschulbildung (Datengrundlage: Wittgenstein Centre56) Sekundarschulbildung Tertiäre Bildung 16 Wachstum gut, alles gut?
WIE WEITER? Der einzige Weg für afrikanische Staaten, der Dafür müssen jedoch die Weichen richtig überproportional große Erwerbsbevölkerung Entwicklungsfalle zu entkommen, besteht in gestellt werden. Eine wachsende Bevölkerung gesund und gut gebildet ist und noch dazu der Beschleunigung des Fertilitätsrückgangs, kann für Afrika künftig einen wirtschaftlichen ausreichend Arbeitsplätze vorfindet, kann sie was nachhaltige sozioökonomische Investiti- Vorteil bieten – allerdings nur, wenn sich die einen volkswirtschaftlichen Nutzen bringen onen zum Wohle der Menschen voraussetzt. Zuwächse auf die Menschen im Erwerbsalter und eine demografische Dividende schaffen. Dann geht nicht nur die Zahl der Kinder zurück, konzentrieren und nicht, wie bisher, vor die versorgt werden müssen. Mit dem Wandel allem auf die jüngsten Jahrgänge. Damit die Damit die afrikanischen Staaten die positiven der Altersstruktur ergeben sich neue wirt- afrikanischen Staaten die Altersstruktur des Altersstruktureffekte auf dem Weg zu einer schaftliche Perspektiven für den Kontinent. demografischen Bonus erreichen, muss sich demografischen Dividende für sich nutzen der Fertilitätsrückgang, der bereits in einigen können, sollte(n): Ländern eingesetzt hat, weiter verstetigen Lohnende Investitionen beziehungsweise beschleunigen. … Demografiepolitik ein fester Bestand- Welches Potenzial ein breiter angelegtes teil einer integrierten Wirtschaftspolitik Paket an Maßnahmen in demografierele- Dazu sind Investitionen in die Gesund- in Afrika sein und das Wohl und die vanten Bereichen für den afrikanischen heitsinfrastruktur nötig, damit die Kinder- Bedürfnisse der Menschen im Fokus ste- Kontinent birgt, zeigt beispielsweise das sterblichkeit weiter sinkt. Zudem muss der hen. Neben der verstärkten Förderung von „Demographic Dividend Scenario“ des Zugang zu Bildung weiter verbessert werden, Wirtschaftsbereichen, die für die Schaffung Insititute for Security Studies: Dieses insbesondere für Mädchen und junge von formalen Einkommensmöglichkeiten modelliert, wie sich die Bevölkerung des Frauen. All das trägt nachweislich dazu bei, zentral sind, gehört dazu auch eine stärkere Kontinents entwickeln dürfte, wenn ne- dass der Kinderwunsch sinkt, da sich neue Ausrichtung von Ausbildungsangeboten auf ben Bildungsinvestitionen noch weitere Einkommens- und Lebensperspektiven für die Bedürfnisse des Arbeitsmarktes. Maßnahmen umgesetzt werden und wie die Menschen ergeben und die Absicherung sich dies auf die Wohlstandsgewinne im Alter nicht mehr als Verantwortung des … die deutsche Außenpolitik den auswirken könnte. Sofern es gelingen Nachwuchses gesehen wird. Wenn sich der dringenden Handlungsbedarf in demo- würde die Kinder- und Müttersterblich- Wunsch, weniger Nachwuchs zu bekommen, grafierelevanten Bereichen im Dialog keit weiter zu reduzieren, den Zugang dank vorhandener Familienplanungsmittel mit afrikanischen Staaten stärker in den zu Familienplanungsmethoden sowie zu umsetzen lässt, sinken die Fertilitätsraten Vordergrund stellen. Dabei gilt es klar zu sauberem Trinkwasser und Sanitäranla- und der notwendige Wandel der Altersstruk- kommunizieren, dass Wirtschaftswachstum gen zu verbessern und das Bildungsni- tur setzt ein. allein nicht ausreicht, um die demografischen veau – insbesondere der Mädchen – auf Herausforderungen in Afrika zu bewältigen. dem Kontinent anzuheben, könnte Afrika Wenn die Nachwuchszahlen sinken, können im Jahr 2050 250 Millionen Einwohner Familien zudem mehr in die Bildung ihrer … Internationale Finanzinstitutionen, weniger zählen als in einem „weiter wie wenigen Kinder investieren. Das wirkt sich nicht zuletzt der IWF, die makroökonomi- bisher“ Szenario. Da im „Demographic nicht nur positiv auf die Zukunftsperspekti- schen Auswirkungen der demografischen Dividend Scenario“ weniger Kinder zu ven der jüngeren Generationen aus. Mit einer Entwicklung stärker in den Blick nehmen versorgen wären, gleichzeitig aber mehr gut gebildeten Bevölkerung kann sich die und diese ebenfalls im Dialog mit afrikani- Erwerbsfähige die wirtschaftliche Ent- Wirtschaft entwickeln, innovative Unterneh- schen Partnerländern thematisieren. wicklung voranbringen könnten, dürften men und formale Arbeitsplätze entstehen sich die Lebensbedingungen deutlich und die Produktivität wächst. Dann steigen … afrikanische Handlungsansätze in verbessern: Im Jahr 2050 würden auch die Steuereinnahmen, und dem Staat demografierelevanten Bereichen wie etwa dann in Afrika 112 Millionen Menschen stehen wiederum mehr Mittel zur Verfügung, die Ouagadougou Partnership oder die AU weniger in extremer Armut leben, als im die er in die Infrastruktur sowie in die Ge- Roadmap on Harnessing the Demographic Basisszenario.63 sundheits- und Bildungssysteme, also in das Dividend von deutscher wie auch internati- Humankapital seiner Bevölkerung, reinvestie- onaler Seite stärker unterstützt werden. ren kann. Dies ist zentral, denn nur wenn die Berlin-Institut 17
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