Wachstum gut, alles gut? - Warum Afrikas Wirtschaftswachstum seine demografische Herausforderung nicht löst - Berlin-Institut für ...

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Wachstum gut, alles gut?
Warum Afrikas Wirtschaftswachstum seine
demografische Herausforderung nicht löst
Impressum                                                               Die Autoren:

Originalausgabe                                                         Alisa Kaps, 1991, Masterstudium in Wirtschafts- und Sozialgeografie
November 2020                                                           an der Universität Salzburg. Ressortleiterin Internationale Demogra-
                                                                        fie am Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung.
© Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung
                                                                        Daniel Hegemann, 1990, Masterstudium in Sozialwissenschaften an
Herausgegeben vom                                                       der Universität Augsburg. Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Ressort
Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung                         Internationale Demografie am Berlin-Institut für Bevölkerung und
Schillerstraße 59                                                       Entwicklung.
10627 Berlin
Telefon: (030) 22 32 48 45                                              Catherina Hinz, 1965, Magisterstudium in den Fachbereichen Germa-
Telefax: (030) 22 32 48 46                                              nistik, Geschichte und Südasienwissenschaften an den Universitäten
E-Mail: info@berlin-institut.org                                        Hamburg und Heidelberg. Geschäftsführende Direktorin des Berlin-
www.berlin-institut.org                                                 Instituts für Bevölkerung und Entwicklung.

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Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Sämtliche,
auch auszugsweise Verwertung bleibt vorbehalten.

Lektorat: Pelumi Olusanya

Design: Jörg Scholz (www.traktorimnetz.de)
Layout und Grafiken: Christina Ohmann (www.christinaohmann.de)
Druck: Spree Druck Berlin GmbH

ISBN: 978-3-946332-60-2

Einige thematische Landkarten wurden auf Grundlage des
Programms EasyMap der Lutum+Tappert DV-Beratung GmbH,
Bonn, erstellt.

Das Berlin-Institut dankt dem Auswärtigen Amt für die Finanzierung
des Projekts. Für den Inhalt der Studie trägt das Berlin-Institut die
alleinige Verantwortung.

2   Wachstum gut, alles gut?
INHALT
Das Wichtigste in Kürze................................................................................................. 4

1 | Doppeltes Wachstum – ein Erfolgsversprechen? ................................................ 6

2 | Warum Wirtschaftswachstum allein Afrikas
Entwicklung nicht beschleunigt................................................................................... 8

2.1 | Ohne Arbeitsplätze kein inklusives Wachstum.................................................. 9

2.2 | Wenig Investitionen ins Humankapital............................................................ 10

2.3 | Bevölkerungswachstum erschwert wirtschaftliche Aufholjagd....................12

3 | Wie sinkende Kinderzahlen Entwicklungsmöglichkeiten eröffnen..................13

4 | Wie weiter?................................................................................................................17

Quellen........................................................................................................................... 18

                                                                                                                                        Berlin-Institut   3
DAS WICHTIGSTE IN KÜRZE
Afrika befindet sich in doppelter Hinsicht        Spätestens seit Ausbruch der COVID-             Dies führt dazu, dass fast neun von zehn Afri-
auf Wachstumskurs. Seit 1950 hat sich die         19-Pandemie und dem damit einhergehen-          kaner darauf angewiesen sind, ihre Familien
Bevölkerung mehr als verfünffacht, und ein        den Zusammenbruch globaler Lieferketten         mit informellen Tätigkeiten zu ernähren. Ne-
Ende ist im Gegensatz zu anderen Weltregi-        scheint es jedoch mehr als fraglich, dass das   ben den direkten Folgen für die Menschen –
onen noch nicht in Sicht: Bis zur Mitte des       afrikanische Wirtschaftswachstum ausreicht,     fehlende soziale Absicherung im Alter, prekäre
Jahrhunderts wird mehr als die Hälfte des         um einen Entwicklungsweg einzuleiten, der zu    Arbeitsbedingungen und niedrige Einkommen
globalen Bevölkerungszuwachses auf den            mehr Wohlstand und Sicherheit für alle und      – wirkt sich dies ebenfalls negativ auf die
afrikanischen Kontinent entfallen. Auch die       so zu kleineren Familien und einem Rückgang     Staatseinnahmen aus. Denn wer nicht formal
Volkswirtschaften Afrikas befanden sich seit      des Bevölkerungswachstums führt.                arbeitet, zahlt auch keine Steuern. Daher feh-
etwa zwei Jahrzehnten auf Wachstumskurs                                                           len vielerorts die dringend benötigten Mittel
– einzig Süd- und Ostasien verzeichneten im                                                       für Investitionen in Infrastruktur, Bildung und
weltweiten Vergleich höhere durchschnittli-       Warum das Wirtschaftswachstum                   Gesundheit. So bleibt die wichtigste Ressour-
che Wachstumsraten.                               allein die demografischen Heraus-               ce des Kontinents weitgehend ungenutzt: das
                                                  forderungen nicht löst                          Humankapital.
Dieser Trend mag zu der Annahme verleiten,
dass der starke Bevölkerungszuwachs für           Nicht nur müssen die zukünftigen Wohl-          Solange sich die Lebensbedingungen und
Afrika kein Problem darstellt. Eine verbreitete   standsgewinne bei anhaltendem Bevölke-          Zukunftsperspektiven der Menschen nicht
Meinung besagt, dass das vergleichsweise          rungszuwachs auf immer mehr Köpfe verteilt      verbessern, dürften erfahrungsgemäß auch
hohe Wirtschaftswachstum den Bevölke-             werden. Das Wirtschaftswachstum in Afrika       die Kinderzahlen auf hohem Niveau verhar-
rungszuwachs ausgleicht bzw. dass eine            ist zudem nicht inklusiv, denn es entstehen     ren. Dies mindert die Chancen auf Entwick-
stetig wachsende und junge Bevölkerung            kaum Arbeitsplätze für eine zunehmen-           lungsfortschritte. Die wirtschaftlichen Folgen
als Arbeitskräfte, Konsumenten und Inno-          de Schar an jungen Erwerbstätigen. Das          der Pandemie tragen zu einer weiteren Ver-
vatoren für mehr Wirtschaftswachstum und          Wachstum kann vielmehr auf den Export           schlechterung der Situation bei. Der Kreislauf
sozioökonomischen Fortschritt sorgen kann.        unverarbeiteter Erzeugnisse und Bodenschät-     aus niedrigen Gesundheits- und Bildungswer-
In der Folge würden die hohen Geburtenzif-        ze zurückgeführt werden – wodurch nur ver-      ten, schwacher wirtschaftlicher Leistungsfä-
fern irgendwann von alleine sinken und das        hältnismäßig wenige formale Jobs geschaffen     higkeit und anhaltend hohem Bevölkerungs-
Bevölkerungswachstum ausklingen lassen, so        werden.                                         wachstum dürfte sich so fortsetzen.
die Schlussfolgerung.

4   Wachstum gut, alles gut?
Wie die Chancen des Bevölkerungs-                  Damit die afrikanischen Staaten die positiven     … Internationale Finanzinstitutionen,
wachstums genutzt werden können                    Altersstruktureffekte auf dem Weg zu einer      nicht zuletzt der IWF, die makroökonomi-
                                                   demografischen Dividende für sich nutzen        schen Auswirkungen der demografischen
Afrikas größte Chance auf einen Entwick-           können, sollte(n):                              Entwicklung stärker in den Blick nehmen
lungsschub, der breiten Teilen der Bevölke-                                                        und diese ebenfalls im Dialog mit afrikani-
rung zugutekommt, sind kleiner werdende               … Demografiepolitik ein fester Be-           schen Partnerländern thematisieren.
Familien. Denn erst mit einem Rückgang der         standteil einer integrierten Wirtschafts-
Fertilität setzt ein Wandel der Altersstruktur     politik in Afrika sein und das Wohl und            … afrikanische Handlungsansätze in
ein, den sich auch die asiatischen Tigerstaa-      die Bedürfnisse der Menschen im Fokus           demografierelevanten Bereichen wie etwa
ten bei ihrer wirtschaftlichen Aufholjagd          stehen. Neben der verstärkten Förderung von     die Ouagadougou Partnership oder die AU
zunutze gemacht haben. Dieser sogenannte           Wirtschaftsbereichen, die für die Schaffung     Roadmap on Harnessing the Demographic
demografische Bonus – bei dem überpropor-          von formalen Einkommensmöglichkeiten            Dividend von deutscher wie auch internati-
tional viele junge Produktivkräfte einem sin-      zentral sind, gehört dazu auch eine stärkere    onaler Seite stärker unterstützt werden.
kenden Anteil von zu versorgenden Kindern          Ausrichtung von Ausbildungsangeboten auf
und Jugendlichen sowie älteren Menschen            die Bedürfnisse des Arbeitsmarktes.
gegenüberstehen – ermöglicht im Idealfall
einen solchen wirtschaftlichen Aufschwung.            … die deutsche Außenpolitik den
Eine umfassende Demografiepolitik mit              dringenden Handlungsbedarf in demo-
Investitionen in die Kernbereiche Gesundheit,      grafierelevanten Bereichen im Dialog
Bildung, Frauenförderung und Familienpla-          mit afrikanischen Staaten stärker in den
nungsprogramme sowie die Schaffung von             Vordergrund stellen. Dabei gilt es klar zu
Arbeitsplätzen ist dafür unerlässlich – auch       kommunizieren, dass Wirtschaftswachstum
und gerade in der aktuellen Krise.                 allein nicht ausreicht, um die demografischen
                                                   Herausforderungen in Afrika zu bewältigen.

 in Prozent
                                                                                                   Wenn ein Virus Wachstum hemmt
 10
 8                                                                                                 Die meisten Regierungen in Afrika reagierten Anfang
                                                                                                   2020, als sich das Corona-Virus über dem Globus zu
 6
                                                                                                   verbreiten begann, mit strikten Beschränkungen und
 4                                                                                                 Maßnahmen. Das blieb – wie auch in anderen Teilen
                                                                                                   der Welt – nicht ohne Folgen für die Wirtschaftskraft
 2
                                                                                                   auf dem Kontinent: Im Juni korrigierte die Weltbank
 0                                                                                                 die Wachstumsprognosen für das Jahr 2020 für
                                                                                                   alle afrikanischen Staaten deutlich nach unten. Die
 -2
                                                                                                   Annahme, dass das hohe Wirtschaftswachstum das
 -4                                                                                                rasche Bevölkerungswachstum auf dem Kontinent
                                                                                                   abfängt, ist spätestens damit obsolet.
 -6
 -8                                                                                                Prognostizierte Wachstumsrate des Bruttoinlands-
                                                                                                   produkts, in Prozent, Januar und Juni 2020
 -10
                                                                                                   (Datengrundlage: Weltbank 1, 2)
          Subsahara-

                                                 Äthiopien

                                                                                       Südafrika
                                                              Botsuana
                       Ruanda

                                                                           Nigeria

                                                                                                      Januar
                                   Ghana
          Afrika

                                                                                                      Juni

                                                                                                                                     Berlin-Institut   5
DOPPELTES WACHSTUM –
              EIN ERFOLGSVERSPRECHEN?
Afrika wächst. Und das in doppelter Hinsicht.        Trotz regionaler Differenzen in Sachen              gängigen Prognosen auch für die kommen-
Einerseits gewinnt der Kontinent zurzeit mit         Wirtschaftsleistung trug der insgesamt solide       den Jahren so gelten sollte –, schien dieses
jeder Minute mehr als 60 Einwohner hinzu.            ökonomische Aufschwung auf dem Konti-               Argument bislang zu stützen.5 Während die
Bis zur Mitte des Jahrhunderts kommt das             nent bis zuletzt dazu bei, dass viele afrika-       Bevölkerung Afrikas laut den Vorausschät-
einem Zuwachs von über einer Milliarde               nische Regierungen zuversichtlich in die            zungen der Vereinten Nationen bis 2025
Menschen und damit fast einer Verdopplung            Zukunft blickten. So sprach etwa Südafrikas         jährlich um etwa 2,5 Prozent wachsen soll,
der Bevölkerungszahl gleich. Damit entfällt          Präsident Ramaphosa beim Weltwirtschafts-           prognostizierten Experten der Afrikanischen
die Hälfte des globalen Bevölkerungszuwach-          forum zu Afrika 2019 in Kapstadt von einem          Entwicklungsbank (AfDB) Anfang 2020 ein
ses bis 2050 allein auf den afrikanischen            kommenden „afrikanischen Jahrhundert“.4             Wachstum der afrikanischen Wirtschaft von
Kontinent.1                                          Die positive ökonomische Entwicklung                3,9 Prozent im Jahr 2020 und sogar 4,1 Pro-
                                                     verleitet viele Politiker und Entscheidungs-        zent im darauffolgenden.6 In den Augen der
Auch wirtschaftlich standen die Zeichen auf          träger – auch über den Kontinent hinaus             Wachstumsgläubigen gibt das hohe Bevölke-
dem afrikanischen Kontinent bis zuletzt auf          – immer wieder zu der Annahme, dass das             rungswachstum also keinen Grund zur Sorge.
Wachstumskurs: Seit dem Millenniumswech-             hohe Wirtschaftswachstum das Bevölke-
sel ließ sich ein solider wirtschaftlicher Auf-      rungswachstum auffängt. Denn solange die
wärtstrend beobachten.2 Im Schnitt wuchsen           wirtschaftlichen Wachstumsraten höher               Einbruch durch COVID-19
die Staaten Afrikas seit dem Jahr 2000 jähr-         liegen als die demografischen, sollte sich das
lich um mehr als vier Prozent. Weltweit lagen        Mehr an Menschen gut versorgen lassen, so           Mit dem Ausbruch der COVID-19-Pandemie
die durchschnittlichen Wachstumsraten des            eine verbreitete Meinung.                           haben sich die wirtschaftlichen Wachs-
Bruttoinlandsprodukts in diesem Zeitraum                                                                 tumsaussichten des Kontinents allerdings
nur in Süd- und Ostasien höher.3                     Dass die jährliche Wachstumsrate der                drastisch verändert – zumindest vorüber-
                                                     afrikanischen Bevölkerung in den letzten            gehend. Nachdem seit der ersten Hälfte
                                                     zwei Jahrzehnten deutlich niedriger lag als         des Jahres 2020 „Lockdowns“ und „Social-
                                                     das Wirtschaftswachstum – und dies laut den         Distancing“-Maßnahmen das wirtschaftliche

    unter 0
    0 bis unter 25
    25 bis unter 50
    50 bis unter 75
    75 bis unter 100
    100 bis unter 125
    125 bis unter 150
    150 und mehr

Wachstumszentrum Afrika

Das weltweite Bevölkerungswachstum konzentriert
sich zunehmend auf die wenig entwickelten Staaten
in Westasien und vor allem auf Subsahara-Afrika.
Viele Länder der Region dürften laut den Schätzun-
gen der UN in den kommenden drei Jahrzehnten eine               Vorausgeschätztes Bevölkerungswachstum
Verdopplung ihrer Einwohnerzahl erleben, einige                 weltweit, in Prozent, 2020 bis 2050
sogar fast eine Verdreifachung.                                 (Datengrundlage: UNDESA10)

6   Wachstum gut, alles gut?
Wirtschaftlicher Aufwärtstrend

Als Nachzügler in Sachen sozioökonomischer
Entwicklung haben viele afrikanische Staaten in
den letzten knapp 20 Jahren ein vergleichsweise hohes
Wirtschaftswachstum erlebt – wenn auch überwiegend
ausgehend von einem niedrigen Niveau. Während viele
Industrie- und zunehmend auch Schwellenländer nur noch
niedrige Wachstumsraten ihres Bruttoinlandsprodukts (BIP)                        unter 0
verzeichneten, trug Afrika dazu bei, den globalen Wirtschafts-                   0 bis unter 3
motor am Laufen zu halten. Im Zeitraum zwischen 2000 und
                                                                                 3 bis unter 5
2018 gehörten mit Äthiopien, Äquatorialguinea und Ruanda
drei afrikanische Staaten zu den am schnellsten wachsenden                       5 bis unter 8
                                                                                                 Durchschnittliche jährliche Wachstumsraten des BIP (kaufkraftbe-
Volkswirtschaften der Welt. Nun trübt die COVID-19-Pandemie                      8 und mehr      reinigt, in internationalen 2017 US-Dollar), in Prozent, 2000 bis 2018
allerdings die wirtschaftlichen Aussichten des Kontinents.                       keine Daten     (Datengrundlage: Weltbank14)

Leben vielerorts auf dem Kontinent zum                  das Virus für viele Menschen auf dem                 lungsrückschläge infolge der Pandemie das
Stillstand gebracht haben, zeigen sich nun              Kontinent den oft ohnehin schon schwierigen          hohe Bevölkerungswachstum auch künftig
die Folgen einbrechender Rohstoffpreise,                Zugang zu Gesundheitsdienstleistungen und            noch länger anhalten.
ausbleibender Touristenströme, unterbro-                Bildung. Über 250 Millionen Kinder und Ju-
chener globaler Lieferketten und zurückge-              gendliche besuchten im Juli 2020 keine Schu-         Bei einem genaueren Blick auf die bisherige
hender Investitionen und Geldtransfers der              le.12 Wann alle Bildungseinrichtungen wieder         sozioökonomische Entwicklung des afrikani-
Diaspora.7 Das zu erwartende Wirtschafts-               öffnen und ob dann alle Schüler und Schüle-          schen Kontinents wird allerdings schnell klar,
wachstum in diesem, aber auch in den                    rinnen zurückkehren können, bleibt unklar.           dass die Einschätzungen der Wachstumsop-
kommenden Jahren, dürfte dadurch deutlich               Und da die Pandemie die ohnehin schon                timisten auch ohne die Folgen von COVID-19
geringer ausfallen, als zuvor erwartet. Den             maroden Gesundheitssysteme zusätzlich                nicht der Realität entsprechen. Die vorhan-
jüngsten Prognosen der Weltbank zufolge                 belastet, dürften sich auch die Gesundheits-         denen Daten zeigen, dass auch das hohe
könnten die Länder südlich der Sahara 2020              werte, insbesondere bei Frauen und Kindern,          Wirtschaftswachstum der letzten beiden
ein Negativwachstum von rund drei Prozent               verschlechtern.13 Diese Rückschläge könnten          Jahrzehnte nicht ausgereicht hat, um mit den
zu verzeichnen haben – ein Rückgang von                 sich mittel- bis langfristig auch auf Afrikas        bisher gesehenen Bevölkerungszuwächsen in
fast sechs Prozentpunkten gegenüber den                 demografische Entwicklung auswirken: Denn            Afrika mitzuhalten. Denn der wirtschaftliche
vorangegangenen Prognosen im Januar                     solange sich die Lebensbedingungen auf dem           Aufwärtstrend hat sich nicht oder nur kaum
2020.8 Damit dürfte der Kontinent 2020 zum              Kontinent nicht verbessern – oder sie sich           in tatsächliche sozioökonomische Fortschrit-
ersten Mal seit 25 Jahren in eine Rezession             sogar verschlechtern – bleiben erfahrungsge-         te übersetzt, die nötig wären, damit sich das
schlittern.9                                            mäß auch die Kinderzahlen hoch.                      hohe Bevölkerungswachstum langfristig
                                                                                                             reduziert. Kapitel 2 zeigt einige wesentliche
Die vielseitigen Folgen der Pandemie wirken                                                                  Gründe dafür auf und legt dar, warum die
sich aber nicht nur auf die Wirtschaft,                 Handlungsbedarf – nicht nur wegen                    Kinderzahlen auf dem afrikanischen Konti-
sondern auch in erheblichem Umfang auf die              der Pandemie                                         nent weiterhin auf hohem Niveau verharren.
Lebensbedingungen der Menschen auf dem                                                                       Kapitel 3 zeigt dagegen, welche (wirtschaft-
Kontinent aus und könnten bereits erzielte              Damit ist die Annahme, dass das hohe Wirt-           lichen) Möglichkeiten sich für Afrika ergeben
Entwicklungsfortschritte in Afrika zunich-              schaftswachstum das rasche Bevölkerungs-             würden, wenn die Kinderzahlen sinken, und
temachen. Laut Schätzungen der Weltbank                 wachstum auf dem Kontinent abfängt, in               welche Maßnahmen dafür dringend nötig
könnten infolge der Pandemie 13 Millionen               doppelter Hinsicht obsolet. Denn kurzfristig         wären – gerade in Krisenzeiten. Nur wenn
Menschen in Afrika in diesem Jahr in die                werden die Wohlstandsgewinne, die in Zu-             heute bereits an den richtigen Stellschrauben
extreme Armut abrutschen. Je nachdem wie                kunft auf immer mehr Köpfe verteilt werden           gedreht wird, haben afrikanische Staaten
schwerwiegend die wirtschaftlichen Folgen               müssen, aufgrund des Wirtschaftseinbruchs            die Aussicht auf einen demografiebedingten
tatsächlich ausfallen, könnten es sogar noch            nun noch geringer ausfallen. Und gleichzeitig        Entwicklungsschub, eine „demografische
deutlich mehr werden.11 Noch dazu erschwert             könnte durch die zu befürchtenden Entwick-           Dividende“.

                                                                                                                                               Berlin-Institut   7
WARUM WIRTSCHAFTSWACHS-
                  TUM ALLEIN AFRIKAS ENTWICK-
                  LUNG NICHT BESCHLEUNIGT
Wirtschaftliches Wachstum bringt mehr                   Bildungswerte auf dem Kontinent, sondern                            absolute Zahl an Menschen, die in extremer
Wohlstand für alle – so die gängige ökonomi-            auch die anhaltende Armut. Zwar ist die                             Armut lebt: Während 1990 noch knapp 280
sche Theorie. In Afrika scheint dies bislang            Armutsrate insbesondere in den Ländern süd-                         Millionen Menschen in den Ländern südlich
jedoch nicht oder nur eingeschränkt der Fall            lich der Sahara seit dem Millenniumswechsel                         der Sahara täglich mit weniger als 1,90 US-
zu sein. Ein Blick auf das Bruttoinlandspro-            bereits gesunken: Von fast 60 Prozent in Sub-                       Dollar auskommen mussten, waren es 2015
dukt pro Kopf zeigt, dass von dem erwirt-               sahara-Afrika im Jahr 2000 auf 42 Prozent                           rund 420 Millionen.17 Sofern sich der aktuelle
schafteten Wohlstand auf dem Kontinent für              im Jahr 2015, was ohne Frage ein Erfolg ist.                        Trend fortsetzt, wird Afrika das oberste Ziel
jeden einzelnen bisher wenig übrigbleibt:               Allerdings verläuft die Armutsreduktion lang-                       der Nachhaltigen Entwicklungsziele (SDGs),
Zwischen 2000 und 2019 sind die Pro-                    samer, als zuvor in anderen Weltregionen wie                        bis 2030 Armut komplett auszuradieren, nicht
Kopf-Einkommen in den Ländern südlich der               etwa in Südasien und auch in Lateinamerika.16                       erreichen. Laut Schätzungen der Weltbank
Sahara im Schnitt jährlich nur um rund 1,9              Und vor allem stieg mit dem Zuwachs an Ein-                         dürfte in zehn Jahren noch immer jeder Vierte
Prozent gewachsen. Im gleichen Zeitraum ist             wohnern in den letzten drei Jahrzehnten die                         auf dem Kontinent in Armut leben.18
das BIP pro Kopf in Ost- und Südasien um 4,6
respektive 4,7 Prozent jährlich gestiegen. Der
                                                                                                                     Tunesien
starke Zuwachs an Einwohnern hat also dafür
                                                                                   Marokko
gesorgt, dass das reale BIP pro Kopf in Subsa-
hara-Afrika heute noch etwa auf demselben                                                            Algerien
                                                                                                                                Lybien
                                                                                                                                                   Ägypten
Niveau liegt wie in den 1970er Jahren.15                          Westsahara

Zudem hat sich das vergleichsweise hohe                                  Mauretanien
Wirtschaftswachstum bislang kaum in                                                             Mali                Niger
                                                                                                                                                               Eritrea
sozioökonomische Entwicklungsfortschritte                      Gambia Senegal                                                   Tschad             Sudan
                                                                                              Burkina                                                                        Dschibuti
übersetzt, die breiten Teilen der Bevölkerung                  Guinea-                        Faso
                                                               Bissau         Guinea                 Benin
zugutekommen. Dafür sprechen nicht nur die                                                    Ghana        Nigeria                Zentral-                       Äthiopien
vergleichsweise schlechten Gesundheits- und                    Sierra Leone
                                                                                                                                  afrikanische     Südsudan
                                                                                                                                  Republik
                                                                                                      Togo          Kamerun
                                                                         Liberia
                                                                                       Elfenbein-                                                                             Somalia
                                                                                       küste           Äquatorial                                      Uganda Kenia
                                                                                                       Guinea                 Kongo
                                                                                                                      Gabun           Demokratische                          Ruanda
                                                                                                    Saõ Tomé
Geringe Einkommen für viele Menschen                                                                und Príncipe
                                                                                                                                      Republik
                                                                                                                                      Kongo
                                                                                                                                                                             Burundi

                                                                                                                                                            Tansania
Das Wohlstandsniveau auf dem afrikanischen Kontinent ist weltweit am
niedrigsten – auch weil der erwirtschaftete Wohlstand auf viele Köpfe verteilt
werden muss. Das BIP pro Kopf, also das pro Einwohner erwirtschaftete Volks-                                                    Angola                     Malawi
einkommen, liegt in den Ländern südlich der Sahara im Schnitt bei nur rund                                                                  Sambia
4.000 US-Dollar und damit weit unter dem weltweiten Durchschnitt von knapp                 unter 2.000
18.000 US-Dollar. Die regionalen Unterschiede auf dem Kontinent sind dabei                 2.000 bis unter 4.000                                              Mosambik
                                                                                                                                                 Simbabwe
aber erheblich: Während in Burundi pro Person gerade einmal 780 US-Dollar                                                     Namibia                                    Madagaskar
                                                                                           4.000 bis unter 6.000
zur Verfügung stehen, sind es auf den Seychellen 30.000 US-Dollar.                                                                        Botsuana
                                                                                           6.000 bis unter 8.000
                                                                                           8.000 bis unter 10.000
Pro-Kopf-Einkommen (kaufkraftbereinigt, in US-Dollar, 2019) und durchschnitt-                                                                                  Swasiland
liche jährliche Wachstumsrate des BIP pro Kopf (in Prozent, 2000 bis 2019)                 10.000 und mehr
(Datengrundlage: Weltbank19)                                                               keine Daten                                 Südafrika
                                                                                                                                                      Lesotho

8   Wachstum gut, alles gut?
Absolute Zahl, in Millionen                                                    in Prozent      Mehr Arme trotz sinkender Armutsraten
  450                                                                                    70
                                                                                                 Auf den ersten Blick ist es eine positive Nachricht,
  400                                                                                            dass die Armutsrate in den Ländern südlich der
                                                                                         60
                                                                                                 Sahara in den letzten Jahrzehnten deutlich gesunken
  350                                                                                            ist. Der Vergleich der absoluten Zahlen zeigt jedoch,
                                                                                         50      dass heute mehr Menschen in Subsahara-Afrika in
  300                                                                                            extremer Armut leben als noch 1990 – das Ergebnis
                                                                                                 unzureichender sozioökonomischer Fortschritte und
  250                                                                                    40      eines hohen Bevölkerungszuwachses. Sofern das BIP
                                                                                                 pro Kopf künftig weiter wächst wie zwischen 1998
  200                                                                                            und 2013, dürften nach den Schätzungen der Welt-
                                                                                         30
                                                                                                 bank auch im Jahr 2030 – wenn Armut laut den SDGs
  150                                                                                            weltweit ausradiert sein sollte – noch immer über
                                                                                         20      300 Millionen Menschen weniger als 1,90 US-Dollar
                                                                                                 täglich zur Verfügung haben.
  100
                                                                                         10      Entwicklung der Armutsrate (in Prozent) sowie der
  50
                                                                                                 absoluten Zahl der Menschen in extremer Armut
                                                                                                 (< 1,90 US-Dollar täglich) in Afrika, in Millionen,
  0                                                                                      0
                                                                                                 unterschiedliche erhobene Jahre sowie Vorausschät-
           1990 1993 1996 1999 2002 2005 2008 2010 2011 2012 2013                 2030           zung für 2030 (nach Basisszenario)
        Zahl der extrem Armen                                                                    (Quelle: Christiaensen und Beegle 2019 20)

        Armutsrate in Prozent

2.1. Ohne Arbeitsplätze                        Geringer Industrialisierungsgrad                  den Ländern wie Äthiopien oder Ruanda (die
                                                                                                 große Anstrengungen unternehmen, einen
kein inklusives Wachstum                       In anderen Weltregionen sorgte die verarbei-      Industrialisierungsprozess voranzutreiben)
                                               tende Industrie stets für die Entstehung einer    liegt das Potenzial der Verarbeitungs- und
Warum profitieren die Afrikanerinnen und       Vielzahl von Einkommensmöglichkeiten, wie         Fertigungsindustrie auf dem Kontinent größ-
Afrikaner bislang kaum von den hohen           zuletzt etwa in Asien: Asiatische Schwellen-      tenteils brach.22 Insgesamt ist der Anteil des
Wirtschaftswachstumsraten? Ein Grund           länder – allen voran China – haben in der         verarbeitenden Gewerbes an der Wertschöp-
dafür ist der Ursprung des wirtschaftlichen    Vergangenheit als verlängerte Werkbänke der       fung in den Ländern südlich der Sahara in den
Wachstums in Afrika: Anders als in Ländern     Weltwirtschaft einfache Produktionsbetriebe       letzten Jahren sogar zurückgegangen – sprich:
Asiens, die in den vergangenen Jahrzehnten     aufgebaut, in denen die wachsende Zahl an         der Kontinent hat sich eher de-industrialisiert
einen raschen Industrialisierungsprozess       Erwerbsfähigen unterkam – inklusive jener,        statt industrialisiert.23
durchlaufen haben, basiert das Wirtschafts-    die in der immer produktiver werdenden
wachstum in vielen afrikanischen Staaten       Landwirtschaft nicht mehr gebraucht wurden.
weiterhin überwiegend auf dem Export von       Ausgehend von Wirtschaftszweigen wie der          Wachstum ohne Jobs
Rohstoffen und unverarbeiteten landwirt-       Textil-, Leder- und anderer Leichtindustri-
schaftlichen Erzeugnissen. Das macht viele     en sind diese Länder schließlich in höhere        Das Ausbleiben dieses Strukturwandels
afrikanische Volkswirtschaften einerseits      Wertschöpfungsketten aufgestiegen, die            sorgt für einen Mangel an sicheren Ein-
empfindlich für Preisschwankungen auf dem      Produktivitäts- und Einkommensgewinne mit         kommensmöglichkeiten für die wachsende
Weltmarkt. Andererseits wirkt sich diese       sich brachten.                                    Erwerbsbevölkerung in Afrika. Schätzungen
Wirtschaftsstruktur unmittelbar auf die                                                          zufolge fanden zwischen 2010 und 2020 nur
Chancen zur Armutsreduktion aus – nicht nur,   Die Fabriken und Industrieanlagen, die            4 Prozent der Berufseinsteiger einen formalen
weil mit einem Reichtum an Bodenschätzen       zunächst in Europa und zuletzt in Asien den       Job in der Industrie, 21 Prozent kamen im
meist auch ein hoher Grad an Korruption und    Motor für wirtschaftliches Wachstum und           Dienstleistungssektor unter, während der Rest
mangelnden Investitionen in die Basisinfra-    Entwicklungsfortschritte darstellten, fehlen in   leer ausging.24 Und mit dem stetigen Zuwachs
struktur einhergeht, sondern vor allem, da     afrikanischen Ländern bislang überwiegend.        an Menschen verschärft sich diese Situation:
in diesem Bereich meist nur wenige formale     Mit einigen Ausnahmen wie Südafrika, Ägyp-        Aktuell wächst die Zahl der Menschen im
Arbeitsplätze entstehen.21                     ten und Nigeria (die als mehr oder weniger in-    Erwerbsalter in Afrika jährlich um über 20
                                               dustrialisiert gelten) und einigen aufstreben-    Millionen Menschen.25 Allein in Subsahara-

                                                                                                                                   Berlin-Institut     9
Afrika müssten jedes Jahr etwa 18 Millionen
Arbeitsplätze geschaffen werden, um der
                                                 2.2. Wenig Investitionen                            Ungenutzte Ressourcen
wachsenden Zahl an Erwerbsfähigen eine           ins Humankapital                                    Damit fehlt es den afrikanischen Staaten nicht
Zukunftsperspektive und ein Einkommen zu                                                             nur an Möglichkeiten, mit eigenen Mitteln
garantieren. Zuletzt entstanden jedes Jahr       Schätzungsweise 86 Prozent der Afrikaner            in die Infrastruktur zu investieren, die für
aber nur etwa 3 Millionen formale Arbeitsplät-   müssen sich mit informellen Arbeitsplätzen          einen Strukturwandel hin zur verarbeiten-
ze.26 Durch die wirtschaftlichen Folgen der      zufriedengeben.27 Das bedeutet meist nicht          den Industrie und einen auf breitere Beine
Corona-Pandemie, könnten es künftig noch         nur prekäre Arbeitsbedingungen, niedrige            gestellten wirtschaftlichen Wachstumskurs
weniger sein.                                    Einkommen und eine fehlende soziale Absi-           nötig wären – von Straßen, Schienen,
                                                 cherung für die Menschen selbst. Auch für den       Stromleitungen bis hin zu Solaranlagen und
Der Jobmangel verdammt die Mehrheit der          Staat hat das negative Folgen: Denn wer nicht       Windparks. Es mangelt auch an Mitteln, um in
Afrikaner dazu, sich als Subsistenzbauern        formal als Arbeitnehmer registriert ist, zahlt      die wohl größte Ressource des Kontinents zu
oder im informellen Dienstleistungssektor        auch keine Steuern – zumindest keine direk-         investieren: In die Gesundheit und vor allem
über Wasser zu halten. Denn ohne ein staatli-    ten. Dies trägt mit zu den insgesamt niedrigen      die Bildung seiner jungen Bevölkerung – also
ches Auffangnetz und mit insgesamt geringen      Staatseinnahmen auf dem Kontinent bei.28, 29        in das, was Ökonomen als Humankapital be-
Haushaltseinkommen kann es sich kaum             Im Schnitt lagen die Steuereinnahmen in af-         zeichnen. Dabei wäre genau das eine zentrale
jemand leisten, arbeitslos zu sein. Solange      rikanischen Ländern mit niedrigen-mittleren         Voraussetzung für Wirtschaftswachstum und
sich die afrikanischen Volkswirtschaften nicht   Einkommen 2013 bei gerade einmal 19 Pro-            sozioökonomische Fortschritte.
diversifizieren und produktivere Arbeitsplätze   zent des BIPs – gegenüber 34 Prozent (2015)
in der Industrie und im formalen Dienstleis-     im OECD-Schnitt. Die Staaten mit niedrigem          Dass gerade die Staaten südlich der Sahara
tungssektor – etwa in der Technologie-, der      Einkommen kommen sogar nur auf einen                dabei großen Nachholbedarf haben, zeigt sich
Kommunikations- oder Finanzbranche – ge-         Schnitt von 14 Prozent. In einigen Ländern          etwa bei einem Blick auf den Human Capital
schaffen werden, bleiben ihre Aussichten, in     liegen die Steuereinnahmen unter 13 Prozent         Index der Weltbank. Dieser bewertet anhand
Zukunft sichere und auskömmliche Einkom-         und somit unterhalb des Niveaus, ab dem die         von Gesundheits- und Bildungsindikatoren,
men zu erzielen, getrübt. Erfahrungsgemäß        Aufrechterhaltung grundlegender staatlicher         wieviel Humankapital ein heute geborenes
verharren dann auch die Kinderzahlen auf         Aufgaben gewährleistet werden kann.30               Kind bis zu seinem 18. Lebensjahr voraus-
hohem Niveau und das Bevölkerungswachs-
tum hält an.

Wo das Humankapital
ausgebaut werden muss

Eine gute Gesundheit und eine solide Aus-
bildung sind Grundvoraussetzungen dafür,
dass Menschen sich für die Gesellschaft
einbringen, Ideen entwickeln oder Unter-
nehmen gründen können. Dann tragen sie
zum Wachstum ihrer Volkswirtschaften bei
und verbessern gleichzeitig ihren eigenen                  unter 0,4
Lebensstandard. Ein Blick auf den Human                    0,4 bis unter 0,5
Capital Index der Weltbank zeigt jedoch,                   0,5 bis unter 0,6
dass es afrikanischen Staaten genau an                     0,6 bis unter 0,7
diesen Grundlagen mangelt, die für einen                                         Human Capital Index (wobei „0“ niedriger und
sozioökonomischen Aufholprozess nötig                      0,7 und mehr          „1“ hoher Stand des Humankapitals bedeutet), 2018
wären.                                                     nicht klassifiziert   (Datengrundlage: Weltbank 38)

10 Wachstum gut, alles gut?
Bildung zahlt sich aus
         Welt
                                                                                                 Verstärkte Investitionen im Bildungsbereich bringen
   Subsahara-                                                                                    nicht nur volkswirtschaftliche Vorteile, sondern auch
       Afrika                                                                                    Einkommenseffekte für jeden Einzelnen. Trotz aller
                                                                                                 Probleme der afrikanischen Bildungssysteme fällt
                                                                                                 der monetäre Nutzen von Bildung im Schnitt in keiner
     Südasien                                                                                    Region der Welt höher aus als in Subsahara-Afrika.
                                                                                                 In Ruanda etwa bringt jedes zusätzliche Bildungsjahr
  Naher Osten                                                                                    ein Lebenseinkommensplus von etwa 22 Prozent.
und Nordafrika                                                                                   Dabei profitieren Frauen stärker von einer höheren
                                                                                                 Bildung als Männer.
Lateinamerika
   und Karibik                                                                      Frauen       Durchschnittlicher Anstieg des Lebenseinkommens
                                                                                    Männer       je zusätzlich abgeschlossenem Schuljahr nach Welt-
   Europa und                                                                                    region und Geschlecht, in Prozent, 2014
                                                                                    Gesamt
  Zentralasien                                                                                   (Datengrundlage: Montenegro und Patrinos39)

     Ostasien
   und Pazifik

                 0      2         4          6         8        10         12        14   in Prozent

sichtlich erwerben kann. Dabei sind die Chan-    Defizite im Bildungsbereich                       Verstärkte Investitionen in die Gesundheit
cen der jungen Generation in den Staaten                                                           und Bildung der Menschen in Afrika sind
südlich der Sahara im weltweiten Vergleich       Auch bei den Bildungswerten zeigen sich auf       damit dringend nötig – nicht nur in Zeiten
am trübsten: Mit einem Durchschnittswert         dem gesamten Kontinent große Defizite: Zwar       der Corona-Krise. Im Jahr 2001 hatten sich
von 0,40 liegen die Länder der Region weit       hat sich der Bildungszugang formal in den         die Mitgliedsstaaten der Afrikanischen
unter dem weltweiten Schnitt von 0,57.31         letzten beiden Jahrzehnten bereits deutlich       Union (AU) in der Abuja-Deklaration dazu
                                                 verbessert. Doch von dem Ziel, allen Kindern      verpflichtet, mindestens 15 Prozent ihrer
Das schlechte Abschneiden der afrikanischen      und Jugendlichen bis 2030 eine Sekundar-          jährlichen Budgets für die Verbesserung des
Staaten in Sachen Gesundheit und Bildung         schulbildung zu ermöglichen, wie es die Nach-     Gesundheitssektors einzusetzen. Bis 2014
verwundert dabei kaum. Die Kinder- und Müt-      haltigen Entwicklungsziele (SDGs) vorsehen,       hatten sich allerdings nur vier Länder daran
tersterblichkeit ist vor allem in den Ländern    waren die afrikanischen Staaten schon vor der     gehalten.35 Auch die Empfehlung der Unesco,
südlich der Sahara weiterhin hoch, vermeid-      COVID-19-Pandemie weit entfernt. Im Schnitt       jährlich 15 bis 20 Prozent des Staatshaushalts
bare Infektionskrankheiten sind noch immer       schließen in Subsahara-Afrika nur 6 von 10        für Bildung auszugeben, wird längst nicht von
verbreitet und vielerorts mangelt es an grund-   eingeschulten Kindern eine Grundschule            allen Ländern erfüllt.36 Höhere Investitionen
legenden Voraussetzungen für ein gesundes        ab und nur jeder Vierte schafft das Abitur.33     in diesen Bereich dürften laut Weltbank auch
Leben, wie sauberem Wasser oder sanitären        Selbst wer in den Genuss von Bildung kommt,       enorme Effekte auf die wirtschaftliche Ent-
Einrichtungen. Das trägt dazu bei, dass der      ist damit meist schlecht qualifiziert, um auf     wicklung der Region haben: Wenn alle Mäd-
Kontinent weltweit die höchste Krankheitslast    dem Arbeitsmarkt im 21. Jahrhundert zu            chen und Jungen in Afrika ihr volles Potenzial
trägt – bei gleichzeitig der geringsten Dichte   bestehen. Das liegt meist schon an fehlenden      ausschöpfen könnten, dürfte das BIP pro
an medizinischem Personal und insgesamt          Grundlagen: So konnten laut repräsentativen       Arbeitnehmer 2,5-mal höher liegen als heute.
maroden Gesundheitssystemen.32                   Umfragen in Senegal, Kenia, Tansania, Nige-       Das entspräche einem zusätzlichen jährlichen
                                                 ria, Togo, Uganda und Mosambik im Schnitt         Wirtschaftswachstum von 1,8 Prozent über
                                                 38 Prozent der Schülerinnen und Schüler der       die kommenden 50 Jahre.37
                                                 vierten Klasse keinen einzigen Buchstaben,
                                                 53 Prozent keinen vollständigen Satz und 89
                                                 Prozent keinen ganzen Absatz lesen.34

                                                                                                                                     Berlin-Institut 11
2.3. Bevölkerungswachs-                             Mangelnde Entwicklung bremst                                       liarde Menschen in den kommenden drei
                                                    Fertilitätsrückgang – und hohe                                     Jahrzehnten erschwert dabei die dringend
tum erschwert Aufholjagd                            Kinderzahlen verhindern Entwicklung                                nötige Schaffung einer ausreichenden Zahl
                                                                                                                       von Arbeitsplätzen und einer Verbesserung
Der Mangel an Arbeitsplätzen und Humanka-           Die langsamen sozioökonomischen Fort-                              des Humankapitals weiter. Während 2018
pital mindert die Chancen der afrikanischen         schritte tragen so dazu bei, dass die Gebur-                       beispielsweise noch immer rund 35 Millionen
Volkswirtschaften auf ein – womöglich noch          tenziffern in Afrika bislang deutlich langsamer                    Grundschulkinder in Afrika nicht zur Schule
höheres – Wirtschaftswachstum, das dazu             sinken als zuvor in anderen Weltregionen.                          gingen, wächst die Altersgruppe der zu be-
beitragen könnte, die Lebensbedingungen             Während in Asien die Geburtenziffer zwi-                           schulenden Kinder im kommenden Jahrzehnt
der Menschen zu verbessern und Armut                schen 1965 und 1985 von 5,7 auf 3,5 Kinder                         mit jedem Jahr im Schnitt um über vier Millio-
zu reduzieren. Die geringen Chancen der             pro Frau gesunken ist – ein Rückgang um 40                         nen.41, 42 Die COVID-19-Pandemie vergrößert
Afrikaner, von dem vorhandenen wirtschaft-          Prozent –, sank sie in Afrika nicht nur 20 bis                     die Zugangslücken nun noch zusätzlich. Der
lichen Wachstum zu profitieren, hat auch            30 Jahre später, sondern auch nur um gerade                        Kreislauf aus niedrigen Gesundheits- und
einen demografischen Effekt: Denn solange           einmal 17 Prozent.                                                 Bildungswerten, schwacher wirtschaftlicher
Menschen keine Möglichkeiten haben, sich                                                                               Leistungsfähigkeit und anhaltend hohem
dank einer guten Gesundheit, einer adäqua-          Das Ergebnis dieses langsamen Rückgangs                            Bevölkerungswachstum setzt sich so fort.
ten Bildung und über vorhandene Einkom-             ist, dass Afrikanerinnen heute im Laufe ihres
mensmöglichkeiten selbst aus der Armut zu           Lebens im Schnitt 4,4 Kinder zur Welt bringen
befreien, verharren erfahrungsgemäß auch            und damit fast doppelt so viele wie Frauen
die Kinderzahlen auf hohem Niveau.                  in anderen Weltregionen.40 Der dadurch zu
                                                    erwartende Zuwachs von über einer Mil-

                                                Kinder je Frau
Spät und langsam
                                                7
Beim Fertilitätsrückgang hinkt Afrika anderen
Weltregionen bislang deutlich hinterher, denn   6
dieser setzte hier nicht nur 20 bis 30 Jahre
später ein als etwa in Asien oder Lateiname-
rika, sondern verläuft bislang auch deutlich    5
langsamer. Die anhaltend hohen Bevölkerungs-
                                                                                                                                                                    Afrika
zuwächse machen es immer schwieriger, aus-
reichend Gesundheitseinrichtungen, Schulen      4
oder Arbeitsplätze für alle bereitzustellen.
Dabei wäre genau das zentral, damit die
                                                3
Staaten Afrikas sozioökonomisch aufschließen
können.                                                                                                                                                             Ozeanien
                                                                                                                                                                    Asien
                                                2                                                                                                                   Lateinamerika
Durchschnittliche Kinderzahl je Frau nach                                                                                                                           Nordamerika
Weltregionen, 1950 bis 2020                                                                                                                                         Europa
(Datengrundlage: UNDESA43)                      1

                                                0
                                                                                                                                    2000–

                                                                                                                                            2005–
                                                                    1960–

                                                                                                                    1990–
                                                                                                    1980–

                                                                                                                                                    2010–
                                                    1950–

                                                                                    1970–
                                                                            1965–

                                                                                                                            1995–
                                                                                                            1985–

                                                                                                                                                            2015–
                                                            1955–

                                                                                            1975–
                                                                                            1980-

                                                                                                                            2000

                                                                                                                                    2005
                                                            1960

                                                                                                            1990

                                                                                                                                                            2020
                                                                                                                                            2010
                                                                            1970
                                                                    1965

                                                                                                                    1995
                                                                                                    1985

                                                                                                                                                    2015
                                                    1955

                                                                                    1975

12 Wachstum gut, alles gut?
WIE SINKENDE KINDERZAHLEN
                      ENTWICKLUNGSMÖGLICHKEITEN
                      ERÖFFNEN
    Afrikas Wirtschaftswachstum reicht bei wei-          demografische Entwicklung beschreibt, die             übergehend kommt es so zu einem starken
    tem nicht aus, um die stetig wachsende Zahl          den sozioökonomischen Fortschritt bislang in          Bevölkerungswachstum. Erst wenn sich die
    an Einwohnern adäquat zu versorgen. Und da           allen Ländern weltweit begleitet hat.                 Einsicht durchsetzt, dass der Nachwuchs
    sich so die Lebensbedingungen der Men-                                                                     überlebt und gleichzeitig sozioökonomische
    schen auf dem Kontinent kaum verbessern,                                                                   Fortschritte die Lebensbedingungen der
    gehen die Kinderzahlen nur sehr langsam              Wenn sich die Altersstruktur wandelt                  Menschen verbessern – wenn sich also die
    zurück, was für weitere hohe Bevölkerungs-                                                                 Gesundheitsversorgung weiter verbessert,
    zuwächse sorgt. Was aber würde passieren,            Der demografische Übergang beschreibt den             Schulen und Universitäten neue Bildungs-
    wenn die Geburtenziffern zurückgehen                 Wandel von Gesellschaften mit hohen Sterbe-           möglichkeiten bieten, formale Arbeitsplätze
    und sich das Bevölkerungswachstum                    und Geburtenraten hin zu solchen, in denen            entstehen und Frauen mehr Rechte erlangen
    verlangsamen würde? Wäre dann auch ein               beide ein niedriges Niveau erreichen. Auf-            – beginnen zeitverzögert auch die Geburten-
    sozioökonomischer Aufholprozess möglich?             grund einer besseren Ernährung und Hygiene            ziffern zu sinken. Das Bevölkerungswachstum
    Antworten auf diese Fragen gibt das Modell           sinkt dabei zunächst die Sterberate, während          klingt aus oder kehrt sich sogar in einen
    des demografischen Übergangs, der jene               die Geburtenrate vorläufig hoch bleibt. Vor-          Schwund um.

                                                                         USA
                                                                                               Bevölkerung         Ein Weg für alle Staaten
                                                                                China
                                                      Tunesien                          Deutschland                Im Zuge ihrer sozioökonomischen Entwicklung
                                                                                                                   durchlaufen alle Länder einen demografischen
                                                 Ghana                                                             Übergang – allerdings zeitversetzt und mit
                                                                                                                   unterschiedlichen Geschwindigkeiten. Dabei
                                               Äthiopien                                                           sinkt zunächst durch eine Verbesserung der Le-
                                                                                                                   bensbedingungen die Sterberate und mit einer
                               Senegal                                                                             Zeitverzögerung von ein bis zwei Generationen
-                                                                                                                  schließlich auch die Geburtenrate. In dieser
                                                                                                                   Zwischenphase wächst die Bevölkerung stark.
                                                                                                                   Zum Ende des Übergangs stagniert sie oder
                                       Niger
                                                                                                                   beginnt sogar zu schrumpfen, sofern es keine
                                                                                               Sterberate          Zuwanderung gibt. Im Laufe dieses Transfor-
                                                                                                                   mationsprozesses verändert sich aber nicht nur
                                                                                                                   die Größe einer Bevölkerung, sondern auch ihre
                                                                                               Geburtenrate        Altersstruktur.

            Phase 1          Phase 2               Phase 3            Phase 4              Phase 5                 Schematische Darstellung der Entwicklung von
                                                                                                                   Geburten- und Sterberate sowie der Gesamtbe-
                                                                                                                   völkerung in Abwesenheit von Migration
        Männer   Frauen                                                                                Alter       (eigene Darstellung)
                                                                                                       65

                                                                                                       15

                                                                                                                                               Berlin-Institut 13
Früher oder später zum Bonus
2,1
         Demografischer Bonus                                                                    Niedrige Variante            Wann die afrikanischen Staaten die günstige Alters-
2,0
                                                                                                                              struktur des demografischen Bonus erreichen und
                                                                                                                              wie das Verhältnis zwischen Erwerbsfähigen und
1,9                                                                                                                           zu versorgenden Kindern und Alten ausfallen wird,
                                                                                                                              hängt davon ab, wie rasch die Kinderzahlen auf dem
1,8                                                                                                                           Kontinent künftig sinken. Sofern die Geburtenziffern
                                                                                    Mittlere Variante                         in Zukunft mit einer Geschwindigkeit zurückgehen,
1,7                                                                                                                           wie sie zuvor in anderen Weltregionen beobachtet
                                                                                                                              wurde, dürfte sich das Zeitfenster des demografi-
                                                                                                  Hohe Variante               schen Bonus in Afrika im Schnitt um das Jahr 2055
1,6
                                                                                                                              eröffnen. Ein schnellerer Rückgang, wie ihn das
                                                                                                                              Niedrig-Fertilitätsszenario der UN vorsieht, könnte
1,5                                                                                                                           dagegen schon ab 2040 einen Bonus entstehen
                                                                                                                              lassen.
1,4
                                                                                                                              Vorausgeschätzte Entwicklung der Abhängigenquote
1,3                                                                                                                           (Verhältnis der Erwerbsbevölkerung im Alter zwi-
                                                                                                                              schen 15 und 64 Jahren zur abhängigen Bevölkerung
                                                                                                                              unter 15 und über 64 Jahren) in Afrika nach UN-Bevöl-
1,2
                                                                                                                              kerungsszenarien, 2020 bis 2100

                                                                                                         2090
                                                                                          2080
                                  2040

                                                              2060
                    2030

                                                2050

                                                                            2070
                                                                     2065

                                                                                                  2085
                                         2045

                                                                                                                2095
      2020

                                                       2055

                                                                                                                       2100
                           2035

                                                                                   2075
             2025

                                                                                                                              (Datengrundlage: UNDESA48)

Sämtliche Industriestaaten und die ersten                      punkt der Bevölkerung hin zu den jungen                        die Fertilitätsraten zuvor rasch gesunken
Schwellenländer haben diesen Übergang                          Erwerbsfähigen (siehe Grafik Seite 13, Phase                   waren. Dank guter sozialer, wirtschaftlicher
weitgehend abgeschlossen. In Afrika ist er                     4). Während der Anteil der zu versorgenden                     und politischer Rahmenbedingungen gelang
dagegen noch im Gange beziehungsweise                          Kinder und Jugendlichen sinkt und die Zahl                     es den ostasiatischen Staaten diesen Bonus
hat in manchen Ländern erst begonnen. Die                      der älteren Menschen zu diesem Zeitpunkt                       in ein „Wirtschaftswunder“ umzusetzen. Der
Sterberaten, insbesondere von Kindern und                      noch gering ist, stehen der Volkswirtschaft                    Wandel der Altersstruktur dürfte dabei für
Müttern, sind durch hygienische und medi-                      in dieser Phase überproportional viele junge                   etwa ein Drittel des Wirtschaftswachstums
zinische Errungenschaften sowie dank einer                     Produktivkräfte zur Verfügung.                                 in diesem Zeitraum verantwortlich gewesen
besseren Versorgung mit Nahrungsmitteln                                                                                       sein.44, 45
bereits gesunken. Die mangelnden Fortschrit-
te beim Zugang zu Gesundheitsleistungen,                       Der Weg zur Dividende                                          Die meisten Staaten Afrikas sind aber noch
zu einer qualitativ hochwertigen Bildung und                                                                                  weit davon entfernt, die wirtschaftlich günsti-
zu sicheren Einkommen sowie die fehlen-                        Diese günstige Altersstruktur – der sogenann-                  ge Altersstruktur des demografischen Bonus
den Mitspracherechte für Frauen lassen die                     te demografische Bonus – lässt sich unter                      zu erreichen. Denn dieser eröffnet sich erst,
Geburtenziffern aber vielerorts auf hohem                      guten Rahmenbedingungen, bei politischer                       wenn auf jede abhängige Person mindestens
Niveau verharren (siehe Grafik S. 12).                         Stabilität, einer ausreichenden Qualifika-                     1,7 Erwerbsfähige im Alter zwischen 15
                                                               tion der nachwachsenden Arbeitskräfte                          und 64 Jahren kommen.46 Einige nord- und
Das verzögert den Wandel der Altersstruktur,                   und einem guten Angebot an Jobs, in einen                      südafrikanische Staaten wie etwa Tunesi-
der stets mit einem demografischen Transfor-                   wirtschaftlichen Aufschwung verwandeln,                        en, Südafrika und Marokko haben dieses
mationsprozess einhergeht und der Staaten                      in eine „demografische Dividende“. Den                         Verhältnis zwischen Erwerbsfähigen und
in anderen Regionen neue wirtschaftliche                       wirtschaftlichen Aufstieg ostasiatischer                       Abhängigen bereits erreicht und müssen nun
Möglichkeiten eröffnet: Denn mit dem Rück-                     Staaten in den 1980er Jahren führen Öko-                       Wege finden, den Bonus in eine Dividende
gang der Kinderzahlen in Phase 3 werden die                    nomen zu einem wesentlichen Teil auf eine                      umzusetzen. Der Großteil der Staaten südlich
jeweils jüngsten nachwachsenden Geburten-                      optimale Nutzung des demografischen Bonus                      der Sahara kann dagegen frühestens ab 2055
jahrgänge kleiner und aus der klassischen                      zurück: Zwischen 1965 und 1990 wuchs                           darauf hoffen, diese günstige Altersstruktur
Bevölkerungspyramide wird eine Art Bie-                        dort die Erwerbsbevölkerung fast viermal                       zu erreichen.47
nenkorb. Dabei verschiebt sich der Schwer-                     stärker als die abhängige Bevölkerung, da

14 Wachstum gut, alles gut?
Selbst dieser späte Wandel der Altersstruktur     dem Niveau einiger afrikanischer Staaten wie      Bangladesch –
setzt allerdings voraus, dass die Fertilitäts-    Ghana oder der Elfenbeinküste und Frauen          Mit Frauenförderung zum Bonus
raten in Subsahara-Afrika künftig so stark        brachten im Laufe ihres Lebens etwa sechs
sinken wie zuvor in anderen Weltregionen.         Kinder zur Welt.49 Heute bekommen Südko-          Dem Entwicklungspfad Südkoreas und
Sollte der Rückgang der Kinderzahlen in           reanerinnen dagegen im Schnitt nur noch ein       anderer Tigerstaaten folgten etwas später
Zukunft langsamer vorangehen, als in der          Kind.50 Und dieses kann ein deutlich besseres     weitere asiatische Länder wie China, Malay-
Vergangenheit in anderen Teilen der Welt          Leben führen als noch seine Großeltern. Denn      sia, Thailand, Indonesien und Vietnam, die
– etwa aufgrund befürchteter Entwicklungs-        der 50-Millionen-Einwohner-Staat hat es auf       in den vergangenen Jahrzehnten ebenfalls
rückschläge durch die COVID-19-Pandemie           Platz 12 der größten Volkswirtschaften der        große Entwicklungsfortschritte verzeichnen
– , könnte es im Schnitt sogar noch etwa 20       Welt geschafft und beheimatet einige der          konnten. In diese Reihe hat sich zuletzt ein
Jahre länger dauern bis Subsahara-Afrika den      größten global agierenden Unternehmen –           anderer Staat eingereiht, der lange als hoff-
demografischen Bonus erreicht.                    darunter Technologieschwergewichte wie            nungsloser Fall der Entwicklungspolitik galt:
                                                  Samsung und LG oder die Autobauer Hyundai         Bangladesch. Schon als das Land 1971 nach
                                                  und Kia.51                                        einem blutigen Bürgerkrieg mit Pakistan die
Ein Blick über den Kontinentrand                                                                    Unabhängigkeit erlangte, zählte es zu den
                                                  Diese Erfolgsgeschichte fußt in großen Teilen     am dichtesten besiedelten Staaten der Welt
Afrikas größte Chance auf einen länger            auf massiven Investitionen in die Bildung der     und die Bevölkerung wuchs mit jedem Jahr im
anhaltenden Wirtschaftsaufschwung, der            südkoreanischen Bevölkerung – insbesonde-         Schnitt um über zwei Prozent.57
breiten Teilen der Bevölkerung zugutekommt,       re in die der Frauen. Damit einher ging eine
sind kleiner werdende Familien. Wie aber          Familienpolitik, die vor allem auf die Verbrei-   Während zur Zeit der Staatsgründung jede
lässt sich der Rückgang der Fertilitätsraten in   tung moderner Verhütungsmittel und die Ver-       Bangladescherin im Schnitt noch beinahe
Afrika, insbesondere in den Ländern südlich       besserung von Mütter- und Kindergesundheit        sieben Kinder zur Welt brachte, sind es
der Sahara, beschleunigen – und das ohne          abzielte. Das zeigte Wirkung: Zwischen 1960       heute nur noch knapp über zwei. Einen solch
Zwangsmaßnahmen wie sie etwa aus China            und 2000 halbierten sich die Geburtenziffern      rapiden Fertilitätsrückgang hat kaum ein
bekannt sind? Und wenn der demografische          alle 20 Jahre.52 Damit setzte der Wandel der      anderes Land erlebt.58 Die durchschnitt-
Bonus erst einmal erreicht ist, was ist nötig,    Altersstruktur ein: Die Zahl der Menschen im      lichen Kinderzahlen sind in Bangladesch
um ihn in wirtschaftliches Wachstum und           Erwerbsalter stieg überproportional an. Und       damit schon unter das bestandserhaltende
sozioökonomischen Fortschritt zu verwan-          da vor allem die auf den Export ausgerichtete     Niveau von 2,1 Kindern gesunken, die eine
deln? Wo die zentralen Stellschrauben liegen      verarbeitende Industrie ausreichend Arbeits-      Gesellschaft braucht, um gerade ihre Größe
und welche Maßnahmen wirksam sind, um             plätze für sie bot, begann die Wirtschaft zu      zu erhalten. Bis zur Mitte des Jahrhunderts
den demografischen Übergang voranzubrin-          wachsen.53 Durch die steigenden Steuerein-        dürfte das Bevölkerungswachstum im Land
gen und bestmöglich für die wirtschaftliche       nahmen hatte das Land weiteres Kapital zur        zum Erliegen kommen.59
Entwicklung zu nutzen, lässt sich aus den         Verfügung, das es wiederum in den Bildungs-
Erfahrungen asiatischer Staaten ableiten.         und Gesundheitssektor, aber auch in Infra-
                                                  struktur und die Entwicklung abgelegener          Demografiepolitisches
                                                  Regionen investierte. Auf diesem Wege stieg       Maßnahmenpaket
Südkorea – Vom armen Agrarstaat                   die Lebenserwartung im Land weiter an und
zur Technologiehochburg                           immer mehr junge Menschen kamen in den            Dass sich die Familien in Bangladesch so
                                                  Genuss einer besseren Ausbildung, was ihnen       rasch verkleinerten, ist auf einen ganzen
Als Paradebeispiel für die Nutzung des demo-      die Möglichkeit bot, in Branchen mit höherer      Strauß von Maßnahmen zurückzuführen, die
grafischen Bonus gilt neben Taiwan und den        Wertschöpfung und besseren Einkommen              das Leben der Menschen in vielerlei Hinsicht
Stadtstaaten Singapur und Hongkong – den          aufzusteigen. Und weil sie davon einen Teil       verbesserten und die vor allem Frauen in den
sogenannten asiatischen Tigerstaaten – Süd-       zurücklegten, stieg die Sparquote, und das        Blick nahmen. Gemeinsam mit Nichtregie-
korea. Noch vor 60 Jahren gehörte es zu den       Geld floss als Investitionen zurück in den        rungsorganisationen begann die Regierung in
ärmsten Ländern der Welt, in dem die Bevöl-       Aufbau neuer innovativer Unternehmen.54 Im        den 1970er Jahren, sich um Schulen, Gesund-
kerung überwiegend von der Landwirtschaft         Jahr 1996 wurde Südkorea Mitglied der OECD        heitsdienste, Familienplanung und Mikrokre-
lebte und kaum Bildung erfuhr. Anfang der         und war somit in die Ränge der Industrienati-     ditprogramme für Frauen zu kümmern. Dies
1960er Jahre lag das BIP pro Kopf noch unter      onen aufgestiegen.55                              trug unter anderem dazu bei, dass sich die

                                                                                                                                 Berlin-Institut 15
Gesundheit der Bangladescher – insbesonde-            Die Fortschritte in diesen Bereichen haben             Prozent).61 Befeuert wurde das Wachstum
re der Kinder – weiter verbesserte, moderne           dazu beigetragen, dass Bangladesch 2010                bislang vor allem durch die Textilindustrie.
Verhütungsmittel sich stark verbreiteten und          den demografischen Bonus erreichte. Dass               Doch während die Branche zwischen 2003
Bildung für Jungen und Mädchen gleicherma-            die jährlichen Wachstumsraten des BIPs                 und 2015 noch mehr Arbeitsplätze schuf,
ßen zugänglich wurde. 1994 führte die Regie-          seither stets bei über sechs Prozent lagen,            als Erwerbsfähige nachwuchsen, hat die
rung ein Stipendienprogramm für Mädchen               spricht dafür, dass das Land einen ersten              Geschwindigkeit bei der Schaffung von Jobs
ein, um ihren Zugang zur Sekundarschule zu            Nutzen aus dieser günstigen Altersstruktur             zuletzt abgenommen.62 Bangladesch steht
verbessern. Dies sollte sie nicht nur fit für         ziehen konnte – was auch auf die vergleichs-           nun vor der Herausforderung, mehr und
Karrieren als Lehrerinnen oder Gesundheits-           weise hohe Erwerbsbeteiligung der Bangla-              höherwertige Arbeitsplätze zu schaffen,
helferinnen machen, sondern auch dafür                descherinnen zurückzuführen sein dürfte.               um seinen demografischen Bonus nutzen
sorgen, dass sie später heiraten und auch             45 Prozent der 25- bis 34-jährigen Frauen              zu können. Ob es dem Land wirklich gelingt
später Nachwuchs bekommen.60                          sind wirtschaftlich aktiv – deutlich mehr              dem Pfad der Tigerstaaten zu folgen und eine
                                                      als in anderen muslimischen Ländern wie                demografische Dividende einzufahren, bleibt
                                                      Pakistan (23 Prozent) oder Afghanistan (25             also noch abzuwarten.

Viele Gebildete

Am Beispiel Südkorea wird deutlich, dass sich Bildung gesellschaftlich und wirtschaftlich auszahlt. So waren 1970 noch viele Menschen im höheren Erwerbsalter
Analphabeten. Doch da die nachkommenden Jahrgänge eine immer bessere Ausbildung erfuhren, machten sie sich langsam aber sicher in der Bevölkerungspyramide
breit und konnten so für den Aufstieg südkoreanischer Unternehmen im Hochtechnologiebereich sorgen. Heute gehört Südkorea zu den Nationen mit dem höchsten
Bildungsstand, rund 45 Prozent der über 25-Jährigen verfügt über einen Hochschulabschluss.

          Gesamtbevölkerung
          1970: 32 Millionen                      1990: 43 Millionen                       2010: 49 Millionen                       2030: 52 Millionen
  100+
 95-99
 90-94
 85-89
 80-84
 75-79
 70-74
 65-69
 60-64
 55-59
 50-54
 45-49
 40-44
 35-39
 30-34
 25-29
 20-24
  15-19
 10-14
    5-9
    0-4
          2    1    0     1    2                 2    1      0     1    2                 2    1      0     1    2                2    1      0     1    2
          Männer          Frauen                 Männer            Frauen                 Männer            Frauen                Männer            Frauen

  Bevölkerungszusammensetzung nach Alter und Bildungsstand in           unter 15 Jahre
  Südkorea (2030 Projektion nach mittlerem Bildungsszenario),           (noch) keine Bildung
  in Millionen
                                                                        Grundschulbildung
  (Datengrundlage: Wittgenstein Centre56)
                                                                        Sekundarschulbildung
                                                                        Tertiäre Bildung

16 Wachstum gut, alles gut?
WIE WEITER?
Der einzige Weg für afrikanische Staaten, der     Dafür müssen jedoch die Weichen richtig           überproportional große Erwerbsbevölkerung
Entwicklungsfalle zu entkommen, besteht in        gestellt werden. Eine wachsende Bevölkerung       gesund und gut gebildet ist und noch dazu
der Beschleunigung des Fertilitätsrückgangs,      kann für Afrika künftig einen wirtschaftlichen    ausreichend Arbeitsplätze vorfindet, kann sie
was nachhaltige sozioökonomische Investiti-       Vorteil bieten – allerdings nur, wenn sich die    einen volkswirtschaftlichen Nutzen bringen
onen zum Wohle der Menschen voraussetzt.          Zuwächse auf die Menschen im Erwerbsalter         und eine demografische Dividende schaffen.
Dann geht nicht nur die Zahl der Kinder zurück,   konzentrieren und nicht, wie bisher, vor
die versorgt werden müssen. Mit dem Wandel        allem auf die jüngsten Jahrgänge. Damit die       Damit die afrikanischen Staaten die positiven
der Altersstruktur ergeben sich neue wirt-        afrikanischen Staaten die Altersstruktur des      Altersstruktureffekte auf dem Weg zu einer
schaftliche Perspektiven für den Kontinent.       demografischen Bonus erreichen, muss sich         demografischen Dividende für sich nutzen
                                                  der Fertilitätsrückgang, der bereits in einigen   können, sollte(n):
                                                  Ländern eingesetzt hat, weiter verstetigen
  Lohnende Investitionen
                                                  beziehungsweise beschleunigen.                      … Demografiepolitik ein fester Bestand-
  Welches Potenzial ein breiter angelegtes                                                          teil einer integrierten Wirtschaftspolitik
  Paket an Maßnahmen in demografierele-           Dazu sind Investitionen in die Gesund-            in Afrika sein und das Wohl und die
  vanten Bereichen für den afrikanischen          heitsinfrastruktur nötig, damit die Kinder-       Bedürfnisse der Menschen im Fokus ste-
  Kontinent birgt, zeigt beispielsweise das       sterblichkeit weiter sinkt. Zudem muss der        hen. Neben der verstärkten Förderung von
  „Demographic Dividend Scenario“ des             Zugang zu Bildung weiter verbessert werden,       Wirtschaftsbereichen, die für die Schaffung
  Insititute for Security Studies: Dieses         insbesondere für Mädchen und junge                von formalen Einkommensmöglichkeiten
  modelliert, wie sich die Bevölkerung des        Frauen. All das trägt nachweislich dazu bei,      zentral sind, gehört dazu auch eine stärkere
  Kontinents entwickeln dürfte, wenn ne-          dass der Kinderwunsch sinkt, da sich neue         Ausrichtung von Ausbildungsangeboten auf
  ben Bildungsinvestitionen noch weitere          Einkommens- und Lebensperspektiven für            die Bedürfnisse des Arbeitsmarktes.
  Maßnahmen umgesetzt werden und wie              die Menschen ergeben und die Absicherung
  sich dies auf die Wohlstandsgewinne             im Alter nicht mehr als Verantwortung des           … die deutsche Außenpolitik den
  auswirken könnte. Sofern es gelingen            Nachwuchses gesehen wird. Wenn sich der           dringenden Handlungsbedarf in demo-
  würde die Kinder- und Müttersterblich-          Wunsch, weniger Nachwuchs zu bekommen,            grafierelevanten Bereichen im Dialog
  keit weiter zu reduzieren, den Zugang           dank vorhandener Familienplanungsmittel           mit afrikanischen Staaten stärker in den
  zu Familienplanungsmethoden sowie zu            umsetzen lässt, sinken die Fertilitätsraten       Vordergrund stellen. Dabei gilt es klar zu
  sauberem Trinkwasser und Sanitäranla-           und der notwendige Wandel der Altersstruk-        kommunizieren, dass Wirtschaftswachstum
  gen zu verbessern und das Bildungsni-           tur setzt ein.                                    allein nicht ausreicht, um die demografischen
  veau – insbesondere der Mädchen – auf                                                             Herausforderungen in Afrika zu bewältigen.
  dem Kontinent anzuheben, könnte Afrika          Wenn die Nachwuchszahlen sinken, können
  im Jahr 2050 250 Millionen Einwohner            Familien zudem mehr in die Bildung ihrer            … Internationale Finanzinstitutionen,
  weniger zählen als in einem „weiter wie         wenigen Kinder investieren. Das wirkt sich        nicht zuletzt der IWF, die makroökonomi-
  bisher“ Szenario. Da im „Demographic            nicht nur positiv auf die Zukunftsperspekti-      schen Auswirkungen der demografischen
  Dividend Scenario“ weniger Kinder zu            ven der jüngeren Generationen aus. Mit einer      Entwicklung stärker in den Blick nehmen
  versorgen wären, gleichzeitig aber mehr         gut gebildeten Bevölkerung kann sich die          und diese ebenfalls im Dialog mit afrikani-
  Erwerbsfähige die wirtschaftliche Ent-          Wirtschaft entwickeln, innovative Unterneh-       schen Partnerländern thematisieren.
  wicklung voranbringen könnten, dürften          men und formale Arbeitsplätze entstehen
  sich die Lebensbedingungen deutlich             und die Produktivität wächst. Dann steigen          … afrikanische Handlungsansätze in
  verbessern: Im Jahr 2050 würden                 auch die Steuereinnahmen, und dem Staat           demografierelevanten Bereichen wie etwa
  dann in Afrika 112 Millionen Menschen           stehen wiederum mehr Mittel zur Verfügung,        die Ouagadougou Partnership oder die AU
  weniger in extremer Armut leben, als im         die er in die Infrastruktur sowie in die Ge-      Roadmap on Harnessing the Demographic
  Basisszenario.63                                sundheits- und Bildungssysteme, also in das       Dividend von deutscher wie auch internati-
                                                  Humankapital seiner Bevölkerung, reinvestie-      onaler Seite stärker unterstützt werden.
                                                  ren kann. Dies ist zentral, denn nur wenn die

                                                                                                                                 Berlin-Institut 17
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