Was ist automatisiertes Personalmanagement? - Hintergrundtext Sebastian Gießler Mai 2021 - Algorithm ...
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Was ist automatisiertes Personalmanagement? Hintergrundtext Sebastian Gießler Mai 2021 x Published by Funded by
Was ist automatisiertes Personalmanagement? Hintergrundtext Inhalt Einleitung....................................................................................................................................................................... 3 Algorithmen, ADM und algorithmische Systeme........................................................................................ 5 Was ist Human Resources Analytics? ....................................................................................................... 6 Idealtypen von HRA-Systemen..................................................................................................................... 7 Deskriptive ADM.............................................................................................................................................. 7 Prädiktive ADM................................................................................................................................................ 8 Präskriptive ADM............................................................................................................................................. 8 Welche Ziele hat die Automatisierung im Unternehmen?............................................................... 9 Digitale Managementkontrolle................................................................................................................... 10 Wie sehen SAP, IBM und Co die Welt?....................................................................................................... 11 Fazit und Erkenntnisse..........................................................................................................................................12 Literatur........................................................................................................................................................................14 Seite 2
Was ist automatisiertes Personalmanagement? Hintergrundtext Einleitung Algorithmische Steuerung von Arbeit und automati- von automatisierten Entscheidungssystemen, soge- siertes Personalmanagement geraten immer wieder nannter Künstlicher Intelligenz, übernommen wer- in die Kritik. Anlass dafür geben Fälle wie ein Algorith- den. Wir argumentieren, dass es sich dabei um eine mus zur Bewerberauswahl bei Amazon, der Frauen grundlegende Neuverhandlung der Arbeitsverhältnis- diskriminiert (vgl. Lauret 2019), die massive Verdich- se handelt. Automatisiertes Personalmanagement re- tung von Arbeit in den Warenlagern von E-Commerce- organisiert die Arbeitswelt und ist dabei nicht neutral. Firmen wie Amazon (vgl. Dzieza 2020) oder die Gig Economy, in der klassische Betriebsstrukturen durch Betriebliche Mitbestimmung ist zugleich das Er- algorithmisches Management ersetzt werden wie bei gebnis von Aushandlungsprozessen zwischen Lieferando (vgl. Ivanova et al. 2018). Arbeitnehmer·innen und Arbeitgebern und die Basis dafür, Machtverhältnisse und Handlungsmacht in Andererseits beschwören Technologieunternehmen Unternehmen auszuhandeln. Die Automatisierung wie IBM, SAP und Microsoft sowie Beratungsunter- von Machtstrukturen und Handlungsmacht in Un- nehmen wie PwC die ökonomischen Potenziale soge- ternehmen fällt damit in den Aufgabenbereich von nannter Künstlicher Intelligenz. Für die Zauderer hat Gewerkschaften und Betriebsräten. Technologie ist PwC die Botschaft: „Sie müssen schnell sein, wenn Sie nicht neutral, sondern beinhaltet immer auch Wer- die Chancen nutzen wollen, und sicherstellen, dass te und Zielvorstellungen. Dabei geht es nicht nur Ihr Unternehmen nicht gegen schnellere und kosten- um Bias und Fehler, sondern auch darum, welche günstigere Wettbewerber verliert.“1 Andernfalls wür- Annahmen mit welcher Absicht in das automatisier- den “traditionelle Akteure verschwinden, weil sie sich te System eingearbeitet sind. Eine unbeabsichtigte nicht schnell genug anpassen.“2 sexistische Diskriminierung ist ein Fehler, die Metrik, die bestimmt, was als optimale Leistung verstanden Nüchtern betrachtet bezeichnet „automatisiertes Per- wird, eine Gestaltung – beides basiert auf Werturtei- sonalmanagement“ die systematische Anwendung len. Softwaresysteme leisten so immer auch Werten von analytischen Methoden auf (große) Mengen von und Weltbildern Vorschub. Im Zweifelsfall sind das Personaldaten (vgl. Simbeck 2019). Sowohl Skeptiker die Weltbilder der Unternehmen. als auch Euphoriker sind sich darin einig, dass „algo- rithmische Macht“ im Begriff ist, soziale, ökonomi- An der Automatisierung im Personalwesen lässt sich sche und betriebliche Strukturen in ihrer Funktions- ablesen, dass die Automatisierungserzählung nicht weise zu verändern (vgl. Kitchin 2017:16). Hier zeigt nur aus den technischen Innovationen selbst besteht, sich eine oft unterschätzte Dimension von Automati- sondern ein Bündel aus Marketingversprechen, Wer- sierung: Automatisierung bedeutet nicht immer, dass bung, Technikoptimismus und dem Geist des Silicon Menschen durch Roboter ersetzt werden, sondern Valley ist. Ist das Versprechen auf Effizienz und Ob- auch, dass Organisation und Managementaufgaben jektivität durch Algorithmen am Ende des Tages nicht 1 Im Original: “You’ll have to move quickly if you want to capitalize on the openings, and ensure your business doesn’t lose out to faster-moving and more cost-efficient competitors.” (PwC 2017:9) 2 Im Original: “[…] elimination of traditional players that fail to adapt quickly enough.” (PwC 2017:6) Seite 3
Was ist automatisiertes Personalmanagement? Hintergrundtext mehr als eine „carefully crafted fiction” (sorgfältig Welt. Ein Beispiel für die erste Art der Untersuchung formulierte Erzählung)“? (Kitchin 2017: 17). ist die ethnographische Studie „Dreaming in Code: Two Dozen Programmers, Three Years, 4,732 Bugs, and One Der Analyse von automatisierten Systemen steht oft Quest for Transcendent Software“ von Scott Rosenberg der mangelhafte Zugang zu den Systemen selbst im (2008), ein Beispiel für die zweite Vorgehensweise Weg, weshalb sie häufig als Black Box bezeichnet sind die von der Hans-Böckler-Stiftung geförderten werden. Es gibt verschiedene disziplinäre Perspek- Projekte „Diskriminiert durch künstliche Intelligenz“ und tiven, aus denen automatisierte Systeme erforscht „Der Algorithmus als Chefin? – Plattformisierung und gu- werden können. Ansätze aus der Sicht der Informa- te Arbeit“. tik untersuchen Algorithmen als technische Systeme, als Gruppen von Regeln, um Daten umzuformen. Aktuelle Arbeiten, die sich mit Auswirkungen von Dabei geht es insbesondere um die Frage, wie effi- Technologie auf Politik und Gesellschaft befassen zient und mit welcher Fehlerquote der Algorithmus und auf faktische und mögliche Diskriminierungs- eine Aufgabe erledigt (vgl. Seaver 2014:20). Die Un- potenziale hinweisen sind „Algorithms of Oppression: tersuchung eines algorithmischen Systems kann sich How Search Engines Reinforce Racism“ von Safiya No- auf mehreren Ebenen mit dem Phänomen befassen: ble (2018), „Weapons of Math Destruction: How Big Da- Einerseits praktisch, mit Blick auf die soziale Genese ta Increases Inequality and Threatens Democracy“ von und Entwicklung eines Algorithmus als Ergebnis von Cathy O’Neil (2016) und „Automating Inequality: How sozialen Interaktionen zwischen Entwickler·innen und High-Tech Tools Profile, Police, and Punish the Poor“ von Designer·innen. Andererseits als Untersuchung des Virginia Eubanks (2017). Einflusses algorithmischer Systeme auf die soziale Seite 4
Was ist automatisiertes Personalmanagement? Hintergrundtext Algorithmen, ADM und algorithmische Systeme „Künstliche Intelligenz“ ist kein feststehender Begriff, sammenspiel technischer und sozialer Komponenten der ein einzelnes Verfahren bezeichnet, sondern ein für die Managementkontrolle in Unternehmen ist ein Forschungsfeld, das sich mit Maschinellem Lernen solches sozio-technisches System Die technischen und der Automatisierung kognitiver Aufgaben be- Komponenten beinhalten die Ausstattung (zum Bei- fasst. Wir verwenden daher den Begriff „automated spiel Computer, dienstliche Smartphones, Wearab- decision-making systems“ (ADM). Aufgabe dieser les), die Infrastruktur (zum Beispiel Netzwerke) und ADM im Kontext des Personalmanagements ist es, allgemein technische Einrichtungen am Arbeitsplatz. unternehmerische Probleme zu lösen oder die Lö- Die sozialen Komponenten bezeichnen Menschen sung zu vereinfachen. Dazu gehören etwa Rekrutie- und soziale Gruppen, die sozialen Prozesse sowie die rung, Onboarding, Effizienzsteigerung und Prozess- informellen Kommunikationswege zur Kommunika- optimierung – typische Prozesse in einem Unterneh- tion und Aushandlung am Arbeitsplatz. Die Manage- men. mentkomponente beinhaltet die formalen Leitungs- aufgaben, die Macht und Autorität im Unternehmen, Der Fokus auf eine rein technische Perspektive inklusive der Entscheidungsmacht und den formalen ist nicht immer sinnvoll. Automatisierte Software Kommunikationswegen (vgl. Hesketh/Graco 2015:1). systeme bestehen nicht nur aus Technologie, son- dern haben durch ihr Einsatzfeld immer auch eine soziale Komponente. Deshalb ist es sinnvoll, ADMs als Teil von sozio-technischen Gefügen zu verstehen (vgl. Seaver 2017: 2). Bei einem ADM handelt es sich um eine Gesamtheit von Datenbanken, verschiede- nen Algorithmen, Netzwerken und Schnittstellen. Diese Struktur verkompliziert die Untersuchung eines einzelnen ADM erheblich (vgl. Seaver 2014: 10). Die Entwicklungshistorie eines ADM wird weiter dadurch verkompliziert, dass selten eine einzelne Person für die Entwicklung verantwortlich ist. Es handelt sich um kooperative überzeitliche Projekte verschiedener Personen und Arbeitsgruppen aus verschiedenen Anwendungsfeldern. Es ist daher für Außenstehen- de und häufig auch für Entwickler·innen selbst nicht immer nachvollziehbar, wie ADMs im Einzelfall eine Entscheidung treffen. Eine Möglichkeit, das Zusammenspiel zwischen Mensch und Technik theoretisch fassbar zu machen, ist das Konzept sozio-technischer Systeme. Das Zu- Seite 5
Was ist automatisiertes Personalmanagement? Hintergrundtext Organisationale Ebene. Software wird in lokale Sozio-technisches System Strukturen eingebunden: Unternehmenskultur, Unternehmensziele und Verhaltensrichtlinien Finales Softwareprodukt, das mehrere ADMs Softwareprodukt beinhalten kann System, das auf Basis definierter Optimierungs Algorithmisches Entschei- grundsätze eine Entscheidung auslöst oder dungssystem (ADM) vorschlägt Algorithmus einzelne Entscheidungsregel Um die Einsatzfelder und Auswirkungen von ADMs zu Regeln und Routinen. Beispiele für Prozessautomati- bestimmen, ist es nötig zu prüfen, welche Prozesse sierung reichen von Industrierobotern über automa- in Unternehmen von ADMs ersetzt oder verändert tische Bestellungen vernetzter Warenhäuser im Just- werden. Dafür ist eine weitere analytische Differen- in-Time Warenkreislauf bis hin zu automatisierten zierung nötig: Entscheidungsunterstützung und auto- Kreditentscheidungen. ADMs bestellen beispielswei- nome Entscheidungen. se bei Zulieferern, wenn ein bestimmter numerisch definierter Lagerbestand unterschritten ist, oder leh- Entscheidungsunterstützung: Entscheidungsunter- nen einen Kredit ab, sobald bestimmte Werte außer- stützung wird häufig auch als „Augmentierung“ be- halb zuvor definierter Grenzen liegen. zeichnet. Dabei sollen ADMs Menschen unterstützen, bessere Entscheidungen zu treffen – im Sinne einer schnelleren, besser informierten oder den Unter- nehmensrichtlinien entsprechenden Entscheidungs- Was ist Human Resources findung. Die Anwendungsbereiche von ADMs begin- Analytics? nen beim klassischen Beispiel der Unterstützung von Sachbearbeiter·innen bei Kreditentscheidungen und Daten über Mitarbeiter·innen zu erheben und Ver- haben eine große Spannbreite. Im Betrieb gehört halten am Arbeitsplatz zu kontrollieren, ist nicht neu. dazu etwa, Kommunikation und Koordination am Die Idee, Arbeit mithilfe von Rationalisierung, Trans- Arbeitsplatz zu unterstützen, indem Termine mithilfe parenz und Verhaltenskontrolle zu kontrollieren geteilter Terminkalender automatisiert erstellt wer- entstammt insbesondere der Managementtheorie. den. Ebenfalls darunter fallen automatisierte Vor- Hervorgehoben seien die Produktivitätsexperimente schläge zu Einstellungen, Beförderungen und Weiter- von Frederick Taylor. In der Tradition des Taylorismus bildungen. steht dabei nicht nur die systematische Analyse von Arbeitsprozessen, sondern auch die Idee, dass über- Autonome Entscheidung: Die Automatisierung ei- wachte Arbeitsprozesse immer effizienter sind als nes Prozesses bedeutet, dass Menschen vollständig nicht überwachte – eine Rechtfertigung für konstan- aus diesem Prozess entfernt werden. Dies findet te Leistungsüberwachung (vgl. Leicht-Deobald et al. häufig Anwendung bei Prozessen mit klar definierten 2019: 3). Seite 6
Was ist automatisiertes Personalmanagement? Hintergrundtext Elektronische Leistungsüberwachung ist ebenfalls Idealtypen von HRA-Systemen kein neues Phänomen. Sie umfasst unter anderem das automatische Aufzeichnen von Arbeitszeiten sowie die Kontrolle von Mitarbeiter·innen durch In- Deskriptive ADM ternet-, Video-, Audio- und GPS-Überwachung (vgl. Leicht-Deobald et al. 2019: 3). Das betrifft insbeson- Deskriptive ADM analysieren vergangene Ereig- dere Arbeitsabläufe, die gut standardisiert werden nisse und wie diese die Gegenwart beeinflussen. können, etwa in Callcentern und Warenhäusern oder Sie verwenden vergleichsweise simple Statistik bei der Inhaltsmoderation sozialer Netzwerke. Dabei wie Mittelwerte, Standardabweichungen, Korre- wird unmittelbar arbeitsplatzbezogenes Verhalten lationen und prozentuale Veränderungen und kontrolliert, das heißt Performance und Regelkonfor- zeigen so die Zusammenhänge zwischen Varia- mität (Compliance) (vgl. Leicht-Deobald et al. 2019: 3). blen oder deren Verteilung. Dabei verwenden Diese Möglichkeiten sind häufig bereits Standard in deskriptive Verfahren Daten und Variablen, die vielen Unternehmen – und daher als betriebliche Pra- schon von HRIS ohne ADM-Komponente bekannt xis vielen Betriebsrät·innen bekannt – oder gehören sind. Ein klassisches Beispiel für solche deskrip- zum Standardrepertoire von sogenannten Human tiven Verfahren sind sogenannte Scorecards, Resource Information Systems (HRIS), das sind Syste- die Daten wie An- und Abwesenheit, Personal- me, die Daten messen, darstellen und visualisieren, fluktuation oder Leistungsfeedback erfassen aber darüber hinaus nicht interpretieren. und so Kennzahlensteuerung ermöglichen. Den Überblick über diese Kennzahlen zu behalten, ADM-gestützte „HR Analytics“-Software geht über die- ist keine neue Aufgabe. Über eine hohe Analyse- se Systeme hinaus. Dabei ist zu beachten, dass „HR und Aussagekraft verfügen deskriptive Systeme Analytics“ ein Vielnamenkonzept ist. Synonym ver- weniger durch die statistischen Verfahren als wendete Begriffe sind „Talent Analytics“, „Workforce vielmehr dadurch, dass Daten besser verfügbar Analytics“, „People Analytics“ oder „Human Resource sind und eine höhere Qualität haben sowie ver- Analytics (HRA)“ (Marler/Boudreau 2017: 4). Diese schiedene Datenquellen integriert werden. Die bezeichnen ähnliche methodische und theoretische Integration verschiedener Datenquellen ist zum Grundprinzipien, denen eins gemeinsam ist: daten- Beispiel eine stark beworbene Eigenschaft von gesteuertes Personalmanagement. Ähnlich wie in SAP und Microsoft Business Intelligence. Diese anderen Feldern der Automatisierung werden im Systeme machen es durch die feinere Auflösung Schlagwort „HR Analytics“ verschiedene Begriffe und der Daten möglich, soziale Netzwerke in Unter- Konzepte vermischt. Insbesondere sollen im Folgen- nehmen zu erkennen oder individuelles Kommu- den HRIS, HRA und intelligente Plattformen vonein- nikationsverhalten zu beobachten – informelles, ander unterschieden werden. Alle Systeme werden zuvor für die Personalverwaltung unsichtbares für den Zweck, Human Resource Management (HRM) Verhalten, wird so sichtbar, messbar und beur- zu betreiben, eingesetzt. „HRM“ bezeichnet dabei die teilbar. Deskriptive ADM helfen dem Manage- klassischen Aufgaben des Personalmanagements; ment so, einen besseren Überblick über die Be- HRIS und HRA sind Werkzeuge, die Aufgaben effizi- legschaft zu erhalten, Trends in der Belegschaft enter durchführen oder weitere Aufgabenfelder er- zu erkennen und empirisch gestützte Entschei- schließen sollen. dungen zu treffen (vgl. Leicht-Deobald et al.: 4). Zur Performancemessung können verschiede- Was können HRA-Systeme über HRIS hinaus? Der ne Datenquellen eingebunden werden. So kön- konzeptionelle Unterschied besteht in den Analyse- nen genauere Profile angelegt und Quellen zur fähigkeiten der gespeicherten Daten: HRA-Systeme Performancemessung ausgewertet werden, die können Vorhersagen auf Grundlage eines vorhande- sonst zu unstrukturiert waren, um sinnvoll ge- nen Datensatzes treffen. nutzt zu werden. Seite 7
Was ist automatisiertes Personalmanagement? Hintergrundtext Prädiktive ADM Darüber hinaus gibt es eine Vielzahl an Mischformen dieser Systeme. Ihnen gemein ist die Aufzeichnung Prädiktive ADM werden verwendet, um ausge- und Verarbeitung von Beschäftigtendaten, darunter hend von Beobachtungen in der Vergangenheit Daten, die in Unternehmen sowieso verarbeitet wer- zukünftige Entwicklungen vorherzusagen. Da- den, wie An- und Abwesenheiten, Urlaubstage und bei werden Methoden wie Maschinelles Lernen Leistungsmessung. Auch deskriptive Systeme dienen verwendet. Als Ergebnis wird eine Wahrschein- einem wichtigen Zweck: der Komplexitätsredukti- lichkeit angegeben, mit der ein Ereignis eintritt. on. Durch Visualisierungen, etwa in Form von Dash- Beispiele dafür sind Recruiting-Systeme oder boards, werden Daten begreifbar gemacht und sollen Systeme, die die Einhaltung von Unternehmens- so zu informierten, das heißt weniger in der Intuition richtlinien3 überwachen. Recruiting-Systeme sol- begründeten Entscheidungen, führen. Dieser Ansatz len unter anderem die Wahrscheinlichkeit vor- wird „evidenzbasiertes Management“ genannt. In die- hersagen, mit der Bewerber·innen sich optimal ser Logik wäre etwa auch die Verarbeitung von Be- in das Unternehmen einfügen. schäftigtendaten in Excel ein Beispiel für HR Analytics. An dieser Stelle zeigen sich die Grenzen der Begriffe, mit denen am Markt operiert wird: Die Unterschei- dung zwischen deskriptiven und analytischen Syste- Präskriptive ADM men zerfließt. Präskriptive Verfahren versuchen zu beantwor- Die Einführung von automatisiertem Personalma- ten, was unter Annahme verschiedener Szenari- nagement hat offensichtlich Einfluss auf die techni- en getan werden sollte. Diese Verfahren gehen schen Systeme eines Unternehmens. Daneben wer- deutlich über die Fähigkeiten prädiktiver Verfah- den die Kommunikation im Unternehmen, die Struk- ren hinaus und verbinden diese mit komplexen tur des sozialen Miteinanders, Kommunikationswege Modellen und Simulationen. Ein Beispiel für ein und Machstrukturen grundlegend beeinflusst. Was solches System ist ORION (On-Road Integrated geschieht mit sozialen Interaktionen, wenn im Unter- Optimization and Navigation), das von der Logis- nehmen 360-Grad-Feedback5 eingeführt wird? Wie tikfirma UPS eingesetzt wird4. Spätestens diese wird die interne Kommunikation beeinflusst, wenn Systeme sind so komplex, dass menschliche Kon- die Kommunikation nicht nur beobachtet wird, son- trolle erschwert ist, da eine Vielzahl an Variablen dern auch als Datenbasis für Sentiment Analysis6 ver- und Daten analysiert und aus den Ergebnissen wendet wird? Wie verändert sich die Ausübung und in Echtzeit Entscheidungen abgeleitet werden. Durchsetzung von Macht im Unternehmen, wenn Präskriptive Verfahren werden insbesondere Vorgesetzte und Mitarbeiter·innen über ein digitales zur Entscheidungsunterstützung und Entschei- Interface kommunizieren, die Führung also weniger dungsautomatisierung eingesetzt (vgl. Leicht- direkt ausgeübt wird? Diese grundlegenden Fragen Deobald et al. 2019: 5). der Zusammenarbeit im Unternehmen sollten im 3 Systeme aus dem Finanzwesen beispielsweise prognostizieren das Risikoverhalten von Aktienhändlern und mit welcher Wahrscheinlichkeit sie gegen interne Regeln verstoßen. Von der Art und Weise des Verhaltens (Aktienhandel) wird aufgrund von historischen Daten ein Schluss auf das zukünftige Risikoverhalten gezogen. 4 Logistiksoftware, die auf Grundlage von Daten Paketverteilung und Routen bei UPS steuert. Sie besteht aus drei Analyseebenen – deskriptiv, prädiktiv und präskriptiv – und dient der Überwachung der Paketboten durch Kennzahlen. Sie erhöht die Effizienz, macht Lieferungen zur Wunschuhrzeit möglich, senkt den Kraftstoffverbrauch und gibt Handlungsempfehlungen an Management und Boten. 5 „360-Grad-Feedback“ bezeichnet ein Instrument aus dem HRM, das Elemente der Kundenbefragung, Führungsbeurteilung und Selbsteinschätzung zu einem System umfassender allseitiger Beurteilung zusammenführt (vgl. Staab/Geschke 2019:14) 6 „Sentiment Analysis“ bezeichnet Software, die interne Kommunikation überwacht. Dabei werden Textdaten einer unternehmensinternen Kommunikationsplattform verwendet, um Einschätzungen über Mitarbeiter·innen zu treffen, etwa über die emotionalen Zustände, Risikoeinschätzungen oder Prognosen über mögliche Abwanderungen (vgl. Heiers 2015:15). Sentiment Analysis funktioniert mithilfe eines Korpus, in dem annotierte Wörter (meistens Adjektive) verschiedenen Emotionen, wie wütend, glücklich, traurig etc., auf einer Skala zugeordnet werden. Weit verbreitet ist auch die simplere Einordnung in „positiv“, „negativ“ und „neutral“. Der Algorithmus berechnet dann für einen Text einen Wert, der für die Wahrscheinlichkeit eines Gefühls steht. Seite 8
Was ist automatisiertes Personalmanagement? Hintergrundtext Vorhinein geklärt werden. Die Einführung einer neu- men über den Verlauf der Beschäftigung), Unterstüt- en Technologie beeinflusst nicht nur ein singuläres zung beim Onboarding, kulturelle Passung, Kontrolle System im Unternehmen, sondern das gesamte Ge- des Mitarbeiterengagements sowie klassische Perso- füge der Organisation. Daher muss Software für das nalplanung. Darüber hinaus stellen die Autor·innen automatisierte Personalmanagement notwendiger- fest, dass sich der Fokus verschiebt – von Individuen weise im Zusammenhang mit dem Unternehmen, der hin zu Beziehungen und Netzwerken, beschrieben lokalen Unternehmenskultur und dem Rechtsrahmen durch die Begriffe „Mitarbeiterkollaboration“, „Diver- betrachtet werden. Ansätze, die lediglich auf die Re- sität“ und „Inklusion“, „Compliance“ und „Mitarbei- gulierung der technischen Ebene oder auf nicht bin- ternetzwerke“. Hier zeigt sich, dass automatisiertes dende ethisch fundierte Absichtserklärungen setzen, Personalmanagement bereits jetzt über individuelle greifen zu kurz. Leistungsmessung hinausgeht und Netzwerke und Interaktionen in Unternehmen sichtbar und bearbeit- Erhellende empirische Studien über den Einfluss von bar machen soll. automatisierten Systemen in Unternehmen sind „The App as a Boss? Control and Autonomy in Application- Schlagworte, die häufig im Kontext von HR Analytics Based Management“ (Ivanova et al. 2018) und „Ratings auftauchen, sind „strategische Human Ressources“ als arbeitspolitisches Konfliktfeld: Das Beispiel Zalando“ und HRM. In welchem Verhältnis stehen sie zu HR (Staab/Geschke 2019). Analytics? „Strategische Personalwirtschaft“ ist ein Be- griff, der seit den 1980er-Jahren in der Management- literatur und in der Arbeitssoziologie auftaucht (vgl. Miebach 2017:1). Dieser Begriff bezeichnet eine Kon- Welche Ziele hat die Auto zeption von Personalwirtschaft, die das strategische matisierung im Unternehmen? Potenzial des Personalmanagements für das Errei- chen der Unternehmensziele erschließen soll. Dieses Wovon ist die Rede, wenn über Automatisierung von Konzept ist jedoch nicht an HR Analytics gekoppelt, HR-Prozessen gesprochen wird? Diskutiert werden sondern HR Analytics ist lediglich eine weitere Metho- hier verschiedene Zielvorstellungen dieser Prozesse, de, strategische HR durchzuführen und zu implemen- etwa Effizienz (Kosten-Nutzen-Maximierung / Reve- tieren. Und obwohl strategische HR, implementiert nue per Workhour) und Fairness beziehungsweise durch HR Analytics, mitunter als neuer grundlegen- mangelnde Fairness (Recruiting / Personalmanage- der Wandel der Rolle des Personalmanagements im mentprozesse). Grundlegend ist die Annahme, dass Unternehmen dargestellt wird, ist daran wenig neu eine Automatisierung dieser Prozesse die Zielvor- oder grundlegend. stellungen besser umsetzen kann, als Menschen da- zu bisher in der Lage sind. Es gilt die Annahme, dass Während klassisches Personalmanagement üblicher- automatisierte Systeme zu objektiveren, effizienteren weise Mitarbeiter·innen verwaltet und beispielweise und damit zu besseren Entscheidungen führen. Das für rechtliche Rahmenbedingungen, die einzuhalten geht einher mit der Überzeugung, dass quantitativ sind, verantwortlich ist (zum Beispiel Arbeitsverträ- begründete Argumentationen grundsätzlich objektiv ge), verschieben sich die Aufgaben zunehmend zur sind und die Effizienz fördern.7 Unterstützung von Wertschöpfung im Unterneh- men und die Erfüllung von Unternehmenszielen Laut der Metastudie von Tursunbayeva et al. 2018 (vgl. Jensen-Eriksen 2016:2). Die optimale Nutzung sind die verbreitetsten Ziele automatisierten Perso- der Fähigkeiten von Mitarbeiter·innen wird so  zu nalmanagements Leistungskontrolle, Talententwick- einem kompetitiven Vorteil des Unternehmens. Die lung, die Ermittlung des „Employee Lifetime Value“ Erwartungen an das Personalmanagement ändern (der Wert von Arbeitnehmer·innen für das Unterneh- sich somit grundlegend. Personal soll nicht mehr nur 7 Ein aufschlussreiches wissenschaftshistorisches Werk zu diesem Thema ist Porter 1996 Seite 9
Was ist automatisiertes Personalmanagement? Hintergrundtext verwaltet werden, sondern es sollen soziale Prozes- det damit die Annahme, automatisierte Systeme sei- se im Unternehmen analysiert, Talente erkannt oder en durch die Abwesenheit dieser kognitiven Verzer- Fehlentscheidungen bei Stellenbesetzungen redu- rungen zu generell besseren Entscheidungen fähig ziert werden. Insgesamt sollen Unternehmen durch als Menschen. Darüber hinaus beinhaltet der HRA HR Analytics Unternehmensziele besser erreichen, Diskurs noch eine Annahme, die insbesondere in der als ohne den Einsatz dieser Technologie. Die Rolle der Data Science verbreitet ist: Es wird davon ausgegan- Personalverwaltung verschiebt sich demnach von der gen, dass das Verhalten von Individuen und Gruppen Effizienzmaximierung und Kostenreduktion hin zu mittels mathematischer Methoden mit hoher Wahr- einem strategischen Partner für die Unternehmens- scheinlichkeit vorhergesagt werden kann, wenn nur führung. genügend Daten über menschliches Verhalten ge- sammelt werden. Diese sozialtheoretische Argumen- Die Herausforderung für HR Analytics besteht insbe- tation findet sich auch in Teilen der quantitativen So- sondere darin, akkurate Daten über Mitarbeiter·innen zialwissenschaften, etwa der Ökonometrie oder der zur Verfügung zu stellen. Personaldaten sind oft quantitativen Soziologie. Die relevanten Annahmen schwer zu definieren, schwer zu messen und nicht für sind folgende: die Fragestellungen ausgelegt, die mit ihnen beant- wortet werden sollen (vgl. Jensen-Eriksen 2016:2). Die a. Menschen neigen zu systematischen und vor- Daten, die bisher für HRM erhoben werden, sind üb- hersagbaren kognitiven Verzerrungen (cognitive licherweise historische Daten, die nicht zwangsläufig bias). geeignet sind, prädiktive und präskriptive Fragestel- lungen zu beantworten. b. Quantitative Modelle haben diesen Nachteil nicht. ADMs werden die Praxis der Arbeitswelt verändern und haben diese bereits verändert. Diese Verände- c. Verhalten von Gruppen und Individuen kann vor- rungen entstehen durch eine feinere Auflösung von hergesagt werden. Leistungsdaten, Entscheidungen auf Basis von Me- triken oder durch ein überhöhtes Vertrauen in ver- Diese Annahmen bilden zusammen mit dem Glauben meintlich objektive Entscheidungen („Die Software an die Korrektheit datengestützter Entscheidungen, trifft die Aussage Maßnahme X sei besser als Maß- an Objektivität, Konsistenz, Neutralität und Sicherheit nahme Y. Wir zweifeln das nicht an, da die Software von Daten, an Computer und Künstliche Intelligenz objektive Entscheidungen trifft.“) Insbesondere durch die diskursive Grundlage für das Narrativ über den das Framing von Entscheidungen als „objektiv richtig“ Nutzen von Automatisierung im Personalmanage- („Die Daten sind nun mal die Daten“) kann es zu einer ment. Entpolitisierung von Unternehmensentscheidungen kommen, die die Aufmerksamkeit von Betriebsräten verdient. Wenn Entscheidungen, die das Potenzial ha- ben, die betriebliche Praxis zu verändern, als einfach Digitale Managementkontrolle lösbare technische Probleme reformuliert werden, werden sie der politischen Entscheidungs- und Mit- Welchen Einfluss hat es auf die betriebliche Praxis, bestimmungskompetenz der Betriebsräte entzogen. wenn zunehmend algorithmische Verfahren im Ma- nagement eingesetzt werden? Beispielhaft sollen Spätestens seitdem die Kapazitäten der Verhaltens- uns die Forschungsergebnisse des HBS-Projekts „Der ökonomik zur politischen Steuerung diskutiert wer- Algorithmus als Chefin? – Plattformisierung und gute den, ist es eine Binsenweisheit, dass Menschen zu Arbeit“ einen Einblick bieten, wie Managementkon- systematischen und vorhersagbaren kognitiven Ver- trolle durch den Arbeitgeber in Technologie einge- zerrungen neigen (vgl. Thaler/Sunstein 2008). Der bettet und durch Technologie (Algorithmen) durch- Diskurs über HRA greift diese These auf und begrün- gesetzt wird (vgl. Ivanova et al. 2018: 6). Der Begriff Seite 10
Was ist automatisiertes Personalmanagement? Hintergrundtext „Managementkontrolle“ bezeichnet dabei die Tech- HR Analytics in Unternehmen deutlich zu erkennen, niken, durch die das Management versucht Zeit, Ort etwa bei der Quantifizierung von Soft Skills und der und Durchführung von Arbeit zu kontrollieren (ebd. Mess- und Sichtbarmachung informeller Strukturen. 2018:6). Technologie wird so zu einem Instrument, Es finden sich verschiedene typische solutionistische mit dem Managementkontrolle integriert und aus- Werthaltungen im HR-Analytics-Umfeld wieder, etwa geübt werden kann. Einerseits werden Arbeitsan- der Fokus auf das Engagement von Mitarbeiter·innen, weisungen organisiert, wird Kontrolle ausgeübt und das Hinterfragen von Hierarchien, die Wertschätzung Leistung kontrolliert, andererseits werden auch Frei- von Genialität („Talent Analytics“) sowie die Instituti- räume geschaffen, Sicherheitsrisiken erkannt und onalisierung von Kreativität und Spontanität („agiles wird die Einhaltung von Unternehmensrichtlinien si- Management“). Eine liquidere, also weniger sichtba- chergestellt. Technologie organisiert somit nicht nur re, Werthaltung, die nach Ansicht der Autoren dem eine einzelne Kontrollsystematik, sondern integriert Solutionismus zugeschrieben werden kann, ist die verschiedene Kontrollstrategien. Durch die Ausdiffe- Wahrnehmung des Menschen als fehlerhaft, aber renzierung digitaler Technologien können diese Kon- auch voller Potenzial (vgl. Nachtwey/Seidl: 20). Im HR- trollstrategien auf verschiedenen Ebenen wirken und Analytics-Narrativ wird aus dieser Idee eine Kritik an diese miteinander verbinden: bürokratisch (rechner- menschlicher Intuition, aus der die Forderung nach basierte Kontrolle / Verwaltung), physisch (Kontrolle einer Verbesserung menschlicher Entscheidungen von/durch Maschinen) und körperlich (Wearables) durch automatisierte Systeme folgt. Nachtwey und (vgl. Ivanova et al. 2018:11). Besonders hervorzuhe- Seidl stellen einen starken Fokus auf technologische ben ist die Feststellung, dass Technologie nicht nur Problemlösung zulasten einer politischen oder dis- bisherige Kontrollstrategien ausführen soll, sondern kursiven Lösung fest. Probleme werden als einzelne darüber hinaus auch Kontrolle auf weitere Bereiche computerisiert lösbare und klar definierte Herausfor- ausweitet, etwa die informelle Kommunikation und derungen verstanden. Das bezieht sich im Kontext das implizite Wissen der Mitarbeiter·innen. von automatisierter HR auch auf komplexe soziale Situationen, wie sie in Unternehmen auftreten. Die- se Probleme werden als einfach lösbar verstanden, solange nur der richtige Algorithmus eingesetzt wird Wie sehen SAP, IBM und Co die Welt? (vgl. Morozov 2013:5, zitiert nach Nachtwey/Seidl 2018: 21). Soziale Probleme sind demnach als tech- Zum Abschluss ist es sinnvoll, sich mit der Frage nologische Probleme definierbar und werden einer zu befassen, wie ADMs, beziehungsweise einige möglichen politischen Problemlösung entzogen. Ins- Entwickler·innen, die Welt sehen. Die Art und Wei- besondere dieser Punkt ist für Betriebsräte und So- se, wie Probleme und Problemlösungen verstanden zialpartner relevant: Betriebliche Probleme können werden, hilft ebenfalls, ADMs für automatisiertes Per- als rein technische Probleme betrachtet und so dem sonalmanagement einzuschätzen. Eine instruktive Kompetenzbereich der Sozialpartner entzogen wer- theoretische Grundlagenarbeit habe Nachtwey/Seidl den. (2018) mit ihrem Working Paper „Die Ethik der Soluti- on und der Geist des digitalen Kapitalismus“ vorgelegt. Den Autoren zufolge wird die spezifische Geisteshal- tung des digitalen Kapitalismus durch die praktische Haltung des „Solutionismus“ geprägt (vgl. Nachtwey/ Seidl 2018: 5). Dieser Begriff bezeichnet einen Fort- schrittsglauben, der davon ausgeht, dass gesellschaft- liche und andere Probleme durch Technik, Algorith- men und Optimierung gelöst werden können. Diese Einstellung ist auch im Narrativ der Einführung von Seite 11
Was ist automatisiertes Personalmanagement? Hintergrundtext Fazit und Erkenntnisse Festzuhalten bleiben folgende Fragen und Problem- und auf eine abstrakt-technische Ebene verscho- felder, die nicht nur von Unternehmen und Sozial- ben werden. Deshalb braucht es hier Klarheit partnern, sondern auch gesamtgesellschaftlich disku- („Accountability“)(vgl. Thomas 2019). tiert werden müssen: —— Automatisierte Systeme können unerwünschte Welche Daten werden von den Systemen verwen- Bias und Diskriminierung noch verstärken. Dabei det und müssen zusätzliche Daten erhoben werden, sind die Daten und die Ergebnisse der Systeme um das intendierte Ziel zu erreichen? Viele dieser nicht lediglich eine Repräsentation der realen Systeme benötigen mehr Daten, als Unternehmen Welt und ihrer Ungleichgewichte, sondern bilden üblicherweise speichern, und verwenden die vorhan- Feedbackschleifen und verstärken Diskriminie- denen auch anders als bisher. Datenschutz und Da- rung noch (vgl. Thomas 2019, Noble 2018). tenverwendungsregelungen müssen daher neu aus- gehandelt werden. —— Wie verändert sich die Rolle von HRM? Automa- tisierte Systeme verändern die Rolle der Perso- —— Es muss geklärt werden, wie Fehler im Sys- nalwirtschaft im Unternehmen von einer recht- tem behoben werden können. Automatisierte lich-verwaltenden Rolle hin zu einer Rolle, die Systemehaben für den, der sie implementiert, maßgeblich für den Erfolg des Unternehmens große Vorteile. Sie sind günstig, schnell und kön- mitverantwortlich sein soll. Damit gehen neue nen mit großen Fallzahlen eingesetzt werden. Rechte, Pflichten und Zielkonflikte einher. Eben- Dabei passieren jedoch immer wieder auch Feh- so verändert sich die Rolle der Mitarbeiter·innen ler (vgl. O’Neil 2016). Hier verschränkt sich die gegenüber der Geschäftsführung. Wahrnehmung von ADM als objektiv und fehler- frei mit mangelhaften Kontrollstrukturen. Die- —— Metriken werden weiterhin von Menschen de- se Strukturen müssen entwickelt werden, auch finiert. Nach welchen Vorgaben und Zielvorstel- um Vertrauen in die Systeme zu erhöhen und lungen HR-Systeme arbeiten, bestimmen weiter- Fehlentscheidungen im Nachhinein korrigieren hin Entwickler·innen und Betreiber dieser Sys- zu können. Es gilt: Kein System ist perfekt (vgl. teme. Wie stark können verschiedene Anbieter Thomas 2019). diese Systeme unternehmensspezifisch anpas- sen? Es ist ebenfalls anzumerken, dass die strikte —— Es müssen von Beginn an Verantwortlichkeiten Optimierung spezifischer Metriken zu negativen definiert und durchgesetzt werden. Diese For- Ergebnissen führen kann. derung ist eng verzahnt mit der vorangegan- genen. Institutionen und Organisationen sind —— Daraus folgt, dass HR-Systeme nicht zwingend komplexe soziale Systeme und es ist häufig für betriebswirtschaftliche Gewinnmaximie- schwierig, Verantwortlichkeiten zu definieren. rung und Personalkostensenkung eingesetzt Automatisierte Systeme steigern dieses Phäno- werden müssen. HR-Systeme können außer- men noch, da Entscheidungen entpersonalisiert dem für mehr Diversität, besseres Einhalten der Seite 12
Was ist automatisiertes Personalmanagement? Hintergrundtext ompliance-Richtlinien, Reduktion von Über- C stunden, Analyse von Arbeitsverdichtung, Re- duktion von Fehlerquoten, Verbesserung des Führungsstils und ähnliche mitarbeiterorientier- te Unternehmensziele eingesetzt werden. Die zu diskutierende Frage ist daher: „Wie wollen wir in Zukunft arbeiten und Arbeit gestalten?“ —— HR-Systeme werden intuitive Entscheidungen in Unternehmen reduzieren, weg von der „Bauch- entscheidung“ hin zu eher evidenzbasierten Entscheidungen. Das ist eine Chance, um unbe- wusste Denkmuster mit Diskriminierungspoten- zial zu durchbrechen oder gar zu beenden, birgt jedoch auch das Risiko neuer noch unbekannter Diskriminierungsmerkmale. Seite 13
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Was ist automatisiertes Personalmanagement? Hintergrundtext Was ist automatisiertes Personalmanagement? Hintergrundtext Sebastian Gießler Mai 2021 Herausgeber: AW AlgorithmWatch gGmbH Linienstr. 13 10178 Berlin Kontakt: info@algorithmwatch.org Korrektorat: Karola Klatt Layout: Beate Autering Tiger Stangl www.beworx.de Veröffentlicht im Rahmen des Forschungsprojekts Automatisiertes Personalmanagement und Mitbestimmung Webdossier: algorithmwatch.org/de/auto-hr Gefördert durch die Diese Veröffentlichung ist unter einer Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz lizensiert https://creativecommons.org/licenses/by/4.0/legalcode.de Seite 16
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