WEGE AUS DER KÄLTE Erfahrungen Schwarzer Deutscher, damals und heute Von Marion Kraft - Rosa-Luxemburg-Stiftung
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WEGE AUS DER KÄLTE Erfahrungen Schwarzer Deutscher, damals und heute ROSA LUXEMBURG STIFTUNG NEW YORK OFFICE Von Marion Kraft
Inhaltsverzeichnis Eine lange Geschichte des Rassismus. Von den Herausgebern...................................................1 Wege aus der Kälte Erfahrungen Schwarzer Deutscher, damals und heute..........................................................2 Von Marion Kraft Das Verschweigen der Geschichte..............................................................................................3 Schwarze Kinder im Nachkriegsdeutschland............................................................................4 Blinde Flecken im Bildungssystem.............................................................................................8 Die Entstehung einer Bewegung...............................................................................................10 Der Kampf gegen das N-Wort....................................................................................................11 Racial Profiling und Gewalt.......................................................................................................12 Transkulturelle Identitäten und Bündnisse............................................................................13 Veröffentlicht von der Rosa-Luxemburg-Stiftung, Büro New York, Juli 2014 Herausgeber: Stefanie Ehmsen und Albert Scharenberg Adresse: 275 Madison Avenue, Suite 2114, New York, NY 10016 E-Mail: info@rosalux-nyc.org; Telefon: +1 (917) 409-1040 Gefördert mit Mitteln des Auswärtigen Amts Die Rosa-Luxemburg-Stiftung ist eine international tätige, progressive Non-Profit-Organisation für politische Bildung. In Zusammenarbeit mit vielen Organisationen rund um den Globus arbeitet sie für demokratische und soziale Partizipation, die Ermächtigung von benachteiligten Gruppen, Alternativen zur wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung und für friedliche Konfliktlösungen. Das New Yorker Büro erfüllt zwei Hauptaufgaben: sich mit Themen der Vereinten Nationen zu befassen und mit nordamerikanischen Linken in Hochschulen, Gewerkschaften, sozialen Bewegungen und der Politik zusammenzuarbeiten. ww w .r osal u x - n yc.or g
Eine lange Geschichte des Rassismus Seit Jahrhunderten leben Schwarze Menschen in Europa, doch ihre Erfahrungen folgten unterschied- lichen Entwicklungspfaden. Während Einwanderung aus den ehemaligen Kolonien die Gesellschaf- ten Frankreichs, Großbritanniens und der Niederlande grundlegend verändert hat, gestaltet sich die Situation in Deutschland anders. Denn da Deutschland seine Kolonien schon nach dem Ersten Weltkrieg abtreten musste, gab es später auch keine Masseneinwanderung. Im Ergebnis machen Schwarze heute weniger als ein Prozent der Gesamtbevölkerung des Landes aus. Der geringe Anteil Schwarzer Menschen in Deutschland bedeutet allerdings nicht, dass es weniger Rassismus gäbe. Im Gegenteil, Rassismus hat in Deutschland eine lange Tradition. Insbesondere zur Zeit des Deutschen Kaiserreichs (1871-1918) und des NS-Regimes (1933-1945) stellten weit verbreite- te Rassentheorien Menschen afrikanischer Herkunft als minderwertig dar. Ein Ursprung der rassisistischen Diskriminierung liegt in der populären Annahme, die deutsche Be- völkerung sei ethnisch homogen – und weiß. Lange Zeit, und teilweise bis heute, waren viele Weiße davon überzeugt, dass Schwarze prinzipiell nicht deutsch sein könnten, es Afro-Deutsche also gar nicht gebe. Angesichts solcher und anderer Vorurteile sind die individuelle und strukturelle Diskrimi- nierung und auch physische Gewalt noch immer Bestandteil des Alltags von Schwarzen. Schwarze Menschen in Deutschland fallen in zwei Gruppen. Zur ersten zählen Schwarze Deutsche bzw. Afro-Deutsche, die ganz überwiegend eine weiße Mutter und einen afrikanischen oder afro- amerikanischen Vater haben und nach dem Ersten und Zweiten Weltkrieg geboren wurden. Die zweite Gruppe besteht aus afrikanischen Asylsuchenden und Einwanderern, die in jüngerer Zeit nach Deutschland kamen. In den vergangenen Jahrzehnten haben sich beide Gruppen verändert; vor allem aber gibt es inzwischen auch zunehmend gemeinsame Initiativen. Afrikanische Einwande- rer protestieren etwa gegen diskriminierende Gesetze wie die sogenannte Residenzpflicht, die ihren Wohnort festlegt, ohne ihre Präferenzen zu berücksichtigen. Währenddessen gründeten Schwarze Deutsche, inspiriert von der afroamerikanischen Schriftstellerin und Aktivistin Audre Lorde, die In- itiative Schwarze Menschen in Deutschland (ISD) und verschaffen sich in der Gesellschaft immer mehr Gehör. Diese Studie vermittelt einen Überblick über die Geschichte Schwarzer Deutscher einerseits und den anhaltenden und institutionalisierten Rassismus in Deutschland andererseits. Die Autorin, Marion Kraft, ist selbst in der afro-deutschen Bewegung aktiv und hat sich als Lehrende und Literaturkriti- kerin intensiv mit den Werken Schwarzer Frauen beschäftigt. Hier diskutiert sie auch die Frage, was wir im Kampf gegen den Rassismus und für die Gleichberechtigung der Schwarzen in Deutschland tun können. Stefanie Ehmsen und Albert Scharenberg Leiter des Büros New York, Juli 2014 1
Wege aus der Kälte Erfahrungen Schwarzer Deutscher, damals und heute Von Marion Kraft Wie die scheinbar toten kalten Felsen trage ich Erinnerungen in mir, entstanden aus der Materie, die mich erschuf. Zeit und Raum sprechen daraus. Deshalb solltest du etwas wissen über die Zeit und den Raum meiner Herkunft, damit du die Ereignisse und die Wege meines Lebens verstehen kannst. (Zora Neale Hurston, Dust Tracks on a Road, 1942) Schwarze Menschen in Deutschland haben scher Konzeptualisierungen von „Rasse“ und eine lange und vielfältige Geschichte,1 die bis Nation in Deutschland. Insbesondere die Ras- ins 19. Jahrhundert und weiter zurückverfolgt senpolitik unmittelbar vor und während des werden kann, und eine wachsende Anzahl Zweiten Weltkriegs, aber auch noch in den von Afrikanern und Menschen afrikanischer frühen Nachkriegsjahren, hat die Vorstellung Herkunft lebt heute in der Bundesrepublik. von Deutschland als ethnisch homogene Ge- Schwarze Deutsche, von denen viele afro- sellschaft geprägt. Studien über Schwarze Ge- amerikanische oder afrikanische und weiße schichte in Deutschland und Selbstdefinitionen deutsche Wurzeln haben, gelten immer noch Schwarzer Deutscher begannen in den frühen als die „Anderen“, als Fremde in ihrem Heimat- 1980er Jahren, und die Visionen und Aktionen land. Ihr Kampf gegen Rassismus und für die der Generationen der Nachkriegsjahre hatten Anerkennung ihrer Identität durch die weiße einen starken Einfluss auf die Entwicklung ei- deutsche Mehrheitsgesellschaft ist nicht nur nes Schwarzen deutschen kulturellen und poli- eine Angelegenheit der Selbstpositionierung, tischen Bewusstseins. sondern wirft ernsthafte Fragen auf über die Gestalt nationaler Identität in einer multikultu- Dies ist umso bemerkenswerter aufgrund der rellen und multiethnischen Gesellschaft. Tatsache, dass als Schwarzer Mensch im Nach- kriegsdeutschland aufgewachsen zu sein oft Gegenwärtige Schätzungen der Zahl Schwar- eine traumatisierende Erfahrung bedeutete zer Deutscher, die in Deutschland leben, und afrodeutsche Kinder als ein „nationales schwanken zwischen 500 000 und 800 000, das Problem“ gesehen wurden. Trotz Hindernissen sind etwa 0,6 bis 1 Prozent der Bevölkerung. und Exklusionen haben viele dieser Schwarzen Ihre Marginalisierung und verschiedenen For- Deutschen wichtige Rollen im Bildungssystem, men der Diskriminierung basieren weitgehend in den akademischen Strukturen, in der Lite- auf den fortbestehenden Einflüssen histori- ratur, Kunst, den Medien, in der Politik und in den Anfängen einer Schwarzen deutschen Be- 1 Für umfassendere Darstellungen vgl. May Opitz, Kat- harina Oguntoye und Dagmar Schultz (Hg.): Farbe be- wegung eingenommen. kennen – Afro-deutsche Frauen auf den Spuren ihrer Geschichte, Berlin: Orlanda, 1986; Patricia Mazón und Unter den jüngeren Generationen gibt es eine Reinheld Steingrövel (Hg.): Not so Plain as Black and White. Afro-German Culture and History 1890-2000, Reihe von Künstlern, Autoren und anderen University of Rochester Press, 2009. Kulturschaffenden, die mittlerweile nationa- 2
MARION KRAFT WEGE AUS DER KÄLTE le und internationale Anerkennung gefunden Bedeutsam für die Entwicklung eines Schwar- haben. zen deutschen Selbstbewusstseins waren auch interkulturelle und transatlantische Ungeachtet solcher Erfolge bestehen verschie- Verbindungen und das Studium von Theo- dene Formen des alltäglichen Rassismus in der rien, Literaturen und Künsten der afrikani- Sprache und in den Medien fort; auch Formen schen Diaspora. Insbesondere die verschie- rassistisch motivierter Gewalt sind verbreitet. denen Schwarzen Frauenbewegungen und Nach der Vereinigung Deutschlands wurden Forschungsarbeiten zur Geschichte der afri- einige Gegenden im Osten für People of Color kanischen Präsenz in Europa waren wegwei- so unsicher, dass sie zu „No-Go-Gebieten“ de- send für die Herausbildung einer Schwarzen klariert wurden. Andererseits haben Schwar- deutschen Identität. Angesichts fortbeste- ze Deutsche, die in der DDR geboren wurden, hender Stereotypen über Schwarze Men- neue Perspektiven zu den verschiedenen Er- schen bleibt die Neudefinition ethnischer und fahrungen der Black Community in Deutsch- nationaler Identitäten eine große Heraus- land hinzugefügt. forderung. Das Verschweigen der Geschichte 1904 verübten deutsche Kolonialtruppen ei- Während dieser Teil der deutschen Geschichte nen der brutalsten Völkermorde an den He- am Rande des politischen und akademischen rero und Nama in ihrer Kolonie Deutsch-Süd- Diskurses in Deutschland bleibt, fehlt er in den westafrika, dem heutigen Namibia. Vier Jahre Curricula unserer Schulen vollständig. Als ich später schrieb ein deutscher Journalist in einer vor einigen Jahren an einem deutschen Kolleg liberalen Zeitung: „Der N***r ist ein halbes einen Kurs zur kolonialen und postkolonialen Kind und die andere Hälfte Bestie“. 2 Deutsch- Geschichte und Literatur unterrichtete, konn- lands Niederlage im Ersten Weltkrieg, die den ten die Studierenden zwar Informationen von Verlust der Kolonien mit einschloss, war im diversen Websites einholen, fanden in deut- Bewusstsein der Mehrheitsgesellschaft eng schen Schulbüchern jedoch nichts dazu. Die- verbunden mit dem Gefühl von Schmach und ses Verschweigen von Deutschlands kolonialer Schande. In jüngerer Zeit haben deutsche Po- Vergangenheit ist auch ein Resultat des fort- litiker ihr Bedauern hinsichtlich der Opfer der bestehenden Irrglaubens, Deutschland habe brutalen Unterwerfung des Aufstandes der keine Kolonien besessen – und es gäbe auch Herero und Nama zum Ausdruck gebracht, es keine Schwarzen Deutschen. Im Gegensatz zu jedoch versäumt, diese als Völkermord anzu- Frankreich oder Großbritannien betrachtet erkennen, Verantwortung zu übernehmen und sich Deutschland nicht als ehemalige Koloni- Forderungen nach materieller Kompensation almacht, zumal es aufgrund der Niederlage im nachzukommen. 3 Ersten Weltkrieg auch keine Massenimmigra- tion aus den ehemaligen Kolonien gab. 2 Zitiert in: Martha Mamozai: Schwarze Frau, weiße Her- rin. Frauenleben in den deutschen Kolonien, Reinbek: Rowohlt, 1989, S. 57. Die empfundene Demütigung durch die Sie- 3 Vgl. Rachel Anderson: Redressing Colonial Genocide germächte wurde durch die Tatsache ver- Under International Law: The Hereros Cause of Action against Germany in: „California Law Review“, 93/2005, stärkt, dass unter den Truppen der Alliierten Nr. 1155 (online). auch Schwarze Soldaten waren – und umso 3
MARION KRAFT WEGE AUS DER KÄLTE mehr, als deren Kinder mit weißen deutschen Es bleibt daher nach wie vor eine wichtige Frauen ein sichtbares Resultat der Niederlage Aufgabe für Wissenschaftler, Lehrer, Erzieher waren. Unter der Nazi-Herrschaft wurden die- und politisch Aktive, insbesondere für die, se Afro-Deutschen als „Rheinland-Bastarde“ die Teil der Black Community in Deutschland tituliert, diskriminiert, zwangssterilisiert und sind, solche historischen Fakten zu enthüllen, in Konzentrationslager gesteckt.4 Die Kinder zu analysieren und zu vermitteln, auf welche weißer Frauen und afrikanischer Diplomaten Art und Weise das Verschweigen dieses Teils oder afroamerikanischer Geschäftsleute, die der Geschichte verbunden ist mit dem Ver- in der Weimarer Republik nach Deutschland schweigen Schwarzer deutscher Erfahrungen gekommen waren, wurden auf ähnliche Weise und den Konzeptualisierungen von „Rasse“ bedroht.5 Diejenigen, die sich relativ sicher in und Nation in Deutschland. Forschungsarbei- Nazi-Deutschland fühlen konnten, wurden ver- ten zur Schwarzen deutschen Erfahrung sind führt, in Propagandafilmen mitzuwirken, die inzwischen ein wichtiger Gegenstand im Wis- die Masse der weißen Deutschen unterhalten senschaftsbetrieb der USA geworden, vor al- und ihnen das Gefühl von Überlegenheit ver- lem in den Fächern Geschichte, Deutsch und mitteln sollten – auf Kosten der Verspottung Diversity Studies, während in Deutschland und Demütigung Schwarzer Menschen in der selbst, mit Ausnahme einiger Arbeiten von Rolle minderwertiger, lustiger oder exotischer Schwarzen Deutschen, dieser Teil der deut- Fremder.6 Auch dieses Kapitel deutscher Ge- schen Geschichte noch wenig Aufmerksamkeit schichte fehlt in unseren Schulbüchern. erfährt. Schwarze Kinder im Nachkriegsdeutschland Im Juli 2013 initiierte das Innenministerium basierend auf dem Konstrukt von „Rasse“ 7und Nordrhein-Westfalen eine Kampagne zur Ein- Nation „typisch deutsch“ Weiß-Sein bedeutet. bürgerung. Werbeplakate zeigen People of Co- Solche weit verbreiteten Vorstellungen, dass lor, meist Schauspielerinnen und Schauspieler. Deutsche phänotypisch von Nicht-Deutschen Eine liberale lokale Zeitung, die sich für positi- unterschieden werden könnten, konterka- ve Integrationspolitik einsetzte, kommentierte, rieren das deutsche Grundgesetz, in dem (in dass häufig „weder ihre Namen noch ihr Aus- Artikel 116) festgeschrieben ist, dass ein Deut- sehen typisch deutsch“ seien.7 Die offensicht- scher eine Person ist, welche die deutsche lich zugrunde liegende Annahme ist hier, dass Staatsangehörigkeit besitzt. Nach dem Staats- angehörigkeitsgesetz von 1913 basierte diese 4 Vgl. Opitz, Oguntoye und Schultz, op. cit., S. 40-42 und hauptsächlich auf der Abstammung von einem Tina Campt: Other Germans. Black Germans and the deutschen Elternteil, wohingegen die Gesetz- Politics of Race, Gender and Memory in the Third Reich, Ann Arbor: University of Michigan Press, 2005, gebung aus dem Jahre 2000 Einbürgerungsver- 5 Vgl. etwa Hans-Jürgen Massaquoi: Neger, Neger Schorn- fahren für Ausländer, die in Deutschland woh- steinfeger. Meine Kindheit in Deutschland, München: Fretz und Wasmuth Verlag, 1999; Gert Schramm: nen oder hier geboren sind, vereinfacht hat. Wer hat Angst vorm Schwarzen Mann. Mein Leben in Ungeachtet der wachsenden Zahl deutscher Deutschland, Berlin: Aufbau Verlag, 2011; Theodor Mi- Staatsbürger, die Schwarz oder People of Color chael: Deutsch Sein und Schwarz dazu. Erinnerungen eines Afro-Deutschen, München: dtv, 2013. 6 Vgl. u.a. Doris Reiprich und Ngambi Ul Kuo, in Opitz, 7 www.nw-news.de/owl/bielefeld/mitte/8840292_Gesich- Oguntoye und Schultz, op cit. S. 69-76. ter_einer_Kampagne einer Kampagne.html. 4
MARION KRAFT WEGE AUS DER KÄLTE sind, sind „typische Deutsche“ im Bewusstsein folgende Zitat zeigt, wie voreingenommen und der Mehrheitsgesellschaft weiß. Diese vor- beeinflusst von rassistischen Annahmen einige herrschende Einstellung der weißen Mehrheit dieser Forschungsarbeiten waren, nicht zuletzt führt häufig zu verschiedenen Formen des all- auch im Sprachgebrauch: täglichen und institutionalisierten Rassismus, mit dem die Existenz und Identität Schwarzer Wenn wir in der Folge von „farbigen Kindern“ oder deutscher Menschen in Frage gestellt wird. gelegentlich stattdessen von „Mischlingskindern“ sprechen, so sind damit vor allem diejenigen ge- meint, die in ihrem Erscheinungsbild deutlich als Solche Konstruktionen von „Rasse“ und die fremdartig von anderen deutschen Kindern unter- Ausgrenzung des „Anderen“ waren in den frü- schieden sind. Diese deutliche Fremdartigkeit ist für hen Nachkriegsjahren noch viel weiter verbrei- ihre Stellung in der Umwelt wichtiger als ihre mehr tet. 1937 hatte das Nazi-Regime das deutsche oder minder starke Zugehörigkeit zu der einen oder anderen Rasse. Bei weitem die meisten von ihnen, Staatsangehörigkeitsgesetz zu einem Werk- etwa 75 bis 80 Prozent, stammen jedoch von mehr zeug seiner nationalsozialistischen Bevölke- oder weniger negroiden Angehörigen der amerika- rungspolitik gemacht, dessen Neugestaltung nischen Streitkräfte ab. Der Fremdheitsgrad dieser den Ausschluss deutscher Bevölkerungsgrup- Kinder ist keineswegs homogen. Während einige pen – Juden, nationale Minderheiten und poli- von ihnen sofort, auch von weitem, den Eindruck tisch Unbequeme – aus der „Rasse“ und Volks- eines kleinen N***rs machen, erkennt man bei an- deren die andersrassischen Züge nur, wenn man gemeinschaft garantieren sollte.8 Weniger als darauf achtet. Wir haben vereinzelt auch Kinder ein Jahrzehnt später war Hitler-Deutschland von „N***r“ genannten Vätern getroffen, bei denen besiegt, und trotz des zunächst geltenden Fra- nichts Fremdartiges in der Erscheinung zu entde- ternisierungsverbots wurden die ersten so- cken war.10 genannten Besatzungskinder geboren. Statt in ihnen die Kinder der Befreier zu sehen, Aufgrund ihrer angenommenen „Fremdartig- betrachteten viele Deutsche sie, ähnlich wie keit“ wurden Schwarze Kinder als ein „ natio- schon nach dem Ersten Weltkrieg, erneut als nales Problem“ erachtet, wie es sich auch in ei- Schande, insbesondere wenn sie Schwarze ner parlamentarischen Ausschussdebatte des waren. Jahres 1952 zeigte: In den 1950er und 60er Jahren erschienen Die verantwortlichen Stellen der freien Stellen und der behördlichen Jugendpflege haben sich bereits zahlreiche soziologische Studien, welche die seit Jahren Gedanken über das Schicksal dieser Situation von Schwarzen deutschen Kindern Mischlingskinder gemacht, denen schon allein die analysierten und dabei oft das Ziel der Inte- klimatischen Bedingungen in unserem Lande nicht gration und Inklusion sowie den Abbau von gemäß sind. Man hat erwogen, ob es nicht besser Vorurteilen proklamierten. Demgegenüber für sie sei, wenn man sie in das Heimatland ihrer hat Yara-Colette Muniz de Faria in ihrer Studie Väter verbrächte.11 über die Schwarzen deutschen sogenannten Besatzungskinder das Ausmaß untersucht, in Tatsächlich wurden viele Mütter von deutschen dem sozialwissenschaftliche und anthropo- Behörden überzeugt, ihre Kinder zur Adoption logische Studien im Nachkriegsdeutschland durch afroamerikanische Familien freizugeben. noch der Tradition von „Rassenanthropologie“ und Ausgrenzung. Afro-deutsche „Besatzungskinder“ im und „Rassenhygiene“ verhaftet waren.9 Das Nachkriegsdeutschland, Berlin: Metropol, 2002, S. 44- 47. 8 Vgl. Dieter Gosewinkel: Staatsangehörigkeit, Inklusion 10 Klaus Eyferth, Ursula Brandt, und Wolfgang Hawel: und Exklusion. Zur NS-Bevölkerungspolitik in Europa. Farbige Kinder in Deutschland. Die Situation der Mi- Diskussionspapier SPIV 2008-401. Wissenschaftszen- schlingskinder und die Aufgaben ihrer Eingliederung, trum Berlin für Sozialforschung (WZB). München: Juventa-Verlag, 1960, S. 13. 9 Yara-Colette Lemke Muniz de Faria: Zwischen Fürsorge 11 „Das Parlament”, 19.3.1952. 5
MARION KRAFT WEGE AUS DER KÄLTE Nach Christian Führer12 hatten bis 1954 mehr haben einige Verbindungen zu der Black Com- als 500 sogenannte Brown Babies eine neue munity in Deutschland hergestellt. Die Jah- Heimat in den Vereinigten Staaten gefunden. restagungen der Black German Heritage and Wie Heide Fehrenbach hervorhebt, hatten die Research Association waren bahnbrechend Adoptionen mehr einen politischen als einen für die Dokumentation geteilter Erfahrungen sozialen Hintergrund, da beide Seiten sie als Schwarzer Deutscher auf beiden Seiten des At- eine Gelegenheit erachteten, die Humanität ih- lantik. Andere Schwarze deutsche Organisatio- rer Nachkriegsgesellschaften zu propagieren.13 nen, die hauptsächlich in sozialen Netzwerken Für die Kinder bedeutete dies die Trennung von auftreten, sind u.a. The Society of Afro-Germans ihren Herkunftsfamilien und die Verschickung in America and Germany und die Official Black in ein Land, in dem Schwarze noch immer für German Cultural Society. ihre Bürgerrechte kämpften. Diese Entwur- zelung führte viele in späteren Jahren auf den Die Mehrheit der Schwarzen Kinder, die in Weg einer schwierigen Suche nach ihrer Identi- den Nachkriegsjahren geboren wurden, blie- tät. Rosemarie Pena, Präsidentin der Black Ger- ben jedoch in Deutschland und wurden dort man Heritage and Research Association, erläutert weiterhin als „nationales Problem“ erachtet, das staatliche Behörden und Wohlfahrtsver- dass die tatsächliche Herkunft der Adoptierten ge- bände oft dadurch zu lösen suchten, dass setzlich ausradiert worden war und die originalen sie die Mütter der Kinder, manchmal mit Hil- Geburtsurkunden für immer unzugänglich bleiben fe deutscher Stiefväter, zu überzeugen such- sollten. Die Geburtsfamilien wurden durch fiktive ersetzt und persönliche und medizinische Unter- ten, sie in Waisenhäuser oder Kinderheime lagen blieben verschlossen. Die Immigration in die zu geben. In ihrer Autobiografie beschreibt USA bedeutete darüber hinaus den Verlust der Mut- Ika Huegel-Marshall anschaulich die täglichen tersprache und der Kultur des Herkunftslandes. Herausforderungen, denen sich diese Kinder stellen mussten, aber auch die bestärken- Dass das Hauptinteresse des Herkunftslan- den Überlebensstrategien, die sie entwickel- des darin bestand, sich dieser Kinder zu ent- ten.15 Einige Kinder wurden sogar in Heime ledigen, wird durch die Tatsache deutlich, dass geschickt, die faktisch segregiert waren,16 wie bereits in den frühen 1960er Jahren die Zahl das sogenannte Haus der Verstoßenen in ei- der Adoptionen Schwarzer deutscher Kinder ner abgelegenen Gegend in der Nähe des nach Dänemark die der Adoptionen in die USA Edersees. Aber die Tatsache, dass im Jahr 1960 überschritten hatte. Kurioserweise wurde Dä- mehr als 70 Prozent der sogenannten farbigen nemark nicht als „zu kalt“ erachtet und von Besatzungskinder bei ihren Müttern lebten,17 deutschen Behörden ausgewählt, weil es dort widerlegt die vorherrschenden Annahmen je- angeblich keine Rassenvorurteile gab.14 ner Zeit, dass diese Frauen verantwortungslos und ungeeignet für die Erziehung ihrer Kinder Von denen, die in die USA verschickt worden gewesen seien. In den meisten Fällen bedeu- waren, haben viele als Erwachsene ihre Wur- tete das Leben zu Hause einen geschützten zeln in Deutschland gesucht, um alle Teile ihrer Raum und eine sicherere Umgebung. Bärbel Identität für sich zu beanspruchen. Gleichzeitig Kampmann beschreibt ihr Zuhause und die unmittelbare Nachbarschaft wie ein Kinderpa- 12 Christian Führer: Von Besatzungs- und Mischlingskin- dern, in: Memories of Mannheim. Die Amerikaner in der radies oder eine Insel, aber die Welt außerhalb Quadratstadt seit 1945, Mannheim: Verlag Regionalkul- tur, 2013, S. 199. 13 Vgl. Heide Fehrenbach: Race after Hitler. Black Occupa- 15 Ika Huegel-Marshall: Daheim unterwegs. Ein deutsches tion Children in Postwar Germany and America, Prince- Leben, Frankfurt am Main: Fischer, 2001. ton and Oxford: Princeton Univ. Press, 2005, S. 157-159. 16 Vgl. Fehrenbach, S. 157-159. 14 Ebd., S. 163. 17 Vgl. Eyferth, Bandt und Hawel, op. cit., S. 36. 6
MARION KRAFT WEGE AUS DER KÄLTE dieser Grenzen war eine andere.18 Für Schwar- In den folgenden Jahrzehnten kam eine wach- ze Kinder bedeutete sie oft die Konfrontation sende Anzahl Afrikaner nach Westdeutschland, mit pejorativen Bemerkungen, Beschimpfun- die meisten als Studenten, Fachkräfte oder gen oder schräge Blicke. In der Schule muss- Praktikanten. Gleichzeitig rekrutierte die DDR ten sich viele mit feindseligen Lehrkräften, die in den 1960er und 1970er Jahren etwa 1000 noch in Nazi-Deutschland ausgebildet worden Studenten, Facharbeiter und Gewerkschafter waren, und mit verschiedenen Formen laten- aus 23 afrikanischen Ländern, die mit staatli- ter und offener Diskriminierung auseinander- chen Mitteln gefördert wurden. 20 Während die setzen. Eine Folge davon war, dass die Zahl DDR offiziell die Rekrutierung von Afrikanern Schwarzer deutscher Kinder, denen eine hö- unter dem Banner der Internationalen Solidari- here Schulbildung zuteil wurde, erschreckend tät propagierte, betrachtete Westdeutschland gering ausfiel.19 dies als Entwicklungshilfe für Afrika.21 Obwohl man von den afrikanischen „Gästen“ erwarte- Ein anderer Aspekt des „nationalen Problems“, te, dass sie nach einer bestimmten Zeit in ihre mit dem sich die Behörden befassten, war die Heimatländer zurückkehren würden, blieben berufliche Zukunft Schwarzer deutscher Kin- einige in Deutschland. Ein Ergebnis war eine der, insbesondere die der Mädchen. Sie wur- weitere Generation von Kindern afrikanischer den nur als geeignet angesehen für unterge- Väter und weißer deutscher Mütter in beiden ordnete Tätigkeiten, als Bedienstete, Köchin- Teilen Deutschlands. Die Diskriminierung die- nen oder Fabrikarbeiterinnen – eine Annahme, ser Kinder sowohl im Westen als auch im Osten die ironischerweise mit bestehenden Vorurtei- unterschied sich nur wenig von der vorausge- len in der deutschen Gesellschaft gerechtfer- gangener Generationen von Afro-Deutschen. 22 tigt wurde. In ihrem späteren Leben haben vie- le der als soziales Problem Bezeichneten diese In den späteren Jahren ist die Zahl der in rassistischen Annahmen allen Widerständen Deutschland lebenden Afrikaner stetig gewach- zum Trotz widerlegt. Dies ist umso bemerkens- sen. Im Westen basierte dies hauptsächlich werter, da junge Schwarze Menschen in West- auf der Anwerbung von Studenten und Fach- deutschland nicht nur mit Stereotypen über kräften und attraktiven Arbeitsmöglichkeiten, sich selbst, verletzenden Bildern und beleidi- aber auch auf der Aufnahme von Flüchtlingen. gendem Sprachgebrauch konfrontiert waren, Im Osten stieg – aufgrund zwischenstaatlicher sondern auch mit rassistischen Darstellungen Wirtschaftsabkommen mit Kuba, Angola und Schwarzer Menschen und von Afrikanern im hauptsächlich Mosambik – die Anzahl der Ver- Allgemeinen. Die Bürgerrechtsbewegung in tragsarbeiter aus diesen Ländern von 15 000 im den USA und die Befreiungskämpfe in Sim- Jahr 1989 auf 17 000 im Jahr 1990. babwe und Südafrika – die breite Unterstüt- zung durch die Studentenbewegung und Teile 20 Vgl. Ilona Schleicher: Elemente von entwicklungspoliti- der politischen Linken in Deutschland erfuh- scher Zusammenarbeit von FDGB und FDJ, in: Hans-Jörg ren – boten Afro-Deutschen eine Gelegen- Bücking (Hg.): Entwicklungspolitische Zusammenar- beit in der Bundesrepublik Deutschland und der DDR. heit, sich als Teil der afrikanischen Diaspora Schriftenreihe der Gesellschaft für Deutschlandfor- zu sehen und Schwarze Vorbilder zu haben, schung, Bd. 62, Berlin: Duncker und Humblot, 1998, die es aktiv ablehnten, in der Opferrolle zu S. 134-135. 21 Vgl. Website des Bundesministeriums für Wirtschaft- verharren. liche Zusammenarbeit und Entwicklung/Länder und Regionen. 22 Vgl. Peggy Piesche: Schwarz und deutsch? Eine ostdeut- 18 Vgl. Harald Gerunde: Eine von uns. Als Schwarze in sche Jugend vor 1989 – Retrospektive auf ein ‚nichtexis- Deutschland geboren, Köln: Peter Hammer, 2000, S. 24- tentes‘ Thema in der DDR, www.heimatkunde.boell. 28. de/2006/05/01; Vgl. Manuela Ritz: Die Farbe meiner 19 Vgl. Eyferth, Brandt und Hawel, op. cit., S. 53-72. Haut, Freiburg: Herder, 2009. 7
MARION KRAFT WEGE AUS DER KÄLTE Blinde Flecken im Bildungssystem Waren Schwarze Kinder in den ersten Jahr- auch eine Reihe nützlicher Links zu weiteren zehnten nach dem Zweiten Weltkrieg nur Informationen und Unterrichtsmaterialien. 23 vereinzelt in deutschen Klassenzimmern zu Im selben Jahr haben Mitglieder der Initiati- finden, so spiegeln inzwischen, nicht nur in ve Schwarze Menschen in Deutschland (ISD) den Metropolen, alle Schulformen die Viel- das Each One Teach One Media Archive in Ber- fältigkeit der gegenwärtigen Gesellschaft. lin gegründet mit dem Ziel, eine bestehende Diese Veränderungen haben jedoch noch kei- Bibliothek von Werken Schwarzer Deutscher nen angemessenen Ausdruck in deutschen Autorinnen und Autoren, Aktivistinnen und Schulbüchern und Lehrplänen gefunden. Aktivisten der Afrikanischen Diaspora zu er- Folglich sehen nicht-weiße Kinder sich und weitern, mit einem Schwerpunkt deutsch- ihre Erfahrungen selten in Unterrichtsmate- sprachiger oder ins Deutsche übersetzter rialien reflektiert. Bilder Afrikas und Schwar- Bücher. Ziel ist es, diese Materialien auch in zer Menschen sind meist verbundenen mit Schulen und anderen Bildungseinrichtungen Darstellungen von Armut, Krieg, Flüchtlingen, nutzbar zu machen. Solche Initiativen sind Hunger und Verbrechen. Curricula für Eng- wünschenswert und notwendig, auch hinsicht- lisch in weiterführenden Schulen schließen lich der Stundenkürzungen in sozialwissen- zwar einige Aspekte von Kolonialismus, Skla- schaftlichen Fächern und weitreichender Ein- verei und Rassismus und der Realitäten heu- schränkungen staatlicher finanzieller Mittel. tiger multikultureller Gesellschaften mit ein, In einem staatlichen Schulsystem sollte dies dies indes vor allem am Beispiel Indiens, der jedoch eine wichtige Aufgabe der Schulverwal- Vereinigten Staaten oder Großbritanniens. tungen sein, unterstützt durch die Erfahrun- Aber in Deutsch- und Geschichtskursen sucht gen Schwarzer Lehrer und Lehrerinnen, Wis- man in der Regel vergeblich Hinweise auf die senschaftler und Wissenschaftlerinnen und deutsche Kolonialgeschichte oder die Ge- Organisationen. schichte Schwarzer Menschen in Deutschland und erfährt so gut wie nichts über die Werke Meine Erfahrungen als Lehrende für Deutsch, Schwarzer Autorinnen und Autoren und die Englisch und Frauenstudien, mit dem Schwer- Beiträge Schwarzer Menschen zu Geschichte, punkt Literatur von (Schwarzen) Frauen, an Kunst und Politik. Aber selbst wenn es nützli- verschiedenen Schulen, Colleges und Univer- che Unterrichtsmaterialien zu diesen Themen sitäten in den USA und in Deutschland haben gibt, bedarf es informierter, bewusster und mir gezeigt, wie sehr es Schwarze Lernende engagierter Lehrkräfte, diese in die Praxis und Studierende bestärken kann, Teile ihrer umzusetzen. Dies sollte auch eine Herausfor- Selbst und ihrer Geschichte im Spiegel der Li- derung für die praktische Ausbildung von Leh- teratur zu erfahren. Aber auch für die Mehr- rerinnen und Lehrern sein. heit der weißen Lernenden kann ein solcher Perspektivenwechsel nicht nur ihr allgemeines 2012 erschien eine Monatsausgabe der Wissen erweitern, sondern sie auch befähi- GEW-Zeitschrift „Erziehung und Wissenschaft“ gen, die Vielfalt von Erfahrungen in ihrer eige- unter dem Titel „Menschenrechte statt Rassis- nen Gesellschaft und in anderen Kulturen zu mus“. Das Heft beinhaltet mehrere Artikel, die reflektieren und derart Fähigkeiten, Fertigkei- sich mit rassistischer Diskriminierung Schwar- zer Kinder durch Mitschüler, aber auch durch 23 „E&W – Zeitschrift der Bildungsgewerkschaft Erziehung Lehrende auseinandersetzten. Es enthält und Wissenschaft“, 12/2012. 8
MARION KRAFT WEGE AUS DER KÄLTE ten und Kompetenzen zu entwickeln, die für einer literarischen Diskussion Schwarzer weib- fortschrittliches Handeln und Interaktionen licher Erfahrungen in vielerlei Hinsicht zu ent- in einer sich verändernden Welt erforderlich ziehen schien. sind. 24 Ein anderer Aspekt war, dass seit den 1980er Generell können Schwarze Erfahrungen am Jahren die Literatur Schwarzer Frauen in den besten von Lehrenden vermittelt werden, USA eine Blüte erlebte, während sie in Deutsch- die selbst diese Erfahrungen gemacht haben. land, selbst in feministischen Kreisen, margi- Obwohl es in Deutschland inzwischen einige nalisiert blieb. Oft wurden Wissenschaftlerin- Schwarze Lehrer und Professoren im Bildungs- nen und Studentinnen, die zu diesem Thema system gibt, vor allem in den Geistes- und So- arbeiteten, nicht ernst genommen. In einem zialwissenschaften, in Fächern wie Pädagogik, Vortrag auf einer antirassistischen Konferenz Literatur und Psychologie, finden deren Erfah- in München im Jahr 2010 erinnert sich die af- rungen, Forschungsergebnisse und Praxisbe- ro-deutsche Literaturwissenschaftlerin und richte in der breiteren Öffentlichkeit noch zu Aktivistin Modupe Laja: wenig Beachtung und haben noch kaum Ein- gang in den Bereich öffentlicher Bildungsein- Während meines Studiums war ich die einzige richtungen gefunden. Schwarze Studentin meines Studienfachs und Jahr- gangs und musste mir von einem Professor der Anglistik mit Schwerpunkt afro-amerikanische Li- Demgegenüber besteht im englischsprachigen teratur, noch dazu vor meinen Kommilitonen, an- Raum ein wachsendes Interesse an afro-deut- hören, dass das N-Wort ein passender Begriff für schen Erfahrungen, das auch vielen Schwarzen Schwarze Menschen wie mich in Deutschland sei. Deutschen die Möglichkeit bietet, ihre Arbeiten Seine Begründung, „da Sie ja hier im Gegensatz zu Amerika einer Minderheit angehören“, entbehrt in englischer Sprache zu veröffentlichen. Kön- nicht nur jeder Logik, sondern disqualifiziert ihn nen so auf der einen Seite Schwarze Deutsche auch als Experten seiner Disziplin.26 ihre Stimmen in internationalen Diskursen hörbar machen, führen andererseits Sprach- Auch die weiße feministische Bewegung – in- barrieren auch dazu, dass die notwendige Dis- und außerhalb akademischer Strukturen – hat kussion über diese Themen in der deutschen sich bis heute, wenn überhaupt, nur halbher- Gesellschaft erschwert wird. Ich selbst habe zig mit dem Problem des Rassismus oder den meine Forschungsarbeit über afroamerikani- Werken Schwarzer Autorinnen und Autoren sche Autorinnen vor fast zwei Jahrzehnten auf auseinandergesetzt. Folglich bezog sich die in Englisch publiziert 25 – in erster Linie, weil dies den 1980er Jahren entstehende Schwarze Be- dem Gegenstand entsprach, aber auch um ei- wegung, insbesondere die Schwarze Frauen- nen internationalen Diskurs zu erleichtern und bewegung, auf die Arbeiten Schwarzer Femi- weil zu dieser Zeit die deutsche Sprache sich nistinnen in den Vereinigten Staaten, vor allem auf die Schwarze lesbische Autorin, Dichterin 24 Vgl. Marion Kraft: Kulturelle und fremdsprachliche Kom- petenz im Literaturunterricht. Black Women Writers und Aktivistin Audre Lorde, deren Kontakte – Ein Unterrichtsbeispiel für die Sekundarstufe II, in: mit Schwarzen Deutschen die Entwicklung „Englisch Amerikanische Studien. Zeitschrift für Unter- transatlantischer Verbindungen entscheidend richt, Wissenschaft und Politik“ (EAST) 2/86; vgl. Gisela Feurle, Marion Kraft und Ellen Thormann: Kompetenz- vorantrieben. erwerb im fächerübergreifenden Unterricht am Ober- stufen-Kolleg, in: Das Zusammenspiel der Fächer beim Lernen, Immenhausen bei Kassel: Prolog-Verlag, 2011. 25 Marion Kraft: The African Continuum and Contempo- 26 Modupe Laja: Wie Rassismus (be-)trifft. Schlusswort zu rary African-American Women Writers. Their Literary der Fachtagung Alltagsrassismus und rassistische Dis- Presence and Ancestral Past, Frankfurt am Main u.a.: kriminierung – Auswirkungen auf die psychische und Peter Lang, 1995. körperliche Gesundheit. ANIGRA, München, 12.10.2010. 9
MARION KRAFT WEGE AUS DER KÄLTE Die Entstehung einer Bewegung Afroamerikanischer Aktivismus und afroame- von den wichtigen Forschungsarbeiten May rikanische Musik und Literatur hatten für Opitz‘ (May Ayim) zu der historischen Präsenz Schwarze Deutsche bereits in den 1970er von Afrikanern und Menschen afrikanischer und 1980er Jahren verschiedene Vorbildfunk- Herkunft in Deutschland. Der Publikation die- tionen. Die Popmusik dieser Jahre wurde von ses Buches folgte die Gründung politischer englischsprachigen Gruppen und afroame- Organisationen, vor allem der ISD (Initiative rikanischen Musikern wie James Brown, The Schwarze Menschen in Deutschland) und ADE- Supremes, Aretha Franklin und vielen ande- FRA (Afro-deutsche Frauen). In dem Doku- ren dominiert. Positive Bilder Schwarzer Men- mentarfilm „Audre Lorde – Die Berliner Jahre schen wurden später auch in Übersetzungen 1984-1992“ 28 werden die Ursprünge dieser Be- literarischer Werke von Autorinnen wie Maya wegungen und Organisationen zurückverfolgt. Angelou, Toni Morrison und Alice Walker ver- In einer Anthologie aus dem gleichen Jahr stellt mittelt. Hier wurden Schwarze nicht nur als Peggy Piesche Gedichte, Erinnerungen und In- Opfer, sondern als Kämpfer, Überlebende terviews Schwarzer deutscher Frauen Essays, und Kreative, die sich auf eine lange kulturelle Gedichten und Reden Audre Lordes gegenüber Tradition stützen konnten, dargestellt. Jedoch und hebt dabei die Bedeutung des transnatio- führte das wachsende Selbstbewusstsein, das nalen Erbes Lordes hervor, ihren bestärken- mit solchen Bildern einherging, nicht direkt zu den Einfluss auf die Bewegungen Schwarzer einem kollektiven Bewusstsein. In den meisten deutscher Frauen und Lesben. 29 Fällen blieben Schwarze Deutsche als Indivi- duen isoliert und mussten sich der Herausfor- Dieser grenzüberschreitende Diskurs basierte derung stellen, sich in einem weißen Umfeld auch auf dem Verständnis nicht nur von Ge- selbst zu positionieren und gegen alltäglichen meinsamkeiten, sondern auch von Unterschie- Rassismus zur Wehr zu setzen. den zwischen afro-deutschen und afroameri- kanischen Realitäten – und auf Lordes Vision, Audre Lorde, die in den frühen 1980er Jahren dass Verschiedenheit kreativ genutzt werden eine Gastprofessur in Berlin hatte und dort muss, um positive gesellschaftliche Verände- eine Gruppe junger Schwarzer deutscher Frau- rungen zu erreichen, 30 um voneinander zu ler- en verschiedener Herkunft um sich versam- nen, ebenso wie von den Erfahrungen und den melte, initiierte in einem interkulturellen Dis- Erfolgen Schwarzer Frauen weltweit. Eine Fol- kurs einen Prozess der Gemeinschaftsbildung, ge war auch das 1991 von mir und Helga Emde, der zu einem Gefühl der Zusammengehörig- einer der Autorinnen in „Farbe bekennen“, Ria keit und neuem Selbstbewusstsein führte. Sie Cheatom und einigen anderen ADEFRA-Frauen ermutigte dazu, kollektiv die eigene Stimme zu organisierte 5. Internationale Sommerinstitut erheben. Die bahnbrechende Veröffentlichung Schwarzer Frauen in Deutschland. Es brachte des Buches „Farbe bekennen“ 27, welches auf Schwarze Frauen und Women of Color aus der dieser transatlantischen Beziehung basierte, ganzen Welt zusammen zu einem Austausch markierte den Anfang einer Schwarzen deut- schen Bewegung. In diesem Buch werden die 28 Produziert von Dagmar Schultz in Zusammenarbeit mit verschiedenen Lebensgeschichten Schwarzer Ria Cheatom und Ika Hügel-Marshall, Berlin 2011. 29 Peggy Piesche (Hg.): Euer Schweigen schützt euch nicht. deutscher Frauen eingeleitet und umrahmt Audre Lorde und die Schwarze Frauenbewegung in Deutschland, Berlin: Orlanda, 2012. 30 Vgl. Marion Kraft: Vom Nutzen der Verschiedenheit. Ein 27 Op. cit. Interview mit Audre Lorde, in: Piesche, 2012, S. 216-227. 10
MARION KRAFT WEGE AUS DER KÄLTE über ihre Erfahrungen, Forschungen, Aktivitä- Rolle in den Charts der Popmusik in Deutsch- ten und Zukunftsvisionen. 31 land eingenommen. Kevin John Edusei, ge- bürtiger Bielefelder deutsch-ghanaischer Auch außerhalb solcher organisatorischer Herkunft, wurde 2013 zum ersten Dirigen- Strukturen sind Schwarze Deutsche zuneh- ten der Münchener Philharmoniker ernannt. mend sichtbar in der deutschen Gesellschaft. Schwarze Deutsche finden sich im Spitzensport Um nur einige zu nennen: Die Theaterschau- verschiedener Disziplinen, vor allem im Fuß- spielerin Miriam Goldschmidt, spanisch-jüdi- ball. Der in Berlin geborene Jerome Boateng, scher und afrikanischer Herkunft und in Düssel- deutsch-ghanaischer Herkunft, spielt für Bay- dorf aufgewachsen, wurde für ihre Darstellung ern München und die deutsche Nationalmann- in Peter Brooks Inszenierung von Becketts „Der schaft. Die Torjägerin Célia Šašić, deren Eltern Verwaiser“ bei den Ruhrfestspielen 2013 in den aus Kamerun und Frankreich stammen, wird Feuilletons vieler großer deutscher Zeitungen oft der „Sonnenschein“ des deutschen Frauen- und anderer Medien lobend gewürdigt. Nisma fußballs genannt. In der Politik ist Dr. Karamba Cherrat, geboren in Marokko, aufgewachsen Diaby (SPD) aus Halle der erste Schwarze, der in im Schwarzwald, spielte die Hauptrolle einer den Bundestag gewählt wurde. afro-deutschen Polizistin auf der Suche nach ihren Wurzeln in Ostdeutschland in Branwen Diese Beispiele zeigen nicht nur, dass Schwar- Okpakos Film „Tal der Ahnungslosen“. Die jun- ze Deutsche verschiedener Herkunft und Ge- gen begabten Schauspieler Thando Walbaum, nerationen sich in vielerlei Hinsicht in der Mit- Steve-Marvin Dwumah und Luka Kumi spielten te der Gesellschaft verankert haben, sondern hervorragend den jungen Hans-Jürgen Mas- auch die Diversität der Schwarzen deutschen saquoi in der Verfilmung seiner Autobiografie Bevölkerung. Was diese Beispiele nicht zeigen „Neger, Neger, Schornsteinfeger – Meine Kind- können ist, dass mit dieser Präsenz und diesen heit in Deutschland“.32 Xavier Naidoo, dessen Errungenschaften Konzeptualisierungen von Eltern indischer, südafrikanischer, irischer und Nation und „Rasse“ aus dem kollektiven Be- deutscher Herkunft sind und der in Mannheim wusstsein der weißen Mehrheitsgesellschaft lebt und aufgewachsen ist, hat eine führende verschwunden wären. Der Kampf gegen das N-Wort „Woher kommen Sie?“ „Wann gehen Sie wie- dem ausgrenzen, was im Allgemeinen von der der zurück?“ „Woher sprechen Sie so perfekt Mehrheit unter deutscher Nation verstanden Deutsch?“ Dies sind Fragen, welche Menschen, wird. Die meisten weißen Deutschen reagieren die nicht „typisch“ deutsch aussehen, insbe- ablehnend, wenn sie mit dem zugrunde liegen- sondere Schwarzen Menschen, fast täglich ge- den Alltagsrassismus solcher Fragen konfron- stellt werden – Fragen, die sie als „Fremde“ von tiert werden, und verteidigen sich mit der Ver- sicherung, nicht rassistisch zu sein und nichts Böses gemeint zu haben, in der Regel mangels 31 Die Konferenz fand mit Unterstützung zahlreicher Ins- eines Bewusstseins von den oben ausgeführ- titutionen in Frankfurt/Main, Bielefeld und Berlin statt. Die Hauptbeiträge wurden später veröffentlicht in Ma- ten historischen Konzeptualisierungen und de- rion Kraft und Rukhsana Shamim Ashraf-Khan (Hg.): ren politischen Implikationen. Auch in diesem Schwarze Frauen der Welt, Europa und Migration, Ber- lin: Orlanda, 1994. Kontext zeigt sich erneut die Notwendigkeit 32 Massaquoi, 1999. antirassistischer Bildung. 11
MARION KRAFT WEGE AUS DER KÄLTE Ein schwerer wiegendes Problem stellt eine ma „wir“ versus die „Anderen“ konstituiert. gewisse Haltung von Superiorität dar, die sich Der Hinweis auf rassistische Haltungen führt oft darin zeigt, dass weiße Menschen, auch ge- demzufolge oft zu Strategien der Selbstvertei- bildete Liberale, sich das Recht des Signifikan- digung zum Beweis der Vorurteilsfreiheit. Der ten in Diskursen über rassistischen Sprachge- Gebrauch verletzender Sprache, Stereotypisie- brauch anmaßen. So wurden auf Initiative von rungen und selbst „black facing“ in deutschen Schwarzen Deutschen im Jahr 2012 von den Theatern und Fernsehsendungen wird sodann Herausgebern populärer Kinderbücher aus gerechtfertigt mit dem Hinweis auf einen histo- den 1950er Jahren33 pejorative Begriffe wie das rischen Sprachgebrauch und der Verteidigung N-Wort durch neutralere Ausdrücke ersetzt. der Kunst als wertneutrale Ausdrucksform. Dieser kleine, längst überfällige Schritt verur- Der Kern solcher Einstellungen wird gebildet sachte eine mediale Debatte über „political von der Negation der verschiedenen Facetten, correctness“, in der den Bezeichneten von den die Kunst und Literatur konstituieren, und den Bezeichnern vorgeworfen wurde, Zensur aus- verschiedenen Facetten, die Rassismus konsti- zuüben, die deutsche Sprache ihrer kulturellen tuieren. Schwerer wiegt noch die Arroganz und Traditionen berauben zu wollen und die Freiheit Selbstgerechtigkeit, mit der einige Weiße ihre der Kunst zu gefährden. Wiederum wurde der Macht in den Medien nutzen, um die „Anderen“ historische, koloniale Kontext, auf dem rassis- zu definieren. Auf der anderen Seite existieren tische Wörter und Bilder in diesen Büchern ba- jedoch Organisationen und Regenbogen-Koali- sieren, ignoriert. Die zum Teil bizarre Debatte, tionen, die solchen Einstellungen entgegenwir- die sich dabei um den Gebrauch des N-Worts ken, und es gibt auch breite Aktionsbündnisse entwickelte, kann vielleicht am ehesten ver- gegen Rassismus. Aber solange die Tatsache, standen werden, wenn man in Betracht zieht, dass Deutschsein nicht gleichzusetzen ist mit dass „Rasse“ im deutschen Sprachgebrauch Weißsein, das Bewusstsein der Mehrheits- aufgrund der jüngeren deutschen Geschichte gesellschaft nicht erreicht hat, scheinen alle ein Begriff ist, der gerne vermieden wird. Ras- Beteuerungen und Beschwörungen eines an- sismus wird auch oft gleichgesetzt mit „Frem- tirassistischen, multikulturellen Deutschlands denfeindlichkeit“, was wiederum das Paradig- Lippenbekenntnisse zu sein. Racial Profiling und Gewalt Alltagsrassismus und Rassismus in den Medien Anlass ihrer Kontrolle (und in der Folge die korrespondieren mit institutionellem Rassis- Festnahme des Klägers in einem Regionalzug) mus. So ist racial profiling eine gängige Praxis einzig seine Hautfarbe war; sie habe ihn „ver- der Bundespolizei. Schwarze Menschen wer- dächtig“ gemacht. Vor dem Amtsgericht hatte den häufig in Bahnen oder auf Flughäfen ohne der Student seinen Prozess noch verloren. Die Anlass aufgrund ihrer Hautfarbe Passkontrol- nach diesem Vorfall von der ISD initiierte Pe- len unterworfen. 2012 gewann ein Schwarzer tition an den deutschen Bundestag gegen die deutscher Student seinen Prozess in zweiter Praxis des racial profiling fand große Unter- Instanz, weil die Polizeibeamten zugaben, dass stützung in der Bevölkerung. Viele der weißen Unterstützer sagten aber auch, dass ihnen die Existenz einer solchen Polizeipraxis vorher gar 33 Etwa Ottfried Preußler: Die kleine Hexe, Thienemann 1957. nicht bekannt gewesen war. 12
MARION KRAFT WEGE AUS DER KÄLTE Ein noch weitaus ernsthafteres Problem ist die lemen konfrontiert sind – unabhängig von ih- Unkenntnis vieler weißer Deutscher darüber, rem nationalen oder ethnischen Hintergrund. dass Schwarze Menschen in Deutschland in In Deutschland geboren zu sein, einen deut- den vergangen Jahren oft Opfer rassistischer schen Pass zu besitzen, in einer privilegierten Gewalt wurden. Die schlimmsten Fälle sind Position zu sein, bietet keinen Schutz vor ras- die von Antonio Melis und Oury Jalloh, beide sistischer Gewalt. Man kann weiße Familien- 37 Jahre alt. Melis wurde 1997 von Neonazis mitglieder haben, in eine weiße Nachbarschaft attackiert, geschlagen und in der Havel er- integriert sein, weiße Freunde, Studentinnen tränkt. Jalloh verbrannte in einer Polizeizelle in und Kolleginnen haben: Außerhalb dieser Welt Dessau im Jahr 2005. Die diensthabenden Be- besteht ständig die Gefahr von Diskriminie- amten wurden nicht schuldig gesprochen. Die rungen, Feindseligkeiten und sogar Gewalt. Liste rassistisch motivierter Gewalt ist jedoch Wie Audre Lorde schon vor mehr als zwan- wesentlich länger. 34 In verschiedenen Publika- zig Jahren bei ihren Lesungen in Deutschland tionen, in Blogs, sozialen Netzwerken, Work- betonte: „Rassismus in Deutschland muss als shops und Diskussionsveranstaltungen hat die Problem erkannt werden, und die Tatsache, Black Community in Deutschland gegen diese dass ihr nicht People of Color seid, bedeu- rassistischen Gewalttaten protestiert und die- tet nicht, dass Rassismus keinen Einfluss auf se einer breiten Öffentlichkeit überhaupt erst alle Bereiche eures Lebens hat.“ 35 In diesem bekannt gemacht. Zusammenhang sind breite Koalitionen in Deutschland erforderlich, mit dem Ziel, alle Diese Vorkommnisse zeigen, dass Schwarze Formen von Diskriminierung und Gewalt zu Menschen in Deutschland mit ähnlichen Prob- bekämpfen. Transkulturelle Identitäten und Bündnisse Die Black Community in Deutschland ist ein len Deutschlands gemacht. Einige sehen sich wichtiger Katalysator im Kampf gegen Ras- selbst einfach als Deutsche, einige als Teil der sismus auf allen Ebenen und für positive ge- afrikanischen Diaspora, einige, wie die Wissen- sellschaftliche Veränderungen. Es ist jedoch schaftlerin, Dichterin und Aktivistin May Ayim, wichtig festzuhalten, dass wir hier nicht von legen stärkeren Wert auf ihr zweifaches kul- einer Black Community sprechen können wie turelles Erbe. Diese Unterschiede zeigen sich in den USA, in Großbritannien, Frankreich oder auch in der Literatur, nicht nur in Autobiogra- den Niederlanden. In Deutschland gibt es di- fien, sondern auch in Fiktion und Dichtung. In verse Schwarze kulturelle Zentren, aber keine ihrem Gedicht „grenzenlos und unverschämt Schwarzen Nachbarschaftsbezirke, und orga- – ein gedicht gegen die deutsche schein-heit“ nisatorische Formen des Zusammenschlusses schreibt May Ayim: existieren hauptsächlich in einigen größeren ich werde trotzdem Städten. Darüber hinaus haben Schwarze Men- afrikanisch schen in Deutschland verschiedene kulturelle sein Hintergründe und verschiedene Erfahrungen auch wenn ihr zu verschiedenen Zeiten in verschiedenen Tei- mich gerne 34 Vgl. Noah Sow: Deutschland Schwarz Weiß, München: 35 In dem Film „Audre Lorde: The Berlin Years – 1984 – Bertelsmann, 2008; und ManuEla Ritz, 2009. 1992“. 13
MARION KRAFT WEGE AUS DER KÄLTE deutsch konstituiert der gemeinsame afrikanische Ur- haben wollt sprung nicht an sich die afrikanische Diaspora. und werde trotzdem Vielmehr basiert die Annahme, dass Schwarze deutsch sein auch wenn euch Menschen der Welt Teil einer Community sind, meine Schwärze primär auf einer geopolitischen Orientierung nicht passt36 statt auf der tragfähigen Beibehaltung kultu- reller Traditionen. 38 Wie oben dargelegt, ha- Ayim beansprucht damit ihr afrikanisches Erbe ben Schwarze Menschen in Deutschland und und ihr Deutschsein. Die in London lebende Schwarze Deutsche unterschiedliche Familien- afro-deutsche Autorin Olumide Popoola pub- geschichten, deren Wurzeln in Afrika, Amerika liziert in Englisch und thematisiert eher dias- und in Europa liegen. Viele Schwarze Deutsche porische Erfahrungen, die geopolitisch Afrika haben Verbindungen zu der afrikanischen und Europa umspannen und, um einen Begriff Heimat ihrer Vorfahren hergestellt, anderer- von Taiye Selasi zu entlehnen, „Afropolitan“ seits haben viele gar keine Bezugspunkte zu in einem weiteren Sinn sind. Demgegenüber Afrika. Darüber hinaus gibt es natürlich auch schreibt die Schwarze deutsche Dichterin Raja Unterschiede hinsichtlich des Alters, des Ge- Lubinetzki37, die in der DDR aufgewachsen ist, schlechts und der sozialen Klasse, der fami- ausschließlich auf Deutsch über Themen wie liären Situationen, kulturellen und sexuellen Entfremdung, Einsamkeit, Sprachlosigkeit und Präferenzen, politischen Standpunkte und des Isolation und spielt gleichzeitig in ihren Dekon- politischen Engagements. Die Wahrnehmung struktionen von Heimat und Identität mit der und Anerkennung dieser Vielfalt und deren deutschen Sprache. kreative Umsetzung kann Prozesse gegenseiti- gen Verständnisses befördern und damit auch Obwohl er in diesem Beitrag benutzt wird, soll Aktionen initiieren, die zur Durchsetzung ge- hier auch auf die Problematik des Begriffes meinsamer positiver Ziele und zu notwendigen „Afrikanische Diaspora“ hingewiesen werden. Veränderungen führen. Irreleitend könnte hier die falsche Vorstellung sein, Afrika sei nicht ein Kontinent verschie- Die Auseinandersetzung mit und der Diskurs dener Nationen, Geschichten, Kulturen und über Rassismus müssen auch im globalen Kon- diverser ethnischer Gruppen, sondern ein ho- text gesehen werden. Wie ausgeführt begann mogenes Land mit einer Kultur, Religion und dies in Deutschland in den späten 1980er und Geschichte. Dies trägt nicht nur zu bestehen- frühen 1990er Jahren. Seitdem haben der Aus- den weißen europäischen Stereotypen über tausch von Studierenden und Lehrenden zwi- Afrika bei, sondern auch zu der Negation der schen Deutschland und den USA, die Anerken- Vielfalt, Diversität und des Reichtums afrikani- nung Schwarzer deutscher Autorinnen und Au- scher Kulturen. Diesen Reichtum afrikanischer toren dort und in Großbritannien und die Prä- Kulturen haben verschiedene Menschen afri- senz Schwarzer deutscher Wissenschaftlerin- kanischer Herkunft in ihre Selbstdefinitionen nen und Wissenschaftler auf internationalen einbezogen und damit gleichzeitig europäische Tagungen Möglichkeiten geschaffen, Erfahrun- rassistische Vorstellungen konterkariert. Aber gen und Ideen über nationale Grenzen hinaus für Schwarze Deutsche bedeutet dies nicht zu teilen. Black German Studies sind inzwischen automatisch, dass Afrika zur Basis ihrer Selbst- eine anerkannten Disziplin in akademischen definition würde. Wie Anne Adams betont, Diskursen in den USA, aber auch in Europa hat sich in den letzten Jahren ein wachsendes 36 May Ayim: Blues in Schwarz Weiß, Berlin: Orlanda, 1995, S. 61. 37 Vgl. Raja Lubinetzki: Das leidige Hindernis, Halle (Saale): 38 Vgl. Anne Adams: The Soul of Black Volk. Contradiction? Edition Cornelius Art, 2013. Oxymoron?, in: Mazón and Steingröver, op. cit., S. 226. 14
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