Wehr- und Zivildienst der Zukunft - Ein Fokusgruppen-Projekt mit Studierenden Hertie School of Governance
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Wehr- und Zivildienst der Zukunft Hertie School of Governance Ein Fokusgruppen-Projekt mit Studierenden April 2011
Seite 2 Wehr- und Zivildienst der Zukunft Ein Fokusgruppen-Projekt von Studierenden der Hertie School of Governance in Zusammenarbeit mit dem Bundesministerium der Verteidigung und dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Wissenschaftliche Betreuung Arbeitsgruppe Prof. Helmut K. Anheier, PhD Patrick Gilroy Dr. des René Geißler Lisa Gimsa Rabea Hass Maria Rösch Prof. Dr. Klaus Hurrelmann Lukas Schmid Prof. Dr. Markus Jachtenfuchs Felix Witte Prof. Dr. Andrea Römmele Henrik Schober Norman Spengler Teilnehmer der Fokusgruppen Paola Adriazola Robert Kirchner Jonathan Blackham Hannah Krause Felix Brandenburg Lisa-Marie Kreibich Lena Bringenberg Linnea Kreibohm Olga Chala Felix Lennert Cerni Escale Cabre Samuel Marmer Jan Jakub Chromiec Mauro Mondino Julia Clajus Maja Nizguretski Tomás Guilherme da Costa Martina Podhorova Marie-Christin Dankmeyer Zoe Robaey Khulan Davaadorj Johannes Ropers Evan de Riel Maria Rösch Sergio Domingues Julian Rothkopf Johannes Erhard Ann-Kathrin Scheuermann Nora Fasse Steven Schmerz Anja Fröhlich Lukas Schmid Jost Geimer Felicitas Schuldes Sandro Gianella Mahan Mosapour Shahi Patrick Gilroy Anne Spranger Lisa Gimsa Sina Übelacker Lea Haas Valerie Vogel Kristen Hamilton Lisa Walter Julian Herwig Anika Wirtz Dagmar Hölscher Felix Witte Jakob Christian Jekat Piotr Zakowiecki Diana Kallas Marc Zedler Richard Kaudewitz
Seite 3 Zusammenfassung Die Aussetzung der Wehrpflicht und die Einführung freiwilliger Dienste im militärischen und zivilen Bereich zum 1. Juli 2011 werden weitreichende Folgen für das institutionelle Geflecht zwischen Gemeinwohl-, Sozialstaats- und Sicherheitsinteressen in Deutschland haben. Im Zuge des Projekts „Wehr- und Zivildienst der Zukunft“ haben Studierende der Hertie School of Governance neben großen Herausforderungen auch gesellschaftliche Chancen durch die Reform- vorhaben identifiziert: Grundsätzlich, so das Fazit, sind Freiwilligendienste besser als Pflichtdienste mit dem demokratischen System vereinbar und können die Demokratie sogar voranbringen, indem sie neue Möglichkeiten der Partizipation bieten. Gesellschaftlich kann Deutschland vor allem gewinnen, wenn es gelingt, sozial ausgewogen zu rekrutieren. Das setzt jedoch voraus, dass die Reformen zu einem gesamtgesell- schaftlichen Anliegen werden. Wie kann ein solcher Prozess in Gang gesetzt werden? Durch die Umstellung auf Freiwilligkeit ändert sich ein grundlegender Mechanismus: Bundeswehr und soziale Einrichtungen müssen nun aktiv – und potenziell im Wettbewerb zueinander – um Frei- willige werben. Wie wird der Freiwilligendienst ausreichend attraktiv? Welche Anreize müssen ge- schaffen werden? In der vorliegenden Projektdokumentation haben Studierende konkrete Fragestellungen und Hand- lungsansätze dazu formuliert. Sie schlagen unter anderem vor, Impulse für einen umfassenden ge- sellschaftlichen Dialog zur Anerkennungskultur zu geben, z. B. durch die Schaffung positiver Leitbilder in den Medien, Auszeichnungen und den breiten Dialog unter Einsatz von Social Media. Als konkrete Anreize heben sie vor allem hervor, die Tätigkeit attraktiv und sinnvoll zu gestalten, den Freiwilligen Entwicklungsmöglichkeiten zu geben sowie konkrete Ausbildungsmodule zu integrieren, die auf dem Arbeitsmarkt akzeptiert werden. Als besonders wichtig werden Berufs- und Bildungsberatung für die Zeit nach dem freiwilligen Dienst eingeschätzt, Partnerschaftsmodelle mit Unternehmen können hier ein wichtiger Bestandteil sein. Die Zielgruppen der Freiwilligendienste müssen genau identifiziert und ihren Bedürfnissen entspre- chend angesprochen werden, das gilt vor allem für Frauen in der Bundeswehr , für Männer im zivilen freiwilligen Dienst, für Menschen mit Migrationshintergrund und sozial Benachteiligte generell. Um das Reservoir an potenziellen Freiwilligen zu erweitern, wird auch ein Blick auf ausländische Modelle empfohlen: Hier werden z. B. Arbeitslose oder auch Straftäter im Rahmen der Rehabilitation als besondere Zielgruppen angesprochen. Transparenz ist eines der wichtigsten Schlagwörter, wenn es um die Vermittlung der neuen Freiwilli- genangebote geht. Der gezielte Einsatz von Social Media und der Aufbau von Ehemaligen- Netzwerken, die ihrerseits aktiv kommunizieren, können hier Fortschritte bringen. Die Frage nach den effektivsten Organisationsstrukturen blieb kontrovers: Eine Zentralisierung im Sinne gemeinsamer Informations- und Rekrutierungskampagnen aller Freiwiligendienste steht dem Modell einer dezentralen, eher wettbewerbsorientierten Struktur gegenüber.
Seite 4 Inhaltsverzeichnis 1 Zum Projekt “Wehr- und Zivildienst der Zukunft” ........................................................... 5 2 Ausgangslage: Von Pflicht- zu Freiwilligendiensten ......................................................... 6 3 Handlungsansätze aus Sicht der Studierenden ................................................................ 8 3.1 Umfassenden gesellschaftlichen Dialog zur Anerkennungskultur initiieren ................... 8 3.2 Annerkennungsformen in beteiligten Organisationen verankern ................................... 8 3.3 Zielgruppen und deren Bedürfnisse identifizieren, dann wirkungsvoll ansprechen ....... 9 3.4 Mehr Transparenz zu Freiwilligenangeboten schaffen .................................................. 10 3.5 Interne Strukturen auf neue Aufgaben einstellen, Vernetzung zwischen Organisationen fördern.................................................................................................................................. 11 4 Anhänge ...................................................................................................................... 13 4.1 Erläuterungen der Handlungsansätzen .......................................................................... 13 4.1.1 Die politische Aufgabe: Schaffung einer Anerkennungskultur ............................... 13 4.1.3 Die Koordinationsaufgabe: Stärken nutzen und Dialoge statt Konkurrenz ............ 18 4.2 Freiwilligendienste im Europäischen Vergleich ............................................................. 22 4.2.1 Europäische Armeen ............................................................................................... 22 4.2.2 Europäische Freiwilligendienste.............................................................................. 23 4.3 Zentrale Ergebnisse der Engagementforschung ............................................................ 26 4.4 Ergebnisse der Fokusgruppen ........................................................................................ 29
Seite 5 1 Zum Projekt “Wehr- und Zivildienst der Zukunft” Der Umbau des Wehr- und Zivildienstes ist aktuell eines der größten Reformvorhaben der Bundes- regierung. Bislang ist äußerst ungewiss, ob es gelingen wird, genügend Freiwillige für die neuen Dienste zu gewinnen. Vor diesem Hintergrund entstand im Herbst 2010 zwischen den beteiligten Ministerien – Bundesministerium der Verteidigung (BMVg) und Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) – sowie der Hertie School of Governance die Idee, die Re- formansätze in einem Fokusgruppen-Projekt mit Studierenden zu beleuchten. Der vorliegende Bericht dokumentiert nicht die Ergebnisse eines Forschungsprojekts. Denn nicht Forschung, sondern die Erfassung und Systematisierung unterschiedlicher Perspektiven und Ein- schätzungen der Reform aus der Sicht der internationalen Studentenschaft der Hertie School war die Intention des Vorhabens. Dabei wurden in einem dreistufigen Vorgehen zunächst vier Leitfragen zu den neuen Freiwilligendiensten1 entwickelt. In wissenschaftlich begleiteten Fokusgruppen bearbeite- ten Studierende der Hertie School jeweils eine der Leitfragen mit dem Ziel, besonders relevante Aspekte herauszuarbeiten und Handlungsansätze zu entwickeln. Abschließend wurden die Ergebnis- se der Fokusgruppen unter Hinzuziehung relevanter Forschungsliteratur analysiert und zusammenge- fasst2. Folgende Leitfragen dienten als Ausgangspunkte der Diskussion: 1. Welchen gesellschaftlichen Nutzen bringen die Reformvorhaben? 2. Welche Anreize müssen die Dienste setzen, um ihre Attraktivität steigern? 3. Welche Herausforderungen für die Organisationskulturen von Bundeswehr und sozialen Einrich- tungen bestehen? 4. Welche Auswirkungen auf andere gesellschaftliche Akteure in Bildung und Arbeitswelt sind zu erwarten? Ziel des Projektes ist die Identifikation umsetzungsrelevanter Fragestellungen und Handlungsansätze für die Ministerien aus Sicht junger Menschen, die nicht nur nahe an der Zielgruppe der Freiwilligen- dienste stehen, sondern sich zudem durch fachliche Expertise und gesellschaftspolitisches Interesse auszeichnen. Zusätzlich bereicherte die internationale Zusammensetzung der Gruppe die Diskussion und ihre Ergebnisse. Das vorliegende Papier stellt eine Auswahl der Projektergebnisse vor. Einige Schwerpunkte werden in den Anhängen vertieft. Das Projekt „Wehr- und Zivildienst der Zukunft“ dient der Vorbereitung einer öffentlichen Diskussion der Studierenden mit den verantwortlichen Bundesministern. Ziel ist es, der notwendigen gesamtge- sellschaftlichen Debatte zu den Reformvorhaben auf diese Weise einen Impuls zu geben. 1 Obwohl in Wissenschaft durchaus kontrovers diskutiert, verwenden wir im Fortgang des Dokumentes die Begriffe „Freiwilligkeit“, „Freiwilligendienst“, „Engagement“ und „freiwilliges Engagement“ als größtenteils synonym. 2 Rund 60 Studierende im Master of Public Policy Programm der Hertie School beteiligten sich an dem Projekt. Die Teilnehmer sind im Durchschnitt 25 Jahre alt, zwei Drittel sind Deutsche, ein Drittel aus Europa, Amerika und Asien. Für nähere Informationen siehe 4.4..
Seite 6 2 Ausgangslage: Von Pflicht- zu Freiwilligendiensten Aussetzung der Wehrpflicht Die Aussetzung der Wehrpflicht bedeutet für die gegenwärtige Bundeswehr den Höhepunkt eines rasanten und kontinuierlichen Wandels seit Ende des kalten Krieges. Die Aussetzung der Wehrpflicht erscheint als logische Konsequenz einer veränderten Sicherheitslage: Eine sicherheitspolitische Begründung des Wehrdiensts sowie die daran angeschlossene Frage der Wehrgerechtigkeit ist schon seit Jahren Teil der öffentlichen und politischen Debatte. Durch diese Änderungen stellt sich eine Vielzahl neuer Herausforderungen, die von der organisatorischen Optimierung bis hin zu Fragen der „Inneren Führung“ und gesellschaftlichen Einbettung der Streitkräfte reichen. Als zentrale Verbin- dung zur demokratischen Grundordnung sollen die Leitbilder des „Staatsbürgers in Uniform“ wie auch der „Inneren Führung“ durch den damit verbundenen politischen Bildungsauftrag erhalten bleiben. Durch das Gesetz zur Änderung wehrrechtlicher Vorschriften 20113 besteht ein erheblicher Zeit- und Erwartungsdruck bei der organisatorischen Umsetzung der Reformen. Mit der Einführung des Freiwil- ligen Wehrdienstes (FWD) soll zum einen der Wegfall der bislang rund 30.000 jährlichen Wehrpflicht- igen kompensiert werden. Zum Anderen soll Nachwuchs für den künftigen Personalbedarf an Zeit- (bisher 137.275) und Berufssoldaten (bisher 57.725) rekrutiert werden. Im Rahmen des FWD sollen jährlich bis zu 15.000 Teilnehmer rekrutiert werden. Der Dienst richtet sich gleichermaßen an Män- ner und Frauen ab dem 18. Lebensjahr und kann bis zu 23 Monaten dauern. Vorbehaltlich einer gesetzlichen Festlegung erhalten die künftigen freiwillig Wehrdienstleistenden einen steuerfreien Wehrsold von 777,30 Euro monatlich zuzüglich verschiedener Zulagen. Zudem besteht für alle FWD- Leistenden Anspruch auf kostenlose Verpflegung, Unterkunft und medizinische Versorgung. Einführung des Bundesfreiwilligendienstes (BFD) Das Aussetzen der Wehrpflicht bedeutet gleichzeitig das Ende des Zivildienstes, der sich seit 1956 vom Wehrersatzdienst zu einer tragenden Säule des deutschen Wohlfahrts- und Sozialstaates entwi- ckelte. Mit dem Bundesfreiwilligendienst (BFD)4 sollen die negativen Auswirkungen auf die soziale Infrastruktur in den Bereichen Gesundheit und Pflege sowie im Katastrophen- und Unfallschutz durch die Aussetzung der Wehrpflicht minimiert werden. Konkret bedeutet dies den Wegfall von bislang rund 90.000 Zivildiensteinberufungen pro Jahr5, was im Jahresdurchschnitt einer monatlichen Kapazität von 65.794 Zivildienstverhältnissen entspricht6. Der neu eingerichtete BFD soll jährlich 35.000 Teilnehmer für in der Regel zwölf Monate verpflichten7 und richtet sich ebenfalls an Männer wie Frauen mit abgeleisteter Schulpflicht. Außerdem sollen explizit ältere sowie ausländische Mitbürger angesprochen werden. Die Freiwilligen sollen entspre- chend den für die Jugendfreiwilligendienste geltenden Regelungen sozialversichert werden und erhalten zudem einen Anspruch auf unentgeltliche Unterbringung, Verpflegung und Arbeitskleidung 3 Deutscher Bundestag, Drucksache 17/5329 4 Deutscher Bundestag, Drucksache 17/5249 5 Bericht des Bundesbeauftragten für den Zivildienst zum Prüfauftrag aus der Kabinettsklausur vom 7. Juni 2010 6 Bestandszahlen der Zivildienstleistenden im Monat und im Jahresdurchschnitt des Bundesamtes für den Zivildienst, Stand 01.02.2011 7 Grundsätzlich ist eine Dienstzeit zwischen sechs und 24 Monaten möglich.
Seite 7 sowie ein angemessenes Taschengeld von 330 Euro monatlich je Platz. Darüber hinaus sieht das Gesetz eine pädagogische Begleitung des BFD im Rahmen von Seminaren zur politischen Bildung vor, die bei einer zwölfmonatigen Teilnahme mindestens 25 Tage betragen sollen. Aufgrund der großen Nachfrage nach Freiwilligenangeboten sollen zudem die etablierten Programme „Freiwilliges Soziale Jahr“ (FSJ) und „Freiwilliges Ökologische Jahr“ (FÖJ) gestärkt und ausgebaut werden. Geplant ist die weitere Unterstützung von insgesamt 35.000 bestehenden Freiwilligen-Plätzen mit einer monatli- chen Förderpauschale von 200 Euro. Die 3000 Plätze der Internationalen Jugendfreiwilligendienste werden mit bis zu 350 Euro gefördert. Doppelstrukturen und Konkurrenz der verschiedenen Freiwil- ligendienste untereinander will die Bundesregierung ausdrücklich vermeiden.
Seite 8 3 Handlungsansätze aus Sicht der Studierenden 3.1 Umfassenden gesellschaftlichen Dialog zur Anerkennungskultur initiieren Mit welchen Erwartungen gehen die verschiedenen gesellschaftlichen Akteure in den Reformpro- zess? Wesentlich für den Erfolg der Reformen ist ein Grundkonsens, der über ergebnisoffene und demokratisch-partizipative Dialogprozesse gefördert werden muss. Dies kann durch Dialogforen zur gesellschaftlichen Bedeutung der Freiwilligkeit geschehen, deren Ergebnisse im politischen Entschei- dungsprozess berücksichtigt werden. Um das Ziel eines Freiwilligendienstes aller Generationen und aller sozialen Schichten zu erreichen, muss ein breiter Konsens über eine Kultur der Freiwilligkeit in Deutschland gefunden werden: - Soll der freiwillige Dienst zur „Bürgerpflicht“ werden? - Wenn ja, wie kann der Stellenwert der Freiwilligkeit erhöht werden? - Welche gesellschaftliche Wertschätzung sollen Freiwillige für den Einsatz ihrer Lebenszeit er- fahren? Wie erleben sie, dass ihr Engagement von der Gesellschaft gewürdigt wird? Mögliche Maßnahmen: - Foren mit gesellschaftlichen Akteuren, insbesondere mit Teilnehmern der Zielgruppen, in denen über Erwartungen und konkrete Maßnahmen zur Anerkennung der Freiwilligkeit dis- kutiert wird. Dabei kann an bestehende Strukturen, z.B. das „Nationale Forum für Partizipati- on und Engagement“ angeschlossen werden. Ein analoges „Nationales Forum für Freiwilligen Wehrdienst“ sollte geschaffen werden. Einsatz von Social Media erlaubt eine breite Beteili- gung. - Breite Informationskampagnen für Freiwilligkeit und Freiwilligendienste, die ehrlich und transparent Vor- und Nachteile thematisieren. Ein ausbaufähiger Ansatz ist beispielsweise die ARD-Themenwoche zu bürgerschaftlichem Engagement im „Europäischen Jahr des frei- willigen Engagements 2011“. - Positive Leitbilder schaffen: Freiwilligkeit kann in Unterhaltungsformaten, Jugendsendungen und Jugendliteratur thematisiert werden. Auszeichnungen (Bambi für Engagement, Stiftungs- und politische Preise) zeigen gesellschaftliche Anerkennung. - Internationale Perspektive: Kann ein „Military Covenant“ wie in Großbritannien geschlossen werden, um den Soldatenberuf gesellschaftlich aufzuwerten? 3.2 Annerkennungsformen in beteiligten Organisationen verankern Neben gesellschaftlicher Anerkennung erwarten Freiwillige Bestätigung und Rückmeldung durch die Organisationen, die sie beschäftigen. Zudem müssen durch konkrete Vorteile im Berufs- und Bil- dungsbereich Anreize für die freiwilligen Dienste geschaffen werden. Nicht zuletzt muss die Tätigkeit selbst attraktiv und sinnvoll sein: - Bestehen für jeden Freiwilligen klare Aufgabenbereiche und Ansprechpartner? - Bestehen konkrete Tätigkeitsprofile und wie berücksichtigen diese die Unterschiede zwi- schen den Zielgruppen junge/ältere Mitbürger, Frauen/Männer sowie Bürger mit Migrati- onshintergrund? - Welche Entwicklungschancen im Dienst bestehen? Welche Möglichkeiten zur Mit- und Selbstbestimmung gibt es?
Seite 9 - Welche Maßnahmen sichern eine positive Einbindung in vorhandene Teamstrukturen? - Welche auf Bildungschancen und Karriere-/Berufsförderung ausgerichteten Anreizmodelle können Bundeswehr und soziale Einrichtungen schaffen? Mögliche Maßnahmen: - Den Umgang mit Freiwilligen in einem „Code of Conduct“ festschreiben. - Zivile Anerkennung von erworbenen Kompetenzen sicherstellen, z.B. durch Ausstellung von Kompetenznachweisen, Anrechnung von Freiwilligendienstzeiten auf Berufsausbildung oder Studium, ggf. Verkürzung der Wartezeit auf einen Studienplatz. - Finanzielle Risiken der Freiwilligkeit minimieren, z.B. durch den Ausbau der bestehenden Eh- renamtsCard zu einem übergreifenden „Freiwilligen-Ausweis“. Prüfen, ob die Vergütung aus- reicht. - Career Service: Beratungs-/Vermittlungsangebot für Freiwillige: Was kommt nach dem Dienst? - Besserer Zugang für Freiwillige zum Arbeitsmarkt z.B. durch Unternehmens-Partnerschaften: Praktika bei Unternehmen werden in den Freiwilligen-Dienst integriert, Freiwillige als „privi- legierte Zielgruppe“ von Rekrutierungsmaßnahmen der Unternehmen. Umgekehrt erhalten die Unternehmen maßgeschneiderte Angebote für freiwilliges Engagement von Mitarbeitern. - Internationale Perspektive: In der Schweiz und in Großbritannien finden parallel zum Wehr- dienst Ausbildungen statt, die im zivilen Bereich anerkannt sind. In Italien ist der freiwillige Wehrdienst sogar Voraussetzung für den uniformierten öffentlichen Dienst. 3.3 Zielgruppen und deren Bedürfnisse identifizieren, dann wirkungsvoll ansprechen Für die beteiligten Organisationen ändert sich mit dem Wandel vom Pflicht- zum Freiwilligendienst die Kommunikationsrichtung: Sie müssen aktiv um Freiwillige werben. Sollen die Freiwilligen- und darauf aufbauend auch die Personalrekrutierung langfristig gelingen, müssen Lebenslagen, Interes- sen und Bedürfnisse potentieller Freiwilliger stärker in den Fokus von PR- und Marketingaktivitäten rücken: - Über welche Kommunikationskanäle sollen welche Zielgruppen mit welchen Kernbotschaften angesprochen werden? - Wie sollen vor allem „neue“ Zielgruppen wie Frauen (FWD) und ältere Menschen (BFD) ange- sprochen werden? - Welche spezifischen Anreizstrukturen müssen Bundeswehr und soziale Einrichtungen schaffen? - Wie kann sozial ausgewogen rekrutiert werden? Wie kann sichergestellt werden, dass die Dienste nicht zu einem Hartz-IV-Ersatz für perspektivlose Mitbürger oder zum Luxus, den sich nur Gutsituierte leisten können, verkommen? Mögliche Maßnahmen: - Zielgruppenspezifische Rekrutierung durch ausdifferenzierte Kampagnen: Identifizierte Gruppen können mit eigens entwickelten Kernbotschaften angesprochen werden („Microtargeting“). - Gezielter Aufbau eines positiven „Arbeitgeber-Markenimage“ durch Marketing- und PR- Kampagnen.
Seite 10 - Ehemaligen-Netzwerke bilden und stärken, um eine langfristige Verbundenheit der Freiwilli- gen mit ihrer Organisation zu erreichen. - Ehemalige Freiwillige (Frauen, Akademiker, Nicht-Akademiker, Migranten etc.) als Botschaf- ter einsetzen. - Frauen-Netzwerke und Mentoring-Programme für Frauen in der Bundeswehr. - Männer-Netzwerke und Mentoring-Programme für Männer im BFD. - Möglichkeiten prüfen, die Familienfreundlichkeit zu erhöhen: Kinderbetreuung, Teilzeit etc. - Kombinationsangebote entwickeln: ein Teil der Frewilligentätigkeit im zivilen, ein Teil im mili- tärischen Bereich. - Öffnung der Uffz m.P./Offz/StabsOffz-Ränge für qualifizierte FWD-Quereinsteiger. Internationale Perspektive: - Melden sich in Dänemark nicht ausreichend Freiwillige zur Armee, kann der Staat per Losver- fahren zwangsweise einberufen: Chancen und Risiken eines solchen Modells für Deutschland prüfen. - Herabsetzung der FWD-Einstellungsvoraussetzungen und Ausweitung der Altersgrenzen er- höhen, ähnlich in Spanien und USA. Somit könnten z. B. auch Realschulabgänger direkt nach der Schule aufgenommen werden. Um den Schutz Minderjähriger nicht zu verletzten, wäre auch ein abgestufter Dienst denkbar. - Schülerpraktika - Portugal und Tschechien ziehen Arbeitslose für ihr Freiwilligen-Modell heran. Könnte auch in Deutschland durch den Dienst die Chancen auf Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt er- höht werden? - Kann der FWD – ähnlich wie in den USA – eine alternative Rehabilitationsmaßnahme für Straftäter darstellen? Wäre dieses Modell auch für den BFD denkbar? 3.4 Mehr Transparenz zu Freiwilligenangeboten schaffen Ein unvermeidlicher Begleitumstand von Reformen wie der des Wehr- und Zivildienstes ist das In- formationsdefizit auf beiden Seiten: Die Dienste kennen ihre Zielgruppen und deren Bedürfnisse nicht ausreichend, um sie adäquat anzusprechen (siehe 3.3.). Umgekehrt wissen die potenziellen Freiwilligen nicht, was sie in den jeweiligen Organisationen erwartet. Bundeswehr und die sozialen Dienste müssen größtmögliche Transparenz herstellen. Inhaltlich geht es dabei nicht nur um die persönliche Zukunfts- bzw. Karriereplanung der Freiwilligen, sondern auch um die gesellschaftliche Legitimation der Dienste. Gerade beim Militärdienst müssen auch die Risiken thematisiert werden. Hier entstehen viele Fragen, die nicht allein durch konventionelle Informations-, Werbe- und PR- Maßnahmen abgebaut werden können. Ein zusätzliches interaktives Informations- und Beratungsan- gebot gibt Interessenten die Möglichkeit, mit den Organisatoren der Freiwilligendienste sowohl individuell als auch kollektiv in Dialog zu treten. Durch eine systematische Auswertung dieser Dialoge lernen auch die Dienste ihre „Kunden“ besser kennen: - Wie kann an bisherige Beratungsangebote (z.B. Informationsportale der Arbeitsagenturen, Jugendoffiziere der Bundeswehr, Informationsveranstaltungen von Wohlfahrtsorganisatio- nen) angeknüpft werden? - Welche Informationsinfrastruktur muss geschaffen werden, damit Interessierte schnellen und effektiven Eingang in die Freiwilligkeit finden können? - Reichen die organisatorischen und personellen Voraussetzungen aus, um Dialogplattformen aufrechtzuerhalten und systematisch zu evaluieren?
Seite 11 Mögliche Maßnahmen: - Ausbau von Engagement- und FWD-Börsen bzw. dialogischen Webpages, auf denen Interes- senten, Ehemalige, Vertreter der Organisationen und ihre Botschafter in Kontakt treten. - Potenzielle Freiwillige müssen dort „abgeholt“ werden, wo sie sich aufhalten. Das sind in ho- hem Maße soziale Medien (z.B. Facebook, MeinVZ, StudiVZ, Wer-kennt-wen, auch Blogs oder Twitter). Hier ist eine große Präsenz der Freiwilligendienste erforderlich, die potenzielle Teil- nehmer nicht nur informiert, sondern auch einbezieht („Was haltet Ihr von…?“, „Was ist Euch bei … wichtig?“). Erfolgreiche Social-Media-Kommunikation erzielt einen Multiplikatoren- Effekt: Die Botschaft erreicht viele Nutzer, die sie wiederum weiter verbreiten und verstär- ken. - Das System wird durch organisierte Online-Veranstaltungen ergänzt (z.B. „Online- Sprechstunden“, Gruppenchats etc.), die moderiert und begleitet werden müssen, um eine kontinuierlich hohe Qualität sicherzustellen. - Paralleler Aufbau einer Evaluationsstruktur und eines Systems von Vertrauenspersonen für Freiwillige, welche die Dienste überwachen und begutachten. Hier unbedingt auch Vertreter der Freiwilligen einbinden. 3.5 Interne Strukturen auf neue Aufgaben einstellen, Vernetzung zwischen Organisationen fördern Bei der Umsetzung des FWD kann die Bundeswehr auf bereits bestehende Vorteile durch ihre Orga- nisation zurückgreifen: Vorhandene Stabsstellen zur Personalgewinnung können mit den notwendi- gen Ressourcen ausgestattet werden; auch ermöglichen klare Entscheidungswege eine einheitliche Marketingstrategie. Jedoch muss die Bundeswehr in ihren Anforderungen und Tätigkeitsprofilen transparenter werden. Gleichzeitig muss verstärkt für die Bundeswehr als gesellschaftlich notwendi- ge und wertvolle Institution geworben werden. Dies kann auch zu einem veränderten Selbstver- ständnis der gesamten Organisation führen. Im BFD verhält es sich genau umgekehrt: Der ehemalige Zivildienst besitzt eine hohe gesellschaftli- cher Akzeptanz. Die zentrale Herausforderung ist dagegen in schwach ausgebauten und meist de- zentral agierenden Personalmanagementstrukturen der freien Wohlfahrtsverbände und ähnlicher Einrichtungen zu sehen. Um Freiwilligenangebote transparent und leicht zugänglich zu machen, müssen entsprechende Strukturen aufgebaut werden. - Welche Änderungen in der internen Struktur, aber auch im äußeren Auftreten der Bundes- wehr sind notwendig, um mehr Transparenz nach außen zu erzeugen? - Wie kann die Bundeswehr ihren gesamtgesellschaftlichen Stellenwert unterstreichen und wie können soziale Dienste eine stärkere Betonung des individuellen/karriereorientierten Nutzens für die Teilnehmer erreichen? - Welche Strukturen müssen bei den sozialen Diensten entstehen? Soll dezentral oder gemein- sam geworben werden? Falls ja, wer könnte dies mit welchen Ressourcen koordinieren? - Oder soll das Werben um Freiwillige im Wettbewerb der Organisationen erfolgen? Liegt da- rin möglicherweise Potenzial für soziale Innovationen und Professionalisierung? Mögliche Maßnahmen: - Gemeinsame Kampagnen des BFD und FWD für Freiwilligkeit, koordiniert und ggf. auch durchgeführt vom neu aufgestellten Bundesamt für den Zivildienst - Regelmäßige Treffen und Konferenzen zu ‚best practices’ in der Freiwilligenwerbung. Anwer- bung professioneller HR-Experten und Freiwilligenmanager. Anschluss und Weiterbildung
Seite 12 von Mitarbeitern in möglichen Professionellenvereinigungen, z.B. DGFP (Deutsche Gesell- schaft für Personalführung). - Integration von BFD, (Auslands-)FSJ/FÖJ, Jugendfreiwilligendienst in einen einzigen Freiwilli- gendienst. Damit können Mehrfachstrukturen verhindert und mehr Transparenz für mögliche Freiwillige geschaffen werden. Auch wird dadurch der Eindruck des FSJ/FÖJ als ein „BFD 2. Klasse“ vermieden. Dies könnte durch einen neu aufgestelltes Bundesamt für den Zivildienst erreicht werden. - Umfragen unter Freiwilligen und daran anschließende Ratingmodelle bzw. Auszeichnungen für Freiwilligeneinrichtungen mit „high impact“. Ausgezeichnete Anbieter erzielen dadurch Vorteile im Wettbewerb um Freiwilligen. Könnte dies auch ein Anreiz zu weiterer Professio- nalisierung der sozialen Dienste mit sich bringen? - Die Koordinierung des BFD der Zivilgesellschaft selbst überlassen? Könnten die Funktionen des Bundesamts für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben dezentral von den sozialen Einrichtungen selbst erbracht werden, bei entsprechender Koordinierungsrolle des Bundes- amts?
Seite 13 4 Anhänge 4.1 Erläuterungen der Handlungsansätzen 4.1.1 Die politische Aufgabe: Schaffung einer Anerkennungskultur Anerkennungskultur ist notwendige Basis Was eine Anerkennungskultur ausmacht, lässt sich mit Hinweis auf die Gesamtheit all jener Erwar- tungen und Aktivitäten fassen, die zur gesellschaftlichen Hervorhebung von besonders würdig oder ehrenvoll angesehenen Einzel- und Gruppentätigkeiten beitragen. Eine solche Anerkennungskultur zielt auf die Würdigung von Beiträgen und Leistungen für die Gemeinschaft, die über eigennützige Kalküle hinausgehen, obwohl diese sicherlich mit einfließen können. Anerkennungsformen können materieller (z.B. Versicherungen, Vergünstigungen, „Übungsleiterpauschalen“, Versorgungsleistun- gen etc.) aber auch immaterieller (Auszeichnungen, Feedbackgespräche, Weiterbildungen, Führungs- verantwortung etc.) Natur sein8. Eine Anerkennungskultur ist dabei nicht nur auf den Freiwilligendienst begrenzt, sondern breiter im kulturellen Selbstverständnis zur freiwilligen Spende und des Engagements angelegt. Zeitspende, Geldspende, Sachspende sind Teil eines zivilgesellschaftlichen Engagements für gesellschaftliche Teilhabe, an dem sich auch die Freiwilligendienste messen lassen und orientieren müssen. Hinter dem Begriff Anerkennungskultur steht eine doppelte Erwartung: Die Erwartung der potenziell Frei- willigen, dass man sich engagieren sollte, um Anerkennung zu erfahren, und die Erwartung der Orga- nisationen, dass ein solches Engagement anerkannt werden muss. Ist ein Engagement erst begonnen, bindet eine auf Organisationsebene ausgeprägte Anerkennungs- kultur ihre Freiwilligen, führt zu höherem Interesse und sichert eine nachhaltige Identifizierung mit der geleisteten Tätigkeit. Ausreichend Freiwillige zu finden, kann gerade in Zeiten des demographi- schen Wandels, zunehmender Individualisierung, prekären Arbeitsverhältnissen und damit einge- hender Zukunftsunsicherheit bei jungen und älteren Mitmenschen eine schwer zu nehmende Hürde bedeuten. Internationale Vergleiche und Befunde der Engagementforschung zeigen, dass eine leben- dige Anerkennungskultur diese Hürde signifikant senken kann (vgl. 4.3 und 4.4). Freiwilligenpolitik muss gesellschaftliche Dialoge stimulieren und fördern Der Staat kann die Möglichkeiten stimulieren, die sich einen breiten gesellschaftlichen Konsens zum Ziel setzen9. In der Pflicht sind daher nicht nur die um Freiwillige Werbenden, sondern auch das politische und institutionelle Umfeld. Eine breite und depolitisierte Grundsatzdiskussion ist notwen- dig, hinweg über die Interessensgrenzen von politischen Parteien, beteiligten Akteure und gesell- schaftlichen Schichten. Gefordert sind hierbei alle Stakeholder: • Die Bundesministerien sind als politische Promotoren gefordert, Rahmenbedingungen für Anerkennungskultur zu schaffen und die Zielgruppen von der Attraktivität der Freiwilligen- dienste sowie ihre Notwendigkeit für die Gesellschaft zu überzeugen; 8 Weitere exemplarische Anregungen zu Empfehlungen und Handlungsfelder für Anerkennungskultur finden sich in „Anerkennung fördern! – Ein Leitfaden für die Würdigung freiwillig Engagierter“ aus der BBE-Projektgruppe 1 „Rahmenbedingungen des Bürgerschaftlichen Engagements“. 9 So bietet bspw. das seit 2009 vom Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement moderierte – und vom BMFSFJ unterstützte – „Nationale Forum für Partizipation und Engagement“ vielerlei Lernmöglichkeiten: Nicht nur hinsichtlich der inhaltlichen Anregungen für Freiwilligendienste, sondern auch hinsichtlich seiner prozeduralen Umsetzung als gesellschaftliches Dialogformat.
Seite 14 • Die Bundesagentur für Arbeit und die Schulen bzw. Schulbehörden sind als Ausbildungsein- richtungen entscheidende Akteure für die individuelle Karriereplanung, müssen Perspektiven wie auch Grundsteine für Freiwilligensozialisation eröffnen; • Die Bundeswehr und die Wohlfahrtsverbände sind als Arbeitgeber in der Pflicht, die Freiwilli- gendienste darzustellen und als Ansprechpartner zur Verfügung zu stehen. • In Abstimmungsprozessen sind eine Vielzahl weiterhin Gewerkschaften und Verbände von besonderer Relevanz: Gewerkschaften (v.a. DGB, ver.di, GEW, GdP, CGB), Bundeswehrver- band, Soldatenhilfswerk, Verband der Reservisten der Deutschen Bundeswehr, Berufsver- bände des sozialen Bereiches (z.B. Deutscher Berufsverband für Soziale Arbeit, Bundesärzte- kammer), Deutscher Städtetag, Deutscher Kulturrat, Migranten- und Integrationsräte. Um ein deutliches Signal der Unterstützung zu senden, muss die Frage beantwortet werden, welche Anerkennungskultur wir in Deutschland etablieren wollen und wie Engagierte gesellschaftliche Wert- schätzung erfahren sollen. Denn es scheint Einigkeit darüber zu bestehen, dass allein schöne Worte eine real gelebte Anerkennungskultur nicht herbeireden können. Geplante Medienaktivitäten im Rahmen des „Europäischen Jahres des freiwilligen Engagements 2011“ bieten viele Anschlusspunkte mit hoher gesellschaftlicher Wirkung. Diese Potentiale gilt es verstärkt mit koordinierten Kampagnen zu nutzen und auszubauen10. Konkrete Maßnahmen finden sich oben in 3.1 und 3.2 der Handlungs- ansätze. Kompensation finanzieller Risiken Aus der Engagementforschung11 ist bekannt: Fehlende Ressourcen verringern die Neigung zum Engagement erheblich. Pragmatisch heißt dies: Wer sich Vollzeit engagiert, will nicht auch noch zusätzlich draufzahlen. Die Vergütung in den freiwilligen Diensten könnte von einer Vielzahl potenti- ell Freiwilliger als nicht existenzsichernd wahrgenommen werden und somit abschreckend wirken. Im Extremfall könnte der Freiwilligendienst als Luxusgut für höhere Schichten in der öffentlichen Wahr- nehmung missverstanden werden: Angehörige dieser Gruppen könnten es sich leisten, sich freiwillig für andere zu engagiert. In der Folge könnte dies die systematische Exklusion sozial Benachteiligter aus den Freiwilligendiensten forcieren. Auch für den Freiwilligen sind die Folgen nicht zu unterschät- zen: Reicht das Taschengeld nicht aus um laufende Alltagskosten zu decken, könnte eine soziale Benachteiligung – eventuell gar Prekarisierung –eintreten. Die empfundene Lebensqualität sinkt und Unzufriedenheit stellt sich ein. Auch sinkt die Passion für das Engagement, und damit die in den Organisationen erbrachte Leistungsqualität. Ein denkbarer Hebel liegt im gezielten Abfangen finanzieller Risiken, die durch mögliche Gehaltsver- zichte entstünden (Opportunitätskosten12). Freiwilligkeit könnte dann auch unter rationalen Ent- scheidungsprämissen attraktiver werden, zumindest wäre er dadurch zunehmend transparenter. All dies setzte starke Zeichen, dass Freiwilligkeit und Engagement für die Gesellschaft nicht nur als ‚Einbahnstraße des Gebens’ funktioniert, sondern der Engagierte im Gegenzug nachhaltige Vorteile und Vergünstigungen erfährt13. Nach ersten Einschätzungen, erscheinen die bisher genannten Vergü- tungs- und Versorgungsanreize als noch nicht ausreichend, um die Zielstellung von jeweils 35.000 BFD und FSJ/FÖJ’lern sowie 15.000 FWD’lern zu erreichen (vgl. 2). Ein konkretes Förderinstrument 10 Bspw. der Military Covenant 2000 in Großbritannien; Einbürgerungs- und Werbekampagnen in Spanien, Großbritannien und den Vereinigten Staaten, sowie zentrale Werbestellen für das „Zivildienstäquivalent“ in Italien. Vgl. Internationale Perspektiven unter 4.3 11 Siehe 4.4 unten, sowie die dort angegebenen Verweise zu Wilson 2000, Musch 2009 und Gensicke et al. 2010 12 Opportunitätskosten meinen entgangene Erlöse, die dadurch entstehen, dass vorhandene Möglichkeiten (Opportunitäten) zur Nutzung von Ressourcen nicht wahrgenommen werden. Im Fall einer Freiwilligkeit entsteht zum einen der direkte Ausfall, da in der Zeit der Freiwilligkeit ja auch einer regulären Beschäftigung nachgegangen werden könnten, zum anderen folgen kumulative Langfristeffekte, da der spätere Eintritt ins Berufsleben die Gehaltsentwicklung verzögert. 13 Bspw. Handy/Cnaan et al, 2000: Public perception of ‘Who is a Volunteer’: An examination of the net-cost approach from a cross-cultural perspective. In: Voluntas, 11 (1), 45-65, sowie Handy/Brudeur/Cnaan, 2006. Summer in the island: Episodic volunteering. Voluntary Action
Seite 15 könnte im gezielten Ausbau der schon vorhandenen und erfolgreichen „EhrenamtsCard“14 zu einer Art „Freiwilligen-Ausweis“ liegen. Dieser könnte folgende Vorzüge enthalten, von der alle sozialen Schichten gleichermaßen profitieren, z.B.: - deutlich vergünstigte Transportmöglichkeiten; - ermäßigte Nutzung öffentlicher und privater Kulturangebote in Theatern, Museen, Bädern und Konzerten; - Befreiung von alltäglichen Nebenkosten, die sich evtl. durch das Taschengeld des Freiwilli- gendienstes nicht decken ließen, z.B. Medikamentenzuzahlungen, Praxis- wie auch Rund- funkgebühr; - Absicherung von Engagierten durch zusätzliche Rechts- und Krankensicherung, gerade für Wehrfreiwillige und Lebensretter, die durch ihr Engagement in Gefahr geraten könnten; - Verlängerung von Kindergeld- und Rentenansprüchen sowie der Ansprüche auf Familienver- sicherung und Waisen-/Halbwaisenrente. Förderung des individuellen Potenzials, persönlichen Wachstums hervorheben Gerade jungen Menschen sind Chancen wichtig: Chancen der Selbstverwirklichung, der Selbsterfah- rung und besonders Chancen der Bildung. Die Ergebnisse des Freiwilligensurveys von 2009 unterrei- chen dies sehr eindrucksvoll: für 86% aller 14-24jährigen, sowie für 75% aller 24-34jährigen ist der Erwerb von Qualifikationen eine ausschlaggebende Motivation für Freiwilligkeit15. Persönlichkeitsent- faltung und -entwicklung sowie die Aneignung (inter-)kultureller, fachlicher und sozialer Kompeten- zen sprechen sie an. Der Stimulus liegt folglich in immateriellen Anreizen und Erfahrungen, die sich erst in der Zukunft finanziell, emotional oder persönlich ‚auszahlen’. Die Entscheidung für ein Enga- gement muss nicht zwingend auf einer philanthropischen Grundhaltung fußen, sondern kann durch- aus in Einklang mit dem legitimem, aufgeklärtem Eigeninteresse junger Mitbürger bestehen. Die Möglichkeiten dieser Win-Win-Situation zu erkennen und darauf zu reagieren, kann einen wirkungs- vollen Hebel der Politik, der Bundeswehr und der sozialen Einrichtungen bedeuten. Über spezifische Anreize, wie weiter unten im Punkt 4.1.2 formuliert, ließen sich eine Vielzahl junger Menschen für einen Freiwilligendienst zu begeistern. 4.1.2 Die Implementierungsaufgabe: Rekrutierungsreservoirs durch Anreize erschließen Definition und gezielte Ansprache der Zielgruppen Wie die Befunde der empirischen Engagementforschung16 zeigen, ist das Reservoir für die Rekrutie- rung Freiwilliger breit und divers. Es ist auch gerade das Ziel des BFD, Menschen verschiedener Altersklassen mit unterschiedlichen Schulabschlüssen und Karrierewegen anzusprechen. So vielfältig wie die möglichen Freiwilligendienste, so vielfältig sind auch die Motivationen von potentiellen Teilnehmern17. Diese komplexe Situation stellt eine Herausforderung dar, denen auf zwei Wegen begegnet werden kann: Man kann auf diese Komplexität eingehen (z.B. durch zielgruppenspezifische Rekrutierung) und zugleich versuchen, sie zu vermindern (z.B. durch die Fokussierung auf die „ge- meinsamen Nenner“ der verschiedenen Gruppen). Die Fokussierung auf „Gemeinsame Nenner“ setzt voraus, dass die Freiwilligentätigkeit für die Bun- deswehr und die sozialen Dienste gleichermaßen positiv konnotiert ist: Sofern ein gesellschaftliches 14 Vgl. http://www.ehrenamtscard.info 15 Siehe BMFSFJ 2010: Monitor Engagement, S. 31. 16 Vgl. Freiwilligensurvey, EngagementAtlas09, ALLBUS und SOEP, aufbereitet in Alscher/Priller et al. 2009: Bericht zur Lage und den Perspektiven des Bürgerschaftlichen Engagements in Deutschland, sowie Anheier/Spengler et al., 2009: Zivilgesellschaft und freiwilliges Engagement in Europa. In: Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement Newsletter 6/2009. Online verfügbar: http://www.b-b- e.de/fileadmin/inhalte/aktuelles/2009/03/nl06_anheier.pdf 17 Vgl. BMFSFJ 2010: Engagement Monitor 2. S. 24ff
Seite 16 Verständnis von Freiwilligendienste als „Bürgerpflicht“ oder „gute Tat“ besteht, kann darauf aufbau- end eine entsprechende Ansprache an alle Zielgruppe erfolgen. Den Erkenntnissen des Freiwilligen- survey18 folgend, geben 61% der Freiwilligen an, die „Gesellschaft im kleinen mitgestalten“ zu wollen, weiteren 34% ist dies teilweise wichtig. Weiterhin legen Freiwillige einen großen Wert darauf, mit ihrer Tätigkeit dem Gemeinwohl dienen zu wollen und damit anderen Menschen zu helfen19. Die Möglichkeit eines solchen gemeinsamen Nenners scheint somit gegeben. Zielgruppenspezifische Rekrutierung hingegen bedeutet, dass die Kampagnen zur Gewinnung von Freiwilligen ausdifferenziert werden. Diese können mit eigens entwickelten Kernbotschaften ange- sprochen werden (vgl. „Microtargeting“ in Werbe- und Wahlkampagnen). Auf Grundlage empirischer Untersuchungen können Gruppen identifiziert werden, z.B.: • Junge Menschen und Schulabgänger (FWD ab 18.Lebensjahr, BFD nach Vollendung der Voll- zeitschulpflicht i.d.R. ab 16.Lebensjahr), die vor dem nächsten Berufs- oder Bildungsschritt erste praktische Erfahrungen sammeln oder eine Phase der Selbstfindung einlegen möchten. • Menschen im mittleren Alter, die eine Karrierepause einlegen möchten, um sich neu zu ori- entieren, und/oder in einem Freiwilligendienst die Möglichkeit sehen, ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern. • Der Dienst könnte einen Brücke zwischen Kinderzeit/Wiedereinstieg in den Beruf bilden oder den Eintritt ins Rentenalter harmonischer gestalten. • Ältere Menschen im (Vor-)Ruhestand, die über ein geregeltes Einkommen oder Rente verfü- gen und über eine sinnhafte Tätigkeit einen gesellschaftlichen Beitrag leisten möchten. Andererseits ist die gesamtgesellschaftliche Verantwortung eine potenzielle Motivation – dies kor- respondiert mit der oben angesprochenen Entwicklung positiver Konnotationen der Tätigkeit und der Herausbildung einer breiten Anerkennungskultur. Attraktive Bildungsanreize setzen Freiwilligendienste vermitteln Kompetenzen und zeigen Berufswege wie auch Karrierepfade auf. Dies kann sich positiv auf die persönliche Weiterentwicklung der Teilnehmer auswirken. Sie müssen jedoch konkret und zielgruppenspezifisch geschaffen, kommuniziert und eingehalten werden. Ist dies der Fall, erführen Freiwilligenorganisationen zusätzliche Aufwertung und Anerkennung als Lernorte für verantwortungsbewusste Bürger. Wie oben bereits genannt, sind gerade Arbeitsmarkt- und bildungsrelevante Kompetenzen, deren eigentliche Wirkung dem Freiwilligendienst nachgelagert ist, als besonderer Attraktivitätsfaktor gerade für junge Menschen zu sehen. Zugehörige Maßnahmen, die auf Anerkennung von Kompetenzen abzielen, könnten an folgende Aspekte anschließen: - Anerkennung und Anrechenbarkeit von Freiwilligendiensten: In anschließenden Bildungs- schritten (Studium oder Berufsausbildung) sollten bereits geleistete Freiwilligendienste als Praktikum oder Berufserfahrung Anerkennung finden. Dadurch verkürzten sich Ausbildungs- und Studienzeiten bzw. verbessern Bewerbungschance auf qualifizierte Stellen. Die somit in den Freiwilligendienst eingebrachte Zeit kann folglich durch Wettbewerbsvorteile im Arbeits- und Bildungsmarkt teilweise kompensiert werden. Zudem sollte die Freiwilligenzeit beson- ders bevorzugt durch die Versicherungssysteme (Kranken-, Pflege-, Soziale und v.a. Renten- versicherung) behandelt und angerechnet werden. Um dieses Ziel zu erreichen, sind langfris- tige Partnerschaften mit Ausbildungsstätten, Hochschulen und Arbeitgeberverbänden, sowie Absprachen mit Versicherungen sinnvoll und wünschenswert. - Betreuung für und in der Zeit nach der Freiwilligkeit wie bspw. vielfältig einsetzbare Bildungs- gutscheine für Fort-, Aus- und Weiterbildungen. Gerade für jüngere Bürger ist ein funktionie- render Übergang aus dem Engagement in weitere Bildungsphasen oder den Arbeitsmarkt von sehr hoher Bedeutung. Vermittlungs- und Beratungsangebote (z.B. Career-Services) für 18 Siehe BMFSFJ 2010: Freiwilligensurvey 2009. Hauptbericht. S. 117 19 Ebd.
Seite 17 die Zeit nach dem Engagement helfen hierbei, den Engagierten Zukunftsperspektiven zu of- fenbaren. Besonders für junge Menschen mit Studiumsabsicht könnten durch Vorteile in der Studienplatzvergabe oder verbesserten Studienkreditbedingungen weitere Anreize geschaf- fen werden. Auch bedeuten Alumni-Netzwerke nachhaltige Verbindungen zwischen den be- teiligten Menschen, aber auch Möglichkeiten für einen Übergang ins klassische Ehrenamt und Bürgerschaftliche Engagement. - Schon seit längerem sind Kompetenznachweise20 in der Diskussion um das Bürgerschaftliche Engagement. Förderlich kann dies auch für Personen mittleren Alters sein, die neuen Heraus- forderungen nachgehen möchten und gleichzeitig die Erfahrungen der Freiwilligkeit für den Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt nutzen möchten. Diese sollte ausgebaut und standardi- siert werden, damit deren Nützlichkeit und Anwendung durch eine breite Masse von Arbeit- gebern gesichert ist. Eckpunkte einer Rekrutierungsstrategie: Information, Transparenz und Dialog Für die Rekrutierung ist eine angemessene Kommunikation ein entscheidender Faktor. Dies gilt zunächst für den Austausch zwischen Bundeswehr und sozialen Diensten. Die beteiligten Akteure der Freiwilligendienste sollten in einen Dialog treten, um erstens voneinander zu lernen (z.B. durch die Weitergabe von erfolgreichen Ansätzen) und zweitens um gemeinsame Botschaften für eine effekti- ve Anwerbung von Freiwilligen zu entwickeln (z.B. durch die Betonung der gesamtgesellschaftlichen Notwendigkeit aller Freiwilligendienste). Zum anderen zeigen sich für Bundeswehr und sozialen Diensten neue Herausforderungen in der Kommunikation mit ihren Zielgruppen: Es geht nicht nur um Optionen im Sinne der persönlichen Zukunfts- bzw. Karriereplanung junger Menschen, sondern auch um gesamtgesellschaftliche Not- wendigkeiten hinsichtlich der Aufrechterhaltung sozialer und militärischer Dienste, deren Wahrneh- mung sich durch die Schaffung einer Anerkennungskultur speist. Zudem sind gerade mit dem Militär- dienst auch nicht unerhebliche persönliche Risiken verbunden. Dabei muss zwischen der Werbung von Freiwilligen für die Bundeswehr einerseits, und für die sozia- len Dienste andererseits, unterschieden werden. Das Stimmungsbild in den studentischen Fokus- gruppen zu Stärken und Schwächen in den Anreizstrukturen beider Dienste liefert einen klaren Befund: Die Bundeswehr punktet im Bereich der individuellen Karriereentwicklung: Die vielfältigen Möglichkeiten, sich weiterzuentwickeln (z.B. Sanitätsausbildung, Führerschein, handwerkliche Aus- bildung, Studium an Bundeswehr-Hochschule, Karriere als Zeit- oder Berufssoldat) bieten verschie- denen Zielgruppen spezifische Anreize, jedoch fehlt es an Transparenz zu Tätigkeitsprofilen und zur gesellschaftlichen Relevanz des FWD. Demgegenüber erfahren die sozialen Dienste eine sehr positive Wahrnehmung in der Gesellschaft, ihre Leistung wird als unverzichtbar aber sehr schlecht bezahlt wahrgenommen. Dennoch sind die mit den Diensten verbundenen Aus- und Weiterbildungsangebote selten und werden lediglich im Bereich der sozialen und medizinischen Versorgung als Karriereschritt empfunden. Nötig sind breit angelegte und auf die Wünsche der Zielgruppen zugeschnittene Informationskam- pagnen. Diese müssen auf Dialog und individuelle Betreuung ausgelegt sein (siehe dazu auch 4.1.3). Unterstützende Maßnahmen sind durch ein professionelles Personalmarketing sicherzustellen. Es würde Kommunikationsaktivitäten beinhalten, wie bspw. Platzierungen von gesellschaftlichen The- men in medialen Formaten der Zielgruppe (Problem, Lösungsansätze, Organisationen, Engagementmöglichkeiten); Transparenz und Veröffentlichung positiver Erfahrungsberichte in Zeit- schriften, Rundfunk und Internetplattformen („Testimonials“); Dokumentationen über positive 20 Vgl. www.kompetenznachweis.de
Seite 18 Einsätze sozialer Einrichtungen (Hilfe für älterer Menschen oder Aufbau von Zivilstrukturen in Post- konfliktländern) wie auch der Bundeswehr (z.B. Katastrophenschutz während der Oderflut oder Piratenbekämpfung vor der Küste Somalias). Es geht folglich um den Aufbau eines positiven Images der werbenden Organisation als „high impact“-Arbeitgeber/Freiwilligeneinrichtung21. Denn grund- sätzlich ist bei der Freiwilligenwerbung anzunehmen: Je bedeutsamer das gesellschaftliche Bezugs- problem einer Organisation wahrgenommen wird und je medienwirksamer sie ihre Beiträge und Wirkungen kommuniziert, desto höher die Attraktivität für potentielle Freiwillige. 4.1.3 Die Koordinationsaufgabe: Stärken nutzen und Dialoge statt Konkurrenz Wettbewerb um Freiwillige? Bereits seit mehreren Jahren ist auf dem ersten Arbeitsmarkt angesichts des demographischen Wandels der „War for Talents“ ausgerufen. Durch die Aussetzung der Pflichtdienste sehen sich die neuen Freiwilligendienste – wenngleich unter deutlich verschobenen Vorzeichen und Anforderungen – nun mit einer ähnlichen Freiwilligenmarktsituation konfrontiert: Das Rekrutierungspotential be- sonders im Segment junger Menschen schrumpft. Trotzdem erscheint ein Wettbewerb zwischen Bundeswehr und BFD-Einrichtung zunächst als sehr unwahrscheinlich: Beide Dienste unterschieden sich einfach zu stark in den von ihnen verkörperten Werten, Zielen und Mitteln. Es kann angenom- men werden, dass somit die sich angesprochen fühlenden Zielgruppen trennscharf abgrenzbar sind und Überschneidungen zwischen FWD und BFD eher die Ausnahme bilden. Ein Wettbewerb zwischen den Diensten wäre wohl vorrangig im Sanitäts- sowie im Notfall- und Katastrophenvorsorgebereich anzusiedeln. Jedoch kann aufgrund ähnlicher Tätigkeitsprofile von einer sich verstärkenden Wettbe- werbssituation im Freiwilligenmarkt innerhalb des BFDs ausgegangen werden. FWD: Strukturen nutzen, Legitimationsrisiko abfedern und Wirksamkeit von Strategie und Prozessen evaluieren Der wohl herausragende Vorteil der Bundeswehr liegt in ihrer zentralisierten Struktur und vorhande- nen Ressourcen: Eine einheitliche Personalgewinnungsstrategie lässt sich – wie gegenwärtig schon in den Medien zu sehen – deutlich vereinfacht und im Instanzenzug schneller umsetzen als dies für in BFD-Einrichtungen der Fall ist. Planstellen erzeugen klare Freiwilligenprofile, die ‚unique selling proposition’ kann organisationsumfassend durch klar geregelte Zuständig- und Verantwortlichkeiten mit einer Stimme (‚one voice’) effektiv nach außen kommuniziert werden. Im Grundsatz ist diese Strategie als richtig und konsequent zu bewerten. Jedoch müssen die Qualität der kommunizierten Inhalte wie auch die der Rekrutierungsprozesse regelmäßig evaluiert und an neuen Erkenntnissen über die Motivation der Zielgruppe nachjustiert und weiterentwickelt werden. Die Kernherausforderung der Bundeswehr liegt damit weniger in der Konkurrenz zum BFD, sondern stärker in der Entwicklung eines neuen Selbstverständnisses. Sie muss sich fragen, welche Bedeutung die Konzepte der „Inneren Führung“ sowie des „Staatsbürgers in Uniform“ für Freiwillige bedeuten sollen22. Es muss hinterfragt werden, inwiefern die heute gültigen Maßstäbe und Anforderungen mit 21 Siehe hierzu die einschlägige Literatur zum Themen Personalmarketing, z.B. Beck, 2008: Personalmarketing 2.0. Hermann Luchterhand: Neuwied oder zum Thema „Employer Branding“, z.B. Petkovic, 2008: Employer Branding. Ein markenpolitischer Ansatz zur Schaffung von Präferenzen bei der Arbeitgeberwahl. Mering, München, oder Schumacher/Geschwill, 2009: Employer Branding. Human Resources Management für die Unternehmensführung. Wiesbaden. Inspirierende Praxisbeispiele mit möglichen Tools finden sich in Trost, Armin (Hrsg.), 2009: Employer Branding. Arbeitgeber positionieren und präsentieren. Luchterhand, Köln. 22 „Innere Führung“ ist Gestaltungsprinzip für die innere Ordnung sowie Normenlehre für die Menschen in den Streitkräften. Die ZDv 10/1 regelt Selbstverständnis und Führungskultur der Bundeswehr. Zentrales Element ist die Bestimmung des einsatzbereiten Soldaten als freie Persönlichkeit wie auch verantwortungsbewussten Staatsbürger zwischen Streitkräften und Gesellschaft. Vgl. Zentrale Dienstvorschrift (ZDv) 10/1: Innere Führung, Fassung vom 28.01.2008. Online verfügbar unter: http://www.innerefuehrung.bundeswehr.de
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