Wehr- und Zivildienst der Zukunft - Ein Fokusgruppen-Projekt mit Studierenden Hertie School of Governance

 
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Wehr- und Zivildienst der Zukunft - Ein Fokusgruppen-Projekt mit Studierenden Hertie School of Governance
Wehr- und Zivildienst der Zukunft
       Hertie School of Governance

    Ein Fokusgruppen-Projekt mit Studierenden

                       April 2011
Wehr- und Zivildienst der Zukunft - Ein Fokusgruppen-Projekt mit Studierenden Hertie School of Governance
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Wehr- und Zivildienst der Zukunft
Ein Fokusgruppen-Projekt von Studierenden der Hertie School of Governance
in Zusammenarbeit mit dem Bundesministerium der Verteidigung und dem
Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

          Wissenschaftliche Betreuung     Arbeitsgruppe
          Prof. Helmut K. Anheier, PhD    Patrick Gilroy
          Dr. des René Geißler            Lisa Gimsa
          Rabea Hass                      Maria Rösch
          Prof. Dr. Klaus Hurrelmann      Lukas Schmid
          Prof. Dr. Markus Jachtenfuchs   Felix Witte
          Prof. Dr. Andrea Römmele
          Henrik Schober
          Norman Spengler

          Teilnehmer der Fokusgruppen
          Paola Adriazola                 Robert Kirchner
          Jonathan Blackham               Hannah Krause
          Felix Brandenburg               Lisa-Marie Kreibich
          Lena Bringenberg                Linnea Kreibohm
          Olga Chala                      Felix Lennert
          Cerni Escale Cabre              Samuel Marmer
          Jan Jakub Chromiec              Mauro Mondino
          Julia Clajus                    Maja Nizguretski
          Tomás Guilherme da Costa        Martina Podhorova
          Marie-Christin Dankmeyer        Zoe Robaey
          Khulan Davaadorj                Johannes Ropers
          Evan de Riel                    Maria Rösch
          Sergio Domingues                Julian Rothkopf
          Johannes Erhard                 Ann-Kathrin Scheuermann
          Nora Fasse                      Steven Schmerz
          Anja Fröhlich                   Lukas Schmid
          Jost Geimer                     Felicitas Schuldes
          Sandro Gianella                 Mahan Mosapour Shahi
          Patrick Gilroy                  Anne Spranger
          Lisa Gimsa                      Sina Übelacker
          Lea Haas                        Valerie Vogel
          Kristen Hamilton                Lisa Walter
          Julian Herwig                   Anika Wirtz
          Dagmar Hölscher                 Felix Witte
          Jakob Christian Jekat           Piotr Zakowiecki
          Diana Kallas                    Marc Zedler
          Richard Kaudewitz
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Zusammenfassung

Die Aussetzung der Wehrpflicht und die Einführung freiwilliger Dienste im militärischen und zivilen
Bereich zum 1. Juli 2011 werden weitreichende Folgen für das institutionelle Geflecht zwischen
Gemeinwohl-, Sozialstaats- und Sicherheitsinteressen in Deutschland haben.

Im Zuge des Projekts „Wehr- und Zivildienst der Zukunft“ haben Studierende der Hertie School of
Governance neben großen Herausforderungen auch gesellschaftliche Chancen durch die Reform-
vorhaben identifiziert:

Grundsätzlich, so das Fazit, sind Freiwilligendienste besser als Pflichtdienste mit dem demokratischen
System vereinbar und können die Demokratie sogar voranbringen, indem sie neue Möglichkeiten der
Partizipation bieten. Gesellschaftlich kann Deutschland vor allem gewinnen, wenn es gelingt, sozial
ausgewogen zu rekrutieren. Das setzt jedoch voraus, dass die Reformen zu einem gesamtgesell-
schaftlichen Anliegen werden. Wie kann ein solcher Prozess in Gang gesetzt werden?

Durch die Umstellung auf Freiwilligkeit ändert sich ein grundlegender Mechanismus: Bundeswehr
und soziale Einrichtungen müssen nun aktiv – und potenziell im Wettbewerb zueinander – um Frei-
willige werben. Wie wird der Freiwilligendienst ausreichend attraktiv? Welche Anreize müssen ge-
schaffen werden?

In der vorliegenden Projektdokumentation haben Studierende konkrete Fragestellungen und Hand-
lungsansätze dazu formuliert. Sie schlagen unter anderem vor, Impulse für einen umfassenden ge-
sellschaftlichen Dialog zur Anerkennungskultur zu geben, z. B. durch die Schaffung positiver Leitbilder
in den Medien, Auszeichnungen und den breiten Dialog unter Einsatz von Social Media. Als konkrete
Anreize heben sie vor allem hervor, die Tätigkeit attraktiv und sinnvoll zu gestalten, den Freiwilligen
Entwicklungsmöglichkeiten zu geben sowie konkrete Ausbildungsmodule zu integrieren, die auf dem
Arbeitsmarkt akzeptiert werden. Als besonders wichtig werden Berufs- und Bildungsberatung für die
Zeit nach dem freiwilligen Dienst eingeschätzt, Partnerschaftsmodelle mit Unternehmen können hier
ein wichtiger Bestandteil sein.

Die Zielgruppen der Freiwilligendienste müssen genau identifiziert und ihren Bedürfnissen entspre-
chend angesprochen werden, das gilt vor allem für Frauen in der Bundeswehr , für Männer im zivilen
freiwilligen Dienst, für Menschen mit Migrationshintergrund und sozial Benachteiligte generell. Um
das Reservoir an potenziellen Freiwilligen zu erweitern, wird auch ein Blick auf ausländische Modelle
empfohlen: Hier werden z. B. Arbeitslose oder auch Straftäter im Rahmen der Rehabilitation als
besondere Zielgruppen angesprochen.

Transparenz ist eines der wichtigsten Schlagwörter, wenn es um die Vermittlung der neuen Freiwilli-
genangebote geht. Der gezielte Einsatz von Social Media und der Aufbau von Ehemaligen-
Netzwerken, die ihrerseits aktiv kommunizieren, können hier Fortschritte bringen.

Die Frage nach den effektivsten Organisationsstrukturen blieb kontrovers: Eine Zentralisierung im
Sinne gemeinsamer Informations- und Rekrutierungskampagnen aller Freiwiligendienste steht dem
Modell einer dezentralen, eher wettbewerbsorientierten Struktur gegenüber.
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Inhaltsverzeichnis

1 Zum Projekt “Wehr- und Zivildienst der Zukunft” ........................................................... 5

2 Ausgangslage: Von Pflicht- zu Freiwilligendiensten ......................................................... 6

3 Handlungsansätze aus Sicht der Studierenden ................................................................ 8

   3.1 Umfassenden gesellschaftlichen Dialog zur Anerkennungskultur initiieren ................... 8

   3.2 Annerkennungsformen in beteiligten Organisationen verankern ................................... 8

   3.3 Zielgruppen und deren Bedürfnisse identifizieren, dann wirkungsvoll ansprechen ....... 9

   3.4 Mehr Transparenz zu Freiwilligenangeboten schaffen .................................................. 10

   3.5 Interne Strukturen auf neue Aufgaben einstellen, Vernetzung zwischen Organisationen
   fördern.................................................................................................................................. 11

4 Anhänge ...................................................................................................................... 13

   4.1 Erläuterungen der Handlungsansätzen .......................................................................... 13
     4.1.1 Die politische Aufgabe: Schaffung einer Anerkennungskultur ............................... 13
     4.1.3 Die Koordinationsaufgabe: Stärken nutzen und Dialoge statt Konkurrenz ............ 18

   4.2 Freiwilligendienste im Europäischen Vergleich ............................................................. 22
     4.2.1 Europäische Armeen ............................................................................................... 22
     4.2.2 Europäische Freiwilligendienste.............................................................................. 23

   4.3 Zentrale Ergebnisse der Engagementforschung ............................................................ 26

   4.4 Ergebnisse der Fokusgruppen ........................................................................................ 29
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1 Zum Projekt “Wehr- und Zivildienst der Zukunft”

Der Umbau des Wehr- und Zivildienstes ist aktuell eines der größten Reformvorhaben der Bundes-
regierung. Bislang ist äußerst ungewiss, ob es gelingen wird, genügend Freiwillige für die neuen
Dienste zu gewinnen. Vor diesem Hintergrund entstand im Herbst 2010 zwischen den beteiligten
Ministerien – Bundesministerium der Verteidigung (BMVg) und Bundesministerium für Familie,
Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) – sowie der Hertie School of Governance die Idee, die Re-
formansätze in einem Fokusgruppen-Projekt mit Studierenden zu beleuchten.

Der vorliegende Bericht dokumentiert nicht die Ergebnisse eines Forschungsprojekts. Denn nicht
Forschung, sondern die Erfassung und Systematisierung unterschiedlicher Perspektiven und Ein-
schätzungen der Reform aus der Sicht der internationalen Studentenschaft der Hertie School war die
Intention des Vorhabens. Dabei wurden in einem dreistufigen Vorgehen zunächst vier Leitfragen zu
den neuen Freiwilligendiensten1 entwickelt. In wissenschaftlich begleiteten Fokusgruppen bearbeite-
ten Studierende der Hertie School jeweils eine der Leitfragen mit dem Ziel, besonders relevante
Aspekte herauszuarbeiten und Handlungsansätze zu entwickeln. Abschließend wurden die Ergebnis-
se der Fokusgruppen unter Hinzuziehung relevanter Forschungsliteratur analysiert und zusammenge-
fasst2.

Folgende Leitfragen dienten als Ausgangspunkte der Diskussion:

1. Welchen gesellschaftlichen Nutzen bringen die Reformvorhaben?
2. Welche Anreize müssen die Dienste setzen, um ihre Attraktivität steigern?
3. Welche Herausforderungen für die Organisationskulturen von Bundeswehr und sozialen Einrich-
   tungen bestehen?
4. Welche Auswirkungen auf andere gesellschaftliche Akteure in Bildung und Arbeitswelt sind zu
   erwarten?

Ziel des Projektes ist die Identifikation umsetzungsrelevanter Fragestellungen und Handlungsansätze
für die Ministerien aus Sicht junger Menschen, die nicht nur nahe an der Zielgruppe der Freiwilligen-
dienste stehen, sondern sich zudem durch fachliche Expertise und gesellschaftspolitisches Interesse
auszeichnen. Zusätzlich bereicherte die internationale Zusammensetzung der Gruppe die Diskussion
und ihre Ergebnisse. Das vorliegende Papier stellt eine Auswahl der Projektergebnisse vor. Einige
Schwerpunkte werden in den Anhängen vertieft.

Das Projekt „Wehr- und Zivildienst der Zukunft“ dient der Vorbereitung einer öffentlichen Diskussion
der Studierenden mit den verantwortlichen Bundesministern. Ziel ist es, der notwendigen gesamtge-
sellschaftlichen Debatte zu den Reformvorhaben auf diese Weise einen Impuls zu geben.

1
  Obwohl in Wissenschaft durchaus kontrovers diskutiert, verwenden wir im Fortgang des Dokumentes die Begriffe „Freiwilligkeit“,
„Freiwilligendienst“, „Engagement“ und „freiwilliges Engagement“ als größtenteils synonym.
2
  Rund 60 Studierende im Master of Public Policy Programm der Hertie School beteiligten sich an dem Projekt. Die Teilnehmer sind im
Durchschnitt 25 Jahre alt, zwei Drittel sind Deutsche, ein Drittel aus Europa, Amerika und Asien. Für nähere Informationen siehe 4.4..
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2 Ausgangslage: Von Pflicht- zu Freiwilligendiensten

Aussetzung der Wehrpflicht

Die Aussetzung der Wehrpflicht bedeutet für die gegenwärtige Bundeswehr den Höhepunkt eines
rasanten und kontinuierlichen Wandels seit Ende des kalten Krieges. Die Aussetzung der Wehrpflicht
erscheint als logische Konsequenz einer veränderten Sicherheitslage: Eine sicherheitspolitische
Begründung des Wehrdiensts sowie die daran angeschlossene Frage der Wehrgerechtigkeit ist schon
seit Jahren Teil der öffentlichen und politischen Debatte. Durch diese Änderungen stellt sich eine
Vielzahl neuer Herausforderungen, die von der organisatorischen Optimierung bis hin zu Fragen der
„Inneren Führung“ und gesellschaftlichen Einbettung der Streitkräfte reichen. Als zentrale Verbin-
dung zur demokratischen Grundordnung sollen die Leitbilder des „Staatsbürgers in Uniform“ wie
auch der „Inneren Führung“ durch den damit verbundenen politischen Bildungsauftrag erhalten
bleiben.

Durch das Gesetz zur Änderung wehrrechtlicher Vorschriften 20113 besteht ein erheblicher Zeit- und
Erwartungsdruck bei der organisatorischen Umsetzung der Reformen. Mit der Einführung des Freiwil-
ligen Wehrdienstes (FWD) soll zum einen der Wegfall der bislang rund 30.000 jährlichen Wehrpflicht-
igen kompensiert werden. Zum Anderen soll Nachwuchs für den künftigen Personalbedarf an Zeit-
(bisher 137.275) und Berufssoldaten (bisher 57.725) rekrutiert werden. Im Rahmen des FWD sollen
jährlich bis zu 15.000 Teilnehmer rekrutiert werden. Der Dienst richtet sich gleichermaßen an Män-
ner und Frauen ab dem 18. Lebensjahr und kann bis zu 23 Monaten dauern. Vorbehaltlich einer
gesetzlichen Festlegung erhalten die künftigen freiwillig Wehrdienstleistenden einen steuerfreien
Wehrsold von 777,30 Euro monatlich zuzüglich verschiedener Zulagen. Zudem besteht für alle FWD-
Leistenden Anspruch auf kostenlose Verpflegung, Unterkunft und medizinische Versorgung.

Einführung des Bundesfreiwilligendienstes (BFD)

Das Aussetzen der Wehrpflicht bedeutet gleichzeitig das Ende des Zivildienstes, der sich seit 1956
vom Wehrersatzdienst zu einer tragenden Säule des deutschen Wohlfahrts- und Sozialstaates entwi-
ckelte. Mit dem Bundesfreiwilligendienst (BFD)4 sollen die negativen Auswirkungen auf die soziale
Infrastruktur in den Bereichen Gesundheit und Pflege sowie im Katastrophen- und Unfallschutz durch
die Aussetzung der Wehrpflicht minimiert werden.

Konkret bedeutet dies den Wegfall von bislang rund 90.000 Zivildiensteinberufungen pro Jahr5, was
im Jahresdurchschnitt einer monatlichen Kapazität von 65.794 Zivildienstverhältnissen entspricht6.
Der neu eingerichtete BFD soll jährlich 35.000 Teilnehmer für in der Regel zwölf Monate verpflichten7
und richtet sich ebenfalls an Männer wie Frauen mit abgeleisteter Schulpflicht. Außerdem sollen
explizit ältere sowie ausländische Mitbürger angesprochen werden. Die Freiwilligen sollen entspre-
chend den für die Jugendfreiwilligendienste geltenden Regelungen sozialversichert werden und
erhalten zudem einen Anspruch auf unentgeltliche Unterbringung, Verpflegung und Arbeitskleidung

3
  Deutscher Bundestag, Drucksache 17/5329
4
  Deutscher Bundestag, Drucksache 17/5249
5
  Bericht des Bundesbeauftragten für den Zivildienst zum Prüfauftrag aus der Kabinettsklausur vom 7. Juni 2010
6
  Bestandszahlen der Zivildienstleistenden im Monat und im Jahresdurchschnitt des Bundesamtes für den Zivildienst, Stand 01.02.2011
7
  Grundsätzlich ist eine Dienstzeit zwischen sechs und 24 Monaten möglich.
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sowie ein angemessenes Taschengeld von 330 Euro monatlich je Platz. Darüber hinaus sieht das
Gesetz eine pädagogische Begleitung des BFD im Rahmen von Seminaren zur politischen Bildung vor,
die bei einer zwölfmonatigen Teilnahme mindestens 25 Tage betragen sollen. Aufgrund der großen
Nachfrage nach Freiwilligenangeboten sollen zudem die etablierten Programme „Freiwilliges Soziale
Jahr“ (FSJ) und „Freiwilliges Ökologische Jahr“ (FÖJ) gestärkt und ausgebaut werden. Geplant ist die
weitere Unterstützung von insgesamt 35.000 bestehenden Freiwilligen-Plätzen mit einer monatli-
chen Förderpauschale von 200 Euro. Die 3000 Plätze der Internationalen Jugendfreiwilligendienste
werden mit bis zu 350 Euro gefördert. Doppelstrukturen und Konkurrenz der verschiedenen Freiwil-
ligendienste untereinander will die Bundesregierung ausdrücklich vermeiden.
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3 Handlungsansätze aus Sicht der Studierenden

3.1 Umfassenden gesellschaftlichen Dialog zur Anerkennungskultur initiieren

Mit welchen Erwartungen gehen die verschiedenen gesellschaftlichen Akteure in den Reformpro-
zess? Wesentlich für den Erfolg der Reformen ist ein Grundkonsens, der über ergebnisoffene und
demokratisch-partizipative Dialogprozesse gefördert werden muss. Dies kann durch Dialogforen zur
gesellschaftlichen Bedeutung der Freiwilligkeit geschehen, deren Ergebnisse im politischen Entschei-
dungsprozess berücksichtigt werden. Um das Ziel eines Freiwilligendienstes aller Generationen und
aller sozialen Schichten zu erreichen, muss ein breiter Konsens über eine Kultur der Freiwilligkeit in
Deutschland gefunden werden:

    -   Soll der freiwillige Dienst zur „Bürgerpflicht“ werden?
    -   Wenn ja, wie kann der Stellenwert der Freiwilligkeit erhöht werden?
    -   Welche gesellschaftliche Wertschätzung sollen Freiwillige für den Einsatz ihrer Lebenszeit er-
        fahren? Wie erleben sie, dass ihr Engagement von der Gesellschaft gewürdigt wird?

Mögliche Maßnahmen:

    -   Foren mit gesellschaftlichen Akteuren, insbesondere mit Teilnehmern der Zielgruppen, in
        denen über Erwartungen und konkrete Maßnahmen zur Anerkennung der Freiwilligkeit dis-
        kutiert wird. Dabei kann an bestehende Strukturen, z.B. das „Nationale Forum für Partizipati-
        on und Engagement“ angeschlossen werden. Ein analoges „Nationales Forum für Freiwilligen
        Wehrdienst“ sollte geschaffen werden. Einsatz von Social Media erlaubt eine breite Beteili-
        gung.
    -   Breite Informationskampagnen für Freiwilligkeit und Freiwilligendienste, die ehrlich und
        transparent Vor- und Nachteile thematisieren. Ein ausbaufähiger Ansatz ist beispielsweise
        die ARD-Themenwoche zu bürgerschaftlichem Engagement im „Europäischen Jahr des frei-
        willigen Engagements 2011“.
    -   Positive Leitbilder schaffen: Freiwilligkeit kann in Unterhaltungsformaten, Jugendsendungen
        und Jugendliteratur thematisiert werden. Auszeichnungen (Bambi für Engagement, Stiftungs-
        und politische Preise) zeigen gesellschaftliche Anerkennung.
    -   Internationale Perspektive: Kann ein „Military Covenant“ wie in Großbritannien geschlossen
        werden, um den Soldatenberuf gesellschaftlich aufzuwerten?

3.2 Annerkennungsformen in beteiligten Organisationen verankern

Neben gesellschaftlicher Anerkennung erwarten Freiwillige Bestätigung und Rückmeldung durch die
Organisationen, die sie beschäftigen. Zudem müssen durch konkrete Vorteile im Berufs- und Bil-
dungsbereich Anreize für die freiwilligen Dienste geschaffen werden. Nicht zuletzt muss die Tätigkeit
selbst attraktiv und sinnvoll sein:

    -   Bestehen für jeden Freiwilligen klare Aufgabenbereiche und Ansprechpartner?
    -   Bestehen konkrete Tätigkeitsprofile und wie berücksichtigen diese die Unterschiede zwi-
        schen den Zielgruppen junge/ältere Mitbürger, Frauen/Männer sowie Bürger mit Migrati-
        onshintergrund?
    -   Welche Entwicklungschancen im Dienst bestehen? Welche Möglichkeiten zur Mit- und
        Selbstbestimmung gibt es?
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    -   Welche Maßnahmen sichern eine positive Einbindung in vorhandene Teamstrukturen?
    -   Welche auf Bildungschancen und Karriere-/Berufsförderung ausgerichteten Anreizmodelle
        können Bundeswehr und soziale Einrichtungen schaffen?

Mögliche Maßnahmen:

    -   Den Umgang mit Freiwilligen in einem „Code of Conduct“ festschreiben.
    -   Zivile Anerkennung von erworbenen Kompetenzen sicherstellen, z.B. durch Ausstellung von
        Kompetenznachweisen, Anrechnung von Freiwilligendienstzeiten auf Berufsausbildung oder
        Studium, ggf. Verkürzung der Wartezeit auf einen Studienplatz.
    -   Finanzielle Risiken der Freiwilligkeit minimieren, z.B. durch den Ausbau der bestehenden Eh-
        renamtsCard zu einem übergreifenden „Freiwilligen-Ausweis“. Prüfen, ob die Vergütung aus-
        reicht.
    -   Career Service: Beratungs-/Vermittlungsangebot für Freiwillige: Was kommt nach dem
        Dienst?
    -   Besserer Zugang für Freiwillige zum Arbeitsmarkt z.B. durch Unternehmens-Partnerschaften:
        Praktika bei Unternehmen werden in den Freiwilligen-Dienst integriert, Freiwillige als „privi-
        legierte Zielgruppe“ von Rekrutierungsmaßnahmen der Unternehmen. Umgekehrt erhalten
        die Unternehmen maßgeschneiderte Angebote für freiwilliges Engagement von Mitarbeitern.
    -   Internationale Perspektive: In der Schweiz und in Großbritannien finden parallel zum Wehr-
        dienst Ausbildungen statt, die im zivilen Bereich anerkannt sind. In Italien ist der freiwillige
        Wehrdienst sogar Voraussetzung für den uniformierten öffentlichen Dienst.

3.3 Zielgruppen und deren Bedürfnisse identifizieren, dann wirkungsvoll ansprechen

Für die beteiligten Organisationen ändert sich mit dem Wandel vom Pflicht- zum Freiwilligendienst
die Kommunikationsrichtung: Sie müssen aktiv um Freiwillige werben. Sollen die Freiwilligen- und
darauf aufbauend auch die Personalrekrutierung langfristig gelingen, müssen Lebenslagen, Interes-
sen und Bedürfnisse potentieller Freiwilliger stärker in den Fokus von PR- und Marketingaktivitäten
rücken:

    -   Über welche Kommunikationskanäle sollen welche Zielgruppen mit welchen Kernbotschaften
        angesprochen werden?
    -   Wie sollen vor allem „neue“ Zielgruppen wie Frauen (FWD) und ältere Menschen (BFD) ange-
        sprochen werden?
    -   Welche spezifischen Anreizstrukturen müssen Bundeswehr und soziale Einrichtungen
        schaffen?
    -   Wie kann sozial ausgewogen rekrutiert werden? Wie kann sichergestellt werden, dass die
        Dienste nicht zu einem Hartz-IV-Ersatz für perspektivlose Mitbürger oder zum Luxus, den sich
        nur Gutsituierte leisten können, verkommen?

Mögliche Maßnahmen:

    -   Zielgruppenspezifische Rekrutierung durch ausdifferenzierte Kampagnen: Identifizierte
        Gruppen können mit eigens entwickelten Kernbotschaften angesprochen werden
        („Microtargeting“).
    -   Gezielter Aufbau eines positiven „Arbeitgeber-Markenimage“ durch Marketing- und PR-
        Kampagnen.
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    -   Ehemaligen-Netzwerke bilden und stärken, um eine langfristige Verbundenheit der Freiwilli-
        gen mit ihrer Organisation zu erreichen.
    -   Ehemalige Freiwillige (Frauen, Akademiker, Nicht-Akademiker, Migranten etc.) als Botschaf-
        ter einsetzen.
    -   Frauen-Netzwerke und Mentoring-Programme für Frauen in der Bundeswehr.
    -   Männer-Netzwerke und Mentoring-Programme für Männer im BFD.
    -   Möglichkeiten prüfen, die Familienfreundlichkeit zu erhöhen: Kinderbetreuung, Teilzeit etc.
    -   Kombinationsangebote entwickeln: ein Teil der Frewilligentätigkeit im zivilen, ein Teil im mili-
        tärischen Bereich.
    -   Öffnung der Uffz m.P./Offz/StabsOffz-Ränge für qualifizierte FWD-Quereinsteiger.

    Internationale Perspektive:
    - Melden sich in Dänemark nicht ausreichend Freiwillige zur Armee, kann der Staat per Losver-
        fahren zwangsweise einberufen: Chancen und Risiken eines solchen Modells für Deutschland
        prüfen.
    - Herabsetzung der FWD-Einstellungsvoraussetzungen und Ausweitung der Altersgrenzen er-
        höhen, ähnlich in Spanien und USA. Somit könnten z. B. auch Realschulabgänger direkt nach
        der Schule aufgenommen werden. Um den Schutz Minderjähriger nicht zu verletzten, wäre
        auch ein abgestufter Dienst denkbar.
    - Schülerpraktika
    - Portugal und Tschechien ziehen Arbeitslose für ihr Freiwilligen-Modell heran. Könnte auch in
        Deutschland durch den Dienst die Chancen auf Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt er-
        höht werden?
    - Kann der FWD – ähnlich wie in den USA – eine alternative Rehabilitationsmaßnahme für
        Straftäter darstellen? Wäre dieses Modell auch für den BFD denkbar?

3.4 Mehr Transparenz zu Freiwilligenangeboten schaffen

Ein unvermeidlicher Begleitumstand von Reformen wie der des Wehr- und Zivildienstes ist das In-
formationsdefizit auf beiden Seiten: Die Dienste kennen ihre Zielgruppen und deren Bedürfnisse
nicht ausreichend, um sie adäquat anzusprechen (siehe 3.3.). Umgekehrt wissen die potenziellen
Freiwilligen nicht, was sie in den jeweiligen Organisationen erwartet. Bundeswehr und die sozialen
Dienste müssen größtmögliche Transparenz herstellen. Inhaltlich geht es dabei nicht nur um die
persönliche Zukunfts- bzw. Karriereplanung der Freiwilligen, sondern auch um die gesellschaftliche
Legitimation der Dienste. Gerade beim Militärdienst müssen auch die Risiken thematisiert werden.

Hier entstehen viele Fragen, die nicht allein durch konventionelle Informations-, Werbe- und PR-
Maßnahmen abgebaut werden können. Ein zusätzliches interaktives Informations- und Beratungsan-
gebot gibt Interessenten die Möglichkeit, mit den Organisatoren der Freiwilligendienste sowohl
individuell als auch kollektiv in Dialog zu treten. Durch eine systematische Auswertung dieser Dialoge
lernen auch die Dienste ihre „Kunden“ besser kennen:
    - Wie kann an bisherige Beratungsangebote (z.B. Informationsportale der Arbeitsagenturen,
        Jugendoffiziere der Bundeswehr, Informationsveranstaltungen von Wohlfahrtsorganisatio-
        nen) angeknüpft werden?
    - Welche Informationsinfrastruktur muss geschaffen werden, damit Interessierte schnellen
        und effektiven Eingang in die Freiwilligkeit finden können?
    - Reichen die organisatorischen und personellen Voraussetzungen aus, um Dialogplattformen
        aufrechtzuerhalten und systematisch zu evaluieren?
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Mögliche Maßnahmen:

   -   Ausbau von Engagement- und FWD-Börsen bzw. dialogischen Webpages, auf denen Interes-
       senten, Ehemalige, Vertreter der Organisationen und ihre Botschafter in Kontakt treten.
   -   Potenzielle Freiwillige müssen dort „abgeholt“ werden, wo sie sich aufhalten. Das sind in ho-
       hem Maße soziale Medien (z.B. Facebook, MeinVZ, StudiVZ, Wer-kennt-wen, auch Blogs oder
       Twitter). Hier ist eine große Präsenz der Freiwilligendienste erforderlich, die potenzielle Teil-
       nehmer nicht nur informiert, sondern auch einbezieht („Was haltet Ihr von…?“, „Was ist Euch
       bei … wichtig?“). Erfolgreiche Social-Media-Kommunikation erzielt einen Multiplikatoren-
       Effekt: Die Botschaft erreicht viele Nutzer, die sie wiederum weiter verbreiten und verstär-
       ken.
   -   Das System wird durch organisierte Online-Veranstaltungen ergänzt (z.B. „Online-
       Sprechstunden“, Gruppenchats etc.), die moderiert und begleitet werden müssen, um eine
       kontinuierlich hohe Qualität sicherzustellen.
   -   Paralleler Aufbau einer Evaluationsstruktur und eines Systems von Vertrauenspersonen für
       Freiwillige, welche die Dienste überwachen und begutachten. Hier unbedingt auch Vertreter
       der Freiwilligen einbinden.

3.5 Interne Strukturen auf neue Aufgaben einstellen, Vernetzung zwischen Organisationen fördern

Bei der Umsetzung des FWD kann die Bundeswehr auf bereits bestehende Vorteile durch ihre Orga-
nisation zurückgreifen: Vorhandene Stabsstellen zur Personalgewinnung können mit den notwendi-
gen Ressourcen ausgestattet werden; auch ermöglichen klare Entscheidungswege eine einheitliche
Marketingstrategie. Jedoch muss die Bundeswehr in ihren Anforderungen und Tätigkeitsprofilen
transparenter werden. Gleichzeitig muss verstärkt für die Bundeswehr als gesellschaftlich notwendi-
ge und wertvolle Institution geworben werden. Dies kann auch zu einem veränderten Selbstver-
ständnis der gesamten Organisation führen.
Im BFD verhält es sich genau umgekehrt: Der ehemalige Zivildienst besitzt eine hohe gesellschaftli-
cher Akzeptanz. Die zentrale Herausforderung ist dagegen in schwach ausgebauten und meist de-
zentral agierenden Personalmanagementstrukturen der freien Wohlfahrtsverbände und ähnlicher
Einrichtungen zu sehen. Um Freiwilligenangebote transparent und leicht zugänglich zu machen,
müssen entsprechende Strukturen aufgebaut werden.

   -   Welche Änderungen in der internen Struktur, aber auch im äußeren Auftreten der Bundes-
       wehr sind notwendig, um mehr Transparenz nach außen zu erzeugen?
   -   Wie kann die Bundeswehr ihren gesamtgesellschaftlichen Stellenwert unterstreichen und
       wie können soziale Dienste eine stärkere Betonung des individuellen/karriereorientierten
       Nutzens für die Teilnehmer erreichen?
   -   Welche Strukturen müssen bei den sozialen Diensten entstehen? Soll dezentral oder gemein-
       sam geworben werden? Falls ja, wer könnte dies mit welchen Ressourcen koordinieren?
   -   Oder soll das Werben um Freiwillige im Wettbewerb der Organisationen erfolgen? Liegt da-
       rin möglicherweise Potenzial für soziale Innovationen und Professionalisierung?

Mögliche Maßnahmen:

   -   Gemeinsame Kampagnen des BFD und FWD für Freiwilligkeit, koordiniert und ggf. auch
       durchgeführt vom neu aufgestellten Bundesamt für den Zivildienst
   -   Regelmäßige Treffen und Konferenzen zu ‚best practices’ in der Freiwilligenwerbung. Anwer-
       bung professioneller HR-Experten und Freiwilligenmanager. Anschluss und Weiterbildung
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    von Mitarbeitern in möglichen Professionellenvereinigungen, z.B. DGFP (Deutsche Gesell-
    schaft für Personalführung).
-   Integration von BFD, (Auslands-)FSJ/FÖJ, Jugendfreiwilligendienst in einen einzigen Freiwilli-
    gendienst. Damit können Mehrfachstrukturen verhindert und mehr Transparenz für mögliche
    Freiwillige geschaffen werden. Auch wird dadurch der Eindruck des FSJ/FÖJ als ein „BFD 2.
    Klasse“ vermieden. Dies könnte durch einen neu aufgestelltes Bundesamt für den Zivildienst
    erreicht werden.
-   Umfragen unter Freiwilligen und daran anschließende Ratingmodelle bzw. Auszeichnungen
    für Freiwilligeneinrichtungen mit „high impact“. Ausgezeichnete Anbieter erzielen dadurch
    Vorteile im Wettbewerb um Freiwilligen. Könnte dies auch ein Anreiz zu weiterer Professio-
    nalisierung der sozialen Dienste mit sich bringen?
-   Die Koordinierung des BFD der Zivilgesellschaft selbst überlassen? Könnten die Funktionen
    des Bundesamts für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben dezentral von den sozialen
    Einrichtungen selbst erbracht werden, bei entsprechender Koordinierungsrolle des Bundes-
    amts?
Seite 13

4 Anhänge

4.1 Erläuterungen der Handlungsansätzen

4.1.1 Die politische Aufgabe: Schaffung einer Anerkennungskultur

Anerkennungskultur ist notwendige Basis

Was eine Anerkennungskultur ausmacht, lässt sich mit Hinweis auf die Gesamtheit all jener Erwar-
tungen und Aktivitäten fassen, die zur gesellschaftlichen Hervorhebung von besonders würdig oder
ehrenvoll angesehenen Einzel- und Gruppentätigkeiten beitragen. Eine solche Anerkennungskultur
zielt auf die Würdigung von Beiträgen und Leistungen für die Gemeinschaft, die über eigennützige
Kalküle hinausgehen, obwohl diese sicherlich mit einfließen können. Anerkennungsformen können
materieller (z.B. Versicherungen, Vergünstigungen, „Übungsleiterpauschalen“, Versorgungsleistun-
gen etc.) aber auch immaterieller (Auszeichnungen, Feedbackgespräche, Weiterbildungen, Führungs-
verantwortung etc.) Natur sein8.

Eine Anerkennungskultur ist dabei nicht nur auf den Freiwilligendienst begrenzt, sondern breiter im
kulturellen Selbstverständnis zur freiwilligen Spende und des Engagements angelegt. Zeitspende,
Geldspende, Sachspende sind Teil eines zivilgesellschaftlichen Engagements für gesellschaftliche
Teilhabe, an dem sich auch die Freiwilligendienste messen lassen und orientieren müssen. Hinter
dem Begriff Anerkennungskultur steht eine doppelte Erwartung: Die Erwartung der potenziell Frei-
willigen, dass man sich engagieren sollte, um Anerkennung zu erfahren, und die Erwartung der Orga-
nisationen, dass ein solches Engagement anerkannt werden muss.

Ist ein Engagement erst begonnen, bindet eine auf Organisationsebene ausgeprägte Anerkennungs-
kultur ihre Freiwilligen, führt zu höherem Interesse und sichert eine nachhaltige Identifizierung mit
der geleisteten Tätigkeit. Ausreichend Freiwillige zu finden, kann gerade in Zeiten des demographi-
schen Wandels, zunehmender Individualisierung, prekären Arbeitsverhältnissen und damit einge-
hender Zukunftsunsicherheit bei jungen und älteren Mitmenschen eine schwer zu nehmende Hürde
bedeuten. Internationale Vergleiche und Befunde der Engagementforschung zeigen, dass eine leben-
dige Anerkennungskultur diese Hürde signifikant senken kann (vgl. 4.3 und 4.4).

Freiwilligenpolitik muss gesellschaftliche Dialoge stimulieren und fördern

Der Staat kann die Möglichkeiten stimulieren, die sich einen breiten gesellschaftlichen Konsens zum
Ziel setzen9. In der Pflicht sind daher nicht nur die um Freiwillige Werbenden, sondern auch das
politische und institutionelle Umfeld. Eine breite und depolitisierte Grundsatzdiskussion ist notwen-
dig, hinweg über die Interessensgrenzen von politischen Parteien, beteiligten Akteure und gesell-
schaftlichen Schichten. Gefordert sind hierbei alle Stakeholder:
     • Die Bundesministerien sind als politische Promotoren gefordert, Rahmenbedingungen für
         Anerkennungskultur zu schaffen und die Zielgruppen von der Attraktivität der Freiwilligen-
         dienste sowie ihre Notwendigkeit für die Gesellschaft zu überzeugen;

8
  Weitere exemplarische Anregungen zu Empfehlungen und Handlungsfelder für Anerkennungskultur finden sich in „Anerkennung fördern!
– Ein Leitfaden für die Würdigung freiwillig Engagierter“ aus der BBE-Projektgruppe 1 „Rahmenbedingungen des Bürgerschaftlichen
Engagements“.
9
  So bietet bspw. das seit 2009 vom Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement moderierte – und vom BMFSFJ unterstützte –
„Nationale Forum für Partizipation und Engagement“ vielerlei Lernmöglichkeiten: Nicht nur hinsichtlich der inhaltlichen Anregungen für
Freiwilligendienste, sondern auch hinsichtlich seiner prozeduralen Umsetzung als gesellschaftliches Dialogformat.
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     •     Die Bundesagentur für Arbeit und die Schulen bzw. Schulbehörden sind als Ausbildungsein-
           richtungen entscheidende Akteure für die individuelle Karriereplanung, müssen Perspektiven
           wie auch Grundsteine für Freiwilligensozialisation eröffnen;
     •     Die Bundeswehr und die Wohlfahrtsverbände sind als Arbeitgeber in der Pflicht, die Freiwilli-
           gendienste darzustellen und als Ansprechpartner zur Verfügung zu stehen.
     •     In Abstimmungsprozessen sind eine Vielzahl weiterhin Gewerkschaften und Verbände von
           besonderer Relevanz: Gewerkschaften (v.a. DGB, ver.di, GEW, GdP, CGB), Bundeswehrver-
           band, Soldatenhilfswerk, Verband der Reservisten der Deutschen Bundeswehr, Berufsver-
           bände des sozialen Bereiches (z.B. Deutscher Berufsverband für Soziale Arbeit, Bundesärzte-
           kammer), Deutscher Städtetag, Deutscher Kulturrat, Migranten- und Integrationsräte.

Um ein deutliches Signal der Unterstützung zu senden, muss die Frage beantwortet werden, welche
Anerkennungskultur wir in Deutschland etablieren wollen und wie Engagierte gesellschaftliche Wert-
schätzung erfahren sollen. Denn es scheint Einigkeit darüber zu bestehen, dass allein schöne Worte
eine real gelebte Anerkennungskultur nicht herbeireden können. Geplante Medienaktivitäten im
Rahmen des „Europäischen Jahres des freiwilligen Engagements 2011“ bieten viele Anschlusspunkte
mit hoher gesellschaftlicher Wirkung. Diese Potentiale gilt es verstärkt mit koordinierten Kampagnen
zu nutzen und auszubauen10. Konkrete Maßnahmen finden sich oben in 3.1 und 3.2 der Handlungs-
ansätze.

Kompensation finanzieller Risiken

Aus der Engagementforschung11 ist bekannt: Fehlende Ressourcen verringern die Neigung zum
Engagement erheblich. Pragmatisch heißt dies: Wer sich Vollzeit engagiert, will nicht auch noch
zusätzlich draufzahlen. Die Vergütung in den freiwilligen Diensten könnte von einer Vielzahl potenti-
ell Freiwilliger als nicht existenzsichernd wahrgenommen werden und somit abschreckend wirken. Im
Extremfall könnte der Freiwilligendienst als Luxusgut für höhere Schichten in der öffentlichen Wahr-
nehmung missverstanden werden: Angehörige dieser Gruppen könnten es sich leisten, sich freiwillig
für andere zu engagiert. In der Folge könnte dies die systematische Exklusion sozial Benachteiligter
aus den Freiwilligendiensten forcieren. Auch für den Freiwilligen sind die Folgen nicht zu unterschät-
zen: Reicht das Taschengeld nicht aus um laufende Alltagskosten zu decken, könnte eine soziale
Benachteiligung – eventuell gar Prekarisierung –eintreten. Die empfundene Lebensqualität sinkt und
Unzufriedenheit stellt sich ein. Auch sinkt die Passion für das Engagement, und damit die in den
Organisationen erbrachte Leistungsqualität.

Ein denkbarer Hebel liegt im gezielten Abfangen finanzieller Risiken, die durch mögliche Gehaltsver-
zichte entstünden (Opportunitätskosten12). Freiwilligkeit könnte dann auch unter rationalen Ent-
scheidungsprämissen attraktiver werden, zumindest wäre er dadurch zunehmend transparenter. All
dies setzte starke Zeichen, dass Freiwilligkeit und Engagement für die Gesellschaft nicht nur als
‚Einbahnstraße des Gebens’ funktioniert, sondern der Engagierte im Gegenzug nachhaltige Vorteile
und Vergünstigungen erfährt13. Nach ersten Einschätzungen, erscheinen die bisher genannten Vergü-
tungs- und Versorgungsanreize als noch nicht ausreichend, um die Zielstellung von jeweils 35.000
BFD und FSJ/FÖJ’lern sowie 15.000 FWD’lern zu erreichen (vgl. 2). Ein konkretes Förderinstrument

10
   Bspw. der Military Covenant 2000 in Großbritannien; Einbürgerungs- und Werbekampagnen in Spanien, Großbritannien und den
Vereinigten Staaten, sowie zentrale Werbestellen für das „Zivildienstäquivalent“ in Italien. Vgl. Internationale Perspektiven unter 4.3
11
   Siehe 4.4 unten, sowie die dort angegebenen Verweise zu Wilson 2000, Musch 2009 und Gensicke et al. 2010
12
   Opportunitätskosten meinen entgangene Erlöse, die dadurch entstehen, dass vorhandene Möglichkeiten (Opportunitäten) zur Nutzung
von Ressourcen nicht wahrgenommen werden. Im Fall einer Freiwilligkeit entsteht zum einen der direkte Ausfall, da in der Zeit der
Freiwilligkeit ja auch einer regulären Beschäftigung nachgegangen werden könnten, zum anderen folgen kumulative Langfristeffekte, da
der spätere Eintritt ins Berufsleben die Gehaltsentwicklung verzögert.
13
   Bspw. Handy/Cnaan et al, 2000: Public perception of ‘Who is a Volunteer’: An examination of the net-cost approach from a cross-cultural
perspective. In: Voluntas, 11 (1), 45-65, sowie Handy/Brudeur/Cnaan, 2006. Summer in the island: Episodic volunteering. Voluntary Action
Seite 15

könnte im gezielten Ausbau der schon vorhandenen und erfolgreichen „EhrenamtsCard“14 zu einer
Art „Freiwilligen-Ausweis“ liegen. Dieser könnte folgende Vorzüge enthalten, von der alle sozialen
Schichten gleichermaßen profitieren, z.B.:
    - deutlich vergünstigte Transportmöglichkeiten;
    - ermäßigte Nutzung öffentlicher und privater Kulturangebote in Theatern, Museen, Bädern
        und Konzerten;
    - Befreiung von alltäglichen Nebenkosten, die sich evtl. durch das Taschengeld des Freiwilli-
        gendienstes nicht decken ließen, z.B. Medikamentenzuzahlungen, Praxis- wie auch Rund-
        funkgebühr;
    - Absicherung von Engagierten durch zusätzliche Rechts- und Krankensicherung, gerade für
        Wehrfreiwillige und Lebensretter, die durch ihr Engagement in Gefahr geraten könnten;
    - Verlängerung von Kindergeld- und Rentenansprüchen sowie der Ansprüche auf Familienver-
        sicherung und Waisen-/Halbwaisenrente.

Förderung des individuellen Potenzials, persönlichen Wachstums hervorheben

Gerade jungen Menschen sind Chancen wichtig: Chancen der Selbstverwirklichung, der Selbsterfah-
rung und besonders Chancen der Bildung. Die Ergebnisse des Freiwilligensurveys von 2009 unterrei-
chen dies sehr eindrucksvoll: für 86% aller 14-24jährigen, sowie für 75% aller 24-34jährigen ist der
Erwerb von Qualifikationen eine ausschlaggebende Motivation für Freiwilligkeit15. Persönlichkeitsent-
faltung und -entwicklung sowie die Aneignung (inter-)kultureller, fachlicher und sozialer Kompeten-
zen sprechen sie an. Der Stimulus liegt folglich in immateriellen Anreizen und Erfahrungen, die sich
erst in der Zukunft finanziell, emotional oder persönlich ‚auszahlen’. Die Entscheidung für ein Enga-
gement muss nicht zwingend auf einer philanthropischen Grundhaltung fußen, sondern kann durch-
aus in Einklang mit dem legitimem, aufgeklärtem Eigeninteresse junger Mitbürger bestehen. Die
Möglichkeiten dieser Win-Win-Situation zu erkennen und darauf zu reagieren, kann einen wirkungs-
vollen Hebel der Politik, der Bundeswehr und der sozialen Einrichtungen bedeuten. Über spezifische
Anreize, wie weiter unten im Punkt 4.1.2 formuliert, ließen sich eine Vielzahl junger Menschen für
einen Freiwilligendienst zu begeistern.

4.1.2 Die Implementierungsaufgabe: Rekrutierungsreservoirs durch Anreize erschließen

Definition und gezielte Ansprache der Zielgruppen

Wie die Befunde der empirischen Engagementforschung16 zeigen, ist das Reservoir für die Rekrutie-
rung Freiwilliger breit und divers. Es ist auch gerade das Ziel des BFD, Menschen verschiedener
Altersklassen mit unterschiedlichen Schulabschlüssen und Karrierewegen anzusprechen. So vielfältig
wie die möglichen Freiwilligendienste, so vielfältig sind auch die Motivationen von potentiellen
Teilnehmern17. Diese komplexe Situation stellt eine Herausforderung dar, denen auf zwei Wegen
begegnet werden kann: Man kann auf diese Komplexität eingehen (z.B. durch zielgruppenspezifische
Rekrutierung) und zugleich versuchen, sie zu vermindern (z.B. durch die Fokussierung auf die „ge-
meinsamen Nenner“ der verschiedenen Gruppen).
Die Fokussierung auf „Gemeinsame Nenner“ setzt voraus, dass die Freiwilligentätigkeit für die Bun-
deswehr und die sozialen Dienste gleichermaßen positiv konnotiert ist: Sofern ein gesellschaftliches
14
   Vgl. http://www.ehrenamtscard.info
15
   Siehe BMFSFJ 2010: Monitor Engagement, S. 31.
16
   Vgl. Freiwilligensurvey, EngagementAtlas09, ALLBUS und SOEP, aufbereitet in Alscher/Priller et al. 2009: Bericht zur Lage und den
Perspektiven des Bürgerschaftlichen Engagements in Deutschland, sowie Anheier/Spengler et al., 2009: Zivilgesellschaft und freiwilliges
Engagement in Europa. In: Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement Newsletter 6/2009. Online verfügbar: http://www.b-b-
e.de/fileadmin/inhalte/aktuelles/2009/03/nl06_anheier.pdf
17
   Vgl. BMFSFJ 2010: Engagement Monitor 2. S. 24ff
Seite 16

Verständnis von Freiwilligendienste als „Bürgerpflicht“ oder „gute Tat“ besteht, kann darauf aufbau-
end eine entsprechende Ansprache an alle Zielgruppe erfolgen. Den Erkenntnissen des Freiwilligen-
survey18 folgend, geben 61% der Freiwilligen an, die „Gesellschaft im kleinen mitgestalten“ zu wollen,
weiteren 34% ist dies teilweise wichtig. Weiterhin legen Freiwillige einen großen Wert darauf, mit
ihrer Tätigkeit dem Gemeinwohl dienen zu wollen und damit anderen Menschen zu helfen19. Die
Möglichkeit eines solchen gemeinsamen Nenners scheint somit gegeben.
Zielgruppenspezifische Rekrutierung hingegen bedeutet, dass die Kampagnen zur Gewinnung von
Freiwilligen ausdifferenziert werden. Diese können mit eigens entwickelten Kernbotschaften ange-
sprochen werden (vgl. „Microtargeting“ in Werbe- und Wahlkampagnen). Auf Grundlage empirischer
Untersuchungen können Gruppen identifiziert werden, z.B.:
    • Junge Menschen und Schulabgänger (FWD ab 18.Lebensjahr, BFD nach Vollendung der Voll-
         zeitschulpflicht i.d.R. ab 16.Lebensjahr), die vor dem nächsten Berufs- oder Bildungsschritt
         erste praktische Erfahrungen sammeln oder eine Phase der Selbstfindung einlegen möchten.
    • Menschen im mittleren Alter, die eine Karrierepause einlegen möchten, um sich neu zu ori-
         entieren, und/oder in einem Freiwilligendienst die Möglichkeit sehen, ihre Chancen auf dem
         Arbeitsmarkt zu verbessern.
    • Der Dienst könnte einen Brücke zwischen Kinderzeit/Wiedereinstieg in den Beruf bilden oder
         den Eintritt ins Rentenalter harmonischer gestalten.
    • Ältere Menschen im (Vor-)Ruhestand, die über ein geregeltes Einkommen oder Rente verfü-
         gen und über eine sinnhafte Tätigkeit einen gesellschaftlichen Beitrag leisten möchten.
Andererseits ist die gesamtgesellschaftliche Verantwortung eine potenzielle Motivation – dies kor-
respondiert mit der oben angesprochenen Entwicklung positiver Konnotationen der Tätigkeit und der
Herausbildung einer breiten Anerkennungskultur.

Attraktive Bildungsanreize setzen

Freiwilligendienste vermitteln Kompetenzen und zeigen Berufswege wie auch Karrierepfade auf. Dies
kann sich positiv auf die persönliche Weiterentwicklung der Teilnehmer auswirken. Sie müssen
jedoch konkret und zielgruppenspezifisch geschaffen, kommuniziert und eingehalten werden. Ist dies
der Fall, erführen Freiwilligenorganisationen zusätzliche Aufwertung und Anerkennung als Lernorte
für verantwortungsbewusste Bürger. Wie oben bereits genannt, sind gerade Arbeitsmarkt- und
bildungsrelevante Kompetenzen, deren eigentliche Wirkung dem Freiwilligendienst nachgelagert ist,
als besonderer Attraktivitätsfaktor gerade für junge Menschen zu sehen. Zugehörige Maßnahmen,
die auf Anerkennung von Kompetenzen abzielen, könnten an folgende Aspekte anschließen:
     - Anerkennung und Anrechenbarkeit von Freiwilligendiensten: In anschließenden Bildungs-
         schritten (Studium oder Berufsausbildung) sollten bereits geleistete Freiwilligendienste als
         Praktikum oder Berufserfahrung Anerkennung finden. Dadurch verkürzten sich Ausbildungs-
         und Studienzeiten bzw. verbessern Bewerbungschance auf qualifizierte Stellen. Die somit in
         den Freiwilligendienst eingebrachte Zeit kann folglich durch Wettbewerbsvorteile im Arbeits-
         und Bildungsmarkt teilweise kompensiert werden. Zudem sollte die Freiwilligenzeit beson-
         ders bevorzugt durch die Versicherungssysteme (Kranken-, Pflege-, Soziale und v.a. Renten-
         versicherung) behandelt und angerechnet werden. Um dieses Ziel zu erreichen, sind langfris-
         tige Partnerschaften mit Ausbildungsstätten, Hochschulen und Arbeitgeberverbänden, sowie
         Absprachen mit Versicherungen sinnvoll und wünschenswert.
     - Betreuung für und in der Zeit nach der Freiwilligkeit wie bspw. vielfältig einsetzbare Bildungs-
         gutscheine für Fort-, Aus- und Weiterbildungen. Gerade für jüngere Bürger ist ein funktionie-
         render Übergang aus dem Engagement in weitere Bildungsphasen oder den Arbeitsmarkt
         von sehr hoher Bedeutung. Vermittlungs- und Beratungsangebote (z.B. Career-Services) für

18
     Siehe BMFSFJ 2010: Freiwilligensurvey 2009. Hauptbericht. S. 117
19
     Ebd.
Seite 17

            die Zeit nach dem Engagement helfen hierbei, den Engagierten Zukunftsperspektiven zu of-
            fenbaren. Besonders für junge Menschen mit Studiumsabsicht könnten durch Vorteile in der
            Studienplatzvergabe oder verbesserten Studienkreditbedingungen weitere Anreize geschaf-
            fen werden. Auch bedeuten Alumni-Netzwerke nachhaltige Verbindungen zwischen den be-
            teiligten Menschen, aber auch Möglichkeiten für einen Übergang ins klassische Ehrenamt
            und Bürgerschaftliche Engagement.
       -    Schon seit längerem sind Kompetenznachweise20 in der Diskussion um das Bürgerschaftliche
            Engagement. Förderlich kann dies auch für Personen mittleren Alters sein, die neuen Heraus-
            forderungen nachgehen möchten und gleichzeitig die Erfahrungen der Freiwilligkeit für den
            Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt nutzen möchten. Diese sollte ausgebaut und standardi-
            siert werden, damit deren Nützlichkeit und Anwendung durch eine breite Masse von Arbeit-
            gebern gesichert ist.

Eckpunkte einer Rekrutierungsstrategie: Information, Transparenz und Dialog

Für die Rekrutierung ist eine angemessene Kommunikation ein entscheidender Faktor. Dies gilt
zunächst für den Austausch zwischen Bundeswehr und sozialen Diensten. Die beteiligten Akteure der
Freiwilligendienste sollten in einen Dialog treten, um erstens voneinander zu lernen (z.B. durch die
Weitergabe von erfolgreichen Ansätzen) und zweitens um gemeinsame Botschaften für eine effekti-
ve Anwerbung von Freiwilligen zu entwickeln (z.B. durch die Betonung der gesamtgesellschaftlichen
Notwendigkeit aller Freiwilligendienste).

Zum anderen zeigen sich für Bundeswehr und sozialen Diensten neue Herausforderungen in der
Kommunikation mit ihren Zielgruppen: Es geht nicht nur um Optionen im Sinne der persönlichen
Zukunfts- bzw. Karriereplanung junger Menschen, sondern auch um gesamtgesellschaftliche Not-
wendigkeiten hinsichtlich der Aufrechterhaltung sozialer und militärischer Dienste, deren Wahrneh-
mung sich durch die Schaffung einer Anerkennungskultur speist. Zudem sind gerade mit dem Militär-
dienst auch nicht unerhebliche persönliche Risiken verbunden.

Dabei muss zwischen der Werbung von Freiwilligen für die Bundeswehr einerseits, und für die sozia-
len Dienste andererseits, unterschieden werden. Das Stimmungsbild in den studentischen Fokus-
gruppen zu Stärken und Schwächen in den Anreizstrukturen beider Dienste liefert einen klaren
Befund: Die Bundeswehr punktet im Bereich der individuellen Karriereentwicklung: Die vielfältigen
Möglichkeiten, sich weiterzuentwickeln (z.B. Sanitätsausbildung, Führerschein, handwerkliche Aus-
bildung, Studium an Bundeswehr-Hochschule, Karriere als Zeit- oder Berufssoldat) bieten verschie-
denen Zielgruppen spezifische Anreize, jedoch fehlt es an Transparenz zu Tätigkeitsprofilen und zur
gesellschaftlichen Relevanz des FWD. Demgegenüber erfahren die sozialen Dienste eine sehr positive
Wahrnehmung in der Gesellschaft, ihre Leistung wird als unverzichtbar aber sehr schlecht bezahlt
wahrgenommen. Dennoch sind die mit den Diensten verbundenen Aus- und Weiterbildungsangebote
selten und werden lediglich im Bereich der sozialen und medizinischen Versorgung als Karriereschritt
empfunden.

Nötig sind breit angelegte und auf die Wünsche der Zielgruppen zugeschnittene Informationskam-
pagnen. Diese müssen auf Dialog und individuelle Betreuung ausgelegt sein (siehe dazu auch 4.1.3).
Unterstützende Maßnahmen sind durch ein professionelles Personalmarketing sicherzustellen. Es
würde Kommunikationsaktivitäten beinhalten, wie bspw. Platzierungen von gesellschaftlichen The-
men in medialen Formaten der Zielgruppe (Problem, Lösungsansätze, Organisationen,
Engagementmöglichkeiten); Transparenz und Veröffentlichung positiver Erfahrungsberichte in Zeit-
schriften, Rundfunk und Internetplattformen („Testimonials“); Dokumentationen über positive

20
     Vgl. www.kompetenznachweis.de
Seite 18

Einsätze sozialer Einrichtungen (Hilfe für älterer Menschen oder Aufbau von Zivilstrukturen in Post-
konfliktländern) wie auch der Bundeswehr (z.B. Katastrophenschutz während der Oderflut oder
Piratenbekämpfung vor der Küste Somalias). Es geht folglich um den Aufbau eines positiven Images
der werbenden Organisation als „high impact“-Arbeitgeber/Freiwilligeneinrichtung21. Denn grund-
sätzlich ist bei der Freiwilligenwerbung anzunehmen: Je bedeutsamer das gesellschaftliche Bezugs-
problem einer Organisation wahrgenommen wird und je medienwirksamer sie ihre Beiträge und
Wirkungen kommuniziert, desto höher die Attraktivität für potentielle Freiwillige.

4.1.3 Die Koordinationsaufgabe: Stärken nutzen und Dialoge statt Konkurrenz

Wettbewerb um Freiwillige?

Bereits seit mehreren Jahren ist auf dem ersten Arbeitsmarkt angesichts des demographischen
Wandels der „War for Talents“ ausgerufen. Durch die Aussetzung der Pflichtdienste sehen sich die
neuen Freiwilligendienste – wenngleich unter deutlich verschobenen Vorzeichen und Anforderungen
– nun mit einer ähnlichen Freiwilligenmarktsituation konfrontiert: Das Rekrutierungspotential be-
sonders im Segment junger Menschen schrumpft. Trotzdem erscheint ein Wettbewerb zwischen
Bundeswehr und BFD-Einrichtung zunächst als sehr unwahrscheinlich: Beide Dienste unterschieden
sich einfach zu stark in den von ihnen verkörperten Werten, Zielen und Mitteln. Es kann angenom-
men werden, dass somit die sich angesprochen fühlenden Zielgruppen trennscharf abgrenzbar sind
und Überschneidungen zwischen FWD und BFD eher die Ausnahme bilden. Ein Wettbewerb zwischen
den Diensten wäre wohl vorrangig im Sanitäts- sowie im Notfall- und Katastrophenvorsorgebereich
anzusiedeln. Jedoch kann aufgrund ähnlicher Tätigkeitsprofile von einer sich verstärkenden Wettbe-
werbssituation im Freiwilligenmarkt innerhalb des BFDs ausgegangen werden.

FWD: Strukturen nutzen, Legitimationsrisiko abfedern und Wirksamkeit von Strategie und Prozessen
evaluieren

Der wohl herausragende Vorteil der Bundeswehr liegt in ihrer zentralisierten Struktur und vorhande-
nen Ressourcen: Eine einheitliche Personalgewinnungsstrategie lässt sich – wie gegenwärtig schon in
den Medien zu sehen – deutlich vereinfacht und im Instanzenzug schneller umsetzen als dies für in
BFD-Einrichtungen der Fall ist. Planstellen erzeugen klare Freiwilligenprofile, die ‚unique selling
proposition’ kann organisationsumfassend durch klar geregelte Zuständig- und Verantwortlichkeiten
mit einer Stimme (‚one voice’) effektiv nach außen kommuniziert werden. Im Grundsatz ist diese
Strategie als richtig und konsequent zu bewerten. Jedoch müssen die Qualität der kommunizierten
Inhalte wie auch die der Rekrutierungsprozesse regelmäßig evaluiert und an neuen Erkenntnissen
über die Motivation der Zielgruppe nachjustiert und weiterentwickelt werden.

Die Kernherausforderung der Bundeswehr liegt damit weniger in der Konkurrenz zum BFD, sondern
stärker in der Entwicklung eines neuen Selbstverständnisses. Sie muss sich fragen, welche Bedeutung
die Konzepte der „Inneren Führung“ sowie des „Staatsbürgers in Uniform“ für Freiwillige bedeuten
sollen22. Es muss hinterfragt werden, inwiefern die heute gültigen Maßstäbe und Anforderungen mit

21
   Siehe hierzu die einschlägige Literatur zum Themen Personalmarketing, z.B. Beck, 2008: Personalmarketing 2.0. Hermann Luchterhand:
Neuwied oder zum Thema „Employer Branding“, z.B. Petkovic, 2008: Employer Branding. Ein markenpolitischer Ansatz zur Schaffung von
Präferenzen bei der Arbeitgeberwahl. Mering, München, oder Schumacher/Geschwill, 2009: Employer Branding. Human Resources
Management für die Unternehmensführung. Wiesbaden. Inspirierende Praxisbeispiele mit möglichen Tools finden sich in Trost, Armin
(Hrsg.), 2009: Employer Branding. Arbeitgeber positionieren und präsentieren. Luchterhand, Köln.
22
   „Innere Führung“ ist Gestaltungsprinzip für die innere Ordnung sowie Normenlehre für die Menschen in den Streitkräften. Die ZDv 10/1
regelt Selbstverständnis und Führungskultur der Bundeswehr. Zentrales Element ist die Bestimmung des einsatzbereiten Soldaten als freie
Persönlichkeit wie auch verantwortungsbewussten Staatsbürger zwischen Streitkräften und Gesellschaft. Vgl. Zentrale Dienstvorschrift
(ZDv) 10/1: Innere Führung, Fassung vom 28.01.2008. Online verfügbar unter: http://www.innerefuehrung.bundeswehr.de
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