GESUNDHEITSKONFERENZ 2016 DOKUMENTATION - Gesundheit und Integration im Stadtteil fördern sich neuen Aufgaben stellen - Geflüchtete einbeziehen am ...
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GESUNDHEITSKONFERENZ 2016 DOKUMENTATION Gesundheit und Integration im Stadtteil fördern sich neuen Aufgaben stellen — Geflüchtete einbeziehen am 28. September 2016 in der Schule Stockflethweg 1
Impressum Gesundheitskonferenz Dokumentation Gesundheit und Integration im Stadtteil fördern sich neuen Aufgaben stellen – Geflüchtete einbeziehen im Stadtteil Langenhorn am 28. September 2016 in der Schule Stockflethweg Herausgeber Bezirksamt Hamburg-Nord Fachamt Gesundheit Stand Januar 2017 Inhalt & Gestaltung Kommunales Gesundheitsförderungsmanagement (KGFM) Hamburg-Nord Christine Dornieden Sabrina Seidensticker Bezug Bezirksamt Hamburg-Nord Fachamt Gesundheit Eppendorfer Landstraße 59 20249 Hamburg Telefon: 4 28 04 - 2793 oder - 2897 E-Mail: christine.dornieden@hamburg-nord.hamburg.de Internet http://www.hamburg.de/hamburg-nord/gesundheitsfoerderung/39878/gesundheitskonferenzen/ 2
Inhalt Impressum.......................................................................................................................... 2 Ablauf der Veranstaltung ............................................................................................... 4 Begrüßung .......................................................................................................................... 5 Markt der Projekte ........................................................................................................... 7 Vorträge und Interview ................................................................................................ 18 Gemeinsam Neues entdecken Interkulturelle Kompetenz im beruflichen Alltag Dr. Rita Panesar ...................................................................................................... 18 Die integrative Kraft der Stadtteilarbeit und der Nachbarschaft Prof. Dr. Gaby Straßburger .................................................................................. 23 Vom Flüchtling zum Flüchtlingshelfer Interview mit Ruhin Ashuftah aus Afghanistan ................................................ 26 Präsentation konkreter Projekte................................................................................ 29 Community Resiliency Model ............................................................................... 30 „first line“ medizinische Versorgung von Flüchtlingen ................................... 32 metropolen Langenhorn........................................................................................ 34 REFUGIUM ............................................................................................................... 36 TEZ für Geflüchtete - Traumaerststabilisierungszentrum ............................ 38 Workshop zur Zahnpflege .................................................................................... 40 Ausblick ........................................................................................................................... 42 Anhang............................................................................................................................. 43 Einladungsflyer ....................................................................................................... 44 Rückmeldungen ....................................................................................................... 45 Teilnahmeliste ......................................................................................................... 46 3
Begrüßung schnell ausbreiten können, chronische Erkran- kungen und Schmerzen, Zahnprobleme, teil- Yvonne Nische weise durch mangelnde Zahnhygiene schon im Dezernentin Soziales, Jugend und Gesundheit Kindesalter, Rückenprobleme, Hauterkrankun- gen, um nur einige zu nennen. Meine sehr verehrten Ziel ist es, diesen Menschen schnell den gebo- Teilnehmerinnen und tenen Zugang zum allgemeinen Gesundheits- Teilnehmer der Gesund- versorgungssystem und zu den relevanten Re- heitskonferenz, liebe gelangeboten zu verschaffen. Die Ausstellung Moderatorin und Referie- der sogenannten Gesundheitskarte ist dabei rende, liebe Kolleginnen ein wichtiger Schritt. Es braucht aber nach wie und Kollegen, vor auch spezielle und niedrigschwellige— herzlich willkommen zu manchmal aufsuchende — Angebote für die unserer sechsten — alle Zielgruppe. zwei Jahre stattfinden- Die bezirklichen Gesundheitsämter sowie der den - bezirklichen Gesundheitskonferenz. The- gesamte öffentliche Gesundheitsdienst sind men dieser Konferenzen waren aktuelle Ge- hier besonders in der Pflicht. Die gesundheitli- sundheitsfragen und wiederkehrend gesundes che Grundversorgung von Flüchtlingen besteht Aufwachsen und gesundes Leben im Stadtteil. zunächst unter anderem in der medizinischen Das Setting Stadtteil wollen wir auch dieses Erstversorgung und dem Impfen. Dies wird von Mal wieder aufgreifen, allerdings mit einem der medizinischen Erstversorgung Altona ge- neuen Schwerpunkt. Wir wollen heute den Fo- leistet. Sollten die Kapazitäten im Bedarfsfall kus auf das Zusammenleben mit geflüchteten nicht ausreichen, unterstützt das örtlich zu- Menschen im Stadtteil legen mit dem Thema ständige Gesundheitsamt. Zusätzlich begehen „Gesundheit und Integration im Stadtteil die Gesundheitsämter regelmäßig alle Flücht- fördern, sich neuen Aufgaben stellen – Ge- lingseinrichtungen und überprüfen die Einhal- flüchtete einbeziehen.“ tung hygienischer Standards. Es bot sich an, dieses Thema exemplarisch im Das Bezirksamt Hamburg-Nord hält darüber Stadtteil Langenhorn aufzugreifen, und zwar hinaus auch verschiedene weitere Angebote vor: deshalb, weil wir hier eine Erstaufnahme und Der Schulärztlicher Dienst untersucht alle vier Folgeunterbringungsunterkünfte haben. In Schulanfänger und bietet dezentral nied- diesen Einrichtungen sind zurzeit über 1740 rigschwellige Gesundheitssprechstunden im Geflüchtete untergebracht, was der größten Stadtteil an. Die Mütterberatung hat Sprech- Anzahl im Bezirk Hamburg-Nord entspricht, die stunden in den eigenen regionalen Dienststel- unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge noch len, aber auch in den Unterkünften im Jugend- nicht mitgerechnet. Außerdem beziehen wir parkweg, im Grellkamp, im Kiwittsmoor sowie uns auf Langenhorn, weil wir hier ein großes bei Bedarf in weiteren Flüchtlingsunterkünften. Engagement und viele Kooperationspartner haben. Mit Sicherheit können aber auch Paral- Der Schulzahnärztliche Dienst untersucht in lelen zu anderen Stadtteilen gezogen werden, den jährlichen Reihenuntersuchungen alle Vor- so dass Gäste aus anderen Stadtgebieten und schüler sowie Schüler der 1. – 4. Klassen in Bezirken ebenfalls von der Veranstaltung profitie- den Schulen, die auch von Flüchtlingskindern ren werden. besucht werden. Das schulzahnärztliche Team unseres Bezirksamtes führte einen ersten Geflüchtete Menschen sind besonderen ge- Workshop für Akteure durch, die in der Flücht- sundheitlichen Belastungsfaktoren ausgesetzt: lingshilfe tätig sind und vermittelte wichtige psychische Erkrankungen durch traumatische Informationen über Zahnhygiene für Kinder. Fluchterfahrungen, psychische Belastungen durch die Lebensbedingungen in der Aufnahme- gesellschaft, Infektionskrankheiten, die sich 5
Auch die Gesundheitsförderung widmet sich petenz, die für den beruflichen Alltag wichtig dieser Aufgabe: So wurden die Kurse „Kochen ist, und zum anderen zur Bedeutung von mit kleinem Geldbeutel“ für die Teilnahme von Stadtteilarbeit für mehr Gesundheit und In- Geflüchteten geöffnet. Über die Koordinie- tegration. Nach der Pause wird der eher fach- rungsbausteine Gesundheitsförderung (KOBA) lich theoretische Input durch persönliche Er- wurden Kurse angeboten, die gesundes Ko- fahrungen eines jungen Mannes ergänzt, der in chen auch für Familien aus Flüchtlingsunter- seiner Kindheit aus Afghanistan geflüchtet ist künften vermitteln. Im Bereich Mobilität, Fit- und sich jetzt mit all seinem Wissen und sei- ness und Ausdauer gab es Angebote für junge nen Erfahrungen für Flüchtlinge einsetzt. Da- männliche Geflüchtete, um Bewegungsmög- nach können Sie sechs konkrete Projekte ken- lichkeiten auf dem Gelände der Unterkunft und nenlernen und gegebenenfalls neue Kooperati- im Stadtteil zu erkunden und zu erproben. onen aufbauen. Auf dem Markt der Projekte können Sie mit Einrichtungsvertreterinnen und Die gesundheitlichen Unterstützungsbedarfe -vertretern, die sich mit ihren Angeboten für gehen allerdings weit über die rein medizini- Geflüchtete öffnen, ins Gespräch kommen. sche Versorgung und die Angebote des öf- fentlichen Gesundheitsdienstes hinaus. Sie be- Ich danke allen Beteiligten ganz herzlich für ihr inhalten Wohlbefinden, sinnvolle Beschäfti- großes Engagement und ihre Mitwirkung, ins- gung und soziale Kontakte. Sie berühren die besondere der Schule Stockflethweg dafür, Themen Stressabbau und Entspannung, Er- dass wir heute hier sein dürfen, aber auch den nährung und Bewegung sowie ein entgegen- Kolleginnen und Kollegen vom Gesundheits- kommendes und unterstützendes Miteinander amt und allen beteiligten Organisationen. Und in der Nachbarschaft und unter Flüchtlingen. Ihnen allen, die heute an dieser Veranstaltung Dieses sind spezifische Handlungsfelder von teilnehmen, danke ich, dass Sie gekommen "Prävention und Gesundheitsförderung“. Ein sind und damit Ihr Interesse an diesem Thema zuversichtlicher Blick auf das eigene Leben ist bekunden. eine wertvolle Grundlage für eine gelingende Ich wünsche Ihnen allen und uns einen auf- Integration. Integration und Gesundheit bedin- schlussreichen und interessanten Verlauf der gen sich gegenseitig und sollten nicht getrennt Veranstaltung. voneinander betrachtet werden. Auf unserem Markt und bei dem Programm- punkt „Präsentation konkreter Projekte“ stel- len sich daher heute weitere Angebote auch von anderen Trägern vor. Wir hoffen damit zu Yvonne Nische Dezernentin Soziales, Jugend und Gesundheit einem regen Austausch und einer noch besse- ren Vernetzung der Angebote beitragen zu können. Die Kolleginnen und Kollegen des Gesund- heitsamtes haben für diese Veranstaltung wie- der ein interessantes Programm zusammenge- stellt. Wir werden zu Beginn zwei Fachvorträ- ge hören: Zum einen zur interkulturellen Kom- 6
Markt der Projekte Wohnen Spracherwerb Auf dem Markt der Projekte haben sich neben „Fördern und Wohnen“ mit seinen Unterkünf- Angebote des Gesundheitsamtes ten 16 weitere Einrichtungen und Initiativen präsentiert, die sich mit ihren Angeboten den Mädchen und Frauen Geflüchteten öffnen. Der Markt als Forum für Informationen, Austausch und Vernetzung ist gesundheitlichen Themen ein wichtiges Element der Gesundheitskonfe- psychische Gesundheit renz, wie auch die Rückmeldungen der Teilneh- menden bestätigen. Bewegung Jede Einrichtung konnte sich mit einem Steck- Angebote im Stadtteil brief präsentieren, die einzeln in der Dokumen- tation aufgeführt sind, geordnet nach den Themenbereichen: 7
Angebote des Gesundheitsamtes 11
Mädchen und Frauen 12
Gesundheitliche Themen 13
Psychische Gesundheit 14
Bewegung 15
Angebote im Stadtteil 16
Angebote im Stadtteil 17
Vorträge und Interview Gemeinsam Neues entdecken Interkulturelle Kompetenz im beruflichen Alltag Dr. Rita Panesar tur heute. Kultur ist also veränderbar und dy- Dr. Rita Panesar ist namisch und steht mit anderen identitätsbe- Historikerin und Religi- stimmenden Faktoren wie Geschlecht, Alter, onswissenschaftlerin Gesundheit, Hautfarbe oder Religion in Verbin- und seit 2009 Fachre- dung. Es gibt Überschneidungen zwischen Kul- ferentin der „Koor- turen, es gibt die Möglichkeit, als Individuum dinierungsstelle Wei- zwischen Kulturen „hin- und herzuswitchen“. terbildung und Beschäf- Und es wird immer wieder neu darüber verhan- tigung“ (KWB e. V.). Sie delt, was zu einer Kultur gehört und was nicht. ist dort als Referentin In der Entscheidung darüber, wer oder was zu der „Beratung Qualifizie- einer Kultur gehört, wird auch über Zugehörig- rung Migration“ (BQM) keit und Ausgrenzung entschieden. für die Bereiche Fort- Der Bildungsforscher Georg Auernheimer, de- bildungen, Konzeptentwicklung und Fachver- finiert Kultur als ein „Orientierungssystem, das anstaltungen zuständig. unser Wahrnehmen, Bewerten und Handeln In Hamburg hat nahezu jeder zweite Jugendli- steuert, das Repertoire an Kommunikations- che einen Migrationshintergrund. Migration ist und Repräsentationsmitteln, mit denen wir uns in der Hansestadt also der Normalfall. In Zei- verständigen, uns darstellen, Vorstellungen ten der Neuzuwanderung gewinnt das Thema bilden.“¹ eine neue Brisanz. Damit die Vielfalt und die Was verbirgt sich nun hinter „Interkultureller damit einhergehende Fremdheit nicht verängs- Kompetenz“? Birgit Rommelspacher definiert tigt, sondern als Potenzial für das gesell- den Begriff kritisch als „ein Zauberwort für die schaftliche Zusammenleben genutzt werden Lösung angeblich aller Probleme“.² Wenn es kann, bedarf es interkultureller Kompetenz. darum geht, Geflüchtete als Teilnehmende für Was aber verbirgt sich eigentlich hinter die- Mütterkurse zu gewinnen, Konflikte unter ver- sem sperrigen Begriff? schiedenen Migrantengruppen zu schlichten Zunächst stellt sich die Frage, was eigentlich oder unbewusste Barrieren in unseren Institu- Kultur ist. Haben wir hier in Hamburg die glei- tionen abzubauen, ist interkulturelle Kompe- che Kultur wie in München, im Dorf die gleiche tenz sicherlich nur eine Strategie, aber eine Kultur wie in der Stadt? Nicht wirklich. Kultur unerlässliche. Interkulturelle Kompetenz „be- kann also nicht mit Nation gleichgesetzt wer- schreibt die Kompetenz, auf Grundlage be- den. Es kann sich auch um eine Unternehmens- stimmter Haltungen und Einstellungen sowie kultur handeln, um eine Organisationskultur, besonderer Handlungs- und Reflexionsfähig- Jugendkultur oder Subkultur. Die Kultur unse- keiten in interkulturellen Situationen effektiv rer Eltern unterscheidet sich von unserer Kul- und angemessen zu interagieren.“³ ¹Auernheimer, G.: Notizen zum Kulturbegriff unter dem Aspekt interkultureller Bildung. In: Gemende, M./Schröer, W./Sting, S. (Hrsg.): Zwischen den Kulturen. Pädagogische und sozialpädagogische Zugänge zur Interkulturalität. Weinheim und München 1999, S. 27-36, hier S. 28. ²Rommelspacher, B.: Zur Vermittlung von interkultureller Kompetenz. Ein Zauberwort für die Lösung aller Probleme? In: Stadt Göt- tingen (Hrsg.): Interkulturelle Kompetenz - Die Schlüsselkompetenz im 21. Jahrhundert?“ Dokumentation, Göttingen, S. 111–119. ³Deardorf, D.K.: The identification and assessment of intercultural competence as a student outcome of internationalization at insti- tutions of higher education in the United States. Raleigh, NC 2004. Hier nach: Interkulturelle Kompetenz – Die Schlüsselkompetenz im 21. Jahrhundert? Thesenpapier der Bertelsmann Stiftung auf Basis der Interkulturellen-Kompetenz-Modelle von Dr. Darla K. De- ardorff, Gütersloh 2006, S. 5. 18
Erste Assoziationen zu dem Begriff beziehen – Bewertung“ erfolgt meist in Sekunden- sich oft auf missverstandene Gesten. Ein schö- schnelle. Fragen zu stellen, hilft um zu klären, nes Beispiel ist der mit dem Daumen und Zei- was wirklich in der Frau vorgeht. gefinger geformte Kreis: Während es im anglo- sächsischen Sprachgebrauch „gut“ oder „super“ Interkulturelle Kompetenz heißt auch, das bedeutet, gilt es in mediterranen und arabi- eigene Referenzsystem zu kennen und die schen Ländern als Beleidigung – in Frankreich Perspektive wechseln zu können, sich in die wiederum steht es für „null“ und bei den Japa- Schuhe des Gegenübers stellen zu können. nern bedeutet es „Geld“. Wie sieht die Welt aus der Perspektive eines 50-jährigen kurdischen Flüchtlings in Lüneburg Das ist zunächst verwirrend. Interkulturelle aus? Aus der Sicht einer polnischen Jurastu- Kompetenz heißt jedoch nicht, die Dos and dentin? Einer schwarzen Ärztin mit drei Kindern? Don‘ts der ganzen Welt zu beherrschen. Viel- mehr bergen sie Missverständnisse! Etwa Sehr schnell denken wir bei interkultureller wenn sich in einer Situation beide Seiten aufei- Kompetenz an die anderen. Aber wissen wir, nander einstellen. Es kann zu skurrilen Situati- wo unser eigener Blick auf die Wirklichkeit onen kommen, wenn der Deutsche die ver- herkommt? Interkulturelle Kompetenz umfasst meintlichen Regeln des Arabers einhält und auch eine gehörige Portion Selbstkenntnis. der Araber sich so verhält, wie er denkt, dass Um herauszufinden, warum ich jemanden posi- es „typisch deutsch“ ist. Dos and Don‘ts sind tiv oder negativ bewerte, ist es für mich hilf- auch problematisch, weil es innerhalb der Her- reich zu wissen, durch welche Glaubenssätze, kunftsländer so unterschiedliche Kulturen, so- Werte, Erziehungsstile und unbewussten Bot- ziale Gruppierungen, Einkommensverhältnisse schaften ich geprägt bin. und Religionen gibt. Kultur dient sehr schnell Und: Dass wir selbst kulturell geprägt sind, als einzige – und häufig recht einfache – Erklä- merken wir erst, wenn wir plötzlich eine andere rungsfolie. Sie muss als Begründung für alle Umgebung haben. Die uns vertraute Art, mitei- möglichen Verhaltensweisen herhalten: Wir nander zu sprechen, Probleme zu lösen, aufei- tappen in die sogenannte Kulturalisierungsfalle. nander zuzugehen, funktioniert plötzlich nicht Wenn interkulturelle Kompetenz nicht heißt, mehr. Man ist nicht mehr in seinem Element. Dos and Don’ts auswendig zu lernen, was Diese Erfahrung gilt es, im Blick zu haben, dann? wenn wir mit Geflüchteten arbeiten. Es kostet extrem viel Kraft, sich immer wieder zu er- Zunächst: Unsicherheit aushalten zu können! schließen, welche Erwartungen im Raum sind, Nehmen wir alles, was anders ist, als gefähr- welches Verhalten, Reden und Handeln zielfüh- lich wahr oder weckt es Neugierde bei uns? rend ist, was als normal und angenehm emp- Irritiert es uns, wenn das Gegenüber uns näher funden wird, ohne dabei sich selbst zu verleug- kommt, als wir es gewohnt sind, uns nicht an- nen oder zu verlieren. schaut, Redepausen macht, wo wir nicht damit rechnen? Macht es uns nervös, wenn wir die Interkulturelle Kompetenz heißt aber auch: Ich Situation nicht mehr unter Kontrolle haben? muss wissen, worin überhaupt kulturelle Un- terschiede bestehen können. Die Schwierigkeit Interkulturelle Kompetenz heißt auch, viel zu liegt darin, dass wir ganz klare Präferenzen fragen und wenig zu interpretieren. Was ist haben, dass wir wissen, was uns angenehm ist. auf dem Bild mit der Frau, die sich die Hand Und das definieren wir nahezu automatisch als vor den Mund hält, zu erkennen? Langweilt sie gut und richtig. Es gibt aber kein objektives sich und gähnt? Ist sie erschrocken? Schämt Richtig und Falsch. Wohl gibt es Unterschiede sie sich? Verbirgt sie ein Lachen? Und wie be- in Bezug auf persönliche Werte. Wir unter- werten wir das, was wir sehen? Verstehen wir, scheiden uns etwa darin, ob wir eher individua- dass sie müde ist? Sind wir empört darüber, listisch oder kollektivistisch ausgerichtet sind dass sie sich schämt? Finden wir es unnötig, und wie direkt oder indirekt wir kommunizie- dass sie ein Lachen verbirgt? Und wie handeln ren. Bringe ich die Sache klar und direkt auf wir? Der Prozess „Beschreibung – Interpretation den Punkt? 19
Oder ist mir das zu kalt, geradezu penetrant tur leben oft auch Migrantinnen und Migran- und aggressiv und ich erläutere zunächst den ten, die sich als „zweiheimisch“ empfinden. Sie Kontext und schaffe Vertrauen, um schließlich wollen mit ihrer Herkunftskultur hier akzep- und endlich zum Punkt zu kommen? Kulturen tiert sein. prägen auch, wie Menschen mit Problemen Damit wir etwas voneinander erfahren, was umgehen. Halte ich es für richtig, Probleme jenseits von Zuschreibungen liegt, ist Kommu- beim Namen zu nennen, ehrlich zu sagen, was nikation sehr wichtig. Aber gerade in interkul- nicht stimmt, Kollegen oder Freunde kritisch turellen Begegnungen stellt sie eine Heraus- mit meiner Meinung zu konfrontieren? Oder forderung dar. Neben sprachlichen Hürden halte ich es für angemessener, das Problem steht die Tendenz zur ethnozentrischen Wer- diplomatisch zu umgehen? Beides kann sinn- tung im Weg, das heißt die Vorstellung, dass voll und pragmatisch sein. das eigene Weltbild das richtige ist und alle anderen falsch. Auch der sogenannte Kultur- schock und damit einhergehende Verunsiche- rung erschweren die vertrauensvolle Kommu- nikation. Gewohnte Verhaltensweisen funktio- nieren nicht mehr und es gibt nur wenige Mög- lichkeiten der Metakommunikation, das heißt der Rückfragen, des Klärens, des Reflektierens: Wie hast Du das gerade gemeint? Wie darf ich die Geste verstehen? Dein Verhalten hat mich verunsichert. Wenn Du so handelst, bin ich irri- tiert, weil ich das nicht kenne. Müssen wir in Gesprächen ohnehin das vom Gegenüber Gesagte für uns verständlich ma- chen, so erfolgt die Übersetzung im interkultu- rellen Kontext quasi doppelt: Zusätzlich muss Wertequadrat Individualismus – Kollektivismus das Gesagte in die eigenen kulturellen Codes auf der Basis des Modells von Friedemann Schulz übertragen werden. Und schließlich sind Tech- von Thun nologien und Medieninhalte nicht kulturneu- Wenn von Migrantinnen und Migranten die Re- tral. In Schulbüchern finden wir beispielsweise de ist, wird immer wieder thematisiert, wer kaum Kinder und Jugendliche mit schwarzer den ersten Schritt machen muss, wer sich wem Hautfarbe, Behinderung oder Fremdsprach- anpassen soll. Wir denken häufig in Dominanz- lichkeit, die nicht „zu etwas Anderem“, „zu et- Kategorien. Wer hat das Heimrecht? Wer ist was Besonderem“ oder „zum Problemfall“ ge- der Stärkere? Aus der Forschung über interna- macht werden, sondern normale Akteure sind. tionale Teams sind weitere Möglichkeiten der Begegnung aufgeführt. Wenn wir davon aus- Und damit kommen wir zum nächsten Punkt. gehen, dass es Unterschiede zwischen den be- Zur interkulturellen Kompetenz gehört ein teiligten Kulturen gibt, dann kann es darum Bewusstsein über privilegierte und benach- gehen, zu überprüfen, wer komplementär wel- teiligte Gruppen in unserer Gesellschaft. Wer chen Beitrag leisten kann, wie verschiedene weiß, männlich, heterosexuell und Deutsch- Kompetenzen und Erfahrungshintergründe Herkunftssprachler ist, braucht deshalb noch fruchtbar eingebracht werden können. Ob viel- lange kein schlechtes Gewissen zu haben. leicht sogar ganz neue Ideen aus dem Zusam- Macht und Privilegien können verantwortungs- menleben unterschiedlicher Menschen entste- voll eingesetzt werden, als Auftrag verstanden hen können. Dann geht es nicht mehr um das werden. Aber es ist wichtig zu wissen, dass Entweder-oder von Kultur A und Kultur B, Menschen, die nicht zwischen 20 und 45 Jahre sondern um eine dritte Kultur, die häufig alt sind, eine schwarze Hautfarbe oder eine „Third Culture” genannt wird. Eine dritte Kul- Behinderung haben oder weniger gebildet sind, häufiger an Hürden und Barrieren scheitern, 20
die in Organisationen und gesellschaftlichen Wo kann ich selbst anfangen? Prozessen – oft unbeabsichtigt – vorhanden sind. Und es ist wichtig zu wissen, welche Ge- Interkulturelle Kompetenz ist immer auch eine fühle durch Ausgrenzung ausgelöst werden. Einladung, eigene Vorstellungen zu überdenken. Etwa die Vorstellung, man müsse sich immer Zu interkultureller Kompetenz gehört, sich auf und überall die Hand geben. Eine Person nicht den Weg zu machen, die eigene Verstrickung anzufassen, kann eine Geste der Hochachtung in Privilegien und Benachteiligungen unserer und des Respekts sein. Gesellschaft zu erforschen, und diskriminie- rende Verhaltensweisen, die wir oft unbewusst Stellen Sie sich vor, Sie kommen in ein Land reproduzieren, im besten Sinne zu verlernen! und müssen in der Öffentlichkeit ständig Men- schen anderen Geschlechts umarmen. Vielleicht Eine Perspektive aus dem Buch Americanah- ist es für sie zu nah, vielleicht wollen sie nicht von Chimamanda Ngozi Adichie beschreibt übergriffig sein? So ist es oft für Menschen, die Wahrnehmung ihres Freundes Obinze, der die nicht gewohnt sind, anderen, besonders mit der Hoffnung auf Zukunftsperspektiven auch Menschen anderen Geschlechts, die Hand als Wissenschaftler illegal nach London ge- zu geben. Ein freundliches Nicken kann ebenso kommen war: herzlich sein wie ein Händedruck. Auch jeman- den nicht anzugucken, muss nicht heißen, dass „Manchmal kam er aus einem U-Bahnhof, oft ne- die Person sich schämt, unsicher ist oder etwas ben einem Blumen- oder Zeitungsverkäufer, und zu verbergen hat. Es kann ebenso eine Form des sah den Leuten nach, die an ihm vorbeiliefen. Sie Respekts sein. gingen so schnell, diese Leute, als müssten sie dringend irgendwohin, als hätten sie ein Ziel im Viele Bestimmungen der Agentur für Arbeit Leben, während er keins hatte. Er folgte ihnen sind so kompliziert, dass sie kaum von mit dem Blick, mit einer verborgenen Sehnsucht, Deutsch-Herkunftssprachlern zu verstehen und dachte: Ihr könnt arbeiten, ihr seid legal hier, sind. Mit den psychologischen Tests der Agen- ihr seid sichtbar, und ihr wisst nicht mal, was für tur für Arbeit werden häufig eher Deutsch- ein Glück ihr habt.“¹ kenntnisse als die psychologische Gesundheit abgeprüft. Und auch die Integrationstests In dem Buch wird das Gefühl beschrieben, überfordern viele Migrantinnen und Migranten, nicht dazuzugehören, aber auch das Gefühl, die die erforderlichen Deutschkurse belegt ha- wie es ist, abgestempelt zu werden. ben. Kommunikation wird erfolgreicher, wenn man sich als Institution auf die Ausgangsvo- Zu interkultureller Kompetenz gehört es, sich raussetzungen des Gegenübers einstellt. bewusst damit auseinanderzusetzen, welche Gruppen wir bilden, wie wir Menschen sprach- Das Konzept der Leichten Sprache ist hier lich als „Flüchtling“, „Migrant“ oder „Muslim“ sehr hilfreich. Es gibt eine Vielzahl von Bro- labeln und in Schubladen stecken. schüren, die Hilfestellungen beim Umformulie- ren komplizierter Texte geben. Unterstützung Interkulturelle Kompetenz ist ein lebenslanger bieten auch einige Apps. Die App „ankommen“ Lernprozess. Sie lässt sich durch erfahrungs- zum Beispiel ist zwar nicht in leichter Sprache orientierte Übungen und Fortbildungen erlan- verfasst, aber sie ist mehrsprachig und erklärt gen, in denen Reflexion und ein gewisses Geflüchteten auf einfache Weise, wie sie sich Nachfühlen möglich ist. in Deutschland zurechtfinden können. ¹Chimamanda Ngozi Adichie: Americanah, Frankfurt am Main 2013, S. 289. 21
Generell ist es hilfreich, Menschen mit Migra- tionshintergrund in Projekte einzubeziehen. Es stellt die Nähe zum potenziellen Zielpubli- Einbeziehen von Menschen mit kum sicher, erhöht die Akzeptanz des Projekts Migrationshintergrund bei der Migrationsbevölkerung und beeinflusst • Nähe zum potenziellen Zielpublikum die Motivation der vom Projekt anvisierten • Menschen mit Migrationshintergrund werden nicht bloß als Begünstigte/bzw. Empfänger/innen von Leistungen Menschen mit Migrationshintergrund positiv. betrachtet Menschen mit Migrationshintergrund werden • fördert die gesundheitsrelevanten nicht bloß als Begünstigte bzw. Empfänger Handlungskompetenzen (Empowerment*). von Leistungen betrachtet, sondern man sucht • stärkt Humanressourcen die Zusammenarbeit. Partizipation fördert die • berücksichtigt soziale Ressourcen von Menschen mit gesundheitsrelevanten Handlungskompeten- Migrationshintergrund (Netzwerke, soziale Bindungen usw.) zen, stärkt Humanressourcen (transkulturelle Kenntnisse, Kompetenzen in der Herkunfts- sprache, spezifisches Know-how, Migrations- erfahrungen usw.). Sie berücksichtigt soziale Ressourcen von Menschen mit Migrationshin- tergrund, etwa ihre Netzwerke, und stärkt sie damit insgesamt. Zielführend ist zudem auch die aufsuchende Arbeit in den Unterkünften der Geflüchteten. Aufsuchende Arbeit Sie nimmt Schwellenangst, schafft und nutzt Vertrauensräume, sorgt für Vernetzung und • nimmt Schwellenangst, einen Schneeballeffekt. Sie drückt Wertschät- • schafft und nutzt Vertrauensräume zung aus und motiviert damit. • sorgt für Vernetzung und Schneeballeffekt Interkulturelle Kompetenz ist nichts, was sich • drückt Wertschätzung aus und motiviert durch einen Vortrag erlernen lässt, und auch damit kein Können, das in einem einmaligen kurzen Und: Training zu erlangen ist. Aber es ist spannend, • Es ist kein Fahrgeld nötig weitere Schritte in diesem lebenslangen Lern- prozess zu gehen. 22
Die integrative Kraft der Stadtteilarbeit und der Nachbarschaft diesem Zusammenhang alle Einrichtungen ge- Prof. Dr. Gaby Straßburger meint, die sich zur Nachbarschaftsarbeit ver- Seit 2004 ist Prof. Dr. pflichtet fühlen. Gaby Straßburger Professorin für Theo- Um einen systematischen Überblick zu geben, rie und Praxis der So- nutzte Frau Prof. Dr. Straßburger ein von ihr zialen Arbeit mit dem entwickeltes Schema, das die Vielzahl der Ak- Schwerpunkt tivitäten auf fünf zentrale Aufgaben reduziert. „Sozialraumorientierte Soziale Arbeit“ an der Zentrale Aktivitätsbereiche im Stadtteil Katholischen Hoch- schule für Sozialwesen Berlin (KHSB). Zusammenfassung des Impulsvortrags in Ab- sprache mit Prof. Dr. Gaby Straßburger Das Leben nach der Flucht birgt viele Risiken für die Gesundheit, von denen Frau Prof. Dr. Straßburger vor allem die nannte, bei denen Stadtteilarbeit etwas „mildern“ kann. Zu den Risikofaktoren gehören: zu monatelanger Untätigkeit verdammt Prof. Dr. Gaby Straßburger zu sein und nicht mit dem Aufbau eines neuen Lebens beginnen zu können 1. Informationsmanagement und als Bittsteller von staatlicher Unterstüt- Öffentlichkeitsarbeit zung abhängig zu sein, statt sein Leben Stadtteileinrichtungen sind Anlaufstellen für selbst in die Hand nehmen zu können Menschen, die sich engagieren wollen und dort aufgrund von fehlenden Sprachkenntnis- einen Überblick über die zahlreichen Angebote sen ein „Außenseiter“ zu sein und Akteure erhalten. Die Einrichtungen sam- meln und verteilen Informationen und nutzen und nicht zuletzt die Unmöglichkeit auf ihre Kontakte, um herauszufinden, was geplant rassistische Entgleisungen „angemessen“ ist oder gebraucht wird und um entsprechen- reagieren zu können. des Wissen an diejenigen weiterzugeben, die davon erfahren müssen oder wollen. Sie tra- Stadtteilarbeit kann hier zum Ankommen in gen zum Empowerment von Geflüchteten bei, der Gesellschaft beitragen, Teilhabe fördern indem sie diese mit wichtigen Informationen und Geflüchteten helfen, eine aktive Rolle in zu Möglichkeiten, Anlaufstellen und Dienstleis- der Gesellschaft zu finden. Auch das Entste- tungen vor Ort versorgen. hen „neuer“ Gemeinschaften und gemeinsamer Interessen kann durch offene Treffpunkte und 2. Initiativen begleiten & Prozesse steuern Begegnungsstätten, Stadtteil-, Quartiers- und Familienzentren oder Nachbarschafts-, Bürger- Viele Aktivitäten lassen sich dem Freiwilligen- und Mehrgenerationshäuser unterstützt wer- management, der Konfliktmoderation und der den. So kann die Integration und damit auch prozessorientierten Projektentwicklung zuord- die Gesundheit geflüchteter Menschen geför- nen und mit der Zahl der Engagierten wächst dert werden. Mit Stadtteileinrichtungen sind in der Bedarf nach Informationen, Austausch und 23
Unterstützung. Hier können Stadtteileinrich- beengten Verhältnissen leben, die in ihrem All- tungen fachlichen Rat, Räume und Materialien tag auf zahlreiche Zugangsbarrieren stoßen bieten, aber auch Fortbildungen, beispielswei- oder die als Neuankömmlinge Anschluss in ei- se zum Umgang mit traumatisierten Men- ner neuen Umgebung suchen. Die Erfahrung schen. Oder sie übernehmen administrative zeigt, dass Neuzuwanderer sich eher selten aus Aufgaben. Und sie können Bedarfe ermitteln, eigener Initiative an Stadtteileinrichtungen alle relevanten Akteure an einen Tisch holen wenden. Nicht nur, weil sie sich im Deutschen und gemeinsam vernetzte Unterstützungsan- noch unsicher fühlen, sondern auch weil die gebote im Stadtteil entwickeln. Wenigsten in ihrem Herkunftsland Stadtteilar- beit kennengelernt haben. Daher gilt es, sie 3. Begegnung ermöglichen und Begleitung ausdrücklich einzuladen, ihnen Wege zu öffnen organisieren und aufmerksam zu beobachten, ob es etwas gibt, was die Teilnahme erschwert. Um die Si- Da für die soziale Integration die persönliche tuation gut einschätzen zu können, ist die ak- Begegnung zentral ist, sollten Stadtteileinrich- tivierende Befragung ein probates Mittel aus tungen einen inklusiven Ansatz verfolgen und der Stadtteilarbeit. bei Festen und Aktionen im Stadtteil Geflüch- tete nicht nur als Gäste, sondern auch als Hel- 5. Teilhabe und Teilgabe ermöglichen ferInnen oder MitorganisatorInnen einbinden. Sportliche Aktivitäten oder die Einladung zu Eine wichtige Funktion der Professionellen be- konkreten Aktivitäten (beispielsweise zum steht nach Meinung von Frau Prof. Dr. Straß- Gärtnern in einer Gartengruppe) bieten eben- burger derzeit darin, immer wieder darauf zu falls gute Möglichkeiten, schnell und unkompli- achten, dass die strukturellen Weichen auf ziert Kontakte zu knüpfen, auch wenn jemand Partizipation ausgerichtet werden. Das bedeu- noch wenig Deutsch kann. tet, Geflüchtete als aktive Akteure der Gestal- tung und Aufrechterhaltung ihres Wohlbefin- Eine intensive Möglichkeit zwischenmenschli- dens anzusehen und den Blick auf ihre Interes- cher Begegnung bieten laut Frau Prof. Dr. sen, Fähigkeiten und Resilienzen zu richten. Straßburger Patenschafts- oder Mentorenpro- Fachkräfte sollten also schon bei der Konzep- jekte. Ein neues Konzept ist hier die „Ankommens- tion von Projekten und Angeboten berücksich- patenschaft“, die nur drei gemeinsame Treffen tigen, welchen Part Betroffene selbst überneh- umfasst, Neuankömmlingen eine erste Orien- men könnten. Damit schaffen sie Gelegenhei- tierung in der neuen Umgebung bietet und en- ten zur aktiven Teilhabe am gesellschaftlichen gagementbereiten Stadtteilbewohnern einen Leben in der Nachbarschaft und auch die niedrigschwelligen Einstieg. Chance zu gesellschaftlicher Integration. 4. Kräfte bündeln und Zugänge schaffen Dabei gelingt es im Idealfall neben der Gele- genheit zur Teilnahme auch Möglichkeiten zur Vielerorts haben sich mit Hilfe von Stadtteil- Teilgabe zu schaffen, was für die Neuankömm- einrichtungen überparteiliche Willkommens- linge bedeutet, Perspektiven, Fähigkeiten und bündnisse zusammengeschlossen. Diese von Ressourcen einbringen zu können, über die an- Vielfalt geprägten Bündnisse haben eine sehr dere nicht verfügen, also etwas Einzigartiges wichtige Funktion für die Integration. Sie kön- beitragen zu können. nen niedrigschwellige Zugänge zu zahlreichen lokalen Netzwerken und Institutionen schaffen So können Menschen mit Fluchterfahrungen, und damit Möglichkeiten zu gesellschaftlicher die in der Gesellschaft angekommen sind, ihr Teilhabe eröffnen. Und Stadtteileinrichtungen auf diese Weise etwas zurückgeben. Menschen, selbst bieten zahlreiche Ansatzpunkte zur In- deren Flucht schon mehrere Jahre zurückliegt, tegration: z. B. ein Haus mit offenen Türen und können z. B. im Rahmen von Erzählcafés von Räumen, das allen in der Nachbarschaft zur ihren Erfahrungen berichten oder Neuan- Verfügung steht und Begegnung ermöglichen. kömmlinge an der Erstellung eines Sozialatlas- Einen solchen Ort nutzen zu können, ist gera- ses mitarbeiten, indem sie sagen, welche Ein- de für Menschen essentiell, die unter extrem richtungen für sie besonders wichtig sind und 24
welche Informationen Neuankömmlinge brauchen. und Techniken, sondern darin, dass die Pro- fessionellen bewährtes Handwerkszeug in- Solche und ähnliche Gelegenheiten zur Teilga- terkulturell sensibel anwenden. be eröffnen sich am ehesten, wenn jemand be- wusst dafür sorgt, sie zu schaffen. Hier ist die Anknüpfend an ihre Vorrednerin, Frau Dr. Fachkompetenz der Professionellen gefragt Panesar, betonte Frau Prof. Dr. Straßburger, und mittlerweile gibt es viele gut dokumentierte dass Sozialraumorientierung immer auch mit Beispiele für Teilgabe. Eines davon ist z.B. die interkultureller Kompetenz verbunden sein Einrichtung von Internetcafés von Flüchtlingen muss, um zu gewährleisten, dass auch Men- für Flüchtlinge durch den Verein „Refugees schen mit Migrations- und Fluchthintergrund Emancipation“. Wobei Frau Prof. Dr. Straßbur- selbstverständlich und erfolgreich von unter- ger darauf hinweist, dass die Integration, nach stützenden Angeboten profitieren. Das Gefühl, der geflüchtete Menschen streben, sich natür- das viele Menschen mit Migrationshintergrund lich nicht in der Mitarbeit an einem Erzählcafé von klassischen Angeboten abhält, lässt sich oder einem Sozialatlas erschöpft. Denn in aller ihrer Ansicht nach mit einem „Auswärtsspiel“ Regel ist ihr Ziel, hier zu leben, zu wohnen, zu vergleichen und die Aufgabe der Fachkräfte arbeiten, die Familie zu ernähren und den All- sei es, Settings zu schaffen, in denen aus dem tag zu organisieren, um ein aktiver und aner- Auswärtsspiel ein Heimspiel wird. kannter Teil der Gesellschaft zu werden. Am Ziel umfassender Teilhabe gemessen, be- steht ein wichtiger Beitrag der Stadtteilarbeit vor allem darin, bessere Startpositionen zu schaffen. Ob das Ziel erreicht werden könne, entscheide sich jedoch nicht in erster Linie im Gemeinwesen, sondern auf bundespolitischer Ebene. Nichtsdestotrotz können Stadtteilaktivitäten den Integrationswillen „von unten“ stärken und gemeinsame Interessen im Stadtteil in den Vordergrund stellen, wie etwa menschenwür- diges, bezahlbares Wohnen, gute Lebens- und Heimspiele zu arrangieren erfordert klare Sig- Arbeitsbedingungen und funktionierende Bil- nale interkultureller Sensibilität und Offenheit, dungseinrichtungen. Beteiligung und das Herstellen von Transpa- Sozialraumorientierte interkulturelle Arbeit renz — also das Schaffen einer Atmosphäre des Willkommenseins und dezidierte Anerken- Abschließend erläuterte Frau Prof. Dr. Straß- nung von Vielfalt. Der Kern erfolgreicher Ar- burger das aus ihrer Sicht wichtige Konzept beit mit Menschen — sei es nun mit oder ohne der sozialraumorientierten interkulturellen Migrationshintergrund — ist dabei immer eine Arbeit, um die anstehenden Integrationsauf- wertschätzende, subjekt- und ressourcenori- gaben bewältigen zu können. entierte professionelle Haltung. Das Konzept geht davon aus, dass es zwi- Für erfolgreiche sozialraumorientierte inter- schen der erfolgreichen Arbeit mit Menschen kulturelle Arbeit gilt der Leitsatz: mit und der Arbeit mit Menschen ohne Migrati- onshintergrund keine wesentlichen Unterschie- Differenzen sollen nicht hervorgehoben de gibt, da es im Kern immer darum geht, werden, Menschen persönlich anzusprechen, mit ihren aber dort, wo sie bedeutsam sind, sollte man Stärken zu arbeiten und Ressourcen des sozia- sie auch nicht übergehen. len Raums zu erschließen und aufzubauen. Das Geheimnis erfolgreicher Arbeit liegt demzufol- ge nicht in migrantenspezifischen Methoden 25
Vom Flüchtling zum Flüchtlingshelfer Interview mit ses und schrieb vor kurzem meine Bachelorar- Ruhin Ashuftah aus Afghanistan beit über traumatisierte Flüchtlinge. Ich bin zusätzlich selbständig tätig als Dolmetscher bei der Polizei und an Gerichten und habe das „Trauma-Erststabilisierungs-Zentrum — TEZ“ gegründet. Was waren Ihre Fluchterfahrungen? Ich wurde 1982 in Kabul, Afghanistan, gebo- ren. Aufgrund des Krieges zwischen Afghanis- tan und der Sowjetunion floh meine Familie 1988 nach Deutschland. Insgesamt dauerte die Flucht über Pakistan und Polen ca. ein Jahr. Wir lebten in Kassel und später in Hamburg drei Jahre in der Sportallee, in der es nach mei- ner Erfahrung eher etwas „rau“ zuging. Uns wurde politisches Asyl und im Jahre 1992 die deutsche Staatsangehörigkeit zuerkannt. Ruhin Ashuftah ist aufgrund des Krieges zwi- schen Afghanistan und der Sowjetunion 1988 Haben Sie Erinnerung an Ihre eigene als Kind mit seinen Eltern nach Deutschland Fluchterfahrung? geflohen. Er hat sein Bachelor-Studium In meiner Kindheit lebte ich sehr in meiner eige- »Medien, Information und Journalismus« an nen Welt. Ich bin vom Großvater großgezogen der Hochschule für angewandte Wissenschaf- worden, mein Vater war die ersten 7 Jahre ten (HAW) abgeschlossen, studiert Soziale Ar- beim Militär. Nach meinem Erleben wird man beit in Hamburg und hat seine Bachelorarbeit als Flüchtlingskind eher als Erwachsener be- über traumatisierte Flüchtlinge geschrieben. handelt. Man ist rausgerissen aus der eigenen Welt, hat keine Freunde, lebt mit einer frem- 2015 gründete er das „Trauma-Erststabilisie- den Sprache, marschiert Tag und Nacht durch rungs-Zentrum für Flüchtlinge — TEZ“, das die Wüste oder ist mit Pferden unterwegs — im Januar 2016 seine Arbeit aufgenommen hat. das hinterlässt Eindrücke. Für mich hat es lange Ruhin Ashuftah wurde auf der Gesundheits- gebraucht, den Kontakt zur deutschen Gesell- konferenz von der Moderatorin Dr. Christine schaft aufzunehmen. Da es 1989 nach dem Tuschinsky zum Thema „Vom Flüchtling zum Mauerfall immer wieder hieß: „wenn der Krieg Flüchtlingshelfer“ interviewt. vorbei ist, müsst ihr wieder zurück“, war die Folge bei Vielen Schwarzarbeit und alles andere Dieses Interview wurde aufgezeichnet. Für die als Integration. Dokumentation sind die wesentlichen Aussa- Was hat Ihnen geholfen in Deutschland anzu- gen festgehalten und von Ruhin Ashuftah frei- kommen? gegeben worden. Geholfen haben Lehrer, Professoren und Leute, Wir freuen uns, dass Sie zu uns gekommen die selber einen Migrationshintergrund haben. sind und ich würde Sie zunächst einmal fra- Wichtig war es, rauszugehen aus der Umge- gen, wer sind Sie? bung mit den Flüchtlingen und Kontakt zur Universität herzustellen. Wichtig ist es in einer Ich komme aus Afghanistan, habe Medienin- formation und Journalismus an der HAW stu- Umgebung zu sein, in der einem ohne Vorur- teile begegnet wird. Wobei ich auch immer da- diert und bin 2010 über meine Arbeit bei der NATO zur Flüchtlingsarbeit gekommen. Im An- rauf achte, wenn ich mit Flüchtlingen arbeite, dass ich bei ihnen bei null anfange. Ohne Vor- schluss studierte ich Sozialpädagogik an der Evangelische Fachhochschule des Rauhen Hau- urteil, das ist nicht ganz einfach. 26
Welche Rolle spielen traumatische Erfahrun- Wenn man das System versteht, ist das schon gen? Wodurch entsteht ein Trauma? viel wert. Wichtig ist es auch, nicht nur zu sa- gen, es ist nicht richtig und nicht gut zu klau- Erst wenn man ankommt, wird das Trauma en, sondern einen Rahmen zu bieten und zu quasi ausgelöst. Auf der Flucht flieht man vor erklären, welche Konsequenzen das Verhalten den Problemen. Hier in Deutschland muss man hat und welche Wege und Ziele man sich erst mal warten und Bürokratie lernen. Die dadurch verbaut. Flüchtlinge fühlen sich vergessen und dann bricht das Trauma über sie her. Das äußert Wie ist die Sicht von Geflüchteten auf sich in Konzentrationsproblemen, Problemen Deutschland? mit dem Einschlafen, unerklärbarer Wut. Hinzu kommt die Situation in den Unterkünften, in Für viele junge Flüchtlinge bedeutet Demokra- denen man z. B. in 10-Personen-Zimmern lebt, tie, dass man alles machen kann, auch bezogen teilweise mit depressiven Mitbewohnern usw. auf Alkohol, Mädchen usw. Man muss ihnen — all das zieht runter. deutlich die Konsequenzen aufzeigen. Ein Poli- zeieintrag hat Auswirkungen auf die weitere In der Traumaerststabilisierung erkläre ich den Zukunft. Viele kommen aus hierarchisch patri- Flüchtlingen zuerst einmal, was mit ihnen pas- archalischen Strukturen. Da muss man als Be- siert. Ihr Verhalten ist normal. Auf der Flucht treuer durchaus die Vaterrolle übernehmen. ist das Angstzentrum aktiviert worden. Die Für mich ist das einfacher, weil ich aus dem Kampf- oder Weglaufreaktion konnte nicht Land komme oder auch die Sprache der Flücht- ausgelebt werden, da man den Schleusern aus- linge spreche. Man muss konsequent sein und geliefert war. Die jetzt erlebten Reaktionen kann nicht einfach sagen: „das macht nichts.“ und Verhaltensweisen sind normal. Aber das lässt sich auch wieder abschalten. In der Erst- Für viele ist die Behördenstruktur fremd. Sie stabilisierung geht es um „Psychoedukation“ denken eher personenbezogen und meinen, nicht um Therapie. Es ist wichtig, sich an posi- wenn sie bestimmte Schlüsselpersonen ken- tive Dinge zu erinnern, z. B. an die eigene Stär- nen, müsste doch alles schneller gehen. Dann ke auf der Flucht, an die Dinge, die man hat muss man erklären, dass Demokratie bedeu- und erreichen will und nicht an Dinge, die man tet, dass alle gleich lang warten müssen. Man verloren hat. muss erklären, dass Sprache, Ausbildung usw. sehr wichtig sind. Sie haben die große Aufga- Wichtig ist zu erkennen, dass die linke Gehirn- be, sich neu zu orientieren, einen neuen Rah- hälfte, die rationale, blockiert ist und die rech- men zu finden, neue Ziele zu finden und dabei te emotionale Seite nicht verstanden hat, dass aber auch die eigene Kultur nicht zu verlieren. man jetzt in Sicherheit ist. Man muss langsam wieder dahin kommen, dass die beiden Seiten Welche Aufgaben hat die Aufnahmegesell- arbeiten und nicht nur die emotionale. schaft? Was kann man unterstützen auch im Hinblick Wie kann man erkennen, ob hinter einem be- auf Gesundheit und Integration? stimmten Verhalten ein Trauma steckt? Wichtig ist es, den Geflüchteten Chancen zu Die Menschen zeigen Hilfeschreie, die sich z. B. geben und Geduld aufzubringen. Sport und in Selbstverletzung, wütendem Verhalten, Ge- Fußball haben eine gesundheitsfördernde und fühlskälte äußern, was oft mit Aggression ver- integrierende Funktion. Über diese Aktivitäten wechselt wird. Sicher gibt es bei den Geflüch- können Flüchtlinge an das Lesen, an Praktika, teten sogenannte „schwarze Schafe“ mit ag- an Schulprojekte und an Ausbildung herange- gressivem Verhalten, aber die Betreuer sollten führt werden. Dabei sind gemischte Gruppen es nicht zulassen, dass diese zu viel Aufmerk- von Vorteil. samkeit auf sich ziehen. Neben dem Sport sind kulturelle Aktivitäten Manchmal hilft es schon, einfach Orientierung wie Museumsbesuche, Ausflüge zu Büchereien zu geben, indem man die Strukturen erklärt usw. sehr förderlich und werden eher von Frauen und darstellt, wie lange man warten muss. angenommen. 27
Fragen aus dem Publikum Gibt es Hilfestellungen für weibliche Betreue- Was kann man bei Problemen in den Schulen rinnen im Umgang mit männlichen Flüchtlingen? tun? Oftmals verhalten sich die Flüchtlinge in der Einrichtung anders als in der Schule. Wel- Der Respekt vor Frauen gebietet es, dass die che Brücken kann man bauen? Männer die Frauen nicht angucken und es gibt durchaus Themen, die Männer mit Frauen Die Lehrer verwechseln oftmals Flüchtlinge mit nicht besprechen wollen. Da hilft es oftmals Jugendlichen mit Migrationshintergrund und einen Dolmetscher als Brückenglied einzuset- denken, die haben ähnliche Probleme. Dabei ist zen, damit Vertrauen aufgebaut werden kann. die Situation der geflüchteten Jugendlichen ganz anders. Sie haben oftmals keine Eltern Wie kommen die Männer mit dem westlichen und sind traumatisiert. Entsprechend ist ihr Frauenbild zurecht? Verhalten ganz anders zu deuten. Hilfreich wäre es, wenn die Lehrer in die Einrichtungen Je älter die Männer sind, desto schwieriger ist kämen und die Welt der Geflüchteten verste- die Anpassung. Respekt ist zwar da, aber es hen lernen. Die Betreuer könnten auch die Ju- herrscht auch die tiefverwurzelte Sicht, dass gendlichen auffordern ein Tagebuch zu schrei- manche Dinge nur von Männern und manche ben, in dem sie ihre Erlebnisse aufschreiben Dinge nur von Frauen zu übernehmen sind. Da und vor allem auch, was sie an positiven Din- muss man sich als Frau, als Betreuerin, stark gen erlebt haben. zeigen und gegebenenfalls auch Konsequen- zen aufzeigen. Kontakt und gegenseitiges Verstehen ist der Schlüssel. Diejenigen, die aus Familienstrukturen kom- men, achten eher auf alle vorherrschenden Ge- Gibt es einen Tipp für den Stadtteil? setze. Diejenigen, die eher auf der Straße auf- gewachsen sind, setzen sich oftmals darüber Hilfreich ist es, z. B. in Sportvereinen Dolmet- hinweg. Das bedeutet, dass bei Straftaten scher als Brückenglieder einzusetzen oder nicht das Herkunftsland die entscheidende auch ältere Familienmitglieder mit einzubeziehen. Rolle spielt, sondern eher das soziale Milieu. Mitmachen bei Stadtteilaktionen wie beispiels- Wenn in einem Land schon länger Krieg herrscht, weise Flohmärkten und Festen ist sehr förder- dann kommen mit der Zeit auch immer mehr lich, damit das Gefühl dafür entsteht, das ist Menschen, die wenig Geld haben und aus auch mein Stadtteil. schlechteren sozialen Verhältnissen kommen. Zuerst fliehen eher die Menschen mit akademi- schen Ausbildungen und die, die Geld haben. 28
Präsentation konkreter Projekte In der Projektphase hatten die Teilnehmerin- Die Projekte wurden in aller Kürze im Plenum nen und Teilnehmer der Konferenz die Mög- vorgestellt. Im Anschluss stand jedem Projekt lichkeit, sechs verschiedene Projekte intensi- in der Aula ein Platz zur Verfügung, an dem ver kennenzulernen: sich die Interessierten einfinden konnten, um sich dann intensiver mit den Akteuren über die das Communitiy Resiliency Model (CRM) Projekte auszutauschen. Dieses Angebot wur- aus dem UKE de intensiv und mit großem Interesse wahrge- die medizinische „first line“ Versorgung nommen. aus dem Gesundheitsamt Altona Es kam zu einem regen kollegialen Austausch das partizipative Fotoprojekt und es wurden erste konkrete Verabredungen „metropolen Langenhorn“ getroffen wie beispielsweise die Vereinbarung einer Zahnpflegeaktion in einer Flüchtlingsun- REFUGIUM, ein Projekt der HAW Fakultät terkunft, die Anmeldung zu einem CRM Seminar Life Sciences oder die Einladung eines Akteurs, das TEZ auf das Trauma-Erststabilisierungs-Zentrum einer anderen Veranstaltung zu präsentieren. (TEZ) einen Workshop zur Zahnpflege vom Schulzahnärztlichen Dienst 29
Communitiy Resiliency Model (CRM) Ein Outreach-Projekt des Universitätsklini- rin unterstützen, sich in einem trauma- und kums Hamburg-Eppendorf (UKE) resilienzinformierten Miteinander zu stabilisie- ren. Da es sich nicht um Psychotherapie, son- Das im vergangenen Jahr an der Klinik für Kin- dern um ein Selbsthilfe-Modell zur Verbesse- der- und Jugendpsychiatrie des UKE begonne- rung von Selbstwirksamkeit und Wohlbefinden ne Projekt möchte ergänzend zur Standard- unter belastenden Bedingungen handelt, gilt versorgung mit dem Community Resiliency beim CRM der Leitsatz „Es geht um Biologie, Model eine Peer-to-Peer-Intervention für Ge- nicht um psychische Schwäche“. flüchtete und Helfer anbieten, die sowohl der Förderung gegenseitiger Unterstützung Wie funktioniert das CRM? stressbelasteter Individuen und Gruppen als auch der Prävention dient. Das CRM dient der Stärkung von belasteten Gemeinschaften, indem ein Verständnis für Bei der Gesundheitskonferenz konnte ein sehr typische biologische Reaktionen auf Stress lebendiger Eindruck der Vielfalt und des Enga- (Psychoedukation) sowie körperbasierte Übun- gements bereits bestehender Initiativen ge- gen zur Selbstberuhigung und Verbesserung wonnen und hilfreiche Kontakte mit potenziel- des Wohlbefindens (Stabilisierungstechniken) len Kooperationspartnern geknüpft werden. In unter besonderer Berücksichtigung der vor- der aktuellen Projektphase wird dies fortge- handenen Bedingungen vermittelt werden. setzt, indem der Schwerpunkt auf dem intensi- Hierzu werden Gemeinschaftsmitglieder zu ven Austausch mit Akteuren in der Flücht- „CRM-Lotsen“ ausgebildet, um zuerst sich lingshilfe liegt, um den offiziellen Start im Feb- selbst, dann Menschen in ihrem Umfeld zu helfen. ruar 2017 mit einem interdisziplinären, mehr- Die Techniken sind leicht zu lernen und für alle sprachigen Trainer-Team möglichst gut vorzu- Altersgruppen adaptierbar. Zum 2- bis 3- bereiten. tägigen Training gehört auch die gemeinsame kulturelle Anpassung der Inhalte. Bei der Ver- Was ist das CRM? mittlung spezieller Kenntnisse zum entstigma- Das Community Resiliency Model wurde von tisierenden Umgang mit trauma- und stress- Elaine Miller-Karas (Direktorin des Trauma Re- bedingten Symptomen gilt dem Aspekt der ge- source Institutes, Claremont CA) entwickelt, genseitigen, resilienzorientierten Unterstüt- um Individuen und ihre Gemeinschaften durch zung besondere Aufmerksamkeit. Hilfe zur Selbsthilfe bei der Bewältigung von Angehende CRM-Lotsen werden als Teil des potentiell traumatischer Stressbelastung zu Trainings über die Erkennung von psychiatri- unterstützen. Das Modell basiert auf neuro- schem und psychotherapeutischem Behand- wissenschaftlichen Erkenntnissen zu menschli- lungsbedarf sowie diesbezügliche Handlungs- chen Reaktionen auf Stress sowie zur Resili- pfade aufgeklärt. Für diejenigen, die sich ent- enz, d. h. zur “...Fähigkeit von Individuen und scheiden, mit dem Modell in ihrem Umfeld tä- Gemeinschaften, eigene und kollektive Stärken tig zu werden, wird nachhaltige Unterstützung zu erkennen und zu nutzen, das Leben im Hier z. B. in Form von Gruppensupervision oder Be- und Jetzt auskosten zu können und bei der Be- ratung bei eigenen, ressourcen-stärkenden Ini- wältigung des alltäglichen Lebens gut zu ge- tiativen in ihrer Gemeinde angeboten. deihen“ (Miller-Karas, 2013). Das CRM ist auf die besonderen Bedingungen ressourcenschwacher Kontexte ausgerichtet und weltweit erprobt worden. Als biologisch basierte Peer-to-Peer-Intervention kann das CRM die Stigmatisierung psychisch belasteter Menschen reduzieren und Gemeinschaften da- 30
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