GESUNDHEITSKONFERENZ 2016 DOKUMENTATION - Gesundheit und Integration im Stadtteil fördern sich neuen Aufgaben stellen - Geflüchtete einbeziehen am ...

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GESUNDHEITSKONFERENZ 2016
                                 DOKUMENTATION

Gesundheit und Integration im Stadtteil fördern
sich neuen Aufgaben stellen — Geflüchtete einbeziehen

am 28. September 2016
in der Schule Stockflethweg

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GESUNDHEITSKONFERENZ 2016 DOKUMENTATION - Gesundheit und Integration im Stadtteil fördern sich neuen Aufgaben stellen - Geflüchtete einbeziehen am ...
Impressum
Gesundheitskonferenz Dokumentation
Gesundheit und Integration im Stadtteil fördern
sich neuen Aufgaben stellen – Geflüchtete einbeziehen
im Stadtteil Langenhorn
am 28. September 2016 in der Schule Stockflethweg

Herausgeber
Bezirksamt Hamburg-Nord
Fachamt Gesundheit

Stand
Januar 2017

Inhalt & Gestaltung
Kommunales Gesundheitsförderungsmanagement (KGFM)
Hamburg-Nord
Christine Dornieden
Sabrina Seidensticker

Bezug
Bezirksamt Hamburg-Nord
Fachamt Gesundheit
Eppendorfer Landstraße 59
20249 Hamburg
Telefon: 4 28 04 - 2793 oder - 2897
E-Mail: christine.dornieden@hamburg-nord.hamburg.de

Internet
http://www.hamburg.de/hamburg-nord/gesundheitsfoerderung/39878/gesundheitskonferenzen/

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GESUNDHEITSKONFERENZ 2016 DOKUMENTATION - Gesundheit und Integration im Stadtteil fördern sich neuen Aufgaben stellen - Geflüchtete einbeziehen am ...
Inhalt
   Impressum.......................................................................................................................... 2

   Ablauf der Veranstaltung ............................................................................................... 4

   Begrüßung .......................................................................................................................... 5

   Markt der Projekte ........................................................................................................... 7

   Vorträge und Interview ................................................................................................ 18

         Gemeinsam Neues entdecken
          Interkulturelle Kompetenz im beruflichen Alltag
          Dr. Rita Panesar ...................................................................................................... 18

         Die integrative Kraft der Stadtteilarbeit und der Nachbarschaft
          Prof. Dr. Gaby Straßburger .................................................................................. 23

         Vom Flüchtling zum Flüchtlingshelfer
          Interview mit Ruhin Ashuftah aus Afghanistan ................................................ 26

   Präsentation konkreter Projekte................................................................................ 29

         Community Resiliency Model ............................................................................... 30

         „first line“ medizinische Versorgung von Flüchtlingen ................................... 32

         metropolen Langenhorn........................................................................................ 34

         REFUGIUM ............................................................................................................... 36

         TEZ für Geflüchtete - Traumaerststabilisierungszentrum ............................ 38

         Workshop zur Zahnpflege .................................................................................... 40

   Ausblick ........................................................................................................................... 42

   Anhang............................................................................................................................. 43

         Einladungsflyer ....................................................................................................... 44

         Rückmeldungen ....................................................................................................... 45

         Teilnahmeliste ......................................................................................................... 46

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Ablauf der Veranstaltung

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Begrüßung                                            schnell ausbreiten können, chronische Erkran-
                                                     kungen und Schmerzen, Zahnprobleme, teil-
Yvonne Nische                                        weise durch mangelnde Zahnhygiene schon im
Dezernentin Soziales, Jugend und Gesundheit          Kindesalter, Rückenprobleme, Hauterkrankun-
                                                     gen, um nur einige zu nennen.
                         Meine sehr verehrten
                                                     Ziel ist es, diesen Menschen schnell den gebo-
                         Teilnehmerinnen und
                                                     tenen Zugang zum allgemeinen Gesundheits-
                         Teilnehmer der Gesund-
                                                     versorgungssystem und zu den relevanten Re-
                         heitskonferenz, liebe
                                                     gelangeboten zu verschaffen. Die Ausstellung
                         Moderatorin und Referie-
                                                     der sogenannten Gesundheitskarte ist dabei
                         rende, liebe Kolleginnen
                                                     ein wichtiger Schritt. Es braucht aber nach wie
                         und Kollegen,
                                                     vor auch spezielle und niedrigschwellige—
                       herzlich willkommen zu        manchmal aufsuchende — Angebote für die
                       unserer sechsten — alle       Zielgruppe.
                       zwei Jahre stattfinden-
                                                     Die bezirklichen Gesundheitsämter sowie der
den - bezirklichen Gesundheitskonferenz. The-
                                                     gesamte öffentliche Gesundheitsdienst sind
men dieser Konferenzen waren aktuelle Ge-
                                                     hier besonders in der Pflicht. Die gesundheitli-
sundheitsfragen und wiederkehrend gesundes
                                                     che Grundversorgung von Flüchtlingen besteht
Aufwachsen und gesundes Leben im Stadtteil.
                                                     zunächst unter anderem in der medizinischen
Das Setting Stadtteil wollen wir auch dieses         Erstversorgung und dem Impfen. Dies wird von
Mal wieder aufgreifen, allerdings mit einem          der medizinischen Erstversorgung Altona ge-
neuen Schwerpunkt. Wir wollen heute den Fo-          leistet. Sollten die Kapazitäten im Bedarfsfall
kus auf das Zusammenleben mit geflüchteten           nicht ausreichen, unterstützt das örtlich zu-
Menschen im Stadtteil legen mit dem Thema            ständige Gesundheitsamt. Zusätzlich begehen
„Gesundheit und Integration im Stadtteil             die Gesundheitsämter regelmäßig alle Flücht-
fördern, sich neuen Aufgaben stellen – Ge-           lingseinrichtungen und überprüfen die Einhal-
flüchtete einbeziehen.“                              tung hygienischer Standards.

Es bot sich an, dieses Thema exemplarisch im         Das Bezirksamt Hamburg-Nord hält darüber
Stadtteil Langenhorn aufzugreifen, und zwar          hinaus auch verschiedene weitere Angebote vor:
deshalb, weil wir hier eine Erstaufnahme und
                                                     Der Schulärztlicher Dienst untersucht alle
vier Folgeunterbringungsunterkünfte haben. In
                                                     Schulanfänger und bietet dezentral nied-
diesen Einrichtungen sind zurzeit über 1740
                                                     rigschwellige Gesundheitssprechstunden im
Geflüchtete untergebracht, was der größten
                                                     Stadtteil an. Die Mütterberatung hat Sprech-
Anzahl im Bezirk Hamburg-Nord entspricht, die
                                                     stunden in den eigenen regionalen Dienststel-
unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge noch
                                                     len, aber auch in den Unterkünften im Jugend-
nicht mitgerechnet. Außerdem beziehen wir
                                                     parkweg, im Grellkamp, im Kiwittsmoor sowie
uns auf Langenhorn, weil wir hier ein großes
                                                     bei Bedarf in weiteren Flüchtlingsunterkünften.
Engagement und viele Kooperationspartner
haben. Mit Sicherheit können aber auch Paral-        Der Schulzahnärztliche Dienst untersucht in
lelen zu anderen Stadtteilen gezogen werden,         den jährlichen Reihenuntersuchungen alle Vor-
so dass Gäste aus anderen Stadtgebieten und          schüler sowie Schüler der 1. – 4. Klassen in
Bezirken ebenfalls von der Veranstaltung profitie-   den Schulen, die auch von Flüchtlingskindern
ren werden.                                          besucht werden. Das schulzahnärztliche Team
                                                     unseres Bezirksamtes führte einen ersten
Geflüchtete Menschen sind besonderen ge-
                                                     Workshop für Akteure durch, die in der Flücht-
sundheitlichen Belastungsfaktoren ausgesetzt:
                                                     lingshilfe tätig sind und vermittelte wichtige
psychische Erkrankungen durch traumatische
                                                     Informationen über Zahnhygiene für Kinder.
Fluchterfahrungen, psychische Belastungen
durch die Lebensbedingungen in der Aufnahme-
gesellschaft, Infektionskrankheiten, die sich

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Auch die Gesundheitsförderung widmet sich         petenz, die für den beruflichen Alltag wichtig
dieser Aufgabe: So wurden die Kurse „Kochen       ist, und zum anderen zur Bedeutung von
mit kleinem Geldbeutel“ für die Teilnahme von     Stadtteilarbeit für mehr Gesundheit und In-
Geflüchteten geöffnet. Über die Koordinie-        tegration. Nach der Pause wird der eher fach-
rungsbausteine Gesundheitsförderung (KOBA)        lich theoretische Input durch persönliche Er-
wurden Kurse angeboten, die gesundes Ko-          fahrungen eines jungen Mannes ergänzt, der in
chen auch für Familien aus Flüchtlingsunter-      seiner Kindheit aus Afghanistan geflüchtet ist
künften vermitteln. Im Bereich Mobilität, Fit-    und sich jetzt mit all seinem Wissen und sei-
ness und Ausdauer gab es Angebote für junge       nen Erfahrungen für Flüchtlinge einsetzt. Da-
männliche Geflüchtete, um Bewegungsmög-           nach können Sie sechs konkrete Projekte ken-
lichkeiten auf dem Gelände der Unterkunft und     nenlernen und gegebenenfalls neue Kooperati-
im Stadtteil zu erkunden und zu erproben.         onen aufbauen. Auf dem Markt der Projekte
                                                  können Sie mit Einrichtungsvertreterinnen und
Die gesundheitlichen Unterstützungsbedarfe        -vertretern, die sich mit ihren Angeboten für
gehen allerdings weit über die rein medizini-     Geflüchtete öffnen, ins Gespräch kommen.
sche Versorgung und die Angebote des öf-
fentlichen Gesundheitsdienstes hinaus. Sie be-    Ich danke allen Beteiligten ganz herzlich für ihr
inhalten Wohlbefinden, sinnvolle Beschäfti-       großes Engagement und ihre Mitwirkung, ins-
gung und soziale Kontakte. Sie berühren die       besondere der Schule Stockflethweg dafür,
Themen Stressabbau und Entspannung, Er-           dass wir heute hier sein dürfen, aber auch den
nährung und Bewegung sowie ein entgegen-          Kolleginnen und Kollegen vom Gesundheits-
kommendes und unterstützendes Miteinander         amt und allen beteiligten Organisationen. Und
in der Nachbarschaft und unter Flüchtlingen.      Ihnen allen, die heute an dieser Veranstaltung
Dieses sind spezifische Handlungsfelder von       teilnehmen, danke ich, dass Sie gekommen
"Prävention und Gesundheitsförderung“. Ein        sind und damit Ihr Interesse an diesem Thema
zuversichtlicher Blick auf das eigene Leben ist   bekunden.
eine wertvolle Grundlage für eine gelingende      Ich wünsche Ihnen allen und uns einen auf-
Integration. Integration und Gesundheit bedin-    schlussreichen und interessanten Verlauf der
gen sich gegenseitig und sollten nicht getrennt   Veranstaltung.
voneinander betrachtet werden.

Auf unserem Markt und bei dem Programm-
punkt „Präsentation konkreter Projekte“ stel-
len sich daher heute weitere Angebote auch
von anderen Trägern vor. Wir hoffen damit zu      Yvonne Nische
                                                  Dezernentin Soziales, Jugend und Gesundheit
einem regen Austausch und einer noch besse-
ren Vernetzung der Angebote beitragen zu
können.

Die Kolleginnen und Kollegen des Gesund-
heitsamtes haben für diese Veranstaltung wie-
der ein interessantes Programm zusammenge-
stellt. Wir werden zu Beginn zwei Fachvorträ-
ge hören: Zum einen zur interkulturellen Kom-

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Markt der Projekte                                   Wohnen
                                                     Spracherwerb
Auf dem Markt der Projekte haben sich neben
„Fördern und Wohnen“ mit seinen Unterkünf-           Angebote des Gesundheitsamtes
ten 16 weitere Einrichtungen und Initiativen
präsentiert, die sich mit ihren Angeboten den        Mädchen und Frauen
Geflüchteten öffnen. Der Markt als Forum für
Informationen, Austausch und Vernetzung ist          gesundheitlichen Themen
ein wichtiges Element der Gesundheitskonfe-          psychische Gesundheit
renz, wie auch die Rückmeldungen der Teilneh-
menden bestätigen.                                   Bewegung
Jede Einrichtung konnte sich mit einem Steck-        Angebote im Stadtteil
brief präsentieren, die einzeln in der Dokumen-
tation aufgeführt sind, geordnet nach den
Themenbereichen:

                                                                                      7
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Wohnen

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Wohnen

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Spracherwerb

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Angebote des Gesundheitsamtes

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Mädchen und Frauen

12
Gesundheitliche Themen

                   13
Psychische Gesundheit

14
Bewegung

      15
Angebote im Stadtteil

16
Angebote im Stadtteil

                    17
Vorträge und Interview
                                     Gemeinsam Neues entdecken
                            Interkulturelle Kompetenz im beruflichen Alltag

Dr. Rita Panesar                                                     tur heute. Kultur ist also veränderbar und dy-
                      Dr. Rita Panesar ist                           namisch und steht mit anderen identitätsbe-
                      Historikerin und Religi-                       stimmenden Faktoren wie Geschlecht, Alter,
                      onswissenschaftlerin                           Gesundheit, Hautfarbe oder Religion in Verbin-
                      und seit 2009 Fachre-                          dung. Es gibt Überschneidungen zwischen Kul-
                      ferentin der „Koor-                            turen, es gibt die Möglichkeit, als Individuum
                      dinierungsstelle Wei-                          zwischen Kulturen „hin- und herzuswitchen“.
                      terbildung und Beschäf-                        Und es wird immer wieder neu darüber verhan-
                      tigung“ (KWB e. V.). Sie                       delt, was zu einer Kultur gehört und was nicht.
                      ist dort als Referentin                        In der Entscheidung darüber, wer oder was zu
                      der „Beratung Qualifizie-                      einer Kultur gehört, wird auch über Zugehörig-
                      rung Migration“ (BQM)                          keit und Ausgrenzung entschieden.
                      für die Bereiche Fort-
                                                                     Der Bildungsforscher Georg Auernheimer, de-
bildungen, Konzeptentwicklung und Fachver-
                                                                     finiert Kultur als ein „Orientierungssystem, das
anstaltungen zuständig.
                                                                     unser Wahrnehmen, Bewerten und Handeln
In Hamburg hat nahezu jeder zweite Jugendli-                         steuert, das Repertoire an Kommunikations-
che einen Migrationshintergrund. Migration ist                       und Repräsentationsmitteln, mit denen wir uns
in der Hansestadt also der Normalfall. In Zei-                       verständigen, uns darstellen, Vorstellungen
ten der Neuzuwanderung gewinnt das Thema                             bilden.“¹
eine neue Brisanz. Damit die Vielfalt und die                        Was verbirgt sich nun hinter „Interkultureller
damit einhergehende Fremdheit nicht verängs-                         Kompetenz“? Birgit Rommelspacher definiert
tigt, sondern als Potenzial für das gesell-                          den Begriff kritisch als „ein Zauberwort für die
schaftliche Zusammenleben genutzt werden                             Lösung angeblich aller Probleme“.² Wenn es
kann, bedarf es interkultureller Kompetenz.                          darum geht, Geflüchtete als Teilnehmende für
Was aber verbirgt sich eigentlich hinter die-                        Mütterkurse zu gewinnen, Konflikte unter ver-
sem sperrigen Begriff?                                               schiedenen Migrantengruppen zu schlichten
Zunächst stellt sich die Frage, was eigentlich                       oder unbewusste Barrieren in unseren Institu-
Kultur ist. Haben wir hier in Hamburg die glei-                      tionen abzubauen, ist interkulturelle Kompe-
che Kultur wie in München, im Dorf die gleiche                       tenz sicherlich nur eine Strategie, aber eine
Kultur wie in der Stadt? Nicht wirklich. Kultur                      unerlässliche. Interkulturelle Kompetenz „be-
kann also nicht mit Nation gleichgesetzt wer-                        schreibt die Kompetenz, auf Grundlage be-
den. Es kann sich auch um eine Unternehmens-                         stimmter Haltungen und Einstellungen sowie
kultur handeln, um eine Organisationskultur,                         besonderer Handlungs- und Reflexionsfähig-
Jugendkultur oder Subkultur. Die Kultur unse-                        keiten in interkulturellen Situationen effektiv
rer Eltern unterscheidet sich von unserer Kul-                       und angemessen zu interagieren.“³

¹Auernheimer, G.: Notizen zum Kulturbegriff unter dem Aspekt interkultureller Bildung. In: Gemende, M./Schröer, W./Sting, S.
(Hrsg.): Zwischen den Kulturen. Pädagogische und sozialpädagogische Zugänge zur Interkulturalität. Weinheim und München 1999,
S. 27-36, hier S. 28.
²Rommelspacher, B.: Zur Vermittlung von interkultureller Kompetenz. Ein Zauberwort für die Lösung aller Probleme? In: Stadt Göt-
tingen (Hrsg.): Interkulturelle Kompetenz - Die Schlüsselkompetenz im 21. Jahrhundert?“ Dokumentation, Göttingen, S. 111–119.
³Deardorf, D.K.: The identification and assessment of intercultural competence as a student outcome of internationalization at insti-
tutions of higher education in the United States. Raleigh, NC 2004. Hier nach: Interkulturelle Kompetenz – Die Schlüsselkompetenz
im 21. Jahrhundert? Thesenpapier der Bertelsmann Stiftung auf Basis der Interkulturellen-Kompetenz-Modelle von Dr. Darla K. De-
ardorff, Gütersloh 2006, S. 5.

18
Erste Assoziationen zu dem Begriff beziehen        – Bewertung“ erfolgt meist in Sekunden-
sich oft auf missverstandene Gesten. Ein schö-     schnelle. Fragen zu stellen, hilft um zu klären,
nes Beispiel ist der mit dem Daumen und Zei-       was wirklich in der Frau vorgeht.
gefinger geformte Kreis: Während es im anglo-
sächsischen Sprachgebrauch „gut“ oder „super“      Interkulturelle Kompetenz heißt auch, das
bedeutet, gilt es in mediterranen und arabi-       eigene Referenzsystem zu kennen und die
schen Ländern als Beleidigung – in Frankreich      Perspektive wechseln zu können, sich in die
wiederum steht es für „null“ und bei den Japa-     Schuhe des Gegenübers stellen zu können.
nern bedeutet es „Geld“.                           Wie sieht die Welt aus der Perspektive eines
                                                   50-jährigen kurdischen Flüchtlings in Lüneburg
Das ist zunächst verwirrend. Interkulturelle       aus? Aus der Sicht einer polnischen Jurastu-
Kompetenz heißt jedoch nicht, die Dos and          dentin? Einer schwarzen Ärztin mit drei Kindern?
Don‘ts der ganzen Welt zu beherrschen. Viel-
mehr bergen sie Missverständnisse! Etwa            Sehr schnell denken wir bei interkultureller
wenn sich in einer Situation beide Seiten aufei-   Kompetenz an die anderen. Aber wissen wir,
nander einstellen. Es kann zu skurrilen Situati-   wo unser eigener Blick auf die Wirklichkeit
onen kommen, wenn der Deutsche die ver-            herkommt? Interkulturelle Kompetenz umfasst
meintlichen Regeln des Arabers einhält und         auch eine gehörige Portion Selbstkenntnis.
der Araber sich so verhält, wie er denkt, dass     Um herauszufinden, warum ich jemanden posi-
es „typisch deutsch“ ist. Dos and Don‘ts sind      tiv oder negativ bewerte, ist es für mich hilf-
auch problematisch, weil es innerhalb der Her-     reich zu wissen, durch welche Glaubenssätze,
kunftsländer so unterschiedliche Kulturen, so-     Werte, Erziehungsstile und unbewussten Bot-
ziale Gruppierungen, Einkommensverhältnisse        schaften ich geprägt bin.
und Religionen gibt. Kultur dient sehr schnell
                                                   Und: Dass wir selbst kulturell geprägt sind,
als einzige – und häufig recht einfache – Erklä-
                                                   merken wir erst, wenn wir plötzlich eine andere
rungsfolie. Sie muss als Begründung für alle
                                                   Umgebung haben. Die uns vertraute Art, mitei-
möglichen Verhaltensweisen herhalten: Wir
                                                   nander zu sprechen, Probleme zu lösen, aufei-
tappen in die sogenannte Kulturalisierungsfalle.
                                                   nander zuzugehen, funktioniert plötzlich nicht
Wenn interkulturelle Kompetenz nicht heißt,        mehr. Man ist nicht mehr in seinem Element.
Dos and Don’ts auswendig zu lernen, was            Diese Erfahrung gilt es, im Blick zu haben,
dann?                                              wenn wir mit Geflüchteten arbeiten. Es kostet
                                                   extrem viel Kraft, sich immer wieder zu er-
Zunächst: Unsicherheit aushalten zu können!        schließen, welche Erwartungen im Raum sind,
Nehmen wir alles, was anders ist, als gefähr-      welches Verhalten, Reden und Handeln zielfüh-
lich wahr oder weckt es Neugierde bei uns?         rend ist, was als normal und angenehm emp-
Irritiert es uns, wenn das Gegenüber uns näher     funden wird, ohne dabei sich selbst zu verleug-
kommt, als wir es gewohnt sind, uns nicht an-      nen oder zu verlieren.
schaut, Redepausen macht, wo wir nicht damit
rechnen? Macht es uns nervös, wenn wir die         Interkulturelle Kompetenz heißt aber auch: Ich
Situation nicht mehr unter Kontrolle haben?        muss wissen, worin überhaupt kulturelle Un-
                                                   terschiede bestehen können. Die Schwierigkeit
Interkulturelle Kompetenz heißt auch, viel zu      liegt darin, dass wir ganz klare Präferenzen
fragen und wenig zu interpretieren. Was ist        haben, dass wir wissen, was uns angenehm ist.
auf dem Bild mit der Frau, die sich die Hand       Und das definieren wir nahezu automatisch als
vor den Mund hält, zu erkennen? Langweilt sie      gut und richtig. Es gibt aber kein objektives
sich und gähnt? Ist sie erschrocken? Schämt        Richtig und Falsch. Wohl gibt es Unterschiede
sie sich? Verbirgt sie ein Lachen? Und wie be-     in Bezug auf persönliche Werte. Wir unter-
werten wir das, was wir sehen? Verstehen wir,      scheiden uns etwa darin, ob wir eher individua-
dass sie müde ist? Sind wir empört darüber,        listisch oder kollektivistisch ausgerichtet sind
dass sie sich schämt? Finden wir es unnötig,       und wie direkt oder indirekt wir kommunizie-
dass sie ein Lachen verbirgt? Und wie handeln      ren. Bringe ich die Sache klar und direkt auf
wir? Der Prozess „Beschreibung – Interpretation    den Punkt?

                                                                                                  19
Oder ist mir das zu kalt, geradezu penetrant      tur leben oft auch Migrantinnen und Migran-
und aggressiv und ich erläutere zunächst den      ten, die sich als „zweiheimisch“ empfinden. Sie
Kontext und schaffe Vertrauen, um schließlich     wollen mit ihrer Herkunftskultur hier akzep-
und endlich zum Punkt zu kommen? Kulturen         tiert sein.
prägen auch, wie Menschen mit Problemen           Damit wir etwas voneinander erfahren, was
umgehen. Halte ich es für richtig, Probleme       jenseits von Zuschreibungen liegt, ist Kommu-
beim Namen zu nennen, ehrlich zu sagen, was       nikation sehr wichtig. Aber gerade in interkul-
nicht stimmt, Kollegen oder Freunde kritisch      turellen Begegnungen stellt sie eine Heraus-
mit meiner Meinung zu konfrontieren? Oder         forderung dar. Neben sprachlichen Hürden
halte ich es für angemessener, das Problem        steht die Tendenz zur ethnozentrischen Wer-
diplomatisch zu umgehen? Beides kann sinn-        tung im Weg, das heißt die Vorstellung, dass
voll und pragmatisch sein.                        das eigene Weltbild das richtige ist und alle
                                                  anderen falsch. Auch der sogenannte Kultur-
                                                  schock und damit einhergehende Verunsiche-
                                                  rung erschweren die vertrauensvolle Kommu-
                                                  nikation. Gewohnte Verhaltensweisen funktio-
                                                  nieren nicht mehr und es gibt nur wenige Mög-
                                                  lichkeiten der Metakommunikation, das heißt
                                                  der Rückfragen, des Klärens, des Reflektierens:
                                                  Wie hast Du das gerade gemeint? Wie darf ich
                                                  die Geste verstehen? Dein Verhalten hat mich
                                                  verunsichert. Wenn Du so handelst, bin ich irri-
                                                  tiert, weil ich das nicht kenne.
                                                  Müssen wir in Gesprächen ohnehin das vom
                                                  Gegenüber Gesagte für uns verständlich ma-
                                                  chen, so erfolgt die Übersetzung im interkultu-
                                                  rellen Kontext quasi doppelt: Zusätzlich muss
Wertequadrat Individualismus – Kollektivismus     das Gesagte in die eigenen kulturellen Codes
auf der Basis des Modells von Friedemann Schulz   übertragen werden. Und schließlich sind Tech-
von Thun                                          nologien und Medieninhalte nicht kulturneu-
Wenn von Migrantinnen und Migranten die Re-       tral. In Schulbüchern finden wir beispielsweise
de ist, wird immer wieder thematisiert, wer       kaum Kinder und Jugendliche mit schwarzer
den ersten Schritt machen muss, wer sich wem      Hautfarbe, Behinderung oder Fremdsprach-
anpassen soll. Wir denken häufig in Dominanz-     lichkeit, die nicht „zu etwas Anderem“, „zu et-
Kategorien. Wer hat das Heimrecht? Wer ist        was Besonderem“ oder „zum Problemfall“ ge-
der Stärkere? Aus der Forschung über interna-     macht werden, sondern normale Akteure sind.
tionale Teams sind weitere Möglichkeiten der
Begegnung aufgeführt. Wenn wir davon aus-         Und damit kommen wir zum nächsten Punkt.
gehen, dass es Unterschiede zwischen den be-      Zur interkulturellen Kompetenz gehört ein
teiligten Kulturen gibt, dann kann es darum       Bewusstsein über privilegierte und benach-
gehen, zu überprüfen, wer komplementär wel-       teiligte Gruppen in unserer Gesellschaft. Wer
chen Beitrag leisten kann, wie verschiedene       weiß, männlich, heterosexuell und Deutsch-
Kompetenzen und Erfahrungshintergründe            Herkunftssprachler ist, braucht deshalb noch
fruchtbar eingebracht werden können. Ob viel-     lange kein schlechtes Gewissen zu haben.
leicht sogar ganz neue Ideen aus dem Zusam-       Macht und Privilegien können verantwortungs-
menleben unterschiedlicher Menschen entste-       voll eingesetzt werden, als Auftrag verstanden
hen können. Dann geht es nicht mehr um das        werden. Aber es ist wichtig zu wissen, dass
Entweder-oder von Kultur A und Kultur B,          Menschen, die nicht zwischen 20 und 45 Jahre
sondern um eine dritte Kultur, die häufig         alt sind, eine schwarze Hautfarbe oder eine
„Third Culture” genannt wird. Eine dritte Kul-    Behinderung haben oder weniger gebildet sind,
                                                  häufiger an Hürden und Barrieren scheitern,

20
die in Organisationen und gesellschaftlichen                    Wo kann ich selbst anfangen?
Prozessen – oft unbeabsichtigt – vorhanden
sind. Und es ist wichtig zu wissen, welche Ge-                  Interkulturelle Kompetenz ist immer auch eine
fühle durch Ausgrenzung ausgelöst werden.                       Einladung, eigene Vorstellungen zu überdenken.
                                                                Etwa die Vorstellung, man müsse sich immer
Zu interkultureller Kompetenz gehört, sich auf                  und überall die Hand geben. Eine Person nicht
den Weg zu machen, die eigene Verstrickung                      anzufassen, kann eine Geste der Hochachtung
in Privilegien und Benachteiligungen unserer                    und des Respekts sein.
Gesellschaft zu erforschen, und diskriminie-
rende Verhaltensweisen, die wir oft unbewusst                   Stellen Sie sich vor, Sie kommen in ein Land
reproduzieren, im besten Sinne zu verlernen!                    und müssen in der Öffentlichkeit ständig Men-
                                                                schen anderen Geschlechts umarmen. Vielleicht
Eine Perspektive aus dem Buch Americanah-                       ist es für sie zu nah, vielleicht wollen sie nicht
von Chimamanda Ngozi Adichie beschreibt                         übergriffig sein? So ist es oft für Menschen,
die Wahrnehmung ihres Freundes Obinze, der                      die nicht gewohnt sind, anderen, besonders
mit der Hoffnung auf Zukunftsperspektiven                       auch Menschen anderen Geschlechts, die Hand
als Wissenschaftler illegal nach London ge-                     zu geben. Ein freundliches Nicken kann ebenso
kommen war:                                                     herzlich sein wie ein Händedruck. Auch jeman-
                                                                den nicht anzugucken, muss nicht heißen, dass
„Manchmal kam er aus einem U-Bahnhof, oft ne-                   die Person sich schämt, unsicher ist oder etwas
ben einem Blumen- oder Zeitungsverkäufer, und                   zu verbergen hat. Es kann ebenso eine Form des
sah den Leuten nach, die an ihm vorbeiliefen. Sie               Respekts sein.
gingen so schnell, diese Leute, als müssten sie
dringend irgendwohin, als hätten sie ein Ziel im                Viele Bestimmungen der Agentur für Arbeit
Leben, während er keins hatte. Er folgte ihnen                  sind so kompliziert, dass sie kaum von
mit dem Blick, mit einer verborgenen Sehnsucht,                 Deutsch-Herkunftssprachlern zu verstehen
und dachte: Ihr könnt arbeiten, ihr seid legal hier,            sind. Mit den psychologischen Tests der Agen-
ihr seid sichtbar, und ihr wisst nicht mal, was für             tur für Arbeit werden häufig eher Deutsch-
ein Glück ihr habt.“¹                                           kenntnisse als die psychologische Gesundheit
                                                                abgeprüft. Und auch die Integrationstests
In dem Buch wird das Gefühl beschrieben,                        überfordern viele Migrantinnen und Migranten,
nicht dazuzugehören, aber auch das Gefühl,                      die die erforderlichen Deutschkurse belegt ha-
wie es ist, abgestempelt zu werden.                             ben. Kommunikation wird erfolgreicher, wenn
                                                                man sich als Institution auf die Ausgangsvo-
Zu interkultureller Kompetenz gehört es, sich                   raussetzungen des Gegenübers einstellt.
bewusst damit auseinanderzusetzen, welche
Gruppen wir bilden, wie wir Menschen sprach-                    Das Konzept der Leichten Sprache ist hier
lich als „Flüchtling“, „Migrant“ oder „Muslim“                  sehr hilfreich. Es gibt eine Vielzahl von Bro-
labeln und in Schubladen stecken.                               schüren, die Hilfestellungen beim Umformulie-
                                                                ren komplizierter Texte geben. Unterstützung
Interkulturelle Kompetenz ist ein lebenslanger                  bieten auch einige Apps. Die App „ankommen“
Lernprozess. Sie lässt sich durch erfahrungs-                   zum Beispiel ist zwar nicht in leichter Sprache
orientierte Übungen und Fortbildungen erlan-                    verfasst, aber sie ist mehrsprachig und erklärt
gen, in denen Reflexion und ein gewisses                        Geflüchteten auf einfache Weise, wie sie sich
Nachfühlen möglich ist.                                         in Deutschland zurechtfinden können.

¹Chimamanda Ngozi Adichie: Americanah, Frankfurt am Main 2013, S. 289.

                                                                                                                21
Generell ist es hilfreich, Menschen mit Migra-
tionshintergrund in Projekte einzubeziehen.
Es stellt die Nähe zum potenziellen Zielpubli-    Einbeziehen von Menschen mit
kum sicher, erhöht die Akzeptanz des Projekts     Migrationshintergrund
bei der Migrationsbevölkerung und beeinflusst     •    Nähe zum potenziellen Zielpublikum
die Motivation der vom Projekt anvisierten        •    Menschen mit Migrationshintergrund werden nicht bloß
                                                       als Begünstigte/bzw. Empfänger/innen von Leistungen
Menschen mit Migrationshintergrund positiv.            betrachtet
Menschen mit Migrationshintergrund werden         •    fördert die gesundheitsrelevanten
nicht bloß als Begünstigte bzw. Empfänger              Handlungskompetenzen (Empowerment*).
von Leistungen betrachtet, sondern man sucht      •    stärkt Humanressourcen
die Zusammenarbeit. Partizipation fördert die     •    berücksichtigt soziale Ressourcen von Menschen mit
gesundheitsrelevanten Handlungskompeten-               Migrationshintergrund (Netzwerke, soziale Bindungen
                                                       usw.)
zen, stärkt Humanressourcen (transkulturelle
Kenntnisse, Kompetenzen in der Herkunfts-
sprache, spezifisches Know-how, Migrations-
erfahrungen usw.). Sie berücksichtigt soziale
Ressourcen von Menschen mit Migrationshin-
tergrund, etwa ihre Netzwerke, und stärkt sie
damit insgesamt.

Zielführend ist zudem auch die aufsuchende
Arbeit in den Unterkünften der Geflüchteten.          Aufsuchende Arbeit
Sie nimmt Schwellenangst, schafft und nutzt
Vertrauensräume, sorgt für Vernetzung und             • nimmt Schwellenangst,
einen Schneeballeffekt. Sie drückt Wertschät-
                                                      • schafft und nutzt Vertrauensräume
zung aus und motiviert damit.
                                                      • sorgt für Vernetzung und Schneeballeffekt
Interkulturelle Kompetenz ist nichts, was sich        • drückt Wertschätzung aus und motiviert
durch einen Vortrag erlernen lässt, und auch            damit
kein Können, das in einem einmaligen kurzen           Und:
Training zu erlangen ist. Aber es ist spannend,       • Es ist kein Fahrgeld nötig
weitere Schritte in diesem lebenslangen Lern-
prozess zu gehen.

22
Die integrative Kraft der Stadtteilarbeit und der Nachbarschaft
                                                  diesem Zusammenhang alle Einrichtungen ge-
Prof. Dr. Gaby Straßburger                        meint, die sich zur Nachbarschaftsarbeit ver-
                        Seit 2004 ist Prof. Dr.   pflichtet fühlen.
                        Gaby Straßburger
                        Professorin für Theo-     Um einen systematischen Überblick zu geben,
                        rie und Praxis der So-    nutzte Frau Prof. Dr. Straßburger ein von ihr
                        zialen Arbeit mit dem     entwickeltes Schema, das die Vielzahl der Ak-
                        Schwerpunkt               tivitäten auf fünf zentrale Aufgaben reduziert.
                        „Sozialraumorientierte
                        Soziale Arbeit“ an der           Zentrale Aktivitätsbereiche im Stadtteil
                        Katholischen Hoch-
                        schule für Sozialwesen
                        Berlin (KHSB).

Zusammenfassung des Impulsvortrags in Ab-
sprache mit Prof. Dr. Gaby Straßburger

Das Leben nach der Flucht birgt viele Risiken
für die Gesundheit, von denen Frau Prof. Dr.
Straßburger vor allem die nannte, bei denen
Stadtteilarbeit etwas „mildern“ kann. Zu den
Risikofaktoren gehören:

    zu monatelanger Untätigkeit verdammt                      Prof. Dr. Gaby Straßburger
     zu sein und nicht mit dem Aufbau eines
     neuen Lebens beginnen zu können
                                                  1. Informationsmanagement und
    als Bittsteller von staatlicher Unterstüt-      Öffentlichkeitsarbeit
     zung abhängig zu sein, statt sein Leben
                                                  Stadtteileinrichtungen sind Anlaufstellen für
     selbst in die Hand nehmen zu können
                                                  Menschen, die sich engagieren wollen und dort
    aufgrund von fehlenden Sprachkenntnis-       einen Überblick über die zahlreichen Angebote
     sen ein „Außenseiter“ zu sein                und Akteure erhalten. Die Einrichtungen sam-
                                                  meln und verteilen Informationen und nutzen
    und nicht zuletzt die Unmöglichkeit auf      ihre Kontakte, um herauszufinden, was geplant
     rassistische Entgleisungen „angemessen“      ist oder gebraucht wird und um entsprechen-
     reagieren zu können.                         des Wissen an diejenigen weiterzugeben, die
                                                  davon erfahren müssen oder wollen. Sie tra-
Stadtteilarbeit kann hier zum Ankommen in         gen zum Empowerment von Geflüchteten bei,
der Gesellschaft beitragen, Teilhabe fördern      indem sie diese mit wichtigen Informationen
und Geflüchteten helfen, eine aktive Rolle in     zu Möglichkeiten, Anlaufstellen und Dienstleis-
der Gesellschaft zu finden. Auch das Entste-      tungen vor Ort versorgen.
hen „neuer“ Gemeinschaften und gemeinsamer
Interessen kann durch offene Treffpunkte und      2. Initiativen begleiten & Prozesse steuern
Begegnungsstätten, Stadtteil-, Quartiers- und
Familienzentren oder Nachbarschafts-, Bürger-     Viele Aktivitäten lassen sich dem Freiwilligen-
und Mehrgenerationshäuser unterstützt wer-        management, der Konfliktmoderation und der
den. So kann die Integration und damit auch       prozessorientierten Projektentwicklung zuord-
die Gesundheit geflüchteter Menschen geför-       nen und mit der Zahl der Engagierten wächst
dert werden. Mit Stadtteileinrichtungen sind in   der Bedarf nach Informationen, Austausch und

                                                                                                    23
Unterstützung. Hier können Stadtteileinrich-        beengten Verhältnissen leben, die in ihrem All-
tungen fachlichen Rat, Räume und Materialien        tag auf zahlreiche Zugangsbarrieren stoßen
bieten, aber auch Fortbildungen, beispielswei-      oder die als Neuankömmlinge Anschluss in ei-
se zum Umgang mit traumatisierten Men-              ner neuen Umgebung suchen. Die Erfahrung
schen. Oder sie übernehmen administrative           zeigt, dass Neuzuwanderer sich eher selten aus
Aufgaben. Und sie können Bedarfe ermitteln,         eigener Initiative an Stadtteileinrichtungen
alle relevanten Akteure an einen Tisch holen        wenden. Nicht nur, weil sie sich im Deutschen
und gemeinsam vernetzte Unterstützungsan-           noch unsicher fühlen, sondern auch weil die
gebote im Stadtteil entwickeln.                     Wenigsten in ihrem Herkunftsland Stadtteilar-
                                                    beit kennengelernt haben. Daher gilt es, sie
3. Begegnung ermöglichen und Begleitung             ausdrücklich einzuladen, ihnen Wege zu öffnen
   organisieren                                     und aufmerksam zu beobachten, ob es etwas
                                                    gibt, was die Teilnahme erschwert. Um die Si-
Da für die soziale Integration die persönliche
                                                    tuation gut einschätzen zu können, ist die ak-
Begegnung zentral ist, sollten Stadtteileinrich-
                                                    tivierende Befragung ein probates Mittel aus
tungen einen inklusiven Ansatz verfolgen und
                                                    der Stadtteilarbeit.
bei Festen und Aktionen im Stadtteil Geflüch-
tete nicht nur als Gäste, sondern auch als Hel-     5. Teilhabe und Teilgabe ermöglichen
ferInnen oder MitorganisatorInnen einbinden.
Sportliche Aktivitäten oder die Einladung zu        Eine wichtige Funktion der Professionellen be-
konkreten Aktivitäten (beispielsweise zum           steht nach Meinung von Frau Prof. Dr. Straß-
Gärtnern in einer Gartengruppe) bieten eben-        burger derzeit darin, immer wieder darauf zu
falls gute Möglichkeiten, schnell und unkompli-     achten, dass die strukturellen Weichen auf
ziert Kontakte zu knüpfen, auch wenn jemand         Partizipation ausgerichtet werden. Das bedeu-
noch wenig Deutsch kann.                            tet, Geflüchtete als aktive Akteure der Gestal-
                                                    tung und Aufrechterhaltung ihres Wohlbefin-
Eine intensive Möglichkeit zwischenmenschli-        dens anzusehen und den Blick auf ihre Interes-
cher Begegnung bieten laut Frau Prof. Dr.           sen, Fähigkeiten und Resilienzen zu richten.
Straßburger Patenschafts- oder Mentorenpro-         Fachkräfte sollten also schon bei der Konzep-
jekte. Ein neues Konzept ist hier die „Ankommens-   tion von Projekten und Angeboten berücksich-
patenschaft“, die nur drei gemeinsame Treffen       tigen, welchen Part Betroffene selbst überneh-
umfasst, Neuankömmlingen eine erste Orien-          men könnten. Damit schaffen sie Gelegenhei-
tierung in der neuen Umgebung bietet und en-        ten zur aktiven Teilhabe am gesellschaftlichen
gagementbereiten Stadtteilbewohnern einen           Leben in der Nachbarschaft und auch die
niedrigschwelligen Einstieg.                        Chance zu gesellschaftlicher Integration.
4. Kräfte bündeln und Zugänge schaffen              Dabei gelingt es im Idealfall neben der Gele-
                                                    genheit zur Teilnahme auch Möglichkeiten zur
Vielerorts haben sich mit Hilfe von Stadtteil-
                                                    Teilgabe zu schaffen, was für die Neuankömm-
einrichtungen überparteiliche Willkommens-
                                                    linge bedeutet, Perspektiven, Fähigkeiten und
bündnisse zusammengeschlossen. Diese von
                                                    Ressourcen einbringen zu können, über die an-
Vielfalt geprägten Bündnisse haben eine sehr
                                                    dere nicht verfügen, also etwas Einzigartiges
wichtige Funktion für die Integration. Sie kön-
                                                    beitragen zu können.
nen niedrigschwellige Zugänge zu zahlreichen
lokalen Netzwerken und Institutionen schaffen       So können Menschen mit Fluchterfahrungen,
und damit Möglichkeiten zu gesellschaftlicher       die in der Gesellschaft angekommen sind, ihr
Teilhabe eröffnen. Und Stadtteileinrichtungen       auf diese Weise etwas zurückgeben. Menschen,
selbst bieten zahlreiche Ansatzpunkte zur In-       deren Flucht schon mehrere Jahre zurückliegt,
tegration: z. B. ein Haus mit offenen Türen und     können z. B. im Rahmen von Erzählcafés von
Räumen, das allen in der Nachbarschaft zur          ihren Erfahrungen berichten oder Neuan-
Verfügung steht und Begegnung ermöglichen.          kömmlinge an der Erstellung eines Sozialatlas-
Einen solchen Ort nutzen zu können, ist gera-       ses mitarbeiten, indem sie sagen, welche Ein-
de für Menschen essentiell, die unter extrem        richtungen für sie besonders wichtig sind und

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welche Informationen Neuankömmlinge brauchen.      und Techniken, sondern darin, dass die Pro-
                                                   fessionellen bewährtes Handwerkszeug in-
Solche und ähnliche Gelegenheiten zur Teilga-      terkulturell sensibel anwenden.
be eröffnen sich am ehesten, wenn jemand be-
wusst dafür sorgt, sie zu schaffen. Hier ist die   Anknüpfend an ihre Vorrednerin, Frau Dr.
Fachkompetenz der Professionellen gefragt          Panesar, betonte Frau Prof. Dr. Straßburger,
und mittlerweile gibt es viele gut dokumentierte   dass Sozialraumorientierung immer auch mit
Beispiele für Teilgabe. Eines davon ist z.B. die   interkultureller Kompetenz verbunden sein
Einrichtung von Internetcafés von Flüchtlingen     muss, um zu gewährleisten, dass auch Men-
für Flüchtlinge durch den Verein „Refugees         schen mit Migrations- und Fluchthintergrund
Emancipation“. Wobei Frau Prof. Dr. Straßbur-      selbstverständlich und erfolgreich von unter-
ger darauf hinweist, dass die Integration, nach    stützenden Angeboten profitieren. Das Gefühl,
der geflüchtete Menschen streben, sich natür-      das viele Menschen mit Migrationshintergrund
lich nicht in der Mitarbeit an einem Erzählcafé    von klassischen Angeboten abhält, lässt sich
oder einem Sozialatlas erschöpft. Denn in aller    ihrer Ansicht nach mit einem „Auswärtsspiel“
Regel ist ihr Ziel, hier zu leben, zu wohnen, zu   vergleichen und die Aufgabe der Fachkräfte
arbeiten, die Familie zu ernähren und den All-     sei es, Settings zu schaffen, in denen aus dem
tag zu organisieren, um ein aktiver und aner-      Auswärtsspiel ein Heimspiel wird.
kannter Teil der Gesellschaft zu werden.
Am Ziel umfassender Teilhabe gemessen, be-
steht ein wichtiger Beitrag der Stadtteilarbeit
vor allem darin, bessere Startpositionen zu
schaffen. Ob das Ziel erreicht werden könne,
entscheide sich jedoch nicht in erster Linie im
Gemeinwesen, sondern auf bundespolitischer
Ebene.
Nichtsdestotrotz können Stadtteilaktivitäten
den Integrationswillen „von unten“ stärken und
gemeinsame Interessen im Stadtteil in den
Vordergrund stellen, wie etwa menschenwür-
diges, bezahlbares Wohnen, gute Lebens- und        Heimspiele zu arrangieren erfordert klare Sig-
Arbeitsbedingungen und funktionierende Bil-        nale interkultureller Sensibilität und Offenheit,
dungseinrichtungen.                                Beteiligung und das Herstellen von Transpa-
Sozialraumorientierte interkulturelle Arbeit       renz — also das Schaffen einer Atmosphäre
                                                   des Willkommenseins und dezidierte Anerken-
Abschließend erläuterte Frau Prof. Dr. Straß-      nung von Vielfalt. Der Kern erfolgreicher Ar-
burger das aus ihrer Sicht wichtige Konzept        beit mit Menschen — sei es nun mit oder ohne
der sozialraumorientierten interkulturellen        Migrationshintergrund — ist dabei immer eine
Arbeit, um die anstehenden Integrationsauf-        wertschätzende, subjekt- und ressourcenori-
gaben bewältigen zu können.                        entierte professionelle Haltung.
Das Konzept geht davon aus, dass es zwi-           Für erfolgreiche sozialraumorientierte inter-
schen der erfolgreichen Arbeit mit Menschen        kulturelle Arbeit gilt der Leitsatz:
mit und der Arbeit mit Menschen ohne Migrati-
onshintergrund keine wesentlichen Unterschie-        Differenzen sollen nicht hervorgehoben
de gibt, da es im Kern immer darum geht,                              werden,
Menschen persönlich anzusprechen, mit ihren        aber dort, wo sie bedeutsam sind, sollte man
Stärken zu arbeiten und Ressourcen des sozia-               sie auch nicht übergehen.
len Raums zu erschließen und aufzubauen. Das
Geheimnis erfolgreicher Arbeit liegt demzufol-
ge nicht in migrantenspezifischen Methoden

                                                                                                   25
Vom Flüchtling zum Flüchtlingshelfer

Interview mit                                   ses und schrieb vor kurzem meine Bachelorar-
Ruhin Ashuftah aus Afghanistan                  beit über traumatisierte Flüchtlinge. Ich bin
                                                zusätzlich selbständig tätig als Dolmetscher
                                                bei der Polizei und an Gerichten und habe das
                                                „Trauma-Erststabilisierungs-Zentrum — TEZ“
                                                gegründet.
                                                Was waren Ihre Fluchterfahrungen?
                                                Ich wurde 1982 in Kabul, Afghanistan, gebo-
                                                ren. Aufgrund des Krieges zwischen Afghanis-
                                                tan und der Sowjetunion floh meine Familie
                                                1988 nach Deutschland. Insgesamt dauerte
                                                die Flucht über Pakistan und Polen ca. ein Jahr.
                                                Wir lebten in Kassel und später in Hamburg
                                                drei Jahre in der Sportallee, in der es nach mei-
                                                ner Erfahrung eher etwas „rau“ zuging. Uns
                                                wurde politisches Asyl und im Jahre 1992 die
                                                deutsche Staatsangehörigkeit zuerkannt.
Ruhin Ashuftah ist aufgrund des Krieges zwi-
schen Afghanistan und der Sowjetunion 1988      Haben Sie Erinnerung an Ihre eigene
als Kind mit seinen Eltern nach Deutschland     Fluchterfahrung?
geflohen. Er hat sein Bachelor-Studium          In meiner Kindheit lebte ich sehr in meiner eige-
»Medien, Information und Journalismus« an       nen Welt. Ich bin vom Großvater großgezogen
der Hochschule für angewandte Wissenschaf-      worden, mein Vater war die ersten 7 Jahre
ten (HAW) abgeschlossen, studiert Soziale Ar-   beim Militär. Nach meinem Erleben wird man
beit in Hamburg und hat seine Bachelorarbeit    als Flüchtlingskind eher als Erwachsener be-
über traumatisierte Flüchtlinge geschrieben.    handelt. Man ist rausgerissen aus der eigenen
                                                Welt, hat keine Freunde, lebt mit einer frem-
2015 gründete er das „Trauma-Erststabilisie-
                                                den Sprache, marschiert Tag und Nacht durch
rungs-Zentrum für Flüchtlinge — TEZ“, das
                                                die Wüste oder ist mit Pferden unterwegs —
im Januar 2016 seine Arbeit aufgenommen hat.
                                                das hinterlässt Eindrücke. Für mich hat es lange
Ruhin Ashuftah wurde auf der Gesundheits-       gebraucht, den Kontakt zur deutschen Gesell-
konferenz von der Moderatorin Dr. Christine     schaft aufzunehmen. Da es 1989 nach dem
Tuschinsky zum Thema „Vom Flüchtling zum        Mauerfall immer wieder hieß: „wenn der Krieg
Flüchtlingshelfer“ interviewt.                  vorbei ist, müsst ihr wieder zurück“, war die
                                                Folge bei Vielen Schwarzarbeit und alles andere
Dieses Interview wurde aufgezeichnet. Für die   als Integration.
Dokumentation sind die wesentlichen Aussa-      Was hat Ihnen geholfen in Deutschland anzu-
gen festgehalten und von Ruhin Ashuftah frei-   kommen?
gegeben worden.
                                                Geholfen haben Lehrer, Professoren und Leute,
Wir freuen uns, dass Sie zu uns gekommen        die selber einen Migrationshintergrund haben.
sind und ich würde Sie zunächst einmal fra-     Wichtig war es, rauszugehen aus der Umge-
gen, wer sind Sie?                              bung mit den Flüchtlingen und Kontakt zur
                                                Universität herzustellen. Wichtig ist es in einer
Ich komme aus Afghanistan, habe Medienin-
formation und Journalismus an der HAW stu-      Umgebung zu sein, in der einem ohne Vorur-
                                                teile begegnet wird. Wobei ich auch immer da-
diert und bin 2010 über meine Arbeit bei der
NATO zur Flüchtlingsarbeit gekommen. Im An-     rauf achte, wenn ich mit Flüchtlingen arbeite,
                                                dass ich bei ihnen bei null anfange. Ohne Vor-
schluss studierte ich Sozialpädagogik an der
Evangelische Fachhochschule des Rauhen Hau-     urteil, das ist nicht ganz einfach.

26
Welche Rolle spielen traumatische Erfahrun-          Wenn man das System versteht, ist das schon
gen? Wodurch entsteht ein Trauma?                    viel wert. Wichtig ist es auch, nicht nur zu sa-
                                                     gen, es ist nicht richtig und nicht gut zu klau-
Erst wenn man ankommt, wird das Trauma               en, sondern einen Rahmen zu bieten und zu
quasi ausgelöst. Auf der Flucht flieht man vor       erklären, welche Konsequenzen das Verhalten
den Problemen. Hier in Deutschland muss man          hat und welche Wege und Ziele man sich
erst mal warten und Bürokratie lernen. Die           dadurch verbaut.
Flüchtlinge fühlen sich vergessen und dann
bricht das Trauma über sie her. Das äußert           Wie ist die Sicht von Geflüchteten auf
sich in Konzentrationsproblemen, Problemen           Deutschland?
mit dem Einschlafen, unerklärbarer Wut. Hinzu
kommt die Situation in den Unterkünften, in          Für viele junge Flüchtlinge bedeutet Demokra-
denen man z. B. in 10-Personen-Zimmern lebt,         tie, dass man alles machen kann, auch bezogen
teilweise mit depressiven Mitbewohnern usw.          auf Alkohol, Mädchen usw. Man muss ihnen
— all das zieht runter.                              deutlich die Konsequenzen aufzeigen. Ein Poli-
                                                     zeieintrag hat Auswirkungen auf die weitere
In der Traumaerststabilisierung erkläre ich den      Zukunft. Viele kommen aus hierarchisch patri-
Flüchtlingen zuerst einmal, was mit ihnen pas-       archalischen Strukturen. Da muss man als Be-
siert. Ihr Verhalten ist normal. Auf der Flucht      treuer durchaus die Vaterrolle übernehmen.
ist das Angstzentrum aktiviert worden. Die           Für mich ist das einfacher, weil ich aus dem
Kampf- oder Weglaufreaktion konnte nicht             Land komme oder auch die Sprache der Flücht-
ausgelebt werden, da man den Schleusern aus-         linge spreche. Man muss konsequent sein und
geliefert war. Die jetzt erlebten Reaktionen         kann nicht einfach sagen: „das macht nichts.“
und Verhaltensweisen sind normal. Aber das
lässt sich auch wieder abschalten. In der Erst-      Für viele ist die Behördenstruktur fremd. Sie
stabilisierung geht es um „Psychoedukation“          denken eher personenbezogen und meinen,
nicht um Therapie. Es ist wichtig, sich an posi-     wenn sie bestimmte Schlüsselpersonen ken-
tive Dinge zu erinnern, z. B. an die eigene Stär-    nen, müsste doch alles schneller gehen. Dann
ke auf der Flucht, an die Dinge, die man hat         muss man erklären, dass Demokratie bedeu-
und erreichen will und nicht an Dinge, die man       tet, dass alle gleich lang warten müssen. Man
verloren hat.                                        muss erklären, dass Sprache, Ausbildung usw.
                                                     sehr wichtig sind. Sie haben die große Aufga-
Wichtig ist zu erkennen, dass die linke Gehirn-      be, sich neu zu orientieren, einen neuen Rah-
hälfte, die rationale, blockiert ist und die rech-   men zu finden, neue Ziele zu finden und dabei
te emotionale Seite nicht verstanden hat, dass       aber auch die eigene Kultur nicht zu verlieren.
man jetzt in Sicherheit ist. Man muss langsam
wieder dahin kommen, dass die beiden Seiten          Welche Aufgaben hat die Aufnahmegesell-
arbeiten und nicht nur die emotionale.               schaft?
                                                     Was kann man unterstützen auch im Hinblick
Wie kann man erkennen, ob hinter einem be-           auf Gesundheit und Integration?
stimmten Verhalten ein Trauma steckt?
                                                     Wichtig ist es, den Geflüchteten Chancen zu
Die Menschen zeigen Hilfeschreie, die sich z. B.     geben und Geduld aufzubringen. Sport und
in Selbstverletzung, wütendem Verhalten, Ge-         Fußball haben eine gesundheitsfördernde und
fühlskälte äußern, was oft mit Aggression ver-       integrierende Funktion. Über diese Aktivitäten
wechselt wird. Sicher gibt es bei den Geflüch-       können Flüchtlinge an das Lesen, an Praktika,
teten sogenannte „schwarze Schafe“ mit ag-           an Schulprojekte und an Ausbildung herange-
gressivem Verhalten, aber die Betreuer sollten       führt werden. Dabei sind gemischte Gruppen
es nicht zulassen, dass diese zu viel Aufmerk-       von Vorteil.
samkeit auf sich ziehen.
                                                     Neben dem Sport sind kulturelle Aktivitäten
Manchmal hilft es schon, einfach Orientierung        wie Museumsbesuche, Ausflüge zu Büchereien
zu geben, indem man die Strukturen erklärt           usw. sehr förderlich und werden eher von Frauen
und darstellt, wie lange man warten muss.            angenommen.

                                                                                                   27
Fragen aus dem Publikum

Gibt es Hilfestellungen für weibliche Betreue-      Was kann man bei Problemen in den Schulen
rinnen im Umgang mit männlichen Flüchtlingen?       tun? Oftmals verhalten sich die Flüchtlinge in
                                                    der Einrichtung anders als in der Schule. Wel-
Der Respekt vor Frauen gebietet es, dass die        che Brücken kann man bauen?
Männer die Frauen nicht angucken und es gibt
durchaus Themen, die Männer mit Frauen              Die Lehrer verwechseln oftmals Flüchtlinge mit
nicht besprechen wollen. Da hilft es oftmals        Jugendlichen mit Migrationshintergrund und
einen Dolmetscher als Brückenglied einzuset-        denken, die haben ähnliche Probleme. Dabei ist
zen, damit Vertrauen aufgebaut werden kann.         die Situation der geflüchteten Jugendlichen
                                                    ganz anders. Sie haben oftmals keine Eltern
Wie kommen die Männer mit dem westlichen            und sind traumatisiert. Entsprechend ist ihr
Frauenbild zurecht?                                 Verhalten ganz anders zu deuten. Hilfreich
                                                    wäre es, wenn die Lehrer in die Einrichtungen
Je älter die Männer sind, desto schwieriger ist     kämen und die Welt der Geflüchteten verste-
die Anpassung. Respekt ist zwar da, aber es         hen lernen. Die Betreuer könnten auch die Ju-
herrscht auch die tiefverwurzelte Sicht, dass       gendlichen auffordern ein Tagebuch zu schrei-
manche Dinge nur von Männern und manche             ben, in dem sie ihre Erlebnisse aufschreiben
Dinge nur von Frauen zu übernehmen sind. Da         und vor allem auch, was sie an positiven Din-
muss man sich als Frau, als Betreuerin, stark       gen erlebt haben.
zeigen und gegebenenfalls auch Konsequen-
zen aufzeigen.                                      Kontakt und gegenseitiges Verstehen ist der
                                                    Schlüssel.
Diejenigen, die aus Familienstrukturen kom-
men, achten eher auf alle vorherrschenden Ge-       Gibt es einen Tipp für den Stadtteil?
setze. Diejenigen, die eher auf der Straße auf-
gewachsen sind, setzen sich oftmals darüber         Hilfreich ist es, z. B. in Sportvereinen Dolmet-
hinweg. Das bedeutet, dass bei Straftaten           scher als Brückenglieder einzusetzen oder
nicht das Herkunftsland die entscheidende           auch ältere Familienmitglieder mit einzubeziehen.
Rolle spielt, sondern eher das soziale Milieu.      Mitmachen bei Stadtteilaktionen wie beispiels-
Wenn in einem Land schon länger Krieg herrscht,     weise Flohmärkten und Festen ist sehr förder-
dann kommen mit der Zeit auch immer mehr            lich, damit das Gefühl dafür entsteht, das ist
Menschen, die wenig Geld haben und aus              auch mein Stadtteil.
schlechteren sozialen Verhältnissen kommen.
Zuerst fliehen eher die Menschen mit akademi-
schen Ausbildungen und die, die Geld haben.

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Präsentation konkreter Projekte
In der Projektphase hatten die Teilnehmerin-     Die Projekte wurden in aller Kürze im Plenum
nen und Teilnehmer der Konferenz die Mög-        vorgestellt. Im Anschluss stand jedem Projekt
lichkeit, sechs verschiedene Projekte intensi-   in der Aula ein Platz zur Verfügung, an dem
ver kennenzulernen:                              sich die Interessierten einfinden konnten, um
                                                 sich dann intensiver mit den Akteuren über die
    das Communitiy Resiliency Model (CRM)       Projekte auszutauschen. Dieses Angebot wur-
     aus dem UKE                                 de intensiv und mit großem Interesse wahrge-
    die medizinische „first line“ Versorgung    nommen.
     aus dem Gesundheitsamt Altona
                                                 Es kam zu einem regen kollegialen Austausch
    das partizipative Fotoprojekt               und es wurden erste konkrete Verabredungen
     „metropolen Langenhorn“                     getroffen wie beispielsweise die Vereinbarung
                                                 einer Zahnpflegeaktion in einer Flüchtlingsun-
    REFUGIUM, ein Projekt der HAW Fakultät      terkunft, die Anmeldung zu einem CRM Seminar
     Life Sciences                               oder die Einladung eines Akteurs, das TEZ auf
    das Trauma-Erststabilisierungs-Zentrum      einer anderen Veranstaltung zu präsentieren.
     (TEZ)
    einen Workshop zur Zahnpflege vom
     Schulzahnärztlichen Dienst

                                                                                              29
Communitiy Resiliency Model (CRM)
Ein Outreach-Projekt des Universitätsklini-          rin unterstützen, sich in einem trauma- und
kums Hamburg-Eppendorf (UKE)                         resilienzinformierten Miteinander zu stabilisie-
                                                     ren. Da es sich nicht um Psychotherapie, son-
Das im vergangenen Jahr an der Klinik für Kin-       dern um ein Selbsthilfe-Modell zur Verbesse-
der- und Jugendpsychiatrie des UKE begonne-          rung von Selbstwirksamkeit und Wohlbefinden
ne Projekt möchte ergänzend zur Standard-            unter belastenden Bedingungen handelt, gilt
versorgung mit dem Community Resiliency              beim CRM der Leitsatz „Es geht um Biologie,
Model eine Peer-to-Peer-Intervention für Ge-         nicht um psychische Schwäche“.
flüchtete und Helfer anbieten, die sowohl der
Förderung gegenseitiger Unterstützung                Wie funktioniert das CRM?
stressbelasteter Individuen und Gruppen als
auch der Prävention dient.                           Das CRM dient der Stärkung von belasteten
                                                     Gemeinschaften, indem ein Verständnis für
Bei der Gesundheitskonferenz konnte ein sehr         typische biologische Reaktionen auf Stress
lebendiger Eindruck der Vielfalt und des Enga-       (Psychoedukation) sowie körperbasierte Übun-
gements bereits bestehender Initiativen ge-          gen zur Selbstberuhigung und Verbesserung
wonnen und hilfreiche Kontakte mit potenziel-        des Wohlbefindens (Stabilisierungstechniken)
len Kooperationspartnern geknüpft werden. In         unter besonderer Berücksichtigung der vor-
der aktuellen Projektphase wird dies fortge-         handenen Bedingungen vermittelt werden.
setzt, indem der Schwerpunkt auf dem intensi-        Hierzu werden Gemeinschaftsmitglieder zu
ven Austausch mit Akteuren in der Flücht-            „CRM-Lotsen“ ausgebildet, um zuerst sich
lingshilfe liegt, um den offiziellen Start im Feb-   selbst, dann Menschen in ihrem Umfeld zu helfen.
ruar 2017 mit einem interdisziplinären, mehr-        Die Techniken sind leicht zu lernen und für alle
sprachigen Trainer-Team möglichst gut vorzu-         Altersgruppen adaptierbar. Zum 2- bis 3-
bereiten.                                            tägigen Training gehört auch die gemeinsame
                                                     kulturelle Anpassung der Inhalte. Bei der Ver-
Was ist das CRM?
                                                     mittlung spezieller Kenntnisse zum entstigma-
Das Community Resiliency Model wurde von             tisierenden Umgang mit trauma- und stress-
Elaine Miller-Karas (Direktorin des Trauma Re-       bedingten Symptomen gilt dem Aspekt der ge-
source Institutes, Claremont CA) entwickelt,         genseitigen, resilienzorientierten Unterstüt-
um Individuen und ihre Gemeinschaften durch          zung besondere Aufmerksamkeit.
Hilfe zur Selbsthilfe bei der Bewältigung von        Angehende CRM-Lotsen werden als Teil des
potentiell traumatischer Stressbelastung zu          Trainings über die Erkennung von psychiatri-
unterstützen. Das Modell basiert auf neuro-          schem und psychotherapeutischem Behand-
wissenschaftlichen Erkenntnissen zu menschli-        lungsbedarf sowie diesbezügliche Handlungs-
chen Reaktionen auf Stress sowie zur Resili-         pfade aufgeklärt. Für diejenigen, die sich ent-
enz, d. h. zur “...Fähigkeit von Individuen und      scheiden, mit dem Modell in ihrem Umfeld tä-
Gemeinschaften, eigene und kollektive Stärken        tig zu werden, wird nachhaltige Unterstützung
zu erkennen und zu nutzen, das Leben im Hier         z. B. in Form von Gruppensupervision oder Be-
und Jetzt auskosten zu können und bei der Be-        ratung bei eigenen, ressourcen-stärkenden Ini-
wältigung des alltäglichen Lebens gut zu ge-         tiativen in ihrer Gemeinde angeboten.
deihen“ (Miller-Karas, 2013).

Das CRM ist auf die besonderen Bedingungen
ressourcenschwacher Kontexte ausgerichtet
und weltweit erprobt worden. Als biologisch
basierte Peer-to-Peer-Intervention kann das
CRM die Stigmatisierung psychisch belasteter
Menschen reduzieren und Gemeinschaften da-

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