WETTBEWERB IM TREIBHAUS: EU-EMISSIONSHANDEL UND CO2-GRENZAUSGLEICH - Eine Studie im Rahmen des Projekts "Sozial-ökologische Transformation der ...

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WETTBEWERB IM TREIBHAUS: EU-EMISSIONSHANDEL UND CO2-GRENZAUSGLEICH - Eine Studie im Rahmen des Projekts "Sozial-ökologische Transformation der ...
Thomas Fritz

WETTBEWERB IM TREIBHAUS:
EU-EMISSIONSHANDEL UND
CO2-GRENZAUSGLEICH
Eine Studie im Rahmen des Projekts
«Sozial-ökologische Transformation
der deutschen Industrie»
THOMAS FRITZ ist freier Autor und Berater in Berlin. www.thomas-fritz.org

IMPRESSUM
ONLINE-Studie 6/2022
wird herausgegeben von der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Zusammenarbeit
mit der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik e. V.
V. i. S. d. P.: Henning Heine
Straße der Pariser Kommune 8A · 10243 Berlin · www.rosalux.de
ISSN 2749-3156 · Redaktionsschluss: April 2022
Lektorat: Text-Arbeit, Berlin
Layout/Satz: MediaService GmbH Druck und Kommunikation

Diese Publikation ist Teil der Öffentlichkeitsarbeit der Rosa-Luxemburg-Stiftung.
Sie wird kostenlos abgegeben und darf nicht zu Wahlkampfzwecken verwendet werden.
INHALT
Zusammenfassung                                                          4

1 Einleitung: Emissionshandel und Grenzausgleich                         4

2 Gratiszertifikate und ihre Folgen                                      5

3 Carbon Leakage oder Porter-Hypothese?                                  7

4 Verlagerungsschutz: Freie Zuteilung und Strompreiskompensation         9

5 «Fit for 55»: Strengere Vorgaben für den Emissionshandel               10

6 CBAM: Zentrale Elemente des Grenzausgleichs                            11

7 Reaktionen auf den Kommissionsvorschlag                                12

8 Begrenzte Produktabdeckung: Ungleicher Anpassungsdruck                 15

9 Die umweltpolitische Effizienz des Grenzausgleichs                     16

10 Kostenabwälzung: Folgen für Drittstaaten                              17

11 Diskriminierung nicht preisbasierter Regulierung                      18

12 Ampelregierung: Klimaclub oder unilateraler Grenzausgleich?           19

13 Wettbewerb im Treibhaus: Defizite der kompetitiven Dekarbonisierung   21

Literatur                                                                22

Abkürzungsverzeichnis                                                    26
ZUSAMMENFASSUNG
Mit ihrem «Fit for 55»-Paket hat die EU-Kommission       sowie die Positionen von Unternehmensverbänden,
einen klimapolitischen Reformvorschlag unterbreitet,     Gewerkschaften und Umweltorganisationen. Der dis-
der erstmals größere Teile der Industrie unter stär-     kursive Rahmen, in dem sich diese Debatte bewegt,
keren Transformationsdruck setzen würde. Durch           lässt sich als der einer kompetitiven Dekarbonisierung
die strengeren Vorgaben für den Emissionshandel          bezeichnen – so die hier vertretene These. Die Wett-
könnte der CO2-Preis eine deutlichere Lenkungswir-       bewerbsstellung der heimischen Industrie in der öko-
kung entfalten und Vorhaben in der Industrie stimu-      logischen Transformation ist das dominierende Krite-
lieren, den CO2-Ausstoß zu reduzieren (Dekarbonisie-     rium im öffentlichen Diskurs. Andere Fragen geraten
rung). In den besonders energieintensiven Branchen       dadurch tendenziell in den Hintergrund: die Risiken
möchte die Kommission die bisherige freie Zuteilung      für Beschäftigte, die ökologische Wirksamkeit der
von Emissionszertifikaten schrittweise beseitigen und    Maßnahmen und der Transformationsbedarf in Dritt-
stattdessen einen CO2-Grenzausgleich etablieren.         staaten, vor allem in sogenannten Entwicklungs- und
Mittels dieser Importabgabe soll die Verlagerung von     Schwellenländern.
Emissionen in Drittstaaten – das sogenannte Carbon       Die Studie ist im Rahmen des von der Rosa-Luxem-
Leakage – verhindert werden.                             burg-Stiftung geförderten und von der Arbeitsgruppe
Die vorliegende Studie analysiert die Diskussion um      Alternative Wirtschaftspolitik unterstützten Projekts
den CO2-Grenzausgleich. Sie beschreibt die Bestand-      «Sozial-ökologische Transformation der deutschen
teile des Vorschlags, seine möglichen Wirkungen          Industrie» entstanden.

1 EINLEITUNG: EMISSIONSHANDEL UND GRENZAUSGLEICH
Die Europäische Union setzt mit ihren klimapoliti-       sen Zuteilung von Emissionszertifikaten profitierten
schen Regulierungen wichtige Rahmenbedingungen           (Witt 2022a). Die freie Zuteilung an energieintensive
für den angestrebten sozial-ökologischen Wandel          Unternehmen soll unter anderem dem Zweck dienen,
der deutschen Industrie. Diese Bedingungen sind          eine Verlagerung der Emissionen in Drittstaaten mit
im Laufe der Zeit mehrfach verändert, erweitert und      schwächerer Umweltregulierung zu verhindern, das
langsam verschärft worden.                               sogenannte Carbon Leakage.
Mit ihrem im Juli 2021 vorgestellten Gesetzespaket       Bei der im «Fit for 55»-Paket vorgeschlagenen
«Fit for 55» hat die Europäische Kommission nun wei-     Reform des Emissionshandels soll unter anderem
tere Maßnahmen vorgeschlagen, um den Kohlendi-           die Obergrenze von versteigerten und frei verge-
oxidausstoß der EU bis 2030 um mindestens 55 Pro-        benen Emissionszertifikaten jährlich im größeren
zent gegenüber 1990 zu senken und das in ihrem           Umfang abgesenkt, der Schiffsverkehr einbezogen
«Grünen Deal» angestrebte Ziel der Klimaneutralität      und ein separates Handelssystem für Emissionen
bis 2050 erreichen zu können. Zu diesen Maßnahmen        des Gebäude- und Verkehrssektors etabliert werden
gehören unter anderem eine Reform des EU-Emissi-         (Europäische Kommission 2021b). Da sie die Kli-
onshandels, höhere Reduktionsziele für die Sektoren      maziele höher stecken will, schlägt die Kommission
Verkehr, Gebäude und Industrie sowie strengere Flot-     zum Schutz vor Carbon Leakage einen CO2-Grenz-
tengrenzwerte für Pkw und Transporter (Europäische       ausgleich vor: Hierbei werden Importe in die EU mit
Kommission 2021a).                                       einer Abgabe belastet, die anhand ihres CO2-Gehalts
Das Herzstück der EU-Klimapolitik, der marktbasierte     und des CO2-Preises im EU-Emissionshandelssystem
Emissionshandel, betrifft Anlagen der Energiewirt-       ermittelt werden soll. Betroffen sind davon fünf Bran-
schaft und der energieintensiven Industrie sowie         chen: Eisen und Stahl, Aluminium, Zement, Dünge-
den innereuropäischen Flugverkehr. Um Treibhaus-         mittel und Stromerzeugung. In den vom Grenzaus-
gase ausstoßen zu dürfen, müssen Anlagenbetreiber        gleich erfassten Industriebranchen soll die Menge
Emissionszertifikate abliefern, die zuvor in Auktionen   der kostenlos zugeteilten Emissionszertifikate ab
verkauft oder frei vergeben wurden. Für die betrof-      2026 jährlich um 10 Prozent sinken, bis die freie Zutei-
fenen Industrieanlagen und Luftverkehrsunterneh-         lung 2035 ganz ausläuft (Europäische Kommission
men war der Anpassungsdruck allerdings bisher ver-       2021c).
gleichsweise gering, da sie – im Unterschied zu den      Doch inwieweit die schrittweise Ablösung der freien
Energieerzeugern – von einer weitgehend kostenlo-        Zuteilung durch den Grenzausgleich den Reform-

4
druck auf die bisher weitgehend geschützten Bran-                vorschlag weltweit zum ersten Mal ein einigerma-
chen wird erhöhen können, hängt von der konkreten                ßen ausgereiftes Konzept für ein solches Instrument
Ausgestaltung dieser Reform ab. Die Verhandlungen                vorgelegt. Die Studie beschreibt die wesentlichen
über die einzelnen Teile des Gesetzespakets haben                Bestandteile dieses Vorschlags, die wissenschaftliche
gerade erst begonnen und können sich über die kom-               Debatte über seine möglichen Wirkungen sowie die
menden zwei Jahre hinziehen. Wie die Kompromisse                 Positionen von Unternehmensverbänden, Gewerk-
zwischen dem Rat der EU, dem Europäischen Parla-                 schaften und Umweltorganisationen.
ment und der Kommission letztlich ausfallen werden,              Die Untersuchung ist Teil des von der Rosa-Luxem-
lässt sich nicht vorhersagen – zumal verschiedene                burg-Stiftung geförderten Projekts «Sozial-ökologi-
Interessengruppen, darunter Unternehmensver-                     sche Transformation der deutschen Industrie», in des-
bände, Gewerkschaften und Umweltorganisationen,                  sen Rahmen weitere Studien entstanden sind, die mit
die Verhandlungen zu beeinflussen versuchen.                     der vorliegenden in Zusammenhang stehen. Hierzu
Der Fokus der vorliegenden Studie liegt auf der der-             gehören etwa Untersuchungen zur deutschen Auto-
zeit sehr intensiv geführten politischen und wissen-             und Stahlindustrie sowie zu allgemeinen klimapoliti-
schaftlichen Diskussion um den CO2-Grenzausgleich.               schen Rahmenbedingungen oder zur Arbeitsmarkt-
Denn die EU-Kommission hat mit ihrem Verordnungs-                politik.

2 GRATISZERTIFIKATE UND IHRE FOLGEN
Das 2005 eingeführte EU-Emissionshandelssystem                   an (vor allem Eisen und Stahl, Chemie, Raffinerien,
ETS (Emissions Trading System) erfasst rund 11.000               Zement und Kalk, Papier und Zellstoff, Nichteisenme-
Anlagen der Energieerzeugung und der energieinten-               talle) (Deutsche Emissionshandelsstelle 2021).
siven Industrie, auf die rund 40 Prozent der EU-Treib-           In den ersten beiden Handelsperioden des EU-Emis-
hausgasemissionen entfallen. In Deutschland gehö-                sionshandelssystems ETS (2005–2007, 2008–2012)
ren dem System derzeit 903 stationäre Anlagen der                wurden die Emissionsrechte zu einem großen Teil
Energieerzeugung (Kraftwerke und Heizkraftwerke)                 kostenlos an die erfassten Anlagenbetreiber in der
und 914 der energieintensiven Industriebranchen                  Energieerzeugung und der Industrie ausgegeben.

Abbildung 1: Verhältnis von freien Zuteilungen zu Auktionen im EU-Emissionshandelssystem
(Emissionen in Millionen Tonnen CO2-Äquivalenten)

  3000

  2500

  2000

  1500

  1000

   500

     0
         2005   2006   2007   2008   2009   2010   2011   2012      2013         2014      2015     2016       2017   2018     2019   2020

                                                          kostenlose Zuteilung          Auktionen    Offsets          Emissionen        Cap

Quelle: European Environment Agency 2021

                                                                                                                                              5
Erst in der dritten Handelsperiode (2013–2020)                                                   Die Auktionierung betraf in erster Linie die erfass-
erhöhte sich der Anteil der Emissionszertifikate                                                 ten Energieanlagen: Seit der dritten Handelsperiode
(EUA – European Union Allowance), die per Auktion                                                erwarben die Stromerzeuger (mit Ausnahme einiger
versteigert wurden (siehe Abbildung 1).                                                          Anlagen in Osteuropa) ihre Emissionsrechte vollstän-

Abbildung 2: Emissionen der im ETS erfassten deutschen Anlagen des Energie- und Industriesektors
in den ersten drei Handelsperioden (in Mio. Tonnen CO2-Äquivalente)

    600,00

    500,00

    400,00

    300,00

    200,00

    100,00

      0,00
                 1. HP         2. HP    3. HP                         2013             2014           2015           2016      2017       2018        2019          2020

                                                                          Emissionen Energie            Emissionen Industrie   Emissionen n.m. ETS    geschätzte Emissionen

Quelle: Deutsche Emissionshandelsstelle 2021

Abbildung 3: Emissionen der im ETS erfassten deutschen Industrieanlagen 2020
(in Tonnen CO2-Äquivalente)

             sonstige
       mineralverarbeitende
             Industrie
                                                          Raffinerien
         8,0 Mio. t CO 2 -Äq
                                                       22,9 Mio. t CO 2 -Äq
                                                                                            Chemische
                                                                                              Industie
                                                                                         16,9 Mio. t CO 2 -Äq

                                                                                                                                                     Papier und Zellstoff
                                                                                                                                                     5,0 Mio. t CO 2 -Äq
                                                                                                            Sonstige
             Industrie                                                                                  8,1 Mio. t CO 2 -Äq
           und Baukalk
                                                                                                                                                     Nichteisenmetalle
         6,4 Mio. t CO 2 -Äq
                                                                                                                                                     2,5 Mio. t CO 2 -Äq
                                        Zementklinker
                                       20,1 Mio. t CO 2 -Äq
                                                                               Eisen und Stahl                                                       sonstige
                                                                              31,4 Mio. t CO 2 -Äq                                                   Verbrennungsanlagen
                                                                                                                                                     0,6 Mio. t CO 2 -Äq

Quelle: Deutsche Emissionshandelsstelle 2021

6
dig durch die Versteigerung der EUA. In der zweiten       fällt (siehe Abbildung 2). Diese haben aber im Betrach-
Handelsperiode waren sie noch in den Genuss von           tungszeitraum ihren Treibhausgasausstoß deutlich
50 Prozent der kostenlos vergebenen Berechtigun-          verringert, vor allem in den vergangenen zwei Jahren.
gen gekommen. Industrieanlagen dagegen profi-             Der Ausstoß der Industrieanlagen hingegen blieb über
tierten auch in der dritten Handelsperiode von einer      alle Handelsperioden nahezu konstant.
weitgehend kostenlosen Zuteilung, denn dem Groß-          Den größten Anteil an den Emissionen der in
teil der Anlagen wurde weiterhin ein Risiko der Emis-     Deutschland erfassten Industrieanlagen hat die
sionsverlagerung attestiert, das sogenannte Carbon        Eisen- und Stahlindustrie mit rund 28 Prozent, gefolgt
Leakage (dazu auch: Witt 2022a).                          von den Raffinerien (20 Prozent), der Zementklinker­
Die Gratiszertifikate schwächten den Anpassungs-          industrie (18 Prozent) und der chemischen Industrie
druck für die energieintensive Industrie, was sich auch   (15 Prozent). Geringere Anteile entfallen auf Anlagen
in der Emissionsentwicklung der vom ETS erfassten         der Mineralverarbeitung (Herstellung von Kalk, Glas
deutschen Anlagen widerspiegelt. Eine Übersicht           und Keramik), der Papier- und Zellstoffherstellung
der ersten drei ETS-Handelsperioden (2005–2007,           sowie der Nichteisenmetallindustrie (Herstellung und
2008–2012, 2013–2020) in Deutschland zeigt, dass          Verarbeitung von Aluminium, Kupfer, Blei und Zink)
zwar der größere Teil der Emissionen mit heute knapp      (siehe Abbildung 3).
zwei Dritteln noch immer auf die Energieanlagen ent-

3 CARBON LEAKAGE ODER PORTER-HYPOTHESE?
Die kostenlose Zuteilung von Emissionszertifikaten           tenden Auslandsstandorte können nicht nur kon-
an die energieintensiven Industriebranchen wird              kurrierende Unternehmen, sondern auch Auslands­
mit dem Schutz vor Carbon Leakage begründet. Die             töchter inländischer Konzerne sein.
EU-Kommission unterscheidet zwei Wege, auf denen          –	Investitions-Leakage: Am meisten Aufmerksamkeit
es zu dieser Emissionsverlagerung kommen könne.              in der politischen Debatte erfährt das längerfristig
Zum einen können Unternehmen mit Sitz in der EU              wirksame Investitions-Leakage, bei dem sich Pro-
CO2-intensive Produktionsteile ins Ausland verlagern,        duktionskapazitäten ändern. Zusätzliche produk-
zum anderen können emissionsärmere EU-Waren                  tive Investitionen fließen demnach stärker in Län-
von CO2-intensiveren Importen verdrängt werden.              der mit schwächerer Umweltgesetzgebung oder
Beides würde zu einer Verlagerung von Emissionen             einem niedrigeren oder nicht vorhandenen CO 2-
ins Nicht-EU-Ausland führen (Europäische Kommis-             Preis. Produktive Kapazitäten werden an den Aus-
sion 2021c).                                                 landsstandorten aufgebaut, an den inländischen
Auch in der wissenschaftlichen Literatur zu Carbon           Standorten dagegen abgebaut. Auch bei diesem
Leakage werden verschiedene theoretisch mögliche             Kanal können Auslandsstandorte konkurrierende
Wirkungskanäle diskutiert, die durch eine unilaterale        Unternehmen oder Auslandstöchter inländischer
Verschärfung der Umweltgesetzgebung oder ver-                Konzerne sein.
gleichbare Maßnahmen wie einen höheren CO2-Preis          –	Energiepreis-Leakage: Bei diesem eher indirekt wir-
entstehen können. Vier wesentliche Kanäle stehen             kenden Verlagerungskanal senkt beispielsweise die
dabei im Mittelpunkt: Produktions-, Investitions-,           EU-Klimapolitik den Verbrauch fossiler Brennstoffe
Energiepreis- und indirektes Leakage (Görlach et al.         in der EU, was – bei konstantem Angebot – deren
2020).                                                       Weltmarktpreis fallen lässt. Länder mit schwäche-
–	Produktions-Leakage: Bei der Emissionsverlage-            ren Klimavorgaben erhalten dadurch einen finan­
   rung lassen sich kurz- und langfristig wirksame           ziellen Anreiz, den Konsum fossiler Energie zu stei-
   Varianten unterscheiden. Als kurzfristig wirksamer        gern, was ihre Emissionen entsprechend erhöht.
   Verlagerungskanal gilt das Produktions-Leakage.        –	I ndirektes Leakage: Dieser Verlagerungskanal
   Aufgrund strengerer Umweltvorgaben erleiden               spielt in der Diskussion über den EU-Emissions-
   inländische Standorte Wettbewerbsnachteile                handel eine wichtige Rolle. Die von der Vollauktio­
   gegenüber ausländischen, sodass Produktions-              nierung betroffenen Stromerzeuger können die
   volumina und damit verbundene Emissionen vom              durch einen höheren CO2-Preis anziehenden Zerti-
   In- ins Ausland wandern. Die inländischen Produk-         fikatskosten in verschiedenem Maß an ihre Kunden
   tionskapazitäten bleiben zwar noch erhalten, doch         weiterreichen. Dabei erleiden besonders die ener-
   verlieren die inländischen Standorte Anteile auf          gieintensiven EU-Branchen internationale Wettbe-
   dem eigenen Markt. Die ihre Produktion auswei-            werbsnachteile durch den höheren Strompreis, der

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wiederum zu Produktions- und Emissionsverlage-           Dekarbonisierung der industriellen Produktion auch
  rungen ins Nicht-EU-Ausland führt.                       im globalen Maßstab angestoßen» (Fahl et al. 2021:
Quer zur Diskussion um diese Leakage-Kanäle                19 f.).
steht die derzeit wieder stärker debattierte Por-          Weitgehend unterbelichtet in dieser Debatte bleibt
ter-Hypothese. Diese besagt, dass eine konsistente         jedoch, wie sich eine solche wettbewerblich moti-
Umweltregulierung etwa in der EU – entgegen pes-           vierte Umweltregulierung auf die hierarchische Struk-
simistischeren Leakage-Szenarien – die Entwicklung         tur globaler Wertschöpfungsketten und die Beschäfti-
emissionsärmerer Produktionsverfahren stimulieren          gung im In- und Ausland auswirkt. Gleichwohl dürfen
und europäischen Unternehmen international einen           sich die Anhänger*innen der Porter-Hypothese durch
Wettbewerbsvorteil verschaffen könnte. Dank dieses         die bisherigen Erfahrungen mit dem EU-Emissions-
Vorsprungs könnte europäische Technologie klima-           handelssystem zumindest teilweise bestätigt fühlen.
schädlichere Produktion im Ausland ersetzen und die        Nachträgliche empirische Analysen (sog. Ex-post-Ana-
Emissionsbelastung global sinken – eine Win-Win-Si-        lysen) konnten bisher keine hinreichenden Belege
tuation für die Umwelt und zumindest die Anteilseig-       dafür finden, dass das EU-ETS einen signifikanten
ner*innen der innovativen Firmen.                          Effekt auf die Emissionsverlagerung an außereuro­
Diese techno-optimistische Hypothese geht auf die          päische Standorte ausgelöst hat. Keine oder nur
Betriebswirte Michael E. Porter und Claas van der          geringe ETS-induzierte Folgen attestieren empirische
Linde zurück. In einem gemeinsamen Beitrag von             Studien auch den energieintensiven und im interna-
1995 argumentieren sie, dass eine gut konzipierte          tionalen Wettbewerb stehenden Sektoren Stahl und
Umweltregulierung Innovationen auslösen könnte,            Zement. Gerade diese sogenannten EITE-Produzen-
die die Kosten ihrer Einhaltung für Unternehmen            ten (energy-intensive, trade-exposed) gelten jedoch
ausgleichen oder gar überkompensieren könnten.             als besonders anfällig für Verlagerungen. Etwas grö-
Gegenüber ausländischen Firmen, die schwächerer            ßeres Leakage, vor allem über den Energiepreiskanal,
Umweltregulierung unterworfen sind, könnten inno-          prognostizierten bisher nur Modellierungen im Vor-
vative Unternehmen absolute Wettbewerbsvorteile            aus, die die Folgen unilateral beschlossener höherer
erringen (Porter/Linde 1995). Die Möglichkeit, durch       CO2-Preise simulierten (sog. Ex-ante-Analysen). Doch
Umweltvorgaben Innovationen auszulösen, wird seit-         die Ergebnisse hängen stark von den Modellannah-
her als schwache Porter-Hypothese diskutiert, die          men ab und sind daher nur begrenzt aussagekräftig.
mögliche Schaffung von Wettbewerbsvorteilen als            Schließlich fanden einige empirische Studien auch
starke Porter-Hypothese.                                   Nachweise, die die Porter-Hypothese stützen. So habe
Mit ihrer Ankündigung, der «Grüne Deal» mitsamt            die EU-Umweltpolitik (d. h. nicht nur die Klimapolitik)
strengeren Klimavorgaben werde zu einer «ressour-          durchaus Innovationen anregen können, die sich in
ceneffizienten und wettbewerbsfähigen Wirtschaft»          Wettbewerbsvorteile für europäische Unternehmen
beitragen, gehört die EU-Kommission zu den Ver-            übersetzt hätten (Zachmann/McWilliams 2020).
fechter*innen der Porter-Hypothese (Europäische            Das Umweltbundesamt ließ kürzlich in einem grö-
Kommission 2019a: 2). Dies gilt auch für die Wis-          ßeren Projekt untersuchen, ob das EU-ETS zu Inves-
senschaftler*innen des vom Bundesforschungsmi-             titions-Leakage beigetragen haben könnte. Auch
nisterium geförderten Ariadne-Projekts, das sich mit       diese Untersuchung bestätigt bisherige Befunde:
dem Zusammenhang von strengeren Klimavorgaben,             «Investitions-Leakage mag politisch hoch relevant
möglichem Leakage und der Wettbewerbsfähigkeit             sein – empirisch lässt es sich bislang nicht feststellen,
der hiesigen Industrie auseinandersetzte (Fahl et al.      weder in Deutschland noch Europa.» (Görlach et al.
2021).                                                     2020: 97) Weder Fallstudien aus den EITE-Sektoren
«Das Festhalten an bestehenden Technologien und            noch Unternehmensbefragungen stützen demnach
Strukturen» und deren Förderung durch Subventio­           die These, dass der CO2-Preis eine relevante Rolle
nen und Gratiszertifikate könne «eine erfolgreiche         bei Investitionsentscheidungen spielt. Dies gelte für
Zukunft gefährden», warnt die Ariadne-Gruppe und           Modernisierungen am inländischen Standort ebenso
betont: «Stärkere Umwelt- bzw. Klimapolitik kann           wie für mögliche Verlagerungen ins Ausland. Bisher
auch frühzeitig Innovationen in Unternehmen antrei-        seien im unternehmerischen Kalkül andere Kriterien
ben (schwache Porter-Hypothese) und durch die              maßgeblich: «Investitionsentscheidungen scheinen
resultierenden Verbesserungen von Produkten oder           stärker vom Zugang zu wachsenden Märkten, Roh-
Prozessen in mittlerer bis langer Frist ihre internatio-   stoffen, qualifizierten Mitarbeitern, Infrastruktur etc.
nale Wettbewerbsfähigkeit sogar erhöhen (starke Por-       getrieben zu sein.» (Ebd.: 98)
ter-Hypothese).» Wenn es der Klimapolitik gelinge,         Allerdings stehen diese bisherigen Untersuchungen
die industrielle Basis in Deutschland und der EU zu        unter dem Vorbehalt, sich meist auf die ersten beiden
stärken, überzeuge das auch Nachzügler. Auf diese          Handelsperioden des ETS zu beziehen, in denen der
Weise «würde Carbon-Leakage nicht nur verhindert,          Preis der Emissionszertifikate (EUA) noch sehr nied-
es würde über den Technologiepfad stattdessen eine         rig war. Entsprechend gab es kaum relevante Preis­

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Abbildung 4: Preis der Emissionsberechtigungen im EU-ETS in Euro pro Tonne CO2, gemessen an
Notierungen von Futures (Termingeschäfte, bei denen der zukünftige Kauf oder Verkauf bestimmter
Produkte zu einem zuvor festgelegten Preis vertraglich vereinbart wird)

   100

    80

    60

    40

    20

     0
           2009    2010   2011    2012       2013   2014   2015   2016   2017   2018   2019   2020    2021   2022

Quelle: Sandbag 2022 (Daten vom 21.2.2022)

steigerungen, die Produktions- oder Investitions-­            Entsprechend kann nicht ausgeschlossen werden,
Leakage hätten auslösen können. Noch in den ersten            dass ein dauerhaft höheres Preisniveau im EU-ETS
Jahren der dritten Handelsperiode bewegte sich der            auch zu einer stärkeren Emissionsverlagerung bei-
EUA-Preis bei weniger als 10 Euro pro Tonne CO2. Erst         trägt. Doch auch wenn der CO2-Preis künftig stärker
ab 2018 erholte er sich auf ein Niveau von zunächst           steigen sollte, wird er nicht allein ausschlaggebend
20 Euro, im Folgejahr auf knapp 30 Euro. Ab 2021,             für Produktions- und Investitionsentscheidungen
in der gegenwärtigen vierten Handelsperiode, klet-            der energieintensiven Industrien sein. Wie sich seine
terte der EUA-Preis schließlich deutlich in die Höhe.         Bedeutung im Verhältnis zu anderen Faktoren entwi-
Anfang 2022 erreichte er Werte von teils über 90 Euro         ckelt, werden künftige empirische Untersuchungen
(siehe Abbildung 4).                                          zu zeigen haben.

4 VERLAGERUNGSSCHUTZ: FREIE ZUTEILUNG UND
STROMPREISKOMPENSATION
Auf EU-Ebene gibt es im Wesentlichen zwei Mecha-              Die EU hat einen komplexen Mechanismus zur
nismen, um das Leakage-Risiko für die energieinten-           Bestimmung der Anlagenbetreiber entwickelt, die
siven Industriesektoren einzudämmen: die kosten-              berechtigt sind, Emissionszertifikate kostenlos zuge-
lose Zuteilung der Emissionsberechtigungen und                teilt zu bekommen (BMU 2018). Wichtigstes Ele-
eine Strompreiskompensation. Daneben kommt                    ment ist dabei die Carbon-Leakage-Liste, die all jene
die energieintensive Industrie in Deutschland in den          Industriesektoren erfasst, denen die EU-Kommission
Genuss beträchtlicher weiterer Subventionen. So               ein signifikantes Verlagerungsrisiko bescheinigt. Die
profitiert sie unter anderem von Vergünstigungen bei          betreffenden Unternehmen erhalten den Großteil
der Energiesteuer, der Stromsteuer, der EEG-Umlage,           ihrer erforderlichen Zertifikate kostenlos zugeteilt
den Konzessionsabgaben, den Netzentgelten und                 (Europäische Kommission 2019b).
der Umlage für Anlagen der Kraft-Wärme-Kopplung               Produzieren die einzelnen Betriebe genauso effizient
(Reuster et al. 2019).                                        wie die 10 Prozent der effizientesten Anlagen ihres

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Sektors (gemessen u. a. an 52 produktspezifischen         Mitgliedstaaten Mehrkosten erstatten dürfen. Im
Benchmarks), so bekommen sie sogar 100 Prozent            Gegenzug müssen die begünstigten Unternehmen
der erforderlichen Zertifikate kostenlos (Europäi-        bestimmte Auflagen erfüllen, die sie zu einer verbes-
sche Kommission 2021d). Verfehlen sie dagegen             serten Energieeffizienz verpflichten und ebenfalls
den jeweiligen Benchmark, so müssen sie Zertifikate       anhand von Benchmarks gemessen werden. Für die
zukaufen, sei es bei Auktionen oder auf dem Sekun-        vierte ETS-Handelsperiode reformierte die Kommis-
därmarkt für EU-Emissionsrechte. Durch die großzü-        sion die Beihilfeleitlinien im Jahr 2021. Sie senkte
gige Ausgestaltung des Carbon-Leakage-Schutzes            dabei die bisher mögliche maximale Erstattung von
konnte die Industrie bis ins vergangene Jahr hinein       85 Prozent der Strommehrkosten auf 75 Prozent
rund 95 Prozent ihrer Emissionen durch Gratiszertifi-     (Europäische Kommission 2021e).
kate abdecken (Carbon Market Watch 2021a).                In einem ersten Entwurf der reformierten Leitlinien
Die Strompreiskompensation wiederum erlaubt               vom Januar 2020 hatte die Kommission zudem
den EU-Mitgliedstaaten, Mehrkosten zu erstatten,          geplant, die Anzahl der begünstigten Sektoren deut-
die bestimmten energieintensiven Unternehmen              licher zu verkleinern. Das führte jedoch zu Protesten
durch ETS-induzierte Strompreiserhöhungen ent-            unter den betroffenen Branchen, nicht ohne Erfolg: In
stehen (die sog. indirekten CO2-Kosten). Sie federt       der endgültigen Fassung vom September 2020 tau-
mithin das Risiko des indirekten Leakage ab – einer       chen einige der Sektoren wieder auf, die die Kommis-
der diversen Kanäle, durch die Emissionen interna-        sion ursprünglich hatte weglassen wollen (darunter
tional verschoben werden können (siehe Kapitel 3).        Teile der Nichteisenmetallindustrie). Ausgeschlos-
Die Strompreiskompensationen erfolgen aus einem           sen wurden indes Hersteller von Düngemitteln und
Teil der nationalen Einnahmen aus den Versteigerun-       bestimmten Stahlrohren. Dagegen nahm die Kom-
gen der Emissionszertifikate. Diese Erstattungen sind     mission Wasserstoff erstmals als einen Sektor auf,
EU-rechtlich eine genehmigungspflichtige Beihilfe,        dessen indirekte CO2-Kosten künftig kompensiert
die die Kommission in spezifischen Leitlinien regelt.     werden dürfen (Simon 2020).
Auch für die Strompreiskompensation legt die
Kommission in einer Liste Sektoren fest, denen die

5 «FIT FOR 55»: STRENGERE VORGABEN FÜR
DEN EMISSIONSHANDEL
Branchenverbände der energieintensiven Indus­trie         Emissionshandel einen größeren Beitrag leisten. In
fürchten, dass bereits die gegenwärtig geltenden          ihrem Gesetzespaket schlägt die Kommission daher
Regelungen für die vierte Handelsperiode des EU-ETS       für die ETS-Sektoren vor, das Reduktionsziel von
(2021–2030) das Risiko von Emissionsverlagerungen         bisher 44 Prozent auf 61 Prozent gegenüber 2005 –
verstärken können. So sinkt die Emissionsobergrenze       dem Jahr der Einführung des Emissionshandelssys-
der erfassten Anlagen (der sog. Cap) durch einen line-    tems – deutlich zu erhöhen (Europäische Kommission
aren Kürzungsfaktor jährlich um 2,2 Prozent – von         2021a).
knapp 1,8 Milliarden auf 1,3 Milliarden EUA. Entspre-     Für die Umsetzung des nachjustierten ETS-Ziels soll
chend schrumpft auch die Anzahl der zu versteigern-       der lineare Kürzungsfaktor für die vierte Periode von
den und kostenlos zu vergebenden Zertifikate. Der         2,2 auf 4,2 Prozent erhöht werden, sodass die Ober-
Anteil der zu versteigernden EUA soll in der vierten      grenze der Zertifikate nahezu doppelt so schnell
Periode 57 Prozent betragen, derjenige der kostenlos      schrumpfen würde wie bisher. Auch wenn das «Fit for
zu vergebenden 43 Prozent. Allerdings werden 3 Pro-       55»-Paket möglicherweise erst in ein bis zwei Jahren
zent der Zertifikate in einen Sicherheitspuffer für die   in Kraft treten kann, soll der neue Cap rückwirkend
kostenlose Zuteilung überführt, sodass der zu verstei-    vom Jahr 2021 an gelten und die Differenz durch
gernde Anteil bis auf 54 Prozent schrumpfen kann          eine einmalige Kürzung der Obergrenze im Jahr des
(BMU 2018).                                               Inkrafttretens des Pakets ausgeglichen werden, das
Diese ETS-Regelungen möchte die EU-Kommis-                sogenannte Rebasing.
sion mit ihrem «Fit for 55»-Paket nun noch einmal         Um das Risiko von Carbon Leakage angesichts des
nachschärfen. Ihre Begründung: Um bis 2030 das            ambitionierteren ETS-Ziels einzugrenzen, schlägt die
nunmehr ambitioniertere Reduktionsziel von 55 Pro-        Kommission, wie eingangs beschrieben, die Einfüh-
zent gegenüber 1990 zu erreichen, müsse auch der          rung eines CO2-Grenzausgleichs vor (Carbon Border

10
Adjustment Mechanism – CBAM). In den hiervon              möchte die Kommission aber nicht nur das Verlage-
betroffenen Industriebranchen soll die Menge der          rungsrisiko minimieren, sondern auch einen Anreiz
kostenlos zugeteilten Emissionszertifikate ab 2026        für die Dekarbonisierung der Industrie in Drittstaaten
jährlich um 10 Prozent sinken, bis die freie Zutei-       schaffen (Europäische Kommission 2021b).
lung 2035 ganz ausläuft. Mit dem CBAM-Vorschlag

6 CBAM: ZENTRALE ELEMENTE DES GRENZAUSGLEICHS
Die Einführung eines CO2-­Grenzausgleichssystems             Materialien und ist kleiner als die Produktpalette,
hatte die EU-Kommission bereits im Dezember                  die die von der Carbon-Leakage-Liste erfassten
2019 im Rahmen ihres «Grünen Deals» angekün-                 Branchen herstellen und dafür Gratiszertifikate
digt. Den CBAM wolle sie gemeinsam mit einer                 erhalten.
weiteren Reform des ETS auf den Weg bringen. Um           –	Der Grenzausgleich soll nur auf die direkten Emis-
dafür einen Gesetzesvorschlag vorzubereiten, lud             sionen erhoben werden, die bei der Herstellung der
sie zunächst von März bis April 2020 zu Stellungnah-         erfassten Importwaren und ihrer Vorprodukte ent-
men ein. Daran schloss sich eine öffentliche Konsul-         standen sind. Lassen sich bei komplexeren Produk-
tation vom 22. Juli bis 28. Oktober 2020 auf Basis           ten die Emissionen nicht angemessen ermitteln,
eines umfassenden Fragebogens an. In diesem bat              will die Kommission stattdessen Standardwerte
die Kommission um Einschätzungen zu diversen                 zugrunde legen. Nicht erfasst werden vorerst die
Design-Optionen des Grenzausgleichs (European                indirekten Emissionen des Stroms, der bei der Her-
Commission 2021a). Sie stellte dabei unter anderem           stellung der Importgüter verbraucht wurde.
vier grundlegende Optionen zur Diskussion:                –	Der Mechanismus startet für eine Übergangszeit
1)	eine Grenzsteuer auf Importe, die Sektoren mit           von 2023 bis 2025 zunächst ohne finanzielle Ver-
    hohem Carbon-Leakage-Risiko betreffen;                   pflichtungen. In dieser Zeit sollen Importeure vier-
2)	eine Ausweitung des EU-ETS auf Importe, sodass           teljährliche CBAM-Berichte an die zuständigen
    ausländische Produzenten oder Importeure Emis-           natio­nalen Behörden der EU-Mitglieder übermit-
    sionszertifikate erwerben müssen und ebenfalls           teln. Diese enthalten Informationen über die Menge
    der Emissionsobergrenze, dem Cap, unterworfen            der Importwaren, die darin enthaltenen direkten
    wären;                                                   und indirekten Emissionen sowie über gegebenen-
3)	die Pflicht zum Kauf von Emissionsberechtigungen         falls im Herstellungsland gezahlte CO2-Preise.
    für Importe aus einem Pool von Zertifikaten außer-    –	Erst ab 2026 müssten Importeure spezielle CBAM-­
    halb des ETS (d. h. ohne Cap), deren Preis jedoch        Zertifikate erwerben und bei den nationalen Behör-
    den ETS-Preis widerspiegelt;                             den einreichen, die die in den Importwaren enthal-
4)	eine CO2-Steuer auf den Verbrauch von Produkten          tenen Emissionen widerspiegeln sollen. Ihr Preis
    verlagerungsgefährdeter Sektoren, die sowohl auf         orientiert sich an den wöchentlichen Auktionsprei-
    die inländische Produktion als auch auf die Importe      sen der EU-Emissionszertifikate (EUA). Darüber
    erhoben wird (ähnlich einer Verbrauchs- oder             hinaus weist der Mechanismus wichtige Unter-
    Mehrwertsteuer).                                         schiede zum ETS auf: Die CBAM-Zertifikate dürfen
Der CBAM-Vorschlag, den die Kommission schließ-              nicht gehandelt werden und unterliegen auch kei-
lich am 14. Juli 2021 präsentierte, folgt im Wesentli-       ner Obergrenze (wie dem Cap im ETS).
chen der dritten Variante, die sie in der Konsultation    –	Der Verordnungsentwurf bietet Importeuren die
zur Diskussion gestellt hatte. Er ist eng verbunden mit      Möglichkeit, einen gegebenenfalls im Ausland
der parallel angestrebten schrittweisen Beseitigung          gezahlten CO2-Preis auf den in der EU verlangten
der Gratiszertifikate für die von dem Mechanismus            Grenzausgleich anrechnen zu lassen. Die Menge
erfassten Industriesektoren (Europäische Kommis-             der abzugebenden CBAM-Zertifikate könnte dann
sion 2021 f.). Zu den wichtigsten Elementen des Vor-         sinken. Die Methodik der Anrechnung und der
schlags gehören die folgenden:                               erforderlichen Nachweise wird die Kommission in
–	Der Grenzausgleich soll vorerst auf die Treibhaus-        weiteren Rechtsakten erlassen.
   gasemissionen von Importwaren aus vier Industrie­      –	Die Ausgabe der CBAM-Zertifikate ab 2026 soll
   sektoren (Eisen und Stahl, Aluminium, Zement,             parallel zur Kürzung der Gratiszertifikate für die vom
   Düngemittel) sowie auf die EU-Importe von Strom           CBAM erfassten Sektoren erfolgen. Die Menge der
   erhoben werden. Die Auswahl der Industriegüter            kostenlos zugeteilten Emissionszertifikate soll ab
   beschränkt sich auf bestimmte Grundstoffe und             2026 jährlich um 10 Prozent sinken, bis die freie

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Zuteilung 2035 ganz ausläuft. Die Kommission            vom CBAM erfassten Sektoren sollen in den allge-
   schreibt, dass «die Einführung des CBAM für die         meinen EU-Haushalt fließen. Der CO2-Grenzaus-
   betroffenen Produkte schrittweise und direkt pro-       gleich wurde bereits im Dezember 2020 als eine
   portional zur Verringerung der Vergabe kostenlo-        potenzielle neue Eigenmittelquelle der EU für die
   ser Zertifikate für die entsprechenden Branchen»        Rückzahlung der unter dem Aufbauplan «NextGe-
   erfolge (Europäische Kommission 2021c). In wei-         nerationEU» aufgenommenen Kredite ausgewie-
   teren Rechtsakten will die Kommission konkrete          sen (Europäische Kommission o. J.).
   Berechnungsmethoden für die Kürzung der kosten-       Die Ausgestaltung des Mechanismus kann sich im
   losen Zuteilungen und die parallele Einführung der    Laufe der nun anstehenden Verhandlungen noch
   CBAM-Zertifikate erlassen.                            erheblich verändern. Die Kommission kündigte schon
–	D er Mechanismus sieht keinen Ausgleich für           selbst mögliche Modifikationen an. So will sie bis zum
   Exporte der energieintensiven Branchen vor, die       Ende des dreijährigen Übergangszeitraums prüfen,
   von der Kürzung von Gratiszertifikaten betroffen      ob auch die indirekten Emissionen aus Strom, der bei
   sind und künftig größere Mengen an Emissionsbe-       der Herstellung der Importgüter verbraucht wurde,
   rechtigungen erwerben müssen.                         erfasst werden sollen. Ebenso will sie in dieser Zeit
–	Grundsätzlich betrifft der CBAM alle Nicht-EU-Län-    entscheiden, ob der Anwendungsbereich des CBAM
   der. Ausgenommen vom Anwendungsbereich sind           auf weitere Produkte und Dienstleistungen, auch ent-
   lediglich Drittstaaten, die am EU-ETS teilnehmen      lang der jeweiligen Wertschöpfungsketten, ausge-
   (Island, Liechtenstein, Norwegen) oder mit ihm        weitet werden soll.
   verbunden sind (Schweiz). Da Großbritannien mit       Daneben hat die Kommission im Zeitraum vom
   dem Brexit auch das EU-ETS verlassen hat, würden      15. Juli bis zum 18. November 2021 zur Abgabe von
   vorerst auch britische Exporte in die EU durch den    Stellungnahmen über den jetzigen CBAM-Verord-
   Grenzausgleich belastet.                              nungsentwurf aufgerufen. Eine Übersicht der einge-
–	Die Einnahmen durch den Grenzausgleich und die        gangenen Rückmeldungen findet sich auf ihrer haus-
   Auktionierung von Emissionsberechtigungen der         eigenen Website (Europäische Kommission 2021g).

7 REAKTIONEN AUF DEN KOMMISSIONSVORSCHLAG
Ein Überblick über den Rücklauf zur CBAM-Konsul-         Für die Schaffung eines internationalen Klimaclubs
tation der EU-Kommission im Jahr 2020 zeigt, dass        anstelle eines unilateralen Grenzausgleichs hatte sich
sich Industrievertreter*innen weit stärker als andere    im Februar 2021 bereits der Wissenschaftliche Bei-
gesellschaftliche Gruppen an der Diskussion auf          rat des Wirtschaftsministeriums ausgesprochen. Die
EU-Ebene beteiligen. 345 der 617 eingegangenen           Mitgliedstaaten des Klimaclubs sollten sich auf einen
Stellungnahmen (d. h. 56 Prozent) stammen von            gemeinsamen CO2-Mindestpreis einigen, sodass ein
Unternehmen und Wirtschaftsverbänden. Lediglich          Grenzausgleich im Handel unter den Clubmitgliedern
sechs wurden von Gewerkschaften eingereicht, drei        entfallen könnte, gegenüber Drittstaaten jedoch ein-
von Umweltorganisationen (Europäische Kommis-            geführt werden würde. Der in der EU geplante Gren-
sion 2021g).                                             zausgleich solle insofern eher als Anreiz für Drittstaa-
Auch zum aktuellen Kommissionsvorschlag zur Ein-         ten dienen, dem angestrebten Klimaclub beizutreten.
führung eines CO2-Grenzausgleichssystems meldete         Je größer dieser sei, umso geringer sei das Risiko
sich die Industrie bereits zu Wort. Der Bundesver-       handelspolitischer Spannungen (BMWi 2021).
band der deutschen Industrie (BDI) begrüßt das «Fit      Neben der Gründung eines internationalen Klimaclubs
for 55»-Paket grundsätzlich, verlangt aber mehr poli-    fordert der BDI die Beibehaltung der existierenden
tische Unterstützung, damit «unsere Industrie trotz      Maßnahmen gegen Emissionsverlagerung: «Ein ver-
Dekarbonisierung global wettbewerbsfähig bleibt»         lässlicher Carbon-Leakage-Schutz über die erprobten
(BDI 2021a). Den CBAM-Vorschlag bezeichnet der           Instrumente des EU-Emissionshandelssystems ETS
Verband als «verfrüht». Statt internationale Handels-    ist unter keinen Umständen verhandelbar und sollte
streitigkeiten zu befeuern, solle die EU sich für eine   eher noch verstärkt werden.» Entsprechend kritisiert
Internationalisierung der CO2-Bepreisung und einen       der Verband die von der Kommission angestrebte
«globalen Klimaclub mit Europas wichtigsten Han-         Substitution der Gratiszertifikate: «CO 2-Grenzaus-
delspartnern» einsetzen. Die klimapolitischen Spiel-     gleichsmechanismen (CBAM) sind keine Alternative
regeln müssten angeglichen werden, um ein «Level-        zu freien Zuteilungen über das Emissionshandelssys-
Playing-Field» zu erreichen (BDI 2021b).                 tem ETS. Sie sind missbrauchsanfällig und riskieren

12
neue Handelskonflikte» (BDI 2021c). Gleichwohl lehnt        Diese Verlagerung erklärt der Verband damit, dass
der BDI den Mechanismus nicht grundsätzlich ab, will        sich der Grenzausgleich auf Grundstoffe und Pri-
ihn aber erheblich verzögern: «Eine zehnjährige Über-       märgüter beschränke, was das Abwanderungsrisiko
gangsfrist für einen neuen Klimazoll (CBAM) ist für         lediglich auf spätere Stufen der Wertschöpfungskette
mehr Planungs- und Investitionssicherheit besser als        verschiebe. So werde es etwa für die Autoindustrie
eine abrupte Einführung dieses neuen, unerprobten           günstiger, in Drittstaaten produzieren zu lassen, wo
Instruments.» (BDI 2021a)                                   wichtige Grundstoffe künftig billiger seien als in der
Da der CBAM-Vorschlag lediglich einen Aufschlag             EU. Ihre Kfz-Teile und Wagen könnten die Hersteller
auf die Importe in die EU vorsieht, verlangt der BDI        anschließend in der EU absetzen, ohne den Grenz-
zusätzlich die Einführung eines «WTO-konformen              ausgleich zahlen zu müssen, da dieser Halbzeuge
Mechanismus zur Behandlung von Exporten». Die               (d. h. vorgefertigte Rohmaterialien) und Endprodukte
deutsche Industrie bleibe sehr exportorientiert,            nicht erfasse. «Damit ein CBAM wirksam sein kann»,
daher sei die Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit            müsse er daher «auch bei Halbzeugen und Endpro-
der EU-Exporte eine zentrale Voraussetzung für den          dukten» ansetzen (WirtschaftsVereinigung Metalle
Erfolg des Mechanismus (BDI 2021b: 17 ff.).                 2020).
Kritischer als der BDI positioniert sich die Wirtschafts-   Diese Forderung indes erscheint handelspolitisch
vereinigung Stahl. Dem Klimapaket fehle eine indus-         kaum durchsetzbar. Hieße das doch, die durch den
triepolitische Perspektive, moniert der Verband. Die        CBAM erfasste Produktpalette gegenüber den im
verschärften ETS-Vorgaben erhöhten die Gefahr von           EU-ETS erfassten energieintensiven Branchen und
Wettbewerbsnachteilen, begünstigten Leakage und             deren Produkten erheblich zu erweitern. Handelspart-
behinderten aufgrund der Zusatzkosten die Transfor-         ner würden darin vermutlich eine erhebliche Diskri-
mation der Stahlindustrie. Besonders kritisiert wird        minierung ausländischer gegenüber inländischen
das Auslaufen der Gratiszertifikate, für die der Grenz­     Anbietern erblicken und damit einen Verstoß gegen
ausgleich kein adäquater Ersatz sei: Er allein könne        das WTO-Recht. Denn der CBAM würde in dem Fall
«nicht verhindern, dass Stahl künftig in anderen Regi-      nicht nur die durch höhere CO2-Preise im ETS erfass-
onen der Welt mit geringeren Klimaschutz-Auflagen           ten Sektoren kompensieren, sondern weit mehr
produziert wird». Zudem könnten «ausländische               EU-Branchen, die derzeit nicht am Emissionshandel
Wettbewerber Wege finden, den Zoll zu umgehen».             teilnehmen.
Als weiterer zentraler Kritikpunkt wird angeführt, dass     In ihrer jüngsten Stellungnahme moniert die Wirt-
«beim derzeitigen Vorschlag Exporte nicht berück-           schaftsVereinigung Metalle zudem, dass der Kom-
sichtigt» werden. Daher stelle dieser weder auf dem         missionsvorschlag keine Lösung für die Exporte
europäischen Markt noch auf Drittmärkten Chan-              vorsehe. Damit aber entstünden erhebliche Wettbe-
cengleichheit her. Entsprechend drohten «Verluste           werbsnachteile für deutsche Aluminiumhersteller auf
von Produktion, Wertschöpfung und Arbeitsplätzen»           Märkten außerhalb der Union. Die Forderung des Ver-
(Wirtschaftsvereinigung Stahl 2021).                        bands: «Daher müssen in der EU produzierte Güter,
Noch größer ist die Ablehnung des Klimapakets               die aus der EU exportiert werden, eine Erstattung für
aufseiten der WirtschaftsVereinigung Metalle, des           die nicht durch bestehenden Carbon-Leakage-Schutz
Dachverbands von Herstellern und Verarbeitern               kompensierten CO2-Kosten erhalten.» (Wirtschafts-
von Nichteisenmetallen wie Aluminium, Kupfer,               Vereinigung Metalle 2021b)
Zink und Blei. Der Verband sieht dringenden Nach-           Der Verband der Chemischen Industrie (VCI) bläst
besserungsbedarf, weil die Vorschläge die Wettbe-           ins gleiche Horn. Er kritisiert, dass die «bewährten
werbsfähigkeit der Nichteisenmetallindustrie «mas-          Entlastungsregeln im EU-Emissionshandel stark
siv beeinträchtigen», vor allem durch das Auslaufen         zurückgefahren und stattdessen CO2-Grenzabgaben
der Gratiszertifikate. Da sich die Energiekosten für        eingeführt werden sollen. Diese werden die export­
die Branche bereits erhöht hätten, brauche es noch          orientierte chemisch-pharmazeutische Industrie
stärkerer Unterstützung: «Nicht weniger, sondern            im internationalen Wettbewerb aber nicht wirksam
mehr Carbon-Leakage-Schutz ist erforderlich.» Den           schützen.» Die Signale der Handelspartner zeigten,
Grenzausgleich lehnt die WirtschaftsVereinigung             dass der «Laborversuch mit Grenzsteuern» gefährlich
Metalle grundsätzlich ab: «Leider plant die EU-Kom-         und «zum Scheitern verurteilt» sei (VCI 2021a).
mission auch weiterhin die Einführung eines CBAM»,          Seine Ablehnung des CBAM hatte der Verband
bedauert der Verband. «Wir halten das Instrument            bereits bei der EU-Konsultation zum Ausdruck
für gänzlich ungeeignet, um international vergleich-        gebracht: «Aus Sicht des VCI sind Grenzausgleichs-
bare Rahmenbedingungen in der NE-Metallindustrie            maßnahmen ganz grundsätzlich kein Ersatz für beste-
herzustellen.» Es sei sogar damit zu rechnen, «dass         hende Schutzinstrumente (auskömmliche kostenlose
sich die Herstellung von Erzeugnissen, die nicht vom        Zuteilung, Strompreiskompensation) gegen eine
CBAM umfasst sind, in Länder außerhalb der EU ver-          Abwanderung von CO2-Emissionen.» Diese Instru-
lagert» (WirtschaftsVereinigung Metalle 2021a).             mente müssten «sogar ausgebaut werden». Sollte

                                                                                                               13
ein Grenzausgleichsregime eingeführt werden, seien      stimmte CO2-Bepreisung gerichtet sein, die sich am
«Exporterstattungen» erforderlich. Diese «aus wirt-     Emissionshandel ausrichtet und mit den WTO-Regu-
schaftlicher Betrachtung unverzichtbare Bedingung»      larien vereinbar ist». Anders als die übrigen Verbände
stehe aber dem Kommissionsinteresse entgegen,           spricht sich der VDA allerdings dafür aus, im Rahmen
Einnahmen zu generieren (VCI 2020: 3).                  einer CBAM-Einführung «bisherige nationale Aus-
In einem Hintergrundartikel erläutert der VCI die       gleichsmaßnahmen, wie z. B. die kostenfreie Zutei-
jeweils unterschiedlichen Wirkungen auf Grundstoff-     lung […] oder die Strompreiskompensation […] zu
produzenten und weiterverarbeitende Betriebe. Der       ersetzen» (VDA 2021: 4 ff.).
CBAM werde nur ausgewählte EU-Produzenten vor           Auf gewerkschaftlicher Seite machte die IG Metall
ausländischer Konkurrenz schützen, die dann aber        «Licht und Schatten» im «Fit for 55»-Paket aus. Die
Gratiszertifikate verlören. Weiterverarbeiter dagegen   Verknappung der Emissionszertifikate sei zwar für
zahlten die ETS-induzierten Mehrkosten ihrer inlän-     die Industrie eine Herausforderung: «Doch höhere
dischen Zulieferer oder die CBAM-induzierten Mehr-      Anstrengungen scheinen hier angemessen und im
kosten auf Importgüter. Hinzu komme, dass keine der     Zeitverlauf auch machbar.» Allerdings müsse jede
beiden Gruppen eine Kompensation für ihre verteuer-     Branche individuell betrachtet werden. Insbesondere
ten Exporte erhielte (VCI 2021b).                       die Stahlindustrie brauche weiter die freie Zuteilung.
Im bisherigen Vorschlag werde die chemische Indus-      Begrüßenswert sei aber der gegenüber früheren
trie vorerst nur durch die Düngemittel einbezogen,      Entwürfen «relativ langsame Pfad der Abschmel-
wozu allerdings auch die Vorprodukte Ammoniak und       zung». Auch zum CBAM findet die Gewerkschaft
Salpetersäure gehörten – wichtige Rohstoffe auch        freundliche Worte: «Ebenfalls zu begrüßen ist der
anderer Branchen, wie der VCI betont. Steigende         Vorschlag eines CO2-Grenzausgleichs für Importpro-
Kosten des Emissionshandels und der CBAM-Auf-           dukte.» Zusammen mit der freien Zuteilung könne er
schlag würden Ammoniak in der EU künftig verteu-        «die Grundstoff­industrien vor Carbon-Leakage und
ern, was dessen Weiterverarbeiter belaste und ihre      Öko-Dumping schützen» (IG Metall 2021a).
Wettbewerbsfähigkeit auf Exportmärkten schwäche.        Gleichwohl macht die IG Metall deutlich, dass mit
Zudem müsse eine Ausweitung des CBAM auf wei-           Grenzausgleich und Gratiszertifikaten «sehr behut-
tere Chemikalien befürchtet werden, so der Verband      sam» umgegangen werden müsse, weil anderenfalls
(ebd.).                                                 «viel höhere Kosten für die Stahlindustrie entstehen,
Etwas aufgeschlossener gegenüber dem Kommis­            die die Umstellung auf grünen Stahl gefährden». Die
sionsvorschlag zeigt sich dagegen die Zementindus­      Abschmelzung der Gratiszertifikate solle daher erst
trie. Der Verein Deutscher Zementwerke fordert, den     beginnen, «wenn klar ist, dass der Grenzausgleich
CBAM «ergebnisoffen zu prüfen». Gleichwohl solle        auch den gewünschten Schutz bringt» (IG Metall
die freie Zuteilung von EUAs als «Kernelement» des      2021b).
Verlagerungsschutzes erhalten bleiben (VDZ 2021).       Der internationale Gewerkschaftsdachverband
Diese Haltung deckt sich mit der des europäischen       IndustriALL – ihm gehören unter anderem die IG BCE
Dachverbands der Zementindustrie Cembureau. Die-        und die IG Metall an – unterstützt in seiner Stellung-
ser begrüßte den CBAM-Vorschlag, verlangte aber         nahme ebenfalls die grundsätzliche Idee hinter dem
Nachbesserungen wie die Berücksichtigung indirek-       CBAM, erwartet jedoch eine Lösung für die Exporte
ter Emissionen und eine Lösung für die bisher aus-      in Länder ohne vergleichbare Klimapolitik. Um die
genommenen EU-Exporte. Ferner solle erst dann mit       Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie zu
der Kürzung der Gratiszertifikate begonnen werden,      bewahren, solle die Möglichkeit eines hybriden Sys-
wenn der CBAM seine volle Funktionsfähigkeit unter      tems erwogen werden, das den Grenzausgleich auf
Beweis gestellt habe (Cembureau 2021).                  Importe mit Gratiszertifikaten für Exporte kombiniere
Besonders aufgeschlossen für den Kommissions-           (IndustriALL 2020).
vorschlag gibt sich schließlich der Verband der Auto-   Umweltorganisationen wiederum betrachten das
mobilindustrie (VDA). Ähnlich wie der BDI in seiner     Ende der freien Zuteilung von Emissionszertifikaten
Forderung nach einem Klimaclub betrachtet es der        als essenziell. So fordert etwa Germanwatch, dieses
VDA als zentral, den Grenzausgleich international mit   Verfahren mit der Einführung des CBAM so schnell
wichtigen Partnern abzustimmen, um Handelsstrei-        wie möglich auslaufen zu lassen. Daneben rät die
tigkeiten und etwaige Sanktionen zu vermeiden. «Pri-    Organisation dazu, auf Exporterstattungen zu verzich-
märes Ziel» des CBAM solle es sein, einen «Beitrag      ten und die CBAM-Einnahmen hauptsächlich für die
zur Einführung eines globalen Emissionshandelssys-      Unterstützung der vom Grenzausgleich betroffenen
tems» zu leisten. Bei entsprechender Abstimmung         Drittstaaten zu nutzen. Die EU solle auch Niedrigein-
könne der Mechanismus «die Vorstufe zu einem            kommensländern dabei helfen, die Dekarbonisierung
weltweit einheitlichen Emissionshandelssystem dar-      ihrer Wirtschaft voranzutreiben (Gläser/Caspar 2021;
stellen». Die nächsten Schritte der EU sollten daher    ähnlich: Carbon Market Watch 2021b).
«auf Basis des CBAM auf eine international abge-

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Das Forum Umwelt und Entwicklung verweist in sei-               unterstützt werden müsse, etwa durch die Lockerung
ner Stellungnahme auf die von vielen Handelspartnern            geistiger Eigentumsrechte in den EU-Handelsabkom-
vorgebrachte Kritik, die EU wolle CBAM einführen,               men (Forum Umwelt und Entwicklung 2021).
«um die Wettbewerbsfähigkeit der eigenen energie­               Das Forum Umwelt und Entwicklung präsentierte
intensiven Industrie zu verbessern». Um dieser Kritik           damit eine der wenigen Stellungnahmen, die die Wett-
zu begegnen, solle die EU die CBAM-Einnahmen zur                bewerbsfähigkeit der europäischen Industrie nicht als
Unterstützung von Ländern des globalen Südens ver-              unabdingbare Voraussetzung des Grenzausgleichs
wenden und zusätzlich einen umfassenden Technolo-               behandeln. Mit der Forderung nach Technologietrans-
gietransfer ermöglichen, so das Forum. Der klimaneu-            fer und nach der Einschränkung geistiger Eigentums-
trale Umbau der Wirtschaft dieser Länder erfordere              rechte überschreitet es den diskursiven Rahmen der
einen Technologie- und Wissenstransfer, der durch               «kompetitiven Dekarbonisierung», der die Debatte um
entwicklungs- und handelspolitische Maßnahmen                   den Grenzausgleich ansonsten prägt (siehe Kapitel 13).

8 BEGRENZTE PRODUKTABDECKUNG:
UNGLEICHER ANPASSUNGSDRUCK
Die industriellen Produktgruppen, die die Kommis-               sowie Metall-, Textil-, Papier-, Glas-, Zement- und
sion zunächst in den Grenzausgleich aufnehmen                   Baustoffindustrie (Europäische Kommission 2019b).
will (Eisen und Stahl, Aluminium, Dünger, Zement),              Vor diesem Hintergrund berechneten die Denkfabri-
betreffen kaum die Hälfte der Branchen, die bisher in           ken E3G und Sandbag den Anteil der bisher kosten-
der Carbon-Leakage-Liste erfasst sind und mit kos-              los zugeteilten Emissionszertifikate, der durch den
tenlosen Zertifikaten bedacht werden. In der aktuel-            Grenzausgleich erfasst und künftig durch CBAM-Zer-
len Liste für den Zeitraum 2021 bis 2030 finden sich            tifikate ersetzt werden würde (Assous et al. 2021).
50 Wirtschaftssektoren sowie 13 Subsektoren, ein-               Durch die Beschränkung auf die vier industriellen Pro-
schließlich Bergbau, Chemie und Mineralölwirtschaft             duktgruppen deckt der vorgeschlagene Grenzaus-

Abbildung 5: Anteil der durch den CBAM-Vorschlag erfassten Gratiszertifikate im Jahr 2021
(Millionen Emissionsberechtigungen – EUA)

                                         Andere Sektoren,
                                       inkl. Chemikalien, 134
                                                                                                     Eisen und Stahl, 137
                Keramik, 3
                                                                in CBAM
                                                                  265
                   Glas, 16

                                                                                                     Aluminium, 7
                   Kalk, 17
                                                                                                     Dungemittel, 29
    Zellstoff und Papier, 18
                                 chemische
                               Grundstoffe, 44
                                                                                                     Zement, 92
                                                  Raffinerie­
                                                 produkte, 75

Quelle: Assous et al. 2021

                                                                                                                            15
gleich demnach lediglich 43 Prozent der zurzeit aus-       etwas zu. Denn sie blieben von der stärkeren Kürzung
gegebenen Gratiszertifikate ab. Das heißt umgekehrt:       des Gesamtbudgets an Emissionsberechtigungen
57 Prozent der kostenlosen Zertifikate werden vorerst      und den strengeren Effizienz-Benchmarks betroffen,
weiterhin an die bisher begünstigten Branchen aus-         die Voraussetzung für die kostenlose Zuteilung sind.
gereicht, darunter an Raffinerien, die Grundstoff-,        Zu berücksichtigen ist zudem, dass das Spektrum
Chemie-, Kalk- und Glasindustrie (siehe Abbildung 5).      der in den CBAM einbezogenen Produktgruppen im
Bei den vom CBAM ausgenommenen Branchen                    Verlauf der Verhandlungen zwischen dem Rat der EU,
fiele der Druck zur Dekarbonisierung entsprechend          dem Parlament und der Kommission noch wachsen
schwächer aus, nähme mit der Zeit aber dennoch             könnte.

9 DIE UMWELTPOLITISCHE EFFIZIENZ DES GRENZAUSGLEICHS
Auch wenn bisher noch keine relevanten Emis-               als die kostenlose Zuteilung der Emissionszertifikate.
sionsverlagerungen aufgrund von Klimaschutz-               Während Letztere die angenommene Leakage-Rate
maßnahmen nachweisbar sind, stimmen die meis-              von 22 auf 13 bis 15 Prozent absenke, könnte der
ten Modellierungsstudien darin überein, dass ein           CBAM sie auf 7 bis 15 Prozent verringern. Das heißt:
CO2-Grenzausgleich grundsätzlich ein geeignetes            Der EU-Grenzausgleich wäre mindestens genauso
Instrument zur Minimierung von Carbon Leakage              effektiv wie oder noch effektiver als die kostenlose
sein kann. Gänzlich verhindern indes lässt sich das        Zuteilung. Im günstigsten Fall könnte er die Verlage-
Verlagerungsrisiko nicht.                                  rungsrate sogar um zwei Drittel verringern (Mörsdorf
Ein Team um den Umweltökonomen Christoph                   2021). Diese Modellierung widerspricht mithin den
Böhringer verglich die Leakage-Rate von zwölf              Annahmen verschiedener Industrielobbyist*innen,
verschiedenen Modellierungen unilateraler Klima-           die dem CBAM eine mangelnde Wirksamkeit im Ver-
schutzmaßnahmen jeweils mit und ohne Grenzaus-             gleich zur freien Zuteilung attestieren (siehe Kapitel
gleich. Die Leakage- bzw. Verlagerungsrate misst die       7).
Veränderung ausländischer Emissionen gegenüber             Gleichwohl hängt die Wirksamkeit eines Grenzaus-
inländischen Emissionsminderungen. Eine 50-pro-            gleichs von der konkreten Ausgestaltung ab, was
zentige Verlagerungsrate bedeutet mithin, dass die         das Beispiel Kaliforniens zeigt – der bisher einzigen
Hälfte inländischer Emissionsreduktionen durch             Region, die eine Art CO2-Grenzausgleich auf Strom­
eine Zunahme im Ausland neutralisiert wird. In den         importe anwendet. Im dortigen Emissionshandels-
simulierten Modellen betrug die Verlagerungsrate           system müssen Stromimporteure Emissionsbe-
der Klimaschutzmaßnahmen ohne Grenzausgleich               rechtigungen erwerben, die sich an den ermittelten
im Durchschnitt 12 Prozent. Ergänzt um einen Grenz-        Emissionen der Importe oder – falls diese Daten nicht
ausgleich sank die Verlagerungsrate hingegen um ein        verfügbar sind – an Standardwerten bemessen. Kali-
Drittel auf durchschnittlich 8 Prozent (Böhringer et al.   fornien importiert rund ein Drittel seines Stroms aus
2012).                                                     Nachbarstaaten (Mehling 2019).
Zu einem ähnlichen Befund kamen Frédéric Bran-             Doch die Wirksamkeit des kalifornischen Grenzaus-
ger und Philippe Quirion in einer Meta-Analyse von         gleichs wurde offenbar durch sogenanntes Resource
25 Modellierungsstudien. Im Durchschnitt schätzten         Shuffling zumindest teilweise untergraben. Gemeint
die Studien demnach eine Verlagerung von 14 Pro-           ist damit eine rein vertragliche Umlenkung von Han-
zent der Emissionen bei unilateral ergriffenen Klima-      delsströmen, bei der beispielsweise Energieerzeu-
schutzmaßnahmen ohne Grenzausgleich. Würden                ger die Strommengen aus ihren emissionsärmeren
die Maßnahmen mit einem Grenzausgleich gepaart,            Kraftwerken für den regulierten kalifornischen Markt
sinke die Emissionsverlagerung dagegen durch-              reservieren, während sie Strom aus schmutzigeren
schnittlich auf nur noch 6 Prozent (Branger/Quirion        Anlagen auf anderen Märkten absetzen. Zwar sah
2014).                                                     der ursprüngliche Gesetzentwurf Maßnahmen vor,
Das IFO-Institut schließlich simulierte jüngst die         Resource Shuffling zu unterbinden, doch aufgrund
Effektivität des in der EU diskutierten Grenzaus-          der Lobbyarbeit der Stromimporteure wurden die
gleichssystems. Nach dieser Modellierung wäre der          diesbezüglichen Grenzausgleichsregeln verwässert
CBAM beim Leakage-Schutz sogar etwas effektiver            (Prag 2020).

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