Wettrüsten im Krankenhaus - Das steckt hinter dem Abrechnungsstreit - Gerechte Gesundheit

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Wettrüsten im Krankenhaus - Das steckt hinter dem Abrechnungsstreit - Gerechte Gesundheit
Das Magazin zur
                                                                                           Verteilungsdebatte
                                                                                           ISSN: 2625-3313
                                                                                           Ausgabe 48 – November 2019

                         Wettrüsten
                     im Krankenhaus
                                               Das steckt hinter dem
                                                  Abrechnungsstreit

© stock.adobe.com, rogistok; Bearbeitung: pag, Anna Fiolka

      Wer darf Innovation?                               Die Vertrauensfrage               Nicht lieferbar

      Kontrollierte Einführung:                          Kein Zaudern mehr: Ärzteschaft    Arzneimittel werden zum knapp:
      Car-T-Zelltherapie nur in Zentren                  will digitale Medizin gestalten   Was macht die Politik?
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• Seite 2   GERECHTE GESUNDHEIT
Wettrüsten im Krankenhaus - Das steckt hinter dem Abrechnungsstreit - Gerechte Gesundheit
November 2019                                                                                      Seite 3 •

Eine Premiere

                          kürzlich hat Gerechte Gesundheit die Seite gewechselt – vom
                          Beobachter zum Veranstalter: Gemeinsam mit der Arbeitsgemein-
                          schaft kommunaler Großkrankenhäuser, einem Funding-Partner
                          unserer Initiative, haben wir ein Streitgespräch zur Kontroverse um
                          Krankenhausabrechnungen organisiert. Bei dem Thema geht es
                          um weitaus mehr als Codes für Krankheiten und Prozeduren. Die
                          Auseinandersetzung zwischen MDK und Kassen auf der einen und
                          Kliniken auf der anderen Seite wird auch deshalb so erbittert geführt,
                          weil dahinter ein ungelöster Systemkonflikt steckt. Mehr über diesen
                          Konflikt und das Streitgespräch lesen Sie in dieser Ausgabe.

                          Eine anregende Lektüre wünscht Ihnen

                          Ihre Antje Hoppe, Chefredakteurin

Inhalt
Im Fokus
4      Die Vertrauensfrage in der digitalen Medizin
       Kein Zaudern mehr: Ärzteschaft will gestalten

6      Nicht lieferbar
       Arzneimittel werden knapp – die Politik muss gegensteuern

8      CAR-T-Zelltherapie gehört in Innovationszentren
       vdek und Universitätskliniken wollen kontrollierte Einführung

10     Wettrüsten im Krankenhaus
       Das steckt hinter dem Abrechnungsstreit

Im Gespräch
12     Kontroverse um Krankenhausabrechnungen
       Ein Streitgespräch mit Dirk Balster und Dr. Axel Meeßen

In Kürze
16     Wo das BVA den Kassen auf die Finger schaut

17     Sozialwahlen online: Mehr Demokratie wagen?

18     Begehrt: Die Daten der Patienten

19     Gesundheit für alle?

20     Gerechte Pflege organisieren und finanzieren

21     Kinder mit Diabetes: Herausforderung Alltag

22     Demenz und Sex
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• Seite 4                                                Im Fokus                                                GERECHTE GESUNDHEIT

Die Vertrauensfrage in
der digitalen Medizin
Kein Zaudern mehr: Ärzteschaft will gestalten

• Berlin (pag) – „Wir sollten uns auf den Weg machen, um die Digitalisierung der Medizin
angemessen zu begleiten“, appelliert der Präsident der Bundesärztekammer (BÄK), Prof.
Klaus Reinhardt. Auf einer Veranstaltung der Kammer fordert er für die Digitalisierung eine
Gesamtstrategie und einen Ordnungsrahmen für politische, rechtliche und ethische Fragen.

„Die Vertrauensfrage in der digitalen Medizin“ lautet                        Apps auf Rezept verschreiben können.
der Titel der BÄK-Veranstaltung. Dort unterstreicht                          Spahn ist davon überzeugt, dass das Vertrauen neben
Dr. Peter Bobbert die enorme Geschwindigkeit, mit der                        einer robusten Datensicherheit und einem verlässlichen
sich der digitale Wandel vollzieht. Das sei in der Ver-                      Datenschutz auch dadurch wächst, wenn positive
gangenheit mehrfach unterschätzt worden. Dem Vor-                            Auswirkungen im Versorgungsalltag für die Patienten
sitzenden des Kammerausschusses „Digitalisierung der                         spürbar werden. Als Beispiel nennt er die Video-Sprech-
Gesundheitsversorgung“ ist es ein wichtiges Anliegen,                        stunde. Grundsätzlich wirbt er dafür, das „Digitale nicht
dass die digitale Medizin „nicht nur eine andere, son-                       als Ersatz, sondern als Ergänzung“ wahrzunehmen und
dern eine bessere Medizin“ wird. In deren Mittelpunkt                        es selbst zu gestalten anstatt es zu erleiden. Denn dann
habe weiterhin die Menschlichkeit zu stehen.                                 könne daraus etwas Gutes werden.
Ähnlich sieht es Bundesgesundheitsminister Jens
Spahn, der betont, dass ärztliches Handeln weiterhin
von dem besonderen Vertrauensverhältnis zwischen                             „Entwicklung ohne Risiko ist unrealistisch“
Arzt und Patient geprägt sein werde. Er geht auch auf                        Bei der folgenden Diskussion geht es insbesondere um
Parameter ein, die das Vertrauen in die digitale Medizin                     Apps. Dr. Martin Hirsch, Mitbegründer der Gesundheits-
stärken. Dazu gehört für den CDU-Politiker, dass sich                        app Ada, stellt in diesem Kontext die Vertrauensfrage
Ärzte – aber auch andere Gesundheitsberufe – Kompe-                          anders herum: „Wie steht es mit dem Vertrauen gegen-
tenzen in diesem Bereich aneignen. Das geplante Digi-                        über Ärzten, die sich solchen Tools verweigern?“ Für
tale-Versorgung-Gesetz sieht vor, dass Ärzte künftig                         den Vorstandsvorsitzenden der Barmer, Prof. Christoph
                                                                             Straub, sind Apps keine stabilen Produkte, weil bei
                                                                             ihnen Veränderungen miteingebaut seien. Das erschwere
                                                      © stock.adobe, arrow

                                                                             valide Urteile. Grundsätzlich wirbt er für eine gewisse
                                                                             Risikobereitschaft, denn: „Entwicklung ohne Risiko ist
                                                                             unrealistisch.“ Der Unfallchirug Dr. Sebastian Kuhn,
                                                                             Universitätsmedizin Mainz, stellt die ärztliche Aufgabe
                                                                             heraus, technische Innovationen in sinnvolle Patienten-
                                                                             behandlungen zu übersetzen. Als historisches Beispiel
                                                                             nennt er das Röntgen. Bevor die Strahlen ihren Sieges-
                                                                             zug in der Medizin antraten, hätten sich Jahrmarkt-
                                                                             besucher zur allgemeinen Belustigung durchleuchten
                                                                             lassen. In der Medizin sei diese Übersetzungsleistung
                                                                             daher nichts Neues, sie bestimme ärztliches Handeln
                                                                             seit Generationen.                                     •
Wettrüsten im Krankenhaus - Das steckt hinter dem Abrechnungsstreit - Gerechte Gesundheit
November 2019                                            Im Fokus                                              Seite 5 •

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  „Ärzteschaft muss Verantwortung wahrnehmen“
  Dr. Peter Bobbert, Vorsitzender des BÄK-Ausschusses „Digitalisierung der Gesundheitsversorgung“

  Was müssen die nächsten konkreten Schritte der Ärz-         Welche Hürden müssen dabei abgebaut werden?
  teschaft sein, um den digitalen Wandel in der Medizin
  nicht nur zu erdulden, sondern aktiv mitzugestalten?        Dr. Bobbert: Es ist die Hürde zu nehmen, nicht mehr
                                                              nur Ziele im Wandel zu beschreiben, sondern kon-
  Dr. Bobbert: Um gestalten zu können, benötigt man           kret bei der Umsetzung Wege zu bauen. Wir dürfen
  einerseits den Willen und andererseits die Expertise.       uns nicht auf andere verlassen, sondern müssen
  Der Wille besteht bereits spätestens seit dem Ärzte-        unsere Verantwortung wahrnehmen.
  tag in Freiburg 2017, als die Ärzteschaft zum ersten
  Mal im breiten Konsens die Notwendigkeit des kon-           In welchen Bereichen sind die Ärzte bei der digitalen
  struktiven Handelns im digitalen Wandel der Medi-           Medizin gut aufgestellt, wo sehen Sie den größten
  zin einforderte. Gleichzeitig hat sie betont, dass die      Nachholbedarf?
  Digitalisierung in der Medizin eine große Chance und
  kein Risiko ist. Die weiteren Schritte sind der schnelle    Dr. Bobbert: Wir konnten in den letzten Jahren schon
                              Erwerb einer ausreichenden      wichtige Entwicklungen im ärztlichen Arbeitsalltag
                              digitalen Kompetenz und         und in der wissenschaftlichen Tätigkeit verzeichnen.
  © pag, Fiolka

                              Expertise. In der ärztlichen    Das Interesse und Engagement der Ärzteschaft,
                              Aus-, Fort- und Weiterbil-      digitale Anwendungen effektiv und schnell in unse-
                              dung müssen digitale Inhal-     ren Arbeitsalltag zu implementieren, ist hoch. Digital
                              te implementiert werden,        Health spielt bereits heute in der Nachwuchsförde-
                              um die Voraussetzung zu         rung, in der Wissenschaft und an den Universitäten
                              schaffen, dass die Ärzte-       eine entscheidende Rolle. Wir haben einen hervor-
                              schaft den Wandel kompe-        ragenden Prozess bereits begleiten können, der in
                              tent und produktiv mitge-       Zukunft wichtige Impulse geben wird. Berufspolitisch
                              stalten kann. Zudem müssen      müssen wir allerdings noch in unserem Handeln bes-
                              wir in der ärztlichen Selbst-   ser werden. Es fehlt nicht am Willen. Aber wir müssen
                              verwaltung mehr als bisher      verloren gegangenes Vertrauen zurückgewinnen, um
  der Politik konkrete Angebote bei der Umsetzung             auf politischer Ebene wieder als der kompetente An-
  und Realisierung digitaler Anwendungen machen.              sprechpartner auch im digitalen Wandel angesehen
  Wir müssen es sein, die Antworten auf Fragen finden,        zu werden. Dies bedeutet, dass wir beharrlich und
  wie zum Beispiel eine nützliche elektronische Patien-       schnell stets konkrete Wege aufzeigen müssen, wie
  tenakte oder wie aus ärztlich wissenschaftlicher Sicht      digitale Anwendungen in die Realität umgesetzt
  eine sinnvolle Einführung von digitalen Gesundheits-        werden können. Die Zeit des Betonens, warum etwas
  apps auszusehen hat.                                        nicht geht, ist vorbei. Die Ärzteschaft gestaltet.
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• Seite 6                                              Im Fokus                                GERECHTE GESUNDHEIT

                                                                                                                 © iStock.com, Willowpix
Nicht lieferbar
Arzneimittel werden
knapp – die Politik
muss gegensteuern

• Berlin (pag) – Wenn Arzneimittel nicht lieferbar sind, sogar Versorgungsengpässe drohen,
wird das Vertrauen der Bürger in ihr Gesundheitssystem erschüttert. Die Politik will das
Problem angehen – eine komplexe Herausforderung, nicht zuletzt, weil es um internationale
Ressourcenallokation geht.

In den vergangenen Wochen haben Ärzte und Apo-              die stationäre Versorgung soll geprüft werden, ob bei
theker erneut vor Lieferschwierigkeiten bei Arzneimit-      diesen Medikamenten die Vorratshaltung in der Kran-
teln gewarnt, die zunehmend die Patientenversorgung         kenhausapotheke von zwei auf vier Wochen verlängert
bedrohen. Dr. Ellen Lundershausen, Vizepräsidentin der      werden kann. Ambulanter Sektor: Angeregt wird eine
Bundesärztekammer, fordert die Politik auf, konsequent      Verlängerung der Vorratshaltung beim Großhandel
gegen solche Engpässe vorzugehen. Tatsächlich tut           und beim Hersteller im vergleichbaren Zeitraum. Lun-
sich etwas: In einem Positionspapier skizzieren Gesund-     dershausen plädiert dafür, dass Ärzteschaft und Politik
heitspolitiker der Unionsfraktion Lösungsvorschläge.        gemeinsam mit Kostenträgern und Pharmaunterneh-
                                                            men festlegen sollten, welche Medikamente in welchem
                                                            Umfang vorgehalten werden müssen. Sie sagt: „Es
Wie funktioniert eine nationale Arzneimittelreserve?        wäre doch eine Schildbürgerei sondergleichen, wenn
Einer der Vorschläge lautet, eine nationale Arzneimittel-   Deutschland die Impfpflicht einführt, während gleich-
reserve an verschiedenen Stellen der Verteilkette aufzu-    zeitig die dafür notwendigen Impfstoffe fehlen“.
bauen. Damit ist keine statische Einlagerung in zentralen
Depots gemeint. Geprüft werden soll eine Verlängerung
der Vorhaltepflicht. Die verpflichtende Vorratshaltung      Rabattverträge regional zentralisieren
würde jene Arzneimittel betreffen, die versorgungsre-       Weitere Vorschläge aus dem Papier der Union: „Die
levant sind und bei denen ein Lieferengpass droht. Für      bereits für Krankenhausapotheken bestehende Melde-
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November 2019                                           Im Fokus                                                         Seite 7 •

pflicht muss auf versorgungsrelevante Medikamente für        Deren Vizepräsident Mathias Arnold untermauert die
die ambulante Versorgung ausgedehnt werden.“                 erfragten Angaben zum Zeitaufwand mit Verordnungs-
Rabattverträge sollten außerdem nur ausgeschrieben           zahlen des Deutschen Arzneiprüfungsinstituts: Demnach
werden, wenn mindestens drei Anbieter und zwei Wirk-         hat sich die Anzahl der Rabattarzneimittel, die aufgrund
stoffhersteller vorhanden sind. „Um die Vielfalt und         eines Lieferengpasses ausgetauscht werden mussten,
damit eine weitere Unabhängigkeit zu gewährleisten,          bei gesetzlich Krankenversicherten von fünf Millionen
sollte die Vergabe grundsätzlich auf mindestens zwei         Packungen im Jahr 2016 auf 9,3 Millionen Stück im Jahr
unterschiedliche Anbieter verteilt werden“, heißt es         2018 fast verdoppelt. Betroffen ist jedes 50. Rabatt-
weiter. Außerdem wird eine stärkere regionale Zentra-        arzneimittel (9,3 von 450 Millionen Packungen im Jahr
lisierung des Rabattvertragssystems ins Spiel gebracht       2018). Im Jahr 2018 haben die Top-10-Wirkstoffe mit
– soweit dies vergaberechtlich zulässig ist. Als Vorbild     4,7 Millionen Arzneimitteln fast die Hälfte der 9,3 Millio-
werden die Rabattverträge bei der parenteralen Zu-           nen Lieferengpässe ausgemacht. Hochdosiertes, rezept-
bereitung genannt.                                           pflichtiges Ibuprofen belegt mit 1,6 Millionen Packungen
                                                             den ersten Platz auf der Liste. Mit fünf Wirkstoffen unter
                                                             den Top 10 sind die Blutdrucksenker Valsartan, Ramipril
Mehr Transparenz über deutsche Marktsituation                und Bisoprolol sowie deren Kombinationen mit Diuretika
Die Unionspolitiker mahnen auch mehr Transparenz an:         (harntreibende Mittel) ebenfalls weit oben.
insbesondere, was den Export von Arzneimitteln betrifft,
die eigentlich zur Versorgung der Patienten in Deutsch-
land zur Verfügung stehen sollten, jedoch aufgrund der

                                                                                                                               © iStock.com, LumiNola
globalen Marktsituation in andere Länder exportiert
werden. Hierzu soll das Bundesgesundheitsministerium
eine wissenschaftliche Studie in Auftrag geben. Als ulti-
ma ratio wird sogar eine Exportbeschränkung im Falle
bestehender Lieferengpässe genannt. Last but not least
soll die Bundesregierung die pharmazeutische Produk-
tion in der EU zu einem Schwerpunkt der deutschen
Ratspräsidentschaft 2020 machen. Nationale Alleingän-
ge helfen nicht, um die Versorgung der Patienten sicher-
zustellen, findet auch Dr. Oliver Funken. Der Vorsitzende
des Hausärzteverbandes Nordrhein macht sich für
Regelungen auf EU-Ebene stark, um Produktionsstätten
wieder nach Europa zu holen. Eine europäische Lösung
hätte viele Vorteile: kontinuierliche Qualitätskontrollen,   Arzneimittel nicht lieferbar? Gemeinsam mit Ärzten, Großhändlern und
verkürzte Lieferwege, mehr Arbeitsplätze. Funken:            Patienten suchen Apotheker nach Versorgungslösungen.
„Auch, wenn hierdurch die Preise steigen, sollte es uns
die Sicherung der Versorgung wert sein.“
                                                             Nur Symptommanagement oder auch mehr?
                                                             Die Zahlen zeigen, dass das Problem nicht ausgesessen
Hausärzte und Apotheker berichten von Problemen              werden kann, es gewinnt zunehmend an Brisanz. Tat-
Der Hausarzt berichtet, dass mittlerweile selbst gängige     sächlich hat die Politik in der Vergangenheit bereits
Präparate kurzfristig nicht lieferbar seien. „Liefereng-     mehrfach reagiert. Stichwortartig genannt seien der
pässe treten bei Routineverordnungen hochfrequent            Jour fixe des BfArM, die Beendigung der Ausschrei-
auf“ – bei hochpreisigen, patentgeschützten Arznei-          bung für Grippeimpfstoffe und der Wechsel zu einem
mitteln hingegen derzeit noch selten. 229 Human-             europäischen Referenzpreissystem. Bei der Ausschrei-
arzneimittel führt das BfArM gegenwärtig mit einem           bung von Rabattverträgen wurde nachjustiert sowie
Lieferengpass (Stand Mitte September).                       eine Melderegelung an Krankenhäuser eingeführt.
Auch bei den Apothekern gewinnen Lieferengpässe an           Doch das alles reicht nicht, denn mittlerweile ist offen-
Bedeutung. Als eines der größten Ärgernisse im Be-           sichtlich – und das wird auch im Papier der Union ein-
rufsalltag bezeichnen sie mittlerweile 91,2 Prozent der      geräumt – dass eine nachhaltige Verbesserung der Lie-
selbstständigen Apotheker. Im Jahr 2016 hatten sich nur      fersituation zusätzliche Maßnahmen erfordert. So sinn-
35,5 Prozent der Inhaber darüber geärgert. Sechs von         voll Reserven und Co. sein mögen, letztlich wird damit
zehn Apothekern (62,2 Prozent) geben an, dass sie und        Symptommanagement betrieben. Die wahre Herausfor-
ihre Beschäftigten mehr als zehn Prozent ihrer Arbeits-      derung besteht darin, eine weitere Abwanderung ins-
zeit dafür aufwenden, um bei Lieferengpässen ge-             besondere der Wirkstoffproduktion zu verhindern oder
meinsam mit Ärzten, Großhändlern und Patienten nach          wie es im Papier heißt „bestenfalls Produktionen nach
Versorgungslösungen zu suchen. Das sind Ergebnisse           Europa zurück zu verlagern.“ Ob und welche Impulse
des Apothekenklima-Index 2019, einer repräsentativen         dafür die deutsche Ratspräsidentschaft im kommenden
Meinungsumfrage von Marpinion im Auftrag der ABDA.           Jahr zu setzen vermag, wird spannend.                                    •
Wettrüsten im Krankenhaus - Das steckt hinter dem Abrechnungsstreit - Gerechte Gesundheit
• Seite 8                                                           Im Fokus                                          GERECHTE GESUNDHEIT

CAR-T-Zelltherapie gehört
in Innovationszentren
vdek und Universitätskliniken wollen kontrollierte Einführung

Wunderwaffe CAR-T-Zellen – aber wo sollen die Patienten behandelt werden? „Wir möchten nicht, dass auf der grünen Wiese irgendwo ein Zentrum für
CAR-T-Zellen entsteht, die jeden nehmen, der gerade passt“, sagt Prof. Bernhard Wörmann. © iStock.com, selvanegra

• Berlin (pag) – CAR-T-Zelltherapien sollen zunächst ausschließlich in Innovationszentren
angewendet und evaluiert werden. Dafür soll die Erstattungssicherheit vom ersten Tag der
Zulassung gewährleistet sein. Das sind die Kernforderungen eines gemeinsamen Konzepts
der Ersatzkassen und des Verbands der Universitätsklinika Deutschlands.

„Wir wollen, dass solche Behandlungen in Spezialzen-                      zu tun. Die Ersatzkassenvertreterin sieht dringenden
tren – in der Regel Uniklinika – erfolgen, weil dort eine                 Handlungsbedarf, weil bereits 107 Krankenhäuser aus
besondere Expertise vorhanden ist“, sagt Ulrike Elsner,                   unterschiedlichen Versorgungsstufen einen Antrag auf
Vorsitzende des Verbandes der Ersatzkassen (vdek),                        die Anwendung der sehr komplexen CAR-T-Zelltherapie
vor Journalisten. Die Anforderungen an diese Zentren                      gestellt haben. Hinzu kommt: 45 weitere Verfahren der
seien neu und hätten wenig mit dem heutigen Zentrums-                     Gen- und Zelltherapie stehen in den nächsten Jahren
verständnis im Bereich der Krankenhausversorgung                          vor der Zulassung. Neben der Beschränkung auf be-
Wettrüsten im Krankenhaus - Das steckt hinter dem Abrechnungsstreit - Gerechte Gesundheit
November 2019                                          Im Fokus                                                    Seite 9 •

sondere Innovationszentren ist Elsner ein gesetzlich ge-
regeltes Evaluierungsverfahren für die neuen Therapien        Plädoyer für Eigenherstellung
wichtig. Dieses soll die Qualitäts- und Strukturanforde-
rungen, die der Gemeinsame Bundesausschuss bereits            Ersatzkassen und Uniklinika setzen sich auch dafür
erlassen hat, ergänzen.                                       ein, dass die Innovationszentren künftig recht-
                                                              sicher und wirtschaftlich tragbar „Eigenherstel-
                                                              lung“ betreiben können. Man wolle sich bei diesen
Kritischer Punkt: die Auswahl der Patienten                   Therapieverfahren nicht völlig abhängig von der
Das Konzept wird von der Deutschen Krebsgesellschaft          Industrie machen, heißt es. „Stattdessen brauchen
(DKG) und der Deutschen Gesellschaft für Medizinische         wir eigene Möglichkeiten, um an neuen Therapien
Hämatologie und Onkologie (DGHO) mitgetragen. Prof.           zu forschen und diese schnell und zu vertretbaren
Bernhard Wörmann, medizinischer Direktor der DGHO,            Kosten in die Patientenversorgung zu bringen“,
betont auf der Pressekonferenz: „Wir möchten nicht,           meint Ralf Heyder.
dass auf der grünen Wiese irgendwo ein Zentrum für
CAR-T-Zellen entsteht, die jeden nehmen, der gerade
passt“. Aktuell wurden bisher in Deutschland 100 Pa-
tienten mit der neuen Therapie behandelt, allerdings        könnten. Die klinischen Studien laufen. Dem Verband
habe man in den Zentren mehr als das Dreifache der          forschender Pharmaunternehmen (vfa) zufolge sind
Patienten gesehen, das bedeutet: „Die Auswahl der           außerdem T-Zellen nicht die einzigen Immunzellen, die
Patienten ist ein kritischer Punkt“. Wörmann sieht die      sich im Rahmen der Immunonkologie therapeutisch
Behandlung als schwierigen Cocktail: „Die Patienten         nutzen lassen. Auch die dendritischen Zellen eines Pa-
stehen mit dem Rücken zur Wand und wir haben ge-            tienten kämen dafür in Betracht. Der Verband erwähnt
netisch modifizierte Zellen.“ Eine weitere Zugabe seien     außerdem den adoptiven Transfer von mesenchymalen
die hohen Therapiekosten.                                   Stammzellen (MSC) – Vorläuferzellen des Bindege-
                                                            webes. „MSC lassen sich effizient mit eingeschleusten
                                                            Genen modifizieren und zur zielgerichteten Therapie
Die Herausforderung für das System                          verschiedener Krankheiten anwenden.“ Es wird nicht
Bisher werden für die Verfahren Preise in sechsstelliger    bei Car-T-Zellen bleiben, sagt daher Bruns. Ihm geht es
Höhe aufgerufen. Das sind Kosten, wie DKG-General-          darum, dass System so zu organisieren, „dass das Ver-
sekretär Dr. Johannes Bruns betont, die das System          sprechen eingehalten wird, dass hilfreiche Medikamente
mit seinen Mechanismen nicht direkt aufgreifen könne.       unmittelbar zur Verfügung stehen, unabhängig davon,
Ralf Heyder vom Verband der Universitätsklinika (VUD)       ob sie in Klinik oder Praxis eingesetzt werden.“
stellt das grundsätzliche Problem heraus: „Wir haben
keinen wirklich guten Rechts- und Finanzierungsrah-
men, um diese Themen vernünftig im System abzubil-          Neue Therapieformen und die GKV
den.“ Bisher können bis zur korrekten Kostenabbildung       Die Diskussion, wie sich die GKV auf die Modalitäten
einer medizinischen Innovation im deutschen Fallpau-        neuer Therapieprinzipen einstellt, schwelt seit der Zu-
schalensystem Jahre vergehen, wie Bruns ausführt.           lassung der ersten CAR-T-Zelltherapien, Kymriah und
Bis dahin müssten die Kliniken entweder den Einsatz         Yescarta. Das Besondere an ihnen – neben den hohen
neuer Verfahren auf eigene Kosten vorfinanzieren oder       Heilungschancen – sie müssen nur einmal verabreicht
innerhalb des Verfahrens für neue Untersuchungs- und        werden. Auf einer Veranstaltung des Forum Instituts
Behandlungsmethoden (NUB) individuelle und zeitlich         wurde unter anderem über Abschreibungsmodelle und
befristete Entgelte mit den Kassen vereinbaren. Laut        die Einführung eines Risikopools diskutiert. Derweil
Bruns wird das NUB-Verfahren allerdings nur einmal im       appelliert der vfa-Vorsitzende Han Steutel, neuen Thera-
Jahr durchgeführt – Start ist immer im Oktober – und        pieformen keine Steine in den Weg zu legen. Bereits
es dauere üblicherweise sechs bis 18 Monate.                heute werde CAR-T ausschließlich in hoch spezialisierten
                                                            Zentren angewendet. Auch die gültige Erstattungs-
                                                            situation ziehe enge Grenzen. Der Gesetzgeber habe für
Bleibt es bei CAR-T-Zellen?                                 die zellbasierte Gentherapie entschieden, dass der Preis
Das Konzept der Ersatzkassen und Uniklinika sieht im        zwischen Hersteller und Krankenkassen verhandelt wird.
Gegenzug zur Beschränkung der Leistungserbringung           Zudem gibt es bereits heute sogenannte Pay-for-Perfor-
Erstattungssicherheit für die betreffenden Kliniken         mance-Vereinbarungen, die die Erstattung direkt an den
vor – und zwar ab Zulassung. Eine Art vorgeschaltetes       Erfolg der Behandlung koppeln.                               •
NUB-Verfahren, ein „Fast Track“ für Innovationen, wie
es VUD-Generalsekretär Heyder nennt. Um das zu ins-
                                                            Weiterführender Link
tallieren, ist aber der Gesetzgeber gefragt. Motivierend
                                                            „Neue Therapieprinzipien – altes System“, Beitrag im
dürfte für diesen die Überlegung sein, dass mit CAR-T-      GG Newsletter 45, Februar 2019
Zellen künftig nicht nur weitere hämatologische Krebs-      http://www.gerechte-gesundheit-magazin.de/ausga-
arten, sondern auch solide Tumore behandelt werden          be-45/neue-therapieprinzipen-altes-system/
Wettrüsten im Krankenhaus - Das steckt hinter dem Abrechnungsstreit - Gerechte Gesundheit
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                    © stock.adobe.com, rogistok; Bearbeitung: pag, Anna Fiolka

Wettrüsten im Krankenhaus
Das steckt hinter dem Abrechnungsstreit

• Berlin (pag) – Erbittert wird in Deutschland um Krankenhausabrechnungen gestritten –
auf der einen Seite die Krankenkassen und ihre Medizinischen Dienste (MDK), auf der ande-
ren die Krankenhäuser. Der Ton zwischen ihnen ist rau, die Bandagen sind hart. Verursacht
wird die Auseinandersetzung durch einen tiefer sitzenden, ungelösten Systemkonflikt.

Zwischen dem Streit um Krankenhausabrechnungen                                        Jahre verkürzt. Eine Übergangregelung lässt den Kassen
und dem Kalten Krieg bestehen erstaunlich viele Paral-                                bis zum 9. November 2018 Zeit, um Ansprüche, die vor
lelen: Wir erleben einen Systemkonflikt, Polarisierungen,                             dem 1. Januar 2017 entstanden waren, gerichtlich gel-
Stellvertreterkonflikte und einige Nebenkriegsschau-                                  tend zu machen. Der daraufhin einsetzende Klage-Tsuna-
plätze. Man könnte sich sogar bei der Klagewelle des                                  mi konterkariert die eigentliche Intention des Gesetzge-
vergangen Herbstes und dem daraufhin einberufenen                                     bers, nämlich für mehr Rechtsfrieden zu sorgen.
Krisengipfel im Bundesgesundheitsministerium (BMG),
an dem Kassen- und Klinikvertretern teilnehmen, an die                                Zoff um Strukturmerkmale
Kubakrise erinnert fühlen.                                                            Zuvor hat nämlich insbesondere die Rechtsprechung
Der Krisengipfel beim Minister wurde einberufen, nach-                                des Bundessozialgerichts (BSG) für böses Blut zwi-
dem sich im November vergangenen Jahres die Sozial-                                   schen Kassen und Krankenhäusern gesorgt. Dabei geht
gerichte innerhalb kürzester Zeit mit zehntausenden Kla-                              es unter anderem um eine für die Schlaganfallbehand-
gen von Krankenkassen auf Rückzahlung abgerechneter                                   lung notwenige Strukturvorgabe: Eine Neurochirurgie
Krankenhauskosten konfrontiert sahen. Auslöser dieser                                 muss entweder im Haus oder innerhalb von 30 Minuten
Klagewelle: ein Passus im Pflegepersonal-Stärkungs-                                   erreichbar sein. Das BSG legt fest: „Dieser Zeitraum
gesetz, der die Rückforderungsansprüche der Kassen                                    beginnt mit der Entscheidung, ein Transportmittel anzu-
gegen die Krankenhäuser rückwirkend von vier auf zwei                                 fordern, und endet mit der Übergabe des Patienten an
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die behandelnde Einheit des Kooperationspartners.“ Die      Wahnsinnig oder nachvollziehbar?
Krankenhäuser haben bislang die 30 Minuten gemäß der        So ganz falsch scheint der Kassenverband mit seiner
Angaben des DIMDI auf die reine Transportzeit, Fahrzeit     Einschätzung nicht zu liegen, immerhin warf Bundes-
des Rettungswagens oder Flugzeit des Rettungshub-           gesundheitsminister Jens Spahn den Kassen auf dem
schraubers, bezogen.                                        Deutschen Krankenhaustag 2018 vor, mit „Irrsinn, Starr-
Dazu muss man wissen: Manche Leistungen im Kranken-         sinn und Wahnsinn“ unterwegs zu sein. Verhalten sich
haus werden anhand von sogenannten Komplexcodes             die Kassen tatsächlich so irrational? Diese Diagnose ist
abgerechnet. In ihnen sind bestimmte Strukturmerkmale       nicht zutreffend, denn tatsächlich agieren alle Betei-
enthalten, die das Krankenhaus erfüllen muss. Struktur-     ligten höchst rational und folgen den Spielregeln des
merkmale könne etwa die Anzahl und die Qualifikation        Systems: Die im Wettbewerb stehenden Krankenhäuser
beim Personal betreffen. Die Ausgestaltung von Kom-         sind angesichts der unzureichenden Investitionskosten-
plexcodes erfolgt in der Zeit von April bis September       finanzierung der Länder darauf angewiesen, aus DRGs
für das folgende Jahr, federführend ist das DIMDI. Viele    und Zusatzentgelten zusätzliche Eigenmittel zu gene-
Komplexcodes sind – zum Teil erheblich – entgelt-           rieren. Bei den Kassen läuft der Wettbewerb vor allem
relevant, erläutert der GKV-Spitzenverband in einem         über die Zusatzbeiträge. Der unterschiedliche Erfolg
Positionspapier. Darin heißt es auch: „Die Prüfung der      der Abrechnungsprüfung hat wiederum Einfluss auf die
Krankenhausabrechnung von Komplexbehandlungen               Höhe der jeweiligen Beiträge, wie unlängst der Bundes-
war besonders im Jahr 2018 streitbefangen.“                 rechnungshof festgestellt hat.
                                                            Dr. Axel Meeßen, Geschäftsführer des MDK Berlin-Bran-
„Misstrauenskultur“ und „Falschabrechner“                   denburg, bringt das Problem wie folgt auf den Punkt. Auf
Streitbefangen klingt fast noch harmlos angesichts der      einem von Gerechte Gesundheit veranstalteten Streit-
zahlreichen und erbitterten Auseinandersetzungen und        gespräch (lesen Sie dazu Seite 12) sagt er: „Jeder der
Klagen, die landauf und landab um Krankenhausabrech-        Beteiligten – Krankenhaus, Kasse und MDK – verhält sich
nungen geführt werden. Entsprechend rau ist der Ton         aus der Innensicht des Systems absolut logisch und nach-
bei den Lobbyisten in Berlin. Die Deutsche Krankenhaus-     vollziehbar, weil bestimmte Anreize gesetzt werden.“ Aus
gesellschaft etwa konstatiert, dass das Prüfsystem für      der Außensicht sei das System an manchen Stellen krank.
Krankenhausabrechnungen „außer Kontrolle“ geraten sei.      Sein Kontrahent an dem Abend, Dirk Balster, findet sogar,
Es sei geprägt von einer überzogenen Misstrauenskultur      dass das System „am Ende“ sei, so der kaufmännische
durch die Krankenkassen, während sich die Kliniken in       Geschäftsführer des Chemnitzer Klinikums.
einer systematischen Verliererposition befänden. Natur-
gemäß anders sieht der Medizinische Dienst der Kranken-     Systembedingtes Wettrüsten
versicherung die Lage. Er prüft im Auftrag der Kassen die   Im Unterschied zum ambulanten Sektor, wo die Kas-
Klinikrechnungen. Andreas Hustadt, Geschäftsführer des      senärztlichen Vereinigungen das Honorar der Ärzte
MDK Nordrhein, befürchtet angesichts einer sehr hetero-     von den Kassen mit befreiender Wirkung erhalten und
genen Abrechnungsqualität der Kliniken, „dass das Ziel      selbst verteilen, findet im stationären Sektor mittlerwei-
der richtigen und gerechten Vergütung im Krankenhaus-       le ein systembedingtes Wettrüsten statt. Balster sagt:
bereich verfehlt wird“. Der GKV-Spitzenverband wieder-      „Wir verbrennen unsere Fachkräfte in Dokumentation,
um hat den Eindruck, dass „Falschabrechner“ geschützt       Verteidigung und Abrechnung.“ Der aktuellen Kranken-
werden, da Krankenhäuser und Politik sich ausschließlich    hauscontrolling-Studie zufolge gibt fast jedes zweite
auf Prüfquoten der Krankenkassen fokussierten, die als      Krankenhaus (47 Prozent) an, in den letzten drei Jahren
Stein des Anstoßes gelten.                                  einen Personalzuwachs bei Codierfachkräften zu ver-

  So beschreibt der Bundesrechnungshof den Systemkonflikt

  • Krankenhäuser betreiben zur         häuser keine monetären Sanktionen      Prüfungen lohnt sich grundsätzlich,
  Optimierung ihrer Abrechnungen        befürchten müssen, wenn sie zu         weil dadurch noch mehr fehlerhafte
  gegenüber Krankenkassen einen         viel abrechnen. Auch dies schafft      Abrechnungen identifiziert und wei-
  hohen Aufwand, der zunehmend          Anreize, die Möglichkeiten des         tere Rückzahlungen erzielt werden.
  auch ärztliches Personal bindet.      DRG-Systems auszuschöpfen.             Allerdings werden die Krankenkas-
  Notwendige Investitionen erhöhen                                             sen durch die Aufwandspauschalen
  den Druck, bei Krankenhausab-         • Bei Krankenkassen besteht eine       an die Krankenhäuser in den Fällen
  rechnungen möglichst „hoch zu         vergleichbare Situation. Sie be-       belastet, in denen die Überprüfung
  codieren“ – auch, um sich gegen-      trachten Abrechnungsprüfungen          zu keiner Minderung des Abrech-
  über anderen Krankenhäusern           und die erzielten Rückzahlungen        nungsbetrages führt. Diese Zahlun-
  Wettbewerbsvorteile zu verschaf-      ebenfalls als besonders wettbe-        gen beliefen sich im Jahr 2016 auf
  fen. Hinzu kommt, dass Kranken-       werbsrelevant. Eine Ausweitung der     144,5 Millionen Euro.
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zeichnen. Ähnlich sehe es beim MDK-Management aus,         sorgung auswirken. Das kritisiert der Bundesrech-
wo 37 Prozent der Häuser Personal aufstocken.              nungshof in einem aktuellen Bericht zu dem Thema.
Auf der anderen Seite der MDK: 15 Dienste mit insge-       Darin schätzt er, dass alle Krankenkassen in 2016
samt fast 10.000 Mitarbeitern. Diese haben im ver-         Rückforderungen von 2,2 Mrd. Euro durchsetzten.
gangenen Jahr 5.729.000 sozialmedizinische Emp-            Dem stand im GKV-System ein vermuteter Aufwand
fehlungen für die Krankenversicherung erstellt, davon      von knapp 800 Millionen Euro gegenüber. Hinzu
2.580.000 Krankenhausabrechnungsprüfungen. Beim            kommt Aufwand bei den Krankenhäusern, den der
MDK Baden-Württemberg gibt es eine sozialmedizini-         Bundesrechnungshof nicht beziffern kann.
sche Expertengruppe, die sich speziell mit Vergütung       Der Gesetzgeber hat Handlungsbedarf erkannt und
und Abrechnung beschäftigt und Codierempfehlungen          will mit dem MDK-Reformgesetz gegensteuern. Es
formuliert. Nicht bekannt ist, wie viel Ressourcen und     sieht eine Reihe von Änderungen bei den Rechnungs-
Personal die Kassen darüber hinaus selbst in den Kampf     prüfungen vor, außerdem soll der MDK unabhängig
um Krankenhausabrechnungen stecken.                        von den Krankenkassen werden. Sowohl Kassen als
                                                           auch Krankenhäuser können in dem Gesetzentwurf
Auf dem Rücken der Patienten                               zwar positive Aspekte erkennen, doch das Problem
Das Fatale an diesem Wettrüsten ist, dass sich die         der widersprüchlichen Systemanreize bleibt weitge-
dadurch gebundenen finanziellen und personellen            hend ungelöst.                                     •
Kapazitäten zunehmend zu Lasten der Patientenver-

Kontroverse um
Krankenhausabrechnungen
Ein Streitgespräch mit Dirk Balster und Dr. Axel Meeßen

• Berlin (pag) – Im Streit um Krankenhausabrechnungen sind MDK und Krankenhäuser
erbitterte Kontrahenten. Umso überraschender, dass bei einem von Gerechte Gesundheit
und der Arbeitsgemeinschaft kommunaler Großkrankenhäuser organsierten Streitgespräch
auch gemeinsame Positionen entdeckt werden. Dirk Balster vom Klinikum Chemnitz und
Dr. Axel Meeßen vom MDK Berlin Brandenburg über ein krankes System und Reformver-
suche des Gesetzgebers.

Die Lobby fährt bei den Kranken-        Sache hart zu sein und das Andere,    gesetzt werden. Aus der Außen-
hausabrechnungen schweres Ge-           trotzdem respektvoll miteinander      sicht ist das System an manchen
schütz auf. Selbst der Minister         umzugehen. Und das erwarte ich        Stellen krank.
spricht von Irrsinn und Wahnsinn.       von allen Beteiligten.
Wie wirkt sich das auf die Zusam-                                             Balster: Aus meiner Sicht ist das
menarbeit vor Ort aus? Wird der         Der GKV-Spitzenverband verkündet      System sogar am Ende. Wir verbren-
Ton rauer?                              immer wieder, dass jede zweite        nen unsere Fachkräfte in Dokumen-
                                        geprüfte Krankenhausabrechnung        tation, Verteidigung und Abrech-
Balster: Der ist seit mehreren Jahren   falsch sei. Rechnen die Kliniken      nung. Die Gesetzgebung verschärft
mehr als rau. Wir haben eine sehr       wirklich so viel falsch ab?           den Pflegemangel. Um zusätzliche
angespannte Situation.                                                        Erlöse zu generieren, versuchen die
                                        Meeßen: Jeder der Beteiligten         Kliniken, neue Bereiche aufzubauen.
Und bei Ihnen, Herrn Meeßen?            – Krankenhaus, Kasse und MDK –        Dabei stehen wir in einem Hyper-
                                        verhält sich aus der Innensicht des   wettbewerb um Fachkräfte. Der
Meeßen: Natürlich geht es kontro-       Systems absolut logisch und nach-     Personalmarkt stellt eine immense
vers zu. Aber das Eine ist, in der      vollziehbar, weil bestimmte Anreize   Belastung für die Krankenhäuser dar.
November 2019
© pag, Fiolka                                             Im Fokus                                               Seite 13 •

         Die Kontrahenten

         Dirk Balster (im Foto links) ist kaufmännischer Ge-   Dr. Axel Meeßen ist Geschäftsführer des MDK Berlin-
         schäftsführer des Klinikums Chemnitz. Er ist Wirt-    Brandenburg. Zuvor war er unter anderem beim
         schaftswissenschaftler und hat unter anderem bei      GKV-Spitzenverband. Er kennt aber auch die andere
         Roland Berger deutschlandweit Projekte im Kranken-    Seite: Herr Meeßen ist Arzt und hat in der Chirurgie,
         haussektor geleitet.                                  Orthopädie und Medizininformatik gearbeitet.

Und auf der anderen Seite begegnet          Aber?                                  Balster: Hundertprozentig sauber be-
uns der MDK mit 2.100 Vollzeit-                                                    schrieben ist das nicht. Ein weiteres
kräften, von denen ungefähr die             Meeßen: Es gibt Lücken. Eine ist die   Problem ist: Die Krankenkassen tren-
Hälfte in der Abrechnungsprüfung            fehlende Investitionskostenfinan-      nen ganz klar zwischen dem Bud-
beschäftigt sind. Wir Kliniken be-          zierung durch die Länder. Die fehlt    get-Verhandlungsteam und dem Ab-
finden uns in der Defensive.                in den Kliniken und muss aus den       rechnungsteam. Und die Abrechner
                                            DRGs gedeckt werden, die dafür         interessieren sich zunehmend nicht
Fast jedes zweite Krankenhaus               nicht kalkuliert sind.                 mehr dafür, was das Budget-Team
stockt das Personal fürs Codieren                                                  vorher verhandelt hat. Beispielsweise
auf. Beim MDK sieht es nicht viel           Was sind weitere Lücken?               wurde zur Versorgungssicherung in
anders aus. Immer mehr Ressour-                                                    der Onkologie ein teilstationärer Satz
cen fließen in Überwachung und              Meeßen: Alle reden von Digitali-       plus Zusatzentgelt für die Chemo-
Kontrolle. Wie lange geht das noch          sierung. Das sind Zusatzinvesti-       therapien vereinbart. Der MDK sagt
so weiter?                                  tionen. Ich sehe nicht, dass die       aber, dass es keine Indikation für
                                            Länder den Krankenhäusern              einen teilstationären Fall gebe. Wir
Meeßen: Vollkommen richtig ist,             dafür zusätzlich Geld geben. Am        bekommen also die 300 Euro für den
dass das System kompliziert ist.            schlimmsten ist aus meiner Sicht       teilstationären Satz nicht – was nicht
Wir haben zig Codes für Krankheiten         aber, dass die privaten Häuser –       weiter schlimm ist. Allerdings haben
und Prozeduren. Die Gemeinsame              immerhin ein Drittel aller Kliniken    wir den Patienten mit Medikamenten
Selbstverwaltung legt fest, wann            – versuchen, zehn Prozent ihres        für 4.000 bis 5.000 Euro versorgt.
was und wie codiert werden kann             Gewinns an die Aktionäre abzu-         Die werden nicht bezahlt. Der MDK
und darf. Und die Kalkulations-             geben. Dabei ist unsere Kranken-       ist da ein seelenloses, weil starres,
häuser bilden die Realität für die          hauslandschaft ein Teil der Da-        Prüfinstrument.
deutsche Kliniklandschaft ab. Das           seinsvorsorge. Es ist daher ein
Ziel ist ja nicht, den Krankenhäusern       fataler Fehler, die Kliniken in den    Herr Meeßen, wie seelenlos ist der
weniger Geld zu geben, als da ist.          Markt zu schicken.                     MDK?
Eigentlich müsste jedes Kranken-
haus eine adäquate Vergütung                Bleiben wir noch bei der Abrech-       Meeßen: „Seelenlos“ hört sich ne-
bekommen, wenn es den Aufwand               nung. Wie viel Interpretationsspiel-   gativ an. Zu viel Seele und Mensch-
abgebildet über Krankheit und Maß-          raum gibt es bei den Codier-Richt-     lichkeit würden zu viel Interpreta-
nahmen codiert angibt.                      linien?                                tionen ermöglichen. Eine positive
• Seite 14                                            Im Gespräch                                 GERECHTE GESUNDHEIT

Seite der Seelenlosigkeit ist, dass      Herr Balster, das erleben Sie anders?    Mittlerweile ist davon etwa die Hälfte
wir überprüfen, ob es verbindliche                                                der Fälle mit 55 Prozent des Streit-
Regeln gibt und wie diese anzu-          Balster: Ein konkretes Beispiel für      wertes – das sind etwa 1,5 Millionen
wenden sind. Unsere bundesweite          eine Rechnungssituation: Bei der         – entschieden. Unsere Verfahrens-
Abrechnungsgruppe überprüft              Abrechnung der Schlaganfall-Kom-         kosten liegen bei rund 760.000 Euro
wiederkehrende Konflikte und gibt        plexpauschale muss die Temperatur        und die der Krankenkassen vermut-
Empfehlungen, die auch veröffent-        beim Patienten regelmäßig gemes-         lich auch. Das heißt, dass wir mit
licht werden. Das sind Maßnahmen,        sen werden, auch in der Nacht ist        dem Versuch uns anzunähern bereits
um Interpretationsspielräume zu          er dafür zu wecken. Eine fehlende        1,5 Millionen Euro zu Anwälten und
reduzieren.                              Temperaturabnahme nachts um zwei         Gerichten getragen haben.
                                         Uhr führt dazu, dass die Pauschale
Aber im Grunde haben die Kran-           nicht gezahlt wird. Da stelle ich mir    Geld, das in der Versorgung fehlt.
kenhäuser doch keine Planungs-           schon die Frage nach der Sinnhaftig-     Der Bundesrechnungshof kritisiert
sicherheit. Sie behandeln Patienten,     keit der Prüfung. Das gleiche gilt für   diese Mechanismen, die zu Lasten
schreiben Rechnungen und wissen          die Strukturmerkmalprüfung.              der Patienten gehen. Ist das auch
am Ende nicht, ob sie wirklich das                                                in Ihrem Haus so?
Geld bekommen.                           Inwiefern?
                                                                                  Balster: In meiner Region spüren
                                         Balster: Stichwort Pränatalmedizin:      wir einen massiven Fachkräfteman-
© pag, Fiolka

                                         Unser Klinikum hat die einzige Früh-     gel beim Ärztlichen Dienst. Hinzu
                                         chenstation Level 1 im Umkreis von       kommen Dokumentationspflichten,
                                         80 Kilometern. Der MDK wollte uns        die die Mediziner davon abhalten,
                                         über zwei Jahre diese Bezeichnung        ihren ärztlichen Pflichten nachge-
                                         nicht zuerkennen, weil zwei oder drei    hen zu können.
                                         Mal im Betrachtungszeitraum die
                                         pflegerische Besetzung in der Nacht      Das heißt, sie müssen sich überle-
                                         nicht den Strukturmerkmalen ent-         gen, ob der Arzt jetzt dokumentiert
                                         sprochen hätte. In der Konsequenz        oder am Patientenbett steht.
                                         hätte dies zur Folge gehabt, dass
                                         die Versorgung in Chemnitz einge-        Balster: Ja.
                                         stellt worden wäre und 500 Gramm
                                         schwere Babys durch das Land nach        Kommen wir zum MDK-Reformge-
                                         Dresden oder Leipzig gefahren wer-       setz. Wird damit das kranke System
                                         den. Was ist der Sinn der Rigidität      geheilt? Und kommen Sie, Herr
                                         eines solchen Prüfverfahrens? Geht       Balster, damit aus Ihrer Verlierer-
Meeßen: Das sehe ich etwas an-           es den Kassen um Strukturpolitik?        position heraus?
ders, schließlich gibt es für die Kli-
niken keinen ökonomischen Anreiz,        Meeßen: Bei der Selbstverwaltung         Balster: Das Gesetz bringt sicherlich
richtig abzurechnen. Daher sagt          werden bestimmte Regeln verein-          Verbesserungen mit sich, die aber
derjenige, der das bezahlen muss:        bart. Wenn ein bestimmter Parame-        nicht maßgeblich helfen werden.
„Das möchte ich jetzt aber gerne         ter immer zu erfüllen ist, dann muss     Dennoch haben wir die Hoffnung,
wissen.“ Die Kassen bekommen             er eben auch immer erfüllt werden.       dass eine Neutralisierung des MDKs
allerdings immer weniger medizini-       Als Krankenhausträger würde ich          hilfreich sein könnte.
sche Daten von den Patienten. Die        gerne Vereinbarungen treffen, bei
MDK-Gutachter haben die Aufgabe,         denen der Parameter in 98 Prozent        Herr Meeßen, Sie werden demnächst
Prozeduren und Abrechnung an-            der Fälle zu erfüllen ist – und intern   völlig unabhängig von den Kranken-
zusehen, um zu kontrollieren, ob         strebe ich 100 an. Dann sind die         kassen. Was ändert sich für Sie?
es Probleme gab. Wir sind ziemlich       zwei Prozent, bei denen etwas ver-
berechenbar bei der Frage, was für       gessen wird, nicht so schlimm. Ein       Meeßen: An der Arbeit unserer Gut-
uns strittig ist und was nicht. Mein     systematisches „Vergessen“ wäre          achter ändert sich nichts, denn nicht
Anspruch ist, dass es keine Überra-      gleichzeitig so nicht möglich.           ich oder der Verwaltungsrat machen
schung gibt und dass die Kranken-                                                 diese Arbeit. Die organisationsrecht-
häuser im Vorhinein wissen, wie wir      Balster: Am Ende des Tages bleibt        lichen Änderungen beeinflussen die
die Sache einschätzen werden.            doch die Frage, welche Zielsetzung       Gutachter überhaupt nicht.
                                         die Krankenkasse verfolgt. Bei einer
Seelenlos, aber berechenbar.             bundesweit tätigen Ersatzkasse           Im Verwaltungsrat sitzen künftig
                                         wussten wir uns vor vier Jahren nicht    auch Patienten- und Pflegevertreter.
Meeßen: Das ist die positive Seite       mehr anders zu helfen, als 1.750 Fälle
von Seelenlosigkeit.                     an einem Tag zu Gericht zu tragen.       Meeßen: Diejenigen, die im Ver-
November 2019                                                           Im Gespräch                                Seite 15 •

waltungsrat sitzen, haben nichts                                                      Herr Balster, zum Abschluss unseres
mit der inhaltlichen Arbeit zu tun.                                                   Gesprächs stellen Sie sich bitte vor,

                                        © pag, Fiolka
Bereits heute ist das ganze opera-                                                    Herr Meeßen würde einige Tage bei
tive Geschäft in der Verantwortung                                                    Ihnen hospitieren. Was wäre das
der Geschäftsführung und des                                                          größte Aha-Erlebnis für ihn?
leitenden Arztes – und nicht in der
des Verwaltungsrates. Durch das                                                       Balster: … dass es das Prinzip der
Gesetz wird sich im operativen Tun                                                    bewussten Falschabrechnung nicht
nichts verändern.                                                                     gibt. Das gibt es nicht in unserem
                                                                                      Haus, den Versuch würden wir gar
Die Strukturprüfungen haben im                                                        nicht wagen. Wir machen Right-Co-
vergangenen Jahr für viel Wirbel                                                      ding und versuchen die Leistungen,
gesorgt. Der Gesetzgeber plant                                                        die wir erbracht haben, abzurech-
daher einige Änderungen, wie                                                          nen. Für Sie, Herr Meeßen, wäre es
bewerten Sie diese?                                                                   sicher auch interessant zu sehen, wie
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Meeßen: Für die Kliniken soll das Ge-   Meeßen: Eine wichtige Grundsatz-              haben, mit null vergütet werden.
schäft berechenbarer werden. Heute      frage bleibt übrigens ungeklärt: Pri-
werden die Anforderungen teilweise      vate Kliniken müssen für ihren Träger         Herr Meeßen, was wäre das Wich-
im Einzelfall geprüft – und auch        Gewinn machen. Aber in der Logik              tigste, das Herr Balster im MDK
nach der Leistungserbringung. Das       unseres Systems ersetzen DRGs                 lernen könnte?
Ganze soll jetzt umgedreht werden:      den Aufwand. Wie kann man einen
Das Krankenhaus lässt die Anforde-      Gewinn abziehen und gleichzeitig              Meeßen: Sie bekommen mit, wie
rungen vorab vom MDK prüfen, holt       korrekt seinen Aufwand abrechnen?             es möglich ist, dass man sich über
sich einen Stempel, geht damit zu                                                     grundsätzliche Dinge, bei denen man
den Kassen und fordert die Leistung     Balster: Da sind wir einer Meinung.           auseinander liegt, verständigt und
in der Budgetverhandlung. Solange       Als kommunales Großkrankenhaus                festlegt, wie es künftig gehandhabt
sich an den Voraussetzungen nichts      betreiben wir Daseinsvorsorge und             wird. Wenn uns das System schon
ändert, hat es damit die Gewähr,        tragen in der Region die Verant-              unlösbare Aufgaben gibt, sollten
dass die Leistung bezahlt wird.         wortung. Elf Millionen Euro ergeb-            wir versuchen, es so gut wie mög-
                                        niswirksame Abschreibungen für                lich hinzubekommen. Ich wäre für
Eine gute Idee, Herr Balster?           Investitionen, die wir für die Patien-        Rahmenbedingungen dankbar, die
                                        tenvorsorge getätigt haben, müssen            den Kliniken ökonomische Anreize
Balster: Grundsätzlich ja. Gleichzei-   wir refinanzieren. Durch private              setzen, richtig abzurechnen. Bei kor-
tig muss aber auch gesehen wer-         Krankenhausbetriebe und -ketten               rekter Abrechnung könnte man den
den, wie diese Anforderungen zu         werden Mittel aus dem System ge-              Aufwand herunterfahren und mehr
realisieren sind. Und es muss geklärt   zogen. Und auf die grundsätzliche             Leute könnten in die Versorgung
werden, welche Risiken dadurch für      Frage, welche Krankenhausstruktur             zurück. Denn auch das würden Sie
die weitere Versorgung entstehen.       nachhaltig und dauerhaft finanzier-           bei uns mitnehmen: Um jede Stellen-
Die Strukturprüfungen dürfen nicht      bar ist, haben wir hierzulande noch           mehrung im ärztlichen Bereich tut
die Versorgung gefährden.               keine Antwort gefunden.                       es mir für die Versorgung weh.      •

  On and off the record
                                                        © pag, Fiolka

  Das Streitgespräch zwischen Dr. Axel
  Meeßen und Dirk Balster ist Teil der
  Veranstaltung „MDK-Prüfungen – Wett-
  rüsten im Krankenhaus“, zu der Gerechte
  Gesundheit und die Arbeitsgemeinschaft
  kommunaler Großkrankenhäuser einge-
  laden haben. Moderation: Lisa Braun und
  Antje Hoppe. Nach dem Streitgespräch
  gab es eine angeregte Diskussion mit den
  geladenen Gästen. Diese ist jedoch off the
  record – und damit nicht Teil unserer Be-
  richterstattung.
• Seite 16                                                              In Kürze                                       GERECHTE GESUNDHEIT

Wo das BVA den Kassen auf die Finger schaut
• Bonn (pag) – „Die Digitalisierung hat den Bereich der zusätzlichen Satzungsleistungen er-
reicht.“ Das stellt das Bundesversicherungsamt (BVA) in seinem Tätigkeitsbericht 2018 fest.
Darin kommen auch unliebsame Themen der Gesetzlichen Krankenversicherung zur Sprache:
Ausschreibungen in der Hilfsmittelversorgung, Sondervereinbarungen zu Krankenhausab-
rechnungen sowie die Liposuktion.

Zahlreiche Versicherte beschwerten sich, dass Kassen                         Gesetzliche Regelungen „vollständig umgangen“
aus ihrer Sicht dringend erforderliche innovative medi-                      Zahlreiche Beschwerden lagen dem Amt in 2018
zinische Leistungen nicht finanzierten, teilt das BVA                        auch gegen die Vertragspraxis der Kassen zur Hilfs-
mit. Darunter auch Versicherte mit einem Lipödem.                            mittelversorgung vor. Das Heil- und Hilfsmittelversor-
Dieser Fall zeige exemplarisch ein Spannungsverhältnis                       gungsgesetz habe zwar die Anforderungen bei der
– und zwar „zwischen den Wünschen einzelner Ver-                             Berücksichtigung von Qualitätsaspekten in Ausschrei-
sicherter nach zeitnaher Versorgung mit innovativen                          bungen deutlich erhöht. Die Kassen hätten dies aber
medizinischen Leistungen einerseits und andererseits                         nur unzureichend umgesetzt, heißt es im Bericht. Der
den Interessen der Versichertengemeinschaft, dass nur                        Gesetzgeber reagierte mit dem Terminservice- und Ver-
Leistungen von den Krankenkassen finanziert werden,                          sorgungsgesetz: Kassen müssen künftig die Hilfsmittel-
deren Erforderlichkeit umfassend nachgewiesen ist“.                          versorgung auf dem Verhandlungsweg durch Rahmen-
Das Amt verweist auf den Gemeinsamen Bundes-                                 verträge mit Beitrittsmöglichkeit sicherstellen.
auschuss (G-BA), der prüfe, ob eine Methode für die                          Für Knatsch sorgten ferner Sondervereinbarungen, die
ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Versor-                        einige Kassen mit Krankenhäusern geschlossen haben.
gung erforderlich ist. Zur Erinnerung: Die Liposuktion hat                   Dabei ging es um pauschalierte Kürzung von Klinikrech-
zu einer Machtprobe zwischen gemeinsamer Selbstver-                          nungen. Für die Kassen sei die Klärung strittiger Ab-
waltung und Gesundheitsminister Jens Spahn geführt. In                       rechnungsfragen unter Einbeziehung des Medizinischen
der Folge hat der G-BA eine Erprobungs-Richtlinie Lipo-                      Dienstes der Krankenversicherung vielfach aufwändig
suktion erlassen. Das BVA hebt hervor, dass Kassen nur                       und kostenintensiv, berichtet die Aufsichtsbehörde.
ausnahmsweise die Kosten für bisher nicht anerkannte                         Allerdings hätten einige mit diesen Vereinbarungen die
Untersuchungs- und Behandlungsmethoden überneh-                              gesetzlichen Regelungen „vollständig umgangen“. Man
men könnten. „Dies gilt insbesondere bei lebensbedroh-                       habe sie daher aufgefordert, darauf zu verzichten. Das
lichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankungen.“                              Bundesversicherungsamt zieht folgende Bilanz: In „fast
                                                                                                  allen Fällen“ wurden die Sonderver-
                                                                                                  einbarungen beendet. Eine Kran-
                                                                                                  kenkasse klagte jedoch gegen die
                                                                                                  aufsichtsrechtlichen Mittel.

                                                                                                   Der Stand zu digitalen Versor-
                                                                                                   gungsprodukten als Satzungs-
                                                                                                   leistungen: Das BVA hat die recht-
                                                                                                   lichen Möglichkeiten ausgelotet,
                                                                                                   größtenteils im positiven Sinne für
                                                                                                   die Versicherten, wie es betont. An
                                                                                                   Grenzen stoßen allerdings Produkte,
                                                                                                   die den Grundsätzen des SGB V
                                                                                                   nicht genügen. Zum Beispiel sei bei
                                                                                                   Produkten aus dem Heil- und Hilfs-
                                                                                                   mittelbereich eine ärztliche Verord-
                                                                                                   nung erforderlich.                          •
                                                                                                   Weiterführender Link

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                                                                                                   bericht 2018
                                                                                                   https://www.bundesversiche-
                                                                                                   rungsamt.de/fileadmin/redak-
                                                                                                   tion/allgemeine_dokumente/
                                                                                                   pdf/taetigkeitsberichte/Taetig-
Streitfall Liposuktion: Spannungsverhältnis zwischen den Wünschen einzelner Versicherter und den
                                                                                                   keitsbericht_BVA_2018_web.
Interessen der Versichertengemeinschaft. © iStock.com, MartinPrescott                              pdf
November 2019                                                                       In Kürze                                                                    Seite 17 •

Sozialwahlen online: Mehr Demokratie wagen?
• Berlin (pag) – Die Bundesbeauftragte für die Sozialversicherungswahlen, Rita Pawelski,
und der Verband der Ersatzkassen (vdek) wollen die Sozialwahl modernisieren – und
zwar per Online-Abstimmung. Damit das bis zur nächsten Wahl im Jahr 2023 klappt,
muss jetzt an den gesetzlichen Stellschrauben gedreht werden. „Die Zeit rinnt uns durch
die Finger“, sagt Pawelski.

Schließlich müssen Ausschrei-                               diese Option. Neben der Umfrage                                  Problem Friedenswahl
bungsfristen gewahrt, die not-                              präsentieren vdek und Pawelski                                   Bleibt das Problem der sogenann-
wendige Technik bereitgestellt                              auf der gemeinsamen Presse-                                      ten Friedenswahl, der Wahl ohne
werden. Wenn das Anliegen in den                            konferenz ein Working Paper                                      Wahlmöglichkeit. Dabei werden
kommenden Monaten nicht um-                                 von Prof. Indra Spiecker genannt                                 auf den Vorschlagslisten nicht
gesetzt, sprich ein Vorschaltge-                            Döhmann zur rechtlichen Zuläs-                                   mehr Kandidaten aufgestellt als
setz auf den Weg gebracht wird,                             sigkeit einer Online-Wahl bei der                                Mitglieder zu wählen sind. Wie
kann frühestens in zehn Jahren bei                          Sozialwahl. Damit wollen sie das                                 überzeugend sind Modernisierungs-
Sozialwahlen online abgestimmt                              Argument aus dem Bundesarbeits-                                  bemühungen, die dieses Thema
werden, lautet der Appell der                               ministerium entkräften, diese                                    außen vorlassen? Klemens ist zwie-
Wahlbeauftragten. Im Koalitions-                            Abstimmungsform sei aus verfas-                                  gespalten: Auf Nachfrage räumt er
vertrag haben SPD und Union                                 sungsrechtlichen Gründen nicht                                   ein, dass man „darüber nachdenken
festgehalten, dass die Sozialwahl                           machbar. Die Rechtswissenschaft-                                 müsste“. Allerdings stellt er auch
zu modernisieren sei. Viel mehr                             lerin von der Goethe-Universität                                 klar: „Das ist aber dann auch einer
scheint nicht passiert zu sein. Und                         Frankfurt a.M. konstatiert: „Aus                                 der Hinderungsgründe, die uns im
Pawelski reißt allmählich der Ge-                           rechtlicher Sicht gibt es keine Hin-                             Weg stehen.“ Denn bei den meisten
duldsfaden. „Mein Vorgänger hat                             derungsgründe.“                                                  Sozialversicherungsträgern wird
das Thema bereits von seinem                                Die Gründe für die digitale Er-                                  friedlich gewählt. Urwahlen führen
Vorgänger übernommen.“                                      gänzungsvariante stellt der                                      verschiedene Betriebskrankenkas-
Eine aktuelle Umfrage unter 1.002                           vdek-Verbandsvorsitzende Uwe                                     sen, die meisten Ersatzkassen und
wahlberechtigten vdek-Versicher-                            Klemens dar: Er spricht – vor dem                                die Deutsche Rentenversicherung
ten zeigt, dass zwei Drittel für die                        Hintergrund einer ausbaufähigen                                  Bund durch. Auch Pawelski – so
Einführung der Online-Wahl sind                             Wahlbeteiligung von 30,5 Prozent                                 sehr sie sich auch über den euphe-
– als zusätzliche Option neben                              in 2017 – von einem „entscheiden-                                mistischen Begriff der Friedenswahl
der Briefwahl. In der Altersgruppe                          den Schritt zur Modernisierung“.                                 echauffieren mag – will dieses Fass
der 16- bis 44-Jährigen liegt die                           Und er hofft, damit mehr junge                                   nicht aufmachen. Zu groß ist ihre
Zustimmung sogar bei 75 Prozent.                            Menschen zu erreichen. Pawelski                                  Sorge, dadurch den Weg zur On-
Und auch Befragte im Alter von                              ergänzt: „Eine Online-Wahl stärkt                                line-Wahl zu verbauen.                    •
60 plus votieren mit 52 Prozent für                         die soziale Selbstverwaltung.“
Zeitplan
Diese Schritte sind nötig, damit 2023 eine Online-Sozialwahl möglich ist
Zeitplan: Diese Schritte sind nötig, damit 2023 eine Online-Sozialwahl möglich ist

        2018                      2019                       2020                               2021/22                           2023          Weiterführender Link

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                                                                                                                                                keit einer Online-Wahl
                                                                                                                                                zur Sozialwahl“ Prof. Dr.
 Koalitionsvertrag:   Frühjahr 2019                 Vorschaltgesetz                Notwendige Vorbereitungen                  Sozialwahl 2023   iur. Indra Spiecker ge-
                                                    muss spätestens im Januar      bei den Trägern:                           als Brief-        nannt Döhmann, LL.M.,
 „Wir wollen die      o   Urwählende Träger         2020, Gesetze/Verordnungen                                                /Online-Wahl      und Dr. iur. Sebastian
 Selbstverwaltung         erstellen und verteilen   müssen bis 30. Juni 2020 in    o   Satzungsänderungen für eine Online-
                                                                                       Sozialwahl müssen durch die
                                                                                                                                                Bretthauer
 stärken und              Vorschläge zur            Kraft getreten sein
 gemeinsam mit den        Rechtsgestaltung für                                         Selbstverwaltung beschlossen und                         www.vdek.com/presse/
 Sozialpartnern die       eine fakultative          Andernfalls ist eine Online-       durch die Aufsicht genehmigt werden                      pressemitteilungen/2019/
 Sozialwahl               Online-Sozialwahl         Sozialwahl 2023                o   Gründung einer Pflicht-                                  forsa-umfrage-gutachten
 modernisieren.“                                    ausgeschlossen                     Arbeitsgemeinschaft                                      -online-sozialwahl/_jcr_
                      Juni 2019                                                                                                                 content/par/download
                                                                                   o   Ausschreibung/Vergabe für eine                           _187297
                      o   BMAS und BMI prüfen                                          Software zur Online-Sozialwahl                           6010/ file.
                          die (verfassungs-)
                          rechtlichen                                              o   Technische                                               res/06_
                          Voraussetzungen für                                          Umsetzung/Vorbereitungen bei den                         Gutach-
                          eine Online-Sozialwahl                                       teilnehmenden Trägern und                                ten_Wor-
                                                                                       Dienstleistern für eine Brief- und                       king_Pa-
                                                                                       Online-Sozialwahl                                        per.pdf

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Quelle: Ersatzkassen Ersatzkassen
                       DRV Bund. und DRV Bund.
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