Wie disruptiv sind forschende Unternehmer? - GemeinsamNeuesWagen Zur Innovationskraft des deutschen Mittelstands - DIHK
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Wie disruptiv sind forschende Unternehmer? Zur Innovationskraft des deutschen Mittelstands GemeinsamNeuesWagen Studie im Auftrag des DIHK, 2020, Dr. Reiner Nikula
2 | INNOVATIONSKRAFT DES DEUTSCHEN MITTELSTANDS | STUDIE IM AUFTRAG DES DIHK | 2020 Impressum Autor: Dr. Reiner Nikula reiner.nikula@t-online.de Ansprechpartner im DIHK: Felicitas von Bredow vonbredow.felicitas@dihk.de +49 30 20308-1108 Dr. Susanne Gewinnus gewinnus.susanne@dihk.de +49 30 20308-2213 Dr. Hermann Hüwels huewels.hermann@dihk.de +49 30 20308-2200 Herausgeber und Copyright © Deutscher Industrie- und Handelskammertag e. V. (DIHK) Berlin | Brüssel Bereich Energie, Umwelt, Industrie Alle Rechte liegen beim Herausgeber. Ein Nachdruck – auch auszugsweise – ist nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Herausgebers gestattet. DIHK Berlin Postanschrift: 11052 Berlin | Hausanschrift: Breite Straße 29 | Berlin-Mitte Telefon: 030 20308-0 | Telefax: 030 20308-1000 DIHK Brüssel Vertretung des Deutschen Industrie- und Handelskammertages bei der Europäischen Union 19 A-D, Avenue des Arts | B-1000 Bruxelles Telefon: +32-2-286-1611 | Telefax: +32-2-286-1605 info@dihk.de www.dihk.de Grafik Friedemann Encke, DIHK Bildnachweis Fotos © www.gettyimages.com (3) Stand Februar 2021
INNOVATIONSKRAFT DES DEUTSCHEN MITTELSTANDS | STUDIE IM AUFTRAG DES DIHK | 2020 | 3 Danksagung Anmerkung Mein besonderer Dank gilt Frau von Bredow, Frau Dr. Gewin- Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird auf die gleich nus und Herrn Dr. Hüwels vom DIHK sowie folgenden Indust- zeitige Verwendung der Sprachformen männlich, weiblich rie- und Handelskammern, die größtenteils die Interviews mit und divers (m/w/d) verzichtet. Sämtliche Personenbezeich- den Unternehmen geführt haben: nungen gelten gleichermaßen für alle Geschlechter. Die formulierten Aussagen im Text, dies gilt besonders für die • IHK Chemnitz Handlungsempfehlungen, sind die persönliche Meinung des • IHK Frankfurt am Main Autors dieser Studie. Er steht für inhaltliche Rückfragen und • IHK für Oberfranken Bayreuth Anmerkungen gerne zur Verfügung. • IHK Gießen-Friedberg • HK Hamburg • IHK Hessen innovativ • IHK Hochrhein-Bodensee in Konstanz • IHK Kassel-Marburg • IHK Koblenz • IHK Lüneburg-Wolfsburg • IHK München für Oberbayern • IHK Nürnberg für Mittelfranken • IHK Offenbach am Main • IHK Osnabrück-Emsland-Grafschaft Bentheim • IHK Regensburg für Oberpfalz/Kelheim • IHK Stade für den Elbe-Weser-Raum • IHK Schwarzwald-Baar-Heuberg • IHK zu Leipzig Vorwort Was man als Entscheidungsträger in Wirtschaft und Politik nisse eingebettet ist, die ihre Umsetzung vereinfacht und niemals unterschätzen sollte: Durch Neugier getriebene beschleunigt. Die Welt ist schnelllebiger geworden. Deshalb Forschung führt zu radikalen Durchbrüchen, und zwar viel wird das 21. Jahrhundert immer mehr mit ökonomischen häufiger als erwartet. Unerwartete Durchbrüche kann man Disruptionen aufwarten, die althergebrachten Wirtschafts- nicht planen – ganz einfach, weil man das Unerwartete nicht zweige und Geschäftsmodelle herausfordern und radikal planen kann. Trotzdem kann man eine Menge dafür tun, dass verändern. Neue Wirtschaftszweige werden entstehen und unerwartete Entdeckungen eintreten und dass man als Ent- auf unerwartete Weise die Welt verändern. scheider nicht zum Getriebenen der Entdeckungen anderer wird. Man kann nämlich die Voraussetzungen dafür schaffen, Die vorliegende Studie gibt einen Einblick in das radikal inno- dass die Entdeckungen im eigenen Umfeld gemacht werden. vative Handeln von zahlreichen Unternehmern. Deren Produkte Zu diesen Voraussetzungen gehört, originelle Forschung zu können in dynamischen Märkten Disruption im Sinne steil an- fördern und Menschen für die Forschung zu gewinnen, die steigender Nachfragen sowie grundlegender Veränderungen des auch bereit sind, sich auf das Unvorhersagbare einzulassen. ökonomischen Verhaltens erzeugen. Dem DIHK ist zu danken, In der Regel tun das nur die besten Wissenschaftler, denn nur dass er den Auftrag gegeben hat, dieses Feld durch eine wis- die besten Wissenschaftler sind richtige Entdecker. senschaftlich geprägte Studie zu erhellen. Ein Feld, das für den künftigen Wohlstand unserer Gesellschaft von hoher Bedeutung Was man ebenfalls nicht unterschätzen sollte: echte Durch- ist. Daher wünsche ich diesem Thema weiterhin eine hohe, auch brüche in der Wissenschaft sind über kurz oder lang wirt- politische Aufmerksamkeit. Möge der Mut der Innovatoren schaftlich relevant und ökonomisch wertvoll. Als Physiker künftige Generationen von Unternehmern inspirieren. könnte ich spontan keine mit dem Nobelpreis ausgezeich- nete physikalische Entdeckung der ersten Jahrhunderthälfte Stefan Hell nennen, die in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts keine wirtschaftliche Bedeutung gehabt hätte. Ganz im Gegenteil: (Prof. Stefan Hell ist Direktor am Max-Planck-Institut für bio- jede dieser Entdeckungen war letztlich auch Ausgangspunkt physikalische Chemie in Göttingen als auch am Max-Planck- eines technologischen und wirtschaftlichen Umbruchs. Im Institut für medizinische Forschung in Heidelberg und Gründer 21. Jahrhundert wird die Zeitspanne zwischen Entdeckung der Firma Abberior. 2014 wurde ihm für seine bahnbrechenden und ökonomischem Umbruch noch kürzer werden, nicht Arbeiten auf dem Gebiet der ultrahochauflösenden Fluores- zuletzt, weil jede Entdeckung in eine Welt weiterer Erkennt- zenzmikroskopie der Nobelpreis für Chemie verliehen.)
4 | INNOVATIONSKRAFT DES DEUTSCHEN MITTELSTANDS | STUDIE IM AUFTRAG DES DIHK | 2020 Inhaltsverzeichnis Danksagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 Anmerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 Management Summary . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 Einführung und literarische Einordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Innovationsdefinitionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 Innovation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 Inkrementelle Innovation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 Durchbruch-Innovation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 Radikale Innovation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 Disruptive Innovation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 Methodik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 Nutzung von Auswertungstools . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 Auswahl der Stichprobe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 Beschreibung der Stichprobe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 Einteilung der Stichprobe in zwei Gruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 Vergleich von inkrementellen und radikalen Innovatoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 Objektive Daten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 Subjektive Aussagen mit Antwortmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 Gesamteindrücke der Interviewer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 Antworten auf offene Fragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 Fragen rund um erfolgreiche Novitäten im Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 Erfolgsfaktoren im Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 Politische Rahmenbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 Kooperation mit Hochschulen und Forschungseinrichtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 Unternehmenskultur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27
INNOVATIONSKRAFT DES DEUTSCHEN MITTELSTANDS | STUDIE IM AUFTRAG DES DIHK | 2020 | 5 Handlungsempfehlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 Empfehlungen an die Politik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 Empfehlungen an die Agentur für Sprunginnovationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 Empfehlungen an inkrementell-innovative Unternehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 Empfehlungen an forschende Unternehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 Empfehlungen an Investoren und Fonds . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 Empfehlungen an Öffentlichkeit und Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 Empfehlungen an Industrie- und Handelskammern (IHKs) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 Empfehlungen an den Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 Zusammenfassung und Integration der Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 Studienteilnehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 Literaturliste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39
6 | INNOVATIONSKRAFT DES DEUTSCHEN MITTELSTANDS | STUDIE IM AUFTRAG DES DIHK | 2020 Management Summary Im Wettbewerb der Wirtschaftsregionen können sich Deutsch- Auch Ausgründungen aus Forschungseinrichtungen zählen land und Europa nur behaupten, wenn sie schneller als andere zu forschenden Unternehmen. neue Produkte und Dienstleistungen entwickeln und zur Anwendung bringen. Während inkrementelle Innovation beste- • Der Anteil der Unternehmerinnen und Unternehmer, die hende Produkte und Verfahren in kleinen Schritten verbessert, in der Lage sind, eine radikal neue Technik auf neuen benutzt radikale oder bahnbrechende Innovation eine erstma- Märkten zu platzieren, ist eher gering. Es bestehen auch lige Technik für einen neuen Absatzmarkt. Bei einer disruptiven keine zwingenden Gründe, mehrheitlich radikale Neuhei- Innovation oder Sprunginnovation ist nicht der Innovator, ten zu entwickeln. Die Aufnahmebereitschaft der Märkte sondern der Markt die treibende Kraft. Nur wenn die Nachfra- für grundsätzlich neue Produkte ist begrenzt. Bei den ge des Markts nach einem Produkt sprunghaft ansteigt und Kunden muss zudem die Bereitschaft vorhanden sein, bestehende Anbieter verdrängt werden, entsteht Disruption. einen zunächst höheren Preis für die Novität zu bezahlen, bevor diese weiterentwickelt und ggf. zu einem Massen- Wirtschaft und Wissenschaft in Deutschland sind zwar inno- produkt wird. vativ, aber sind ihre Produkte auch disruptiv? Wie kommen Sprunginnovationen zustande? Was zeichnet radikale Inno- • Forschende Unternehmen leisten mit ihrer Dynamik und vatoren aus? Diese Studie soll helfen, dem Phänomen mit Zukunftsorientierung nicht nur einen bedeutenden Bei- empirisch gewonnen Informationen näher zu kommen. Dafür trag zur Innovationskraft der Gesellschaft, sondern spie- wurden Gespräche mit 70 hochinnovativen Unternehmerinnen len auch volkswirtschaftlich eine unverzichtbare Rolle. und Unternehmern aus Deutschland geführt und ausgewertet. Sie generieren neue Technik, die von den inkrementellen Innovatoren oder ihnen selbst weiterentwickelt wird und nach einer langen Anlaufzeit zu Massenprodukten führen Die Ergebnisse im Überblick: kann oder neue Funktionalitäten in diese integriert. Daher sollte dieser kreative Kern der deutschen Wirtschaft die • Disruption entsteht aus einer Wechselwirkung zwischen notwendige Aufmerksamkeit und Unterstützung erhal- Innovation und Marktkräften mit überwiegend großen ten. Die neue Agentur für Sprunginnovationen (SPRIND) Abständen zwischen dem Eintreten eines neuen Produkts und die IHK-Organisation können hierzu entscheidende in den Markt und der steigenden Nachfrage nach diesem. Beiträge leisten. • Eine disruptive Innovation, die zu einer sprunghaft stei- genden Nachfrage mit marktverändernder Wirkung führt, Zur Unterstützung der Tätigkeiten forschender geschieht hierzulande deutlich häufiger als angenommen. Unternehmen werden in der Studie folgende Sie kann sowohl auf radikale als auch auf inkrementelle Handlungsempfehlungen vorgeschlagen: Innovatoren zurückzuführen sein. Externe Schocks wie die Corona-Krise befördern marktverändernde Prozesse und 1. Potenzial erkennen: Diskurs zwischen Politik und for- lösen Nachfragesteigerungen aus. schenden Unternehmen intensivieren • Die Disruption, also die Marktveränderung durch ein Ein verstärkter Austausch zwischen politischen Partnern neues Produkt, findet bei den befragten Unternehmen und der Gruppe der forschenden Unternehmer dient dem in hochspezialisierten B2B-Märkten und kaum in Mas- gemeinsamen Anliegen einer hochinnovativen Wirtschaft. senmärkten statt. Es ändern sich eher die Gewohnheiten Anlaufstellen bei den zuständigen Ministerien oder Begeg- von Produzenten, nicht aber von der Bevölkerung. Daher nungen in öffentlichkeitswirksamen Formaten, wie Preisver- sind viele Sprunginnovationen „made in Germany“ in der leihungen oder Roadshows, können dazu beitragen. Öffentlichkeit weniger präsent. 2. Synergien nutzen: Engere Zusammenarbeit zwischen • Radikale Innovatoren unterscheiden sich deutlich von SPRIND und forschenden Unternehmen anstreben schrittweise innovierenden Unternehmen. Sie lassen sich als forschende Unternehmer mit einem hohen akademi- SPRIND wird empfohlen, die Expertise radikaler Innovatoren schen Bildungsgrad charakterisieren, die Pioniermärkte auch in Bezug auf potenziell disruptive Märkte einzuholen. sowie frühe Anwender beliefern. Sie verfügen über Labors Dazu könnte – neben dem Aufsichtsrat – ein unternehmerisch und Werkstätten, arbeiten wissenschaftlich fundiert geprägter Beirat geschaffen werden. Auch hier können öffent- und sind gut mit der akademischen Welt vernetzt. Diese lichkeitswirksame Formate, wie ein Podcast oder Veranstal- besondere Verbundenheit mit der Wissenschaft zeigt sich tungen mit forschenden Unternehmern hilfreiche Mittel sein. auch in der Suche nach Innovationsanstößen aus der For- Da Disruption in spezialisierten B2B-Märkten häufiger auftritt, schung. Forschende Unternehmerinnen und Unternehmer sollte SprinD das Spannungsfeld disruptiver Märkte synchron sind überdurchschnittlich explorativ und individualistisch verfolgen und sich mit den in der Studie aufgezählten Innova- und arbeiten zudem eher in kleineren Betrieben. tionsagenturen anderer Länder vernetzen.
INNOVATIONSKRAFT DES DEUTSCHEN MITTELSTANDS | STUDIE IM AUFTRAG DES DIHK | 2020 | 7 3. Schlagkraft ermöglichen: Forschende Unternehmer deren Bedürfnisse forschender Unternehmen in ihren spezialisierten zielgenau fördern Teilmärkten stärker in den Fokus stellt. Es sollte zudem geprüft wer- den, wie bestehende Förderprogramme darauf ausgerichtet werden Welche Neuheit disruptive Qualität hat, weiß man in der Regel nicht könnten, die Umsetzung radikal innovativer Ideen zu ermöglichen. im Vorhinein. Entwicklungen sind also mit einem hohen wirtschaft- lichen Risiko für die Unternehmen verbunden. Die Politik sollte Weitere Handlungsempfehlungen an Forschungseinrichtungen besonders risikobehaftete Vorhaben daher zielgenau und zeitlich und Hochschulen, an Investoren und Fonds, an die Öffentlich- begrenzt mit Fördermitteln unterstützen. Das kann auch bedeuten, keit und Gesellschaft, an inkrementell und radikal innovative ein Förderprogramm – zusätzlich zur allgemein ausgerichteten Unternehmen sowie an die IHK-Organisation selbst finden Sie im Agentur für Sprunginnovationen – zu etablieren, welches die beson- Kapitel Handlungsempfehlungen. Einführung und literarische Einordnung Der Entschluss, die vorliegende Studie durchzuführen, hängt Im Zentrum der Methodik sollten Wettbewerbe stehen, eng mit der Entscheidung der Bundesregierung zusammen, bei denen die eingereichten Vorschläge Gegenstand einer die Agentur für Sprunginnovationen SPRIND zu gründen offenen Einbeziehung von Experten sind und anschließend (vgl. Harhoff, Kagermann & Stratmann, 2018). Zur Kernauf- von kompetenten Programm-Managern umgesetzt werden. gabe dieser Organisation sollte es gehören, die Durchfüh- Im Sinne einer maximalen Effizienz wurde die weitgehende rung von Projekten zu unterstützen, die Handlungsfreiheit der Projektleiter bei großzügiger finanziel- ler Ausstattung und langfristiger Perspektive betont. • voraussichtlich von großer Bedeutung für die zukünftige Lösung einer zentralen Herausforderung sind, In dieser Phase erfolgte eine Orientierung an der amerikani- schen DARPA (s. u.), während andere nationale Innovations- • neuartige Lösungsansätze versprechen, die die Grenzen aktuel- agenturen kaum Berücksichtigung fanden. Zur Vorbereitung ler Technologien und der derzeitigen Praxis überschreiten und der weiteren Auseinandersetzung mit diesem Thema verdeut- licht die folgende Abbildung die Organisationen der Länder in • grundsätzlich dazu geeignet sind, von Marktakteuren in der Reihenfolge des Bloomberg-Index für die Innovationskraft neue Produkte und Dienstleistungen umgesetzt beziehungs- von Nationen. Hier nimmt Deutschland den ersten Platz ein, weise vom Staat in großem Maßstab genutzt zu werden. vertreten durch die Agentur für Sprunginnovationen SPRIND. Nationale Innovationsagenturen der führenden, innovativen Nationen. Platz 1: Deutschland, Platz 2: Südkorea, Platz 3: Singapur, Platz 4: Schweiz, Platz 5: Schweden, Platz 6: Israel, Platz 7: Finnland, Platz 8: Dänemark, Platz 9: USA, Platz 10: Frankreich, Platz 11: Österreich, Platz 12: Japan (Quelle: Bloomberg Index, 2020).
8 | INNOVATIONSKRAFT DES DEUTSCHEN MITTELSTANDS | STUDIE IM AUFTRAG DES DIHK | 2020 Ein Vergleich der Erfolgsfaktoren dieser Agenturen zeigt innovativen Lösungen auch für regionale Themen arbeiten. fünf zentrale Gemeinsamkeiten: Das japanische Moonshot Research and Development Pro- • Konsistentes Management von Innovation. gram, seit 2020 Nachfolgerin des ImPACT Impulsing Paradigm Change through Disruptive Technologies, strebt hingegen • Effiziente Kooperation von Akteuren aus Politik, Wirt- ausdrücklich disruptiv-destruktive Innovation an. Der Träger schaft, Wissenschaft und Gesellschaft. dieses Programms, die Japan Science and Technology Agency (JST), unterstützt weiterhin inkrementelle Innovation. • Integration in eine nationale Wettbewerbsstrategie. Business Finland und Israel Innovation Authority legen großen • Bestandteil weltweiter Kooperation. Wert auf Start-ups und Wachstum. Die internationale Koope- ration steht bei Austria Wirtschaftsservice und Innosuisse im • Fokus auf künftige Marktbedarfe. Mittelpunkt, im letzten Beispiel besonders mit KIAT aus Korea. Auf Basis dieser Gemeinsamkeiten sind nationale Besonder Das Impulspapier kritisiert ferner die „konservativen Ausrich- heiten zu konstatieren. Vinnova in Schweden legt beispiels tung des deutschen Innovationssystems“ ohne es kritisch zu weise großen Wert auf das Einbeziehen der Bürger im würdigen. Das deutsche Innovationssystem wird vielmehr „Helix“-Ansatz, in dem Zivilgesellschaft, Wissenschaft und mit dem Forschungssystem gleichgesetzt, wie aus der Über- Wirtschaft, moderiert durch die Agentur, gemeinsam an schrift der folgenden Abbildung ersichtlich ist. Quelle: Website des Bundesministeriums für Bildung und Forschung, 2020.
INNOVATIONSKRAFT DES DEUTSCHEN MITTELSTANDS | STUDIE IM AUFTRAG DES DIHK | 2020 | 9 Laut dieser Übersicht spielen die Forschung und Entwick- nehmer die Vermarktung von Forschungsergebnissen aus lung der Unternehmen neben öffentlicher und privat Hochschule oder Instituten der Normalfall ist (vgl. Ifo, 2003), wirtschaftlicher Forschung sowie intermediären und sondern sie vielfach selbst Novitäten hervorbringen. Im EU- politischen Akteuren eine wichtige Rolle. Hingegen ist keine Rahmenprogramm für Forschung und Innovation Horizon Ausrichtung auf programmatische Ziele wie in anderen Europe, insbesondere im European Innovation Council aus nationalen Systemen erkennbar, ebenso keine zentrale 2020 ist die klassische Aufteilung in Wissenschaftler und Un- Koordinierung durch eine Agentur. Die klassische For- ternehmer wiederzufinden, deren frühe Kooperation mit den schungs- sollte sich daher zu einer modernen Innovations- Instrumenten Pathfinder und Accelerator zu fördern ist. Dem politik wandeln (Harhoff & Suyer, 2018). ist entgegenzusetzen, dass einerseits Ausgründungen aus der Wissenschaft stattfinden, die als unternehmerische Forscher Im Vorgriff auf Ergebnisse der vorliegenden Studie sei er- Accelerators werden, und dass andererseits auch der moderne wähnt, dass Wissenschaft und Forschung eine bedeutende Typus des Innovators in der Lage ist, Pathfinder zu sein. Auf Funktion im Innovationsgeschehen ausüben, hingegen gibt diese Weise kann die strikte Zweiteilung von Wissenschaft es kaum Hinweise darauf, dass für hochinnovative Unter- und Wirtschaft in der Praxis als überwunden gelten. Quelle: ec.europa.eu, 2019. Im Eckpunktepapier des Bundesministeriums für Bildung und Der industrielle Kern wird hier als defizitär betrachtet und Forschung (BMBF) Agentur zur Förderung von Sprunginnovati- an anderer Stelle dafür verantwortlich gemacht, die Ideen onen (August 2018)1 findet sich eine in diesem Kontext bemer- sowie Erfindungen der Forschung nicht ausreichend zu kenswerte Aussage: „Innerhalb dieses industriellen Kerns bringen verwerten (vgl. Wagner et al., 2018). Diese Aussage wird in viele Unternehmen jedoch vorrangig evolutionäre Innovationen unterschiedlichen Formulierungen verwendet und läuft auf hervor. Besonders disruptive Innovationen bzw. Sprunginnovati- ein „Umsetzungsproblem“ der Forschungsergebnisse durch onen, die sich durch neue marktverändernde Geschäftsmodelle Unternehmen hinaus. oder radikale technologische Neuerungen auszeichnen, kommen verstärkt aus anderen Staaten der Welt, wie den USA oder China.“ 1 Weblink: https://www.bmbf.de/files/Eckpunkte%20der%20Agentur%20zur%20F%C3%B6rderung%20von%20Sprunginnovationen_final.pdf
10 | I N N O V A T I O N S K R A F T D E S D E U T S C H E N M I T T E L S T A N D S | S T U D I E I M A U F T R A G D E S D I H K | 2 0 2 0 Eine Analyse der amerikanischen Defense Advanced Re- Auch das Moonshot-Programm Japans (2020) folgt einer search Projects Agency (DARPA), die im Eckpunktpapier komplexen Struktur, die sich nicht auf die Realisierung von eine Vorbildfunktion einnimmt, lässt in diesem Kontext eine Forschungsergebnissen reduzieren lässt. Hier stellt sich die Vielfalt der Ansätze im Rahmen der Programme erkennen Frage, wie „Researcher“ zu definieren ist. In einem persön- (DARPA, 2020). In der „end-game“-Perspektive werden lichen Kontakt wurde betont, dass Forschung sowohl in der zunächst gewünschte Produkte sowie Prozesse der Zukunft Wissenschaft als auch in der Wirtschaft erfolgt. definiert, daraus benötigte Technologien abgeleitet, die in kooperativen Entwicklungsteams auch mit Unternehmen zu realisieren sind (Dubois, 2003). Quelle: Cabinet Office, 2020. Um diese Aspekte zu vertiefen, sei auf die Theoriebildung Erst das in den 1980er Jahren formulierte „lineare Modell“ der Innovation hingewiesen. Der Urheber des Begriffes, (vgl. Kaldewey, 2011) stellt die Forschung in den Vorder- Schumpeter (1947), hat die zentrale Rolle der Unternehmer grund, wie die folgende Abbildung verdeutlicht. als Entrepreneure sowie schöpferische Zerstörer betont (vgl. OECD and EUROSTAT, 2018).
I N N O V A T I O N S K R A F T D E S D E U T S C H E N M I T T E L S T A N D S | S T U D I E I M A U F T R A G D E S D I H K | 2 0 2 0 | 11 Innovationswege Altes Modell: Neues Modell: Auflösung von lineare Entwicklung Grenzen, Verflüssigung, Vernetzung Grundlagenforschung Grundlagen- forschung Anwendungsforschung Anwendungs- forschung Entwicklung Entwicklung Technische / soziale Technische / soziale Innovation Innovation Quelle: Fagerberg, 2006; Berkemeyer & Junker, 2013. Graphische Darstellung: Friedrich-Schiller-Universität Jena. Die lineare Weitergabe von Forschungsergebnissen bis zum chende Novität bei Nutzung zahlreicher Informationsquellen Markt ist durch einen dynamischen Ansatz abgelöst worden. auch außerhalb des Unternehmens. Hier wird die besondere Dazu gehören auch Ausgründungen oder Lizenzierungen Rolle einer professionellen Kommunikation deutlich. aus der Wissenschaft. Die komplexe, dynamische Wech- selwirkung zwischen Industrie und Forschung ist vielfach In neuester Zeit sind Bestrebungen hinzugekommen, durch beschrieben worden (vgl. Harhoff, 1998) und lässt sich nicht den konsequenten Einsatz künstlicher Intelligenz Innova- auf einseitige Vektoren „alter Modelle“ reduzieren. tion zu beschleunigen (vgl. Hölzl, Tiberius & Surrey, 2020). Durch Modellierung und Machine Learning lassen sich die Angeregt durch US-amerikanische Autoren (v. Hippel, 2005), Besonderheiten erfolgreicher Innovation herausarbeiten und wurde in einem weiteren Schritt der Fokus auf den intelli- nutzbar machen. genten Anwender gerichtet, der in der Lage ist, Produkte zu verbessern sowie selbständig innovativ erfolgreich zu sein. Auf der Grundlage einer Durcharbeitung dieser Konzepte Ein bekanntes Beispiel ist der Elektro-Porsche von Alois Ruf, setzte die Vorbereitung der vorliegenden Studie ein. Zu- 2008. Seit diesem Impuls werden Lead-User, wie im Design- nächst ist die Einrichtung einer Agentur für Sprunginnovati- Thinking Ansatz, vielfach früh in Forschung und Entwicklung onen grundsätzlich zu unterstützen. Dennoch entstand aus einbezogen (Müller & Schroiff, 2020). einer kritischen Durchsicht der Prämissen dieses Projektes der Vorsatz empirisch zu überprüfen, ob in der deutschen Bereits die Übersicht der nationalen Agenturen hat die Wirtschaft, besonders dem Mittelstand, Innovatoren radikale komplexe Wechselwirkung unterschiedlicher Akteure im Ent- technologische Neuerung generieren und dadurch disruptive stehungsprozess neuer Produkte gezeigt. Auch Max-Planck- Innovation im Sinne eines Sprunges auslösen können. Als Innovation unterstützt nicht nur High-Tech-Initiativen, Vergleichsgruppe sollten inkrementelle Innovatoren analy- sondern auch gesellschaftlich relevante Projekte (s. o.). siert werden. Vor der konkreten Planung dieses Vorhabens wurde eine Recherche zur Begriffsklärung in Bezug auf „Open Innovation“ (Zerfass, 2010) betont einen dynamischen radikale Innovation und nicht-lineare Marktveränderungen Prozess der schrittweisen Ausrichtung auf eine erfolgverspre- durchgeführt.
12 | I N N O V A T I O N S K R A F T D E S D E U T S C H E N M I T T E L S T A N D S | S T U D I E I M A U F T R A G D E S D I H K | 2 0 2 0 Innovationsdefinitionen Innovation Seit der Definition von Schumpeter (1947): (Innovation) „… Diese Faktoren befinden sich in einer dynamischen Wech- ist das Tun neuer Dinge oder das Tun bekannter Dinge auf selwirkung, in der sich Positionen ändern können. Die eine neue Art.“ ist allgemein anerkannt, dass die Fähigkeit, Forschung ist selbst Markt für Unternehmer. Innovatoren wiederholt etwas Neues hervorzubringen, ein wirtschaft- stehen mit Zulieferern im Kontakt, für die sie Kunden sind. licher Erfolgsfaktor ist. Ferner hat sich die Sichtweise der Ein Campus kann Produkte produzieren (vgl. RWTH Aachen) „kreativen Zerstörung“ als relevant erwiesen. und wird dadurch Wettbewerber von Produzenten. In ähn- licher Weise hat eine Differenzierung des Begriffs „Innova Aus heutiger Sicht tragen drei Kräfte entscheidend zu dieser tion“ stattgefunden. Leistung bei. Während ursprünglich die entscheidende Bedeutung des Unternehmers als Innovator betont wurde, hat sich seit Rogers (2003) die prägende Rolle des Marktes herauskristallisiert. Der dritte strategische Faktor ist die Fä- higkeit und Bereitschaft der akademischen und industriellen Forschung, einen substanziellen Beitrag zu anwendungsre- levanten Themen zu leisten. Disruptiv Durchbruch radikal neu Funktionalität Typ 1 Novität Verbesserung Durchbruch inkrementell Typ 2 bestehend neu Markt Quelle: eigene Darstellung, vgl.: Rothaermel (2012)
I N N O V A T I O N S K R A F T D E S D E U T S C H E N M I T T E L S T A N D S | S T U D I E I M A U F T R A G D E S D I H K | 2 0 2 0 | 13 Inkrementelle Innovation Durch die 2019 erfolgte Gründung der „Agentur für Sprun- ginnovationen“, in der englischen Übersetzung „Agency for Die evolutionäre oder inkrementelle Innovation verbessert disruptive innovation“, kommt der Begriff „Sprung“ in die bestehende Produkte und Verfahren in kleinen Schritten Diskussion. Einerseits ist hiermit der Innovationssprung ge- für einen bestehenden Markt. Die Kunden erwarten ins- meint, also die schlagartige Erhöhung der Leistungsfähig- besondere bei digitalen Produkten, wie Betriebssystemen keit eines neuen Produktes verglichen mit den Vorgängern. regelmäßige Updates, was als Anzeichen verstanden wird, Andererseits geht es um die Transformation eines Marktes, dass der Hersteller das Produkt engagiert weiterentwickelt. die sich als nicht-linear schlagartig steigende Nachfrage Dies gilt auch für Elektroautos, die zusätzliche Features als nach einem Produkt auswirkt. Downloads erhalten. Auf diese Weise ist die Kapazität von Festplatten kontinuierlich gesteigert worden, bis die Solid- Die Theoriebildung verwendet für dieses Phänomen den State Disks SSD bzw. die SD-Karten dem Lebenszyklus der Begriff „Game Change“ um auszudrücken, dass sich Markt- Festplatte ein Ende gesetzt haben. regeln schnell ändern können. Die gegenwärtige Pandemie hat zahlreiche exponentielle Transformationen ausgelöst. So ist der Absatz von Vlies und Mund-Nasen-Masken Durchbruch-Innovation sprunghaft angestiegen. Bei der Durchbruch-Innovation sind zwei Fälle zu unter- Hier lässt sich konstatieren, dass Märkte nicht zeitnah auf scheiden: Ein technologischer Durchbruch wird durch eine neueste Produkte reagieren. So hat die Massennachfrage erstmalige Anwendung einer Technik realisiert. Beispiele nach Autos erst Ende der 1940er Jahre eingesetzt. sind das Flugzeug, Penicillin, der Satellit „Sputnik“, aber auch SSD-Speicher. Durch den Endverbraucher unbemerkt Diese Marktdynamik lässt sich nicht auf den Mechanismus ist die durchbrechende Innovation in der Produktion, wie Angebot-Nachfrage reduzieren. Die Neuerung muss sich im der 3D-Druck oder die wasserlose Papierherstellung ange- Wettbewerb mit etablierten Produkten durchsetzen. Ferner siedelt, die aber selbst durch die Anwendung einer neuen hat die Innovationskommunikation (vgl. Nordfors, 2003) Technik erfolgen. gezeigt, dass die sprunghafte Reaktion auch auf Kommu- nikation der Marktteilnehmer zurückgeführt wird. Auch die Im Vergleich dazu ist das Beliefern eines für ein Unter- öffentliche Sichtbarkeit neuer Produkte spielt eine wesent- nehmen neuen Marktes ebenfalls bahnbrechend innovativ. liche Rolle. In einem aktuellen Beispiel hat sich ein Textilproduzent entschlossen, im Markt der Beton-Bewehrung aktiv zu wer- Die das neue Produkt begleitenden digitalen Informationen den, ebenso wie ein Hersteller transparenter Keramik eine können schnell große Zielgruppen erreichen und auf diese durchsichtige Münze für Litauen entwickelt und vermarktet Weise die Nachfrage anschwellen lassen. Im B2B-Bereich hat, ohne die Produktionsweise zu ändern. ist es zur Normalität geworden, hochspezialisierte Teil- märkte schon im Vorfeld mit Informationen über eine zu erwartende Novität zu versorgen. Durch Simulationen las- Radikale Innovation sen sich auf diese Weise sehr früh Eindrücke von der neuen Funktionalität gewinnen (Moore & Benbasat, 1991). Die radikale Innovation benutzt eine erstmalige Technik und zusätzlich einen neuen Absatzmarkt. Ein klassisches Beispiel Die Technologie-Akzeptanz (vgl. Plouffe, Holland & Van- ist der Übergang von Apple als Computer-Spezialist in den denbosch, 2001) bezieht sich auf Einfachheit und Nütz- Smartphone-Massenmarkt mit dem Einsatz der Touchscreens lichkeit der ersten Anwendung einer Novität. Anschließend als neue Oberfläche. Aktuell geht VW mit der Anwendung setzen Aktivitäten im vernetzten Markt ein (Beck, Beim- neuer Technologien in das Recycling von Batterien über, wäh- born, Weitzel & König, 2008). Stellungnahmen der Benutzer rend Anfang der 2000er Jahre BYD als Produzent von Batteri- können im Sinne einer Kettenreaktion das Interesse anderer en begonnen hat, elektrische Fahrzeuge zu produzieren. Marktteilnehmer wecken. Die Wechselwirkung zwischen der Novität als Impuls und Disruptive Innovation dem digitalisierten, dynamischen Markt entzieht sich der Kontrolle eines Innovators und seiner Business-Modelle. Zu diesem klassischen Verständnis ist die disruptive Inno- Vielmehr handelt es sich um die Transformation eines vation (Christensen, 1997) hinzugekommen, die wiederum komplexen Systems, in das der innovierende Unternehmer auf zwei Arten verstanden wird. Ursprünglich beginnt die- eingebunden ist. ser Prozess mit einer hochpreisigen, exklusiven Novität und entwickelt sich über Preisreduktion zu einem Massenpro- dukt. Die Evolution des Computers ist mittlerweile bei den mobilen Telefonen angekommen und geht in die smarten Produkte über.
14 | I N N O V A T I O N S K R A F T D E S D E U T S C H E N M I T T E L S T A N D S | S T U D I E I M A U F T R A G D E S D I H K | 2 0 2 0 Methodik Ziel der Studie ist es, radikale sowie inkrementelle Innovatoren (z. B. „Wie definieren Sie Innovation?“) und Fragen an den zu finden, zu charakterisieren sowie Unterschiede zwischen die- Interviewer, in denen der Gesamteindruck des Gesprächs ein- sen Gruppen zu beschreiben. Es wurde erwartet, dass unabhän- gestuft wurde (z. B. „In welchem Ausmaß hat der Gesprächs- gig von der Methode der Datengewinnung eine signifikant große partner langfristige Ziele betont?“) (vgl. Nikula, 2020). Effektstärke der Gruppenzugehörigkeit belegt werden kann. Das strukturierte Interview erfolgte wegen der Covid-19-Re- Nutzung von Auswertungstools striktionen telefonisch. Der DIHK erstellte für diesen Zweck einen Online-Gesprächsleitfaden. Die Antworten wurden pro- Das Programmpaket SPSS Statistics 26 bildet die Grundlage tokolliert und in einer kumulierenden Tabelle abgespeichert. für die statistische Auswertung, wobei t-Test, Chi-Quadrat, Fisher-Test, Faktoren- sowie Diskriminanzanalyse zur An- 20 Innovationsberater der IHKs, zwei Experteninnen des DIHK wendung kommen. sowie der Autor der Studie führten die Gespräche durch. In einem ausführlichen, dokumentierten Training wurde das Für die Auswertung der freien Antworten auf die offenen Vorgehen eingeübt, auf Video festgehalten sowie besprochen. Fragen fiel die Wahl auf „Semantha“ von thingsTHINKING, das mit Hilfe von künstlicher Intelligenz Ähnlichkeiten komplexer Die Daten sollten auf vier Arten gewonnen werden: objektive Antworten in Bedeutungsräume gruppieren kann, wie im Er- Daten (z. B. Mitarbeiterzahl, Umsatz), subjektive Daten mit gebnisteil sichtbar sein wird. Anschließend an die Gruppierung vorgegebenen Antwortmöglichkeiten (z. B. „Was war der wurden Häufigkeiten genannter Begriffe ausgewertet. Anstoß für die Entwicklung der Novität?“), offene Fragen Auswahl der Stichprobe Aus methodischen Gründen wurden lediglich hochinnovative Kernmerkmal, viele davon Hinweise auf das Erschließen neuer Unternehmen gesucht, die an dieser Stelle noch nicht klassi- Märkte sowie eine sprunghaft steigende Nachfrage als Neben- fiziert wurden, von denen man hingegen annehmen konnte, merkmal aufweisen. Dabei wurde rein zielorientiert ausgewählt, dass sie einen radikal-innovativen Anteil enthalten würden. ohne Branchen, Regionen, Alter, Geschlecht (16 Frauen), Bil- dung oder ähnliches zu berücksichtigen. In diesem Zusammen- Es wurden Unternehmen ausgewählt, die wiederholt radikal- hang sei darauf hingewiesen, dass die Liste keinen Vollständig- innovative oder in hohem Ausmaß inkrementell-innovative keitsanspruch stellt und keineswegs abgeschlossen ist. Produkte in den Markt gebracht haben. Ferner sollte es Hinweise auf eine sprunghaft steigende Nachfrage geben. Beschreibung der Stichprobe Die radikal- und inkrementell-innovativen Unternehmens typen wurden an dieser Stelle noch nicht unterschieden und Von den 16 Frauen der Gesamtstichprobe konnten drei sind als gleichwertig zu betrachten. Es sei daran erinnert, dass befragt werden, bei den Männern waren es 67. In Bezug auf aus radikalen Novitäten inkrementell verbesserte Produkte die Branchen, definiert nach dem Statistischen Bundesamt, werden, die sich ihrerseits zu Serienprodukten entwickeln ergab sich folgende Tabelle: können. Anders gesagt, war jedes heutige Serienerzeugnis zu Beginn des Lebenszyklus radikal-innovativ. Das beste Beispiel Branche N dafür ist das Auto, das im 19. Jahrhundert zu ungläubigem Staunen geführt hat, ebenso der Sicherheitsgurt, das ABS Handel 01 oder die heutigen Fahrerassistenzsysteme bis zum autonomen Fahren, das auch in den Alltag übergehen wird. Baugewerbe 02 In der ersten Phase sammelten DIHK-Experten und der Autor Produktion 59 dieser Studie einen Grundstock aus Unternehmen, der durch Innovationsberater der IHKs ergänzt wurde. Die Innovatoren Gastronomie 01 selber haben auf andere Unternehmen hingewiesen. Preise oder Rankings gaben zusätzliche Hinweise. IKT 04 Verkehr 00 Nach sorgfältiger Prüfung durch diese Experten wurde der gewonnene Pool auf 161 Unternehmen erweitert. Jedes dieser Dienstleister 03 Unternehmen konnte anerkannt innovative Produkte als
I N N O V A T I O N S K R A F T D E S D E U T S C H E N M I T T E L S T A N D S | S T U D I E I M A U F T R A G D E S D I H K | 2 0 2 0 | 15 Die Überzahl der Produktion war nicht beabsichtigt. Daraus Die Klassifizierung des Umsatzes orientiert sich an KMU und kann nicht geschlossen werden, dass produzierende Unter- ergibt folgende Verteilung: nehmen grundsätzlich innovativer sind als andere. Umsatz/Jahr N Für die Verteilung auf die Bundesländer ergibt sich folgendes: < 1 Mio. 17 Bundesland N 1 < 5 Mio. 11 Baden-Württemberg 09 5 < 10 Mio. 07 Bayern 15 10 < 20 Mio. 09 Berlin 05 20 < 50 Mio. 08 Brandenburg 03 > 50 Mio. 18 Bremen 00 Der Schwerpunkt liegt bei kleinen sowie mittleren Unterneh- Hamburg 03 men, die mehr als 50 Mio. € Umsatz erzielen mit einer an- Hessen 07 deutungsweise u-förmigen Verteilung. Eine andere Tendenz ergibt sich bei der Zahl der Mitarbeiter: Mecklenburg-Vorpommern 01 Hier ergibt sich eine mehrgipflige Verteilung deutlich unter- Niedersachsen 05 halb von Großunternehmen. Nordrhein-Westfalen 12 Die folgende Tabelle fasst die Zuordnung in das Tier-System der Automobil-Zulieferer zusammen. Hier bildet der End- Rheinland-Pfalz 02 produzent oder Original Equipment Manufacturer (OEM) die Spitze der Pyramide, Systempartner liefern funktionale Saarland 00 Komponenten, wie Türen, Teilehersteller Bestandteile aus Material. Eine Sonderrolle nehmen Dienstleister ein, deren Sachsen 06 Beiträge nicht in das Endergebnis des Produktes eingehen, es aber dennoch maßgeblich ermöglichen. Sachsen-Anhalt 01 Schleswig-Holstein 00 Tier-System N Thüringen 01 OEM 23 System 22 Diese Übersicht spiegelt die regionalen Häufigkeiten der Un- ternehmen, die zu einem Gespräch bereit waren und erlaubt Teile 12 keine Rückschlüsse etwa auf die Innovationskraft einzelner Bundesländer. Material 04 Dienstleister 09 Insgesamt zeigt sich ein deutliches Übergewicht von Unter- nehmen, die OEM sind oder nahe am Endkunden agieren. Insbesondere Materialhersteller sind kaum vertreten. Die Verbindung zum Markt ist ein wichtiger Impulsgeber für Innovation, was sich hier bestätigt. Das Marktsegment der Unternehmen leitet sich aus der be- reits vorgestellten Diffusion (vgl. Rogers, 2003) ab. Pioniere erwerben hochpreisige erstverfügbare Novitäten weit vor dem Massenmarkt. Dazu gehören Elektroautos, wie der Tesla Roadster im Jahre 2008, aber auch Musikplayer für eine Wiedergabe von 32 Bit und 384 kHz sowie zwei SD-Karten
16 | I N N O V A T I O N S K R A F T D E S D E U T S C H E N M I T T E L S T A N D S | S T U D I E I M A U F T R A G D E S D I H K | 2 0 2 0 von je einem TB. Die frühen Anwender orientieren sich an Abschließend seien objektive Merkmale der Interviewten den Pionieren, sind aber nicht bereit, den Einstiegspreis zu aufgezählt, zunächst das Lebensalter: bezahlen, und berichten häufig, auf die Bewährung des Pro- duktes im Gebrauch der Pioniere warten zu wollen. Die frühe Alter N Mehrheit wiederum wird zu deutlich niedrigeren Preisen versorgt, während die späte Mehrheit erst dann kaufbereit
I N N O V A T I O N S K R A F T D E S D E U T S C H E N M I T T E L S T A N D S | S T U D I E I M A U F T R A G D E S D I H K | 2 0 2 0 | 17 Einteilung der Stichprobe in zwei Gruppen Nach einer Reduktion von 161 wurden 148 Ansprechpartner diejenigen der IHK-Berater gemeinsam. Daher war kei- kontaktiert, von denen 70 der Teilnahme an der Studie zu- nem Interviewer die Zuordnung der Unternehmen vor der stimmten. Die endgültige Aufteilung in die beiden Gruppen Befragung bekannt. Auch den Teilnehmern wurde lediglich der inkrementellen und radikalen Innovatoren wurde nach mitgeteilt, dass es um die Analyse hochinnovativer Unter- dem letzten Interview durch Experten des DIHK sowie den nehmen gehe. Daher kann die Unabhängigkeit der beiden Autor der Studie vorgenommen. Grundlage dieser Zuord- Stichproben als gegeben gelten. nung waren ausschließlich Berichte über die Novitäten, ergänzt durch eine Recherche nach Berichten der Kunden. Über die Gründe der Ablehnung, an der Studie teilzunehmen, Die Interviewpartner der Experten wurden durch den Autor sei nur mitgeteilt, dass die Mehrheit der absagenden Unter- klassifiziert, seine Gesprächspartner durch die Experten, nehmen grundsätzlich an keiner Datenerhebung teilnimmt. Vergleich von inkrementellen und radikalen Innovatoren Objektive Daten Die objektiven Variablen der beiden Stichproben wurden es sich um unterscheidbare Gruppen handelt, die Signifikanz durch den t-Test verglichen (vgl. SPSS Erläuterungen). Dieses gibt * für eine Irrtumswahrscheinlichkeit von kleiner/gleich Verfahren prüft Mittelwertunterschiede in normalverteilten 5 %, ** weist auf 1 % hin, *** auf 1 Promille. Unter RI > II Stichproben, die sich durch ein eindeutig definiertes, unab- finden sich die signifikanten Ergebnisse dafür, dass die Werte hängiges Merkmal unterscheiden lassen. Die Items werden der radikalen Innovatoren höher sind, II > RI entsprechend vorgestellt, ebenso der Typus, N gibt die Anzahl der Unter- für höhere Werte der inkrementellen Innovatoren. Bei „Tier“ nehmen, der Mittelwert ist arithmetisch berechnet, Irrtums wurden die Dienstleister weggelassen, um eine eindeutige p meint die Irrtumswahrscheinlichkeit bei der Aussage, dass Reihenfolge bilden zu können.
18 | I N N O V A T I O N S K R A F T D E S D E U T S C H E N M I T T E L S T A N D S | S T U D I E I M A U F T R A G D E S D I H K | 2 0 2 0 Gruppenvergleich: 1 = radikal, 2 = inkrementell Irrtums p Sign. Ergebnis Merkmal Typus N Mittelwert RI > II II > RI Umsatz 1 40 3.05 0.015 * 2 30 4.07 Mitarbeiter 1 40 3.00 0.020 * 2 30 3.87 Tier 1 40 1.94 0.469 2 30 1.96 Marktsegment 1 40 2.15 0.005 ** 2 30 2.77 Alter 1 40 3.30 0.394 2 30 3.37 Bildung 1 40 4.30 0.044 * 2 30 3.93 Position 1 40 1.35 0.007 ** 2 30 1.90 Die inkrementellen Innovatoren erzielen einen größeren vatoren zwischen Master und Doktortitel liegt, während die Umsatz und beschäftigen mehr Mitarbeiter als die radikal- Inkrementellen beim Master positioniert sind. Die radikal- innovativen Unternehmer. Dieses Ergebnis kann durch die innovativen Unternehmer tragen demnach signifikant Diffusionstheorie erklärt werden (Rogers, 2003). Die inkre- häufiger einen akademischen Titel und haben Erfahrungen mentellen Innovatoren beliefern eher die frühe Mehrheit, im wissenschaftlichen Arbeiten gewonnen. während der Schwerpunkt der radikal-innovativen bei den Pionieren und Erstanwendern liegt, die im Gegenwert für Bildungsgrad Radikal Inkrem. Summe Exklusivität höhere Preise akzeptieren, aber einen sehr viel kleineren Marktanteil bilden. Haupt-/Realschule 00 02 02 An dieser Stelle deuten sich erste qualitative Unterschiede an, Abitur 01 01 02 die der folgende Punkt bestätigt: Radikale Innovatoren belie- fern signifikant frühere Marktsegmente als inkrementelle. Bachelor 01 02 03 Master 25 17 42 Typus Radikal Inkrem. Summe Doktor 11 08 19 Pioniere 14 03 17 Professor 02 00 02 Erstanwender 09 08 17 Frühe Mehrheit 14 12 26 Noch signifikanter ist das Ergebnis, dass radikale Innovato- ren mit wesentlich höherer Wahrscheinlichkeit CEOs oder Späte Mehrheit 03 07 10 Eigentümer ihrer Unternehmen sind. Hier scheint Innovation Aufgabe der Firmenleitung zu sein. In eine ähnliche Richtung weist das signifikante Ergebnis in Bezug auf das Bildungsniveau, das bei den radikalen Inno-
I N N O V A T I O N S K R A F T D E S D E U T S C H E N M I T T E L S T A N D S | S T U D I E I M A U F T R A G D E S D I H K | 2 0 2 0 | 19 Position Radikal Inkrem. Summe terschiede auf. Gleiches gilt für die von 40 Prozent bejahte Notwendigkeit von Risikokapital. Eigner/CEO 29 18 47 Die Mehrheit beider Gruppen verfügt über eigenes Personal für Geschäftsführer 08 01 09 Forschung und Entwicklung, betreibt wenige Innovationsaktivi- täten im Ausland und bricht selten Innovationsprojekte ab. Leitender Angestellter 03 07 10 Angestellter 00 04 04 Politische Rahmenbedingungen Mit der Erfassung objektiver Daten lassen sich signifikante Die vergleichende Betrachtung politischer Faktoren zeigt, Unterschiede feststellen. Hingegen scheint die Position in dass inkrementelle Innovatoren der digitalen Infrastruktur der Zuliefererhierarchie sowie das Lebensalter keine Rolle eine signifikant höhere Bedeutung beimessen als radikal- zu spielen. Umso interessanter wird es sein, herauszufinden, innovative Innovatoren. Einzelaussagen deuten an, dass hier ob bei den subjektiv gefärbten Aussagen zu vorgegebenen die Effizienz und Kostenreduktion eine Rolle spielen. Fragen ebenfalls signifikante Differenzen bestehen. Im nächsten Block ergaben sich erneut keine Unterschiede: Erproben neuartiger Technik, Unterstützung seitens der Poli- Subjektive Aussagen mit Antwortmöglichkeiten tik für Schutzrechte, Energiepreis, Bürokratieabbau, Akzep- tanz für Novitäten, Anreiz für Mitarbeiterqualifikation, sowie Die folgenden Fragen sehen Antwortmöglichkeiten vor, die die Verminderung von Auflagen. sich jeweils auf einen Faktor beziehen, der in der Innovati- onstheorie und -politik als relevant gilt. Zustimmung ist als Inkrementellen Innovatoren sind verminderte Abgaben 1 codiert, Verneinung als 2. Das statistische Verfahren ist der signifikant wichtiger als radikal-innovativen Unternehmen, Chi-Quadrat-Test, wobei die Signifikanz über den Fishertest während wiederum die Verfügbarkeit von Reallaboren oder berechnet wurde. Fördermitteln nicht unterschiedlich bewertet wird. Demgegenüber ergab die Frage nach Netzwerken der Unter- Fragen zu erfolgreichen Novitäten im Unternehmen nehmer einen signifikanten Unterschied: Den inkrementellen Innovatoren ist die technisch geprägte Vernetzung mit Exper- Der erste Bereich zielt auf den Auslöser des Innovations- ten signifikant wichtiger als den radikal-innovativen Befrag- prozesses. Hier lassen sich radikale Innovatoren signifikant ten. Im Einzelnen werden weder technologisch geprägte noch häufiger von der Forschung anstoßen. Dieses Ergebnis kann interdisziplinäre, regionale, branchenübergreifende, internati- durch die hohe Qualifikation der radikalen Innovatoren onale oder akademische Vernetzung unterschiedlich bewertet. erklärt werden, die dadurch mit der akademischen Welt ver- bunden sind. Allerdings sind die vier vorgegebenen Optionen Im Kontext der Zusammenarbeit mit Forschungseinrichtung von den 70 Innovatoren in folgender Reihenfolge genannt und Hochschule wurden folgende Optionen nicht unter- worden: Eigene Entscheidung mit 54 %, Markt mit 31 %, schiedlich gewichtet: unmittelbare Kontakte zu Instituten, Kunden mit 24 % und Forschung mit 17 % als Anstoßgeber. Lizenzerwerb, Studienarbeiten, Auftragsforschung, Praktika, Beratung, Personalaustausch, unmittelbare Kooperation, Bei der Frage nach temporär einbezogenen Partnern aus Laborarbeiten und Materialprüfung. Die inkrementellen Wirtschaft oder Wissenschaft (in Summe von 34 % bejaht) Innovatoren waren hingegen signifikant stärker an einer ergaben sich keine signifikanten Unterschiede, ebenso wenig technologischen Vernetzung interessiert. Insgesamt präfe- bei der Entwicklungsdauer der Innovation bis zum markt- rierten die Unternehmen unmittelbare Kontakte zu Institu- fähigen Produkt, die im Mittel bei 4,6 Jahren lag. Auch die ten, relativ am wenigsten den Erwerb von Lizenzen. Bedeutung gewerblicher Schutzrechte ist bei beiden Grup- pen ähnlich: 66 Prozent der befragten Unternehmen nutzt Insgesamt unterschied sich das wahrgenommene Interesse Schutzrechte zur Absicherung ihrer Novität. der Forschung an der Zusammenarbeit mit der Wirtschaft so- wie die Zufriedenheit mit dieser Kooperation nicht signifikant. Erfolgsfaktoren im Unternehmen Entscheidungsfindung Bei der Untersuchung ausgewählter Erfolgsfaktoren im Unternehmen ergaben sich keine Unterschiede in Bezug auf Abschließend wurde die Frage nach dem Einbeziehen von den Freiraum für Mitarbeiter oder die Bedeutung der offe- Mitarbeitern in Entscheidungsprozesse im Gegensatz zur nen Kommunikation von Ideen nach außen. Beide Gruppen alleinigen Entscheidung der Unternehmensführung nicht messen der internen, bereichsübergreifenden Kommunikati- unterschiedlich beantwortet. on eine starke Rolle bei und weisen keine signifikanten Un-
20 | I N N O V A T I O N S K R A F T D E S D E U T S C H E N M I T T E L S T A N D S | S T U D I E I M A U F T R A G D E S D I H K | 2 0 2 0 Zwischenfazit In Summe können aus den erfragten 50 Inhalten vier signi ein eigener F&E Bereich, direkter Zugang zu Forschungsins- fikant differenzieren. Allerdings ergibt sich ein zu den bisheri- tituten, Freiräume im eigenen Unternehmen und die interne gen Ergebnissen passendes Gesamtbild. Die größere Ausprä- Kommunikation die größte Bedeutung. Demgegenüber sto- gung der Verbundenheit mit der Wissenschaft zeigt sich aus ßen Themen wie Lizenzen, Reallabore oder der Energiepreis Sicht der radikalen Innovatoren in der Bereitschaft, Anre- bei den befragten hochinnovativen Unternehmen auf ein gungen aus der Forschung aufzugreifen. Die inkrementellen eher geringes Interesse. Da es in der vorliegenden Studie um Unternehmen sind signifikant intensiver an Rahmenbedin- die Differenzierung von Innovatoren ging, soll diese Perspek- gungen wie Steuern und Abgaben oder digitaler Infrastruktur tive nicht weiterverfolgt werden. interessiert. Ferner hat für diese Gruppe die technologieori- entierte Vernetzung eine signifikant höhere Bedeutung. Die- Aus Gründen der Übersichtlichkeit ist die folgende Tabelle ses Ergebnis zeigt, dass die geschlossenen Fragen kaum in der nach der Irrtumswahrscheinlichkeit sortiert. Die am meisten Lage waren, spezifische Faktoren der radikalen Innovatoren signifikanten Ergebnisse stehen demnach oben. In der zwei- zu adressieren. Zieht man die Ergebnisse zusammen, haben in ten und dritten Spalte ist jeweils die Anzahl der Innovatoren aufsteigender Rangfolge Fördermittel, persönliche Netzwerke, zu finden, die bejaht haben. Fisher Test N=40 N=30 Merkmal Radi. Ja Inkr. Ja Chi-Quad. Irrtumsw. RI > II II > RI Anstoß Forschung 11 01 7.049 0.007 ** Digitale Infrastruktur 04 10 5.933 0.017 * Abgaben, Steuern 03 08 4.755 0.032 * Technische Vernetzung 06 11 4.377 0.035 * Netzwerk: Experten 10 14 3.572 0.051 Netzwerk: Regional 08 12 3.360 0.059 Netzwerk: Übergreifend 17 19 2.979 0.069 Kooperation 14 16 2.353 0.099 Netzwerk: Branche 13 15 2.188 0.109 Energiepreis 02 05 2.593 0.114 Netz: Nicht-Akademisch 02 05 2.593 0.114 Auflagen 05 08 2.275 0.116 Schutzrechte 03 06 2.391 0.118 Kommunikation Extern 16 17 1.911 0.127 Schutzrecht 29 17 1.907 0.130 Disruption 29 17 1,907 0.130 Abbrüche von Innovation 23 22 1.872 0.132 Auftragsforschung 15 16 1.742 0.141 Labor und Prüfung 09 11 1.686 0.151 Entscheidung durch GF 26 15 1.590 0.155
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