Wie kommt Leben in die City? - Diskussion um Arbeitsplätze in der Bremer Innenstadt - Arbeitnehmerkammer Bremen
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Informationen für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Bremen und Bremerhaven November / Dezember 2020 Wie kommt Leben in die City? Diskussion um Arbeitsplätze in der Bremer Innenstadt Tarifbindung stärken Neue Kraft schöpfen Bedeutend aber fragil Bügermeister Bovenschulte Eltern-Kind-Kuren stark Kultur- und Kreativwirtschaft im Interview nachgefragt in Bremen
BAM — November / Dezember 2020 Inhalt Galerie der Arbeitswelt Aktiv und gesund durch den Winter Interview: Tarifbindung stärken Seite 16 Seite 10 Seite 18 Inhalt SERVICE & BERATUNG 10 Arbeit & Gesundheit Aktiv und gesund durch den Winter – Tipps für die kalte Jahreszeit THEMEN 11 Fragen & Antworten Kurzarbeit in Zeiten von Corona – Schwerpunkt was Beschäftigte wissen sollten 6 Wie kommt Leben in die City? Diskussion um Arbeitsplätze in der 22 Alles, was Recht ist Bremer Innenstadt Rechtstipp / Rechtsirrtum: Nach sechs Wochen Krankheit gibt es kein Geld mehr 14 „Die Welt ein Stück gerechter machen“ Gespräch mit Bürgermeister Bovenschulte 23 Drei Fragen zum Thema Tarifpolitik zum Jobwechsel 18 Neue Kraft schöpfen Tipps für die Eltern-Kind-Kur IN JEDEM HEFT 20 Bedeutend aber fragil 3 Editorial Was Corona mit einem prekären Arbeitsmarkt macht 4 Die Bremer Arbeitswelt in Zahlen Corona und der Arbeitsmarkt 5 Kurz gemeldet 12 Tipps & Termine Aktuelle politische Inhalte BAM und Service-Informationen 13 Veranstaltungskalender im Abo? von uns finden Sie auf T witter (@ANK_HB), facebook 16 Galerie der Arbeitswelt e (Arbeitnehmerkammer Bremen), Die Chocolatiere er.d bam@ ehmerkamm YouTube und Xing. n arbeit 22 Impressum 23 Cartoon 24 Beratungsangebote & Öffnungszeiten — 2
Editorial BAM — November / Dezember 2020 EDITORIAL #first7jobs Unter dem Twitter-Hashtag City entwickeln — auch als #first7jobs erfährt man endlich, wie Karrieren gestartet wurden. Kellner? Babysitter? Wir wollten wissen, wie prominente Bremerinnen und Bremer ihre Berufslaufbahn begonnen haben. Seit Mai 2020 ist Arne Frankenstein Arbeitsort Landesbehindertenbeauftragter in Bremen. Seine Aufgabe ist es, die gleichberechtigte Teilhabe behinderter Menschen in der Gesellschaft voranzubringen. Der gebürtige Lübecker ist Experte auf dem Gebiet des Behinderten gleichstellungsrechts. Nach s einem Studium und Referendariat arbei tete er als freiberuflicher wissen schaftlicher Autor und Gutachter. Außerdem engagierte er sich ehrenamtlich in der Behinderten bewegung. Seine Dissertation Peter Kruse zum Menschenrecht auf selbst Präsident der bestimmte Lebensführung von Arbeitnehmerkammer Menschen mit Behinderungen Bremen schließt Frankenstein derzeit ab. Er ist Lehrbeauftragter der Hoch- schule Fulda. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Nachhilfelehrer für alle Fächer außerhalb der Naturwissen- als in der Silvesternacht 2019/ 2020 die Menschen auf dem Goetheplatz vor dem schaften Theater Wiener Walzer tanzen, ahnt niemand, dass das neue Jahr zu einem der Transkripteur von historischen herausforderndsten seit Ende des Zweiten Weltkrieges werden wird. Die Corona- Feldpostbriefen Krise hat seit März auch Bremen und Niedersachsen fest im Griff. Berichterstatter für Lokalsport Knapp 7.300 Bremer und Bremerhavener Betriebe haben von Anfang am Wochenende März bis Ende September Kurzarbeit für ihre rund 155.000 Beschäftigten ange- Online-Redakteur einer meldet – ein wichtiges Instrument, um Arbeitsplätze in dieser Krise zu erhalten. Anwaltskanzlei Trotzdem ist die Arbeitslosigkeit deutlich gestiegen – vor allem in Bremerhaven, Übersetzungshilfe im Rahmen wie unsere Infografik noch einmal zeigt. eines Buchprojekts über Clara Die Kulturbranche, die Gastronomie, der Einzelhandel und der Touris- Schumann mus sind von der Krise besonders hart getroffen. Aber auch in der Industrie Korrekturassistent für wackeln viele Arbeitsplätze. Gleichzeitig riskieren Erzieher*innen, Lehrer*in- Jura-Klausuren (Uni Hamburg) nen, Pflegekräfte und Verkäufer*innen ihre Gesundheit, um anderen möglichst Referendar am Hanseatischen schnell wieder einen halbwegs stabilen Alltag zu ermöglich. Systemrelevant sind Oberlandesgericht in Bremen sie – und müssen auch so entlohnt und behandelt werden. Wir werden uns auch 2021 für gute Arbeit, mehr Ausbildungsplätze, Möglich keiten der Weiterbildung eine gute Infrastruktur in Bremen einsetzen. Und irgendwann tanzen wir wieder vorm Theater. Foto: Tristan Vankann Ihr Peter Kruse Kontakt: bam@arbeitnehmerkammer.de Arne Frankenstein — 3
BAM — November / Dezember 2020 DIE BREMER ARBEITSWELT IN ZAHLEN Corona und Im September waren 7.321 mehr Arbeitslose im Land Bremen der Arbeitsmarkt gemeldet als noch im März. Das ist ein Anstieg um 20 Prozent. Besonders betroffen sind junge Menschen Die Corona-Pandemie hat sich im Land Bremen unter 25 Jahren. gravierend auf den Arbeitsmarkt ausgewirkt. Für fast die Hälfte (46 Prozent) aller sozial- versicherten Beschäftigten wurde von März bis September Kurzarbeit angemeldet – damit liegt Bremen im Bundesländervergleich weit vorn. Kurzarbeit im Land Bremen Anstieg der Arbeitslosigkeit Anzahl der potenziellen Neuzugänge im Land Bremen in Kurzarbeit (Beschäftigte) 43.332 44.000 118.286 42.000 Im April 2020 hatten 40.000 5.636 38.000 Betriebe 36.000 Kurzarbeit angemeldet. 34.000 September 2019 September 2020 Zuwächse der Arbeitslosigkeit im Vergleich der 548 730 beruflichen Abschlüsse in Prozent 40 April 2019 April 2020 Sept. 2020 35 30 Veränderung der Arbeitslosigkeit bei den 25 unter 25-Jährigen (Zuwächse in Prozent) 20 14 15 13 10 12,1 12 5 11 0 August 2019 August 2020 10 9,5 insgesamt ohne abg. Berufsausbildung 9 betriebl./schul. Ausbildung akademische Ausbildung 8 Quelle: Bundesagentur für Arbeit 7 Januar März Mai Juli Sept. Arbeitslosigkeit in Bremen und Bremerhaven (September-Quoten im Vergleich) 2019 2020 Bremen Bremerhaven 9,6 11,3 11,9 14,4 2019 2020 2019 2020 — 4
BAM — November / Dezember 2020 Kurz 2021 Wirtschaft Management Gesundheit Soziales 202 1 Gesellschaft Politik Gesundheit gemeldet berufliche bildung bremen bremerhaven bremen-nord programm bremen bad zwischenahn bremerhaven badzwischenahn + Kompetenzen für die moderne Arbeitswelt + Aufstiegsfortbildungen + Kaufmännische Bildung + Berufsbezogenes Englisch + Gesundheit und Soziales + Interdisziplinäre Bildung + Pflege und Betreuung + Erziehung und Soziales + Gesund im Arbeitsleben + Bildungszeiten + Wochenendseminare + Seminare und Kurse wisoak mit neuem Bildungsprogramm Das Bildungsprogramm der Wirtschafts- und Sozialaka- demie (wisoak) für 2021 steht – Seminare und Bildungs zeiten können ab sofort gebucht werden. Besonderer Schwerpunkt im kommenden Jahr ist die Auseinander- setzung mit der Digitalisierung, dementsprechend gibt es auch neue Qualifizierungsangebote, die zum Teil auch online zur Verfügung stehen. Das Programm umfasst rund 600 Bildungsangebote. Kammermitglieder erhalten bei Vorlage der KammerCard einen Rabatt von 10 Euro. Foto: Max Saufler Das Programm und weitere Infos finden Sie unter www.wisoak.de Satirica ist zurück www.arbeitnehmerkammer.de Nach einjähriger Pause ist die 24. Satirica zurück in Bremerhaven. Unter dem Motto „Lachen bis einem die Wirtschaftsstruktur, Fachkräftebedarf und Studienangebot in Bremen Die vorliegende Studie befasst sich mit der aktuellen und Wirtschaftsstruktur, Fachkräftebedarf und Studienangebot in Bremen Mund-Nase-Bedeckung im Halse stecken bleibt“ wird an angestrebten Wirtschaftsstruktur des Landes Bremen und der Frage, welche (akademischen) Fachkräftebedarfe hieraus zukünftig entstehen. Darauf aufbauend wird untersucht, inwie- weit das Studienangebot in Bremen und Bremerhaven geeignet ist, diese Bedarfe im Bereich der Hochqualifizierten zu decken. Hintergrund ist der starke Einfluss, den die Wissenschafts- und sieben Abenden im Capitol wieder Bitterböses und herz- Hochschullandschaft auf die Entwicklung der Regionalwirt- schaft hat – vor allem über die akademische Ausbildung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern. Inwieweit Studie- rende aber vor Ort in den Arbeitsmarkt eintreten oder ander- weitig tätig werden, hängt von vielen Faktoren ab – unter zerreißend Unterhaltsames geboten. Ein bunter Strauß anderem der Passfähigkeit von Studienangebot und Wirt- schaftsstruktur. In dieser Studie werden die Zusammenhänge untersucht und eine gleichzeitige Betrachtung von Hochschul- und Wirtschaftspolitik unternommen. aus politischem Kabarett und Alltagskomik hinterfragt, Wirtschaftsstruktur, beantwortet und kommentiert den Wahnsinn aus Politik Fachkräftebedarf und Studienangebot in Bremen und Gesellschaft. Den Auftakt macht Altmeister Jan-Peter Eine Studie des CWS – Center für Wirtschaftspolitische Studien Petersen vom Lustspielhaus am 4. November. Mit dabei Bürgerstraße 1 28195 Bremen Telefon 0421.3 63 01- 0 des Instituts für Wirtschaftspolitik Telefax 0421.3 63 01- 89 im Auftrag der Arbeitnehmerkammer Bremen info@arbeitnehmerkammer.de www.arbeitnehmerkammer.de ebenso am 14. November Mackefisch (siehe Foto), die ganz persönlich, melancholisch und doch aberwitzig vom AKB200_RZ_Titel_Studie_Wirtschaftsstuktur.indd 1-3 24.06.20 13:06 Alltag erzählen und singen. Neue Studie erschienen Programm und Karten gibt es unter Mit circa 30.000 Studierenden ist das Land Bremen ein www.arbeitnehmerkammer.de/capitol mittelgroßer Hochschulstandort, der mit seinen Einrich- tungen entscheidend zur Deckung des Fachkräftebedarfs im Land Bremen beiträgt. Das ist das Ergebnis der von der Kammer beauftragten Studie des Centers für Wirt- schaftspolitische Studien (CWS) der Leibniz Universität Hannover. Im Rahmen des Projekts haben die Forsche- rinnen und Forscher die Wirtschaftsstruktur des Landes Bremen analysiert, zukünftige Fachkräftebedarfe hergelei- tet und mehrere Referenzstädte vergleichend betrachtet. Die Studie ist online abrufbar unter www.arbeitnehmerkammer.de/downloads — 5
SCHWERPUNKT Wie kommt Leben in die City? Der Strukturwandel in den Innenstädten von Bremen und Bremerhaven ist kein neues Phänomen, erfährt durch die Corona-Krise aber noch einmal eine neue Dynamik. Leerstände und anstehende Ladenschließungen zeigen: Der Einzelhandel allein wird die Stadtzentren in Zukunft nicht mit Leben füllen können. Vielmehr braucht es jetzt neue Konzepte für eine buntere Nutzungsmischung Text: Anne-Katrin Wehrmann – Fotos: Jonas Ginter
Schwerpunkt BAM — November / Dezember 2020 unterzukommen, um auf diesem Weg Nutzungsmischung und sozialer Viel- möglichst schnell neue Arbeitsplätze zu falt in den Citys, der vermehrte Einsatz finden, werden die meisten von ihnen von digitalen Angeboten durch den sta- annehmen. „Allerdings ist ein halbes tionären Handel sowie die Entwicklung Jahr eine sehr kurze Zeit für mögliche neuer Nutzungskonzepte benannt. Qualifizierungsmaßnahmen“, macht Coordes deutlich. Gerade unter den In Bremen wurde im Sommer vor dem jüngeren Kolleginnen gebe es einige, Hintergrund zunehmender Leerstände die sich einen Wechsel in den sozialen ein „City-Gipfel“ einberufen, in dessen Bereich vorstellen könnten: „Um neue Rahmen sich Akteure aus Politik, Wirt- Ideen zu entwickeln und vielleicht schaft und Zivilgesellschaft mit der schon an passenden Qualifizierungen Entwicklung der Innenstadt beschäf- teilzunehmen, wäre ein längeres Be tigen. Nach einer ersten Diskussions- stehen der Transfergesellschaft enorm runde Mitte Juli beschloss der Senat wichtig.“ Insgesamt ist für die Betroffe- ein gut 13 Millionen Euro schweres nen, von denen rund 80 Prozent Frauen Aktionsprogramm, das kurzfristig die sind, die Karstadt-Schließung „eine „Aufenthalts- und Erlebnisqualität“ in Tragödie“, wie Coordes sagt. „Viele der Innenstadt steigern soll. Geplant von ihnen haben seit 30 Jahren keine sind unter anderem die Einrichtung Bewerbung mehr geschrieben und eines freien WLANs, ein attraktiverer würden gerne im Einzelhandel bleiben. Domshof, ein Beleuchtungskonzept, Es wird aber sehr schwer, da eine Alter- die Erhöhung der Sauberkeit sowie native zu finden – bei der dann ja auch eine verbesserte Nutzungsvielfalt. Doch der Lohn stimmen muss.“ das allein wird nicht reichen: Davon ist Elke Heyduck, Geschäftsführerin der Arbeitnehmerkammer und Teil- D er Anruf einer Kollegin kam nehmerin des City-Gipfels, überzeugt. im Juni, als Petra Coordes „Wir retten die Innenstadt mit diesen im Urlaub war: Karstadt in „Aus der Konsumzone Maßnahmen natürlich nicht“, macht Bremerhaven macht dicht. sie deutlich. „Wir haben hier ja nicht „Mein erster Gedanke war: Jetzt ist Innenstadt ein nur im Moment ein Problem. Vielmehr es passiert“, erinnert sich die Einzel- Quartier Innenstadt geht es um einen umfassenden Struk- handelskauffrau, die seit mehr als turwandel, mit dem aus der Konsum- 34 Jahren in der Filiale in der See- entwickeln.“ zone Innenstadt ein Quartier Innenstadt stadt arbeitet und sich dort bis vor Elke Heyduck, entstehen kann – mit allem, was dazu- vier Jahren auch als Betriebsratsvorsit- Arbeitnehmerkammer Bremen gehört.“ Dazu müsse die City auch als zende engagierte. Schon seit 2009 hatte Standort für einen vielfältigen Mix an immer wieder einmal das Damokles- Arbeitsplätzen etabliert werden. Denn, schwert der Schließung über dem Haus so Heyduck: „Wo Arbeit ist, ist auch geschwebt. Nach einem Insolvenz Leben.“ antrag des damaligen Mutterkonzerns Strukturwandel aktiv gestalten war und blieb die Situation über die In Bremerhaven Karstadt und Saturn, Online-Shopping setzt Läden Jahre angespannt, für die Beschäftigten in Bremen Kaufhof und Zara: Der viel unter Druck galten seither Sanierungstarifverträge. zitierte „Niedergang der Innenstädte“, Aus Sicht der Kammer-Geschäftsfüh Nun also das endgültige Aus. „Im ers- der in den vergangenen Jahren unter rerin ist es wichtig, das große Ganze zu ten Moment ist das gar nicht so richtig anderem durch eine Zunahme des sehen und nicht jede Ladenschließung bei mir angekommen“, erzählt Coordes. Online-Handels sowie wachsende Kon- als Einzelereignis zu bearbeiten. „Die „So eine Nachricht schockt natürlich kurrenz durch Shopping Malls außer- Innenstädte müssen sich komplett neu schon, aber irgendwie ist das erst ein- halb der Stadtzentren vielerorts zum aufstellen, dazu muss der Mix aus Woh- mal unwirklich. Ich habe erst ein paar Problem geworden ist, erfährt in diesen nen, Büros und Gewerbe auch planungs- Tage später realisiert, dass es nun wohl Monaten durch die Auswirkungen der rechtlich festgeschrieben werden“, tatsächlich kein Zurück mehr gibt.“ Corona-Pandemie noch einmal eine meint sie und verweist auf andere Mittlerweile hatte die 58-Jährige Beschleunigung. Dass das Thema nicht Stadtteile wie das Viertel oder die Neu- genügend Zeit, den ersten Schock neu ist, verdeutlicht unter anderem ein stadt, die auf unverwechselbare Läden zu verdauen. Wie rund 100 weitere Positionspapier mit dem Titel „Zukunft setzen, in denen aber auch gewohnt Kolleginnen und Kollegen bei Karstadt für die Innenstadt“, das der Deut- und in Büros und Handwerksbetrieben Bremerhaven wird sie aller Voraus- sche Städtetag und der Handelsver- gearbeitet werde. Was ihr zur Gestal- sicht nach zum 31. Januar 2021 ihren band Deutschland schon im Juni 2017 tung des Strukturwandels außerdem Job verlieren. Das Angebot ihres Noch- veröffentlicht haben. Als Handlungs fehle, sei ein politisches Statement – Arbeitgebers, anschließend für sechs optionen werden darin beispiels- ein „großer Wurf“, wie sie sagt: So Monate in einer Transfergesellschaft weise eine Weiterentwicklung von hätten zum Beispiel in Birmingham die — 7
BAM — November / Dezember 2020 Schwerpunkt unter Druck geraten werde, Zwei Trends haben die Bedingungen ergänzt Marion Salot, Refe- für Beschäftigte im Einzelhandel in den rentin für Wirtschaftspolitik vergangenen Jahren ohnehin schon und Gleichstellung bei der deutlich erschwert: Zum einen hat die Arbeitnehmerkammer. „Der fortschreitende Tarifflucht in der Bran- Strukturwandel ist ja nicht che dazu geführt, dass die traditionell vom Himmel gefallen, son- schon niedrigen Löhne noch weiter dern der Konsumwandel hat gesunken sind. Und zum anderen sind dazu beigetragen. Die Ent- gerade für Frauen immer mehr Vollzeit- wicklung, dass die Menschen stellen abgebaut und durch Teilzeitstel- immer mehr im Internet ein- len ersetzt worden, was für die Betrof- kaufen, lässt sich nicht rück- fenen zu einer weiteren Verschärfung gängig machen.“ Umso ihrer finanziellen Situation geführt hat. dringlicher sei nun die Frage „Der Wettbewerb wird immer härter, zu beantworten, wie sich und aus Sicht der Unternehmen lässt neue Arbeit in die Innenstadt sich bei den Personalkosten am leich- bringen lasse. testen sparen“, berichtet Verdi-Gewerk- schaftssekretärin Sandra Schmidt. Wer Digitalisierung als jetzt seinen Arbeitsplatz verliere, stehe zusätzliche vor einem echten Problem: „Irgendein Herausforderung Job im Einzelhandel lässt sich meistens Besonders betroffen vom finden. Aber wenn man in einem ver- Wachst um des Online- nünftigen Umfeld bei einem einiger- Shoppings sind die maßen vernünftigen Verdienst arbeiten Elektronik- und die Mode- möchte, wird es da schon sehr eng.“ Es branche, wo mittlerweile sei daher wichtig, sich Gedanken um rund ein Drittel des Umsatzes Alternativen zu machen, so Schmidt – im Internet erwirtschaftet zum Beispiel in sozialen oder kaufmän- wird – Tendenz w eiter stei- nischen Berufen. gend. „Wir werden darum in diesen Bereichen mit einer Verantwortlichen als Zeichen dafür, weiteren Erhöhung des Kostendrucks dass sie auf Wissen und die Wissens- und mit weiteren Arbeitsplatzverlusten gesellschaft setzen, eine der schönsten rechnen müssen“, befürchtet Marion „Die Beschäftigten Bibliotheken in die City gebaut, in Salot. Und als gäbe es nicht schon ge Leipzig befinde sich die Universität nügend Herausforderungen für den Ein- müssen an den mitten in der Stadt. „Etwas Vergleich zelhandel und die dort Beschäftigten, Entwicklungen der bares wäre hier auch denkbar, wenn kommt mit der Digitalisierung noch wir einen Teil der Uni oder der Hoch- eine w eitere hinzu. „Die Suche nach Digitalisierung schule sichtbar ins Zentrum holen Einsparpotenzialen wird als Treiber für beteiligt werden.“ würden.“ weitere Digitalisierungsprozesse wirken Marion Salot, und so letztlich weitere Jobs gefähr- Arbeitnehmerkammer Bremen Aktuell a rbeiten knapp 30.000 Men den“, erläutert die Referentin. „Damit schen in der Bremer Innenstadt: Darun- diese Prozesse mitbestimmt gestaltet ter neben den Beschäftigten im Einzel- werden, m üssen die Beschäftigten an handel auch jetzt schon Ärzte, Anwälte, den Entwicklungen der Digitalisierung Bankkaufleute und andere Dienstleister. beteiligt werden.“ Den Ergebnissen der „Zusätzlich muss man jetzt wachstums- jüngsten Beschäftigtenbefragung der Zukunft ohne Karstadt starken wissensintensiven Dienstleis- Arbeitnehmerkammer zufolge sorgen Unterdessen sind auch die Karstadt- tungen wie dem IT-Bereich oder Inge- sich nur 7,6 Prozent der Befragten aus Beschäftigten in Bremerhaven intensiv nieur- und Architektenbüros, aber auch dem Einzelhandel, dass neue Technolo- damit beschäftigt, Alternativen für sich der Kreativwirtschaft den roten Teppich gien den eigenen Arbeitsplatz gefähr- zu suchen. „Die Kolleginnen, mit denen ausrollen“, meint Elke Heyduck. Dafür den könnten. „Das ist deshalb prob- ich spreche, sind da sehr tough und brauche es attraktive Büros und Woh- lematisch, weil es schwierig ist, die nehmen die Situation erstaunlich ge nungen ebenso wie ein vielfältiges Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer lassen“, berichtet Petra Coordes. Da die gastronomisches Angebot – was dann für einen Gestaltungsprozess zu mobili- Betroffenen sehr unterschiedliche Bio- letztlich auch wieder zu einer Stärkung sieren, wenn es an der Stelle kein Prob- grafien hätten, müsse jede und jeder für des Einzelhandels führen werde. Unab- lembewusstsein gibt.“ sich sehen, welche Möglichkeiten sich hängig davon sei aber schon jetzt abzu- böten. Die 58-Jährige selbst hat noch sehen, dass der stationäre Einzelhan- nicht entschieden, ob sie im Einzel del in den kommenden Jahren weiter handel bleiben will oder gegebenenfalls — 8
BAM — November / Dezember 2020 KOMMENTAR auch in eine andere Branche wechseln würden. Allerdings: „Ich beschäf- würde. Als Karstadt 2009 erstmals in tige mich mit meiner Zukunft und Schwierigkeiten geriet, hatte sie den man hat uns gesagt, dass Karstadt lokalen Medien gesagt: „Die Hoffnung nicht dazugehört. Das ist für mich stirbt zuletzt.“ Auch jetzt sei sie noch jetzt Fakt.“ Foto: Stefan Schmidbauer der Meinung, dass die Hoffnung erst dann endgültig tot sei, wenn die Kauf- Marion Salot, haustüren das letzte Mal geschlossen Referentin für Wirtschafts politik und Gleichstellung Lebendiges Quartier Innenstädte sind nicht nur Markenzeichen und Aushängeschilder für Touristen und Bürger, sondern auch Arbeitsorte für viele Beschäftigte. Nicht erst seitdem die Covid-19-Pandemie vielen Geschäften das Leben schwer gemacht hat, hat sich gezeigt, dass der Einzelhandel alleine nicht ausreichen wird, um die City zu beleben. Neue Ideen und Konzepte müssen her, um ihr ein neues Gesicht zu verleihen. Dass in Bremen nun die Politik aktiv wird und ein Aktionsprogramm auflegt, mit dem die Aufenthalts- und Erlebnisqualität ver bessert werden soll, ist zu begrüßen und überfällig. Dies wird aber nicht ausreichen, um eine Kehrtwende einzuleiten. Ziel muss es sein, die Innenstadt als lebendiges Quartier zu entwickeln – natür- lich mit attraktivem Einzelhandel, aber auch mit einem b unten Mix von Dienst leistungen und Angeboten – von der Kita bis Kultur – die es in anderen Quartieren auch gibt. Hierfür ist es wichtig, alle betei- ligten Akteure an einen Tisch zu bringen, damit die Zukunft der Innenstadt nicht alleine den Gestaltungswünschen einzel- ner Investoren überlassen wird. Aber es darf nicht vergessen werden, dass auch die Beschäftigten eine Perspektive brauchen. Viele von ihnen haben jahrelang im Einzel- handel gearbeitet und sich stark mit ihrem Arbeitsplatz identifiziert. Für die ehe- Nicht erst seit Corona verabschieden sich Einzelhändler aus der City. maligen Karstadt- Beschäftigten, die den Beruf wechseln möchten, wird die sechs monatige Laufzeit der Transfergesellschaft wohl nicht ausreichen, damit sie in einer ganz anderen Branche Fuß fassen können. Auch sie brauchen nicht nur die Solidari- tät, sondern auch konkrete Unterstützung von der Politik. — 9
BAM — November / Dezember 2020 Arbeit & Gesundheit Aktiv und gesund durch den Winter — Tipps für die kalte Jahreszeit Text: Frauke Janßen U nser Immunsystem ist während der kalten und keine Vitaminpräparate oder Nahrungsergänzungsmittel“, dunklen Monate weniger gut aufgestellt als im sagt Reuhl. Sinnvoller ist es, auf sich acht zu geben und den Sommer. Warum sind wir im Winter anfälli- Körper konsequent zu unterstützen – durch ausgewogene ger für Atemwegsinfekte? „Erkältungskrankhei- Ernährung und ausreichend Flüssigkeit. ten werden durch Tröpfchen übertragen, die beim Husten oder Niesen ausgeschieden werden. Bei kalter Luft küh- Bewegung und Frischluft len die oberen Atemwege schneller aus und die Blutgefäße Grundsätzlich gilt: Viel frische Luft tanken! Wer berufsbe- ziehen sich zusammen. Sind die Schleimhäute schlechter dingt nur wenig rausgehen kann, sollte möglichst mit dem durchblutet, können sie Krankheitserreger nicht mehr so gut Fahrrad zur Arbeit fahren. So lässt sich außerdem eine An abwehren“, erläutert Barbara Reuhl, Referentin für Arbeits- steckung in öffentlichen Verkehrsmitteln vermeiden. Wer mit schutz- und Gesundheitspolitik in der Arbeitnehmerkam- Bus oder Bahn zur Arbeit fahren muss, kann ein oder zwei mer Bremen. „Hinzu kommt, dass wir uns im Winter viel Stationen früher aussteigen und ein Stück zu Fuß gehen. Auch häufiger als im Sommer mit anderen Menschen zusammen in der Mittagspause und nach Feierabend ist es hilfreich, sich in geschlossenen Räumen aufhalten, was die Ansteckungs- an der frischen Luft zu bewegen. Am Arbeitsplatz sorgt Stoß- gefahr erhöht.“ Trockene Heizungsluft begünstigt letztere lüften für Erfrischung. „Dabei unbedingt die Heizung herun- noch: Sie trocknet die Nasenschleimhaut aus und es bilden terdrehen, damit sie nicht dagegen feuert“ so Reuhl. Bei dau- sich vermehrt Aerosole, die tief in die Atemwege eindringen ernd gekipptem Fenster zu arbeiten, sorgt nicht wirklich für können. „Um sich zu schützen, braucht es im Allgemeinen Luftaustausch und es macht die Raumluft trocken. Klimaschwankungen nicht unterschätzen In den vergangenen Jahren kommt es immer häufiger zu starken Temperaturschwankungen – auch im Winter: „Das Hin und Her der Witterung macht uns anfälliger, weil wir uns körperlich und psychisch ständig umstellen müssen“, so Reuhl. Um für Wetterumschwünge gerüstet zu sein, kann man beispielsweise eine Strickjacke am Arbeitsplatz deponieren sowie ein Halstuch in der Tasche für unterwegs. Für ausreichend Schlaf sorgen Schlafmangel untergräbt in hohem Maße die Immunabwehr. Nur wer ausreichend schläft, gibt dem Körper die Möglich- keit, zu regenerieren. Auf diese Weise ist er besser in der Lage, Krankheitserreger abzuwehren. Und: Trotz aller Vor- beugung kann man nicht jede Erkältung verhindern! Wer trotzdem krank wird, sollte unbedingt zu Hause bleiben und sich in Ruhe auskurieren – auch das stärkt die Immunab- wehr, und man gibt den Infekt nicht an andere weiter. — 10
Fragen & Antworten BAM — November / Dezember 2020 Kurzarbeit in Zeiten von Corona — was Beschäftigte wissen sollten Foto: iStock / mediaphotos Im September hat das Bundeskabinett die Kurz arbeit bis zum Ende nächsten Jahres verlängert – Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer können jetzt maximal 24 Monate lang Kurzarbeitergeld beziehen. Werden Überstunden geleistet, Auftrages, haben zunächst keinen Ein- Text: Suse Lübker reduziert sich das Kurzarbeitergeld fluss auf die gesetzlich gewährte Auf- bei Auszahlung der Überstunden, da stockung des Kurzarbeitergeldes. die Überstunden bei der Berechnung Für den erhöhten Leistungssatz des Kurzarbeitergeldes berücksich- reicht es aus, wenn Beschäftigte insge 1. Welche Voraussetzungen müssen für Kurzarbeit erfüllt tigt werden. Sofern im selben Monat samt in drei beziehungsweise sechs sein? sowohl Mehr- als auch Kurzarbeit Monaten Kurzarbeitergeld bezogen Arbeitgeber dürfen Kurzarbeit grund- geleistet wird, werden die Überstunden haben. Nach einer Unterbrechung wird sätzlich nicht einseitig anordnen. Es gegen die Kurzarbeit gegengerechnet. nicht wieder automatisch von vorne bedarf hierzu entweder einer (tarif-) gezählt, es sei denn, zwischen der vertraglichen Regelung, einer Betriebs- letzten Auszahlung des Kurzarbeiter vereinbarung oder einer einzelvertrag- 3. Gilt Kurzarbeit immer für den ganzen Betrieb oder geldes und dem erneuten Bezug sind lichen Vereinbarung. Die Einführung können auch einzelne drei Monate vergangen. der Kurzarbeit ist mitbestimmungs- Abteilungen betroffen sein? pflichtig, das heißt, der Betriebsrat Ja, Kurzarbeit kann auch für einzelne muss zustimmen. Wird die Kurzarbeit Bereiche beziehungsweise Abteilungen ohne rechtliche Grundlage eingeführt, eingeführt werden. Dies kann etwa besteht der Lohnanspruch in voller dann notwendig sein, wenn in einem Höhe weiter. Betriebsteil der Arbeitsanfall unver Weitere Informationen zum Thema ändert fortbesteht (etwa in der Verwal- Corona und Kurzarbeit finden Sie tung), in einem anderen aber komplett 2. Dürfen trotz Kurzarbeit Überstunden gemacht oder teilweise zum Erliegen kommt auf unserer Website unter www.arbeitnehmerkammer.de/ werden? (etwa in der Produktion). Wenn Sie arbeitnehmerinnen-arbeitnehmer/recht/ Grundsätzlich widerspricht es sich, sich als Arbeitnehmerin oder Arbeit- kurzarbeit.html wenn Überstunden geleistet werden nehmer ungleich behandelt fühlen, soll- und Kurzarbeitergeld beantragt be ten Sie zunächst das Gespräch mit dem Kammermitglieder können sich ziehungsweise bezogen wird. In Aus- Betriebsrat oder Arbeitgeber suchen. zu diesen und weiteren Fragen nahmefällen kann der Arbeitgeber des Arbeitsrechts kostenlos bera- jedoch Überstunden anordnen, wenn ein nur kurzzeitig erhöhter Bedarf an 4. Kann die Kurzarbeit kurzfristig unterbrochen ten lassen. Weitere Infos auf der Rückseite dieses Magazins. Arbeitskraft besteht, zum Beispiel bei werden? Wie wirkt sich dringend zu erledigenden Reparatur- das auf die gesetzliche arbeiten. Ordnet der Arbeitgeber regel- Erhöhung aus? mäßig Überstunden an, verliert das Kurzzeitige Unterbrechungen im Bezug Unternehmen den Anspruch auf Kurz- des Kurzarbeitergeldes, etwa auf- arbeitergeld. grund eines einmalig eingegangenen — 11
BAM — November / Dezember 2020 Tipps & Termine Tipps & Termine Avi Avital, Foto: Uwe Arens The Golden Record – KULTURTIPP Konzert mit Projektionen: Avi Avital, Ohad Ben-Ari RAW Spezial und Assaf Etiel, 14. Nov. Gustav-Heinemann- Das ursprünglich für das Frühjahr geplante Bürgerhaus, Festival findet nun, in leicht abgewandelter Bremen-Vegesack Form, im Winter 2020 statt. Foto: Thomas Herbrich Die Arbeitnehmerkammer Bremen präsentiert bis Dezember an verschiedenen Orten in der Bremer Innenstadt und in Bremen-Nord ein breit gefächertes Programm aus Vorträgen, Lesungen und Konzerten mit Projektionen. Kooperationspartner ist die „RAW Phototriennale Worpswede“. Wie das Worpsweder Festival für zeitgenössische Fotografie steht auch „RAW Spezial“ unter dem Titel „Changing Realities“. Weitere Informationen unter: www.arbeitnehmerkammer.de/rawspezial Foto: Jörg Landesberg „Die Verwandlung“ von BUCH-TIPP Franz Kafka – Lesung mit Mechthild Großmann Marie Kondo: 5. Dez. Joy at work Stiftung Haus K ränholm, Bremen-Nord Aufgeräumt und erfolgreich im Arbeitsleben Wunderlich, 2020, 223 S. Kennen Sie das auch? Man kehrt aus dem Urlaub zurück zur Arbeit. Die Ablage stapelt sich, das E-Mailpostfach ist voll und man weiß gar nicht, wo man zuerst anfangen soll. Da heißt es einen klaren Kopf zu bewahren. In Marie Kondos neuesten Buch steht das Aufräumen am Arbeitsplatz im Vordergrund. Zusammen mit dem Unternehmensberater Scott Sonenshein gibt sie Tipps wie man seinen Arbeitsalltag effizienter und produktiver gestaltet, um wieder zu Motivation, Zufriedenheit und Foto: Edeltraud Hennemann Kreativität im Job zurückzufinden. Die wichtigste Frage fehlt dabei natürlich nicht: „Bereitet es Freude?“ Edeltraud Hennemann – Was bleibt uns; Aus stellung, 5. Nov. – 7. Jan. Forum, Bremerhaven Dieses Buch können Sie in der Stadtbibliothek ausleihen. KammerCard-Inhaber erhalten auf die BIBCARD der Stadtbibliothek zehn Prozent Ermäßigung! www.arbeitnehmerkammer.de/kammercard — 12
Veranstaltungskalender BAM — November / Dezember 2020 finden unsere rona-Pandemie Aufgrund der Co Teilnehmerzahl mit begrenzter Veranstaltungen . Veranstaltungen statt. Wir bitten daher um vorher Bitte informiere ige Anmeldung n Sie sich vor de ng auf unserer m Be su Website über ch der Veranstaltu ngen. mögliche Änderu BREMEN & BREMEN-NORD Aus der Reihe „Ihr Recht – einfach erklärt“ 3. November Das Mitarbeitergespräch – Chance oder Risiko? 10. November Was stimmt? Gerüchte rund ums Einkommensteuerrecht 24. November Krank – und was nun? 1. Dezember Jobwechsel – Kündigung, Abfindung, Sperrzeit 8. Dezember Richtig und falsch? Rechtsirrtümer im Arbeitsalltag je 18 – 19.30 Uhr Kultursaal, Bürgerstraße 1, Bremen Anmeldung erforderlich unter 0421.36 30 1-28 oder -29 oder recht@arbeitnehmerkammer.de 14. November The Golden Record* – Konzert mit Projektionen: Avi Avital (Mandoline), Ohad Ben-Ari (Klavier) 20 Uhr und Assaf Etiel (Visuals) Gustav-Heinemann-Bürgerhaus, Kirchheide 49, Bremen 16. November Genug erinnert?* – Über die Herausforderungen einer zukunftsorientierten Erinnerungskultur 19 Uhr Schuppen 2, Hoerneckestrasse 23, Bremen 20. November Robert Griess: „Apocalypso, Baby!“ – Musikalische Begleitung: jazzSmells 20 Uhr Metropol Theater Bremen, Grünenweg 5 – 7, Bremen Anmeldung unter 0421.3 63 01-70 oder anmeldung@arbeitnehmerkammer.de 26. November Ansichtssachen – Streifzüge durch die Geschichte der Fotografie* 19 Uhr Foto-Vortrag und Musik von Barbara Rößler (Klarinette) und Jens Schöwing (Piano) Burg Blomendal, Auestraße 9A, Bremen 29. November Daumenkinographie* – Volker Gerling hält den Zauber des Flüchtigen fest 18 Uhr Stiftung Haus Kränholm, Auf dem Hohen Ufer 35/35a, Bremen 5. Dezember „Die Verwandlung“ von Franz Kafka* – Lesung mit Mechthild Großmann 20 Uhr Stiftung Haus Kränholm, Auf dem Hohen Ufer 35/35a, Bremen 12. Dezember Dreamlines & jazzSmells* – Musik mit Projektionen: Interaktive Netzkunst trifft auf Jazz 20 Uhr Stiftung Haus Kränholm, Auf dem Hohen Ufer 35/35a, Bremen 13. Dezember Das Schaf im Wolfspelz* – Vortragsshow über Humor in der Fotografie – von Thomas Herbrich 19 Uhr Burg Blomendal, Auestraße 9A, Bremen BREMERHAVEN 19. November Rolle rückwärts? Zurück zu alten Rollenbildern? Was Corona mit der Gleichberechtigung macht 18 Uhr Forum, Barkhausenstraße 16, Bremerhaven 5. November – Edeltraud Hennemann – Was bleibt uns; Ausstellung, Anmeldung zur Ausstellungseröffnung 7. Januar erforderlich unter 0471.9 22 35-15 oder kultur@arbeitnehmerkammer.de Forum, Barkhausenstraße 16, Bremerhaven Ihr Recht – einfach erklärt 10. November Geht doch – So bringt man Familie und Beruf unter einen Hut! 17. November Mutterschutz, Elternzeit und Elterngeld 24. November Minijob = Minirechte? 8. Dezember Krank – und was nun? je 17 – 18.30 Uhr Forum, Barkhausenstraße 16, Bremerhaven Anmeldung erforderlich unter 0471.9 22 35-0 oder va-bhv@arbeitnehmerkammer.de Capitol Satirica u. a. mit: Benni Stark (12.11.), Mackefisch (14.11.), Herrn Holm (17.11.), Mia Pittroff (20.11.). Außerdem: Kabarett im Dreierpack (David Kebekus, Mika Blauensteiner und Michael Feindler (5.12.) und Volker Kutscher (8.12.); Infos unter: arbeitnehmerkammer.de/capitol * Anmeldung unter 0421 .3 63 01-70 oder anmeldung@arbeitnehmerkammer.de Weitere Veranstaltungen und Informationen unter www.arbeitnehmerkammer.de/veranstaltungen = für alle = für Politikinteressierte = für Betriebs- und Personalräte — 13
BAM — November September//Dezember Oktober 2016 2020 „Die Welt ein Stück gerechter machen“ Eine Studie der Arbeitnehmerkammer hat gezeigt: Immer weniger Unternehmen wenden einen Tarifvertrag an. Was kann Politik tun, um die Tarifbindung zu stärken? Hauptgeschäftsführer Ingo Schierenbeck im Gespräch mit Bremens Bürgermeister Andreas Bovenschulte Gewerkschafts- und Arbeitnehmerbewegung, die seit den Fotos: Kay Michalak 80er Jahren europaweit und weltweit in der Defensive ist. Die neoliberale Revolution von Thatcher und Reagan ist den Ingo Schierenbeck: Herr Bürgermeister, gute Arbeitsbe Arbeitnehmerbewegungen nicht gerade entgegengekommen. dingungen und faire Löhne hängen bei den meisten Hier müssen Gewerkschaften bis heute bergauf kämpfen. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern davon ab, ob Tarifverträge gelten. Welche Bedeutung hat das Thema für den Senat? Andreas Bovenschulte: Das ist für den Senat ein ganz zentrales Thema. Wir wollen die Rahmenbedingungen „Aber es ist eben auch Aufgabe des schaffen, damit die Menschen ein gutes Leben führen können. Staates, jedem seinen gerechten Anteil Dazu gehört, dass sie in der Lage sind, ihre wirtschaftliche und soziale Existenz zu sichern. Das Erwerbseinkommen am wirtschaftlichen Erfolg zu sichern spielt hier für die meisten eine zentrale Rolle. Und dass Jobs und ihn vor Ausbeutung zu schützen.“ in tarifgebundenen Unternehmen in der Regel besser bezahlt werden als Jobs in nicht-tarifgebundenen, das ist ja nun mal Andreas Bovenschulte erwiesen. Außerdem sind die Arbeitsbedingungen insgesamt besser. Natürlich gibt es Ausnahmen, aber unterm Strich lässt sich das eindeutig belegen. Das heißt: Mit Tarifverträgen kann man die Welt ein Stück gerechter machen. Nun ist es heute für Gewerkschaften aufgrund der Nach unserer aktuellen Studie sind nur noch 17 Prozent Betriebsstrukturen viel schwieriger, Tarifverträge durch- der Betriebe im Land Bremen tarifgebunden, der Anteil zusetzen: Große Betriebe lagern Bereiche in kleinere hat sich damit fast halbiert in den letzten Jahren. Was und nicht mehr tarifgebundene Einheiten aus. Und viele sind aus Ihrer Sicht die Ursachen? Arbeitgeberverbände gehen dazu über, ihre Mitglieds- Zunächst einmal: Die Zahl der tarifgebunde- betriebe nicht mehr zu verpflichten, Tarifverträge an nen Betriebe ist stärker gesunken als die Zahl der tarifge zuwenden. bundenen Beschäftigten. Vor allem in kleinen und mittleren Das stimmt, das ist der Mainstream seit vielen Jahr- Unternehmen und insbesondere im Dienstleistungsbereich zehnten. Diese Entwicklung und der Strukturwandel führen ist die Tarifbindung gering. Ein wesentlicher Grund für heute dazu, dass auch die Tarifbindung so stark zurück diese Entwicklung ist der Strukturwandel: Es ist nicht ge gegangen ist. lungen, die gewerkschaftliche Tradition und Stärke aus der Industrie in andere Bereiche zu übertragen. Eine zweite Ohne Tarifverträge geht die Schere bei den Einkommen Erklärung ist sicherlich eine historische Schwächung der weiter auseinander und die soziale Spaltung nimmt — 14
Interview BAM — November / Dezember 2020 zu. Dies gefährdet doch die Grundlagen der sozialen Marktwirtschaft. Darin liegt eine große Gefahr. Tarifbindung bedeutet, dass die Menschen an der wirtschaft lichen Entwicklung teilhaben, mitbestimmen können. Auch im Sinne gesellschaftlicher Teil- habe. Unsere Wirtschaft ist ja von einem struktu- rellen Ungleichgewicht zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern gekennzeichnet. Arbeitnehmer haben – von wenigen Berufen abgesehen – nicht die Möglichkeit auf Augenhöhe über ihre Arbeitsbedingungen zu verhandeln. Sie können diese Augenhöhe nur erreichen, wenn sie sich zu sammentun. Sonst müssen sie eben akzeptieren, was ihnen vorgelegt wird. So sind die Machtbe ziehungen auf dem Arbeitsmarkt. Ändern lässt sich das nur, wenn man auf Seiten der Arbeit nehmer organisiert vorgeht. Tarifverträge sind deshalb auch ein Baustein der Demokratie. Die Arbeitnehmerkammer hat mehrere Vorschläge auf anwenden. Bislang ist das auf einige wenige Branchen den Tisch gelegt, um die Tarifbindung wieder zu stärken. begrenzt. Auch bei europaweiten Ausschreibungen gibt es Was können wir da vom Senat erwarten? im Moment noch Hürden. Die wollen wir soweit wie möglich Es liegt natürlich in erster Linie in der Verantwortung ausräumen. der Tarifparteien, insbesondere der Gewerkschaften, Tarif- verträge zu verhandeln und abzuschließen. Sonst würden Eine weitere Möglichkeit, die Tarifbindung zu stärken, wir die Tarifautonomie nicht ernst nehmen. Aber es ist eben geht über Anreize in der Wirtschaftsförderung. Auch ein Ansatz aus Sicht des Senats? Das ist ein interessanter Punkt. Grundsätz- lich ist es wohl zulässig tarifgebundene Unter nehmen gezielt zu unterstützen – etwa durch Steuer- Erleichterungen. Das ist aber eher ein Thema für den Bundesgesetzgeber. In Bremen könnte die Wirtschaftsförderung unter Umständen Unternehmen mit Tarifbindung besonders berück- sichtigen. Wichtig wäre es dabei auf positive Anreize und nicht auf negative Sanktionen zu setzen. Tarifbindung kann auch gestärkt werden, indem Tarifverträge für allgemeinverbindlich erklärt werden und damit für alle Beschäf- tigten einer Branche gelten. Der Weg ist aber noch mit hohen rechtlichen Hürden versehen. Will der Senat dieses Thema auch im Bundes- rat noch einmal angehen? Ja, auf jeden Fall. In bestimmten Branchen kann so wieder Wettbewerbsgleichheit hergestellt werden. Unternehmen konkurrieren dann über die auch Aufgabe des Staates, jedem seinen gerechten Anteil Qualität ihrer Leistungen und Produkte und nicht über die am wirtschaftlichen Erfolg zu sichern und ihn vor Ausbeu- Höhe der Löhne. Das ist auch ein Grund, warum das Thema tung zu schützen. Das ist in unserer Landesverfassung aus- durchaus von vielen Unternehmen geschätzt wird – weil es drücklich so festgelegt. Daraus folgt ein Verfassungsauftrag eben gleiche Rahmenbedingungen für alle schafft und die zur Herstellung tarifvertragsfreundlicher Rahmenbedingun- besten und nicht die billigsten sich durchsetzen. Wir haben gen – übrigens völlig unabhängig davon, welcher Senat mit erst kürzlich im Friseurhandwerk in Bremen den Tarifver- welcher politischen Ausrichtung gerade regiert. Aber um auf trag für allverbindlich erklärt. Das war ein ganz wichtiger Ihre Frage zurück zu kommen: Wir wollen das Bremische Schritt. Deshalb wollen wir eine Bundesratsinitiative mit Tariftreue und Vergabegesetz ändern und sind da ja auch einem Gesetzesvorschlag auf den Weg bringen, um es k ünftig im Austausch mit der Arbeitnehmerkammer. Unser Ziel ist, leichter zu machen, in einzelnen Branchen einen Tarifvertrag dass öffentliche Aufträge soweit wie rechtlich möglich an für allgemeinverbindlich zu erklären. Unternehmen vergeben werden, die auch einen Tarifvertrag — 15
BAM — November / Dezember 2020 Galerie der Arbeitswelt Nicht nur für die Arbeit mit der Pralinengabel benötigt Chocolatiere Anja Alex Geschick und Übung — 16
BAM — November / Dezember 2020 GALERIE DER ARBEITSWELT Kunstwerke aus Schokolade Anja Alex arbeitet als Chocolatiere bei einer kleinen Bremer Schokoladenmanufaktur. Hier sind vor allem Fingerspitzengefühl und Präzision gefragt Text: Insa Lohmann – Foto: Kay Michalak A lleine in einer einzelnen Kakaobohne stecken Manchmal genügt es schon, wenn die Temperatur der Masse mehr als 600 verschiedene Aromen. Um die per- nur einen halben Grad über der empfohlenen Angabe liegt – fekte Praline herzustellen, zählt aber nicht nur und die Schokolade ist nicht mehr genießbar. „Die Schoko der Geschmack, auch das Auge isst schließlich lade auf den Punkt zu bringen, ist für mich der schönste mit. Von der Auswahl der Zutaten über die Zubereitung der Moment.“ Auch Präzision spielt eine wichtige Rolle, denn am Pralinen bis hin zur Formung und Verzierung der kleinen Ende sollen alle Pralinen einer Sorte möglichst gleich aus Schokoladen-Kunstwerke, liegt alles in der Hand von Anja sehen. „Man benötigt Fingerspitzengefühl, Augenmaß und Alex. Die 44-Jährige arbeitet als Chocolatiere bei der Bremer die Liebe zum Detail“, sagt die 44-jährige Bremerin. Pralinen-Manufaktur Nick van Heyningen. Die Produktpa- lette reicht von ausgefallenen Pralinen über Tafelschoko In Deutschland ist der Beruf des Chocolatiers oder der Choco- laden, Marzipanbrote, Edelmarzipan bis hin zu Schokolöffeln latiere kein Ausbildungsberuf. Üblicherweise wird zunächst am Stiel, die in heißer Milch aufgelöst werden. „Ich mag das eine Ausbildung zum Konditor oder zur Konditorin absolviert Kreativsein“, sagt Anja Alex. „Man sieht danach, was man und sich dann spezialisiert, indem man in einer Schoko geschaffen hat.“ ladenfabrik, einer Pralinenmanufaktur oder einer Kondito- rei mit eigenen Schokoladenprodukten anfängt. Für Anja Ob Himbeer-Ingwer, Espresso oder die klassische Nuss- Alex ist ihre Tätigkeit daher auch eher eine Berufung, deren Nougat-Praline: Alles wird in der Bremer Manufaktur in Leidenschaft im Laufe der Zeit immer größer geworden ist: liebevoller Handarbeit hergestellt. „Der Umgang mit den „Ich hätte nicht gedacht, dass der Beruf so vielseitig ist.“ einzelnen Lebensmitteln macht mir am meisten Spaß“, sagt Bereits im Herbst beginnen bei ihrem Arbeitgeber die Vorbe- die Schokoladen-Expertin. Dass sie eine Vorliebe fürs Backen reitungen für das Weihnachtsgeschäft. Und dann freut sich hat, merkte sie schon in ihrer Jugend – und entschloss sich die Chocolatiere, die zu Hause eigentlich keine Schokolade nach mehreren Praktika für eine Ausbildung zur Kondito- mehr isst, besonders auf eins: „Walnuss-Marzipan-Pralinen, rin im Bremer Traditionscafé Knigge. Dort und auf ihren da kann ich einfach nicht ‚Nein‘ sagen.“ weiteren beruflichen Stationen lernte sie das ganze Spektrum des Konditor-Handwerks kennen: die Herstellung von T orten, Kuchen, Petit Fours, Speiseeis, Pralinen, aber auch Brot und Brötchen. „Man muss gute Fingerfertigkeiten mitbringen“, Der Chocolatier / Die Chocolatiere sagt Anja Alex. „Und Verständnis für die Lebensmittel.“ Zwar hatte die gelernte Konditorin bereits Erfah- In Deutschland ist Chocolatier/e kein anerkannter Aus rung in der Herstellung von Pralinen, doch das Wissen einer bildungsberuf. Der Weg führt in der Regel über eine Aus Chocolatiere hat sie sich im Laufe der vergangenen fünf bildung zum/zur Konditor/ in, die drei Jahre dauert. Vor- Jahre bei Nick van Heyningen angeeignet. „Anfangs war es aussetzung dafür ist ein Hauptschulabschluss. Chocolatiers eine große Herausforderung, mit der Pralinengabel zu arbei- arbeiten in einer Konditorei. Die Arbeit findet häufig im ten“, sagt Anja Alex. „Aber die Schokolade auf die richtige Schichtdienst statt. Temperatur zu bringen, ist die größte Herausforderung.“ — 17
BAM — November / Dezember 2020 Julia Amelung (rechts) mit ihrer Tochter Lara Neue Kraft schöpfen In einer dreiwöchigen Kur kann sich ein Elternteil mit oder ohne seine Kinder von den gesundheitlichen Folgen tagtäglicher Überlastung erholen. Um wirklich genesen zu können, gilt es einiges zu beachten Text: Frauke Janßen – Foto: Jonas Ginter „E s war schön, sich um nichts kümmern zu müssen“, sagt Julia Amelung. Die zweifache Mutter hat während der Sommerferien eine Mutter-Kind-Kur auf der ostfriesischen Insel Langeoog gemacht. Nor- malerweise arbeitet sie in Teilzeit als Personalmanagerin in einem Bremer IT-Unternehmen. Sie erzieht ihre zehn- und währenddessen gut versorgt sind. Amelungs Tochter Lara erinnert sich gerne an die drei Wochen an der Nordsee zurück: „Nach dem Frühstück sind mein Bruder und ich mit unserer Gruppe nach draußen gegangen und haben gespielt. Nachmittags waren wir dann oft mit Mama am Strand und nach dem Abendessen haben wir uns mit Freunden, die wir zwölfjährigen Kinder gemeinsam mit ihrem Mann. Dennoch dort kennengelernt haben, meist noch den Sonnenunter- ist Zeitmangel allgegenwärtig – so wie in vielen Familien. gang angeschaut“, beschreibt die Zwölfjährige einen typi- Immer weniger von ihnen stecken das gut weg. Bei Julia schen Kurtag. „Für die Kinder war ein Erlebnispädagoge zu Amelung hat sich der Stress in den letzten Jahren vor allem ständig, der ihnen spielerisch Zusammenhalt und Teamwork durch Rückenschmerzen bemerkbar gemacht. „Die Sportan- vermittelt hat“, fügt ihre Mutter hinzu. gebote, die ich in der Kur wahrgenommen habe, waren fast Gerade kleinere Kinder tun sich dagegen manchmal alle auf Rückenfitness ausgerichtet“, erzählt sie von einigen schwer mit dem für sie unbekannten Betreuungs personal Anwendungen, die ihr während der Kur verordnet wurden. in Kureinrichtungen. Wenn das eigene Kind in der Kur-Kita ständig weint, ist es schwierig, sich auf die so wichtigen Damit sich Mütter oder Väter in der Kur um sich selbst Therapiemaßnahmen zu konzentrieren. „Machen Mütter kümmern können, ist es wichtig, dass auch die Kinder jedoch alleine eine Kur, geht es wirklich nur um ihre eigenen — 18
Arbeit und Gesundheit BAM — November / Dezember 2020 Belastungen, die von Müttern und Vätern genannt werden (Mehrfachnennungen, im Durchschnitt 4–5 Belastungen) ständiger Zeitdruck berufliche Belastung Probleme, Kinder und Beruf zu vereinbaren kg Erziehungsschwierigkeiten mangelnde Anerkennung Probleme mit dem Partner/der Partnerin keine Unterstützung vom Umfeld finanzielle Probleme Trauer um Familienangehörige/n chronisch krankes Kind pflegebedürftige Angehörige 0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% Mütter in Mutter-Kind-Kuren Mütter in Mütterkuren Väter in Vater-Kind-Kuren Quelle: muettergenesungswerk.de © Arbeitnehmerkammer Bremen Bedürfnisse“, sagt Anne Schilling, Geschäftsführerin der gesellschaftlich anerkannt“, fügt sie hinzu. „Der Anteil der Spendenorganisation Müttergenesungswerk in Berlin. Sie Väter, die solch eine Kur machen, steigt zwar kontinuierlich, empfehle deshalb, sich gut zu überlegen: „Was brauche ich, dennoch sind es gerade mal vier Prozent.“ Den Grund dafür um wieder gesund zu werden?“ Natürlich sei es individu- sieht Anne Schilling auch darin, dass Frauen nach wie vor ell sehr unterschiedlich, ob eine Kur mit oder ohne Kinder den Hauptteil der Familienarbeit leisten. die bessere Wahl sei, so Schilling. Fest stehe, dass die Kuren „Die meisten Frauen kommen mit mindestens drei sehr viel häufiger mit Kindern angetreten würden. „In man- Gesundheitsstörungen in die Kur“, so Schilling. Oft han- chen Fällen sind die Kinder ebenfalls krank, dann sollte man delt es sich um starke Erschöpfungszustände, die sich durch für sie beim Kinderarzt ein Extra-Attest ausstellen lassen – in Schlafstörungen, Depressionen, Magen-Darmerkrankungen, jeder Mutter-Kind-Kur gibt es auch gemeinsame Therapie- Muskel-Skelett- oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen bemerk- maßnahmen.“ bar machen. „Eine Mutter-Kind-Kur ist eine stationäre Maß- nahme. Es geht darum, die Betroffenen aus ihrem Alltag Vor 70 Jahren hat das Müttergenesungswerk bereits spe- herauszuholen und medizinisch, physiotherapeutisch und zielle Kuren für Mütter ins Leben gerufen. Seit Anfang der sozialpsychologisch zu behandeln“, erläutert Schilling die 80er-Jahre gibt es die sogenannten Mutter-Kind-Kuren. Die sogenannte Kurbedürftigkeit, die ärztlich verordnet und bei kassenärztliche Anerkennung und Bezahlung habe man der Krankenkasse eingereicht werden muss. Insgesamt sind erst vor 18 Jahren durchsetzen können, berichtet Schilling. laut einer Studie des Instituts für empirische Sozialforschung „Mutter-Kind-Kuren sind aufgrund ihrer langen Tradition (Ifes) aus dem Jahr 2007 rund 2,1 Millionen Mütter und 230.000 Väter in Deutschland kurbedürftig. Der jährliche Datenreport des Müttergenesungswerks zeigt, dass die Zahlen seitdem immer weiter ansteigen. „Das belegen auch die Berichte von Ärzten aus den Kurkliniken“, sagt Schilling. Wenn gesundheitliche Probleme wiederkehren oder neu entstehen, lässt sich in der Regel vier Jahre nach Damit eine Mutter- oder Vater-Kind-Kur indes auch nach- der letzten Kur wieder eine Mutter- / Vater- / Kind- haltig wirken kann und sich nicht währenddessen die Arbeit Kur beantragen. Kinder können zwischen zwei und von drei Wochen auftürmt, sind Kurbedürftige auch auf höchstens zwölf Jahren mit aufgenommen werden. die Akzeptanz von Arbeitgebern und Mitarbeitenden ange Aufgrund der Corona-Pandemie haben die Kur wiesen. Anne Schilling rät Betroffenen dazu, möglichst selbst- kliniken unterschiedliche Hygienekonzepte erstellt. bewusst mit ihrer Situation umzugehen: „Sie gehen nicht in Grundsätzlich hat jede Klinik zudem eigene therapeu- den Urlaub oder in eine Erholungsmaßnahme, sondern sie tische Schwerpunkte. Es ist ratsam, sich vorab beraten haben eine Diagnose erhalten und sind für die Zeit der Kur zu lassen: Ärzte können eine Wunschklinik bereits mit krank geschrieben. „Meine Kollegen und meine Kolleginnen in den Antrag aufnehmen. Das Müttergenesungswerk haben meine Arbeit während der drei Wochen mit erledigt“, bietet telefonische Beratung an und informiert über sagt Julia Amelung. So kann sie von der Kraft, die ihr die Kur Anlaufstellen vor Ort. zurückgegeben hat, noch lange zehren. Nähere Infos zur Antragstellung gibt es auch unter www.muettergenesungswerk.de — 19
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