Wie sich die Welt verändern ließe - Forscherteam aus Eberswalde untersucht die Grundbedingungen von Transformation - Logbuch der Veränderungen
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Wie sich die Welt verändern ließe Forscherteam aus Eberswalde untersucht die Grundbedingungen von Transformation Pat Christ Kein Mensch will, dass die Ozon- schicht immer dünner wird. Niemand möchte, dass immer mehr Tier- und Pflanzenarten von unserem Globus verschwinden. Der Ruf nach Wandel wird lauter. Doch wie „geht“ Wandel? Die aktuelle Corona-Krise bietet aus Sicht der Forscherinnen und Forscher von der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde (HNEE) die einmalige Chance, dieser Frage nach- zugehen. Dies tun sie in Form eines „Digitalen Logbuchs“, das von Bür- gern selbst geschrieben wird. Mehr Zeit zum Reflektieren, wünscht sich Uwe Demele vom „Forschungszentrum Nachhaltigkeit – Transformation – Transfer“ der Hochschule Eberswalde. – Alle Fotos dieses Beitrages: Pat Christ. A lles verändert sich nach und Eberswalde. „In unserem Projekt wol- digen Besuche im Supermarkt zu mini- nach, vieles von dem, was heu- len wir zunächst einmal nicht bewer- mieren“, teilt zum Beispiel einer der te noch gilt, kann morgen be- ten, ob der aktuelle Wandel, den die Logbuchschreiber mit. „Wir müssen reits obsolet sein. Wandel ist letztlich Menschen erleben, gut oder schlecht mehr einkaufen, da wir jetzt täglich zu- ein ganz normaler Prozess. Meist je- ist, sondern uns interessiert, wie er hause kochen aufgrund von Homeoffi- doch vollziehen sich Veränderungen überhaupt funktioniert“, erklärt der ce und geschlossenem Kindergarten“, vergleichsweise langsam: Irgendwann Wirtschaftswissenschaftler Uwe De- berichtet ein anderer Teilnehmer am kam der Computer auf, irgendwann mele. Citizen-Science-Projekt des HNEE-For- das Internet, irgendwann hatte so gut scher-Teams. wie jeder ein „kluges“ Telefon. Die digitale Transformation als eine der größten Umwandlungen der letzten Es trifft nicht alle gleich Jahre hat die Welt enorm verändert. Auch sind soziale und wirtschaftliche Das Corona-Virus behelligte die Men- Veränderungen zu beobachten. Den- schen quer durch alle Schichten. Al- noch wird der Ruf nach „Transforma- lerdings traf es die einzelnen Bevölke- tion“ immer lauter. Die Welt soll sich rungsgruppen unterschiedlich stark. weiter verändern. Und zwar in eine Genau das, sagt Demele, muss beim komplett andere Richtung, als das bis- Nachdenken darüber, wie eine Trans- her geschah. formation in Richtung einer huma- Die Corona-Pandemie weckte bei vielen Men- schen den Wunsch nach einem Wertewandel. neren Gesellschaft gestaltet werden Durch das Corona-Virus erlebten wir, könnte, unbedingt mitbedacht wer- was in keiner Phase seit 1945 derart Es geht also zunächst nicht darum, ei- den. „Wie jemand die Krise erlebt hat stark erlebt werden konnte: Von jetzt nen etwaigen Missstand anzupran- und erlebt, ist absolut von seiner in- auf nachher mussten sich die meisten gern. Und daraus resultierend einen dividuellen, vor allem aber von seiner von uns an völlig neue Gegebenhei- Wandel zu fordern. Das Team, dem De- wirtschaftlichen Situation abhängig“, ten anpassen. Was da geschah und mele angehört, möchte wissen, was sagt der Transformationsexperte. Ein immer noch geschieht, genau das in- die Menschen beobachten. An sich Mensch, der arbeitslos wurde und nun teressiert die Mitarbeiterinnen und selbst. Und bei anderen. Das sind zu- mit der Hartz IV-Mühle konfrontiert Mitarbeiter des neuen „Forschungs- meist ganz einfache Dinge. „Ich kaufe ist, erfährt die Krise völlig anders als zentrums Nachhaltigkeit – Transfor- nur noch einmal pro Woche ein statt die Rentnerin, die eine gute Pension mation – Transfer“ der Hochschule mehrmals, um die Anzahl der notwen- bezieht und im eigenen Haus lebt. 04/2020 www.humane-wirtschaft.de 5
��������������������������������� Für einen gelingenden Wandel gehört eine Menge Mut ebenso wie die Bereitschaft zur gründlichen Analyse. Die Eberswaldener Forscher sind so- eben dabei, die Logbucheinträge zu Krisenbedingt ist gerade sehr viel im Fluss. Doch stimmt die Richtung? sichten und auszuwerten, um ganz Die landläufig verbreitete Ansicht, Menschen, die an ihrem Arbeitsplatz konkret zu erfahren, wie die Men- dass es nur Mut und Willen bräuch- ständig rödeln müssen, die täglich mit schen den Wandel während der Coro- te, um endlich eine „echte“ Transfor- einem schier nicht mehr zu bewälti- na-Pandemie erlebt haben und wie mation einzuleiten, teilt Uwe Deme- genden Arbeitspensum konfrontiert stark ihr Wunsch nach Wandel gene- le nicht. Die Welt, sagt er, ist nun mal sind, wünschen sich am meisten eine rell ist. 850 Logbucheinträge kamen höchst komplex – und wird mit nahezu Transformation in Richtung „humane- bis Ende Juni zusammen. Nach der jedem Tag noch ein bisschen komple- re Arbeitswelt“. Das jedoch steht wo- Sommerpause im September wird das xer. „Aus meiner Sicht fehlt eine Trans- möglich den wirtschaftlichen Interes- Logbuch noch einmal für eine kurze formationsethik“, sagt der 44-jährige sen ihres Unternehmens im Wege. Phase der Nachbefragung geöffnet, Spezialist für Unternehmensverant- Vielleicht sind die Betreffenden aber um mit Abstand auf die Corona-Hoch- wortung. Es müsste dringend darüber auch nur deshalb überfordert, weil die phase mit ihren radikalen Veränderun- reflektiert werden, aus welchen Grün- Firma kein neues Personal findet. gen zu schauen. „Unsere Ergebnisse den wir welche Form der Transformati- Auch könnte sein, dass die notorisch wollen wir im Anschluss daran als on benötigen und wem diese Transfor- gestresste Person darum derart am Open Source-Daten zur Verfügung mation zugutekommen soll. Nur, wenn Ende ist, weil die Arbeit zuhause wei- stellen“, so Demele. intensiv hierüber nachgedacht würde, tergeht. Vielleicht handelt es sich um sagt Demele, könnte darangegangen eine alleinerziehende Mutter. Die nie- Völlig klar ist, dass die junge Genera- werden, Transformationsschritte be- manden hat, der sich mit ihr in die Er- tion die Krise anders erlebt hat als die wusst einzuleiten. ziehungsverantwortung teilt. Älteren. Ebenso deutlich wird nach ers- ter Sichtung, dass die Krise bei einigen Was womit zusammenhängt Menschen einen Aha-Effekt in Rich- tung Wandel ausgelöst hat, so Demele: Jeder Bürger kann sich im stillen Käm- „Während andere gar nicht abwarten merlein ausmalen, wie sich die Gesell- können, wieder zu ihren alten Routinen schaft und die Welt verändern müsste, zu kommen“. Von daher sind auch die damit alle besser leben können und Wünsche in Bezug auf einen Neustart die Natur nicht weiter ausgebeutet und einen Corona induzierten Bewusst- wird. Doch das bringt keinen Schritt seinswandel ganz unterschiedlich. Wer weiter. „Wir müssen sehr viele Infor- erlebt hat, dass er nicht hunderte Kilo- mationen in einen Zusammenhang meter weit fahren muss, um an Infor- bringen“, sagt Demele. Auch sei es mationen zu kommen, weil es virtuell wichtig, zu erkennen, in welcher Wei- genauso gut geht, wird sich eben dies se die verschiedenen Faktoren aufei- wünschen: Mehr Virtualität zugunsten nander wirken und rückwirken. Da ist von weniger Verkehr. das Ökosystem. Da sind die sozialen Mikrosysteme, in denen die Menschen Viel Ausdauer nötig heute leben. Da ist das Bildungssys- tem. Das Wirtschaftssystem. Das Fi- Es ist anstrengend, so lange an einer nanzsystem. Und all das ist noch Sache zu tüfteln, bis sie „rund“ ist. Die Krise treibt Menschen, die zuvor bereits pre- einmal in einen globalen Rahmen ein- „Doch wir müssen fragen und wir müs- kär gelebt haben, in die Verzweiflung. gebettet. sen weiterfragen“, sagt Demele. Woran 6 www.humane-wirtschaft.de 04/2020
��������������������������������� liegt es denn ganz genau, dass so vie- Nun stellt sich die Frage, ob die Men- sicht unbedingt angepackt werden le Menschen so furchtbar unzufrieden schen durch Corona tatsächlich in müssten. Das Geldsystem gehört dazu, sind mit dem, was sich in sozialer, öko- Stand gesetzt wurden, vehementer für ist der Zins- und Zinseszinseffekt für logischer und wirtschaftlicher Hinsicht ihre Überzeugung zu kämpfen, dass den Forscher doch das „Urdilemma des in unserem Land vollzieht? Welche eine sozial-ökologische Transforma- Kapitalismus“. strukturellen Bedingungen liegen dem tion unabdingbar ist. Oft fehlt dazu zugrunde? Wie kam es, dass sich ge- schlicht die Zeit. Denn die Entschleu- nau diese und keine anderen Struktu- nigung durch Corona hielt nur für eine Zur Autorin ren herausgebildet haben? Einfach nur kurze Weile an. „Wer am Wochenende Pat Christ zu fordern, ist für den Wissenschaftler von der Arbeit so kaputt ist, dass er ein- zu wenig: „Wir müssen auch bereit sein, fach nur noch im Sessel liegen will, hat Pat Christ, Jrg. 1970, Verantwortung zu übernehmen, und nicht die Zeit und die Kraft, Probleme Magister in Kulturge- uns zu engagieren.“ zu analysieren, Ursachen zu benennen schichte an der Uni und sich für bessere Bedingungen ein- Würzburg, seit 1990 zusetzen“ sagt Demele. als freischaffende Foto- und Textjour- Die meisten führen inzwischen schon nalistin tätig. wieder ein Leben auf der Überholspur, Schwerpunkte: viele sind einfach nur froh, dass der Berichterstattung aus Kultur, Bildung, „Spuk“ bisher halbwegs glimpflich ab- Wirtschaftsethik und Wissenschaft. Zeit- Viel mehr Reflexion statt unreflektierter Aktion, gelaufen ist. Grundsätzlich verändert schriften und Magazine: Main-Echo, Baye- das würde sich Uwe Demele beim Nachdenken hat sich aktuell noch nichts. Dabei gibt rische Gemeindezeitung, Kulturmagazin über die nächsten Transformationsschritte ange- Leporello, Stadtmagazin „Der Kessener“. sichts der Komplexität unserer Welt wünschen. es einige Dinge, die nach Demeles An- Proudhon, Gesell, Keynes und negative Zinsen 65. Mündener Gespräche vom 13. bis 15. November 2020 in Wuppertal finden nicht statt Terminhinweis der Sozialwissenschaftlichen Gesellschaft Die 65. Mündener Gespräche mit dem Thema „Proudhon, Gesell, Keynes und negative Zinsen“ können am 13. – 15. November 2020 auf- grund der allgemeinen Verunsicherung durch den Corona-Virus, besonders in Nordrhein-Westfalen, abermals leider nicht stattfinden. Wir hoffen die Veranstaltung mit allen geplanten Vorträgen demnächst nachholen zu können. Nähere Informationen folgen zu gegebener Zeit. 04/2020 www.humane-wirtschaft.de 7
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