Wird die aktuelle Rezession nachhaltige Auswirkungen auf das Produktionspotenzial in Österreich haben?1
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Wird die aktuelle Rezession nachhaltige Auswirkungen auf das Produktionspotenzial in Österreich haben?1 Auf der Basis der Projektionen der Europäischen Kommission wird ein dauerhafter Verlust des Paul Gaggl, Produktionspotenzials von 4 % bis 6 % bis zum Jahr 2013 berechnet. Die Wachstumsrate Jürgen Janger2 des Produktionspotenzials wird sich mit hoher Wahrscheinlichkeit wieder auf dem Vor-Krisen- Niveau von knapp 2 % einpendeln, bevor die negativen Wachstumseffekte der Bevölkerungs- alterung einsetzen. Hohe Wachstumsraten des realen BIP sind direkt nach der Krise nicht zu erwarten. In einem pessimistischen Szenario könnten die Effekte der Krise mit jenen der Alte- rung der Gesellschaft auf das Produktionspotenzial verschmelzen, wodurch sich ein Rückgang des trendmäßigen Potenzialwachstums auf etwa 1,5 % bis 2030 ergäbe. In einem optimis- tischen Szenario laufen die strukturellen Effekte der Krise schon 2011 aus und das Produktivi- tätswachstum beschleunigt sich bis 2020, um die negativen Effekte der Bevölkerungsalterung zu kompensieren und den Wachstumspfad zu stabilisieren. Trotz hoher Unsicherheiten ist es sehr wahrscheinlich, dass Maßnahmen gegen den Klimawandel, die Energieknappheit und die steigende Konkurrenz sowie die Nachfrage aus den Schwellenländern für sehr wirksame Inno- vations- und Investitionsanreize sorgen werden. Damit die Unternehmen auf diese Anreize auch adäquat reagieren können, ist eine angemessene Wirtschaftspolitik notwendig. Die ent- scheidende Rolle der Wirtschaftspolitik in der Steigerung des mittelfristigen Produktionspoten- zials nach schweren Krisen zeigt sich auch in der historischen Erfahrung von Ländern wie z. B. Finnland, Schweden und Japan. Die im Jahr 2008 ausgebrochene Wirt- Die vorliegende Studie geht dieser schafts- und Finanzkrise hat 2008 und Frage anhand der infolge der Krise 2009 bereits zum stärksten Rückgang möglichen Entwicklungen des Produk- des BIP seit der Weltwirtschaftskrise tionspotenzials in Österreich nach. In der 1930er-Jahre („Great Depression“) Kapitel 1 wird das in diesem Beitrag geführt, was ihr im englischen Sprach- verwendete Konzept des Produktions- raum die Bezeichnung „Great Reces- potenzials definiert. Kapitel 2 beleuch- sion“ eingetragen hat (Rampell, 2009). tet den potenziellen Einfluss der Krise Grafik 1 zeigt, dass in Österreich auf die Determinanten des Produk- Rezessionen seit 1980 kaum Auswir- tionspotenzials und gibt einen Über- kungen auf den Wachstumspfad des blick über Schätzungen der Kosten Produktionspotenzials hatten, bei dem früherer Finanzkrisen oder Rezessi- mit einem Anstieg von rund 2 % pro onen. In Kapitel 3 werden anhand ver- Jahr bereits vor der Krise ein Abwärts- schiedener Methoden ermittelte Schät- trend zu verzeichnen war. Werden sich zungen des Niveaus und der Wachs- die Auswirkungen der Krise auf eine tumsrate des Produktionspotenzials in kurzfristige Abweichung des tatsäch- Österreich vorgestellt. Diese Schät- lichen Outputs vom längerfristigen zungen dienen als Basis für eine zweite Trend beschränken, oder wird es Studie zum Produktionspotenzial in dauerhafte Effekte auf Produktions- Österreich (Grossmann et al., 2009), niveau oder -wachstum geben? die sich mit den Konsequenzen des 1 Wissenschaftliche Übersetzung aus dem Englischen. 2 Begutachtung: pgaggl@ucdavis.edu; Juergen.Janger@oenb.at. Die Autoren danken Gerhard Fenz, Claudia Kwapil, Lukas Reiss, Martin Schneider, Christian Ragacs, Klaus Vondra und Walter Waschiczek für ausgesprochen hilfreiche Sandra Bilek-Steindl, Kommentare. WIFO GELDPOLITIK & WIRTSCHAFT Q3/09 27
Wird die aktuelle Rezession nachhaltige Auswirkungen auf das Produktionspotenzial in Österreich haben? Grafik afik 1 af Mittelfristige Projektionen der ECFIN für Österreich Niveau Wachstumsrate in Mrd EUR in % 250 4 3 230 2 210 1 190 0 –1 170 –2 150 –3 130 –4 1981 1985 1989 1993 1997 2001 2005 2009 1981 1985 1989 1993 1997 2001 2005 2009 Rezession CAGR GR 1981–2008: 2,1151 Potenzielles otenzielles BIP BIP, real CAGR GR 1998–2005: 2,0288 BIP, real BIP, CAGR GR 1999–2007: 1,8745 Quelle: Generaldirektion Generaldirektion Wirtschaft und Finanzen der Europäischen Kommission (ECFIN). Anmerkung: Für das potenzielle und das tatsächliche BIP wurden Projektionen der Europäischen Kommission (2009) verwendet. Die angegebenen Durchschnittswerte sind langfristige istige Jahresw Jahreswachstumsr achstumsraten achstumsraten (compound annual growth rrates ates – C AGR). niedrigeren Produktionspotenzials für Wohlstand gesehen, doch auch für die die Fiskalpolitik im Besonderen und Haushaltspolitik spielt das langfristige mit Möglichkeiten zur Steigerung des Produktionspotenzial – das Kapitalin- Potenzialwachstums im Allgemeinen tensivierung und geleistete Arbeits- befasst. In Kapitel 4 (Zusammenfassung stunden berücksichtigt – eine wichtige und Ausblick) werden Schlussfolge- Rolle: Es hat einen Einfluss auf die rungen gezogen und mögliche Wachs- Tragfähigkeit der öffentlichen Haus- tumsszenarien aufgezeigt. halte und der öffentlichen Verschul- dung, und es bestimmt die langfristige 1 Das Konzept des Produktions- Nachfrage nach Anlageinvestitionen potenzials und seine Bedeutung und Dienstleistungen in den Bereichen In Basu und Fernald (2009) werden Infrastruktur und staatliche Verwal- drei Konzepte des Produktionspoten- tung (Gordon, 2008). zials unterschieden. Das erste Konzept Das zweite, kurzfristiger angelegte entspricht im Wesentlichen einer Konzept bezieht sich auf das Produkti- Schätzung des längerfristigen Trend- onsniveau, das die Wirtschaft erreichen wachstums, einer gleichgewichtigen würde, wenn es keine nominellen Rigi- Wachstumsmessung auf Basis des ditäten gäbe (flexible-price output). Trendwachstums der Produktionsfak- Dieses Konzept wird explizit in Neu- toren Arbeit, Kapital und technolo- Keynesianischen Modellen verwendet, gischer Fortschritt. Solow (2001) ver- in denen die verzögerte Anpassung von steht die Wachstumstheorie als die Preisen und Löhnen an die langfristigen Theorie der Entwicklung des Produk- Gleichgewichtswerte zu einer infla- tionspotenzials. In vielen Studien zum tionsbedingten Differenz zwischen tat- langfristigen Wachstum wird die Pro- sächlichem und potenziellem Produk- duktivität nur als Faktor für den tionsniveau führen kann. Diese Out- 28 GELDPOLITIK & WIRTSCHAFT Q3/09
Wird die aktuelle Rezession nachhaltige Auswirkungen auf das Produktionspotenzial in Österreich haben? put-Lücke ist eine wichtige Variable der In der vorliegenden Studie zum Stabilisierungspolitik – und zwar so- Produktionspotenzial in Österreich wohl im Bereich Geldpolitik als auch in wird einerseits für mittel- bis lang- der Fiskalpolitik – da sie als Indikator fristige Projektionen das erste Konzept für das Gleichgewicht zwischen Ange- verwendet und andererseits auch die bot und Nachfrage in der Gesamtwirt- kurzfristigere Entwicklung des Pro- schaft dient und so richtungsweisend duktionspotenzials untersucht, um so für den geld- und fiskalpolitischen Kurs eine Zahlengrundlage zu bieten, die sein kann. Zwar sind Echtzeitschät- richtungsweisend für den fiskalpoli- zungen der nicht beobachtbaren Out- tischen Kurs sein kann. Dabei wird das put-Lücke häufig unzuverlässig (Orpha- Hauptaugenmerk nicht so sehr auf der nides und van Norden, 2002), doch Inflation in Österreich liegen, da sich werden sie sicherlich in die Strategien die Geldpolitik auf die Output-Lücke zum Ausstieg aus der derzeitigen des Euroraums stützt und nicht auf expansiven Wirtschaftspolitik einflie- jene in Österreich. In dem erwähnten ßen. Dieses kurzfristige Konzept ent- Folgebeitrag zu den politischen Impli- spricht der älteren Keynesianischen kationen des Produktionspotenzials Sichtweise des Produktionspotenzials (Grossmann et al., 2009) wird implizit als angebotsseitig bedingtem Produkti- das dritte Konzept verwendet, da einige onsniveau, bei dem es keinen Infla- Maßnahmen zur Steigerung des Pro- tionsdruck gibt. Langfristig wird die duktionspotenzials von Unvollkom- Produktion bei flexiblen Preisen übli- menheiten des Marktes ausgehen müs- cherweise so modelliert, dass es zum sen, die abgebaut werden können. Steady-State-Output konvergiert. Im dritten Konzept wird das Pro- 2 Wie kann die Wirtschafts- und duktionspotenzial als die zum gege- Finanzkrise das Produktions- potenzial beeinflussen? benen Zeitpunkt optimale Output- Kanäle und historische Quote in einer Volkswirtschaft gese- Erfahrungswerte hen, in der Unternehmen zumindest ein gewisses Maß an Monopolmacht Obwohl das langfristige Produktions- haben. Diese Definition des Produk- potenzial eine vergleichsweise glatte tionspotenzials wird in den meisten Datenreihe ist, kann sein Niveau und modernen DSGE-Modellen verwendet sein Wachstum durch bleibende struk- (z. B. Christiano et al., 2005), in denen turelle Veränderungen beeinflusst wer- eine Notenbank darauf abzielt, nomi- den. Beispiele sind die bis dato nicht nelle Rigiditäten auszugleichen (das vollständig erklärbare Verlangsamung heißt eine kurzfristige Neu-Keynesia- des Produktivitätswachstums in den nische Phillips-Kurve verwendet), da 1970er-Jahren oder die Effekte der der Notenbank bewusst ist, dass sie die Bevölkerungsalterung, durch die sich in der Volkswirtschaft vorhandenen der Beitrag der Arbeit zum Produk- monopolistischen Verzerrungen nicht tionspotenzial mit sehr hoher Wahr- ausgleichen kann. In dieser Situation scheinlichkeit ab etwa 2020 verringern führt das Anpeilen eines Produktions- wird. Die kurzfristige Produktion bei ziels im Sinn des zweiten Konzepts (das flexiblen Preisen kann darüber hinaus heißt bei flexiblen Preisen und voll- von einer Reihe anderer Faktoren be- kommenen Märkten), nicht notwendi- einflusst werden, etwa von zeitverzö- gerweise zu einer wohlstandseffizi- gerten mittelfristigen Änderungen von enten Allokation. Nachfragemustern. So führte das ver- GELDPOLITIK & WIRTSCHAFT Q3/09 29
Wird die aktuelle Rezession nachhaltige Auswirkungen auf das Produktionspotenzial in Österreich haben? langsamte Investitionswachstum in 2.1 Besonderheiten der aktuellen Deutschland zwischen 2001 und 2003 Rezession: Tiefe und Finanzie- zu einer Verringerung des Beitrags des rungsengpässe Kapitals zum Produktionspotenzial. Die gegenwärtige starke Rezession ist Stärker strukturelle Faktoren wie Än- aus Sicht der Autoren durch zwei Be- derungen bei der kurzfristigen struktu- sonderheiten gekennzeichnet, und zwar rellen Arbeitslosigkeit können ebenfalls durch ihre Tiefe (hinsichtlich Dauer, eine Rolle spielen. Reichweite und Produktionsrückgang) Um die für diese Untersuchung sowie die vorherrschenden schwierigen relevanten Veränderungen zu bestim- Finanzierungsbedingungen. In Grafik 2 men, müssen die wichtigsten Charakte- sind die Auswirkungen von Finanzie- ristika der derzeitigen und früherer rungsengpässen und jene der Tiefe der Finanzkrisen identifiziert und deren Krise auf die Determinanten des Pro- mögliche mittel- bis langfristigen Aus- duktionspotenzials zusammengefasst. wirkungen auf das Produktionspoten- Grafik 3 zeigt die Entwicklung des zial untersucht werden. Da Echtzeit- vierteljährlichen BIP jeweils zwei schätzungen sehr schwierig sind, wird Quartale vor und acht Quartale nach ein besseres Verständnis für diese dem höchsten erreichten Niveau vor Fragestellungen anhand der Auseinan- einer Rezession in Österreich seit 1980 dersetzung mit den Transmissionskanälen nach Ragacs und Vondra (2009). Defi- aus der Theorie und mit empirischen nitionsgemäß wird dieser Referenz- Erfahrungswerten angestrebt. Folglich punkt gleich 100 gesetzt. Von einer dient dieses Kapitel auch als Grundlage Rezession ist hier bei über zumindest für die in Kapitel 3 angestellten Schät- ein Quartal anhaltend negativem BIP- zungen des Produktionspotenzials. Wachstum die Rede. Grafik 2 Auswirkungen zweier Merkmale der aktuellen Krise auf das Produktionspotenzial Auswirkungen der Auswirkungen der Tiefe Finanzkrise Bestimmungsfaktoren des Produktionspotenzials der Rezession Kapitalstock – Investitionen Potenzielles Arbeitsangebot Arbeitslosenrate Kurzfristige strukturelle Arbeitslosigkeit Langfristige Arbeitslosigkeit Erwerbsbeteiligung Pro Arbeitnehmer geleistete Arbeitsstunden Gesamtfaktorproduktivität Effizienz der Faktornutzung (Produktionswachstum ohne Wachstum bei Arbeit oder Kapital) Produktionspotenzial (Niveau und Wachstumsrate) Quelle: OeNB. 30 GELDPOLITIK & WIRTSCHAFT Q3/09
Wird die aktuelle Rezession nachhaltige Auswirkungen auf das Produktionspotenzial in Österreich haben? Grafik afik 3 af Das BIP und seine Komponenten im Zuge von Rezessionen in Österreich seit 1980 Reales BIP Realer Konsum Index Q = 100 Index Q = 100 103 105 102 104 101 103 100 99 102 98 101 97 100 96 99 95 94 98 Q–2 Q Q+2 Q+4 Q+6 Q+8 Q–2 Q Q+2 Q+4 Q+6 Q+8 Reale Exporte Reale Investitionen Index Q = 100 Index Q = 100 109 108 104 103 99 98 94 93 89 84 88 Q–2 Q Q+2 Q+4 Q+6 Q+8 Q–2 Q Q+2 Q+4 Q+6 Q+8 Q4 1980 Q4 1983 Q2 1992 Q2 2001 Q3 2008 Quelle: OeNB. Anmerkung: kung: Die Datier ung der Ref Referenzpunkte mit dem höchsten er reichten Niveau vor einer Rezession (siehe Legende) sowie die Daten stammen aus der Gesamtwirtschaftlichen Prognose der OeNB vom Juni 2009 und basieren auf Eurostat-Daten. Die Daten zu Reaktionen auf die aktuelle Wirtschaftskr rtschaftskrise rtschaftskr tschaftskrise enden mit dem ersten er Quar 2009 (Q+2); für die darauf Quartal dar folgenden f Quar Quartale wurde die Gesamtwirtsc Gesamtwir haftliche Prognose der OeNB vom Juni 2009 verwendet. Bis zum ersten Quartal 2009 die mit Abstand gravierendste seit lan- werden tatsächliche Daten verwendet, gem ist. danach sind offizielle OeNB-Prognose- Das spielt für das Produktionspo- daten vom Juni 2009 abgebildet. An- tenzial auf aggregierter Ebene eine gesichts der Daten zum BIP und sei- Rolle, da die mit Finanzkrisen einher- nen Privatsektorkomponenten Kon- gehenden großen Produktionsrück- sum, Nachfrage und Investitionen wird gänge höchst persistent sind und häufig klar, dass diese Rezession in Österreich gar nicht wettgemacht werden, was auf GELDPOLITIK & WIRTSCHAFT Q3/09 31
Wird die aktuelle Rezession nachhaltige Auswirkungen auf das Produktionspotenzial in Österreich haben? eine Niveauverschiebung beim poten- fung von Fremdmitteln – könnten blei- ziellen BIP hindeutet (Cerra und Saxena, bende Auswirkungen auf die Nutzungs- 2008).3 Comin und Gertler (2006) kosten des Kapitals haben und dadurch stellen einen Modellmechanismus vor, die Investitionsentwicklung dämpfen. durch den sich mittelfristig nicht tech- Zwar war das Ausmaß der Finanzkrise nologische Schocks im Frequenzbereich sicherlich beispiellos, doch die aktu- von Konjunkturzyklen anhaltend durch ellsten Daten für Österreich zeigen so- Änderungen bei der Geschwindigkeit wohl bei Unternehmensanleihen als von Entwicklungen im Bereich For- auch bei Bankkrediten eine Lockerung schung und Entwicklung (F&E) sowie der Finanzierungsbedingungen im Ver- der Einführung neuer Technologien auf gleich zum Höhepunkt der Krise im die Produktivität auswirken können. Herbst 2008. In der linken Abbildung Auch starke Nachfrageschocks können von Grafik 8 ist der Renditeabstand bei einen mittelfristigen Effekt auf das Unternehmensanleihen mit AAA- und Produktionspotenzial haben, wenn in- BBB-Rating im Zeitverlauf dargestellt, folge dauerhafter sektoraler Realloka- der häufig als Näherungswert für die tionsprozesse eine Veränderung der Risikoprämie verwendet wird, sowie Qualifikationsstruktur der Arbeits- die durchschnittlichen Zinsen für kräfte erforderlich wird und die struk- große Bankkredite mit variabler Ver- turelle Arbeitslosigkeit deshalb einige zinsung (das heißt anfängliche Zinsbin- Zeit lang ansteigt. Im Detail werden dung von weniger als einem Jahr; diese einige Mechanismen in den Abschnit- Kredite machen 79 % der gesamten ten über die Kanäle Kapital, Arbeit und Kredite aus). Die Risikoprämie ist zwar Produktivität besprochen. noch immer hoch, seit Herbst 2008 Es ist nicht auszuschließen, dass und März 20094 ist sie aber schon stark das Ausmaß der Krise zu primär kurz- gesunken. Häufig wurde angeführt, fristig orientierten Maßnahmen führt, dass sich eine Rückkehr zu den Finan- die das Produktionspotenzial langfristig zierungsbedingungen bzw. Risikoprä- dämpfen. Gleichzeitig ist es aber auch mien der 1990er- oder 1980er-Jahre möglich, dass die politischen Kräfte drastisch auf die Investitionen auswir- eines Landes durch die Krise gebündelt ken würde (z. B. Europäische Kommis- werden und ein Reformkurs einge- sion, 2009). Die durchschnittliche schlagen wird, was wiederum zu einer Risikoprämie im Zeitraum 2000 bis Steigerung des Potenzialwachstums 2007 war jedoch in Wirklichkeit höher führen könnte. als in den 1990er-Jahren; in den 1980er-Jahren war das Niveau um etwa Finanzierungsengpässe 50 Basispunkte höher (da Daten für den Verschärfte Finanzierungsbedingungen Euroraum erst ab 1999 verfügbar sind, – sowohl hinsichtlich Quantität als auch wurden als Näherungswert US-Daten bezüglich der Kosten für die Beschaf- für Renditeabstände verwendet). 3 Dazu gibt es auch umfassende Literatur, die sich mit den Konsequenzen der Volatilität der Produktion für das Wachstum befasst. Die erste diesbezügliche Arbeit stammt von Ramey und Ramey (1995). Die Analyse von Barlevy (2004) legt nahe, dass sich durch das Unterbinden von Fluktuationen, wenn dies möglich wäre, die Wachstums- rate um 0,35 bis 0,40 Prozentpunkte erhöhen lassen könnte. Siehe Gaggl und Steindl (2007) für einen Litera- turüberblick zu Konjunkturzyklen und Wachstum. 4 Dies spiegelt sich in der Entwicklung der Zinsabstände zwischen Unternehmensanleihen mit AAA-Rating und deutschen bzw. österreichischen 10-jährigen Benchmark-Anleihen wider: Von ihrem Höchststand sanken diese bis Mitte September 2009 von 350 Basispunkten auf 40 Basispunkte (Deutschland) bzw. von 260 Basispunkten auf 0 Basispunkte (Österreich). 32 GELDPOLITIK & WIRTSCHAFT Q3/09
Wird die aktuelle Rezession nachhaltige Auswirkungen auf das Produktionspotenzial in Österreich haben? Grafik afik 4 af Unternehmenskredite: Vergleich der geschätzten Zinsübertragung mit den tatsächlichen Daten Kreditzinsen in % 8 7 6 5 4 3 2 Jän. April Juli Okt. Jän. April Juli Okt. Jän. April Juli Okt. Jän. April Juli Okt. 2005 2006 2007 2008 95%-Konfidenzintervall v vall Unternehmenskredite mit einer Laufzeit von weniger als 1 Jahr mit einem VVolumen von über 1 Mio EUR Prognose Quelle: OeNB, Jobst und Kw Kwapil apil (2008). Anmerkung: Die Daten für die Unternehmenskredite basieren auf Angaben der OeNB. Die strichlierte Linie zeigt die Prognosequalität des EURIBOR ab Juni 2007 einschließlich eines 95%-Konfidenzinter valls bei jedem Vorhersagepunkt auf Basis einer Fehlerkorrekturspezifikation rektur rekturspezifikation von Jobst und Kwapil (2008). Mit diesen Prognosen wird überprüft, ob der strukturelle Zusammenhang zwischen dem EURIBOR und den Kreditzinsen der Geschäftsbanken nach Juni 2007 aufrecht bleibt. Die Entwicklung der Zinssätze für bruch der Subprime-Krise) wesentlich Bankkredite folgte den Zinssenkungen höher als jene der kurzfristigen Kredite durch die EZB. In der vorliegenden Ar- (0,5 % gegenüber 0,1 % auf Monats- beit werden aktualisierte Schätzungen datenbasis) (OeNB, 2009). Dieses recht von Jobst und Kwapil (2008) verwen- günstige Ergebnis ist möglicherweise det, denen zufolge die tatsächlichen auf das in Österreich vorherrschende Zinssätze sogar niedriger sind als die Hausbankenprinzip zurückzuführen. prognostizierte Auswirkung der EZB- Die tatsächlichen Kreditvolumina Zinsen auf die Kundenzinsen ergeben steigen 2009 zwar langsamer als zu- würde (Grafik 4).5 Zumindest derzeit vor, aber doch weiter an (5,5 % im scheint der geldpolitische Transmissions- April 2009) (OeNB, 2009). Eine Unter- kanal über Bankkredite nicht beein- scheidung zwischen angebots- und trächtigt zu sein: Bei der Übertragung nachfrageseitigen Effekten ist bekann- der Geldmarktzinssätze auf die Kunden- termaßen schwierig, da die Nachfrage zinsen konnte keine signifikante Ab- nach Krediten seitens der Firmen weichung von den historischen Ver- während einer Rezession nachlässt. Da- laufsmustern festgestellt werden. Auch rüber hinaus waren Verschiebungen gab es keine Verschiebung zugunsten von Kapitalmarktfinanzierungen zu kurzfristigerer Kredite – im Gegenteil, Kreditfinanzierungen zu verzeichnen: nach wie vor entfallen rund 60 % der Die Bedeutung der Bankkredite nahm gesamten Kredite auf langfristige 2008 zu, sodass ihr Anteil an der Kredite mit einer Laufzeit von über Außenfinanzierung in der zweiten fünf Jahren, und deren Wachstums- Jahreshälfte beinahe 73 % ausmachte raten waren seit Juli 2007 (seit Aus- (in der ersten Jahreshälfte waren es nur 5 Bei den Zinssätzen für variabel verzinste Kredite über maximal 1 Mio EUR zeigt sich dasselbe Muster. In Öster- reich machen variabel verzinste Kredite 91 % der insgesamt an nichtfinanzielle Kapitalgesellschaften vergebenen Kredite aus, 79 % der gesamten Kredite liegen über einem Betrag von mehr als 1 Mio EUR. GELDPOLITIK & WIRTSCHAFT Q3/09 33
Wird die aktuelle Rezession nachhaltige Auswirkungen auf das Produktionspotenzial in Österreich haben? etwa 31 %; 1995 waren es noch beinahe reich hingegen waren aufgrund der 50 % gewesen) (Waschiczek, 2008). Beeinträchtigungen bei Kapitalmarkt- Seit 2008 ist die Kapitalmarktfinanzie- finanzierungen eher größere Firmen rung (z. B. über die Emission börsen- betroffen. Sowohl die euroraumweite notierter Aktien) zum Stillstand ge- Umfrage zum Kreditgeschäft der Ban- kommen; der Markt für Unterneh- ken (EZB, 2009a) als auch eine Beur- mensanleihen hingegen hat sich seit teilung der Wirtschaftslage durch die April 2009 erholt – österreichische OECD vom September (OECD, 2009a), Firmen konnten über 8 Mrd EUR auf- die einen zusammenfassenden Indika- nehmen. Das anhaltende Kreditwachs- tor der OECD zu den Finanzierungs- tum kann auch auf geringeren Cash- bedingungen enthält, weisen jedoch auf flow zurückzuführen sein. eine Lockerung der Finanzierungs- Die österreichischen Ergebnisse der beschränkungen hin und lassen auf euroraumweit durchgeführten Um- keine signifikanten Einschränkungen frage zum Kreditgeschäft weisen zwar bei der Kreditvergabe schließen. auf eine Verschärfung der Kreditricht- Diesen Ergebnissen zufolge könnten linien bei Zinsspannen, Sicherheiten- die Auswirkungen der Wirtschafts- erfordernissen und Kreditvereinba- krise auf das Produktionspotenzial auf- rungen hin, doch im zweiten Quartal grund der Schwere der Krise stärker 2009 war die Verschärfung weniger sein als jene aufgrund von Finanzie- stark ausgeprägt als im ersten Quartal, rungsengpässen. Natürlich kann sich was auf einen Wendepunkt in der Ent- dieser Eindruck ändern, falls die Banken wicklung der Kreditrichtlinien in durch zunehmende Firmeninsolvenzen Übereinstimmung mit dem restlichen erneut unter Druck geraten sollten. Bei Euroraum schließen lässt (EZB, 2009a). der Einschätzung der Auswirkungen Für die Banken haben sich die Refinan- von Finanzierungsengpässen auf das zierungsbedingungen teils aufgrund Produktionspotenzial sind deshalb staatlicher Kapitalspritzen verbessert große Vorsicht und eine genaue Beob- (OeNB, 2009). achtung der Finanzierungsbedingun- Insgesamt sind die Finanzierungs- gen angebracht. engpässe für österreichische Unterneh- men als Folge der Krise möglicherweise 2.2 Transmissionskanäle der etwas weniger stark ausgeprägt als in aktuellen Rezession auf das anderen Ländern, in denen ein tatsäch- Produktionspotenzial licher Rückgang bei den Bankkrediten Dieser Abschnitt befasst sich mit den zu verzeichnen ist. Insbesondere zeigen möglichen Auswirkungen der aktuellen die Ergebnisse einer von der EZB Rezession auf die drei Komponenten durchgeführten Umfrage über den Zu- des Produktionspotenzials: das poten- gang zu Finanzmitteln für Klein- und zielle Arbeitskräfteangebot, die trend- Mittelbetriebe (KMUs) im Euroraum, mäßige Gesamtfaktorproduktivität (to- dass die KMUs eine etwas stärkere Ver- tal factor productivity – TFP) sowie schlechterung der allgemeinen Finan- den tatsächlichen Kapitalstock. Grafik zierungsbedingungen meldeten als Groß- 5 zeigt die tatsächliche Entwicklung unternehmen (EZB, 2009b). In Öster- dieser Faktoren.6 Bezüglich des Bei- 6 Die TFP wird als Restgröße nach Abzug des Zuwachses der Faktoren Arbeit und Kapital vom BIP-Wachstum geschätzt. Daher spiegelt sie auch eine Unterauslastung der Faktorausnutzung oder die sich verändernde Qualität der Faktoren wider. Kurzfristig erscheint die TFP in Rezessionszeiten immer ausgesprochen schwach, sofern sie nicht um die Auslastung bereinigt ist. 34 GELDPOLITIK & WIRTSCHAFT Q3/09
Wird die aktuelle Rezession nachhaltige Auswirkungen auf das Produktionspotenzial in Österreich haben? Grafik 5 Rezessionen in Österreich seit 1980 Kapitalstock, real Erwerbsbevölkerung Index Q = 100 Index Q = 100 105 101,5 104 101,0 103 102 100,5 101 100,0 100 99 99,5 98 97 99,0 Q–2 Q Q+2 Q+4 Q+6 Q+8 Q–2 Q Q+2 Q+4 Q+6 Q+8 Solow-Residuum (TFP) Arbeitslosenrate Index Q = 100 Index Q = 100 103 210 102 190 101 100 170 99 150 98 97 130 96 110 95 94 90 Q–2 Q Q+2 Q+4 Q+6 Q+8 Q–2 Q Q+2 Q+4 Q+6 Q+8 Q4 1980 Q4 1983 Q2 1992 Q2 2001 Q3 2008 Quelle: OeNB. Anmerkung: Die Datierung der Referenzpunkte mit dem höchsten erreichten Niveau vor einer Rezession (siehe Legende) sowie die Daten stammen aus der Gesamtwirtschaftlichen Prognose der OeNB vom Juni 2009 und basieren auf Eurostat-Daten. Die Daten zu Reaktionen auf die aktuelle Wirtschaftskrise enden mit dem ersten Quartal 2009 (Q+2); für die darauf folgenden Quartale wurde die Gesamtwirtschaftliche Prognose der OeNB vom Juni 2009 verwendet. trags von Kapital und Arbeit stimmen In der Folge wird jeder Produktions- die Ergebnisse weitgehend mit jenen faktor einzeln untersucht. der Europäischen Kommission (2009), des IWF (2009a) und der OECD Kapital (2009b) überein. Die Auswirkungen Kurzfristig wird der Beitrag des Kapi- der Rezession auf die TFP werden al- tals zum Produktionspotenzial (unter lerdings eindeutiger negativ einge- Umständen) durch die folgenden vier schätzt als in den genannten Studien. Faktoren reduziert: Gleichzeitig stellt sich die langfristigere 1) Die rezessions-(nachfrage-)bedingt Entwicklung der TFP recht positiv dar. niedrigen Investitionsraten führen Geldpolitik & Wirtschaft Q3/09 35
Wird die aktuelle Rezession nachhaltige Auswirkungen auf das Produktionspotenzial in Österreich haben? zu einem verlangsamten Wachstum Arbeit des Kapitalstocks. Das potenzielle Arbeitskräfteangebot 2) Finanzierungsengpässe können die entspricht den trendmäßig geleisteten Entwicklung der kurzfristigen Inves- Gesamtarbeitsstunden. Bestimmt wird titionen noch weiter bremsen (wenn es anhand der Bevölkerungsanzahl im z. B. sinnvolle Investitionsprojekte erwerbsfähigen Alter, der Erwerbs- aufgrund von Finanzierungsschwie- beteiligung, der strukturellen Arbeits- rigkeiten scheitern) und ganz allge- losigkeit – die häufig mittels inflations- mein lässt sich als Folge der Krise stabiler Arbeitslosigkeit (nonaccelera- eine durch höhere Risikoprämien ting inflation rate of unemploment – verursachte dauerhafte Verteuerung NAIRU) gemessen wird – und der der Nutzungskosten des Kapitals durchschnittlich pro Arbeitnehmer ge- feststellen, die dazu führt, dass das leisteten Arbeitsstunden. gehaltene Kapital betragsmäßig Kurzfristig wird der Beitrag des sinkt. Barrell und Kirby (2009) Faktors Arbeit zum Produktionspoten- merken an, dass der trendmäßige zial von einem zeitlich begrenzten An- Rückgang der Nutzungskosten des stieg der NAIRU beeinflusst, der auf- Kapitals im Zuge der „Great Mode- grund sektoraler Reallokation und ration“ von Anfang der 1990er- allein schon durch den Anstieg der tat- Jahre bis 2005 zu einer Phase der sächlichen Arbeitslosigkeit entsteht: Kapitalintensivierung geführt hatte, Ein während der Krise erfolgter be- die nun möglicherweise vorüber trächtlicher Anstieg der Arbeitslosig- sei; der Anstieg der Risikoprämien keit kann ohne einen vorübergehenden könnte im Vereinigten Königreich Inflationsanstieg nicht rasch wieder ab- Verluste im Ausmaß von 3 % bis gebaut werden, da nominell rigide 4 % des BIP verursachen. Preise und Löhne den Anpassungspro- 3) Finanzierungsengpässe können durch zess verlangsamen (Europäische Kom- niedrige Vermögenspreise noch ver- mission, 2009). Ein kurzfristiger posi- schlimmert werden, da sie die Un- tiver Effekt kann sich aufgrund von ternehmensbilanzen schwächen und Vermögenseffekten ergeben: Infolge den Wert der verfügbaren Sicher- der massiven Verluste, die seitens der heiten verringern (Kiyotaki und Pensionsfonds verzeichnet wurden, Moore, 1997). könnten mehr ältere Arbeitskräfte 4) Die Vernichtung oder Entwertung länger im Erwerbsleben bleiben. In des bestehenden Kapitals kann sich Österreich ist dieser Effekt jedoch an- infolge von Insolvenzen und sekto- gesichts des geringen Anteils kapital- raler Reallokation (z. B. in der Bau- gedeckter Pensionen vermutlich sehr wirtschaft oder Autoindustrie) so- klein. wie infolge des Abbaus zuvor Mittel- bis langfristig kann der Bei- entstandener Überkapazitäten be- trag des Faktors Arbeit zum Produk- schleunigen. Mittel- bis langfristig tionspotenzial durch die von langen wird vermutlich nur der zweite Phasen der Arbeitslosigkeit verursachte Effekt der gestiegenen Nutzungs- dauerhafte Vernichtung von Human- kosten des Kapitals anhalten, wobei kapital sowie durch anhaltend höhere auch durch dauerhaft niedrige Nutzungskosten des Kapitals abneh- Nachfrage entstehende mittelfristige men, da diese die Gewinnspannen Effekte nicht auszuschließen sind. der Firmen drücken und die struktu- relle Arbeitslosigkeit erhöhen (Gianella 36 GELDPOLITIK & WIRTSCHAFT Q3/09
Wird die aktuelle Rezession nachhaltige Auswirkungen auf das Produktionspotenzial in Österreich haben? et al., 2008). Dies hängt natürlich auch Kapazitätsabbau in der Autoindustrie) von Arbeitsmarktpolitik und -institu- zu einer Erhöhung der strukturellen tionen ab. Insbesondere in Europa kam Arbeitslosigkeit kommen. Die NAIRU es in der Vergangenheit offenbar infolge ist bekanntermaßen schwierig zu schät- von negativen Schocks auf die Wirt- zen. So beziffert eine Schätzung der schaft im Wechselspiel mit den beste- Europäischen Kommission aus dem henden Arbeitsmarktinstitutionen zu Jahr 2006 die konjunkturell (das heißt Hysterese-Effekten (Blanchard und nicht strukturell) bedingte Arbeits- Wolfers, 2000). Inzwischen wurden losigkeit in Österreich mit 20 %. jedoch zahlreiche Reformen umgesetzt, Den Angaben des Arbeitsmarktservice und die Arbeitsmarktstruktur in Europa Österreich (AMS) zufolge belief sich hat sich verändert. In ihren NAIRU- diese Zahl auf rund 45 %. Solche Diffe- Projektionen geht die OECD (2009b) renzen führen zu signifikanten Unter- davon aus, dass die Langzeitarbeits- schieden bei den Schätzungen des Pro- losigkeit „nur“ noch zu zwei Drittel duktionspotenzials (Steindl, 2006). zu struktureller Arbeitslosigkeit wird – Insgesamt wird der kurzfristige in den 1990er-Jahren waren es drei Einsatz von Arbeit ganz entscheidend Viertel. davon abhängen, wie gravierend (bzw. In Österreich lag der Anteil der lang andauernd) die Krise ist, in wel- Langzeitarbeitslosigkeit an der Arbeits- chem Ausmaß sektorale Reallokations- losigkeit insgesamt vor der Krise mit prozesse stattfinden und wie sich die 25 % im Zeitraum 1999 bis 2008 unter Nutzungskosten des Kapitals in Zu- dem Durchschnittswert für die EU-15 kunft entwickeln. Ob sich die Arbeits- (43 %) und dem OECD-Durchschnitt marktinstitutionen verändert haben, (30 %), und damit auf ähnlichem wird die Zeit zeigen. Niveau wie in den skandinavischen Staaten (Dänemark: 20 %, Finnland Gesamtfaktorproduktivität und Schweden ebenfalls jeweils ca. Anhand der Gesamtfaktorproduktivität 25 %), jedoch über den Werten einiger (total factor productivity – TFP) soll Länder im angelsächsischen Raum (in die Effizienz der Faktorausnutzung den USA und Kanada liegt der Anteil gemessen werden: TFP-Wachstum der Langzeitarbeitslosigkeit bei etwa bedeutet Produktionswachstum bei 10 %). Weitere Stärken des öster- gleichbleibendem Einsatz der anderen reichischen Arbeitsmarktes sind das Faktoren. Die meisten empirischen hohe Maß an Reallohnflexibilität und Studien zu den Determinanten des die große Lohnzurückhaltung seit langfristigen Wachstums kommen zu 1995, was zu hoher preislicher Wettbe- dem Schluss, dass das TFP-Wachstum werbsfähigkeit führt. Das Qualifika- in hoch industrialisierten Volkswirt- tionsprofil der österreichischen Ar- schaften der wichtigste Wachstums- beitskräfte ist jedoch stark von betriebs- motor ist (siehe Hall und Jones, 1999, und industriespezifischen Fertigkeiten für eine allgemeine Betrachtung und geprägt, die zumeist im Zuge von Gnan et al., 2004, für Österreich). Die Berufsausbildungen erworben werden. Fragestellung, wie Rezessionen und Im Vergleich zu Ländern, in denen eher Kreditmarktfriktionen den Beitrag der auf universell einsetzbare Qualifika- TFP zum Produktionspotenzial beein- tionen gesetzt wird, kann es daher in flussen, wird in der theoretischen und Österreich bei massiven sektoralen empirischen Literatur umfassend be- Reallokationsprozessen (z. B. einem handelt. Insgesamt deutet eine Sichtung GELDPOLITIK & WIRTSCHAFT Q3/09 37
Wird die aktuelle Rezession nachhaltige Auswirkungen auf das Produktionspotenzial in Österreich haben? der verfügbaren Evidenz darauf hin, und Umstrukturierungen in Rezessi- dass sich Rezessionen auch ohne onszeiten niedriger sind als sonst. Auf- Kreditmarktfriktionen nachteilig auf grund der entstehenden Unteraus- das TFP-Wachstum auswirken, dass die lastung der verfügbaren Ressourcen TFP daher prozyklisch ist.7 Bei Bestehen können diese brachliegenden Ressour- von Finanzierungsengpässen werden cen innerhalb einer Firma von der der- die negativen Effekte auf die TFP übli- zeitigen Produktion auf zukünftig pro- cherweise noch verstärkt. duktivitätssteigernde Aktivitäten ver- In Grafik 6 sind einige der Bestim- lagert werden (siehe z. B. Aghion und mungsfaktoren des TFP-Wachstums St. Paul, 1998), was antizyklische Aus- nach Gnan et al. (2004) zusammenge- gaben für F&E bedeutet. fasst. Dabei wird zwischen indirekten An sich können beide Mechanismen und direkten Faktoren unterschieden: tatsächlich zum Tragen kommen, doch Die indirekten Triebkräfte des TFP- die eingeschränkt verfügbare Evidenz Wachstums sind Institutionen und zu Rezessionen als Produktivitäts- Maßnahmen, die Anreize für wachs- motoren liefert keine einheitlichen Er- tumsfördernde Aktivitäten setzen und gebnisse (siehe Barlevy, 2003, für eine diese Aktivitäten unterstützen, die kurze Zusammenfassung). Im Gegen- direkten sind Innovation und struktu- satz dazu werden in empirischen relle Veränderungen.8 Beide bauen auf Studien üblicherweise stark prozyk- das verfügbare Humankapital. Die pro- lische Aktivitäten in den Bereichen zyklischen TFP-Bestimmungsfaktoren F&E sowie Innovation festgestellt sind in Grafik 6 in Fettdruck darge- (Barlevy, 2007; Bundesministerien, stellt. Studien, in denen auf anti- 2009). Durch das Ausscheiden ineffi- zyklische Effekte von Rezessionen auf zienter Unternehmen aus dem Markt die Gesamtfaktorproduktivität hinge- entstehen definitiv positive Produktivi- wiesen wird, beziehen sich zumeist auf tätseffekte. Anhand von Mikrodaten zwei Mechanismen. Der erste fußt auf zeigt sich jedoch, dass dieser Beitrag der klassisch-Schumpeterschen Hypo- zum gesamten Produktivitätswachs- these, derzufolge Rezessionen dadurch tum im Vergleich zum Produktivi- gekennzeichnet sind, dass ineffiziente tätszuwachs innerhalb bestehender Firmen aus dem Markt ausscheiden Unternehmen niedrig ist (Bartelsman und die übrigen, effizienten Firmen et al., 2004) und dass der Beitrag von Marktanteile dazugewinnen (siehe Reallokationen zur Gesamtproduktivi- z. B. Caballero und Hammour, 1994, tät nur in geringem Ausmaß antizyk- zum Reinigungseffekt von Rezessi- lisch (Foster et al., 2001) oder sogar onen). Produktivitätssteigerungen wer- prozyklisch (Eisfeldt und Rampini, den – ceteris paribus – durch Verschie- 2006) ist. bungen zwischen Firmen (oder Sek- Empirischen Ergebnissen von Bar- toren) erzielt. Der zweite Mechanis- levy (2002) zufolge sind in Rezessionen mus basiert auf der Idee, dass die Op- geschaffene Arbeitsplätze mit erhöhter portunitätskosten von F&E, Innovation Wahrscheinlichkeit schlecht bezahlt 7 Fernald und Matoba (2009) wenden hingegen zur Schätzung der auslastungsbereinigten TFP eine neue Methode an, die von Basu et al. (2006) entwickelt wurde, um zu zeigen, dass die TFP in Echtzeit in den USA derzeit steigt und nicht fällt. Dieser Ansatz ist jedoch sehr neu und muss erst anhand historischer Daten überprüft werden. 8 Grafik 6 basiert auf den Ergebnissen vieler empirischer Studien, die sich üblicherweise mit jeweils einem Faktor gesondert befassen. Eine kürzlich erschienene Arbeit, in der die Auswirkungen mehrerer TFP-Bestimmungsfak- toren in einem Ansatz geschätzt werden, stammt von Coe et al. (2009). 38 GELDPOLITIK & WIRTSCHAFT Q3/09
Wird die aktuelle Rezession nachhaltige Auswirkungen auf das Produktionspotenzial in Österreich haben? Grafik 6 Bestimmungsfaktoren des TFP-Wachstums in Österreich Indirekte TFP-Quellen Direkte TFP-Quellen Institutionen: Strukturwandel – Sektorale Volkswirtschaftliche Regeln Verschiebungen, Eintritt, Austritt und Politik • (Anreizsysteme und Unterstützung für Innovationstätigkeit) Nutzung und Akkumulation von • Wirtschaftliche Stabilität insgesamt Humankapital • Finanzierung für Innovationen • Aus- und Weiterbildung, Berufswahl TFP-Wachstum (Venture Capital u. a.) (aus der Finanz in Wissenschaft und • Außenwirtschaftlicher Öffnungsgrad Technologie) • Wettbewerbspolitik • Langfristige Arbeitslosigkeit und Marktregulierung Innovationstätigkeit – F&E, Innovation Quelle: OeNB. Anmerkung: Prozyklische Faktoren in schwarz fett. und zeitlich befristet. Als Erklärung Firmen neigen dazu, zu stark auf den für diesen nachteiligen Effekt führt kurzfristigen Ertrag von Aktivitäten im Barlevy an, dass durch Rezessionen Bereich F&E zu setzen, sodass sie in zwar einige ineffizient besetzte Jobs Hochkonjunkturphasen – und somit zu vernichtet werden, Firmen aber auch einem höheren Preis als nötig – zuviel weniger offene Stellen anbieten und die in diesen Bereich investieren. Bei Be- Arbeitnehmer sich folglich dem Job, in stehen von Kreditmarktfriktionen kann dem sie aufgrund einer optimalen Ab- sich das Potenzial sektoraler Reallokati- stimmung ihrer Qualifikationen mit onen und jenes von F&E für die Kor- dem Anforderungsprofil am produk- rektur von Fehlallokationen während tivsten arbeiten würden, langsamer an- einer Rezession noch viel weniger ent- nähern. Genauer gesagt, nimmt die falten. Produktivität in der Anfangsphase ei- Barlevy (2003) argumentiert, dass ner Rezession aufgrund der Vernich- bei Bestehen von Kreditmarktfrik- tung ineffizient besetzter Jobs sprung- tionen Ressourcen durch die Realloka- haft zu, über die gesamte Dauer der tion tatsächlich in weniger effiziente Rezession hinweg sinkt die Gesamtpro- Einsatzbereiche umgeschichtet werden, duktivität jedoch, da mehr nur mittel- was vor allem dann wahrscheinlich ist, mäßig effiziente Übereinstimmungen wenn effizientere Produktionsstruk- (job matches) erzielt werden.9 turen gleichzeitig anfälliger für Kredit- Die Ausgaben für F&E sind nicht beschränkungen sind. Angesichts der deshalb prozyklisch, weil die Firmen Schwierigkeit, in einer Rezession einen ihre diesbezüglichen Aktivitäten an Kredit zu bekommen, werden Pro- ihren Cashflow anpassen; Barlevy jekte, für die weniger Mittel beschafft (2007) zeigt, dass Firmen die Zuwachs- werden müssen, unabhängig von ihrer rate ihrer F&E-Ausgaben unabhängig Effizienz mit einer größeren Wahr- von ihrer finanziellen Position steigern. scheinlichkeit verwirklicht. Dieses Er- 9 So ließe sich auch das von Fernald und Matoba (2009) beschriebene Phänomen der derzeit steigenden Gesamtfak- torproduktivität in den USA erklären. GELDPOLITIK & WIRTSCHAFT Q3/09 39
Wird die aktuelle Rezession nachhaltige Auswirkungen auf das Produktionspotenzial in Österreich haben? gebnis wird von Hottenrott und Geld – ganz im Gegenteil: Auch in Czarnitzki (2008) bestätigt: Ihnen Zeiten mit sehr niedrigen Risikoprä- zufolge werden bei Kreditbeschrän- mien war die Aufnahme von Fremd- kungen jene zukunftsweisenden ris- mitteln für sie immer schwierig. Vom kanten F&E-Projekte zurückgefahren, Rückgang des Finanzierungsangebots die das Produktivitätswachstum mit über Venture Capital – das vor der der größten Wahrscheinlichkeit för- Krise auch schon gering war – sind sie dern würden, Routineprojekte hinge- jedoch sehr wohl betroffen.10 Dies gen werden nicht eingeschränkt. ist bis zu einem gewissen Grad ein Aghion et al. (2005) führen an, dass spezifisch österreichisches Phänomen langfristig produktivitätssteigernde In- (Janger, 2009), das durch nationale vestitionen (im Unterschied zu kurz- Maßnahmen abgemildert werden fristigen Investitionen) mit höheren könnte. Liquiditätsrisiken verbunden sind, da Zur Veranschaulichung der Größen- der Abschluss solcher Projekte länger ordnungen: Langfristig führt eine Er- auf sich warten lässt. Bei Bestehen von höhung der F&E-Ausgaben durch in- Kreditbeschränkungen werden solche und ausländische Unternehmen um langfristigen Investitionen prozyklisch, 1 % zu einem TFP-Anstieg zwischen was eine niedrigere mittlere Wachs- 0,3 % und 0,6 % in Österreich (Falk tumsrate der jeweiligen Gesamtinvesti- und Hake, 2008a). Bei einem BIP- tionsrate impliziert. In der Studie von Rückgang um 1 % verringern sich die Aghion et al. (2008) wird anhand von F&E-Ausgaben seitens der Unterneh- Unternehmensdaten aus Frankreich men um 1,7 % (Bundesministerien, gezeigt, dass der F&E-Anteil an den 2009). Die OeNB prognostiziert für Investitionen in einer Rezession bei Österreich im Jahr 2009 ein BIP- Bestehen von Kreditmarktfriktionen Wachstum von –4,2 %. Vorausgesetzt, zurückgeht und sich bei einer Konjunk- dass der Effekt auf die Produktivität in turerholung nicht im selben Maß wie- Rezessionen symmetrisch ist mit jenem der erhöht. in Aufschwungphasen, würde das einen Eine Studie auf Basis von Mikro- Rückgang der F&E-Ausgaben von rund daten für Österreich (Falk und Hake, 7 % bedeuten und langfristig einen 2008b) zeigt, dass insbesondere junge Rückgang des TFP-Niveaus zwischen Firmen bis zu ihrem zehnjährigen 2,1 % und 4,2 % bewirken. Diese Bestehen von Kreditbeschränkungen Zahlen dienen natürlich nur der Veran- bezüglich Innovationsaktivitäten be- schaulichung und sind nicht eins zu eins troffen sind. Diese Beschränkungen auf die Wirklichkeit übertragbar, aber werden durch öffentliche Direktförde- sie zeigen deutlich, dass Rezessionen rungen und Venture-Capital-Finan- sehr wohl Auswirkungen auf F&E und zierungen abgemildert. Die Auswir- das TFP-Wachstum haben. kungen der Krise können aus zwei Andere Bestimmungsfaktoren der Blickwinkeln betrachtet werden. Auf TFP wie Firmengründungen sind eben- der einen Seite sind Bankkredite kaum falls stark prozyklisch (Bilbiie et al., relevant für junge, technologieintensive 2007). Diese Prozyklizität wird durch Firmen, die über keine großen Sicher- einen Faktor weiter verstärkt: Aghion heiten verfügen; selbst vor der Krise et al. (2007) zufolge spielt der Zugang hatten sie nie Zugang zu „billigem“ zu Finanzmitteln in der Gründungs- 10 Venture-Capital-Finanzierungen sind stark prozyklisch (Romain und van Pottelsberghe, 2004). 40 GELDPOLITIK & WIRTSCHAFT Q3/09
Wird die aktuelle Rezession nachhaltige Auswirkungen auf das Produktionspotenzial in Österreich haben? und Aufbauphase kleiner Unternehmen nehmen Kosteneinsparungen ermögli- sowie in stärker auf Außenfinanzie- chen, in Krisenzeiten sogar ein posi- rungen angewiesenen Sektoren eine tives Wachstum verzeichnen. Der zum besonders wichtige Rolle. Der Erwerb Teil auf den Wettbewerb mit asia- von Qualifikationen geht jedoch offen- tischen Ländern zurückzuführende In- bar antizyklisch vor sich (Dellas und novationsdruck hat ebenfalls nicht Sakellaris, 2003). Wenn sich Absol- nachgelassen.12 Der Halbleiterhersteller venten naturwissenschaftlicher und Infineon etwa geht davon aus, dass die technischer Studienrichtungen nicht Industrie sich durch die Krise verän- mehr für eine Karriere im Finanzbe- dern wird. Die Daten der österrei- reich entscheiden, wo sie unter Um- chischen Forschungsförderungsgesell- ständen zu negativen Externalitäten schaft FFG hingegen zeigen, dass die und Einbußen beim Produktionspoten- Beteiligung von Firmen an länger- zial beitragen, sondern stattdessen den fristigen, riskanteren F&E-Program- Ausbau der Forschungskapazitäten auf men zurückgegangen ist, jene an der ganzen Welt vorantreiben, könnte kleineren Programmen jedoch steigt. unter Umständen ein weltweiter TFP- Wie die Modelle von Barlevy (2002) Anstieg verzeichnet werden. Die anti- und Aghion et al. (2005) weist diese zyklischen Effekte des Qualifikations- anekdotische Evidenz ceteris paribus erwerbs werden jedoch erst mittel- bis auf kurzfristige Produktivitätsanstiege langfristig wirksam; kurzfristig kann und einen gleichzeitigen Rückgang der der Beitrag des Humankapitals zur Bemühungen um langfristigere Pro- Gesamtfaktorproduktivität durch lange duktivitätszuwächse hin. Phasen der Arbeitslosigkeit (und die Wie bei den anderen Determinan- damit verbundene Vernichtung von ten des Produktionspotenzials können Humankapital) abnehmen. In Öster- fehlgeleitete Maßnahmen die Auswir- reich stehen der vollen Ausnutzung des kungen der Krise auf die TFP verstär- vorhandenen Potenzials einige Beson- ken. Auf den Einbruch der Aktien- und derheiten des Bildungssystems entge- Grundstückspreise in Japan zwischen gen (OECD, 2009c). 1989 und 1992 reagierten Politik und Für eine genauere Einschätzung der Regulierungsbehörden mit Verdrän- unmittelbaren Auswirkungen der Krise gung – die Entwicklungen wurden ein- erscheint ein Echtzeiteinblick in die fach ignoriert. In der Folge vergaben derzeitigen Entwicklungen im Bereich große Banken häufig weiterhin Kredite Innovationen sinnvoll. Die Ergebnisse an insolvente Kunden, um das Ab- von Umfragen unter Führungskräften schreiben von Kapital zu vermeiden, kleiner Hi-Tech-Firmen11 und aktuelle das sie für die Einhaltung der Medienberichte vermitteln den Ein- regulatorischen Mindestkapitalanfor- druck, dass derzeit viel kurzfristige derungen benötigten. Dadurch wurde Optimierung und sektorale Realloka- der Wettbewerb unterbunden, und tion stattfindet, dass z. B. die Anbieter Branchen mit einem hohen Anteil an von Produkten, die bei großen Unter- de facto insolventen Kreditnehmern 11 Dazu fanden im Rahmen der Technologiegespräche beim Europäischen Forum Alpbach (2009) interessante Dis- kussionen statt. 12 Auf internationaler Ebene erstellt die Federal Reserve Bank of San Francisco den Tech Pulse Index, einen Indika- tor für die Messung der Wirtschaftsaktivität im US-amerikanischen IT-Sektor in Echtzeit (FRBSF, 2009). Diesem Index zufolge ist der derzeitige Abschwung im IT-Sektor weniger gravierend als jener des Jahres 2001 (der jedoch insbesondere den IT-Sektor traf). GELDPOLITIK & WIRTSCHAFT Q3/09 41
Wird die aktuelle Rezession nachhaltige Auswirkungen auf das Produktionspotenzial in Österreich haben? verzeichneten niedrige Produktivitäts- vation und Investitionen nicht nur in zuwächse (Caballero et al., 2008). einigen Branchen, sondern in allen Was sind mittel- bis langfristig die Bereichen massiv steigen. In der Bau- Perspektiven für das Produktivitäts- wirtschaft, im Energiesektor und in wachstum? Für die USA gibt es dazu der Sachgüterproduktion wird es An- einige „strukturierte Ratespiele“ (Oliner passungen an gesetzliche Innovations- und Sichel, 2002), die sich vorwiegend vorgaben und an den steigenden Wett- auf den Beitrag von Informationstech- bewerb geben müssen. nologien zum künftigen Produktivi- Insgesamt ist angesichts der Schwere tätswachstum konzentrieren, wobei so- der Krise und der Finanzierungseng- wohl die Perspektiven der IT-produzie- pässe kurz- bis mittelfristig von einem renden Industrie als auch jene der negativen Effekt der Krise auf das TFP- IT-nutzenden Branchen berücksichtigt Wachstum auszugehen, die mittel- bis werden. Einer optimistischen Projek- langfristige Prognose ist jedoch posi- tion von Jorgenson et al. (2008) zufolge tiver. soll das nach 1995 in den USA beschleunigte Produktivitätswachstum 2.3 Historische Erfahrungswerte anhalten, und zwar aufgrund der Es gibt einige aktuelle Studien zum Effekte der Informationstechnologien mittelfristigen Effekt von Finanzkrisen und aufgrund des günstigen Unterneh- auf das Produktionspotenzial bzw. auf mensumfelds in den USA (flexible Ar- die Produktion, wobei zu beachten ist, beitsmärkte, wettbewerbsfähige Güter- dass keine andere Krise so schwerwie- märkte und tiefe Kapitalmärkte). Gordon gend war wie die derzeitige. In Tabelle (2008) hingegen geht davon aus, dass 1 sind die in diesen Arbeiten errechne- die meisten positiven Effekte des Ein- ten Schätzwerte für die mittelfristigen satzes von Informationstechnologien Produktionseinbußen angeführt. In bereits ausgeschöpft sind und sieht das IWF (2009a) und OECD (2009b) künftige Produktivitätswachstum daher werden die Ergebnisse einiger Studien eher im Einklang mit den Werten der zusammengefasst: Jahre 1987 bis 1997. – Mittelfristig erreicht das infolge Diese Diskussion scheint zu stark einer Bankenkrise gedämpfte Pro- rückwärtsgerichtet, und es werden duktionswachstum den vor der einige wichtige Entwicklungen außer Krise verzeichneten Trendwert Acht gelassen. Solow (2001) merkt nicht, sodass es häufig zu einem an, dass die Theorie des endogenen bleibenden Produktionsrückgang Wachstums dazu führt, den Schwer- kommt; in den meisten Ländern punkt der Wachstumsbetrachtungen wird die vor der Krise erzielte auf die Analyse der wirtschaftlichen Wachstumsrate letztendlich aber Anreize zur Schaffung neuer Technolo- wieder erreicht. gien zu legen. Angesichts der derzei- – Zu dem Produktionsrückgang tra- tigen Lage – Herausforderungen durch gen die Faktoren Beschäftigung, In- aufstrebende Volkswirtschaften (ins- vestitionen und TFP zu etwa glei- besondere China), Maßnahmen zur chen Teilen bei. Beschränkung der Kohlendioxidemissi- – Gute Indikatoren für das mittel- onen z. B. durch weltweiten Emissions- fristige Ergebnis sind die Schwere rechtehandel (Cap-and-Trade-Systeme) der Krise – gemessen an den Pro- sowie zunehmende Rohstoffverknap- duktionseinbußen im ersten Jahr – pung – werden die Anreize für Inno- sowie die Höhe von Investitions- 42 GELDPOLITIK & WIRTSCHAFT Q3/09
Wird die aktuelle Rezession nachhaltige Auswirkungen auf das Produktionspotenzial in Österreich haben? Tabelle 1 Einige Schätzwerte für Einbußen beim Produktionspotenzial Persistente Persistente Einbußen Produktionseinbußen beim Produktionspotenzial in % Cerra und Saxena (2008) 4–16 x Furceri und Mourougane (2009) x 1,5–3,8 Cecchetti et al. (2009) 9,2 x IWF (2009a) 10 x Kim et al. (2005) 1,25–5,25 x IWF (2009b) für die USA x 5,75 Quelle: Jeweils angeführte Studie. Anmerkung: In Cecchetti et al. (2009) werden Durchschnittswerte angeführt, in IWF (2009a) Durchschnittswerte nach sieben Jahren. In Kim et al. (2005) sind nur Rezessionen ohne Finanzierungsengpässe berücksichtigt. In IWF (2009b) werden Einbußen beim Produktions- potenzial bis 2014 geschätzt. und Sparquoten vor Ausbruch der Bankensektor wurden rasch gelöst, was Krise. gemeinsam mit den eingeleiteten – Der mittelfristige Produktions- Strukturveränderungen die Realloka- rückgang ist nicht unumgänglich. tion und das Produktivitätswachstum Kurzfristige antizyklische geld- und beschleunigte. Die beiden Länder hat- fiskalpolitische Maßnahmen sowie ten auch insofern Glück, als das außen- Strukturreformen können zu einer wirtschaftliche Umfeld günstig war Verbesserung der mittelfristigen und sie auf den boomenden IT-Bereich Ergebnisse beitragen. spezialisiert waren. In Japan wurden – Der krisenbedingte Beschäftigungs- die Bankenprobleme nicht gelöst, was abbau wird unter Umständen erst die sektorale Reallokation behinderte zehn Jahre nach der Krise wieder und in weiterer Folge zu einer lang wettgemacht. anhaltenden Verschlechterung der Pro- Viele nationale Behörden haben ihre duktivitätsentwicklung führte. Im Prognosen des Produktionswachstums Nachfeld schwerwiegender Krisen bis 2010 bereits revidiert (durchschnitt- kann daher das TFP-Wachstum als lich um kumulierte 2,75 Prozent- Dreh- und Angelpunkt bei der Wachs- punkte) (OECD, 2009b). tumsbelebung gesehen werden. Die Europäische Kommission (2009) und Haugh et al. (2009) stellen 3 Auswirkungen der Krise auf die in Finnland und Schweden gemach- das Produktionspotenzial in Österreich – verschiedene ten Erfahrungen jenen des „verlorenen Schätzungen Jahrzehnts” in Japan gegenüber, um festzuhalten, dass die nach großen In den vorherigen Abschnitten wurden Finanzkrisen seitens der Politik ergrif- die Entwicklungen in Österreich in fenen Maßnahmen eine wesentliche vergangenen Abschwungphasen (Gra- Rolle für die Entwicklung des Produk- fiken 3 und 5) sowie das Verhalten ver- tionswachstums spielen. In Finnland schiedener für die Beurteilung des Pro- und Schweden kam es nach der Krise in duktionspotenzials bedeutender Indi- den frühen 1990er-Jahren zu einem katoren dargestellt. Im Folgenden soll starken Anstieg der strukturellen Ar- nun das österreichische Produktions- beitslosigkeit, doch die Probleme im potenzial über einen mittel- bis lang- GELDPOLITIK & WIRTSCHAFT Q3/09 43
Sie können auch lesen