Wohnsituation und chronische Schmerzen

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Wohnsituation und chronische Schmerzen

    Jens Heyn, Manfred Pilgramm, Benjamin Luchting

    Abstract                              Schlussfolgerung: Es zeigen sich      häufigsten Erkrankungen (3). Ob-
                                          deutliche Unterschiede zwischen       wohl sehr viele Anstrengungen
    Zielsetzung: Chronische Schmer-       chronischen      Schmerzpatienten     unternommen worden sind, die
    zen sind weltweit ein erhebliches     und Menschen ohne Schmerzen           Pathophysiologie zu verstehen,
    medizinisches Problem. Dabei ist      bezüglich ihrer Wohnsituation. So     ist das Wissen auf diesem Gebiet
    die Pathogenese der Erkrankung        konnten wir mit der vorliegenden      weiterhin sehr lückenhaft. Bislang
    komplex und nicht gänzlich ge-        Arbeit zeigen, dass Patienten         konnten die unterschiedlichsten
    klärt. Die aktuelle Wohnsituation     mit chronischen Schmerzen in          Faktoren (beispielsweise Angst,
    kann einen bedeutsamen Einfluss       älteren und kleineren Wohnein-        Depression, Stress oder familiäre
    auf den Gesundheitszustand von        heiten leben, als Menschen ohne       Konflikte) identifiziert werden,
    Menschen haben. Da der Zusam-         chronische Schmerzen. Schmerz-        die die Entstehung und Auf-
    menhang zwischen chronischen          patienten haben, wenn auch            rechterhaltung von chronischen
    Schmerzen und der Wohnsituation       nicht signifikant, aber dennoch       Schmerzen begünstigen (4).
    bislang nicht untersucht wurde,       deutlich seltener den Blick in die
    war das Ziel dieser Studie, die ak-   Natur oder eine Terrasse – beides     Seit längerem ist bekannt, dass
    tuelle Wohnsituation von Patien-      ist assoziiert mit menschlichem       die aktuelle Wohnsituation einen
    ten mit chronischen Schmerzen zu      Wohlbefinden. Die aufgezeigten        Einfluss auf die Gesundheit eines
    analysieren und sie zu vergleichen    Unterschiede könnten daher            Menschen haben kann (5). So gibt
    mit jener von Menschen ohne           eine Rolle bei Entstehung und         es Hinweise, dass Schimmel be-
    chronische Schmerzen.                 Aufrechterhaltung     chronischer     ziehungsweise Schimmelsporen
                                          Schmerzen spielen.                    in einer Wohnung langfristig zu
    Methoden: Patienten mit chroni-                                             Rhinitis, Alveolitis oder Asthma
    schen Schmerzen und Teilnehmer        Einleitung                            führen können (5). Für Lärm, ver-
    ohne chronische Schmerzen wur-                                              ursacht durch Nachbarn, Autos
    den mit Hilfe eines Fragebogens       Ein nicht unerheblicher Teil          oder Flugzeugen, konnte ebenfalls
    bezüglich ihrer aktuellen Wohn-       der Bevölkerung ist von chro-         ein negativer Einfluss auf die Ge-
    situation und dem Ausmaß ihrer        nischen Schmerzen betroffen.          sundheit nachgewiesen werden.
    Schmerzen befragt.                    Dabei ist die Pathophysiologie        So kommt es bei Menschen, die
                                          dieser Schmerzen mitunter sehr        verstärkt Lärm ausgesetzt sind,
    Ergebnisse: Patienten mit chro-       komplex und hat nicht nur einen       signifikant häufiger zu Fatigue,
    nischen Schmerzen wohnen in           Einfluss auf die betroffene Person,   Schlafstörungen oder depressiven
    signifikant kleineren (117.0±60.4     sondern auch auf deren Umfeld         Syndromen (6,7,8). In extremen
    vs. 132.2±69.2m2; p˂0.05) und         (1) Während akuter Schmerz            Fällen sogar zu Myokardinfarkt
    älteren Wohneinheiten (durch-         vor allem durch ein plötzliches       oder Apoplex (9) Gerade das
    schnittliches Baujahr: 1963 vs.       Trauma oder eine vorbestehende        Wohnen entlang einer stark fre-
    1978; p˂0.001). Außerdem zeigte       Erkrankung ausgelöst wird, ist der    quentierten Straße führt neben der
    sich ein Trend, dass chronische       chronische Schmerz eine eigen-        oben beschrieben Symptomatik
    Schmerzpatienten      von    ihrer    ständige Erkrankung und ist nicht     auch zu vermehrten Atemwegs-
    Wohneinheit deutlich seltener         das begleitende Symptom anderer       erkrankungen (7).
    einen Blick in die Natur (56.7 vs.    Beschwerden oder Erkrankungen
    61.8%; p= 0.07), beziehungswei-       (2).                                  Da die Entstehung und Aufrecht-
    se seltener eine Terrasse zur Ver-                                          erhaltung chronischer Schmerzen
    fügung (70.2 vs. 74.4%; p=0.07)       Chronische Schmerzen gehören          multifaktoriell ist und der Einfluss
    haben.                                seit Jahren zu den Top 10 der         der Wohnraumsituation in diesem

4                                                               Wohnmedizin Bd. 60 (2022) Nr. 1
Zusammenhang noch nicht hinrei-      den entsprechenden Fragebogen        Ergebnisse
chend untersucht ist, war es Ziel    auszufüllen. Die Erfassung der
dieser Arbeit zu untersuchen, ob     Schmerzstärke erfolgte mit Hilfe     Studiengröße und demographi-
sich chronische Schmerzpatienten     der numerische Rating-Skala          sche Merkmale
in Bezug auf ihre aktuelle Wohn-     (NRS).
situation von Menschen ohne                                               Die Studie wurde im Zeitraum
Schmerzen unterscheiden.                                                  von März 2018 bis Juli 2019
                                                                          durchgeführt. Zu diesem Zeit-
                                     Ethik                                punkt waren insgesamt 104 chro-
                                                                          nische Schmerzpatienten in die
Material and Methoden                Die Durchführung der Studie          Studie eingeschlossen worden.
                                     erfolgte entsprechend den Prinzi-    Im gleichen Zeitraum konnten
Studiendesign                        pien der Deklaration von Helsinki    insgesamt 199 Probanden befragt
                                     und wurde durch das Ethikko-         werden, die unter keinem chroni-
Unsere Studie wurde im Schmerz-      mitee der Ludwig-Maximilians-        schen Schmerz litten und keine
zentrum des Klinikums Lands-         Universität München genehmigt        starken akuten Schmerzen hatten.
berg am Lech, sowie im HNO-          (Vorgangsnummer: 18-125). Die        Alle 104 chronische Schmerzpa-
Zentrum-Lippe über den Zeitraum      Studie wurde darüber hinaus auch     tienten durchliefen im Anschluss
von 12 Monaten durchgeführt. Bei     im Deutschen Register Klinischer     an die Befragung ein multimo-
allen eingeschlossenen Patienten     Studien registriert (DRKS - ID:      dales Schmerzprogramm. Der
mit chronischen Schmerzen be-        DRKS00015141).                       Anteil weiblicher Patientinnen
stand die Indikation für eine mul-                                        betrug 77,9% (81 Patientinnen)
timodale Schmerztherapie. Die                                             in der Gruppe der chronischen
Indikation zur Therapie wurde bei                                         Schmerzpatienten und 60,3% in
diesen Patienten nach einer zwei-    Statistische Auswertung              der Gruppe von Teilnehmern ohne
tägigen Untersuchung gestellt und                                         chronische Schmerzen (120 Pro-
erfolgte gemäß den nationalen        Die statistische Auswertung der      bandinnen, p=0.19). Beide Grup-
Richtlinien der Deutschen Gesell-    Fragebögen erfolgte mittels R        pen unterschieden sich ebenfalls
schaft für Schmerztherapie.          (Version 3.6.0 [10]) und unter Be-   nicht signifikant bezüglich des Al-
                                     nutzung des Wilcox-Mann-Whit-        ters (Chronische Schmerzpatien-
Einschlusskriterien für die Stu-     ney Tests in Kombination mit         ten: 50.9±9.5 vs. Probanden ohne
die umfassten die Zustimmung         einer Bonferroni Korrektur, um       chronischen Schmerz: 47.8±17.4
zur Teilnahme an der Studie und      multiplem Testen Rechnung zu         Jahre, p=0.08) und des Gewichts
ein Alter zwischen 18 und 80         tragen. Eine Analyse möglicher       (Chronische Schmerzpatienten:
Jahren. Als Ausschlusskriterium      Störfaktoren wurde mit Hilfe von     77.9±20.5 vs. Probanden ohne
wurden Schwangerschaft, nicht        Chi2-, Wilcox-, Kruskal-Wallis-      chronischen Schmerz: 76.3±17.7
abgeschlossene Rentenbegehren        Tests durchgeführt, sowie unter      kg, p=0.73). Allerdings zeigte
und aktiver Drogenmissbrauch         Verwendung eines logistischen        sich ein signifikanter Unterschied
definiert. Bezüglich der Proban-     und linearen Regressionsmodels.      in Bezug auf die Körpergröße von
den in der Kontrollgruppe ohne       Alle Ergebnisse wurden, wenn         etwa 5 cm (Chronische Schmerz-
chronische Schmerzen galt, dass      nicht anders angegeben als Mit-      patienten: 168.4±8.4 vs. Proban-
diese weder unter chronischen        telwerte ± Standardabweichung        den ohne chronischen Schmerz:
Schmerzen leiden, noch starke        angegeben. Als Signifikanzniveau     174.0±24.4 cm, p˂0.05) zwischen
akute Schmerzen haben.               wurde ein p˂0.05 angenommen.         beiden Gruppen, der jedoch kli-
                                                                          nisch keine Rolle spielen dürfte.
Alle Patienten wurden über Inhalt                                         In Bezug auf die Schmerzstärke
und Ziele der Studie aufgeklärt.                                          gaben Patienten mit chronischen
Im Anschluss wurden sie gebeten,                                          Schmerzen einen durchschnitt-

Wohnmedizin Bd. 60 (2022) Nr. 1                                                                                 5
lichen Schmerz von NRS 5.4±1.8       1978; p˂0.001). Gleichzeitig          Personen
    an und einen aktuellen Schmerz       waren die Wohneinheiten von
    von NRS 4.6±2.2.                     Probanden       mit    chronischen    Im nächsten Schritt haben wir
                                         Schmerzen (117.0±60.4) signi-         analysiert, inwieweit sich die
                                         fikant kleiner, als jene von Pro-     Personenanzahl im Haushalt
                                         banden ohne chronische Schmer-        zwischen beiden Studiengruppen
    Art, Baujahr und Größe der           zen (132.2±69.2; p˂0.05). Der         unterscheidet. Hier zeigten sich
    Wohneinheit                          Unterschied bezüglich der Größe       zwischen chronischen Schmerz-
                                         der Wohneinheit spiegelte sich        patienten und Teilnehmern ohne
    Zunächst analysierten wir, ob sich   auch in der Anzahl der Zimmer         Schmerzen keine signifikanten
    das Baujahr der Immobilie, die       wieder. Patienten mit chronischen     Unterschiede (Siehe Tabelle 1).
    Größe und Art der Wohneinheit        Schmerzen hatten signifikant we-
    in der die Teilnehmer leben zwi-     niger Zimmer (4.7±2.3) zur Ver-       Ausstattung und Umfeld der
    schen Patienten mit chronischen      fügung, als jenen ohne chronische     Wohnung
    Schmerzen und solchen ohne           Schmerzen (5.1±2.2; p˂0.05). Al-
    diese Symptomatik signifikant        lerdings spielt es wohl keine Rolle   Ob sich die Farbe der Zim-
    unterscheiden. In der Tat zeigte     ob es sich bei der Wohneinheit        mer zwischen Patienten mit
    sich ein signifikanter Unter-        um Eigentum handelt oder ob sie       chronischen Schmerzen und
    schied. Patienten mit chronischen    gemietet ist (keine signifikanten     Probanden      ohne     chronische
    Schmerzen      (durchschnittliches   Unterschiede in beiden Gruppen -      Schmerzen unterscheidet, ana-
    Baujahr: 1963) lebten in signi-      Daten nicht gezeigt). Einen Über-     lysierten wir anschließend. Hier
    fikant älteren Wohneinheiten, als    blick gibt Tabelle 1.                 zeigte sich, dass in beiden Grup-
    solche ohne chronische Schmer-                                             pen die am häufigsten verwendete
    zen (durchschnittliches Baujahr:                                           Zimmerfarbe „Weiß“ war (Chro-

    Tab. 1: In Bezug auf die aktuelle Wohnsituation zeigen sich deutliche Unterschiede zwischen chronischen
    Schmerzpatienten und Menschen ohne chronische Schmerzen. So leben chronische Schmerzpatienten in signi-
    fikant älteren und kleineren Häusern mit weniger Zimmern. Außerdem haben chronische Schmerzpatienten
    seltener einen Ausblick in die Natur oder eine Terrasse. Alle Angaben verstehen sich als Mittelwerte ± Stan-
    dardabweichung. Als Signifikanzniveau wurde p ˂ 0.05 angenommen. n: Anzahl, m2: Quadratmeter.

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nische Schmerzpatienten: 65.3       19.6% der befragten chronischen     (siehe Tabelle 2).
vs. Probanden ohne chronischen      Schmerzpatienten gaben an, dass
Schmerz: 59.6%, p=0.27). Sowohl     sich in ihrer Nähe ein Mobil-
in der Gruppe der Patienten mit     funkmast befindet, in der Gruppe
chronischen Schmerzen, als auch     der Patienten mit chronischen       Schimmel und Baustoffe
in der Gruppe ohne Schmerzen        Schmerzen war der Anteil bei
wurde die aktuelle Wohneinheit      21.2% (p=0.24). Auch in Be-         Interessanterweise zeigte sich in
überwiegend als „eher hell“ emp-    zug auf das Vorhandensein von       beiden Gruppen kein signifikanter
funden (62.3 vs. 53.8%; p=0.16).    WLAN zeigten sich keine signi-      Unterschied bezüglich des Anteils
                                    fikanten Unterschiede zwischen      der Teilnehmer, die angab, dass
78.9% der Patienten ohne chro-      beiden Gruppen (Daten nicht         Schimmel vorhanden sei (Chro-
nische Schmerzen bezeichneten       gezeigt). Bezüglich des Ausblicks   nische Schmerzpatienten: 11.5
ihre Umgebung im Bezug auf          (in die Natur) und des Vorhan-      vs. Probanden ohne chronischen
Lärm als ruhig, in der Gruppe der   denseins einer Terrasse ergaben     Schmerz: 6.0 %, p=0.12), dass
chronischen     Schmerzpatienten    sich zwar keine signifikanten       bauliche Schadstoffe bekannt
waren dies 74.0% (p=0.23). Auch     Unterschiede, jedoch zeichnete      seien (Chronische Schmerzpa-
in der Einschätzung bezüglich der   sich hier ein Trend ab. Der An-     tienten: 3.5 vs. Probanden ohne
für die aktuelle Lebenssituation    teil von Teilnehmern, der angab,    chronischen Schmerz: 0.0 %,
notwendigen Infrastruktur zeig-     einen Ausblick in die Natur zu      p=0.16) oder dass in der Woh-
ten sich die Teilnehmer beider      haben (61.8 vs. 56.7%; p= 0.07),    nung geruchliche Auffälligkeiten
Gruppe zufrieden, ohne signi-       oder über eine Terrasse zu ver-     wahrnehmbar seien (Chronische
fikante Unterschiede zwischen       fügen (74.4 vs. 70.2%; p=0.07),     Schmerzpatienten: 7.7 vs. Proban-
den beiden Gruppen (Daten nicht     war jeweils deutlich höher in der   den ohne chronischen Schmerz:
gezeigt).                           Gruppe von Teilnehmern, die kei-    5.0 %, p=0.33). Einen Überblick
                                    ne chronischen Schmerzen hatten     gibt hier ebenfalls Tabelle 3.

Tab. 2: Keine signifikanten Unterschiede zwischen chronischen Schmerzpatienten und Menschen ohne chro-
nische Schmerzen zeigten sich in Bezug auf ein ruhiges Umfeld oder das Vorhandensein von Mobilfunkmas-
ten in der Nähe der Wohneinheit. Auch wenn die Ergebnisse nicht signifikant waren, so hatten chronische
Schmerzpatienten doch seltener einen Ausblick in die Natur oder eine Terrasse. Alle Angaben verstehen sich
als Mittelwerte ± Standardabweichung. Als Signifikanzniveau wurde p ˂ 0.05 angenommen. n: Anzahl, m2:
Quadratmeter.

Wohnmedizin Bd. 60 (2022) Nr. 1                                                                              7
Tab. 3: Bezüglich des Vorhandenseins von Schadstoffen und/oder Schimmel ergaben sich keine signifikanten
    Unterschiede zwischen chronischen Schmerzpatienten und Menschen ohne chronische. Alle Angaben ver-
    stehen sich als Mittelwerte ± Standardabweichung. Als Signifikanzniveau wurde p ˂ 0.05 angenommen. n:
    Anzahl, m2: Quadratmeter.

    Gesamtzufriedenheit                  beziehungsweise seltener eine         subjektiven Wohlgefühls verfes-
                                         Terrasse zur Verfügung haben,         tigt. Die Anzahl an Räumen pro
    Insgesamt gaben 90.4% in der         als Menschen ohne chronische          Person wurde in der Vergangen-
    Gruppe der Teilnehmer ohne           Schmerzen.                            heit als Indikator für die Lebens-
    chronische Schmerzen an, mit                                               qualität im „Better Life Index“
    der aktuellen Wohnsituation zu-      In der Vergangenheit konnte ein       der OECD ebenso verwendet, wie
    frieden zu sein. In der Gruppe der   Zusammenhang zwischen alten           im „European Quality of Life Sur-
    chronischen Schmerzpatienten lag     Häusern und Allergien, sowie          vey“ (12,13). Aufgrund der stark
    dieser Anteil bei 75% (p = 0.37).    physischen und psychischen Prob-      steigenden       Immobilienpreise
                                         lemen gezeigt werden (11). Nicht      zeigt sich in vielen Teilen West-
                                         selten liegt die Ursache in der       europas inzwischen ein Trend
                                         baulichen Struktur und/oder der       zu zunehmend (neuen) kleineren
    Diskussion                           unzureichenden Instandhaltung         Wohneinheiten (14). Daher wurde
                                         der Gebäude (11). Im Rahmen un-       die Frage aufgeworfen, ob sich
    Bislang gab es wenig Daten           serer Befragung konnten wir nun       dies negativ auf die Gesundheit
    bezüglich der Wohnsituation          ebenfalls zeigen, dass Patienten      und Wohlgefühl auswirkt. In einer
    chronischer Schmerzpatienten. In     mit chronischen Schmerzen eben-       vor wenigen Jahren veröffent-
    Rahmen unserer Studien haben         falls in älteren Wohneinheiten        lichten Studie zeigte sich, dass der
    wir diesbezüglich nähere Ein-        leben, als solche ohne chronische     Umzug in eine größere Wohnein-
    blicke bei dieser Patientengruppe    Schmerzen. Möglicherweise sind        heit nicht zwangsläufig zu einer
    erhalten. Es zeigte sich, dass es    in diesem Zusammenhang eben-          Verbesserung des Wohlbefindens
    Unterschiede zwischen Patienten      falls bauliche Mängel oder eine       und der Gesundheit führt (14).
    mit chronischen Schmerzen und        Unzureichende Instandhaltung der      Ein Grund hierfür könnten die
    solchen ohne chronische Schmer-      Gebäude zu finden. Dies könnte        damit verbunden meist sehr ho-
    zen gibt. So wohnen Patienten        dann dazu führen, dass diese          hen Kosten sein (15). Lediglich
    mit chronischen Schmerzen in         Faktoren zur Entstehung und Auf-      für männliche Teilnehmer konnte
    signifikant kleineren und älteren    rechterhaltung von chronischen        ein Zusammenhang zwischen
    Wohneinheiten. Außerdem zeigte       Schmerzen beitragen könnte.           subjektivem Wohlbefinden und
    sich ein Trend, dass chronische                                            Größe der Wohneinheit gezeigt
    Schmerzpatienten      von    ihrer   Über die Jahre hat sich ein positi-   werden. Im Falle von chroni-
    Wohneinheit deutlich seltener        ver Zusammenhang zwischen der         schen Schmerzpatienten zeigt
    einen Blick in die freie Natur       Größe des Wohnraums und des           sich, dass sie eher in kleineren

8                                                              Wohnmedizin Bd. 60 (2022) Nr. 1
Wohneinheiten leben. Die Kom-        des Lärms in diesem Zusammen-         der Strahlung durch Mobilfunk-
bination aus kleineren und älteren   hang eine untergeordnete Rolle        masten oder Mobilfunkgeräte
Wohneinheiten könnte daher bei       zu spielen. Sowohl für Straßen-       und Kopfschmerz, Erbrechen,
chronischen     Schmerzpatienten     lärm, als auch für Flugzeuglärm       Appetitlosigkeit, Schlafstörungen,
im Zusammenhang mit Entste-          und Lärm durch laute Nachbarn         Depressionen,      Benommenheit
hung und Aufrechterhaltung ihrer     ist ein negativer Einfluss auf die    und Gedächtnisstörung zeigen.
Schmerzen stehen.                    Gesundheit des Menschen gezeigt       In Bezug auf die Mobilfunkmas-
                                     worden (6,7,8). Neben Schlafstö-      ten scheint es eine Assoziation
Baustoffe, Giftstoffe und vor        rungen, durch den Straßenlärm,        zwischen räumlichem Abstand
allem Schimmel sind in verschie-     kann ein starkes Verkehrsaufkom-      zu dem jeweiligen Mobilfunk-
denen Arbeiten mit den unter-        men ebenfalls zu Atemwegser-          mast und der Ausprägung der
schiedlichen Krankheitsbildern       krankungen führen (7). Fluglärm       Symptomatik zu geben (19). In
in Verbindung gebracht worden        ist assoziiert mit einer vermehrten   unserer Arbeit unterschied sich
(16,17). Den Schimmel gilt es        Anwendung von Schlafmitteln           das Vorkommen von Mobilfunk-
diesbezüglich besonders hervor-      und kardiovaskulärer Medika-          masten nicht signifikant zwischen
zuheben, da hier ein kausaler        mente (8). Durch laute Nachbarn       den beiden analysierten Gruppen.
Zusammenhang zu allergischen         verursachter Lärm führt ebenfalls     Allerdings haben wir in unserer
und asthmatischen Erkrankungen,      zu Schlafstörungen (6). Darüber       Erhebung nicht den Abstand zu
sowie Infektionen der oberen         hinaus zeigt sich in diesem Zu-       einem Mobilfunkmasten analy-
Atemwege hergestellt worden ist      sammenhang zusätzlich noch eine       siert, was möglicherweise einen
(17). Ebenso kann es in diesem       Assoziation zu Fatigue, Melan-        Einfluss auf die Ergebnisse gehabt
Zusammenhang zu erheblichen          cholie, Depression, Ängstlichkeit,    hätte.
Schlafstörungen kommen (16).         Nervosität und Rastlosigkeit (6).
Daher lag die Vermutung nahe,        Zwar zeigte sich in unserer Studie    Der Zusammenhang zwischen
dass verwendete Baustoffe und/       kein signifikanter Unterschied in     Grünflächen oder einer “grünen
oder Schimmel in der Wohnein-        Bezug auf Lärm zwischen chro-         Umgebung“ und dem Wohlbefin-
heit zu der Entstehung oder Auf-     nischen Schmerzpatienten und          den von Menschen ist hinreichend
rechterhaltung von chronischen       Teilnehmern ohne Schmerzen,           dokumentiert (20,21). Der Blick
Schmerzen beitragen könnten.         dennoch gaben auch in unserer         durch das Fenster in die grüne
In der Analyse unserer Daten         Umfrage deutlich weniger Patien-      Natur trägt zu einer erheblichen
zeigte sich allerdings, dass es      ten mit chronischen Schmerzen         Stressreduktion bei (20). Viel-
hier keinen signifikanten Unter-     an, in einem ruhigen Umfeld zu        mehr noch, das Sitzen im Grünen,
schied zwischen Teilnehmern mit      leben. Daher könnte auch hier         beispielsweise auf einer Terrasse,
chronischen Schmerzen und sol-       eine Messung der exakten Laut-        in Kombination mit Blumen-
chen ohne chronische Schmerzen       stärkeexposition zu signifikanten     geruch und Vogelgezwitscher hat
gibt. Möglicherweise hätte sich      Unterschieden zwischen den            einen langanhaltenden positiven
ein anderes Bild ergeben, wenn       Gruppen führen. Möglicherweise        Effekt auf Emotionen, Stimmung,
man diesbezüglich vor Ort eine       könnte eine solche Messung sogar      Sozialverhalten und das Gedächt-
entsprechende Untersuchung der       einen Schwellenwert finden, ab        nis (22). Insgesamt lässt sich
Immobilien bezüglich Baustoffe       dem es vermehrt zu Schmerzen          also sagen, dass der Zugang zur
und Schimmel durchgeführt hätte      kommt.                                Natur einen positiven Effekt auf
(18).                                                                      das menschliche Wohlbefinden
                                     Prakash et al. (19) analysierte den   hat (23). Auch in Krankenhäu-
Der schädliche Einfluss von Lärm     Einfluss von radiomagnetischer        sern zeigt sich, dass ein solcher
auf die Gesundheit des Menschen      Strahlung auf die Gesundheit des      Blick ins Grüne ebenfalls mit
ist hinlänglich untersucht worden    Menschen. In ihrer Studie konn-       einer schneller Heilung und re-
(6,7,8). Dabei scheint die Ursache   ten sie eine Assoziation zwischen     duziertem Schmerzmittelbedarf

Wohnmedizin Bd. 60 (2022) Nr. 1                                                                                 9
vergesellschaftet ist (23). Dieser    der Merkmale „Lärm“ und „ra-         des Manuskripts. Die Studie wur-
     positive Effekt des Blicks in die     diomagnetische Strahlung“ durch      den nicht mit finanziellen Mitteln
     Natur oder das Vorhandensein          eine Messung vor Ort könnten         unterstützt. Alle anderen Autoren
     einer Terrasse ließ sich in unserer   ebenfalls zu anderen Studien-        geben keinen Interessenkonflikt
     Analyse nur bedingt zeigen. Zwar      ergebnisse führen. In unserer Stu-   an.
     zeigte sich für diese Aspekte         die haben wir lediglich gefragt,
     in beiden Gruppen keine signi-        ob sich Mobilfunkmasten in der
     fikanten Unterschiede, allerdings     Nähe befinden beziehungsweise
     zeigte sich ein Trend: Teilnehmer     ob das Umfeld als ruhig bezeich-     Literaturverzeichnis
     ohne chronische Schmerzen hat-        net werden kann.
     ten deutlich häufiger einen Blick                                          1. Fayaz A, Croft P, Langford RM,
     in die Natur oder eine Terrasse zur                                        Jones GT (2016): Prevalence of
     Verfügung. Dies könnte als leich-                                          chronic pain in the UK: a system-
     ter Hinweis interpretiert werden,     Schlussfolgerung                     atic review and meta-analysis of
     dass der Blick in die Natur oder                                           population studies. BMJ Open 6,
     das Vorhandensein einer Terras-       Ein Zusammenhang zwischen            e010364
     se einen gewissen protektiven         aktueller Wohnsituation und Ent-
     Effekt in Bezug auf chronischen       stehung und Aufrechterhaltung        2. Mills SEE, Nicolson KP, Smith
     Schmerzen haben könnte.               chronischer Schmerzen ist bislang    BH (2019): Chronic pain: a re-
                                           unzureichend untersucht. In der      view of its epidemiology and asso-
                                           vorliegenden Arbeit konnten wir      ciated factors in population-based
                                           zeigen, dass Patienten mit chro-     studies. Br J Anaesth 123, e273-
     Limitationen                          nischen Schmerzen in älteren und     e283
                                           kleineren Wohneinheiten leben,
     Unsere Arbeit hat einige Limita-      als Menschen ohne chronische         3. GBD (2017): Global, regional,
     tionen:                               Schmerzen. Chronische Schmerz-       and national incidence, prevalen-
                                           patienten haben, wenn auch nicht     ce, and years lived with disability
     · Bei der vorliegenden Arbeit han-    signifikant, aber dennoch deut-      for 328 diseases and injuries for
     delt es sich um eine Umfrage. Da-     lich seltener einen Blick in die     195 countries, 1990-2016: a sys-
     her könnte es sein, dass sich durch   Natur oder eine Terrasse – beides    tematic analysis for the Global
     eine genaue Analyse/Messungen         ist assoziiert mit menschlichem      Burden of Disease Study 2016.
     von beispielsweise Baustoffen         Wohlbefinden. Aus unserer Sicht      Lancet 390, 1211-1259
     oder Schimmel andere Ergebnisse       könnten diese Erkenntnisse so-
     ergeben könnten.                      mit einen wertvollen Beitrag zur     4. Edwards RR, Dworkin RH, Sul-
                                           Analyse der Zusammenhänge            livan MD, Turk DC, Wasan AD
     · In die Studie wurden chronische     zwischen aktueller Wohnsituation     (2016): The Role of Psychosocial
     Schmerzpatienten eingeschlossen,      und chronischen Schmerzen leis-      Processes in the Development and
     die anschließend an einer multi-      ten.                                 Maintenance of Chronic Pain. J
     modalen Schmerztherapie teil-                                              Pain 17, T70-T92
     nahmen. Diese Patienten leiden
     für gewöhnlich schon sehr lange                                            5. Fiedler K (1997): Alles über
     an chronischen Schmerzen. Die         Interessenskonflikt                  gesundes Wohnen, Wohnmedizin
     Analyse von Patienten mit einer                                            im Alltag, C.H-Beck Verlag Mün-
     kürzeren Dauer der chronischen        Jens Heyn ist Mitarbeiter von San-   chen, ISBN: 3406419003.
     Schmerzen könnte zu anderen Er-       doz/Hexal. Diese Tätigkeit hatte
     gebnissen führen.                     keinen Einfluss auf die Durchfüh-    6. Jensen HAR, Rasmussen B, Ek-
                                           rung der Studie, die Auswertung      holm O (2019): Neighbour noise
     · Eine genauere Differenzierung       der Daten noch auf die Erstellung    annoyance is associated with va-

10                                                               Wohnmedizin Bd. 60 (2022) Nr. 1
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