Wohnungsbedarfsanalyse Niederösterreich - April 2015 Im Auftrag der Kammer für Arbeiter und Angestellte für Niederösterreich - IIBW
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IIBW Institut für Immobilien, Bauen und Wohnen GmbH Wien Wohnungsbedarfsanalyse Niederösterreich April 2015 Im Auftrag der Kammer für Arbeiter und Angestellte für Niederösterreich
WOHNUNGSBEDARFSANALYSE NIEDERÖSTERREICH Im Auftrag der Kammer für Arbeiter und Angestellte für Niederösterreich Team: FH-Doz.Dr. Wolfgang Amann (Projektleiter) MMag. Alexis Mundt Dr. Nadejda Komendantova Endbericht, April 2015 IIBW – Institut für Immobilien, Bauen und Wohnen GmbH PF 2, A 1020 Wien FN 193068 z Handelsgericht Wien Tel. + 43 1 968 60 08 Mail: office@iibw.at Internet: www.iibw.at ISBN 978-3-902818-18-8 Zitiervorschlag Amann, W., Mundt, A., Komendantova, N. (2015): Wohnungsbedarfsanalyse Niederösterreich (Wien: IIBW, im Auftrag der Kammer für Arbeiter und Angestellte für Niederösterreich). ISBN 978- 3-902818-18-8. 2
I NHALT HAUPTERGEBNISSE 4 EINLEITUNG 13 1 DEMOGRAPHIE 15 1.1 Bevölkerungsstand 15 1.2 Binnenmigration – Pendeln 21 1.3 Prognosen 27 2 STATUS QUO BEIM WOHNEN 30 2.1 Wie leben die Menschen in Niederösterreich 30 2.2 Wohnungsmarkt 34 2.3 Die Leistbarkeit von Wohnen 40 3 WOHNBEDARF 51 3.1 Entwicklung des Wohnungsangebots 51 3.2 Entwicklung der Wohnungsnachfrage 61 3.3 Spezifische Herausforderungen der Regionen 65 3.4 Zukünftige Entwicklung des Wohnungsmarktes 75 4 WOHNPOLITIK 80 4.1 Akteure 80 4.2 Wohnbauförderung 80 4.3 Freifinanzierter Wohnbau 82 4.4 Bodenpolitik 83 4.5 Abstimmung mit anderen Politikbereichen 90 5 ANHANG 94 5.1 Interviews 94 5.2 Tabellen- und Abbildungsverzeichnis 94 5.3 Literatur 95 3
HAUPTERGEBNISSE Stark differenzierte Struktur und Entwicklung der Bezirke Die niederösterreichischen Regionen unterscheiden sich nach verschiedenen Indikatoren viel stärker als die Regionen in anderen Bundesländern, beispielsweise bei der Bevölkerungsentwicklung, der Alters- struktur, den Wohnkosten und ihrer Veränderung, der Marktpreisentwicklung für Wohnungen und Grund- stücke. Hinsichtlich dieser Indikatoren finden sich die Bezirke mit der österreichweit schwächsten wie auch der stärksten Dynamik in Niederösterreich. Niederösterreich ist ein „Land der zwei Geschwindigkei- ten“. Niederösterreich ist gleichzeitig mit demographisch/wirtschaftlich schrumpfenden und stark wach- senden Regionen konfrontiert. Großräumige Gliederung Niederösterreichs neu denken Niederösterreich wird historisch in Viertel gegliedert. Mit der Hauptstadtwerdung St. Pöltens wurde von verschiedener Seite eine – unterschiedlich zugeschnittene – zusätzliche Region „Mitte“ hinzugefügt. Die Definition dieser fünften Region ist allerdings weder durch naturräumliche, noch wirtschaftliche, soziale oder kulturelle Kriterien legitimiert. Wie in der vorliegenden Studie aufgezeigt, wäre es wesentlich zweck- dienlicher, das „Niederösterreichische Umland Wiens“ („Blaues Donut“ in Anlehnung an die „Blaue Ba- nane“, die wirtschaftlich besonders starke Region zwischen der Lombardei im Süden, über Westdeutsch- land und die Benelux-Staaten bis zum Großraum London) als eigenständige Region zu definieren und differenziert zu behandeln. Dies bedeutet keineswegs eine Abwertung der Region um die neue Landes- hauptstadt. Vielmehr verspricht eine proaktive differenzierte Politik zum Niederösterreichischen Umland Wiens große Entwicklungschancen für das gesamte Bundesland, gleichermaßen wirtschaftlich und hin- sichtlich der Identitätsbildung. Datenbasis und Transparenz erhöhen In der vorliegenden Studie wurden alle einschlägigen Daten verarbeitet. Dabei zeigten sich gravierende Defizite bei regionalisierten Daten z.B. zu Baubewilligungen, Förderungszusicherungen und Wohnkosten. Unzureichende Daten erschwerten insbesondere die regionalisierte Abschätzung des Wohnungsbedarfs. Eine zuverlässige und transparent verfügbare Datenbasis ist die Voraussetzung für sachbezogene Poli- tikentscheidungen auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene. Im Landesdurchschnitt stabiles Bevölkerungswachstum Niederösterreich verzeichnet im abgelaufenen Jahrzehnt ein Bevölkerungswachstum ähnlich dem österrei- chischen Durchschnitt von 4,4%. Für das kommende Jahrzehnt werden 5,1% prognostiziert, was gleichfalls dem österreichischen Durchschnitt entspricht. Die regionalen Unterschiede sind allerdings enorm. Einige Bezirke mit dem österreichweit stärksten Bevölkerungsrückgang liegen ebenso in Niederösterreich (Gmünd, Waidhofen/Thaya, Zwettl, Lilienfeld, Horn) wie einige mit besonders hohem Zuwachs (Wien-Um- gebung, Tulln, Korneuburg, Wiener Neustadt-Stadt, Gänserndorf, Baden, Bruck/ Leitha, Mödling). Megatrend Urbanisierung Der globale Trend zur Urbanisierung geht auch an Österreich und Niederösterreich nicht vorbei. Dabei geht es nicht nur um die Abwanderung aus ländlichen und die Zuwanderung in städtische Regionen, es geht auch um die Urbanisierung des ländlichen Raums. Mittlerweile weisen große Teile Niederösterreichs Kennzeichen städtischer Räume auf, etwa hinsichtlich Bevölkerungsdichte, Bebauungsstruktur, Infra- 4
struktur, wirtschaftlicher Entwicklung oder Pendler-Relationen. Zwischen 2004 und 2012 hat der Anteil der Bevölkerung in Gemeinden mit hoher Bevölkerungsdichte von 8% auf 10,2% zugenommen, jener mit mitt- lerer Bevölkerungsdichte gar von 38,4% auf 45,5% (insgesamt gibt es drei Dichtekategorien mit Grenzwer- ten über 500; 500 bis 100; unter 100 EinwohnerInnen/km²). Vor diesem Hintergrund ist nicht nur mit einer massiven weiteren Stärkung des Niederösterreichischen Umlands Wiens zu rechnen. Auch der bereits ur- ban geprägte ländliche Raum wird sich kräftig weiter entwickeln, längerfristig durchaus vergleichbar mit dem urban geprägten Siedlungsteppich, der schon heute für die Niederlande charakteristisch ist. Pendeln als Schlüssel für Prosperität im ländlichen Raum? In der Beobachtungsperiode 2009-2014 ist die Intensität beim Pendeln weiter gestiegen: Immer mehr Menschen in Niederösterreich verlassen ihren Wohnbezirk, um an ihren Arbeitsplatz zu kommen. Tage- oder wochenweises Pendeln zwischen dem Wohn- und dem Arbeitsort ist ein wesentliches Element des Arbeitsangebots für den ländlichen Raum. Es bewirkt Einkommen für den individuellen Haushalt und Liquidität für die Wohnsitzgemeinde, die in erheblichem Ausmaß in den lokalen Wirtschaftskreislauf mün- det und somit der gesamten Region zugutekommt. Umgekehrt bedeutet Pendeln eine große Belastung für das Zeitbudget der Familien, die Verkehrsinfrastruktur und die Umwelt. Pendeln kann sogar dazu führen, dass die Entstehung lokaler Arbeitsplätze verhindert wird, da qualifiziertes Fachpersonal abgezo- gen wird. Angesichts der hohen volkswirtschaftlichen und Umweltkosten des Pendelns sind zusätzliche Anreize, z.B. das Pendlerpauschale, ambivalent zu beurteilen. Wirtschaftliche Stärke der Regionen Trotz der großen Unterschiedlichkeit der niederösterreichischen Regionen sind alle von erheblicher Wirt- schaftskraft gekennzeichnet. Die Unterschiede in den Einkommen der Wohnbevölkerung sind moderater als die arbeitsortbezogenen Einkommensdaten. Im Zeitraum 2004-2011 sind die Einkommen gerade in den Bezirken mit niedrigen Ausgangswerten stärker gestiegen, regionale Unterschiede haben sich also verringert. Zugenommen hat jedoch die Ungleichverteilung der Einkommen in den einzelnen Bezirken gemessen an unterschiedlichen Verteilungsmaßen. Die Arbeitslosigkeit ist auch in einigen peripheren Bezirken vergleichsweise niedrig. Auch die Entwicklung der Arbeitslosigkeit zeigt geringe regionale Un- terschiede. Dies ist allerdings nur teilweise auf die wirtschaftliche Entwicklung der Regionen zurückzu- führen. Auch demographische Prozesse tragen zur Kohärenz bei. Durch selektive Abwanderung wird das Arbeitskräftepotenzial im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung geringer, während der SeniorInnen-Anteil zunimmt. Dies wirkt sich in peripheren Regionen als statistischer Effekt dämpfend auf die Kennzahl der Arbeitslosigkeit aus. Nord-Süd- / Land-Stadt-Gefälle bei der Eigentumsquote Niederösterreich ist ein Eigentümerland. Mehr als zwei Drittel der Haushalte leben in Eigenheimen oder Eigentumswohnungen. Im Bundesdurchschnitt ist es nur etwa die Hälfte. Allerdings bestehen große Un- terschiede zwischen den Regionen. Die Eigentumsquote ist im Norden (Wald- und Weinviertel) viel höher als im Süden (Industrie- und Mostviertel). Der Anteil an Eigenheimen hängt eng mit der Verfügbarkeit von Dauersiedlungsraum zusammen. Die Weite des Raums bewirkt ein Übermaß an gewidmetem Bauland, dies führt wiederum zu teilweise sehr niedrige Baulandpreisen und tendenziell zu einer wenig flächen- effizienten Siedlungsausweitung. Besonders hoch ist der Anteil an Eigenheimen im Weinviertel. 5
GBV bewirken niedrige Wohnkostendynamik Der Wohnungsaufwand der niederösterreichischen Haushalte liegt deutlich unter dem Österreich-Durch- schnitt, dies nicht nur wegen der hohen Eigentumsquote. Auch bei den Kosten von Mietwohnungen ist Niederösterreich eines der drei günstigsten Bundesländer (nach dem Burgenland und Kärnten). Die nied- rigen Wohnkosten und ihre moderate Dynamik sind vor allem auf die Dominanz des gemeinnützigen Wohnungssektors und dessen Auswirkungen auch auf den privaten Wohnungsmarkt zurückzuführen. Es besteht bundesländerweise eine klare Abhängigkeit zwischen der jeweiligen Größe der gemeinnützigen Sektoren und dem Preisniveau privater Mietwohnungen. Riesige Unterschiede am Wohnungsmarkt So unterschiedlich die niederösterreichischen Regionen hinsichtlich demographischer Indikatoren sind, wird dies durch die Verschiedenartigkeit der Preisniveaus am privaten Wohnungsmarkt noch deutlich über- troffen. Das Marktniveau privater Mieten liegt in Bezirken wie Waidhofen/Thaya oder Horn mit unter 4,- €/m² (netto) bei der Hälfte von Umlandbezirken Wiens. Noch größer sind die Unterschiede bei Eigenheimen (Faktor 2,5 zwischen billigstem und teuerstem Bezirk), Eigentumswohnungen (Faktor 3) und vor allem Bau- gründen (Faktor 15). Beim Anstieg der Marktmieten (Fünfjahresdurchschnitt) ist bezirksweise kein einheit- liches Muster erkennbar, bei Eigentumswohnungen demgegenüber sehr wohl, indem die Preisdynamik vor allem in den Wiener Umlandbezirken hoch war. Hier schwappt die außerordentlich dynamische Preisent- wicklung in Wien auf das Umland über. Dennoch kosten Eigentumswohnungen in den Umlandbezirken im Durchschnitt heute nur so viel wie in den billigsten Bezirken innerhalb der Stadtgrenzen Wiens. Dies trifft freilich nicht auf Gemeinden wie Mödling, Perchtoldsdorf oder Hinterbrühl zu, die in direktem Wettbewerb mit den teuersten Lagen in Wien stehen. Konstanter Neubau In Niederösterreich werden seit Jahren konstant rund 9.000 Wohnungen pro Jahr gebaut, knapp die Hälfte davon sind Eigenheime. Bezogen auf die Bevölkerungszahl entspricht das etwa dem österreichi- schen Durchschnitt. Hohe Neubauleistung auch in Abwanderungsbezirken Auffallend ist die hohe Neubauleistung auch in Abwanderungsbezirken. Auch in den Bezirken mit dem stärksten Bevölkerungsrückgang lag die Neubaurate während der 2000er Jahre bei rund zwei Drittel des Landesdurchschnitts. Dies hat zu einem teilweise sehr großen Wohnungsbestand gerade in Bezirken mit rückläufiger Bevölkerungszahl geführt. Die Kennzahl „Wohnungen pro 1.000 Personen“ liegt beispiels- weise in den Bezirken Gmünd, Neunkirchen, Waidhofen/Thaya, Lilienfeld, Horn oder Hollabrunn weit über dem niederösterreichischen Durchschnitt. Die Zunahme betrifft überproportional Wohnungen ohne Hauptwohnsitz. Nach Jahren des Rückgangs wieder steigende Förderungsleistung Die Wohnbauförderung in Niederösterreich hat einen höheren Stellenwert als in den meisten anderen Bundesländern mit einem Förderungsdurchsatz (Förderungszusicherungen zu Baubewilligungen) im großvolumigen Bereich von über 90%. Nachdem die Zahl der Förderungszusicherungen zwischen 2006 und 2010 um etwa ein Drittel zurückging, stieg sie seither wieder an. 2013 erreichte die großvolumige Förderung ein Volumen wie zuletzt in den 1990er Jahren. Die Förderung des Eigenheims hat demgegen- über eine anhaltend rückläufige Tendenz. Wurde in den 1990er Jahren noch der Neubau von jährlich 6
rund 6.000 Eigenheime gefördert, waren es zuletzt nur noch etwas über 2.000. Der Rückgang der Eigen- heimförderung ist ambivalent zu beurteilen. Einerseits wird der breiten Kritik an der Förderung dieser Bautypologie nachgekommen, andererseits hat dies nicht zur Folge, dass insgesamt weniger Eigenheime gebaut werden. Mit dem Ausscheren aus der Förderung gehen wichtige Lenkungseffekte verloren (Öko- logie, Flächeneffizienz). Stabile Wohnbauförderungsausgaben Das Land Niederösterreich wendet seit Jahren rund € 500 Mio. für die Förderung des Wohnbaus, der Sanierung und subjektbezogenen Förderungen auf. Die Neubauförderung im großvolumigen Bereich liegt etwas unter dem österreichischen Durchschnitt, die Eigenheim- und die Sanierungsförderung etwas dar- über. Der Anteil von Annuitätenzuschüssen an den Förderungsausgaben steigt seit Jahren und lag 2013 bei fast 60%. Aufgrund des geringen Stellenwerts von Darlehensförderungen und dem massiven Verkauf von Forderungen vor allem Anfang der 2000er Jahre wird die NÖ Wohnbauförderung nur zu einem sehr geringen Teil aus Rückflüssen gespeist (6% im Vergleich zu 43% im Bundesdurchschnitt). Ihre somit geringe „Selbstfinanzierungskraft“ beeinträchtigt die langfristige Sicherung der Wohnbauförderung. Die 2014 durchgeführte Umstellung der Förderung auf Kapitalmarktdarlehen mit Landeshaftung in Verbin- dung mit Annuitätenzuschüssen nutzt das historisch niedrige Kapitalmarktzinsniveau, entlastet die Kon- sumenten vom Kapitalmarktrisiko und ist gleichzeitig so konzipiert, dass die Risiken für das Land über- schaubar bleiben. Soziale Treffsicherheit trotz Verzicht auf allgemeine Wohnbeihilfe Der Anteil der Wohnbauförderungsausgaben für subjektbezogene Maßnahmen (Wohnbeihilfe, Wohnzu- schuss, Wohnzuschuss neu) liegt im Bundesdurchschnitt, obwohl Niederösterreich als einziges Land auf eine allgemeine Wohnbeihilfe verzichtet. Die Leistbarkeit des Wohnens auch für untere Einkommens- schichten ist angesichts der flächendeckenden Verfügbarkeit von gemeinnützigen Mietwohnungen und Subjektförderungen weitgehend gegeben. Allerdings bestehen Defizite an günstigen Wohnalternativen in den stark nachgefragten Verdichtungsräumen. Verbesserungspotenziale für die Einkommensschwächsten Die Lebensumstände einkommensarmer Haushalte hängen in besonders hohem Maße von der Wohn- versorgung ab. Die im Bundesländervergleich niedrigen Wohnkosten und das breite Angebot an Sozial- wohnungen kommen dieser Gruppe besonders zugute. Im objektgeförderten Bestand greift der Wohnzu- schuss für einkommensschwache Haushalte ausreichend gut. Allerdings wird der Zugang zu diesen Woh- nungen durch die oft hohen Einmalzahlungen erschwert. Es würde viel dafür sprechen, für diese Nach- fragergruppe Kleinstwohnungen unter der derzeit geltenden Mindestgröße anzubieten. Dringender Hand- lungsbedarf besteht hinsichtlich der Einrechnung der Wohnbeihilfe als Einkommensbestandteil bei der Bemessung der bedarfsorientierten Mindestsicherung, wodurch besonders einkommensschwachen Haus- halten der Zugang zum geförderten Wohnbau erschwert wird. Der gemeinnützige Wohnungsbestand hat einen vorrangigen Stellenwert bei der Integration von Zuwanderern. Integration kann allerdings nicht al- lein über die Wohnung erfolgen. Eine besondere Rolle spielt hier die Integration von Kindern und Jugend- lichen über gebäude- und siedlungsbezogene Freiräume. Entsprechende Angebote können nur in enger Kooperation mit den Gemeinden geschaffen werden. Die Problematik der Wohnungslosigkeit scheint in Niederösterreich überschaubar. Der geförderte Wohnungssssektor erfüllt diesbezüglich eine wichtige Funktion. Bestehende Leerstände sind allerdings nur bedingt für die Problemstellung einsetzbar, da sie 7
häufig zu teuer oder am falschen Ort sind. Insgesamt wäre eine bessere soziale Ausrichtung bei Wieder- vermietung ausfinanzierter sozialer Wohnungsbestände wünschenswert, z.B. durch positive Diskriminie- rung bei der Wohnungsvergabe (z.B. mindestens 20% an Haushalte im untersten Einkommensquintil) oder etwas weniger großzügige Weitergaberechte. Problematik Leerstand im gemeinnützigen und kommunalen Wohnungsbestand Der wohnungspolitische Fokus auf die flächendeckende Verfügbarkeit sozialer Mietwohnungen hat regi- onal zu erheblichen Überkapazitäten im geförderten Wohnungsbestand geführt. Der Leerstand in ge- meinnützigen und kommunalen Beständen beträgt in einzelnen Bezirken über 10%, projektbezogen auch weit mehr. Einerseits sind alte Wohnungsbestände in Regionen im wirtschaftlichen Wandel betroffen. Hier trifft eine stark rückläufige Nachfrage auf unzeitgemäße bauliche Standards. Umfassende Sanierun- gen sind häufig nicht möglich, weil die resultierenden Wohnkosten weit über den ortsüblichen Mieten liegen würden. Andererseits ist der Leerstand gerade auch in neuen Beständen in peripheren Regionen übermäßig hoch. Hier liegt der Grund in überschätzten Bedarfserhebungen, daraus abgeleiteten wirt- schaftlichen Fehleinschätzungen der Bauvereinigungen, aber auch an politischen Entscheidungen auf kommunaler und Landesebene. Umgang mit Überkapazitäten Regionale Überkapazitäten sozialer Wohnungsbestände mögen zur demographischen Stabilisierung in peripheren Lagen beitragen. Ihre volkswirtschaftlichen Kosten sind allerdings erheblich und sollten alter- nativen Strategien gegenüber gestellt werden. Im Rahmen der vorliegenden Studie werden mehrere Maß- nahmen zum Umgang mit solchen Überkapazitäten vorgestellt. Die Bedarfsprüfung für geförderten Woh- nungsneubau sollte strikter gehandhabt werden. Für neue großvolumige Projekte in peripheren Lagen sollte die Kooperation mehrerer Gemeinden eingefordert werden. Für eine solche interkommunale Zu- sammenarbeit gibt es gut funktionierende Vorbilder, z.B. bei Betriebsansiedlungen oder der Wasserwirt- schaft. Der Interessenausgleich zwischen den Gemeinden kann leicht durch zivilrechtliche Verträge gere- gelt werden. Die Bewirtschaftung von Gemeindewohnungsbeständen sollte professionalisiert werden, ins- besondere durch die Übertragung des Verwaltungsmandats an gemeinnützige Bauvereinigungen. Bei de- solaten Altbeständen wird man früher oder später nicht an Entscheidungen zum Rückbau vorbei kommen. Alterung der Bevölkerung als wohnungspolitische Herausforderung und Chance Die Altersstruktur der Bevölkerung korreliert stark mit der Urbanität. Der Anteil der Über-60-Jährigen liegt in Wien bei unter 22%, im Wiener Umland leicht darüber, in einzelnen peripheren Bezirken Niederöster- reichs demgegenüber bei bis zu 30%. Der Wandel der Altersstruktur ist eine doppelte Herausforderung für den ländlichen Raum. Einerseits bedeutet der geringere Anteil der Erwerbsbevölkerung niedrigere kommunale Einkünfte, andererseits ergibt sich ein erhöhter öffentlicher Aufwand für Gesundheit und Pflege. Eine besondere Problematik besteht bei alleinstehenden SeniorInnen in abseits gelegenen Ei- genheimen. Es ergeben sich aber auch bedeutende Chancen. Das Einkommen von PensionistInnen ist erheblich und wird überproportional regionalwirksam ausgegeben. SeniorInnen können, vor allem wenn sie zurück in die Ortszentren gebracht werden, erheblich zur Belebung der Gemeinden beitragen, etwa hinsichtlich sozialer Infrastruktur, Gewerbe und Vereinsleben. Eine effektive Maßnahme zur Nutzung die- ses Effekts bei gleichzeitig moderatem öffentlichem Aufwand ist das Betreute Wohnen, sofern es in zent- ralen Lagen angesiedelt wird. Ältere Menschen können auf diesem Weg erhebliche zivilgesellschaftliche Wirkungen entfalten. 8
Regional stark unterschiedlicher Wohnungsbedarf Bedarf an zusätzlichen Wohnungen entsteht vor allem durch Bevölkerungszuwachs, in zweiter Linie durch die Verkleinerung der durchschnittlichen Haushaltsgröße, den Verlust von Wohnungen und steigenden Wohnungsleerstand. Wohnungsbedarf wird des Weiteren durch die Bautätigkeit der Vergangenheit beein- flusst. Die in einigen Regionen aufgebauten erheblichen Leerstände senken den Neubaubedarf entspre- chend. Für mehrere der Einflussfaktoren stehen nur stark lückenhafte Daten zur Verfügung. Die Datenlü- cken mussten durch Schätzungen gefüllt werden. Für das gesamte Bundesland wird ein Neubaubedarf geschätzt, der etwa 10% über dem Wohnungszugang der 2000er Jahre liegt. Regional ergeben sich je- doch große Unterschiede. Für einzelne Bezirke wurde ein Bedarf erheblich über dem Neubau der 2000er Jahre ermittelt (>+30%). In diesen Bezirken liegt dies vor allem an der erwarteten überdurchschnittlichen Entwicklung der Haushaltszahlen (Bruck/Leitha, Korneuburg, Mödling, Wiener Neustadt-Stadt), bei man- chen Bezirken auch am niedrigen Niveau in den 2000er Jahren (Lilienfeld, Wiener Neustadt-Land). Den größten Neubaubedarf in absoluten Zahlen haben die Bezirke Baden, Wien-Umgebung und Mödling mit jeweils deutlich über 1.000 zusätzlichen Wohnungen pro Jahr. Deutlich reduziert werden sollte die Neu- bauleistung demgegenüber in den peripheren Bezirken Waidhofen/Thaya, Horn, Gmünd und Zwettl (je- weils
Wohnbauförderung neu ausrichten Die niederösterreichische Wohnbauförderung hat eine im Bundesländervergleich ansprechende Perfor- mance. Dennoch bestehen reichhaltige Potenziale für verbesserte Effizienz. Die Möglichkeiten, mit Mit- teln der Wohnbauförderung Regionalpolitik zu betreiben, sind begrenzt. Das Vorhaben, flächendeckend Sozialmietwohnungen anzubieten, sollte als abgeschlossen aufgefasst werden. Es wurde, angesichts der erheblichen lokalen Leerstandsraten, mit großem volkswirtschaftlichem Aufwand umgesetzt. Bei großvo- lumigem Neubau in peripheren Regionen mit geringem Bedarf sollte interkommunale Kooperation ange- regt werden. Die Anreize, im Ortskern zu bauen und zu sanieren, sollten intensiviert werden. Die Förde- rung sollte in stärkerem Maße für Ziele der Ortsentwicklung eingesetzt werden. Ein viel stärkerer Fokus sollte auf das Niederösterreichische Umland Wiens und die anderen urban geprägten Landesteile gelegt werden. Große geförderte Bauten sind massiv strukturbildend. Dem sollte durch entsprechend umfassende Qualitätsoptimierung Rechnung getragen werden. Als Vorbild können die Bauträgerwettbewerbe in Wien gelten. Neubau außerhalb des geschlossenen Ortsgebiets sollte nur noch in sehr gut begründeten Ein- zelfällen gefördert werden. Förderungsmaßnahmen für den Strukturerhalt (Zusatzpunkte für Abwande- rungsgemeinden) sollten hinterfragt werden. Stattdessen könnten Rückbauprämien entwickelt werden. Neue Förderphilosophie für das Eigenheim Das Eigenheim wird aus raumordnerischer Perspektive vielfach kritisiert. Andererseits bietet es – vor allem am Land – eine hervorragende Wohnversorgung auch für untere Einkommensgruppen, stimuliert private Investitionen und regionale Wertschöpfung; außerdem erfordert es einen vergleichsweise gerin- gen Förderungsaufwand. Der Kritik an der Förderung des Eigenheims wurde in der Vergangenheit mit hohen Qualitätsanforderungen begegnet. Das hat, ähnlich wie in anderen Bundesländern, zu einem star- ken Absinken des Förderungsdurchsatzes, nicht aber zu geringerem Neubau geführt. Gleichzeitig gingen dadurch die Lenkungseffekte der Wohnbauförderung verloren. Die Attraktivität wird mit der bevorstehen- den Verschärfung der baurechtlich verbindlichen thermischen Standards wieder steigen (Fast-Null-Ener- gie-Standard bis 2021). Die Förderung könnte in deutlich höherem Maße als in der Vergangenheit dazu beitragen, dass neue Eigenheime am richtigen Platz und mit geringerer Inanspruchnahme von Bauland realisiert werden. Die Förderung sollte auf Neubauten und Sanierungen im Ortsverbund abstellen. Mit den Widmungskategorien „Bauland Kerngebiet“ und „Zentrumszone“ sind für größere Gemeinden die raumordnerischen Voraussetzungen gegeben. Für kleinere Gemeinden müssten ähnliche Instrumente geschaffen werden. Für Eigenheime in raumordnerisch ungeeigneten Lagen sollten Sanierungsförderun- gen nur noch in begründeten Einzelfällen zur Verfügung gestellt werden. Analog zu Tirol sollte im Neubau die (geringe) Flächeninanspruchnahme maßgeblich die Förderhöhe bestimmen. Was kann der gewerbliche Wohnbau leisten? Der freifinanzierte Wohnbau trägt in fast allen Bundesländern stärker zur Wohnversorgung der Bevölke- rung bei als in Niederösterreich, vor allem in den westlichen Bundesländern und in Wien. Freifinanzierter Wohnbau eignet sich insbesondere für Eigentum in höherpreisigen Segmenten, d.h. im Umland Wiens und den sonstigen urban geprägten Regionen Niederösterreichs. In geeigneten Lagen kann gewerblicher Wohnbau einen starken Impuls zu höherer Wettbewerbsfähigkeit des gemeinnützigen Sektors liefern. In anderen Bundesländern sind gute Beispiele verfügbar, dass der gewerbliche Wohnbau auch im Eco- nomy-Sektor geeignete Produkte bereitstellen kann. Schon heute ist rund ein Drittel der Niederösterrei- chischen Gemeinnützigen auch im freifinanzierten Bereich tätig. 10
Chancen der Bodenpolitik In Niederösterreich ist nicht die Knappheit verfügbarer Siedlungsflächen die vorrangige bodenpolitische Herausforderung, sondern der effektive Umgang mit Grund und Boden trotz umfänglicher Reserven. Die massive Zersiedlung während der vergangenen Jahrzehnte hat große Nachteile nach sich gezogen, gleichermaßen in kommunalwirtschaftlicher und ökologischer Hinsicht, aber auch hinsichtlich der zivilge- sellschaftlichen Entwicklung der Gemeinden. Es ist von großer Bedeutung für den ländlichen Raum, die- ser Entwicklung Einhalt zu gebieten. Dies erfordert ein Bündel an Maßnahmen: auf Seiten der Raumord- nung differenziert nach bereits gewidmetem Bauland und Neuwidmungen, bei der Wohnbauförderung ein Fokus auf Lagen im Ortsverbund. Vielversprechend ist die Gründung eines Baulandfonds, wie er in meh- reren Bundesländern im Einsatz ist. Dabei geht es nicht nur um die Finanzierung von Bauland für leist- baren Wohnbau, sondern auch darum, Raumordnungs-Knowhow in die Gemeinden zu tragen. Grundsteuer als Lenkungsinstrument Österreich weist im internationalen Vergleich eine geringe Besteuerung von Grund und Boden auf. Daran hat die jüngste Steuerreform nur wenig geändert. Bei der Grundsteuer ist nach wie vor ein veraltetes System mit Einheitswerten im Einsatz. Es ist an der Zeit, neue technologische Möglichkeiten einer Um- stellung der Besteuerung auf Marktwerte anzugehen. Bei jeder Reform sollte die Zielsetzung im Vorder- grund stehen, neben fiskalischen auch und vor allem raumordnerische Lenkungseffekte auszulösen. Viel- versprechend ist der Ansatz, nicht die Immobilie als Ganze, sondern nur das Grundstück als Steuerbasis heranzuziehen. Das könnte auch bei aufkommensneutraler Gestaltung zu einer Mobilisierung von unge- nutztem Bauland beitragen. Die Reform der Grundbesteuerung ist freilich in Bundes-Kompetenz. Chancen der Großstadtregion Wien nutzen Der Großraum Wien ist der wichtigste Treiber der wirtschaftlichen Entwicklung Niederösterreichs. Eine besondere Chance der langfristigen Wirtschaftsentwicklung ist die Lage zwischen den beiden nationalen Hauptstädten Wien und Bratislava. Diese Gunstlagen könnten mit entsprechend ausgerichteter Politik effektiver genutzt werden. Der Ausbau der Verkehrsinfrastruktur ist bereits weitgehend diesem Ziel ver- pflichtet, wenngleich weiterhin Defizite beim Ausbau des hochrangigen IV- und ÖV-Netzes bestehen. Ähnlich der übergeordneten Verkehrsinfrastruktur sollte die interkommunale Zusammenarbeit auch beim Wohnen wesentlich ausgebaut werden. Dies ist eine Voraussetzung dafür, bei der unvermeidlichen Ur- banisierung des Wiener Umlands die Vorteile zu lukrieren, ohne die drohenden Nachteile in Kauf nehmen zu müssen. Es geht aber auch um die Frage der öffentlichen Wahrnehmung. Es sollte gelten, die Chan- cen, die sich für die wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung Niederösterreichs ergeben, in ein positives Licht zu rücken. Herausforderungen für Umlandgemeinden Die Wiener Umlandgemeinden sind mit großen Herausforderungen konfrontiert. Die Verstädterung ent- spricht häufig nicht der Selbstwahrnehmung der ansässigen Bevölkerung, die sich nach wie vor im länd- lichen Raum wähnt. Viele Umlandgemeinden Wiens haben kein Interesse daran, bevölkerungsmäßig zu wachsen, zumal der finanzielle Ausgleich in einem Missverhältnis zu den zusätzlich erforderlichen Infra- strukturinvestitionen steht. Große Herausforderungen sind die steigenden Baulandpreise, die eine immer größere Belastung für die lang ansässige Bevölkerung wird, und die Finanzierung neuer technischer und sozialer Infrastruktur. Die Hemmung von Zuwanderung und Verstädterung bedeutet nicht nur den Ver- zicht auf wirtschaftliche Entwicklung mit negativen Auswirkungen weit über die Gemeinde hinaus. Ver- 11
städterung ist auch schwer aufzuhalten. Bei entsprechendem Druck erfolgt aber die Verstädterung unko- ordiniert, was für die betroffenen Gemeinden zusätzliche Nachteile bringt. Für eine geordnete qualitativ hochwertige Entwicklung der Wiener Umlandgemeinden bedarf es einer stark intensivierten Kooperation und einem stärkeren Engagement des Landes mit dem Willen, die Großstadtregion in einer für die Region verträglichen Form weiterzuentwickeln. Strategische Entwicklungen in Raumordnung, Bodenpolitik, Inf- rastruktur und Wohnbau sollten gemeindeübergreifend festgelegt werden. Für die gemeinsame Zieldefi- nition sollten bestehende Planungsinstrumente, z.B. interkommunale Leitbilder, weiterentwickelt werden. Herausforderung schrumpfende Gemeinden Niederösterreich muss sich der Realität stellen, dass es ein Land der zwei Geschwindigkeiten ist. Die Anwendung unterschiedlicher Strategien für dynamische und stagnierende Regionen bedeutet keines- wegs eine Abwendung von peripheren Lagen oder Ungleichbehandlung. So nachvollziehbar es ist, dass die Wohnbauförderung eingesetzt wurde, um zum Strukturerhalt im ländlichen Raum beizutragen, so offensichtlich sind die Grenzen des Möglichen. Die Wohnungspolitik hat großen Aufwand betrieben, der Abwanderung durch großzügigen Wohnungsneubau entgegenzutreten. Das Ergebnis sind Wohnungs- bestände, die in Bezug auf die Bevölkerungszahl zu den höchsten des Landes zählen. Die ungenutzten Häuser und Wohnungen müssen aber instandgehalten werden. Passiert das nicht, wird man über kurz oder lang mit Ruinen-Orten konfrontiert sein. Heute geschaffene Überkapazitäten ziehen langfristig er- hebliche negative Folgen nach sich. In Abwanderungsgemeinden sollte bei der Vorhaltung der erforder- lichen Infrastruktur, wie auch beim Wohnungsneubau die Kooperation mit Nachbargemeinden eingefor- dert werden. Dies trifft insbesondere bei Neuaufschließungen zu. Innenentwicklung hat vor Außenent- wicklung zu gehen. Bei anhaltendem Leerstand und desolat werdender Substanz sollten die Gebäudeei- gentümer zum Abbruch motiviert werden, beispielsweise mit Abbruchprämien. Keinesfalls kann allerdings vom Reißbrett aus der Rückbau ganzer Ortsteile angeordnet werden. Freiwilligkeit ist ein absolutes Muss. Ein wichtiger Hebel zum Erhalt von Landgemeinden ist der Verbleib junger Frauen vor Ort, angesichts derer größeren Mobilitätsbereitschaft und besseren Ausbildung. Ein bislang unterbewerteter Ansatz sind Möglichkeiten zur kommunalpolitischen Teilhabe. Die Wahrnehmung, ihren Ort mitgestalten zu können, wirkt sich positiv auf ihren dauerhaften Verbleib aus. Eine besondere Herausforderung ist die Alterung der Bevölkerung. Angebote des Betreuten Wohnens im Ortskern können wesentlich zur Belebung auch kleinerer Ortschaften beitragen. 12
EINLEITUNG Die Versorgung der Bevölkerung mit ausreichendem und adäquatem Wohnraum ist eine der wichtigsten wirtschaftlichen und sozialen Aufgaben einer jeden Volkswirtschaft. Vor allem in dynamischen Staaten und Regionen, die in den künftigen Jahrzehnten mit einer wachsenden und sich differenzierenden Bevöl- kerung zu rechnen haben, ist eine kontinuierliche, an die Wohnungsnachfrage angepasste Ausweitung des Wohnungsbestandes eine herausfordernde Aufgabe, die eingehender Analysen und Einschätzungen bedarf. Niederösterreich gehört nach allen Prognosen neben Wien zu den dynamischsten österreichi- schen Bundesländern und hat sich dieser Herausforderung zu stellen. Dies betrifft jedoch manche Lan- desteile wesentlich stärker als andere, die mit einer stagnierenden oder rückläufigen Bevölkerungsent- wicklung rechnen müssen. Daraus ergeben sich unterschiedliche Bedürfnisse für die zukünftige Weiterent- wicklung des Wohnungsangebots in den niederösterreichischen Bezirken. So wie in den anderen Bundesländern Österreichs wird auch in Niederösterreich eine wohnungspolitische Strategie verfolgt, die die politische Beeinflussung der Bestandsausweitung in Abstimmung mit Verände- rungen der Nachfrage betont. Im System der Wohnbauförderungen, die für „Häuselbauer“ genauso wie für gemeinnützige Bauvereinigungen eine fundamentale Stütze der Finanzierung darstellen, kommt diese marktbeeinflussende Strategie zum Ausdruck. Anders als in vielen europäischen Staaten, in denen sehr volatile, preis- und renditengetriebene Immobilien- und Produktionszyklen die Dynamik der Wohnungs- märkte bestimmen, wird mit dem wohnungspolitischen System in Österreich auf eine stark an die Ent- wicklung der Nachfrage und der Leistbarkeit angepasste, geregelte und abgestimmte Ausweitung und Adaptierung des Wohnungsangebots abgezielt. Angesichts dessen ist es umso wichtiger, dass die Ten- denzen der Nachfrage kontinuierlich und zeitnah analysiert und dokumentiert werden. Wo und wie lebt die niederösterreichische Bevölkerung aktuell und welche Herausforderungen werden sich für die Wohnversorgung der Zukunft aus der prognostizierten Bevölkerungsentwicklung ergeben? Dies ist die Grundfrage der vorliegenden Studie. Bei der Beantwortung soll insbesondere auf die regionale Verteilung und unterschiedliche Dynamik der Bevölkerungsentwicklung eingegangen werden und die spezifischen Herausforderungen für die Zukunft des Wohnens in den einzelnen niederösterreichischen Regionen sowie für das Bundesland als Ganzes identifiziert werden. Die Arbeit ist folgendermaßen aufgebaut: Die Entwicklung der Bevölkerung und die Verteilung und Dy- namik über die niederösterreichischen Bezirke stehen im Mittelpunkt des ersten Kapitels. Dabei wird deutlich, dass Niederösterreich als ein Land der zwei Geschwindigkeiten gesehen werden kann, wo eine starke Dynamik in einigen Regionen und eine verhaltene Entwicklung in anderen Regionen parallel ver- laufen. Kapitel 2 gibt einen Überblick über die aktuellen Wohnverhältnisse der niederösterreichischen Bevölkerung und behandelt die Qualitäten des Wohnungsbestandes, aber auch die jüngsten starken Preiszuwächse in manchen niederösterreichischen Bezirken. Diese Preisdynamiken haben mancherorts und in manchen Segmenten zu Problemen mit der Leistbarkeit von Wohnraum geführt. Welche Konse- quenzen hat dies für den zukünftigen Bedarf nach Wohnraum? Diese Frage wird in Kapitel 3 behandelt, wo auch die vergangene Wohnbau- und Fördertätigkeit beschrieben wird. Spezifische Herausforderun- gen beim Wohnen, z.B. der Umgang mit Leerständen, altersgerechte Wohnformen, spezielle Bedürfnisse des Umlands von Wien oder der Regionen mit stagnierendem Wohnbedarf, werden beschreiben und eine quantitative Abschätzung des regionalen Neubaubedarfs getroffen. Kapitel 4 behandelt die Wohnpolitik im Detail und zeigt, welche Einflussnahme auf das Wohnungsmarktgeschehen in der Vergangenheit aus- geübt wurde und welche notwendigen Adaptierungen für die Zukunft vielversprechend sind. Vor allem die bessere Verschränkung der Wohnungs- und Bodenpolitik zeigt hohe Effizienzpotenziale. Die Wohnpolitik 13
ist kein unabhängiges Politikfeld, sondern steht in enger Verflechtung mit anderen Politikbereichen, ins- besondere der Verkehrs- und Infrastruktur sowie der Arbeitsmarktpolitik. Diese Aspekte werden am Ende des vierten Kapitels behandelt. Wichtige Schlussfolgerungen und Erkenntnisse der Studie sind in den Hauptergebnissen, die bereits vor dieser Einleitung zusammengeführt wurden, enthalten. In der vorliegenden Studie wurden alle einschlägigen Daten verarbeitet. Dabei zeigten sich gravierende Defizite bei regionalisierten Daten z.B. zu Baubewilligungen, Förderungszusicherungen und Wohnkosten. Unzureichende Daten erschweren u.a. die regionalisierte Abschätzung des Wohnungsbedarfs. Eine zu- verlässige und transparent verfügbare Datenbasis ist die Voraussetzung für sachbezogene Politikent- scheidungen auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene. Eine Verbesserung der Datenbasis ist daher dringend erforderlich. Die vorliegende Studie baut auf umfangreichen veröffentlichte Daten und Analysen auf (z.B. Statistik Austria, AMS Niederösterreich, Immobilienpreisspiegel der Wirtschaftskammer, u.a.), die einen tiefrei- chenden Einblick in die Bevölkerungsdynamik und das Wohnungsmarktgeschehen in Niederösterreich geben. Zusätzlich wurde eine größere Zahl an ExpertInnengespräche geführt, um die Möglichkeit zu nut- zen, persönliche Meinungen und Einschätzungen von AkteurInnen (Bürgermeister, RaumplanerInnen, VertreterInnen des gemeinnützigen Bauwesens, NÖ Wohnassistenz, u.a. s. Kapitel 5.1 S. 94) in die Stu- die einfließen zu lassen. Die grafischen Aufbereitungen der vorliegenden Studie wurden großteils durch das Autorenteam erstellt. Dabei konnte auf geocodiertes Kartenmaterial der Abteilung Hydrologie und Geoinformation-NÖGIS der Niederösterreichischen Landesregierung zurückgegriffen werden. Zum Einsatz kamen die Softwarepro- gramme GeoDa 1.6.6. des GeoDa Center for Geospatial Analysis and Computation, Tempe, USA; GIMP 2.8.2 von Spencer Kimball, Peter Mattis und des GIMP-Entwicklungsteams (www.gimp.org) sowie RStu- dio 0.98.1091 der Free Software Foundation, Inc. Boston, USA. Dank für ergänzendes aktuelles Daten- material gilt Thomas Kronister (AK Niederösterreich) sowie Mathias Moser und Matthias Schnetzer (Wirt- schaftsuniversität Wien). Bei der Erarbeitung der Studie wurde darauf geachtet, eine geschlechtsneutrale Sprache zu verwenden, wobei auf das Binnen-I zurückgegriffen wurde (z.B. EinwohnerInnen). 14
1 DEMOGRAPHIE 1.1 BEVÖLKERUNGSSTAND 1.1.1 BEZIRKSEINTEILUNG UND BEVÖLKERUNGSSTAND Niederösterreich besteht aus 573 Ortsgemeinden in 25 Bezirken (Abbildung 1). Einzelne Bezirke bilden kein geographisch direkt zusammenhängendes Gebiet, sondern bestehen aus mehreren Teilen (Wien- Umgebung, Amstetten, Wiener Neustadt-Land). Großräumig wurde Niederösterreich historisch in vier Viertel eingeteilt, das Industrie-, Wein-, Wald- und Mostviertel. Mit der 1986 getroffenen Entscheidung, die Landeshauptstadt nach St. Pölten zu verlegen, kam es zu verschiedenen Ansätzen einer neuen groß- räumigen Gliederung mit dem Ziel, der neuen Hauptstadt eine Landesmitte zuzuordnen. In Abbildung 1 ist die von der NÖ Arbeiterkammer verwendeten Regionsabgrenzung farblich dargestellt. Wie in der vor- liegenden Studie gezeigt wird, sprechen außer der Lage der Landeshauptstadt kaum Gründe für die Etab- lierung einer Großregion Niederösterreich Mitte, wie u.a. im NÖ Raumordnungskonzept festgeschrieben. Ganz im Gegenteil sprechen geographische, wirtschaftliche, infrastrukturelle und kulturelle Aspekte für einen stärkeren Fokus auf den niederösterreichischen Teil der Großstadtregion Wien. Wenn eine fünfte Großregion zu definieren ist, sollte sie wohl aus den Wiener Umlandbezirken, Mödling, Wien-Umgebung, sowie Teilen der Bezirke Korneuburg, Mistelbach und Gänserndorf und Baden bestehen, z.B. wie in der Eurostat-NUTS-Klassifikation vollzogen („Blaues Donut“) (s. Kapitel 3.3.3, S. 69). Dies bedeutet keines- wegs eine Abwertung der Region um die neue Landeshauptstadt. Vielmehr verspricht eine proaktive dif- ferenzierte Politik zum Niederösterreichischen Umland Wiens große Entwicklungschancen für das ge- samte Bundesland, gleichermaßen wirtschaftlich wie hinsichtlich der Identitätsbildung. Mit Jahresbeginn 2015 lebten rund 1,64 Mio. Personen in Niederösterreich (Statistik Austria, Bevölke- rungsstatistik). Damit ist Niederösterreich das nach Wien zweit bevölkerungsreichste Bundesland und vereint rund 19% der EinwohnerInnen Österreichs. Abbildung 1: Bezirkseinteilung Niederösterreichs AM: Amstetten MI: Mistelbach BL: Bruck/Leitha NK: Neunkirchen BN: Baden P: St.Pölten-Stadt GD: Gmünd PL: St.Pölten-Land GF: Gänserndorf SB: Scheibbs HL: Hollabrunn TU: Tulln HO: Horn WB: Wr.Neustadt-Land KO: Korneuburg WN: Wr.Neustadt-Stadt KR: Krems-Land WT: Waidhofen/Thaya KS: Krems-Stadt WU: Wien-Umgebung LF: Lilienfeld WY: Waidhofen/Ybbs MD: Mödling ZT: Zwettl ME: Melk Quelle: IIBW auf Basis noe.gv.at Kartenmaterial 15
Die Daten des Bevölkerungsstandes werden von der Statistik Austria seit 2001 auf Grundlage der letzten Volkszählung und durch Bevölkerungsfortschreibung aus dem Zentralen Melderegister (ZMR) des Innen- ministeriums dokumentiert, wobei immer der 1.1. jedes Jahres als Stichtag gilt. Die Hauptwohnsitzmel- dungen werden laufend in ein bevölkerungsstatistisches Datenbanksystem eingespielt und zusammen mit den Daten über Hauptwohnsitzwechsel (Wanderungsstatistik) nach demographischen Kriterien auf- gearbeitet und ausgewertet. Zur Wohnbevölkerung zählen Personen mit einer (den Stichtag einschlie- ßenden) Aufenthaltsdauer (Hauptwohnsitzmeldung) von mindestens 90 Tagen (ausgenommen sind Neu- geborene, die sofort hinzugezählt werden). Die Wanderungsstatistik basiert ebenfalls auf dem ZMR und gibt Auskunft über alle Ortswechsel, insofern sie von einer melderrechtlichen Änderung begleitet werden, sowohl innerhalb Österreichs (Binnenwanderung) als auch über Staatsgrenzen hinweg (Internationale Wanderung). In der von der Statistik Austria jährlich veröffentlichten Wanderungsstatistik sind auch rich- tungsspezifischen Wanderungssalden enthalten, die genaue Auskunft über bundesländer-übergreifende Bewegungen der Wohnbevölkerung geben. Umfassendes diesbezügliches Datenmaterial wurde zuletzt vom Land Niederösterreich (Amt NÖ LR, 2014, S. 51-123) und der Arbeiterkammer Niederösterreich (AK NÖ, 2014a, S. 17-37) veröffentlicht. Darüber hinaus stehen die detaillierten Ergebnisse der Registerzäh- lung 2011 zur Verfügung (Statistik Austria, 2013c). Die Thematik der regional unterschiedlichen Alterung der Bevölkerung ist in Kapitel 3.4.1 (S. 75) angesprochen. 1.1.2 WO LEBEN DIE MENSCHEN IN NIEDERÖSTERREICH Die bevölkerungsreichsten Bezirke sind Baden (ca. 140.000 EinwohnerInnen), Wien-Umgebung (117.000), Mödling (116.000) und Amstetten (113.000). Alleine in den an Wien angrenzenden vier Bezirken Wien- Umgebung, Korneuburg, Gänserndorf und Mödling beträgt die Bevölkerung rund 407.000 Personen, also Abbildung 2: Topografie Niederösterreichs Quelle: Amt NÖ LR, 2014, S. 27. 16
genau ein Viertel der Bevölkerung Niederösterreichs. Die vier Statutarstädte St. Pölten, Wiener Neustadt, Krems und Waidhofen/Ybbs vereinen hingegen nur rund 8% der Bevölkerung auf sich. St. Pölten ist mit ca. 52.000 EinwohnerInnen zwar noch vor Wiener Neustadt die größte Stadt Niederösterreichs, im Ös- terreichvergleich gehört sie als nur neuntgrößte Stadt aber zu den kleinsten Landeshauptstädten. Um die räumliche Konzentration der EinwohnerInnen besser analysieren zu können, ist es zweckmäßig, die Bevölkerung auf die jeweilige Fläche einer Analyseeinheit zu beziehen und Bevölkerungsdichten zu berechnen. Dabei ist die tatsächliche Grundfläche einer Einheit weniger aussagekräftig als die besiedelbare Fläche. Im Vergleich zu den westlichen Bundesländern Österreichs besteht in Niederösterreich ein wesent- lich größerer Anteil an besiedelbarer Fläche. Schon topographisch zeigt sich, dass die Beschränkung durch Berge und steile Lagen maßgeblich nur im südwestlichen Niederösterreich und teilweise in den westlichen Teilen des Wald- und Mostviertels eine Rolle spielt (s. Abbildung 2). Im restlichen Niederösterreich, vor allem in Osten, ermöglichen flache Lagen theoretisch eine weitgehende Ausweitung der Siedlungsfläche (obwohl dieser Entwicklung zahlreiche ökologische und ökonomische Gründe entgegensprechen). Die Statistik Austria hat mit der Begrifflichkeit „Dauersiedlungsraum“ eine Kategorie geschaffen, die die Ver- fügbarkeit von besiedelbarer Bodenfläche aufgreifen soll. Der Dauersiedlungsraum beinhaltet für Siedlung, landwirtschaftliche Nutzung und Verkehrsflächen verfügbaren Raum. Die Datenbasis für dessen Bestim- mung bildet die CORINE-Landnutzungsdaten von 2006 sowie Bevölkerungs- und Beschäftigtendaten der Registerzählung 2011 bezogen auf eine kleinräumige Rastereinteilung. Dabei ergeben sich aufgrund der teilweise komplizierten Zurechnung von unterschiedlichen Benutzungsarten mitunter Schwierigkeiten (Wonka, 2008), doch erweitert und verbessert die Statistik Austria ihre Berechnungsmethoden laufend. Der Dauersiedlungsraum setzt sich jedenfalls aus dem bereits genutzten Siedlungsraum (Nutzungskategorien städtisch geprägte Flächen, Industrie- und Gewerbeflächen) und aus den besiedelbaren Flächen (Ackerflä- chen, Dauerkulturen, Grünland, heterogene landwirtschaftliche Flächen, Abbauflächen und städtische Grün- Abbildung 3: Besiedelbarer Raum und tatsächlicher Siedlungsraum Österreich 2011 Quelle: Statistik Austria, Registerzählung 2011 und CORINE-Landnutzungsdaten 2006; IIBW basierend auf i.MAP von Statistik Austria. 17
und Freizeitflächen). Bei der Abgrenzung des Dauersiedlungsraumes stehen topographische Einschränkun- gen im Vordergrund. Raumplanerische, ökologische und ökonomische Grenzen einer zunehmenden Ver- bauung und Flächeninanspruchnahme werden dabei nicht berücksichtigt (Lebensministerium, 2011). Abbildung 3 verdeutlicht, wie stark gerade in Westösterreich die topographischen Bedingungen die be- siedelbare Fläche eingrenzen. In Tirol sind lediglich 12,5% der Landesfläche dem Dauersiedlungsraum zuzurechnen, in Salzburg und Vorarlberg rund 22%. Der Niederösterreichwert liegt bei ca. 61%. Der Dauer- siedlungsraum schwankt stark über die niederösterreichischen Bezirke: In St. Pölten-Stadt, Gänserndorf und Mistelbach sind je rund 86% der Gesamtfläche dem Dauersiedlungsraum zuzurechnen, im bergigen Lilienfeld sind es hingegen nur rund 19%. Die Bevölkerungsdichte bezogen auf den Dauersiedlungsraum steigt systematisch mit der Nähe zu Wien und liegt in den städtischen Bezirken höher als im Rest Niederösterreichs. Abbildung 4 zeigt dieses Mus- ter sehr deutlich. Dünn besiedelt sind vor allem das Waldviertel, mit z.B. nur ca. 55 Personen auf einen Quadratkilometer Dauersiedlungsraum in Zwettl, Waidhofen/Thaya und Horn, sowie das nördliche Weinviertel mit Mistel- bach und Hollabrunn mit je unter 67 Personen. Am dichtesten besiedelt sind die Städte Wiener Neustadt (937 Personen/m² Dauersiedlungsraum) und Krems (759). Besonders augenfällig ist die sehr dichte Be- siedelung der Bezirke um Wien, die bereits städtische Ausmaße annimmt: Mödling liegt mit 661 Perso- nen/m² Dauersiedlungsraum noch deutlich vor St. Pölten (354). Auch Wien-Umgebung (381) und Baden (354) weisen sehr hohe Besiedlungsdichten auf. Abbildung 4: Bevölkerungsdichten im Verhältnis zum Dauersiedlungsraum in Niederösterreich Personen pro km² Dauersiedlungsraum 55 bis 67 68 bis 118 119 bis 150 151 bis 380 381 bis 937 Quelle: Statistik Austria Dauersiedlungsraum, Bevölkerungsstand Anfang 2014; IIBW. 18
Der globale Trend zur Urbanisierung geht auch an Österreich und Niederösterreich nicht vorbei. Dabei geht es nicht nur um die Abwanderung aus ländlichen und die Zuwanderung in städtische Regionen, es geht auch um die Urbanisierung des ländlichen Raums. Mittlerweile weisen große Teile Niederösterreichs Kennzeichen städtischer Räume auf, etwa hinsichtlich Bevölkerungsdichte, Bebauungsstruktur, Infra- struktur, wirtschaftlicher Entwicklung oder Pendler-Relationen. Vor diesem Hintergrund ist nicht nur mit einer massiven weiteren Stärkung des Niederösterreichischen Umlands Wiens zu rechnen. Auch der be- reits urban geprägte ländliche Raum wird sich kräftig weiterentwickeln, vergleichbar etwa dem urban ge- prägten Siedlungsteppich, der schon heute für z.B. die Niederlande charakteristisch ist. Im Jahr 2014 bündelte sich die niederösterreichische Wohnbevölkerung von 1,625 Mio. vor allem in Ge- meinden mit einer Gesamtbevölkerung von über 1.000 EinwohnerInnen (s. Tabelle 5). Das Gros der nie- derösterreichischen Wohnbevölkerung lebte in Gemeinden mit 1.001 bis 2.000 EinwohnerInnen (20,8%) bzw. in Gemeinden mit 2.001 bis 5.000 EinwohnerInnen (30,8%). Obwohl eine detaillierte Analyse der Verstädterung in Niederösterreich im Zeitverlauf nicht vorhanden ist, lässt sich ein Trend der Wohnbevölkerung zu größeren Gemeindegrößenklassen zwischen 2004 und 2014 aus dem Mikrozensus ablesen. Hier hat im Zeitverlauf eine Verschiebung hin zu größeren, städti- schen Zentren stattgefunden. Während 2004 noch rund 40% der Wohnbevölkerung in Gemeinden über 5.000 EinwohnerInnen lebte, ist dieser Anteil bis 2014 auf 43% angewachsen (Statsitik Austria, Mikro- zensus). Eine Analyse des Urbanisierungsgrades (Gemeinden mit hoher, mittlerer oder niedriger Bevöl- kerungsdichte nach der EUROSTAT Gemeindezuteilung in die drei Dichtekategorien mit Grenzwerten über 500; über 100; unter 100 EinwohnerInnen/km²) ergibt dasselbe Bild: Zwischen 2004 und 2012 hat der Anteil der Bevölkerung in Gemeinden mit hoher Bevölkerungsdichte von 8% auf 10,2% zugenommen, jener mit mittlerer Bevölkerungsdichte gar von 38,4% auf 45,5%. Tabelle 5: Niederösterreichische Wohnbevölkerung nach Gemeindegrößenklassen Gemeindengrößenklasse Wohnbevölkerung Anteil 2014 Bis 500 EinwohnerInnen 0,4% 501 bis 1.000 EinwohnerInnen 4,2% 1.000-2.000 EinwohnerInnen 20,8% 2.001-5.000 EinwohnerInnen 30,8% 5.001-10.000 EinwohnerInnen 16,5% 10.001-20.000 EinwohnerInnen 14,2% Über 20.000 EinwohnerInnen 13,1% Quelle: Statistik Austria, Mikrozensus-Arbeitskräfteerhebung; s. Amt NÖ LR, 2014, S. 67. 1.1.3 ENTWICKLUNG DER REGIONEN Im letzten Jahrzehnt (2004 bis 2014) ist die niederösterreichische Wohnbevölkerung um 4,4% angewachsen. Der Zuwachs lag knapp unter dem österreichischen Durchschnitts (+4,8%). Deutlich dynamischer haben sich Wien (+10,6%), Tirol (6,1%) und Vorarlberg (5,5%) entwickelt. In den anderen Bundesländern war die Zunahme unterdurchschnittlich. Alleine Kärnten hatte mit -0,6% eine leicht rückläufige Bevölkerungszahl. Die Bevölkerungsdynamik unterscheidet sich bezirksweise sehr stark (Abbildung 7). Im vergangenen Jahrzehnt legten die Bezirke im Einzugsbereich von Wien sowie entlang der Ost- und der Südachse sehr 19
stark zu: Wien-Umgebung (+13,1%), Tulln (+9,8%), Korneuburg (+9,6%), Wiener Neustadt-Stadt, (+9,5%), Gänserndorf (+9,2%), Baden (+8,4%), Bruck/Leitha (+7,6%), Mödling (+6,8%). Im Gegensatz dazu waren periphere Bezirke, insbesondere im Waldviertel, mit Abwanderung und rückläufigen Bevöl- kerungszahlen konfrontiert: Gmünd (-5,2%), Waidhofen/Thaya (-4,9%), Zwettl (-4,2%), Lilienfeld (-3,8%), Horn (-2,6%), Neunkirchen (-0,5%), Scheibbs (-0,2%). Die Bezirke entlang der Westachse entwickelten sich – trotz der Entwicklung im Umfeld der Landeshauptstadt – leicht unterdurchschnittlich. Die Motoren der Bevölkerungsdynamik in Niederösterreich sind also die Entwicklung in der Bundeshaupt- stadt und die hochrangigen Verkehrsachsen, insbesondere die Ostautobahn mit den stark gestiegenen Verkehrsrelationen nach Ungarn und der Slowakei. Eine kleineräumigere Analyse des Bevölkerungswachstums zeigt interessante Unterschiede zwischen Gemeinden in einzelnen Bezirken (s. Abbildung 7). In den meisten Bezirken gibt es sowohl schrumpfende oder stagnierende Gemeinden und gleichzeitig manche Gemeinden, die mehr oder weniger stark wach- sen. Davon ausgenommen sind die Bezirke rund um Wien, wo fast alle Gemeinden stark wachsen, sowie das Waldviertel, wo die meisten Gemeinden rückläufige oder stagnierende Bevölkerungen aufweisen. Die Gemeinden mit dem stärksten Bevölkerungszuwachs zwischen 2004 und 2014 waren Mittern- dorf/Fischa (Bezirk Baden) (+41,2%), Trumau (Bezirk Baden) (34,6%), Muckendorf-Wipfing (Bezirk Tulln) (+33,1%) und Gramatneusiedl (Bezirk Wien-Umgebung) (+32,7%) (s. Amt NÖ LR, 2014, S. 118). Mehrere dynamische Gemeinden finden sich auch im Bezirk Amstetten, Melk und Scheibbs, nämlich entlang der westlichen Hauptverkehrsachse. Sehr auffallend ist die schrumpfende Entwicklung in den südlichen und südöstlichen Randgemeinden des Industrie- und Mostviertels. Auch deutlich sinkende Bevölkerungszah- len weisen die nördlichen Randgemeinden des Waldviertels auf. Tabelle 6: Niederösterreichische Bezirke mit stärkster Bevölkerungsdynamik Wohnbevölke- Wohnbevölke- Veränderung Prognose Index rung 2009 rung 2014 2004-2014 (%) 2030 (2009=100) Österreich gesamt 8.335.000 8.507.800 4,5% 108,1 Niederösterreich gesamt 1.603.000 1.625.500 4,4% 111,7 NÖ Bezirke mit stärkster Dynamik zwischen 2004 und 2014 Wien-Umgebung 111.900 117.300 13,1% 125,0 Tulln 69.400 72.100 9,8% 118,6 Korneuburg 74.000 76.400 9,6% 121,8 Wiener Neustadt-Stadt 40.500 42.300 9,5% 117,9 Gänserndorf 94.400 97.500 9,2% 119,6 NÖ Bezirke mit schwächster Dynamik zwischen 2004 und 2014 Gmünd 38.500 37.400 -5,2% 93,1 Waidhofen/Thaya 27.300 26.400 -4,9% 95,7 Zwettl 44.200 43.100 -4,3% 93,5 Lilienfeld 26.900 26.000 -3,8% 100,3 Waidhofen/Ybbs 11.500 11.300 -3,6% 105,9 Quelle: Statistik Austria, Bevölkerungsstatistik, ÖROK Regionalprognose 2010 für Prognose 2030. Anm.: Die kleinräumige Prognoseregion Waidhofen/Ybbs beinhaltet auch den Bezirk Amstetten. 20
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