Zeitung Rheinland-Pfalz - Erziehungsfachkräfte streiken für bessere Bezahlung (S. 3-4) - GEW Rheinland-Pfalz

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Zeitung Rheinland-Pfalz - Erziehungsfachkräfte streiken für bessere Bezahlung (S. 3-4) - GEW Rheinland-Pfalz
- Zeitung Rheinland-Pfalz
    5-6/2018     Herausgeber: Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft Rheinland-Pfalz • www.gew-rlp.de

Erziehungsfachkräfte streiken für bessere Bezahlung (S. 3-4)
Zeitung Rheinland-Pfalz - Erziehungsfachkräfte streiken für bessere Bezahlung (S. 3-4) - GEW Rheinland-Pfalz
Editorial / Inhalt

Struwwelpeter                               wir auf Veränderungen drängen müssen.
                                            Das gehört zu den manchmal nicht so
                                                                                          als Schüler/in, dann später als Lehrkraft:
                                                                                          Wenn vorne eine/r steht, die/der bis ins
Günter Helfrich                             angenehmen Pflichten einer Redaktion.         Detail jeden Schritt im Lernprozess glaubt
                                                                                          lenken zu können (oder gar zu müssen,
                                            Was ist mit dem Lernkulturwandel?             weil das in manchen Seminaren so er-
                                            Zurück zu den innovativen Unterrichts-        lernt wurde) und nicht versteht, dass es
                                            projekten: Die Forderung rennt bei uns        immer viele Wege zur Erschließung einer
                                            offene Türen ein, waren (und sind) wir        Thematik gibt, kann nur Bulimielernen
                                            doch seit Jahren, Jahrzehnten ein Medi-       entstehen. Reinstopfen, wieder raus… und
                                            um, das sich den Lernkulturwandel auf die     möglichst bald vergessen.
                                            Fahnen geschrieben hat. Wir freuen uns        Ist doch irgendwie total traurig, wenn
                                            über neue Ideen, können diese jedoch          man sieht, wie begeistert die meisten
                                            natürlich nicht – wie oben bereits gesagt     kleinen Kinder in die Schule kommen und
                                            - selbst entwickeln, auch wenn wir keine      wie desillusioniert viele diese dann Jahre
Schon wieder Halbzeit: Bereits in zwei      abgehobenen Schreibtischbesserwisser,         später verlassen.
Jahren steht der nächste Gewerkschafts-     sondern langjährige Praktikerinnen und        Nun die interessante Frage an unsere
tag unseres Landesverbandes an, und         Praktiker sind.                               Leserinnen und Leser, zu der wir gerne Zu-
manchmal werden wir noch daran erin-        Nebenbei bemerkt: Nicht jeder / jedem         schriften hätten: Wie sieht es aktuell aus
nert, dass einzelne Anträge abschließend    haben die diesbezüglichen Veröffent-          mit der Lernkultur in unseren Schulen?
zu bearbeiten seien.                        lichungen gefallen, waren sie auch mit        Tatsächlich etwas verändert oder schon
So auch die Redaktion vor einiger Zeit.     (indirekter) Kritik am bisherigen didak-      wieder verpufft?
Der Gewerkschaftstag solle beschließen,     tischen Handeln bzw. der Aufforderung         Interessieren wird das gewiss auch zwei
in unserer Landeszeitung vermehrt „inno-    verbunden, die eingefahrenen Wege zu          Wissenschaftler, die die Diskussion um
vative Unterrichtsprojekte vorzustellen“,   verlassen.                                    eine inhaltliche Schulreform entscheidend
hieß es 2016 sinngemäß in einem An-         „Lernkulturwandel“, „Lebendiges Ler-          vorangetrieben haben und die (da sind
trag, der uns doch etwas erstaunte. Was     nen“, „Eigenverantwortliches Lernen“,         wir schon stolz drauf!) ihre ersten Ver-
existiert da teilweise an Vorstellungen     „Projektlernen“, „Handlungsorientierter       öffentlichungen (und danach noch ganz,
über unsere Arbeit? Haben wir etwa ein      Unterricht“ usw. sind Stichworte aus          ganz viele) u.a. in unserer GEW-Zeitung
vielköpfiges Profiteam mit großem wis-      unseren zahlreiche Veröffentlichen zur        Rheinland-Pfalz hatten.
senschaftlichen Beraterstab wie große       Thematik. Dahinter steht die in der Re-       Die Rede ist von Prof. Dr. Rolf Arnold aus
Fachzeitschriften?                          formpädagogik verwurzelte Überzeugung,        Kaiserslautern, der uns immer wieder
Eine rhetorische Frage. Natürlich nicht.    dass Lernen ein Abenteuer sein kann (und      eloquent die theoretische Fundierung für
Wir machen den Job fast ausschließlich      auch Privileg ist) – viel zu schade, um den   den Lernkulturwandel erläutert hat, sowie
ehrenamtlich und leben stark davon, was     Kindern die Freude daran durch tradierte      Dr. Heinz Klippert aus Landau, dessen
uns angeboten wird. Das ist auch gut so,    Lernzieldressur auszutreiben. Wie erfolg-     Schulentwicklungsprogramme bundes-
denn dadurch bekommen Mitglieder, die       reich freies Lernen sein kann, haben nicht    weit und sogar international für Furore
etwas zu sagen (bzw. zu schreiben) haben,   zuletzt die hervorragenden Ergebnisse der     und – das ist gewiss sein besonderer Ver-
ein Forum, das zunehmend genützt wird.      so genannten „Struwwelpeterschulen“           dienst – für konkrete Veränderungen im
Was aus der Organisation kommt, hat ein-    bei Vergleichstests gezeigt: Was selbstbe-    Unterrichtsalltag gesorgt haben.
deutig Priorität; den verbleibenden Platz   stimmt und mit Freude gelernt wird, bleibt    Anlässlich des 70. Geburtstages unseres
füllen wir aus zahlreichen Quellen, die     viel eher hängen als ein aufgezwungenes       immer noch umtriebigen langjährigen
uns zu Verfügung stehen. Wobei ehrlich      Pflichtprogramm.                              GEW-Kollegen Heinz Klippert hat ihn
gesagt werden muss: Wir bringen fast        Wer sich für eine andere Lernkultur ein-      unser Redaktionsmitglied Paul Schwarz,
alles, aber nicht alles. Manchmal gibt es   setzt / eingesetzt hat, tut diese nicht aus   sein publizistischer Weggefährte, für diese
Ansinnen, die wir aus ganz unterschied-     theoretischen Hirngespinsten, sondern         Ausgabe ausführlich interviewt.
lichen Gründen ablehnen oder bei denen      aus eigenen Erfahrungen heraus. Erst
                                                                                           GEW-ZEITUNG
                                                                                           Rheinland-Pfalz

                                                                                           Inhalt
                                                                                           Editorial                  Seite        2
                                                                                           Tarifrunde                 Seiten 2 - 4
                                                                                           Frühkindliche Bildung      Seite        5
                                                                                           Jugendhilfe                Seite   6 - 7
                                                                                           Schulen                    Seiten 8 - 16
                                                                                           Politik                    Seite       16
                                                                                           Kultur                     Seite       17
                                                                                           Recht                      Seiten 18 - 19
                                                                                           Generation 60+             Seite 20 - 21
                                                                                           Tipps + Termine            Seite 21 - 23
                                                                                           Kreis + Region             Seite       23
                                                                                           Schulgeist                 Seite       24

2                                                                                         GEW-Zeitung Rheinland-Pfalz 5-6 / 2018
Zeitung Rheinland-Pfalz - Erziehungsfachkräfte streiken für bessere Bezahlung (S. 3-4) - GEW Rheinland-Pfalz
Tarifrunde

Landesweiter Warnstreik an Kitas
1.000 Kita-Beschäftigte demonstrierten in Kirchheimbolanden
Das Wetter war sehr schlecht, das Klima dagegen sehr gut:
Weitaus mehr Erzieherinnen und Erzieher aus den Kitas des
Landes als erwartet sind am 22. März einem Warnstreikauf-
ruf der GEW gefolgt. Sie zogen in einem Demonstrationszug
lautstark und ausgestattet mit GEW-Fahnen, GEW-Jacken
und selbst gebastelten Plakaten von der Stadthalle in Kirch-
heimbolanden zum proppenvollen Römerplatz, wo die Kund-
gebung stattfand.

Bereits im Vorfeld hatte der GEW-Landesvorsitzende Klaus-Peter
Hammer darauf hingewiesen, dass die Erzieherinnen und Erzie-
her es als Provokation empfinden, dass die kommunalen Arbeit-
geber auch in der zweiten Verhandlungsrunde der laufenden
Tarifverhandlungen kein Angebot vorgelegt und die Forderung
der Gewerkschaften nach 6% mehr Lohn, mindestens aber 200
Euro, als nicht finanzierbar zurückgewiesen haben. „Alle wissen,    Wittlich und ehrenamtliche GEW-Funktionärin, zu den Strei-
dass die Steuereinnahmen von Bund und Kommunen aufgrund             kenden. Während Münch sich insbesondere mit den hohen
der brummenden Wirtschaft schon seit Jahren sprudeln und nach       Belastungssituationen in der Kita-Arbeit und in der Jugendhilfe
den Prognosen weiter steigen werden. Eine angemessene Beteili-      auseinandersetzte, wies Schaaf-Peitz auf den Fachkräftemangel
gung der Beschäftigten an der positiven Haushaltsentwicklung ist    in sozialpädagogischen Berufen hin und mahnte dringend eine
                                                                    weitere Aufwertung dieser Berufe an.
                                                                    GEW-Geschäftsführer Peter Blase-Geiger bezeichnete in seinem
                                                                    Resümee die Streikveranstaltung, die mit Reden und musika-
                                                                    lischer Begleitung durch die Gruppe Maigold bei guter Stimmung
                                                                    in der Stadthalle von Kirchheimbolanden begonnen hatte, als
                                                                    „vollen Erfolg“. Blase-Geiger wies darauf hin, dass die Teilneh-
                                                                    merinnen und Teilnehmer aus allen Landesteilen nach Kirchheim-
                                                                    bolanden gekommen waren und viele Kitas mit Einschränkungen
                                                                    arbeiten mussten bzw. komplett geschlossen blieben.
                                                                    Spontan hatten sich auch einige Mitglieder der Gewerkschaft
                                                                    Bauen, Agrar, Umwelt auf der Kundgebung eingefunden und
                                                                    erhielten kräftigen Applaus für die Unterstützung des ge-
                                                                    meinsamen Anliegens. Die Tarifverhandlungen wurden nach
                                                                    den Osterferien fortgesetzt; bis zum Redaktionsschluss dieser
                                                                    GEW-Zeitung gab es noch kein Ergebnis, über das aber u.a. auf
überfällig. Die Gehälter der Beschäftigten im öffentlichen Dienst   den Homepages von GEW-Bund und -Land unverzüglich und
müssen wachsen, wenn Bund und Kommunen als Arbeitgeber              ausführlich informiert wird.
attraktiv sein wollen“, so Hammer. „Gerade im Bildungs- und                                                                 bh/gh/pm
Erziehungsbereich, der überall händeringend Fachkräfte sucht,                                       Fotos S. 1 + S. 3-5: Thorsten Kind
ist es unabdingbar, dass die Entgelte steigen.“
Björn Köhler vom Bundesvorstand der GEW, der bei den Tarif-
verhandlungen mit dem Bund und den Kommunen Verhand-
lungsführer der GEW ist, bezeichnete bei der Kundgebung unter
großem Beifall der Kita-Beschäftigten den rheinland-pfälzischen
Warnstreik als „deutliche Warnung an die Arbeitgeber“, in den
laufenden Verhandlungen endlich ein akzeptables Angebot
vorzulegen. Köhler kritisierte die kommunalen Arbeitgeber, die
einerseits gute Qualifikationen und hohen Einsatz von ihren
Beschäftigten verlangten, andererseits aber nicht bereit seien,
die Bezahlung im Öffentlichen Dienst der Entwicklung in der
Wirtschaft anzupassen.
Neben Björn Köhler vom Bundesvorstand der GEW sprachen
Christine Münch, Erzieherin und Personalratsvorsitzende aus
Kirchheimbolanden, sowie Erni-Schaaf-Peitz, Kita-Leiterin aus

GEW-Zeitung Rheinland-Pfalz 5-6 / 2018                                                                                              3
Zeitung Rheinland-Pfalz - Erziehungsfachkräfte streiken für bessere Bezahlung (S. 3-4) - GEW Rheinland-Pfalz
Tarifrunde

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Zeitung Rheinland-Pfalz - Erziehungsfachkräfte streiken für bessere Bezahlung (S. 3-4) - GEW Rheinland-Pfalz
Frühkindliche Bildung

Kita-Ausbau:
„Ohne Qualitätsausbau kommen wir nicht weiter“
Anette Stein, Direktorin des Programms        In Ihrer neuesten Untersuchung konnten         Es wird immer noch nicht genügend in-
„Wirksame Bildungsinvestitionen“ der          sie feststellen, dass sich die Kita-Qualität   vestiert, um Kitas qualitativ zu verbessern.
Bertelsmann Stiftung, ist sich sicher:        sogar von Landkreis zu Landkreis unter-        In den vergangenen Jahren wurde vor
Die Kitas in Deutschland brauchen             scheidet.                                      allem in den quantitativen Ausbau der
Standards. Warum das zu mehr Bil-             Wir sind sehr überrascht über das Ergeb-       Kita-Plätze investiert. Positiv ist zwar, dass
dungsgerechtigkeit führt, erklärt sie im      nis. Es darf nicht sein, dass ein Wohnort      die Qualität nicht schlechter geworden,
Interview mit Vincent Hochhausen.             über die Bildungschancen von Kindern           sondern bundesweit leicht gestiegen
                                              entscheidet. Wir wissen selbst noch nicht,     ist. Das ist eine große Leistung. Aber es
Die Bertelsmann-Stiftung kritisiert die
                                              warum es solche Unterschiede gibt. Auch        muss jedem Politiker klar werden: Ohne
Kita-Qualität. Warum?
                                              die Kommunen und Landkreise nicht.             Qualitätsausbau kommen wir nicht weiter.
Wir haben in Deutschland keine Qualitäts-
                                              Möglicherweise ist es ein unerwünschter
standards. In den 16 Bundesländern gibt
                                              Nebeneffekt aufgrund landesrechtlicher         Wie viel würde den Bund der Qualitäts-
es unterschiedliche oder gar keine Regu-
                                              Regulierungen zur Personalausstattung          ausbau kosten?
lierung. Es macht zwar keinen Sinn, alles
                                              der einzelnen Länder.                          Ein kindgerechter Personalschlüssel
einheitlich zu regeln, da die Situation der
                                                                                             kostet 4,9 Milliarden zusätzlich pro Jahr.
Kitas vor Ort überall anders ist. Aber wir    Inwiefern?
                                                                                             Ausreichend Zeit für Kita-Leitungen 1,3
brauchen einheitliche Standards für den       Die Finanzierung des Kita-Personals führt
                                                                                             Milliarden Euro und qualitatives Essen
Personalschlüssel, Zeit für Leitungsauf-      zu unterschiedlichen Betreuungssituatio-
                                                                                             750 Millionen Euro. Zwei Sachen haben
gaben, Fachberatung, Fort- und Weiter-        nen vor Ort. In Brandenburg werden bei-
                                                                                             wir noch nicht kalkuliert: Fort- und Wei-
bildung sowie eine gesunde Verpflegung.       spielsweise Pauschalen an die Träger für
                                                                                             terbildung der pädagogischen Fachkräfte
Das müssen alle Politiker auf ihre Agenda     ihr Kita-Personal bezahlt. Unterschieden
                                                                                             und steigender Bedarf an Kindertages-
nehmen.                                       wird nur zwischen den Betreuungszeiten
                                                                                             betreuung seitens der Eltern. Bei der
                                              bis zu sechs Stunden oder mehr als sechs
Mangelt es in allen Bundesländern an der                                                     Bund-Länder-Konferenz berechneten die
                                              Stunden. In der Realität sieht das anders
Kita-Qualität?                                                                               Minister, dass die Qualitätssteigerung in
                                              aus. In vielen Regionen werden die Kinder
Es gibt kein Bundesland, wo alles gut                                                        allen Bereichen zwischen zehn und elf
                                              länger betreut. Das führt dann zu ungüns-
funktioniert. In Bezug auf den Personal-                                                     Milliarden Euro kosten würde. Das sind
                                              tigeren Personalschlüsseln.
schlüssel ist Baden-Württemberg das ein-                                                     realistische Zahlen.
zige Bundesland, das einen kindgerechten
                                              Aber es gibt doch die Möglichkeit, feh-        Die OECD-Studie „Bildung auf einen Blick
Betreuungsschlüssel erfüllt: Idealerweise
                                              lende Gelder beim Land zu beantragen?          2016“ zeigt, dass Deutschland viel mehr
sollte eine Fachkraft rechnerisch für 3
                                              Es gibt unterschiedliche Verfahren. In         in den tertiären Sektor investiert als in
Krippenkinder oder 7,5 Kindergarten-
                                              Bayern können Kommunen Ausgaben                den frühkindlichen Bereich. Investieren
kinder verantwortlich sein. Bundesweite
                                              geltend machen, wenn die Kitas mit ihren       wir also falsch?
Schlusslichter sind Mecklenburg-Vor-
                                              finanziellen Mitteln nicht auskommen.          Wir müssen Ausgaben erhöhen, aber
pommern mit 13,7 Kindergartenkindern
                                              Aber selbst hier gibt es Unterschiede in       dürfen nicht bei der Hochschule kürzen.
und Sachsen mit 6,5 Krippenkindern pro
                                              Nieder- und Oberbayern. Die Akteure auf        Auch in diesem Bereich fehlt Geld. Wir
Fachkraft. Das ist nicht kindgerecht.
                                              Landesebene sind gefragt, einheitliche         brauchen grundsätzlich mehr Investitio-
                                              Vorgaben zu machen und die Unterschie-         nen in die Bildung.
Sie bemängeln in Ihren Studien auch die
                                              de auszugleichen.
fehlende Zeit für Leitungsaufgaben.                                                          Dieser Beitrag wurde zuerst veröffentlicht
Bundesweit muss jede zehnte Kita kom-         In den vergangenen Jahren haben sich           in: didacta Infodienst – Das Bildungsdos-
plett ohne Leitungszeit auskommen.            überall die Ausgaben für die frühe Bildung     sier für Politik und Bildungsverwaltung,
Wenn Leitungen keine Zeit für ihre Ar-        stark erhöht. Warum gibt es dennoch so         Ausgabe 4/2017, S. 2-3, www.didacta.de
beiten eingeräumt wird, leidet entweder       hohe Defizite?
die Qualität der Kita oder sie selbst als
Person. Es müssen in der täglichen Ar-
beitszeit Gespräche mit Eltern geführt,
administrative Büroarbeiten erledigt und
vor allem auch die Qualitätsentwicklung
im Kita-Team gesteuert werden. Notfalls                                  irgend ein Foto Warnstreik
müssen die Leitungen das in ihrer Freizeit
machen, was zu Burn-out führen kann.
Eine andere Möglichkeit ist, dass sie sich
aus der Gruppe zurücknehmen, worunter
die Kinder leiden.

GEW-Zeitung Rheinland-Pfalz 5-6 / 2018                                                                                                   5
Zeitung Rheinland-Pfalz - Erziehungsfachkräfte streiken für bessere Bezahlung (S. 3-4) - GEW Rheinland-Pfalz
Jugendhilfe

„Betriebswirtschaft darf Soziale Arbeit nicht dominieren“
Prof. Löhe referierte in Koblenz vor zahlreichen Akteuren der Kinder- und Jugendhilfe

Die Anbieter Sozialer Arbeit stehen vor      formen setzten betriebswirtschaftliche
großen Herausforderungen. Die Zahl           Kenntnisse voraus.
der Hilfebedürftigen steigt und die Pro-
blemlagen von Kindern, Jugendlichen          In einem weiteren Schritt zeigte der Re-
und Familien nehmen zu, berichteten          ferent aber auf, dass die Ökonomisierung
die TeilnehmerInnen einer Veran-             von Sozialer Arbeit per se irreführend ist,
staltung, die der GEW Bezirk Koblenz         weil der Markt sozialer Dienstleistungen
durchgeführt hat. In der Folge würde         nicht nach originären Marktbedingungen
der Ruf nach Hilfsangeboten, wie etwa        organisiert ist. Eine Entscheidungsfindung
der sozialpädagogischen Begleitung           nach rein marktwirtschaftlichen Prinzipi-
einer Familie oder der ambulanten            en, wie es betriebswirtschaftliches Denken
oder stationären Unterbringung eines         verlange, verbiete sich deswegen. Denn in
jungen Menschen, lauter. Aufgrund nur        der Sozialen Arbeit gibt es bis auf wenige
begrenzt vorhandener Haushaltsmittel         Ausnahmen, nämlich dann, wenn es sich
steige der Druck auf die Jugendämter         um Selbstzahler handelt, keine klassische
und die Anbieter von Jugendhilfemaß-         Anbieter-Kunde-Beziehung, sondern ein
nahmen, Angebote der Jugendhilfe             sozialrechtliches Leistungsdreieck (siehe
effizient und ökonomisch zu gestalten.       Abbildung). Neben einem Jugendamt,
                                             das als Auftraggeber eine Maßnahme
Julian Löhe, Prof. für Sozialmanagement      finanziert, und dem jeweiligen Träger, der
an der Hochschule Rosenheim, hält be-        eine Maßnahme durchführt, ist noch eine
triebswirtschaftliches Denken und Han-       hilfesuchende Person beteiligt. Zwischen      Julian Löhe, Prof. für Sozialmanagement
deln in der Sozialen Arbeit grundsätzlich    diesen dreien müsse jeweils individuell       an der Hochschule Rosenheim
für unerlässlich. Die Verschiebung demo-     ausgehandelt werden, welche Hilfe am
grafischer Balancen führt laut Löhe zur      sinnvollsten sei. Geschehe dies nicht, sei    che Hilfemaßnahme bewilligt wird, ist in
Legitimationskrise des Wohlfahrtsstaates.    der Erfolg einer Hilfemaßnahme vorne-         jedem einzelnen Fall nach fachlichen Ge-
Bei Verwendung öffentlicher Gelder wür-      weg stark gefährdet.                          sichtspunkten zu entscheiden“, so Löhe.
den deshalb Effektivität und Effizienz als   Betriebswirtschaft und Soziale Arbeit         Denn nicht die preiswerteste Leistung,
zentrale Kriterien zur Vergabe von Mitteln   müssten sich regelmäßig auf Augenhöhe         die ein Jugendhilfeträger möglicherweise
angesehen. Da zudem viele sozialwirt-        begegnen, so der Professor für Sozial-        unter Konkurrenzdruck anbietet, sei auto-
schaftliche Unternehmen enorm gewach-        wirtschaft. Betriebswirtschaft sei dabei      matisch die am besten geeignetste. „Es
sen seien, würden betriebswirtschaftliche    aber nicht die Profession, die nachhaltig     gilt unter allen Angeboten die Maßnah-
Kenntnisse zwingend benötigt, damit die      soziale Probleme lösen könne. Deshalb         me auszusuchen, die am besten auf die
Leitung großer Unternehmen gelingen          müsse diese der Sozialen Arbeit „dienen“      Bedürfnisse des Hilfesuchenden passt“,
kann. Auch die Themen Auslagerung von        und dürfe sie nicht dominieren. „Die          meint der Experte. Die Betriebswirtschaft
Leistungen und Veränderungen in Rechts-      Entscheidung eines Jugendamtes, wel-          könne der Sozialen Arbeit schlussendlich

                                                                                             Volkswirtschaftliche Bedeutung
                                                                                             Sozialer Arbeit
                                                                                             „Die Branche der Sozialwirtschaft hat
                                                                                             bei Fokussierung auf die Leistungs-
                                                                                             erbringung bezüglich Beschäftigung,
                                                                                             Vermögen, Ressourcen und angebote-
                                                                                             ne Dienstleistungen einen erheblichen
                                                                                             Stellenwert. In der freien Wohlfahrts-
                                                                                             pflege sind ungefähr 1,6 Millionen
                                                                                             Menschen beschäftigt. Zusätzlich sind
                                                                                             dort 2-3 Millionen ehrenamtlich tätig.
                                                                                             Die Caritas und die Diakonie zählen mit
                                                                                             520.000 und 450.000 Beschäftigten zu
                                                                                             den größten nicht staatlichen Arbeit-
                                                                                             gebern.“
                                                                                                             (Quelle: Vortrag Löhe)

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Zeitung Rheinland-Pfalz - Erziehungsfachkräfte streiken für bessere Bezahlung (S. 3-4) - GEW Rheinland-Pfalz
Jugendhilfe

nur nutzen, wenn sie sich an deren fachli-    Kinder- und Jugendhilfeeinrichtungen
chen Zielen ausrichte, die Leistungen der     geleistet wird, in fest verankerte Qualitäts-
Sozialen Arbeit sichtbar werden lasse und     kriterien transformiert und gesichert wer-
dieser dabei helfe, fachliche Qualität zu     den kann. Um auf dem Fachkräftemarkt
identifizieren.                               bestehen zu können, seien attraktivere
Prof. Löhe wies am Ende seines Vortrags       Beschäftigungsbedingungen notwendig.
noch auf den enorm großen volkswirt-          Dazu werden unbefristete Vollzeitstel-
schaftlichen Wert hin, den Soziale Arbeit     len genauso gezählt wie das Bezahlen
für die Gesellschaft hat. Aus dieser Tatsa-   von Tariflöhnen. Hier wird aufgrund der
che konstatiert er sowohl ein Mitsprache-     Zersplitterung der Anbieter in der Kin-
recht als auch eine Verantwortung für die     der- und Jugendhilfe mehr einheitliches
Branche Soziale Arbeit. Jeder gut inves-      Vorgehen angemahnt, indem Kostenträ-
tierte Euro in der Kinder- und Jugendhilfe    ger beispielsweise Garantiebeträge für
helfe nicht nur den Betroffenen, sondern      Personalkosten gewähren sollen. Anbieter        „Eine Gesellschaft, die in sozialem Frieden
auch dem Staat, weil dieser so hohe Fol-      von Maßnahme könnten sich vernetzen             leben, ihren Mitgliedern gleiche Chancen
gekosten vermeiden könne.                     und bei den Ansätzen von Personalkosten         einräumen und Partizipation ermöglichen
In verschiedenen Workshops wurde an-          Absprachen treffen. Schließlich fordert die     will, muss Kinder- und Jugendhilfe so
schließend diskutiert, welche Hürden          Praxis, einen Stellenschlüssel zu kalkulie-     ausstatten, dass diese den Bedürfnissen
den Akteuren in ihren Einrichtungen im        ren, der genügend Zeit für intensive Be-        von Familien, Kindern und Jugendlichen
Prozess der Ökonomisierung begegnen,          ziehungsarbeit und fachlichen Austausch         gerecht werden kann. Sie darf Jugendhilfe
welche fachlichen Standards es sind, die      mit Kolleginnen und Kollegen lässt.             nicht in finanziellen Zwängen ersticken.
die Arbeit und das jeweilige Angebot                                                          Nur wenn Bund, Länder und Gemeinden
ausmachen, und wie die Soziale Arbeit         Politisch aktiv werden                          bereit sind, mehr Geld für die Kinder-
mehr Einfluss in Politik und Öffentlichkeit   Maria Schäfer, Initiatorin der Veranstal-       und Jugendhilfe bereitzustellen, können
gewinnen kann. Es wurde angeregt, dass        tung und Expertin für Jugendhilfe in            Betroffene die Hilfen erhalten, die sie be-
die Jugendämter an einem positiven            der GEW, forderte zum Abschluss die             nötigen, um schwierige Lebenssituationen
Image arbeiten und ihre Leistungsange-        Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Ver-         zu bewältigen.“
bote und deren großen Nutzen öffentlich       anstaltung auf, politisch aktiv zu werden.         Bernd Huster (Gewerkschaftssekretär)
besser darstellen. Den Jugendhilfeeinrich-
tungen wurde vorgeschlagen, eine gute
Außendarstellung über soziale Medien
sicher zu stellen und sich in der Region
gut zu verankern. Der Wert Sozialer Ar-
beit wird nach Auffassung der Fachleute
besonders deutlich, wenn eine gute
Vernetzung im Sozialraum vorhanden ist
und enge Kontakte zu Politikern vor Ort
bestehen. Strukturelle Hürden, wie etwa
die Tatsache, dass keine Hilfe ohne vor-
herige schriftliche Kostenzusage möglich
ist, werden teilweise kritisch gesehen, da
sie die Autonomie der Sozialarbeiter vor
Ort einschränken. Kenntnisse darüber, wie
ein Jugendamt und ein Familiengericht
vor Ort arbeiten, sollten unbedingt vor-
handen sein, etwa um Hilfen schnell und
so wenig bürokratisch wie möglich organi-
sieren zu können. Schließlich müssen die
Träger von Jugendhilfemaßnahmen, die in
direktem Kontakt zu den hilfeberechtigten
Personen stehen, aus fachlicher Sicht
notwendige Unterstützungsmaßnahmen
gegenüber den Ämtern auch einfordern.
Als ärgerlich wird empfunden, dass
vorgeschriebene Aufgaben wie die Do-
kumentation von Maßnahmenverläufen
unzureichend finanziert würden. Es müsse
auch überlegt werden, wie die wichtige
Beziehungs- und Bindungsarbeit, die in                                                                              Fotos: GEW

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Schulen

Dr. Paul Schwarz im Gespräch mit dem Schulreformer Dr. Heinz Klippert

Praktische Unterrichtsentwicklung stärker in den Blick nehmen
Der Landauer Reformpädagoge Dr.             methoden ausprobieren: Gruppenarbeit,
Heinz Klippert vollendete am 19.            Planspiele, Rollenspiele, Hearings, Debat-
März sein 70. Lebensjahr. Mit seinen        ten, Projektarbeit, Entscheidungsspiele,
konkreten Anregungen zum Aufbau             Betriebspraktika und vieles andere mehr.
einer neuen Lernkultur hat er in            Handlungsorientierter Unterricht war
Deutschland viel bewegt, nicht nur          das große Thema. Das Ernüchternde
durch seine Tätigkeit beim EFWI, dem        dabei war nur, dass sich viele Schüle-
Lehrerfortbildungsinstitut der evan-        rinnen und Schüler mit der geforderten
gelischen Kirchen in Landau, sondern        Selbstständigkeit und Kooperationsarbeit
auch durch seine mehr als 400.000           erstaunlich schwer taten. Diese Erfahrung
verkauften Bücher im Beltz-Verlag,          hat mich in der Folgezeit bewogen, die
seine vielen Vorträge in Deutschland        Unterrichtsentwicklung stärker in den
und im Ausland, z.B. in deutschen           Blick zu nehmen, also das Methodenler-
Auslandsschulen weltweit, auch durch        nen mit Schülerinnen und Schülern, den
seine Beratungsarbeiten und Unter-          handlungsorientierten Unterricht, die
richtsentwicklungs-Projekte in Berlin,      Lehrerkooperation und das schulinterne
NRW, Hessen, Niedersachsen, Saarland        Innovationsmanagement. Diese Arbeits-
und neuerdings Baden-Württemberg.           felder beschäftigen mich bis heute.           Unser Redaktionsmitglied Dr. Paul Schwarz
Paul Schwarz hat Heinz Klippert häufig                                                    interviewt den Schulreformer Dr. Heinz
auf seinem Reformweg begleitet und          Wenn du die früheren und die heutigen         Klippert
durch seine neun Filme über Klipperts       Unterrichtskonzepte vergleichst: Welche
Programm viel zur Verbreitung einer         Fortschritte bzw. Veränderungen siehst        die fortschrittlichsten Handreichungen
neuen Lernkultur in deutschen Schulen       du?                                           und Arbeitspläne nur wenig. Die meisten
beigetragen.                                                                              Lehrkräfte brauchen nach meinem Ein-
                                            Fortschritte sehe ich vor allem auf der
                                            pädagogischen Metaebene. Wir haben            druck vor allem eines: Alltagstaugliche
                                            mittlerweile neue Bildungspläne und           Hilfen, Verfahren und Routinen. Da gibt
Du bist Bestseller-Autor und höchst er-                                                   es noch viele blinde Flecken.
                                            Bildungsstandards, die ganz fraglos in die
folgreicher Unterrichtsreformer. Was hat
                                            richtige Richtung gehen. Konzeptionell
dich seinerzeit bewogen, die Unterrichts-                                                 Spätestens seit PISA sind Ganztagsschulen
                                            haben wir also kräftig dazugewonnen.
entwicklung zum Kern deiner Arbeit zu                                                     und integrierte Gesamtschulen verstärkt
                                            Kompetenzorientierter Unterricht ist
machen?                                                                                   im Gespräch. Ablenkungsmanöver oder
                                            mittlerweile ein Muss. Ähnliches gilt für
Ich habe mich bereits Anfang der 1970er-    kooperatives Lernen, Methodenschulung         Zukunftsperspektive?
Jahre als Student der Wirtschaftswis-       oder die verschiedensten Formen des           Ich bin ein Befürworter der Ganztags-
senschaften mit bildungsökonomischen        freien und selbstgesteuerten Arbeitens.       schulen, allerdings nur, wenn sie in
Fragen beschäftigt. Damals wie heute        An pädagogischen Konzepten mangelt            verbindlicher und rhythmisierter Form
ging es darum, wie man der drohenden        es also nicht.                                angeboten werden. Gerade Kinder aus
deutschen Bildungskatastrophe ent-          Die eigentliche Schwachstelle ist die         bildungsfernen Milieus brauchen den
gegenwirken kann. Mehr Lehrer, mehr         unzureichende Umsetzung der vorhan-           rhythmisierenden Ganztag mit einer
Chancengerechtigkeit, mehr Durchlässig-     denen Konzepte. Der deutsch-finnische         möglichst bunten Schülermischung, wenn
keit und zeitgemäßere „Schlüsselqualifi-    Bildungsreformer Rainer Domisch hat           sie ihre vorhandenen Potenziale stärker
kationen“ – das waren und sind zentrale     das in einem Vortrag einst auf Formel         freisetzen sollen. Auch viele Migranten-
Optionen. In meiner Diplomarbeit bin        gebracht: „Die Deutschen sind Welt-           kinder profitieren von den erweiterten
ich diesem Zusammenhang zwischen            meister im Konzipieren immer neuer            sprachlichen und sozialen Begegnungen.
Wirtschaftswachstum und Bildungsarbeit      Programme und Modelle, aber sie sind          Allerdings muss dann auch gewährleistet
dann näher nachgegangen und habe u.a.       ziemliche Dilettanten im Bereich der          sein, dass qualifiziertes und anregendes
die Notwendigkeit aktivierender Lehr- und   praktischen Umsetzung“. Dem kann ich          gemeinsames Lernen stattfindet. Diese
Lernverfahren entdeckt. Diese Anstöße       nur zustimmen. Veränderungen brauchen         Bedingung ist vielerorts leider nicht ge-
haben mich nach Beendigung meines           wir daher vor allem im Unterricht selbst,     geben. Die Notlösung mit den nachmit-
Studiums veranlasst, als „Seiteneinstei-    beim Unterrichtsskript sowie bei der Lern-    täglichen Betreuungsangeboten durch
ger“ in den hessischen Schuldienst zu       organisation und Lernmoderation. Viele        schulfremde Honorarkräfte sichert dieses
wechseln und ganz bewusst an eine neu       Stunden verlaufen heute nämlich noch          gemeinsame Lernen gewiss nicht.
gegründete integrierte Gesamtschule zu      ähnlich lehrer- und stoffzentriert wie vor    Ähnlichen Etikettenschwindel beobachte
gehen. Dort konnte ich neue Unterrichts-    dreißig oder vierzig Jahren. Da helfen auch   ich bei zahlreichen Integrierten Gesamt-

8                                                                                         GEW-Zeitung Rheinland-Pfalz 5-6 / 2018
Zeitung Rheinland-Pfalz - Erziehungsfachkräfte streiken für bessere Bezahlung (S. 3-4) - GEW Rheinland-Pfalz
Schulen

schulen und Gemeinschaftsschulen.              Kinder. Damit soll der Vielfalt in den       Auf der letzten Bildungsmesse in Hanno-
Zwar bin ich vom Grundsatz her für diese       Klassenzimmern begegnet werden. Die          ver war viel von Individualisierung und
Schultypen, die sich Integration, Chan-        Lehrkräfte sollen Lerntheken aufbauen,       Digitalisierung die Rede. Sind das die
cengerechtigkeit und neue Lernverfah-          unterschiedlichste Materialien und Auf-      Problemlöser der Zukunft?
ren auf die Fahnen geschrieben haben.          gaben entwickeln und jedem einzelnen
                                                                                            Ich habe meine Zweifel. Zu den Tücken
Allerdings irritieren mich bis heute die       Schüler als Berater und Coaches zur Seite
                                                                                            der Individualisierung habe ich bereits
rigiden Differenzierungsanstrengungen,         stehen. Für mich ist das die programmier-
                                                                                            gesagt, dass der Vorbereitungs- und
die vielerorts unternommen werden. Da          te Überforderung. Daher brauchen wir
                                                                                            Betreuungsaufwand für die Lehrkräfte
wird spätestens ab Klasse 7 nicht nur äu-      dringend einen anderen Ansatz. Einen
                                                                                            schnell überhandnimmt. Hinzu kommt das
ßere Differenzierung auf mindestens zwei       Weg, der alltagstauglich ist und den Lehr-
                                                                                            pädagogische Dilemma, dass viele Schüler
Niveaus betrieben, sondern häufig auch         kräften – ganz im Sinne der GEW - die
                                                                                            und Schülerinnen in Phasen der Alleinar-
noch ausgeprägte Binnendifferenzierung.        nötige Zeit- und Arbeitsökonomie sichert.
                                                                                            beit häufig überfordert sind, andererseits
Das treibt die Schülerinnen und Schüler        Ich plädiere deshalb seit Jahr und Tag
                                                                                            aber auch nicht den Mumm haben, die
auseinander. Wie das mit dem erklärten         dafür, die Förderarbeit stärker auf die
                                                                                            Lehrkraft oder irgendwelche versierten
Integrationsanspruch zusammengeht,             Schülerqualifizierung zu konzentrieren.
                                                                                            Mitschüler anzusprechen. Von daher führt
verstehe ich nicht.                            Das heißt: Auf den systematischen Auf-
                                                                                            die propagierte Individualisierung sehr
                                               bau grundlegender Lern- und Sozialkom-
                                                                                            schnell in die Sackgasse.
Immer mehr Eltern schicken ihre Kinder         petenzen auf Schülerseite sowie einen
                                                                                            John Hattie hat diese drohende Hilflosig-
auf Privatschulen. Ist das eine Reaktion       darauf gestützten integrationsfördernden
                                                                                            keit sehr schön belegt. Ähnliches gilt für
auf die mangelnde Unterrichtsqualität in       Arbeitsunterricht in den Fächern. Das ist
                                                                                            das neue Wunderwerk der Digitalisierung.
den staatlichen Schulen?                       machbar und lohnend. Der Grundgedanke
                                                                                            Zwar bin ich überzeugt davon, dass die
                                               dabei ist der: Wenn die Schülerinnen und
Bei manchen Eltern mag das durchaus ein                                                     digitalen Arbeitsmittel wie Computer,
                                               Schüler methodisch und sozial fit sind
Motiv sein. Für viele Eltern gilt jedoch,                                                   Smartphones, Whiteboards usw. den Un-
                                               und der Fachunterricht differenzierte
dass sie ihre Kinder in erster Linie vor der                                                terricht zukünftig sehr bereichern können
                                               Arbeits- und Interaktionsanlässe für den
Proletarisierung des Gymnasiums und der                                                     – vorausgesetzt, die technischen und me-
                                               Klassenverband bietet, dann ist selbstre-
Realschulen schützen wollen. Sie möchten                                                    thodischen Voraussetzungen werden in
                                               guliertes Arbeiten und Kooperieren nicht
für ihre Kinder eine gewisse Exklusivität                                                   den Schulen geschaffen. Bereichern heißt
                                               länger eine Utopie. Das bestätigen die von
sichern und schicken sie daher in spezi-                                                    aber nicht gewährleisten! Auch zukünftig
                                               mir betreuten Unterrichtsentwicklungs-
ell profilierte Privatschulen: kirchliche,                                                  werden nach meiner Ansicht konventio-
                                               projekte in mehreren Bundesländern.
anthroposophische, internationale usw.                                                      nelle Lehr- und Lernverfahren nötig sein,
                                               Die Schülerinnen und Schüler helfen,
Vielen dieser Eltern geht es also mehr                                                      die dem Lernen der Kinder Struktur und
                                               beraten, kontrollieren und erziehen sich
um Exklusivität und Prestige als um die                                                     Tiefe geben und das Erfahrungslernen und
                                               wechselseitig; die Lehrkräfte können sich
Art und Qualität des Unterrichts. Gleich-                                                   das Miteinander in den Klassen betonen.
                                               stärker zurücknehmen und beobachten.
wohl glauben viele von ihnen, dass die                                                      Digital gestützte Selbstlernprozesse kön-
                                               Das begünstigt Lehrerentlastung und
Privatschulen moderneren und besseren                                                       nen diese Arbeitsweise anreichern, aber
                                               Schülerintegration Wichtig auch: Dieses
Unterricht böten. Das ist insofern ein                                                      nicht ersetzen.
                                               Miteinander- und Voneinander-Lernen
Missverständnis, als die meisten Privat-
                                               nützt erwiesenermaßen allen: den Schwä-
schulen bestenfalls kleinere Klassen,                                                       Inklusion, Abschaffung der Förderschulen.
                                               cheren wie den Stärkeren. Das zeigt so-
mehr Flexibilität und intensivere Betreu-                                                   Wie realistisch und bildungswirksam ist
                                               wohl die neuere Lernforschung als auch
ungsangebote in die Waagschale werfen                                                       diese Reforminitiative?
                                               die jüngsten PISA-Studie.
können. Der landläufige Unterricht ist in
der Regel kaum anders als in den staatli-
chen Schulen. Schließlich wirkt die Leh-
rerausbildung egalisierend. Andererseits
sind die Privatschulen einem erhöhten
Innovationsdruck ausgesetzt, wenn sie
sich auf dem Bildungsmarkt behaupten
wollen. Das betrifft gewiss auch die Lehr-
und Lernverfahren. Privatschulen, die hier
innovativ sind, können den staatlichen
Schulen schnell den Rang ablaufen.

Wie können bzw. sollten Lehrkräfte mit der
wachsenden Heterogenität in den Klassen
umgehen?
Die aktuellen Zauberworte heißen Indivi-
dualisierung, Differenzierung, Freiarbeit      Heinz Klippert: „Veränderungen brauchen wir vor allem im Unterricht selbst.“
und lehrerseitige Intensivbetreuung der                                                                    Fotos: GEW-Bildarchiv

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Schulen

Über die Notwendigkeit verstärkter In-        Fortbildungsveranstaltungen erzwingen        dass eine Gewerkschaft wie die GEW für
klusionsbemühungen muss sicher nicht          relativ vordergründige Instruktionen und     kleinere Klassen, bessere Lehrerversor-
länger gestritten werden. Die Frage ist       Aussprachen. Innovatives praktisches         gung, mehr Anrechnungsstunden, höhere
nur, in welchen Schritten und in welchem      Handwerkszeug der Lehrkräfte wird unter      Besoldung oder mehr Demokratie und
Umfang Inklusion tatsächlich gelingen         diesen Umständen viel zu wenig eingeübt.     Inklusion in der Schule eintritt. Nur: Die
kann. Die Behindertenrechtskonvention         Lehrertraining, Simulationsspiele, Work-     meisten dieser Forderungen verpuffen auf
der UN zielt auf ein Mehr an Teilhabe und     shops, Unterrichtsbesuche, Fallstudien       der Metaebene des bildungspolitischen
Menschenwürde, aber nicht um jeden            und andere Learning-by-Doing-Angebote        Schlagabtauschs. Das ist alles andere als
Preis. Von daher sind Behutsamkeit und        fehlen meist. Kein Wunder also, dass die     befriedigend.
Abwägen angezeigt. Uneingeschränkt op-        Unterrichtsentwicklung in den Schulen        Deshalb würde ich mir wünschen, dass
timistisch bin ich bei der Gruppe der lern-   wenig Schub erfährt. Hier muss die           die GEW sehr viel stärker als bisher auf
und verhaltensgestörten Kinder - Seh- und     Lehrerbildung dringend umsteuern und         die Verbesserung der konkreten Arbeits-,
Hörbeeinträchtigte eingeschlossen. Diese      bessere Vorleistungen erbringen.             Kooperations- und Fortbildungsbedin-
sind in der Vergangenheit oft vorschnell                                                   gungen der Lehrkräfte abstellt. Wie Uwe
auf Förderschulen abgeschoben worden.         Viele Lehrkräfte beklagen wachsende          Schaarschmitt in seinen diversen Studien
Ein Großteil dieser Kinder hat erhebliche     Belastungen im Schul- und Reformalltag.      zur Lehrergesundheit nachgewiesen
intellektuelle und sozial-emotionale          Wie ließe sich Lehrerentlastung erreichen?   hat, machen den Lehrkräften nämlich
Reserven und kann bei frühzeitiger För-                                                    vor allem die Friktionen und Störungen
                                              Die vorgebrachten Klagen sind in Teilen
derung und Integrationsarbeit sehr wohl                                                    im alltäglichen Unterricht zu schaffen.
                                              sehr berechtigt. Viele Reformen waren in
in der Regelklasse gehalten werden. Hier                                                   Von daher liegt es nahe, z.B. die unter-
                                              der Vergangenheit eher vordergründiger
macht das Zurückdrängen der Förderschu-                                                    richtszentrierte gewerkschaftliche Lehrer-
                                              und zeitintensiver Aktionismus. Da wur-
len also durchaus Sinn.                                                                    fortbildung gezielt auszubauen und dabei
                                              den in unzähligen Sitzungen abstrakte
Viel schwieriger wird es dagegen bei                                                       neue fortbildungsdidaktische Akzente
                                              Schulprogramme oder Leitbilder entwi-
jenen Kindern, die ausgeprägt geistig                                                      zu setzen und der Politik vorzuführen:
                                              ckelt, aufwändige Arbeitspläne erstellt,
oder auch mehrfachbehindert sind und                                                       Mehrtägige Seminare, Erfahrungslernen,
                                              schulinterne Evaluationen konzipiert
deshalb im gängigen Fachunterricht per                                                     Lehrertraining, kollegiale Supervision,
                                              oder vielfältige Pflichtfortbildungen zu
se nicht mitwirken können. Sie lediglich im                                                Bereitstellung bewährter Lehr- und Lern-
                                              den neuen Bildungsplänen oder sonsti-
Klassenzimmer sitzen und von speziellen                                                    hilfen, gemeinsame Unterrichtsvorberei-
                                              gen schulpolitischen Weichenstellungen
Förderkräften betreuen zu lassen, hat mit                                                  tung, Archivierung innovativer Stunden
                                              abgesessen. Ich verstehe gut, dass sich
ernsthafter Inklusion wenig zu tun. Viele                                                  usw. Da sind gewerkschaftliche Initiativen
                                              viele Lehrkräfte dadurch unnötig belas-
dieser Kinder sind in spezialisierten För-                                                 und Publikationen dringend vonnöten.
                                              tet oder auch frustriert fühlen. Was ich
derschulen sehr viel menschenwürdiger                                                      Wichtig wäre aber auch, dass die GEW
                                              allerdings nicht verstehe, ist, dass die
aufgehoben als in einer Regelklasse. Im                                                    gegenüber der Bildungspolitik und der
                                              Lehrkräfte so wenig gegen die unter-
Ausland kann man diese unverkrampfte                                                       Bildungsadministration vehementer
                                              richtlichen Belastungen angehen. Hier
Differenzierung der Förderangebote und                                                     als bisher für eine fokussierte Unter-
                                              sehe ich die größten Chancen. Entlastung
Fördereinrichtungen gut beobachten.                                                        richtsentwicklung eintritt und geeignete
                                              durch konsequente Methodenschulung,
Was dort geht, sollte auch bei uns mög-                                                    Rahmenbedingungen und Unterstüt-
                                              durch Teamentwicklung in den Klassen,
lich sein.                                                                                 zungsleistungen des Staates benennt
                                              durch verbindliche Regeln und Rituale,
                                                                                           und durchsetzt. Das betrifft die Lehrer-
                                              durch eingespielte Arbeitsabläufe und
Die Lehrerbildung müsste der Motor der                                                     ausbildung wie die Lehrerfortbildung, die
                                              Arbeitsroutinen – das alles reduziert den
Unterrichtsentwicklung sein. Inwieweit ist                                                 Lehr- und Lernmittelbeschaffung wie die
                                              Arbeitsstress für die Lehrkräfte. Die von
das der Fall und was müsste ggf. geändert                                                  Lehrerfreistellung, die Prüfungsverfahren
                                              mir entwickelten und publizierten Lern-
werden?                                                                                    wie die Schulleiterqualifizierung. Für viele
                                              spiralen und Trainingsspiralen sichern
                                                                                           Schulleiterinnen und Schulleiter wäre
Die Lehrerbildung erlebe ich selten als       derartige Entlastungseffekte. Ein weiterer
                                                                                           es gewiss hilfreich, zum Aufgabenfeld
Motor der Unterrichtsentwicklung. Das         Entlastungshebel ist die Lehrerkoopera-
                                                                                           Unterrichtsentwicklung ein mehrtägiges
gilt insbesondere für die Lehrerausbildung    tion. Das beginnt bei der arbeitsteiligen
                                                                                           Strategieseminar zu durchlaufen, um das
an den Hochschulen. Hier ist es nach wie      Unterrichtsvorbereitung im Rahmen
                                                                                           praktische Innovationsmanagement ge-
vor Usus, den erziehungs- und fachwis-        schulinterner Workshops und reicht über
                                                                                           nauer auszuloten. Dafür könnte sich die
senschaftlichen Überbau des Lehrerberufs      abgestimmte Lehr-, Lern- und Erziehungs-
                                                                                           GEW z.B. stark machen. Von daher spricht
zu skizzieren und die praktische Lehrer-      stile auf Klassen- und Schulebene bis hin
                                                                                           vieles dafür, dass die GEW gut daran tut,
arbeit eher zu vernachlässigen. Dieser        bis zu kooperationsfördernden Freistel-
                                                                                           die praktische Unterrichtsentwicklung
Abstraktismus der Lehrerbildung wird          lungs- und Unterstützungsmaßnahmen
                                                                                           verstärkt in den Blick zu nehmen und den
in der zweiten und dritten Ausbildungs-       der Schulleitungen.
                                                                                           Lehrkräften einen möglichst ermutigen-
phase zwar deutlich überwunden, aber
                                                                                           den Innovationsservice zu sichern.
auch in diesen Phasen kommt der Aufbau        Deine Empfehlungen an die GEW?
unterrichtspraktischer Handlungskom-                                                       Vielen Dank für das Gespräch.
petenzen häufig viel zu kurz. Zweistün-       Ich kann direkt beim Thema Lehrerentlas-
dige Seminare und halb- oder eintägige        tung anknüpfen. Natürlich verstehe ich,

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Schulen

Im Gespräch mit Landtagsparteien                                                         in Rheinland-Pfalz für den Schuldienst zu
                                                                                         interessieren.
Fachkräftemangel an Schulen im Fokus                                                     Zur Forderung der GEW nach einer
                                                                                         gerechten Besoldung für Grundschul-
Eine GEW-Delegation mit Carmen Zur-          Spanisch aufzuwerten, um die Sprache als    lehrkräfte nach A13 wurde kontrovers
heide, Stefan Jakobs und Klaus-Peter         2. Fremdsprache an rheinland-pfälzischen    diskutiert. Die GEW-Delegation hob die
Hammer hatte am 20.02.18 die Gele-           Schulen als verlässliches Angebot zu eta-   Wertigkeit professioneller Arbeit der
genheit, mit der bildungspolitischen         blieren, wie das die meisten Bundeslän-     Kolleginnen und Kollegen, u.a. im Umgang
Sprecherin der FDP-Landtagsfraktion,         der bereits tun. Nur so wird es auch für    mit Heterogenität, an unseren Grund-
Helga Lerch, ein ausführliches und sehr      ausgebildete Lehrkräfte interessant, sich   schulen hervor.
lebendiges Gespräch über die zentra-
len Forderungen der GEW zum Thema
Fachkräftemangel zu führen. Man war
sich darin einig, dass es in Rheinland-
Pfalz einen großen Nachholbedarf gibt,
um den Fachkräftemangel zu beheben.

Beide Seiten bekräftigten, dass es wichtig
sei, mit benachbarten Bundesländern
konkurrenzfähig zu bleiben, damit Ab-
wanderungen von Lehrkräften verhin-
dert werden können. Inwieweit die dazu
gehörenden Finanzmittel zur Verfügung
gestellt werden können, hängt nicht nur
von Entscheidungen des Landtags ab,
sondern auch von den Mitteln, die das
Land ggf. vom Bund erhalten wird, sollte
das Kooperationsverbot fallen.
Ein besonderes Anliegen von Frau Lerch
war die Aufwertung des Faches Spanisch
als 2. Fremdsprache in der Sekundarstufe
1. Auch aus Sicht der GEW ist es sinnvoll,

Großes Verständnis für GEW-Forderungen bei SPD
Christiane Grenda, Christiane Herz, Sabine   Dazu gehören ebenso die Schaffung von       Rheinland-Pfalz fest eingestellt werden
Weiland und Klaus-Peter Hammer führten       mehr Planstellen und eine fortlaufende      können. Hierzu gehöre auch die flexiblere
am 01.03.18 mit Vertreterinnen der SPD-      und flexiblere Einstellung während des      Anerkennung von 2. Staatsexamen von
Landtagsfraktion Bettina Brück, Giorgina     Schuljahres und eine deutliche Erhöhung     Bewerber/innen anderer Bundesländer.
Kazungu-Haß, und Dr. Anna Köbberling ein     der Beamtengehälter. Hier hatte die GEW     Jede Maßnahme, die dazu beiträgt, dass
Gespräch über den Forderungskatalog der      betont, dass man alles Erdenkliche unter-   sowohl schnellere als auch feste Einstel-
GEW zur Behebung des Fachkräfteman-          nehmen müsse, damit mehr Lehrkräfte in      lungszusagen gemacht werden können,
gels an rheinland-pfälzischen Schulen.

Die GEW-Vertreter/innen machten in dem
Gespräch deutlich, dass es sehr dringend
ist, dass die Landesregierung mehr Maß-
nahmen ergreift, um gegen den Fachkräf-
temangel an den rheinland-pfälzischen
Schulen vorzugehen, der in den nächsten
Jahren besonders an den Grundschulen
und Förderschulen gravierender werden
wird. Dringend seien Maßnahmen, die
dazu beitragen, dass weniger Lehrkräfte
in andere Bundesländer abwandern und
dass mehr Lehrkräfte nach Rheinland-
Pfalz kommen. So wäre z.B. die Erhöhung
der Anwärter/innenbezüge auf mindes-
tens 1.500 Euro ein richtiger Schritt.

GEW-Zeitung Rheinland-Pfalz 5-6 / 2018                                                                                         11
Schulen

sind richtige Maßnahmen. Man müsse kei-         Anerkennung des 2. Staatsexamens an-            Schulbereich sehen auch die Vertreterin-
ne Angst haben, dass auf einmal zu viele        derer Bundesländer. Bei der Abschaffung         nen der SPD-Landtagsfraktion dringenden
Personen über eine Planstelle eingestellt       von sachgrundlosen Befristungen im              Handlungsbedarf.			 pm
würden, da der Fachkräftemangel in den
nächsten Jahren immer größer werden
wird und wir froh sein können, so viele
ausgebildete Lehrkräfte wie möglich in
Rheinland-Pfalz zu halten.
Seitens der SPD hatte man großes Ver-
ständnis für die benannten Forderungen,
jedoch müsse man immer den Landes-
haushalt und die Schuldenbremse im Blick
haben. So sieht man z.B. so schnell noch
keine Möglichkeit, alle Lehramtsstudien-
gänge auf 10 Semester anzupassen, weil
es z.Z. nur schwer finanzierbar sei und
man die Finanzmittel für die Verbesse-
rung der pädagogischen Versorgung der
Schulen bräuchte.
Die GEW widersprach dieser Aussage, da
die Entwicklung in anderen Bundeslän-
dern eindeutig in Richtung Aufwertung           Auch mit Daniel Köbler, bildungspolitischer Sprecher der Landtagsfraktion der Grünen,
des Grundschullehramtes gehe und                kam es zu einem fachlichen Austausch. In einem konstruktiven Gespräch waren sich
sich Rheinland-Pfalz dem nicht entzie-          GEW und Grüne einig, dass der Fachkräftemangel besonders an Grund- und Förder-
hen könne. Unstrittig waren die GEW             schulen eines derzeit dringendsten Probleme ist. Der Beruf der Grundschullehrkraft
Forderungen bezüglich der flexibleren           muss dringend aufgewertet werden. Auch muss die Wechselprüfung zum Grundschul-
Wechselprüfungen und einer flexibleren          lehramt flexibilisiert werden.

GEW im Gespräch mit dem Institut für Lehrergesundheit
Etablierung eines präventiven Gesundheitsmanagements
„Wir sind uns einig im Ziel: Etablierung        se Rheinland-Pfalz in engem Kontakt, die        dem Schulträger vorgelegt, der diese auch
eines präventiven Gesundheitsmanage-            im Bedarfsfall mit herangezogen wird. Das       in Kopie an die Schulleitung weiterleitet;
ments in den rheinland-pfälzischen              IfL berät, unterstützt, gibt Hilfestellungen,   der örtliche Personalrat hat Anspruch
Schulen“, so die Vertretung der GEW und         aber letztlich ist die Dienststellenleitung     auf die gleiche Information. Sollte Be-
des Instituts für Lehrergesundheit. Unter       in der Verantwortung, die sie auch nicht        ratungsbedarf bezüglich der Interpreta-
Leitung von Prof. Dr. Letzel (IfL) und Dieter   wegschieben kann.                               tion der Messdaten und des möglichen
Roß (GEW) wurde in einem zweistündigen          Ausführlich wurde am Beispiel vermu-            Handlungsbedarfs bestehen, kann das IfL
Gespräch ausführlich über den Stand der         teter Schadstoffe im Schulgebäude und           helfen. Soweit Maßnahmen mit festgeleg-
Umsetzung des Arbeitsschutzgesetzes im          -gelände die professionelle Vorgehens-          ten Zeitperspektiven durchzuführen sind,
Schulbereich gesprochen.                        weise besprochen. Hier trifft die Verant-       muss die Schulleitung (gemeinsam mit
Es wurde erneut klargestellt, dass die Lei-     wortlichkeit der Dienststellenleitung und       dem örtlichen Personalrat) darauf achten,
tung einer Schule als Beauftragte des Bil-      mit der Zuständigkeit des Schulträgers          dass dies geschieht. Erforderlichenfalls
dungsministeriums verantwortlich ist für        zusammen, was die Angelegenheit nicht           kann die Schulleitung die ADD um Unter-
die Umsetzung des gesetzlichen Auftrags,        einfacher macht. Die Schulleitung oder          stützung ersuchen. Nach Durchführung
insbesondere für die Gefährdungsbeurtei-        der örtliche Personalrat in Absprache           einer Maßnahme ist es wichtig, diese ist
lung. Der örtliche Personalrat ist durch das    mit der Schulleitung meldet sich bei IfL        unter Einbezug der Schule zu evaluieren.
Landespersonalvertretungsgesetz (LPers-         und benennt die Besorgnisse bezüglich           Ist das vorgesehene Ergebnis eingetreten
VG) in der Lage, entsprechend initiativ zu      möglicher Schadstoffe. Am Runden Tisch          oder muss nachgebessert werden? Die
werden. Das IfL kann auf Anfrage bei der        unter Einbezug des Schulträgers wird das        Verantwortung der Schulleitung kann
Durchführung der Gefährdungsbeurtei-            Messprogramm bzw. werden die Mess-              nicht auf den Schulträger delegiert wer-
lung und den nachfolgenden Maßnahmen            programme abgesprochen, anschließend            den, sondern bleibt bei ihr.
zur Beseitigung bzw. Minimierung von Be-        vom Einrichtungsträger die geeignete            Die GEW und auch das IfL sehen die Not-
lastungen, Risiken und Gefährdungen Hil-        Fachinstitution mit den Messungen be-           wendigkeit, weiter gezielt Informations-
festellungen und Handlungsempfehlun-            auftragt. Die Auftragsausführung sollte         veranstaltungen für Schulleitungen und
gen geben. Dazu hat das IfL Instrumente         in guter Kommunikation mit der Schule           örtliche Personalräte anzubieten. Denn
entwickelt und ist auch mit der Unfallkas-      erfolgen. Die Ergebnisprotokolle werden         es gibt noch viele Schulen, bei denen eine

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Schulen

professionelle Gefährdungsbeurteilung
noch nicht stattgefunden hat. Das IfL
steht auf Anfrage für Info-Veranstaltun-
gen zur Verfügung. Es ist anzuraten, die
Wirksamkeit solcher Veranstaltungen zu
überprüfen.
Ausgehend vom Gesundheitsbericht für
das Schuljahr 2014/15 wird das breite
Dienstleistungsanbot des IfL seitens der
GEW positiv gewürdigt. Der Gesundheits-
bericht lässt erkennen, dass es zahlreiche
Ansatzpunkte gibt, die Verhältnisse zu
verbessern und auf Verhaltensänderun-
gen hinzuwirken. Man muss, so das IfL,
auf die einzelne Schule blicken, um genau
die Punkte zu benennen, bei denen beim
Verhalten und/oder den Verhältnissen
Verbesserungsbedarf besteht, und dort
muss der Wille vorhanden sein, das Er-
forderliche und Notwendige zu tun. Intern
macht das IfL das Bildungsministerium
auf Einzelpunkte aufmerksam, es sieht
sich aber nicht in der Lage, allgemeine
Empfehlungen - das rheinland-pfälzische
Schulsystem betreffend - zu geben. d.r.
                                             GEW und IfL im Gespräch					                                  Foto: Winfried Reinhard

GEW-Erfolg: Die neue Lehrkräfte-Wechselprüfungsverordnung
In mehreren Gesprächen forderte die          Unklar ist allerdings noch die Konzeption   zeitnah folgen, um dem Fachkräftemangel
GEW das Bildungsministerium nach-            der Ausbildungsinhalte an den Seminaren.    an Grundschulen entgegen zu wirken.
drücklich auf, Maßnahmen gegen den           Die GEW weist außerdem darauf hin,          Auch KollegInnen aus anderen Lehräm-
Fachkräftemangel an Grundschulen zu          dass - bezogen auf die Wechselprüfungen     tern mit erstem Staatsexamen sollte die
ergreifen. Es bestand Einigkeit, dass der    - für MentorInnen, FachleiterInnen und      Möglichkeit eröffnet werden, ins Grund-
Qualitätsanspruch an unterrichtende          WechselprüfungsanwärterInnen dringend       schullehramt zu wechseln. Durch Nach-
Lehrkräfte in der Grundschule nicht          Ermäßigungen des Stundendeputats ge-        qualifizierung - wie oben beschrieben
unterlaufen werden darf.                     währt werden müssen.                        - und anschließendem Absolvieren des
                                             KollegInnen anderer Lehrämter, die kein     Referendariates im Grundschulbereich
Von Seiten der GEW wurden konkrete           grundschulrelevantes Fach nachweisen        könnte dies ermöglicht werden.
Vorschläge gemacht, u.a. die Erleichte-      konnten, war die Zulassung zur Wechsel-     Insgesamt begrüßt die GEW, dass die
rung der Wechselprüfung für Lehrkräfte       prüfung an die Grundschule bisher nicht     Wechselprüfung derzeit einer umfäng-
aus anderen Lehrämtern angemahnt.            möglich. Auch hier hat das Bildungs-        lichen Überarbeitung unterzogen wird,
Nun hat das Bildungsministerium mit der      ministerium nachgebessert. Nun gilt         da wir weitere Änderungsbedarfe sehen.
beabsichtigten Änderung der Lehrkräfte-      der schwerpunktmäßige Einsatz in den        Darüber hinaus fordert die GEW in ihrem
Wechselprüfungsverordnung reagiert.          Fächern Deutsch oder Mathematik als         Katalog zur Behebung des Fachkräfteman-
Bisher konnten Lehrkräfte aus anderen        Vertretungslehrkraft an einer Grundschu-    gels u.a. die Bereitstellung von deutlich
Lehrämtern die Zulassung zur Wechsel-        le als Zulassungsvoraussetzung.             mehr Planstellen an Grundschulen, die
prüfung für das Lehramt an Grundschulen      Vertretungslehrkräfte anderer Schularten    gerechte Besoldung von Grundschullehr-
durch ein berufsbegleitendes Studium an      ohne Grundschulfach, die bereits Nachfra-   kräften, einheitliche Regelstudiendauer,
den Universitäten Landau oder Koblenz        gen gestellt hatten und eine Absage beka-   Einstellungen auch während des Schul-
erlangen. Die Standorte beider Univer-       men, ist es mit der Neuregelung möglich,    jahres sowie die Entlastung der Arbeit an
sitäten stellten auf Grund räumlicher        die Wechselprüfung für die Grundschule      Schulen. Wir werden zur Durchsetzung
Entfernungen oft ein Hindernis für am        zu machen.                                  unserer Forderungen auch weiterhin in
Grundschullehramt interessierte Kolle-       Mit den geplanten Maßnahmen des Bil-        der Diskussion mit den Verantwortlichen
ginnen und Kollegen dar. Hier soll jetzt     dungsministeriums ist der erste Schritt     im Bildungsministerium bleiben.
Abhilfe geschaffen werden: Die Qualifizie-   getan, um KollegInnen aus anderen Schul-     Für die Landesfachgruppe Grundschulen:
rung für das Grundschullehramt kann nun      arten für die Arbeit in der Grundschule         Carmen Zurheide und Martina Krieger
auch an den Studienseminaren erfolgen.       zu gewinnen. Weitere Schritte müssen

GEW-Zeitung Rheinland-Pfalz 5-6 / 2018                                                                                         13
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