MAGAZIN - Früh übt sich, wer mehrsprachig werden will KONZEPTE NACHRICHTEN PROJEKTE VERANSTALTUNGEN - ZMI Köln
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DEZEMBER 2017 MAGAZIN Früh übt sich, wer mehrsprachig Zeitschrift des Zentrums für Mehrsprachi gkeit und Integration Köln werden will KONZEPTE • NACHRICHTEN PROJEKTE • VERANSTALTUNGEN
Impressum Herausgeber: Redaktion: Editorial-Design, Satz & Layout: Peter Liffers, agentur für unternehmenskommunikation ZMI Rosella Benati www.liffers-webdesign.de Zentrum für Mehrsprachigkeit und Integration Jolanta Boldok c/o Ariane Schmid Bildnachweis: Diversity Titelseite: M. Kaleta, S. 2, 4 , 44 Pixabay, S.6-10 C. Kane, S. Kommunales Integrationszentrum Die Verantwortung für den Inhalt dieser Veröffentlichung liegt 17-18, 43 M. Kaleta, S. 19 A. Bresges, S. 21-23 N. Lang & E. Wall, S. 24-25 N. Brocca, S. 31 I. M. Maahs, S. 32-34, 37-41 Kleine Sandkaul 5 bei den Autorinnen und Autoren der jeweiligen Beiträge. C. Wengmann, S. 42 P. Meyermann. Alle übrigen Archiv des 50667 Köln Auflage 2.000 ZMI. www.zmi-koeln.de Köln, Dezember 2017 zmi-Magazin | 2017
Inhalt DEZEMBER 2017 MAGAZIN Leitwort 4 Früh übt sich, wer mehrsprachig werden will von Prof. Dr. M. Becker-Mrotzek, M. Höhne, N. Rehberg Wissenschaft und Forschung 6 Sprache, Migration, Gastfreundschaft – Forschung zu Sprachideologie und Mehrsprachigkeit von Fatou Cissé Kane & Prof. Dr. Anne Storch 11 Neu zugewanderte Kinder und Jugendliche in der Schule – ein Blick über den Tellerrand von Johanna Grießbach 13 Mehrsprachigkeit im Elementarbereich: Ansätze und Anregungen zur Weiterentwicklung sprachlicher Bildung von Christina Winter & Prof. Dr. Hans-Joachim Roth 15 Mit Kindern im Gespräch: Qualifizierung für eine durchgängige Sprachbildung im Elementar- und Primarbereich von Dr. Angie Lämmerhirt Praxis und Projekte: Aktuelles aus dem ZMI 17 Ferienschule für neu zugewanderte Schülerinnen und Schüler von Magdalena Kaleta 19 Mehrsprachigkeit in den MINT-Fächern Interview mit Prof. Dr. André Bresges von Rosella Benati 21 Interview mit den Kita-Leiterinnen Natalia Lang und Elvira Wall Das Interview führte Rosella Benati 24 AusgeFLIPPte Methode! Kann man mit Lernvideos die Differenzierung im Herkunftssprachlichen Unterricht fördern? Von Dr. Nicola Brocca Stadt und Land: Ideen und Projekte aus der Region 26 Mehrsprachigkeit in Kölner Kitas – wie wird sie umgesetzt? von Silvio Vallecoccia 28 Forum Accademico Italiano – Italienisches akademisches Forum, „Lingua è cultura / Spra- che ist Kultur“ Sprachwettbewerb für Schülerinnen und Schüler mit italienischen Wurzeln – eine Bilanz nach der IV. Edition des Projektes von Dott. Maurizio Libbi 30 Türöffner Deutsch als Zweitsprache. Ein Jahr Weiterbildungsstudium DaZ intensiv: Interview mit zwei Teilnehmerinnen. Die Fragen stellte Ina-Maria Maahs 32 … und plötzlich fliegt der Stift über das Papier! Das 5. Kölner Lesekonzert von Christiane Wengmann Das ZMI-Magazin ist die Zeitschrift des Zentrums für Mehrsprachigkeit und Integration Köln: Neue Publikationen im ZMI / Zuletzt erschienen ... 35 Aktuelle Neuerscheinungen, vorgestellt vom ZMI Veranstaltungen 37 Identitäten in Köln. Sprachfest des ZMI am 24. Januar 2017 42 Fortbildungstag Deutsch am 25. November 2017 43 Fachtagung „Herausforderung Sprache im Fachunterricht: Sprachliche Bildung als Quer- schnittsaufgabe der Fachdidaktiken“ Universität zu Köln am 8. September 2017 zmi-Magazin | 2017
4 mehrwert: Früh übt sich, wer m e h rs p ra ch ig w e rd e n w il l a Rehberg otzek, Manfred Höhne und Nin von Prof. Dr. Michael Becker-Mr zmi-Magazin | 2017
Leitwort 5 Viele Kinder aus zugewanderten Fami- lien wachsen mit zwei oder mehr Spra- chen in ihren Familienkonstellationen auf – für viele Familien ist das ganz nor- mal. Die Chancen diese Mehrsprachig- keit im Familien- und Bildungsalltag zu erlernen führen dann zu einer erfolg- reichen Bildungsbiografie, wenn Kinder ihre Sprachen altersgemäß und kom- petent beherrschen. Aus diesem Grund ist eine frühe Förderung der Mehrspra- Prof. Dr. Michael Becker-Mrotzek, LRSD Manfred Höhne Nina Rehberg chigkeit in der Kita so wichtig. Dienststelle Diversity, Stadt Köln Mercator-Institut, Universität zu Bezirksregierung Köln Mehr als die Hälfte der Kölner Kinder (52%) Köln im Alter bis zu 6 Jahren hat eine Zuwande- rungsgeschichte. Aus diesem Grund liegt dem alle Kita-Kinder profitieren, auch diejenigen, ein Abschied von bekannten Strukturen und ZMI - Zentrum für Mehrsprachigkeit und Inte- die in ihren Familien zunächst nur mit der Inhalten. Es erfordert große Unterstützungen, gration die frühe Sprachbildung einschließlich deutschen Sprache aufwachsen. damit der Übergang gelingen kann, um sich der Herkunftssprachen in Kölner Tageseinrich- In Köln gibt es 663 Kitas, davon 437 in frei- auf Neues einzulassen. Hierbei gilt es, die Er- tungen sehr am Herzen. Um die institutionelle er Trägerschaft und 226 städtische Kitas. Eine fahrungen und Erfolge der mehrsprachigen Förderung der Mehrsprachigkeit in der Stadt Vorreiterrolle in der mehrsprachigen früh- Früherziehung in das schulische Lernen zu in- Köln zu stärken, setzt sich das ZMI für den kindlichen Bildung und Erziehung spielen die tegrieren und die Sprachenvielfalt weiterhin für Ausbau von bilingualen Angeboten im Ele- Einrichtungen in freier Trägerschaft, die über die Entwicklungsförderung zu nutzen. mentarbereich ein, die die Herkunftssprachen langjährige und vielfältige Erfahrungen auf In der vorliegenden Ausgabe des ZMI Maga- der Kinder einbeziehen. Auch im Jahr 2018 hat diesem Gebiet bereits verfügen. Aber auch die zins befassen sich mehrere Beiträge mit dem das ZMI dieses Ziel vor Augen. Stadt Köln legt großen Wert darauf, dass die Thema Mehrsprachigkeit im Elementarbereich: In den Fachwissenschaften, in der politischen Familiensprachen der Kinder wertgeschätzt Christina Winter und Prof. Dr. Hans-Joachim Debatte und in der öffentlichen Diskussion und in unterschiedlichsten Formen in den Roth geben Anregungen zur Weiterentwick- besteht Einigkeit, dass der Erwerb des Deut- Alltag der städtischen Kitas einfließen. Aus lung der Sprachbildungsarbeit in Kitas. Dr. schen für eine erfolgreiche Bildungslaufbahn diesem Grund fördert sie die Einrichtung von Angie Lämmerhirt befasst sich mit passenden unverzichtbar ist. Die reale Mehrsprachigkeit mehrsprachigen Angeboten, indem auf die Professionalisierungsstrategien für die päd- vieler Kinder aus zugewanderten Familien mehrsprachigen Kompetenzen von Erzieherin- agogischen Fachkräfte im Elementarbereich. findet deutlich weniger Beachtung. Die früh- nen und Erziehern zurückgegriffen und allen Rosella Benati interviewt zwei Kita-Leitungen kindliche Bildung, Betreuung und Erziehung Fachkräften eine zusätzliche Qualifizierung an- zu ihren Erfahrungen mit mehrsprachiger Er- orientieren sich vielfach immer noch an einer geboten wird. Diese Aktivitäten finden im Zuge ziehung und Silvio Vallecoccia vergleicht die monolingualen, am Deutschen orientierten Pä- der Umsetzung des Konzeptes „Handreichung bilingualen Konzepte von Kölner Kitas. dagogik. Allgemein zugängliche Statistiken ge- zur Sprachförderung in städtischen Tagesein- Der Integrationsrat Köln setzt sich seit vielen ben keine zuverlässige Auskunft darüber, wie richtungen für Kinder“ statt. Auf Initiative des Jahren für die Anerkennung von Mehrsprachig- viele Kinder mehrsprachig aufwachsen oder Integrationsrates Köln wurden sie in diesem keit und die Förderung der natürlichen Mehr- Deutsch als Zweitsprache erwerben. Jahr ergänzt um die finanzielle Förderung des sprachigkeit bei der Stadt ein. Deshalb lud er In den Kölner Kindertageseinrichtungen (Ki- Ausbaus bilingualer Gruppen an städtischen mehrere Kitas in freier Trägerschaft und eine tas) ist Mehrsprachigkeit längst zur Normalität und nicht-städtischen Kitas nach Vorgaben städtische Kita sowie die Jugendverwaltung geworden. Es sind nicht nur die Kinder, son- des § 13 c des KiBiz Gesetzes zur alltagsinte- ein, über die bereits praktizierten Konzepte dern auch die pädagogischen Fachkräfte, die grierten Sprachbildung. Eine Weiterentwick- dieser Form der Erziehung zu diskutieren und über mehrsprachige Kompetenzen verfügen. lung von Konzepten zur Sprachförderung in über mögliche gemeinsame Aktivitäten nach- Die Eltern vermitteln ihren Kindern als primäre den Kitas, insbesondere unter ausdrücklichem zudenken. Der so gegründete Arbeitskreis Bezugspersonen in der Regel die Herkunfts- Einbezug der Mehrsprachigkeit, ist dringend „Herkunftssprachliche bilinguale Kitas in Köln“, sprachen der Familien. Die Kitas sind diejeni- notwendig. Die Haltung des pädagogischen in dem das ZMI mitarbeitet, bereitet eine Ta- gen Institutionen, die die Mehrsprachigkeit Personals spielt dabei eine wesentliche Rolle, gung zum Thema „Mehrsprachige Erziehung in der Kinder im Sinne einer gezielten, systema- ebenso die Professionalisierung der mehr- Kindertagestätten“ im Rahmen der Veranstal- tischen Sprachbildung fördern können. Hierzu sprachigen Erzieherinnen und Erzieher. Die tungsreihe „Mehrsprachigkeit im Gespräch“ gehört auch, den Eltern mögliche Ängste zu enorme sprachliche Vielfalt in Köln als Norma- vor. Von dieser Tagung sollen Anregungen vor nehmen, dass sich die frühe Förderung der lität soll sich in den Konzepten widerspiegeln. allem für diejenigen Kölner Kindertagesstätten Herkunftssprachen nachteilig auf den Erwerb Diese Konzepte sollten idealerweise auch den ausgehen, die den Weg der institutionellen frü- der deutschen Sprache auswirkt. Vielmehr Übergang aus der Kita in die Grundschule mit hen Förderung der Mehrsprachigkeit noch nicht können von einer mehrsprachigen Erziehung einbeziehen. Dieser Wechsel ist für das Kind beschreiten. zmi-Magazin | 2017
Sprache, Migration, Gastfreundschaft d Mehrsprachigkeit Forschung zu Sprachideologie un Anne Storch von Fatou Cissé Kane & Prof. Dr. Herr A. kommt aus Dakar und lebt seit einigen Jahren in Palma, wo er Souvenirs verkauft. Seine Kundschaft reist größtenteils aus Deutschland an, und so ist es für Herrn A. eine Notwendigkeit, Deutsch sprechen und verstehen zu können. Ein Händler muss seine Ware geschickt anbieten, sagt er, und dazu gehört eine gewisse sprachliche zmi-Magazin | 2017
7 Aus Wissenschaft und Forschung Seine Begegnungen wirken nicht immer so, als böten sie viel sprachlichen Austausch. Die Sprüche und Witze, die helfen, Kon- takt zum Kunden anzubahnen, sind vielmehr Teil eines Spiels, in dem man Figuren verkörpert, die andere in einem sehen mö- gen. Die sich entspinnenden Aufführungen und Darbietungen von Händler und Kunde spiegeln dann auch den Rassismus und die soziale Ungleichheit, die häufig zur Erfahrung von Migration gehört, aber das ist es eben nicht nur: Herr A. sagt, dass da ein Unterschied sei zwischen dem Spiel mit dem Bild, das andere von einem haben – dem Zerrbild des Subalternen, des Margina- lisierten – und der Eloquenz, die dennoch entstehen kann, wenn man nur eine Interaktion zulässt. Er und viele andere Migrantin- nen und Migranten aus Westafrika sprechen in diesem Zusam- menhang oft auch von Integration; wer bereit ist, sprachliches Wissen in Begegnungen, Darbietungen und Gesprächen zu tei- len und zu vermitteln, wer auch bereit ist, den anderen in aller Unvollständigkeit der Rede zu verstehen, integriert sich, macht Integration möglich. Migration, sagt Herr A., sei eine Erfahrung, die alle hier machten – die Händler, Touristen, Unterhaltungs- künstler sind am Ferienort alle irgendwie fremd, und es sei die Bereitschaft, miteinander in irgendeine Form von Gespräch ein- zutreten, auf die es hier ankäme. Sprache ist hier etwas funda- mental Gemeinschaftliches, und eine Sprache, die nicht geteilt wird, ist etwas unendlich Trauriges und Einsames. Es spielt dabei keine Rolle, ob jemand besonders gut und korrekt spricht, auch schreiben kann, oder ob improvisiert und fern von Standards und Normen kommuniziert wird; es geht darum, dass es zu irgendei- ner Form des Miteinanders kommen muss. Sprachliche Repertoires sind aus diesem Grund ungeheuer dy- namisch und veränderlich. Wir alle gewinnen stetig sprachliches Wissen dazu, vergessen und verlieren aber auch kommunika- tive Fähigkeiten. In verschiedenen afrikanischen sprachphiloso- Die Frauen von Neddo Ko Bandum phischen Konzepten wird dem oft mehr Bedeutung beigemes- sen als dem Starren, Permanenten in der Sprache – grammati- sche Strukturen, ein standardisiertes Lexikon – das europäische Sprachkonzepte prägt. Herrn A.s Ideen von Sprache als etwas Offenem, Geteiltem, stetig Wandelbarem spiegeln afrikanische Eloquenz. Auch das Spielen mit Sprache, das humorvolle Sprachkonzepte wider, die zusammen mit dem in der alten Hei- Inszenieren, die Improvisation, das Unvollkommene und mat erworbenen sprachlichen Repertoire mitgebracht werden. das Jonglieren mit verschiedenen Sprachen sind wichtig. Sprache, sprachliches Wissen und Sprachideologien gehören al- Herr A. spricht daher außer Wolof und Französisch auch so zusammen und prägen unseren Umgang mit Anderen, unsere noch Spanisch, Deutsch, Englisch, und Arabisch. Außer Reaktion auf das Fremde und unsere Art, das Unverständliche Spanisch, für das es ein Angebot an integrativen Sprach- zu deuten in unterschiedlicher Weise. Auf eine ironische Weise kursen für Migrantinnen und Migranten gibt, hat er sich bilden manche der auf Mallorca verkauften Motto-T-Shirts die alle Sprachen, die er nicht schon im Senegal gekonnt hat, Koexistenz dieser verschiedenen Konzepte ab: das Improvisierte, auf der Straße und in der Begegnung mit anderen Men- aber auch Selbstironische, Offene oder eben die Zurückweisung schen angeeignet. des Anderen, der vielleicht gar nicht dazugehört. zmi-Magazin | 2017
8 Aus Wissenschaft und Forschung Köln ist eine Stadt, in der viele Menschen aus Westafrika leben, deren Biografien von vielfältigen Bemühungen um linguistische Gastfreundschaft, Offenheit und Integration erzählen. Der Er- werb von Kenntnissen des Deutschen spielt dabei eine wichti- ge, aber nicht die einzige Rolle. Mehrsprachigkeit als eine Kultur- technik wird meist als Bestandteil erfolgreicher Migration aufge- fasst, und reiche sprachliche Repertoires werden um immer wie- der neue Sprachen und Register ergänzt. In einer Welt, in der Brüche, Entwurzelung und Migration eher die Normalität als die Abweichung in den Lebensrealitäten vieler Menschen darstellen, ist Mehrsprachigkeit eine entscheidende Fähigkeit, um sich im- mer wieder neu einfügen zu können. Dies hat durchaus einen produktiven Aspekt: für die Sozialgeschichte verschiedener Teile Afrikas ist die Strategie, Konflikte und Machtkämpfe durch Mig- ration zu beenden und sich auf immer wieder neue Orte und Kon- texte einzustellen, als eine sehr erfolgreiche und historisch alte Form der Organisation von Gemeinschaft beschrieben worden. Der Historiker Igor Kopytoff und seine Kolleginnen und Kollegen haben hier den Begriff ‚afrikanisches Grenzland’ (African Fron- tier) geprägt, um ein dynamisches, historisch reiches Bild afrika- nischer Geschichte zeichnen zu können, das dem Stereotyp vom ‚traditionellen’, unbeweglichen, ahistorischen Afrika, das seit der Kolonialzeit die Debatten prägt, etwas entgegensetzen zu kön- nen. Gemeinschaft und Identität sind flexibel und stellen ein ste- tiges Projekt der Konstruktion dar. Die immer wieder in neuen Konstellationen siedelnden Gruppen brachten meist ihre religi- ösen, sprachlichen und kulturellen Praktiken mit in die Gemein- schaften, denen sie sich anschlossen, waren aber auch auf das Erlernen neuer Praktiken angewiesen. ‚Sprache’ in so einem Kon- text ist also immer etwas Offenes, Flexibles, und Mehrsprachig- keit die Norm; das Sprechen möglichst vieler Sprachen ist dabei nicht so sehr eine Frage von Begabung oder Bildung, sondern vor allem alltäglich notwendige soziale Arbeit. Die enorme Dynamik von Sprache und Gemeinschaft ist dabei ein Motto-T-Shirt aus El Arenal Aspekt afrikanischer Sozialgeschichte, der deutlich macht, dass eine Unterscheidung von ländlichen und städtischen Sprachen und Gesellschaften auf einer eurozentrischen Perspektive ba- siert, die ignoriert, dass Gemeinschaften häufig anders gedacht Touristische Orte bieten eine ganz spezielle Bühne für die Darbie- werden als dies im Europa nach der Erfindung des Nationalstaats tung von kulturellen Unterschieden, Erfahrungen des Andersseins oft der Fall war und ist. Ländliche Gemeinschaften etwa im Se- und der Konstruktion von Identität. Im Alltag, zu Hause, sind die negal, so hat jüngst die in London tätige Afrikanistin Friederi- Räume, die all das zulassen oder sogar erfordern, seltener und ke Lüpke mit ihrem Team gezeigt, sind dynamische, globalisierte vielleicht auch kleiner. In unserer Forschung interessiert uns zum und von großer Diversität geprägte Gesellschaften, in denen es einen, welche unterschiedlichen Sprachkonzepte und sprachphi- alltäglich ist, sich in mehreren Sprachen zu bewegen; sie unter- losophischen Formen der Auseinandersetzung mit Kommunikati- scheiden sich in der Art, wie mit Mehrsprachigkeit und Migration on es gibt – wie werden Standards ausgehandelt, was ist Spra- umgegangen wird eigentlich nicht wesentlich von urbanen Ge- che überhaupt für unterschiedliche Menschen in unterschiedli- sellschaften des ‚globalen Nordens’. chen Gesellschaften? Zum anderen interessiert uns aber auch die Dies zeigt auch, dass ein wissenschaftliches Konzept wie et- Gestaltung alltäglichen Lebens und banale Praktiken im Kontext wa das der ‚Superdiversität’, das von Soziologen und Linguisten von Migration – wie werden verschiedene Sprachideologien in wie Steven Vertovec und Jan Blommaert seit etwa zehn Jah- Einklang gebracht, wie funktionieren linguistische Großzügigkeit ren als etwas für Metropolen Europas charakteristisches disku- und Gastfreundschaft? tiert wird, problematisch ist. Bei ‚Superdiversität’ geht es um zmi-Magazin | 2017
Aus Wissenschaft und Forschung 9 die Beobachtung, dass Migration in ur- Im familiären Kontext gibt es außerdem ein oder auch sich selbst zu integrieren. Mehr- bane Räume zu einer enorm komplexen starkes und aktives Bemühen, die Teile des sprachigkeit ermöglicht die Öffnung ge- Vielfältigkeit geführt hat, weil sämtliche sprachlichen Repertoires, die mit dem frü- genüber Anderen, und sie ist – wenn wir beteiligte soziale Gruppen dazu neigten, heren Leben in Westafrika verknüpft sind, zum Beispiel sprachliche Register wie Dia- sich auch intern stark zu diversifizieren, zu pflegen und den hier aufwachsenden lekt, Jargon, Standard usw. einbeziehen – nicht zuletzt auch in sprachlicher Hinsicht. Kindern zu vermitteln. Da es immer denk- immer ein Teil unserer Strategien um auf Gleichzeitig basieren diese Konzepte auf bar ist, dass man eines Tages zurückgeht, verschiedene Kontexte zu reagieren. Sprachideologien und soziolinguistischen dass man Ferien bei den Großeltern ver- In einer Stadt wie Köln, in der eine enor- Konzepten, die vor allem in Europa und bringt oder auch im Alltag digitalen Kon- me sprachliche Diversität existiert, ist die Nordamerika entwickelt wurden und zu takt mit der Familie halten möchte, ist das Gestaltung von Vereinsleben und Nischen denen es eine Vielzahl von Alternativen Sprechen in Wolof, Pulaar, Serer oder ande- wie Afroshops, Cafés und nachbarschaftli- gibt. Das erfährt man sowohl im Gespräch ren Sprachen vor Ort in Köln ein wesentli- chen Feiern ein wesentlicher Teil integrati- mit Menschen wie Herrn A. in einem ba- cher Teil der Pflege alter Bindungen. Die Al- ver Sprachpraxis: Hier wird in einem Um- nalen Kontext wie dem Massentourismus ternative wäre eine Sprachlosigkeit, die als feld, in das man sich über den Erwerb von als auch in der Untersuchung von Mehr- beschämend empfunden würde und dem Deutschkenntnissen und weiteren kommu- sprachigkeit und Migration vor Ort in Köln. gelebten Leben fremd. nikativen Fähigkeiten (Englisch, Franzö- Erklärungsansätze, was ‚Sprache’ in einem „Der übliche monolinguale Habitus und sisch, Arabisch, Türkisch, usw.) einfügt, der Kontext wiederholter Migration sein kann, diese starren Standards, das ist ein Kon- soziokulturelle Kontext zur Pflege sprachli- stellen oft Sprache als Mittel der Bindung zept, das im Grunde nur Intellektuellen ei- cher und persönlicher Bindungen an ande- an den alten Lebensmittelpunkt und zwi- gen ist, es ist kein Konzept, das ‚gewöhnli- re Orte und Menschen hergestellt. Integra- schenmenschliche Praxis und gemeinsa- che Leute’ haben“, schrieb der südafrikani- tion heißt explizit nicht die eigenen Werte mes Reden in den Mittelpunkt, und nicht sche Sprachpolitiker und Intellektuelle Ne- zu verlassen oder mitgebrachte sprachliche sprachliche Korrektheit und Struktur. Er- ville Alexander. Wenn wir genau hinsehen, Fähigkeiten zu verlieren. Ein Beispiel, wie fahrung mit sprachlicher Diversität und die hat Alexander Recht: diese starren Stan- Sprache, Migration und Gastfreundschaft Fähigkeit, individuelle Repertoires flexibel dards sind etwas für Fachtexte und Rund- die Basis für gemeinsame Vereinsaktivitä- immer wieder an neue soziolinguistische funknachrichten, aber sie interessieren uns ten bilden, ist der Verein Neddo Ko Ban- Kontexte anzupassen erleichtert aber nur in unserem Alltag nur bedingt. Sprache ist dum, der vor zwei Jahren offiziell gegrün- bis zu einem gewissen Grad den Zugang Gemeinschaft und das Sprechen mehrerer det wurde. Der Name ist Puular und bedeu- zu Ressourcen wie Jobs und Kontakte. Sprachen birgt immer auch Gastfreund- tet „die Person (aus dem Senegal) ist mei- Integrative Sprachkurse und Deutschun- schaft, die Fähigkeit andere einzuschließen ne Familie“. Der Verein wird ausschließlich terricht sind anders institutionalisiert und von aus dem Senegal stammenden Frauen, kulturell anders eingebettet als ‚normaler’, die sich aber gleichzeitig als Kölnerinnen alltäglicher Spracherwerb. Dadurch, dass betrachten, getragen. Die Frauen treffen außereuropäische Sprachkonzepte und sich weitaus länger als das Gründungsda- Sprachideologien kaum in solche Formen tum des Vereins vermuten lässt – seit über der Wissensvermittlung integriert werden, 20 Jahren einmal im Monat, um zu reden, wird der Erwerb des Deutschen mitun- Musik zu hören, zu kochen und zu essen, ter auch zu einer Erfahrung von Brüchig- und die „Seele baumeln zu lassen“. keit. Hier überlagern sich außerdem unter- Manchmal organisiert der Verein auch Fei- schiedliche Sprachideologien und soziolin- ern, so etwa zuletzt im Juli 2017 in Ehren- guistische Praktiken: während in der Schu- feld. Diesmal wurden nicht nur Freundinnen le oder im Integrationskurs eine am Stan- und Angehörige eingeladen, sondern auch dard orientierte Vermittlung von Sprache Kolleginnen und Bekannte, mit offizieller als etwas das ‚korrekt’ sein soll, vermittelt Einladungskarte und kleinem Eintrittsgeld. wird, bieten alltägliche Begegnungen und Auch diese Art von Feier erfordert eine ge- soziale Medien eine Arena, in der Spra- wisse sprachliche Eloquenz, genau wie bei chen fluide und nicht übermäßig vonein- Herrn A. im Partygeschehen von Palma. ander abgetrennt gebraucht werden dür- Allerdings geht es hier nicht um eine iro- fen. Wolof, Französisch und Deutsch wer- nisch gebrochene Performanz von Fremd- den in Textnachrichten so kombiniert, wie heit, sondern um eine Darbietung von Be- sie auch im alltäglichen Gespräch zuhause heimatung. Die Frauen präsentieren se- miteinander verwoben sind: Whatsapp aus Köln negalesische kulturelle Praktiken als eine zmi-Magazin | 2017
10 Aus Wissenschaft und Forschung Einladung zu Hiirde Realität ihres Alltagslebens in Köln und in Deutschland und im Senegal unterstüt- Akteurinnen auseinanderzusetzen, die betten Sprache über das kulinarische An- zen möchten. Sprache, Essen, politische sonst eher marginalisiert werden. gebot und die musikalische Gestaltung des und kulturelle Arbeit werden miteinander Abends wirkungsvoll ein. Es gibt Bissap verknüpft und erweisen sich als Teil eines (Hibiskusgetränk), Yassa (Hähnchen oder Ganzen, das Mehrsprachigkeit ebenso Fisch mit Zwiebelsauce) und Mafé (Erd- beinhaltet wie gastronomische Diversität nussauce mit Gemüse und Fleisch). Die und soziale Mobilität. Sprache und Reden Gespräche drehen sich um Worte und sind hier wie auch in Dakar oder Palma Speisen, während die laute Mbalax-Musik widersprüchliche und komplexe Begrif- Im Jahr 2017 hat Prof. Dr. Anne und senegalesischer Hip Hop durch die ge- fe, die verschiedene Deutungen zulas- Storch den renommierten Gott- öffneten Fenster in die umliegenden Eis- sen. Es ist eine wichtige Aufgabe der Lin- fried Wilhelm Leibniz-Preis für ihre dielen und Imbisse dringt. guistik, die unterschiedlichen Bedeutun- herausragenden Forschungslei- Die Vereinsarbeit von Neddo Ko Bandum gen und Auffassungen von Sprache ernst stungen erhalten. Das ZMI gratu- hinterlässt aber viele weitere Spuren; die zu nehmen und sich verantwortungsvoll liert Prof. Storch herzlich zu dieser Frauen sammeln Geld für Projekte, die sie auch mit dem Wissen von Akteuren und Auszeichnung. info Kontakt Fatou Cissé Kane, M.A. Institut für Afrikanistik und Ägyptologie Universität zu Köln Meister Ekkehard-Str. 7 50923 Köln madamesamate76@gmail.com Prof. Dr. Anne Storch Institut für Afrikanistik und Ägyptologie Universität zu Köln Meister Ekkehard-Str. 7 50923 Köln astorch@uni-koeln.de Yassa und Mafé zmi-Magazin | 2017
Aus Wissenschaft und Forschung 11 Am 16. und 17. März 2017 fand an der Universität zu Köln das Internationale Symposium Newly Arrived Migrant Children in Schools in Europe statt. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus sieben europäischen Ländern diskutierten mit den Vertreterinnen des Netzwerks „Neu zugewanderte Kinder und Jugendliche in der Schule“ an der Universität zu Köln über die Chancen und Herausforderungen des Schulbesuchs dieser Schülerinnen und Schü- ler, die ohne oder nur mit geringen Kenntnissen der jeweiligen Landessprache in die Schule kommen. Neu zugewanderte Kinder u nd Jugendliche in der Schule – ein Blick über den Tellerrand von Johanna Grießbach Wie werden neu zugewanderte Schülerinnen und Schüler in Im ersten Teil des Symposiums gaben die Teilnehmenden einen Schulen aufgenommen und unterrichtet? Seit der sogenann- Überblick über die Organisation des Unterrichts für neu zuge- ten Flüchtlingskrise wird dieser Frage hohe Aufmerksamkeit wanderte Schülerinnen und Schüler in ihrem Land. Darauf auf- geschenkt. Ein bundesweiter Überblick der Universität zu Köln bauend wurden im zweiten Teil übergreifende Themenfelder konnte zeigen, dass in deutschen Schulen unterschiedliche schul- identifiziert und Ideen für die weitere Zusammenarbeit entwi- organisatorische Modelle umgesetzt werden, je nach Bundesland ckelt. Zur Einbindung der schulischen Praxis war ein Lehrer eines und Schulform. Auch von Schule zu Schule gibt es Unterschiede, Kölner Gymnasiums eingeladen, um von seinen Erfahrungen aus denn die Schulen verfahren teilweise nach eigenen Konzepten, einer Internationalen Vorbereitungsklasse zu berichten. etwa in welchem Umfang die (additive) Förderung in Deutsch als Zweitsprache erfolgt, wie der Übergang von einer Vorbereitungs- Herausforderungen und Fragestellungen in eine Regelklasse organisiert wird oder welche Lernmaterialien sind ähnlich verwendet werden. Auf die Frage nach dem „Wie“ gibt es also zurzeit verschiedene Antworten. Es zeigte sich, dass Praxis und Wissenschaft in den beteiligten Orientierung kann ein Blick in die Schulsysteme anderer Länder Ländern trotz teilweise unterschiedlicher struktureller Rahmen- bieten: Wie nehmen die dortigen Schulen neu zugewanderte bedingungen vor ähnlichen Fragen stehen wie in Deutschland. Kinder und Jugendliche auf? Welche Konzepte und Unterrichts- Etwa, ob und wie lange es sinnvoll ist, die neu zugewanderten formen kommen zum Einsatz, und stehen Schulen und Lehrkräfte Schülerinnen und Schüler in separaten Klassen zu unterrichten. vor denselben Herausforderungen wie in Deutschland? Um diese Die Klassen werden von Lehrkräften durchaus als notwendiger, Fragen ging es beim Internationalen Symposium Newly Arrived geschützter Raum für die Kinder und Jugendlichen mit ihren sehr Migrant Children in Schools in Europe – Educational and Lingu- unterschiedlichen sprachlichen Kompetenzen, Lebensläufen und istic Perspectives. Das Netzwerk „Neu zugewanderte Kinder und (Lern-)Bedürfnissen angesehen. Andererseits wird aber auch be- Jugendliche in der Schule“ der Universität zu Köln hatte Wissen- fürchtet, dass separate Klassen womöglich zur Segregation der schaftlerinnen und Wissenschaftler unterschiedlicher Fachrich- Kinder und Jugendlichen beitragen, denn so gibt es weniger Ge- tungen aus Dänemark, Frankreich, Österreich, Schweden, Spa- legenheiten für den Kontakt zu gleichaltrigen Schülerinnen und nien, der Schweiz und dem Vereinigten Königreich zu Diskussi- Schülern, der eine wichtige Voraussetzung für die soziale Integ- on und Austausch eingeladen. Ziel war nicht nur der Blick über ration und auch für den Zweitspracherwerb ist. Welcher Weg nun den eigenen nationalen Tellerrand, sondern auch die Anbahnung der bessere ist – diese Frage konnte auf dem Symposium nicht möglicher Kooperationen. abschließend beantwortet werden. Vielmehr sind die jeweiligen zmi-Magazin | 2017
12 Aus Wissenschaft und Forschung Hintergrund Die eingeladenen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Zu den internationalen Gästen des Symposiums zählten Prof. Madeleine Arnot (Cambridge/Vereinigtes Königreich), Prof. Monica Axelsson (Stockholm/Schweden), Prof. Michael Beck (St. Gallen/Schweiz), Prof. Christine Hélot (Straßburg/Frankreich), Susanne Jacobsen Perez (Roskilde/Dänemark), Charo Reyes Izquierdo (Barcelona/Spanien) und Dr. Hannes Schweiger (Wien/Österreich). Das Netzwerk „Neu zugewanderte Kinder und Jugendliche in der Schule“ Das Netzwerk „Neu zugewanderte Kinder und Jugendliche in der Schule“ wurde 2014 gegründet und besteht aus zurzeit sechs Wissenschaftlerinnen, die in verschiedenen Instituten bzw. Arbeitsbereichen der Universität zu Köln tätig sind (Mercator-Institut für Sprachförderung und Deutsch als Zweitsprache, Zentrum für LehrerInnenbildung, Arbeitsbereich Interkulturelle Bildungsforschung der Universität zu Köln). Ziel des Netzwerks ist es, die schulische Situation neu zugewanderter Kinder und Jugendlicher daraufhin zu befragen, welche Beiträge vonseiten der Wissenschaft zu diesem Thema geleistet und wie Forschung, Praxis und (Bildungs-)Politik sinnvoll miteinander verzahnt werden können. Vor diesem Hintergrund realisiert es eigene Projekte wie z.B. Publikationen oder Veranstaltungen und initiiert Kooperationen. Das Symposium wurde aus Mitteln des Professorinnenprogramms II der Universität zu Köln finanziert. schulischen Rahmenbedingungen und wurde wiederholt deutlich, dass die Dis- wurde als gewinnbringend betrachtet. individuellen Umsetzungsweisen genau- kussion um neu zugewanderte Kinder Alle Beteiligten zeigten sich interessiert, er unter die Lupe zu nehmen, um daraus und Jugendliche in der Schule stark vom die Zusammenarbeit fortzusetzen. Wege oder Maßnahmen für eine erfolg- aktuellen gesellschaftspolitischen Diskurs reiche Eingliederung neu zugewanderter um (Flucht-)Migration im jeweiligen Land Schülerinnen und Schüler in das jeweilige beeinflusst ist. Schulsystem abzuleiten. Weitere Diskussionspunkte waren gezielte info Maßnahmen für die Gruppe der Schülerin- Erfolgreiches Format für nen und Schüler, die erst mit 14 Jahren den wissenschaftlichen oder älter ins neue Schulsystem eintreten Austausch und damit insgesamt weniger Zeit für eine schulische Integration und den Zweitspra- Die eingeladenen Expertinnen und Ex- Kontakt cherwerb haben. Auch diskutiert wurden perten bezeichneten das Symposium ab- Johanna Grießbach, M. A. Möglichkeiten der Unterstützung von schließend als erfolgreiches Format für Mercator-Institut für Sprachförderung und Schulen durch Externe, Erfahrungen mit den länderübergreifenden wissenschaftli- Deutsch als Zweitsprache der Einbindung der Herkunftssprachen, chen Austausch. Insbesondere die kleine Universität zu Köln Ansätze zur Zusammenarbeit von Schulen Gruppengröße und die damit verbundene johanna.griessbach@mercator. mit den Eltern sowie generell die Berück- Möglichkeit zu intensiven internationalen uni-koeln.de sichtigung familiärer Ressourcen. Dabei (und auch interdisziplinären) Diskussionen zmi-Magazin | 2017
Aus Wissenschaft und Forschung 13 Mehrsprachigkeit im Elemen tarbereich: Ansätze und Anregungen zu r Weiterentwicklung sprachlich er Bildung von Christina Win ter & Prof. Dr. Hans-Joachim Roth „Individuelle Mehrsprachigkeit ist ein Potenzial. Damit es sich nicht nur lebensweltlich, sondern auch in den Bildungsinstitutionen entfalten kann, bedarf es einer entsprechenden sprachlichen Bildung“ (Fürstenau 2011, 34). Durch Globalisierung, Mobilität und die zunehmende (Flucht-)Migration ist die Begegnung mit Mehrsprachigkeit alltäglich. Deshalb sind die Förderung mehrsprachiger Kompetenzen sowie die Schaffung günstiger Rahmenbe- dingungen für das Lernen und Leben in mehrsprachigen Konstellationen von zentraler Bedeutung. Damit eine erfolgreiche mehrsprachige Bildung erfolgen kann, reicht es nicht aus, die Förderung der Herkunfts- bzw. der Fa- miliensprache allein den Eltern zu übergeben. Vielmehr sind es die Bildungsinstitutionen von der frühen Kindheit an, die den Auftrag haben, mehrsprachige Bildung und Erziehung zu ermöglichen: „Zur Erfüllung des Bildungs- und Erziehungsauftrages gehört die kontinuierliche Förderung der sprachlichen Entwicklung. Sprachbildung ist ein all- tagsintegrierter, wesentlicher Bestandteil der frühkindlichen Bildung. […] Die Mehrsprachigkeit von Kindern ist anzuerkennen und zu fördern. Sie kann auch durch die Förderung in bilingualen Kindertageseinrichtungen oder bilingualer Kindertagespflege unterstützt werden“ (KiBiz § 13c Sprachliche Bildung, Absatz 1). Mit dem „Diskussionspapier Mehrsprachigkeit NRW – Ansätze Ansatzpunkte. Insbesondere unter Bezug auf den zunehmend und Anregungen zur Weiterentwicklung sprachlicher und kultu- geforderten Anspruch, Eltern als Partner in der institutionellen reller Vielfalt in den Schulen“ des Ministeriums für Schule und Erziehungs- und Bildungsarbeit wahrzunehmen (vgl. Stange u.a. Weiterbildung wurden die organisatorischen und didaktischen 2013; Roth 2013), wurden Programme entwickelt, welche die Be- Elemente für die schulische Bildung konzeptionell zusammen- rücksichtigung durch Migration bedingter Mehrsprachigkeit unter gefasst. Dieses lässt sich auf den Elementarbereich übertragen: Einbeziehung von Eltern vornehmen. Die Programme „Griffbe- Mehrsprachigkeit im Konzept der pädagogischen und sprachbil- reit“ und „RUCKSACK Kita“ (vgl. LaKI NRW) sind dabei explizit denden Arbeit zu verankern, bedeutet demnach, das Spektrum mehrsprachig angelegt und haben zum Ziel, die mehrsprachige der verfügbaren sprachlichen Kompetenzen bei Kindern und päda- Erziehung in den Familien zu fördern sowie die Kindertagesein- gogischen Fachkräften gleichermaßen zu erweitern, das sprachli- richtungen in ihrer migrationssensiblen Organisationsentwicklung che Selbstbewusstsein der Sprecherinnen und Sprecher verschie- zu unterstützen. Eingebunden in die Programme sind mehrspra- dener Sprachen zu stärken, sprachbildend und sprachsensibel im chige Personen, die als Multiplikatorinnen und Multiplikatoren Alltag zu agieren sowie insgesamt ein offenes Sprachenklima in nach dem Peer-Education-Prinzip Inhalte an die Eltern vermitteln der Kita zu schaffen (vgl. MSW NRW 2017, 7). und beratend agieren (vgl. Roth u.a. 2015, Terhart 2015). Während bereits im Kontext von schulischer Bildung aufgrund Trotz der Verunsicherung, die nach wie vor besteht, stellt der des Fremdsprachenangebots sowie des wachsenden Herkunfts- mehrsprachige Sprachenerwerb (simultan oder sukzessiv) für sprachlichen Unterrichts der Umgang mit Mehrsprachigkeit und Kinder in der Regel kein Problem dar. Vielmehr kann sich Mehr- sprachlicher Bildung präsent ist, so existiert diese Form institu- sprachigkeit fördernd auf die kognitive Entwicklung auswirken. tioneller Mehrsprachigkeit im Elementarbereich noch nicht. Si- „Stigmatisierungen können sich negativ auf die sprachliche cherlich steigt die Anzahl bilingualer Einrichtungen an (vgl. FMKS Entwicklung und das schulische Lernen auswirken; deshalb ist o.J.), dennoch sind Methoden mehrsprachiger sprachlicher Bil- eine anerkennende und wertschätzende Haltung gegenüber den dung noch weitgehend unbekannt (vgl. Roth u.a. 2016). Dies be- Kompetenzen von Kindern aus sprachlichen Minderheiten auch deutet nicht, dass keine Versuche zu mehrsprachiger Bildung und in einsprachigen Unterrichtskonstellationen eine Voraussetzung Förderung existieren. Hinsichtlich der Frage, wie die Berücksich- für Lernerfolge“ (Fürstenau 2011, 36f.). Um eine mehrsprachige tigung und Wertschätzung migrationsbedingter Mehrsprachig- Erziehung zu ermöglichen, bedarf es also entsprechender Rah- keit im Elementarbereich erfolgen kann, bestehen verschiedene menbedingungen: zmi-Magazin | 2017
14 Aus Wissenschaft und Forschung • Eine positive und wertschätzende Haltung gegenüber (migrati- Literatur: Fürstenau, S. (2011). Mehrsprachigkeit als Voraussetzung und Ziel schulischer Bildung. In: onsbedingter) Mehrsprachigkeit: Mehrsprachigkeit als Norma- Fürstenau, S. & Gomolla, M. (Hg.) (2011). Migration und schulischer Wandel: Mehrspra- lität und als Chance für jedes einzelne Kind begreifen chigkeit. Wiesbaden: Springer VS Verlag für Sozialwissenschaften, 25-50. • Die Anerkennung der sprachlichen Vielfalt Homepage Frühe Mehrsprachigkeit an Kitas und Schulen (FMKS) (o. J.). Verfügbar unter: http://www.fmks-online.de/ [25.07.2017] • Offenheit gegenüber Mehrsprachigkeit bei Leitung und päda- Homepage Landesweite Koordinierungsstelle der Kommunalen Integrationszentren gogischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Nordrhein-Westfalen (LaKI NRW) (o J.). Verfügbar unter • Wissen um heterogene Spracherwerbsverläufe, Mehrsprachig- http://www.kommunale-integrationszentren-nrw.de/ [25.07.2017] keit und Sprachdiagnostik bei pädagogischen Fachkräften Kinderbildungsgesetz (KiBiz) (2017). Gesetz zur frühen Bildung und Förderung von Kin- dern. Viertes Gesetz zur Ausführung des Kinder- und Jugendhilfegesetzes - SGB VIII - vom • Unterstützung durch pädagogische Fachkräfte in Bildungsein- 30.10.2007. Verfügbar unter: richtungen www.recht.nrw.de/lmi/owa/br_text_anzeigen?v_id=10000000000000000386 [25.07.2017] • Zwei- und mehrsprachige Ressourcen wie z.B. mehrsprachige Bücher Leist-Villis, A. (2016). Elternratgeber Zweisprachigkeit: Informationen & Tipps zur zweispra- chigen Entwicklung und Erziehung von Kindern. 7. Aufl., Tübingen: Stauffenburg Verlag. • Übereinstimmung in pädagogischer und sprachlicher Bildungs- Ministerium für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen (MSW NRW) arbeit (2017). Diskussionspapier Mehrsprachigkeit NRW – Ansätze und Anregungen zur Weiter- • Selbstsichere Eltern entwicklung sprachlicher und kultureller Vielfalt in den Schulen. Verfügbar unter: https:// www.uni-due.de/imperia/md/content/prodaz/msw-diskussionspapier-mehrsprachigkeit.pdf • Eine Kooperation zwischen pädagogischen Fachkräften und [25.07.2017] Eltern Reich, H. H. (2008). Sprachförderung im Kindergarten: Grundlagen, Konzepte und Materia- lien. Weimar u.a.: Verl. das Netz. • Ein anregungsreiches sprachliches Umfeld sowie reichhaltige Roth, H.-J. & Terhart, H. (Hg.) (2015). RUCKSACK. Empirische Befunde und theoretische Möglichkeiten, die Sprache(n) zu nutzen Einordnungen zu einem Elternbildungsprogramm für mehrsprachige Familien. Münster: Waxmann. Umsetzung und Weiterentwicklung mehrsprachiger pädagogi- Roth, H.-J. (u.a.) (2016). MehrKita - Mehrsprachigkeit in Kölner Kindertagesstätten. Universität zu Köln, Institut für vergleichende Bildungsforschung und Sozialwissenschaften, scher und sprachlicher Bildungsangebote im Elementarbereich Interkulturelle Bildungsforschung. Unveröffentlichter Forschungsbericht. sind zeitintensiv. Es handelt sich dabei um einen Prozess, in Roth, X. (2013). Handbuch Bildungs- und Erziehungspartnerschaft: Zusammenarbeit mit dem es zunächst darum geht, das pädagogische Fachpersonal, Eltern in Kita. Freiburg/Br.: Herder Verlag. Stange, W., Krüger R., Henschel, A. & Schmitt, C. (2013). Erziehungs- und Bildungspartner- die Eltern, aber auch die Kinder für mehrsprachiges Agieren zu schaften Grundlagen und Strukturen von Elternarbeit. Wiesbaden: Springer VS Verlag. sensibilisieren, zu überzeugen und dafür zu gewinnen. Jede ein- Tracy, R. (2008). Wie Kinder Sprachen lernen. Und wie wir sie dabei unterstützen können. zelne Kindertageseinrichtung hat grundsätzlich die Möglichkeit, 2. überarb. Aufl., Tübingen: Francke Verlag. ihr individuelles Profil der Mehrsprachigkeit zu erkennen, wert- zuschätzen und konstruktive Strategien der produktiven Berück- sichtigung der Sprachen für das Lernen und Leben in mehreren Sprachen zu entwickeln. Darüber hinaus ist es möglich, explizite mehrsprachige Modelle zu entwickeln und z.B. bilinguale Grup- pen anzubieten. Derzeit läuft ein Forschungsprojekt zum Thema „Sprachliche Bildung und Sprachförderung im Elementarbereich unter Berücksichtigung von Mehrsprachigkeit“, durchgeführt von Christina Winter, mit dem Ziel, mittels Beobachtungen und Inter- views in städtischen Kindertageseinrichtungen genauer zu erfas- sen, wie Sprachbildungskonzepte im Elementarbereich im Alltag funktionieren, wie Mehrsprachigkeit bereits berücksichtigt wird und wie das angesichts der konkreten Situation in den einzelnen info Kontakt Einrichtungen ausgebaut werden kann. Als Ergebnisse sollen Ge- Prof. Dr. Hans-Joachim Roth lingensbedingungen für mehrsprachige Sprachbildungsarbeit auf Universität zu Köln Humanwissenschaftliche Fakultät organisatorischer und auf didaktischer Ebene herausgearbeitet Interkulturelle Bildungsforschung Gronewaldstr. 2 | 50931 Köln und konzeptionell gebündelt werden; auf dieser Basis soll es Email: hans-joachim.roth@uni-koeln.de möglich werden, Empfehlungen für eine erfolgreiche Implemen- tierung mehrsprachiger Bildungsangebote zu formulieren. Die Un- Christina Winter tersuchung soll auf diese Weise einen Beitrag für eine migrations- Universität zu Köln sensible Organisationsentwicklung von Kindertagesstätten und Mercator-Institut für Sprachförderung und Deutsch als Zweitsprache | Triforum | damit einhergehenden Weiterbildungsmaßnahmen für bereits Albertus-Magnus-Platz | 50923 Köln Email: christina.winter@mercator.uni-koeln.de bestehende oder in Planung befindliche Einrichtungen leisten. zmi-Magazin | 2017
Aus Wissenschaft und Forschung 15 Mit Kindern im Gespräch: Qualifizierung für eine durchgängige Sprachbildung im Elementar- und Primarbe reich von Dr. Angie Lämmerhirt Die Bedeutsamkeit der kindlichen Sprachbildung und Sprachförderung ist unumstritten. Sprachkompetenz ist für die gesellschaftliche Teilhabe, den Erfolg in Bildung und Beruf unabdingbar. Aufgrund dessen gilt, je früher eine gezielte und bewusste Sprachbildung und Sprachförderung einsetzt, desto größer sind die Chancen die Ziele der heutigen Bildungsgesellschaft zu erreichen. Im Jahr 2014 hat das MFJKS des Landes Nordrhein-Westfalen mit In einem Bilderbuch ist ein Zebra abgebildet. Die pädagogische seiner Veröffentlichung „Alltagsintegrierte Sprachbildung und Fachkraft fragt Maja (4 Jahre), was dies für ein Tier sei und Maja Beobachtung im Elementarbereich – Grundlagen für Nordrhein- antwortet „Das ist ein Pferd.“ Westfalen“ eine Neuausrichtung der alltagsintegrierten Sprach- Wie würden Sie sprachlich auf Majas Antwort reagieren? Halten bildung vorgenommen. Demzufolge sollen DaZ-Kinder oder jene, Sie einen kurzen Augenblick inne und überlegen Sie sich mögli- die in spracharmen Verhältnissen aufwachsen, nicht mehr in che Reaktionen. additiven Settings, sondern alltagsintegriert in ihrer kindlichen Die Sprachförderkompetenz der pädagogischen Fachkraft zeigt Sprachentwicklung unterstützt werden. Zudem ist diese alltags- sich darin, inwieweit es ihr gelingt, für ihre Reaktion eine Äuße- integrierte Sprachbildung nicht mehr nur die Aufgabe einzelner rung zu wählen, die direkt an den Sprachstand des Kindes an- Sprachförderkräfte in Kindertageseinrichtungen, sondern die al- knüpft und das Kind sowohl zum Sprechen als auch zum Denken ler pädagogischen Fachkräfte. anregt. Allerdings wird unterschätzt, wie schwierig es ist, die dafür not- Ein Qualifizierungskonzept, das explizit auf den Erwerb und die wendigen Sprachförderstrategien zu erlernen und gezielt anzu- gezielte und bewusste Anwendung von Sprachförderstrategien wenden. Denn obwohl Video- und Beobachtungsstudien zeigen, in Schlüsselsituationen fokussiert, ist das Konzept „Mit Kindern dass sich Erzieher-Kind-Interaktionen durch eine geringe Anre- im Gespräch“ (Kammermeyer et al. 2017; 2014). Im Gegensatz gungsqualität (z.B. wenige offene Fragen stellen) auszeichnen zu anderen Qualifizierungen geht es darin nicht in erster Linie (vgl. Fried 2011; König 2009; Kammermeyer et al. 2011), äußern um die Vermittlung von Fachwissen in breiten Themenbereichen, pädagogische Fachkräfte, dass ihnen diese Sprachförderstrategi- sondern um den Erwerb von Handlungskompetenzen zum Ein- en bereits bekannt seien und sie diese einsetzen. satz von Sprachförderstrategien. Es wurde im Rahmen der Bund- Vor diesem Hintergrund werden Qualifizierungen benötigt, Länder-Initiative „Bildung durch Sprache und Schrift (BiSS)“ in denen pädagogische Fachkräfte darin unterstützt werden, (weiter-)entwickelt, in drei Bundesländern (Rheinland-Pfalz, Sprachförderstrategien gezielt und bewusst einzusetzen. Denn Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg) erprobt und wird die Qualität alltagsintegrierter Sprachbildung zeigt sich in der derzeit extern evaluiert. Anwendung der gezielt eingesetzten Sprachförderstrategien, mit Das Neue und Bedeutsame an diesem Qualifizierungskonzept denen Kinder zu lang anhaltenden Gesprächen herausgefordert „Mit Kindern im Gespräch“ ist, dass es bildungsstufenübergrei- werden und somit die kindliche Sprachbildung effektiv angeregt fend angewendet werden kann. Es umfasst den Elementar- und wird. Primarbereich und kann sowohl in der alltagsintegrierten Sprach- Hierzu folgend ein Beispiel: bildung als auch in der additiven Sprachförderung eingesetzt zmi-Magazin | 2017
16 Aus Wissenschaft und Forschung werden. Zugleich ist es für die Förderung von Kindern mit und Literatur ohne Deutsch als Erstsprache geeignet. Fried, Lilian (2011): Sprachförderstrategien in Kindergartengruppen – Einschätzungen Das Qualifizierungskonzept besteht aus drei Strategiemodulen und Ergebnisse mit DO-RESI. In: Empirische Pädagogik 2011, 25 (4), S. 543-562. (Frage- und Modellierungsstrategien, Strategien zur Konzeptent- Gruber, H. (2009): Situiertes Lernen. In: Arnold, K.-H./Sandfuchs, U./ Wiechmann, J. wicklung und Rückmeldestrategien) und fünf Situationsmodulen. (Hrsg.): Handbuch Unterricht (2., aktual. Aufl.) (S. 249-252). Bad Heilbrunn: Klinkhardt. Im ersten Schritt werden die Strategien systematisch eingeführt, Kammermeyer, Gisela/Roux, Susanna/Leber, Anja/Metz, Astrid (2017/in Vorbereitung): im Anschluss daran werden sie auf unterschiedliche Schlüsselsitu- Sprachförderung in Kitas. Evaluation eines Qualifizierungskonzepts für Erzieherinnen zur ationen übertragen. Die Strategien werden unterteilt in einfache Intensivierung der Erzieher-Kind-Interaktion. DFG-Abschlussbericht. Universität Koblenz- und komplexe Sprachförderstrategien. Die Schlüsselsituationen Landau. unterscheiden sich hinsichtlich des Grades ihrer Planbarkeit. Sie Kammermeyer, G./Roux, S./ King, S./Metz, A. (2014): Mit Kindern im Gespräch. reichen von der sehr strukturierten und planbaren Situation der Strategien zur sprachlichen Entwicklung von Kleinkindern in Kindertageseinrichtungen. Bilderbuchbetrachtung bis hin zu spontanen Sprechanlässen. Donauwörth: Auer Verlag. Übertragen auf das Zebra-Beispiel könnte der Einsatz von Rück- Kammermeyer, Gisela/Roux, Susanna/Stuck, Andrea (2011): Additive Sprachförderung meldestrategien wie folgt aussehen: in Kindertagesstätten – Welche Sprachfördergruppen sind erfolgreich. In: Empirische Je nach Sprachentwicklungsstand von Maja, kann die pädagogi- Pädagogik 25 (4), S. 439-461. sche Fachkraft entscheiden, ob sie eine einfache oder komplexe König, Anke (2009): Interaktionsprozesse zwischen Erzieherinnen und Kindern. Eine Rückmeldestrategie einsetzen sollte. Videostudie aus dem Kindergartenalltag. 1. Aufl. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissen- Falls sich Majas Sprachentwicklungsstand im Deutschen auf ei- schaften/ GWV Fachverlage, Wiesbaden (VS Research). nem niedrigen Niveau befindet, kann die pädagogische Fachkraft durch die Anwendung einfacher Rückmeldestrategien als Sprach- vorbild fungieren. In diesem Zusammenhang könnte sie die Äu- Weiterführende Literatur: „Mit Kindern Im Gespräch“ ßerung „Das ist ein Pferd.“ erweitern und ihr dadurch weitere Kammermeyer, G./Roux, S./ King, S./Goebel, P./Lämmerhirt, A./Leber, A./Metz, A./ Wörter anbieten: „Ja, ein Pferd mit Streifen ist ein Zebra.“ Papillion-Piller, A. (2017): Mit Kindern im Gespräch. Strategien zur sprachlichen Ent- Falls Maja in ihrer sprachlichen Entwicklung schon relativ weit wicklung von Kleinkindern in Kindertageseinrichtungen. Donauwörth: Auer Verlag. fortgeschritten ist, kann die pädagogische Fachkraft eine kom- Kammermeyer, G./Roux, S./ King, S./Goebel, P./Lämmerhirt, A./Leber, A./Metz, A./ plexe Rückmeldestrategie einsetzen. Hier eignet sich die Strategie Papillion-Piller, A. (2017): Mit Kindern im Gespräch Kita. Strategien zur sprachlichen „Denken sichtbar machen“: „Wie kommst du darauf, dass das Entwicklung von Kindern in Kindertageseinrichtungen. Donauwörth: Auer Verlag. ein Pferd ist?“. Anhand der darauffolgenden Antwort von Maja erhält die pädagogische Fachkraft einen Einblick in den dahin- Kammermeyer, G./Roux, S./ King, S./Goebel, P./Lämmerhirt, A./Leber, A./Metz, A./ terliegenden Denkprozess und kann die Informationen für den Papillion-Piller, A. (2017): Mit Kindern im Gespräch – Grundschule. Strategien zur weiteren Gesprächsverlauf nutzen. sprachlichen Entwicklung von Kindern in der Grundschule. Donauwörth: Auer Verlag. Wie das Beispiel zeigt, ist der gezielte Einsatz von Sprachför- derstrategien eine anspruchsvolle Aufgabe. Bewährt haben sich Qualifizierungen, die nicht nur „träges“ Wissen, sondern anwen- dungsbezogenes Wissen vermitteln (vgl. Gruber 2009). Hierzu eigenen sich zum einen Fortbildungen, die die Methoden des Situierten Lernens einsetzen (zum Beispiel mit Fallbeispielen und Videoanalysen arbeiten) und zum anderen inhaltsbezogene Coa- info chings, in denen pädagogische Fachkräfte ihr eigenes Sprach- handeln anhand einer videografierten Interaktion mit einem Kind gemeinsam mit der Referentin reflektieren. Kontakt Selbsteinschätzungen von pädagogischen Fachkräften am Dr. Angie Lämmerhirt Ende der Fortbildungsreihe im beschriebenen BiSS-Projekt zei- Universität Koblenz-Landau, Campus Landau gen eine Tendenz dahin, dass dies gelingt. Inwiefern diese Ein- Institut für Bildung im Kindes- und Jugendalter Arbeitsbereich Pädagogik der frühen Kindheit schätzungen auch dem tatsächlichen professionellen Handeln der Projekt BiSS - Bildung durch Sprache und Schrift pädagogischen Fachkräfte entsprechen und sich auf die kindli- (NRW) che Handlungsebene auswirken, werden die Ergebnisse der Eva- luationsstudie „allE - Gelingensbedingungen alltagsintegrierter August-Croissant-Str. 5 76829 Landau sprachlicher Bildung im Elementarbereich“ (unter der Leitung von Mackowiak/Koch/Löffler) sowie die Ergebnisse des DFG-Projekts E-Mail: laemmerhirt@uni-landau.de „Mit Kindern im Gespräch Ü3“ (unter der Leitung von Kammer- meyer/Roux) (vgl. Kammermeyer et al. 2017) hervorbringen. zmi-Magazin | 2017
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