ZERSTÖRERISCHE FISCHEREI - Warum schaffen wir es nicht, die Überfischung zu beenden? - Forum Umwelt & Entwicklung
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ZERSTÖRERISCHE FISCHEREI Warum schaffen wir es nicht, die Überfischung zu beenden? Gesunde Meere sind wichtig für uns alle. Doch zerstörerische Fischerei stellt für sie die größte Gefahr dar. Die Industrie und die Politik bringen mit Gier und Intransparenz das Ökosystem Meer in Gefahr. M illionen von Menschen in Europa und auf der beeinflussen oder gar zerstören. Die Fischerei hat ganzen Welt sind von gesunden Fischpo- die größte negative Auswirkung auf die Weltmeere. 1 pulationen abhängig. Ob als Lebensmittel Um diese in Europa zu minimieren, trat 2013 die re- oder als Bestandteil von intakten Meeres- formierte Gemeinsame Fischereipolitik (GFP) der ökosystemen – Fische sind wichtig für die Meere und Europäischen Union (EU) in Kraft. Damit verpflich- fürs Klima. Die Hälfte des Sauerstoffs, den wir atmen, teten sich alle Mitgliedstaaten der EU, die europäi- stammt aus dem Meer. 30 Prozent des Kohlenstoff- schen Fischpopulationen wiederaufzubauen, indem dioxids und 90 Prozent der überschüssigen Wärme, die Überfischung und die Rückwürfe ungewollter die aus der Klimakrise resultieren, wurden von den Fische auf See bis 2020 beendet werden sollten. Die Weltmeeren bereits absorbiert. Diese Schutzfunktion heutige Situation, sechs Jahre später, ist ernüchternd. der Meere gegenüber den Folgen des Klimawandels Die EU-Mitgliedstaaten, darunter auch Deutschland, kann nur aufrechterhalten werden, wenn wir gesunde sind ihrer Verpflichtung nicht nachgekommen. Die Meeresökosysteme erhalten. Trotzdem gibt es immer Überfischung und illegale Rückwürfe sind noch im- noch viele Faktoren, die unsere Meereswelt negativ mer Realität. Warum? 12 Schwerpunkt
Paul Einerhand/Unsplash Fanggrenzen hinter verschlossen Türen Empfehlungen letztlich bei mehr als 40 Prozent der Die Entscheidung, wie viel Fisch aus den europäi- Fangbeschränkungen überschritten. Die Transparenz schen Meeren gefangen werden darf, wird jedes Jahr und der Prozess der Entscheidung bei den AgriFish für rund 130 Fischpopulationen getroffen. Der Pro- Verhandlungen wurden 2019 von der zuständigen zess beginnt damit, dass die EU-Kommission den EU-Ombudsfrau untersucht und als mangelhaft ein- Internationalen Rat für Meeresforschung (ICES) gestuft. 2 Die Empfehlung an den Ministerrat lautete, beauftragt, wissenschaftliche Empfehlungen für dass Dokumente, die über den Entscheidungsfin- nachhaltige Fanggrenzen für die kommerziell ge- dungsprozess informieren, rechtzeitig öffentlich zu- nutzten Fischpopulationen zu erstellen. Diese stellen gänglich gemacht werden sollten. Bisher ist das nicht die wissenschaftliche Grundlage für den Vorschlag passiert. über die Fangmengen für das nächste Jahr dar, den die EU-Kommission ihren Mitgliedsstaaten unterbrei- Verschwendung von Leben tet. Die Mitgliedstaaten legen dann in ihren alljährli- Zu allem Überfluss werden ungewollte Fische, die chen Ministerratstreffen (auch AgriFish genannt) die zu klein oder nicht lukrativ sind, auf See meistens zulässigen Gesamtfangmengen fest. Während der tot oder sterbend zurückgeworfen. Schätzungen AgriFish-Treffen verhandeln die Kommission und aus dem Jahr 2011 zufolge handelt es sich um 1,7 die EU-FischereiministerInnen oft die ganze Nacht Millionen Tonnen ungewollter Fische und Meeres- hinter verschlossenen Türen. Für die Öffentlichkeit lebewesen in der EU-Fischerei pro Jahr. 3 Um dieser und Umweltverbände wie die Deutsche Umwelthil- Verschwendung von Leben ein Ende zu setzen, trat fe ist kaum nachvollziehbar, welche EU-Länder die von 2015 bis 2019 schrittweise das Rückwurfverbot Überfischung unterstützen. in Kraft. Alle Fische, für die eine Fangquote gilt, Nach EU-Recht sollten alle europäischen Fischbe- müssen nun mit an Land gebracht werden, um sie stände maximal nach dem höchstmöglichen Dauer- zu dokumentieren. So soll sichergestellt werden, ertrag (Maximum Sustainable Yield – MSY) befischt dass nur die Fische im Netz landen, die auch gewollt werden. In der Realität wird der MSY als Startpunkt sind. Außerdem sollte dadurch der Einsatz selekti- für die Verhandlungen genutzt und nicht als Ober- ver Fanggeräte gefördert werden. Jeder EU-Mitglied- grenze. Bereits im ersten Schritt der Entscheidungs- staat, so auch Deutschland, ist für die Überwachung findung – der Vorschlag der Kommission – wurden aller Fischereiaktivitäten und die Einhaltung dieses die wissenschaftlichen Empfehlungen im vergange- Rückwurfverbots verantwortlich. Doch die Kont- nem Jahr in einigen Fällen überschritten. Trotz der rollen sind nicht ausreichend. FischerInnen, die ge- rechtsverbindlichen Verpflichtung, die Überfischung setzeswidrig handeln, müssen somit keine Strafen bis 2020 zu beenden, wurden die wissenschaftlichen befürchten. Die Umstellung auf umweltschonendere Forum Umwelt & Entwicklung –Rundbrief Rundbrief1/1/ 2020 2020 13
und selektivere Fanggeräte hat genauso wenig funk- Was muss getan werden? tioniert wie Umsetzung des Rückwurfverbotes. Viele × Die FischereiministerInnen müssen den wissen- Untersuchungen haben gezeigt, dass elektronische schaftlichen Empfehlungen des ICES bei der Fest- Überwachung von Schiffen am besten geeignet ist, legung der Fangquoten folgen. um die Fischereiaktivitäten auf See zu kontrollieren. × Umweltorganisationen müssen die gleichen Zu- Was bisher fehlt, ist der politische Wille, dies umzu- gangsrechte für Fischereiverhandlungen erhalten setzen. wie die Industrie. × Fischereisubventionen für die zerstörerische Indus- Wer sind die großen Fische in Deutschland? 4 triefischerei müssen beendet werden. Die gesamte deutsche Fischereiflotte besteht aus ins- × Die deutsche Ratspräsidentschaft muss für mehr gesamt 1.329 Schiffen. Davon sind 80 Prozent (ca. Transparenz bei den Fischereiverhandlungen sor- 1.100 Schiffe) kleine Kutter. Sie machen jedoch nur gen und sicherstellen, dass alle Dokumente der vier Prozent des Gesamtfangs in der deutschen Fi- Kommission sowie der Mitgliedstaaten öffentlich scherei aus. 5 Im Vergleich dazu besteht die deutsche gemacht werden und Live-Übertragungen der Rats- Hochseefischereiflotte aus nur sieben Industrieschif- sitzungen stattfinden. fen (sogenannte Trawler; das macht ein halbes Prozent der deutschen Flotte aus), die jedes Jahr fast die Hälfte Dr. Katja Hockun der deutschen Fänge anlanden. Fünf der sieben Hochseetrawler gehören einem Die Autorin ist Projektmanagerin für Meeresnaturschutz bei niederländischen Familienunternehmen, Parlevliet der Deutsche Umwelthilfe e. V. und koordiniert die Our Fish- & van der Plas (P & P). P & P ist weltweit aktiv und Kampagne in Deutschland hat in den letzten Jahrzehnten eine aggressive Ex- pansionsstrategie verfolgt. 1986 gründete P & P die erste Tochtergesellschaft in Deutschland. Durch einen 1 IPBES (2019): Summary for policymakers of the global effektiven Ausbau ihres Monopols in der deutschen assessment report on biodiversity and ecosystem services of the pelagischen Hochseefischerei hat P & P die Kontrolle Intergovernmental Science-Policy Platform on Biodiversity and über einen großen Teil des deutschen Fischereikontin- Ecosystem Services. gentes übernommen, erzielt mehr als 40 Prozent der 2 Recommendation, Case 640/2019/FP. October 2019 – Institution Einnahmen aus den angelandeten Fischen der deut- concerned Council of the European Union schen Flotte und hat einen Jahresumsatz von über eine https://www.ombudsman.europa.eu/en/recommendation/ Milliarde Euro. Im Jahr 2017 verfügte Parlevliet schät- en/120761. zungsweise über 100 Prozent der deutschen Quote für Makrelen und Blauen Wittling und über 64 Prozent 3 COM (2011): Commission Staff Working Paper Impact Assessment der deutschen Heringsquote (sowohl Hering als auch accompanying the document Commission proposal for a Makrele sind derzeit überfischt). Regulation of the European Parliament and of the Council on Die P & P-Flotte erhielt zwischen 1994 und 2006 the Common Fisheries Policy [repealing Regulation (EC) N° Subventionen in Höhe von über 37 Millionen Euro 2371/2002]. von Deutschland und der EU, um ihre Flotte zu mo- 4 Our Fish (2019): From commons to companies: How Germany dernisieren und die größte Fischverarbeitungsfabrik handed over its fishing sector to Europe’s biggest fishing der EU, Euro-Baltic auf Rügen in Sassnitz, zu errich- company. https://our.fish/wp-content/uploads/2020/03/ ten. VertreterInnen von P & P behaupten, dass diese How-Germany-handed-over-its-fishing-sector-to- Fischverarbeitungsfabrik den lokalen Ostseefischern Europe%E2%80%99s-biggest-fishing-company.pdf. zugutekommen. Jedoch wird dort fast ausschließlich 5 Thünen-Institut: Die Deutsche Fischereiflotte: Wenige Große Und Hering aus der Nordsee verarbeitet. Die Fischverar- Viele Kleine, https://www.thuenen.de/de/thema/fischerei/die- beitungsfabrik verstärkte den politischen Einfluss deutsche-fischereiflotte-wenige-grosse-und-viele-kleine/. Parlevliets auf regionaler und föderaler Ebene. Das Unternehmen unterhält enge Kontakte zum Bundes- landwirtschaftsministerium und auch zur Bundes- kanzlerin. P & P durfte sogar an der Sitzung des EU- AgriFish-Rates teilnehmen. Hierzu gaben sie sich als PressevertreterInnen aus. Auch bei den für deutsche Fischerei sehr wichtigen Verhandlungen mit Norwe- gen ist Herr Parlevliet neben IndustrievertreterInnen aus Spanien und Dänemark Teil der EU-Delegation. Umweltverbänden wird seit Jahren der Zugang zu diesen Treffen verweigert. Schätzungen zufolge er- zielte P & P in 2017 allein aufgrund der zu hohen Fangquoten in Deutschland zusätzliche Einnahmen in Höhe von 2,6 Millionen Euro für Hering, Makrele und Kabeljau. 14 Schwerpunkt
RUNDBRIEF Forum Umwelt und Entwicklung 1/2020 V E R M A R K TE TE M E E RE WER VERDIENT AN DER ZERSTÖRUNG DER OZEANE? EIN TECHNOFIX SEEMANN, FOLLOW THE ZERSTÖRERISCHE LASS DAS TRÄUMEN! FÜR DAS KLIMA? PLASTIC MONEY! FISCHEREI Die Interessen hinter dem Das Meer als Arbeitsplatz Wer profitiert von der Warum schaffen wir es nicht, die Überfischung zu beenden? Geoengineering im Meer Verschmutzung der Meere? › Seite 23 › Seite 26 › Seite 12 › Seite 2 ISSN 186 4-0 982
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