ZIVILGESELLSCHAFTLICHES ENGAGEMENT IST UNVERZICHTBAR - Neustart
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report 2021 HBF / Lechner ZIVILGESELLSCHAFTLICHES ENGAGEMENT IST UNVERZICHTBAR NEUSTART: Sehr geehrter Bun- sehen der Person zu erfolgen. Das Werden definierte Regeln des despräsident, nach wie vor gibt es Ziel aber sollte sein, die Person, Zusammenlebens in einer Ge- in der Bevölkerung die landläufige die die Regeln verletzt hat, wieder Einstellung „Strafe muss sein“. in die Gesellschaft zurückzuholen, sellschaft gebrochen, kommt Muss Strafe sein? Wenn ja, was zu resozialisieren. Da kommt dem es zu Sanktionen. Eine demo- soll damit erreicht werden? Ab- Verein NEUSTART eine eminent kratische Gesellschaft behält schreckung, Resozialisierung ...? wichtige Rolle zu, die er auch gut erfüllt. dabei die Resozialisierung im Alexander Van der Bellen: Jede Auge, aber auch die Sozialpoli- Gesellschaft definiert für sich Null Toleranz, Sühne, Rache Regeln des Zusammenlebens sind Begriffe, die nach schweren tik, meint Österreichs Bundes- und definiert auch die Grenzen Straftaten öffentlich regelmäßig präsident. des Zulässigen. Wer diese Grenze gefordert werden. Sollen eine de- überschreitet, wird in irgendeiner mokratische Gesellschaft und ihre Bundespräsident Univ.-Prof. Dipl.- Form sanktioniert, um diese Regeln Politikverantwortlichen damit auf Volkswirt Dr. Alexander Van der durchzusetzen. In einer demo- Kriminalität reagieren? Bellen im Interview mit NEUSTART kratischen Gesellschaft hat dies Pressesprecher Andreas Zembaty. unvoreingenommen und ohne An- Wichtig ist, dass eine Gesellschaft
HBF / Lechner ÖSTERREICH report 2021 die Sicherheit haben muss, dass Verbotsübertre- es gar nicht zu Straftaten kommt. Wenn jeman- tungen wirksam geahndet und in rechtsstaatlich des Kinder nichts zu essen haben, dann ist ein einwandfreien Gerichtsverfahren beurteilt wer- Essensdiebstahl zumindest nachvollziehbar den. Der Gedanke, dass man an einem Straf- und könnte durch eine gute Mindestsicherung täter Rache übt, ist eines Rechtsstaates nicht verhindert werden. Eine wirksame Sozialpolitik würdig. Auch die immer wieder erhobene Forde- verhindert aber etwa nicht groß angelegte Wirt- rung nach strengeren Strafen angesichts einer schaftskriminalität oder Korruption. schweren Straftat ist teilweise problematisch. Die Erhöhung des Strafmaßes allein vermag Täter oft Rund 600 hauptamtliche und 1.000 ehrenamt- nicht von Straftaten abzuhalten. Das haben die liche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter betreu- Erfahrungen der Vergangenheit gezeigt. en jährlich im Rahmen von NEUSTART rund 37.000 Menschen, die von Kriminalität betroffen Andererseits hat zum Beispiel die Diversion sind. Täterinnen, Täter und Opfer. Manche se- durchwegs positive Folgen. Auf das förmliche hen das als eine Spielwiese für „Gutmenschen“. Strafverfahren für die Täterin oder den Täter wird Wie schätzen Sie dieses zivilgesellschaftliche zugunsten etwa einer gemeinnützigen Leistung Engagement ein? verzichtet, durch die eine Täterin oder ein Täter zugleich die Verantwortung für ihre oder seine Mit dem Begriff Gutmensch kann ich nichts Tat übernimmt. Die Tat scheint damit in keinem anfangen. Was wäre das Gegenteil? Dieses Leumundszeugnis auf, was sich positiv auf die zivilgesellschaftliche Engagement ist unverzicht- Resozialisierung auswirkt. bar. Ich lese in den Gnadenverfahren immer wieder, dass bedingte Entlassungen unter der „Die effizienteste Kriminalpolitik ist eine wirksame Auflage erfolgen, dass die Hilfe von NEUSTART Sozialpolitik.“ Wie beurteilen Sie dieses Postulat? in Anspruch genommen wird. Ein Staat muss Vorkehrungen dafür treffen, Diese Einrichtung ist daher ein ganz wesentlicher dass Zustände nicht derart eskalieren, dass Bestandteil einer erfolgreichen Resozialisierung. Menschen eine Straftat als Ausweg ansehen. Daher auch herzlichen Dank an alle hauptamtli- Es braucht geeignete Hilfestellungen – und das chen und ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und kann eine wirksame Sozialpolitik sein – , sodass Mitarbeiter von NEUSTART. 2
www.neustart.at DAS JAHR 2021: EINE HERAUSFORDERUNG Die Arbeitsschwerpunkte für Es galt in dieser Phase eine Vielzahl an un- mittelbaren Problemen zu lösen. Das betraf das Jahr sind geplant, die Ver- beispielsweise auf Saison im Tourismus befindli- anstaltungen organisiert, die che Klientinnen und Klienten, die von einem Tag auf den anderen ihre Arbeit beenden mussten Umsetzung zahlreicher span- und ohne unmittelbare Wohnmöglichkeit vor der nender Neuerungen ist ange- Obdachlosigkeit standen. Oder Fußfesselträger, bei denen wegen Arbeitsplatzverlustes die Frage laufen oder in Vorbereitung. bestand, ob sie in Haft in die Justizanstalt müs- sen. Viele von Staatsanwaltschaft oder Gericht angeordnete Maßnahmen, wie etwa die gemein- Und dann ist alles ganz anders gekommen. nützigen Leistungen in Alters- und Pflegeheimen, Oder wie John Lennon es ausgedrückt hat: mussten abgebrochen und das weitere Vorge- „Life is what happens to you while you‘re busy hen mit der Justiz festgelegt werden. making other plans“. Ab Mitte März 2020 musste die gesamte Arbeit binnen weniger Tage Die Tage im März 2020 waren eine einzigar- und ohne Vorbild tige Zeit des internen Zusammenhalts, der grundlegend anders Zusammenarbeit mit Staatsanwaltschaften, „Im Lockdown wurde prompt organisiert werden. Gerichten, Ländern und dem Bundesministeri- auf gesetzlich notwendige Bereits in der ersten um für Justiz. Zahlreiche Maßnahmen wie etwa Aussendung an alle Fristerstreckungen beim Tatausgleich oder bei Änderungen reagiert.“ Mitarbeiterinnen den gemeinnützigen Leistungen benötigten eine und Mitarbeiter gesetzliche Grundlage, die mit großem Prob- zu Covid-19 wurde festgelegt, welche zwei lemverständnis von der Straflegistiksektion des Prämissen für die Pandemie handlungsanleitend Justizministeriums in kürzester Zeit ausgearbei- sein werden: für unsere Klientinnen und Klien- tet und vom Parlament beschlossen wurde. ten da zu sein und unserem Betreuungsauftrag im Interesse der Gesellschaft nachzukommen; Bereits Ende April fanden Schritt für Schritt sowie gleichzeitig den Schutz der Gesundheit in wieder alle Betreuungen im persönlichen Kontakt unserer Organisation zu gewährleisten. In den unter gleichzeitig zahlreichen Sicherheits- ersten Tagen des Lockdowns waren alle Klientin- maßnahmen statt. Auch wenn die proaktiven nen und Klienten anzurufen, um die Situation zu telefonischen Kontakte von den Klientinnen und klären und die weitere Betreuung abzustimmen. Klienten als Zeichen der Aufmerksamkeit in der Was möglich war, sollte kurzfristig telefonisch er- Krise positiv erlebt wurden, braucht Sozialar- folgen. Ausnahmen stellten gewisse Risikogrup- beit mittel- und längerfristig den persönlichen pen wie sehr rückfallgefährdete Personen dar. Kontakt. INHALT Herausforderung 2021 37.106 Klientinnen und Klienten Salzburg: Täterarbeit Seite 3 Seite 12 Seite 19 Justiz und Budget Befragungsergebnisse Kärnten: Bewährungshilfe Seite 5 Seite 14 Seite 20 Gewaltprävention Zivilgesellschaft Oberösterreich: Opferschutz- Seite 6 Seite 15 einrichtungen | Seite 21 Terrorismus Wien: Anti-Gewalt-Training Tirol: Tatausgleich Seite 7 Seite 16 Seite 22 Fußfessel Niederösterreich und Burgenland: Vorarlberg: Jugendbegleitung Seite 8 Ausstiegsbegleitung | Seite 17 Seite 23 Betreuen während der Pandemie Steiermark: Dialog statt Hass Soziale Medien Seite 10 Seite 18 Seite 24 3
ÖSTERREICH report 2021 Die Pandemie stellt für viele unserer Klientinnen lichen Qualität, die uns von den finanziellen und Klienten eine emotionale und wirtschaftliche Ressourcen her möglich ist, alles zu tun, damit Existenzkrise dar, die es zu meistern gilt und für die Täterin oder der Täter wieder Fuß fasst und die es verlässliche und engagierte Betreuung mit einer neuen Perspektive ihr oder sein Leben braucht. Für all das, was hier rasch und unkom- künftig ohne Kriminalität meistert. Bislang waren pliziert mit hoher Lösungskompetenz möglich beziehungsweise sind insgesamt 119 Täterinnen war, möchten wir uns bei den Mitarbeiterinnen und Täter wegen dieses Delikts in Betreuung. und Mitarbeitern im Bundesministerium für Die meisten der bisher abgeschlossenen Bewäh- Justiz, bei rungshilfebetreuungen (insgesamt 68) erfolgten den Staats- ohne neuerliche Straftat durch Aufhebung des „Wir brauchen weiterhin anwalt- Gerichts (73 Prozent) oder wegen Abschiebung eine gute Lösungskultur der schaften oder Wohnsitzwechsel ins Ausland (15 Prozent). sowie den Corona-Krise.“ Gerichten Der Anschlag in Wien führte dazu, alle unsere vor Ort und Standards intern zu überprüfen und zu hinterfra- auch bei etlichen Ländervertretungen ganz herz- gen. Darüber hinaus erfolgte eine Überprüfung lich bedanken. Was die Zukunft betrifft, dürften durch die von der Bundesministerin für Justiz uns in unserer Arbeit noch zahlreiche Heraus- und den Bundesminister für Inneres eingesetzte forderungen (etwa in Bezug auf die psychischen Untersuchungskommission. Durch den Unter- Auswirkungen der Corona-Krise oder die hohen suchungsbericht gab es keine Beanstandungen Arbeitslosenzahlen bei den von uns betreuten zur Arbeit von NEUSTART. Klientinnen und Klienten) in den nächsten Jahren bevorstehen. Um sie positiv zu bewältigen, Die Vorschläge der Kommission, wie zum braucht es weiterhin diese Lösungskultur. Bespiel gemeinsame Fallkonferenzen aller in die bisherige Arbeit mit dem Täter eingebundenen Institutionen, sind wichtig und würden für unsere TERRORANSCHLAG IN WIEN Arbeit zusätzliche Informationen zur Vermeidung von Rückfällen ermöglichen. Auch wenn ein Der schreckliche Terroranschlag am 2. Novem- Terroranschlag, so wie die Untersuchungskom- ber 2020 in Wien bedeutete für NEUSTART den mission in ihrem letzten Satz im Bericht ausführt, schlimmsten Rückfall eines aktuell betreuten niemals zur Gänze ausgeschlossen werden Klienten seit Jahrzehnten. Wir betreuen pro Jahr kann, so wäre es im Sinne von „das Bestmögli- rund 37.000 Menschen, darunter auch Täterin- che getan zu haben“ ein Meilenstein, wenn die nen und Täter, die sehr schwere Delikte began- Empfehlungen umgesetzt werden. gen haben. Uns ist bewusst, dass jeder Rückfall neuerliche Opfer und weiteres Leid bedeutet. – alfred.kohlberger@neustart.at – Daher ist es unser Anspruch, mit der bestmög- – christoph.koss@neustart.at – 4
www.neustart.at JUSTIZ: DEM „STILLEN TOD“ ENTKOMMEN „Ich würde sagen, die Justiz stirbt einen stillen Tod.“ (Die Presse vom 3.7.2019) Mit diesen drastischen, aber klaren Worten be- Mitarbeiter immer wieder vor große Heraus- schrieb der Justizminister der Übergangsregie- forderungen gestellt hat: Unsere Arbeit in den rung von Bundeskanzlerin Bierlein, Univ.-Prof. verschiedenen Leistungsbereichen, allen voran in Dr. Clemens Jabloner, den Zustand der Justiz, der Bewährungshilfe, aber auch im elektronisch den er in seiner Amtszeit vorgefunden hatte. überwachten Hausarrest, dem Tatausgleich, in der Haftentlassenenhilfe und anderen Bereichen Auch der Verein NEUSTART befand sich – als kann wieder besser mit der notwendigen (zeit- ein Teil der Justiz – in einem ähnlichen Zustand. lichen) Qualität durchgeführt werden. So wird Seit 2017 war das Budget nicht mehr valorisiert 2021 die Fallauslastung einer vollzeitbeschäftig- worden. Die allgemeinen Kostensteigerungen ten Mitarbeiterin oder eines Mitarbeiters in der durch zum Bei- Bewährungshilfe nach Jahren der Überschrei- spiel Indexierung tung in Richtung der im Bewährungshilfegesetz „Die Aufstockung des Bud- der Gehälter und vorgesehen 35 Klientinnen und Klienten sinken gets ermöglicht qualitative Mietpreissteigerun- können. gen mussten durch Verbesserungen.“ Personalkürzungen Das ermöglicht eine adäquate Betreuung, die und die Reduktion sich an den Rückfallrisiken und am Bedarf der der Betreuungsintensität in der Bewährungshilfe Klientinnen und Klienten orientiert. Damit kann abgefangen werden. Im damaligen Bericht war das von der Justizministerin vorgegebene Ziel die Rede davon, dass die Justiz etwas über 90 – sichere Wege aus der Kriminalität – bestmög- Millionen Euro pro Jahr zusätzlich benötigen lich unterstützt werden. Die größte absehbare würde, um den Status quo aufrechterhalten inhaltliche und finanzielle Herausforderung wird zu können. die dringend notwendige Reform des Maßnah- menvollzugs darstellen. So wie es derzeit aussieht, ist es mit diesen drastischen Worten und dem vorgelegten Wahr- Im Sinne eines menschenwürdigen und men- nehmungsbericht gelungen, eine Trendwende schenrechtskonformen Umgangs mit Perso- einzuleiten. Justizministerin Dr. Alma Zadić konn- nen, die mit einer psychischen oder geistigen te in der Budgetdebatte im Nationalrat im Mai Erkrankung straffällig geworden sind, sind große 2020 eine Aufstockung des Budgets bekanntge- Änderungen in diesem Bereich unumgänglich. In ben. Davon konnte auch der Verein NEUSTART der Budgetdebatte des Justizausschusses vom profitieren. Wir haben im Jahr 2020 unseren 10. November 2020 wurde die Reform als ein Personalstand gehalten und werden diesen im Schwerpunkt im Jahr 2021 angekündigt (Jus- heurigen Jahr sogar leicht ausbauen können. tizbudget wird um 65,8 Mio. Euro aufgestockt (PK-Nr. 1165/2020, parlament.gv.at)). Damit wird möglich, was in den vergangenen Jahren unmöglich schien und den gesamten – alfred.kohlberger@neustart.at – Verein, vor allem aber die Mitarbeiterinnen und – christoph.koss@neustart.at – 5
ÖSTERREICH report 2021 BERATUNGS- STELLE FÜR GEWALTPRÄ- VENTION Die häusliche Gewalt ist im Die weggewiesenen Personen werden gesetz- Jahr 2020 wieder gestiegen, lich dazu verpflichtet sein, diese Beratung in Anspruch zu nehmen. Ihr Ziel ist es, zu einem das legt die Anzahl der ver- sofortigen Gewaltstopp beizutragen und Verhal- hängten Betretungs- und tensänderungen dieser Personen anzustoßen. Außerdem soll eine weitere Eskalation der Situ- Annäherungsverbote nahe. ation verhindert werden. In den für die Beratung vorgesehenen sechs Stunden wird ein Teil davon möglich sein. Wichtig ist es allerdings auch, eine Die Opfer sind fast ausschließlich weiblich, die länger anhaltende Veränderungsmotivation bei Gefährder fast immer männlich. Dieses Thema den Gefährdern zu entwickeln und sie zu moti- muss die gesamte Gesellschaft in Österreich vieren, weiterführende Angebote wie Männerbe- interessieren und beschäftigen. Die Gewalt- ratungen, Anti-Gewalt-Trainings und ähnliches schutzgesetze, die es in Österreich gibt, sind in Anspruch zu nehmen, um eine nachhaltige grundsätzlich gut ausgebaut, dennoch sinkt die Wirkung erzielen zu können. Zahl der Betretungs- Eine Zusammenarbeit mit den Opferschutzein- „Die Beratungsstelle für Ge- und Annäherungs- verbote nicht. Die im richtungen muss insbesondere in Risikofällen waltprävention schließt eine Opferschutz tätigen stattfinden, um bestmöglichen Schutz des Organisationen (Ge- Opfers zu installieren. Mit der Etablierung dieser Lücke im Gewaltschutz.“ waltschutzzentren, Beratungsstellen wird eine wesentliche Lücke im Wiener Interventions- Gewaltschutz in Österreich geschlossen. stelle gegen Gewalt in der Familie, Frauenhäu- ser…) fordern seit langem eine bessere Finan- – alfred.kohlberger@neustart.at – zierung, mehr Sensibilität und gegebenenfalls – christoph.koss@neustart.at – Strenge seitens der Justiz. Ein weiterer Bereich, durch den ein Beitrag zur Reduktion der häus- lichen und familiären Gewalt geleistet werden kann, wurde im Nationalrat im Herbst 2019 auf den Weg gebracht und soll ab September 2021 umgesetzt werden. Ab dann werden Bera- tungsstellen für Gewaltprävention österreichweit aufgebaut, um die Beratung von weggewiesenen In den Paragrafen 278 b-g des österreichischen Straf- Personen (vorwiegend Männer) zu übernehmen. gesetzbuchs (StGB) sind terroristische Handlungen als strafbar definiert. Dazu zählen die Führung einer oder Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung (§ 278b StGB), die Begehung von in § 278c StGB fest- FACTSHEET gelegten terroristischen Straftaten, Terrorismusfinan- Gewalt an Frauen und Mädchen in Österreich.pdf zierung (§ 278d StGB), Ausbildung für terroristische www.aoef.at Zwecke (§ 278e StGB), Anleitung zur Begehung einer 6
www.neustart.at RADIKALISIERTE, EXTREMISTISCHE MENSCHEN BETREUEN Seit 2015 wurden vermehrt reich gut auf die Betreuung solcher Personen vorbereitet zu sein. Deshalb stehen in allen Regi- Anschläge in Europa begangen onen aktuell 35 ausgebildete Spezialistinnen und (Charlie Hebdo in Paris, Paris- Spezialisten zur Verfügung. Bataclan 2015, Nizza, Brüssel Die Ausbildung dieser Spezialistinnen und 2016, London, Manchester, Spezialisten legt die Schwerpunkte auf Dynamik Barcelona 2017...). der Radikalisierung und Bedrohungsmanage- ment, die Vermittlung eines Grundwissens über dschihadistische Ausprägungen des Islam, Spätestens seit damals steht das Thema ter- spezielle Risikoeinschätzung für diese Personen- roristische Bedrohung durch Dschihadisten im gruppe sowie die sozialarbeiterische Praxis der Fokus der Justiz- und Sicherheitsbehörden sowie Deradikalisierungsarbeit. Ergänzend zur Ausbil- der öffentlichen Aufmerksamkeit. Bereits 2015 dung finden jährliche Fachtage verbunden mit traf NEUSTART die Entscheidung, dass diese Fortbildungen zu aktuellen Themen und laufende Phänomene des Extremismus besondere Auf- Fachteams zum Austausch über Betreuungen merksamkeit erfordern. Bei den Klientinnen und statt. Betreut werden sowohl Personen, die Klienten handelt es bedingt verurteilt wurden als auch solche, die sich zum Großteil um „Lebbare Alternativen Personen, die eine bedingt aus der Haft entlassen wurden. Bei der Haftentlassung wird bereits vor der Entlassung sollen an Stelle der Radi- Ausreise für terroristi- gemeinsam mit dem Strafvollzug ein guter sche Zwecke geplant kalisierung treten.“ oder versucht haben Übergang von der Haft in die Freiheit vorberei- tet, da die Zeit nach der Entlassung bekanntlich oder sich in sozialen Gefahren in sich birgt. Medien strafbar gemacht haben. Die meisten sind wegen Führung einer oder Mitgliedschaft Die soziale Arbeit mit radikalisierten und ge- in einer terroristischen Vereinigung verurteilt waltbereiten extremistischen Personen bei worden. Deshalb werden bei NEUSTART Spe- NEUSTART ist Teil der österreichischen Stra- zialistinnen und Spezialisten für die Betreuung tegie zu Extremismusprävention und Deradika- dieser Klientinnen und Klienten ausgebildet. Der lisierung. Im Deradikalisierungsprozess leistet Schwerpunkt dieser Klientel liegt eindeutig in NEUSTART einen Beitrag mit der Arbeit an Wien. Weiters werden in der Steiermark und nachhaltiger Distanzierung von gewaltbereitem in Niederösterreich einige Fälle und in den Extremismus (Disengagement). Das geschieht anderen Bundesländern einzelne Fälle betreut. in Kooperation mit anderen Organisationen, die NEUSTART hält es für wichtig, in ganz Öster- beispielsweise auf die Arbeit mit Gegennarrati- ven zu gewalttätigen Auslegungen von Religion und Weltsicht spezialisiert sind. Hauptziel der diesbezüglichen Arbeit bei NEUSTART ist es, strafrechtlich relevante Einstellungen durch die TERRORISTISCHE HANDLUNGEN nachhaltige Erarbeitung von lebbaren Hand- lungsalternativen und Perspektiven positiv zu verändern. Wichtige Elemente dabei sind die terroristischen Straftat (§278f StGB) sowie Reisen für Stärkung des positiven sozialen Umfelds, Un- terroristische Zwecke (§ 278g StGB). 2015 waren es terstützung bei der Existenzsicherung, Klärung 17, in den Jahren 2018 und 2019 je 32 Verurteilungen. des Aufenthaltsstatus, Arbeit an Selbstbild und Bei NEUSTART befinden sich seit 2015 regelmäßig Identität, Deliktverarbeitung, Biographiearbeit mit zwischen 50 und 75 Personen größtenteils in Betreuung Fokus auf Schlüsselerlebnissen und Radikalisie- der Bewährungshilfe, aber auch der Haftentlassenenhilfe rungsprozess sowie die Risikoeinschätzung. beziehungsweise in Einzelfällen im elektronisch über- wachten Hausarrest. – bernhard.glaeser@neustart.at – 7
ÖSTERREICH report 2021 GEFÄNGNIS IM KOPF „Nach einer Woche habe ich zugsform bewähren wird und es war eine wenig bekannte Möglichkeit. Dennoch gelang es, dass zwar die Fußfessel am Bein sich Ende des Jahres 2010 bereits 75 Personen nicht mehr wahrgenommen, im elektronisch überwachten Hausarrest befan- den. Zehn Jahre später hat sich die Zahl mehr als dafür hatte ich sie 24 Stunden vervierfacht. im Kopf“, erzählt Herbert F., In den Medien sind oft nur die Rückfälle oder Ver- nachdem er zwei Monate die stöße von Personen im elektronisch überwachten Fußfessel trägt. Hausarrest sichtbar. Tatsächlich ist die Rückfall- quote während des elektronisch überwachten Hausarrests sehr niedrig. 2020 wurden zwölf Prozent vorzeitig abgebrochen. Die Gründe dafür waren Abbruch durch die Klientin oder den Kli- Herbert F. beschreibt mit diesem Satz das gefühl- enten, Arbeitsverlust, Wohnungsverlust, Alkohol te „Gefängnis im Kopf“. Die Türen stehen offen oder Drogenkonsum. In nur 1,5 Prozent der Fälle und dennoch dürfen sie nicht durchschritten wurde der Hausarrest aufgrund des Verdachts werden. Der elektronisch überwachte Hausarrest einer neuerlichen Straftat widerrufen. erfordert ein hohes Maß an Selbstdisziplin der Fußfessel-Trägerinnen und -Träger. Der Tages- Wir sehen in der Betreuung aber auch all die ablauf ist fix geplant, in einem sogenannten persönlichen Erfolge, die für die Öffentlichkeit Aufsichtsprofil festgehalten und verbindlich für nicht zugänglich sind: Zum ersten Mal konnte die überwachten Personen. Die Unterkunft darf eine Arbeitsstelle über mehrere Monate behalten nur für Beschäftigung, Einkäufe und Arztbesu- werden; aufgrund des Alkoholverbots und der che verlassen werden. Die Fußfessel wird immer Kontrolle ist es gelungen, keinen Tropfen Alkohol getragen und ermöglicht eine Überwachung des über die gesamte Zeit im elektronisch überwach- Aufenthalts rund um die Uhr. ten Hausarrest zu trinken; die Beziehung zu den Kindern hat sich durch das große Ausmaß an Herbert F. hat die Fußfessel vor mittlerweile zehn Zeit zu Hause verbessert; Konflikte in der Bezie- Jahren getragen und seine Strafe in dieser Form hung wurden nun ausgesprochen, da es nicht vollzogen. Im September 2010 wurde in Öste- mehr möglich war, das Haus einfach zu verlas- reich erstmals einer verurteilten Person eine Fuß- sen; jeden Tag in der Früh aufzustehen war vor fessel angelegt und die Strafhaft im Rahmen des der Fußfessel für viele unvorstellbar, ebenso wie elektronisch überwachten Hausarrests vollzogen. die Disziplin, die das Befolgen des detaillierten Viele waren damals skeptisch, ob sich diese Voll- Wochenplans erfordert. 8
www.neustart.at BEREITS ÜBER 7.000 MENSCHEN MIT FUSSFESSEL In zehn Jahren wurden mit Stichtag 1. September 2020 7.043 Personen aus dem elektronisch überwachten Hausarrest entlassen und monatlich werden durch- schnittlich 75 Fußfesseln angelegt. Allein diese Zahlen zeigen den Erfolg der Vollzugsform. All diesen Personen wurde die Möglichkeit gegeben, zumindest einen Teil der Strafe in den eigenen vier Wänden zu verbüßen, wäh- rend dieser Zeit einer Beschäftigung nachzugehen und den Kontakt zum sozialen Umfeld aufrechtzuhalten. Alle Personen, die die Haft in dieser Vollzugsform vollzie- hen, werden von Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern betreut. NEUSTART wurde 2010 mit der Erhebung und der Betreuung beauftragt. Anträge für den elektronisch überwachten Hausarrest werden uns zugesendet und wir berichten nach einem ausführlichen Erhebungsver- fahren über die Eignung der Personen für den elektro- nisch überwachten Hausarrest. Nach positiver Entscheidung der Justizanstalt betreuen wir die Personen. In der Betreuung wird der Alltag mit der Fußfessel besprochen und die Zeiten für An- und Abwesenheit festgelegt. Gemeinsam mit den Personen wird das Delikt ausführlich besprochen, Risikosituationen werden identifiziert und Handlungsalternativen entwi- ckelt. Zahlreiche internationale Studien berichten von der Wichtigkeit der Betreuung im elektronisch überwachten Hausarrest. So war es auch für Andrea H., eine Klientin, die wegen eines Raubüberfalls zu zwei Jahren unbe- Auch die regelmäßige Befragung der Personen nach dingter Haft verurteilt wurde. Frau H. hatte zum Ende der Betreuung bestätigt die wichtige Rolle durch Zeitpunkt ihrer Inhaftierung in der Justizanstalt die Betreuung. Schwierigkeiten können besprochen bereits zwei Kinder werden, Krisen bearbeitet und somit auch Abbrüche (5 und 8 Jahre) und verhindert werden. „Die geforderte Disziplin ist hat während der Haft für viele äußerst schwierig ihr drittes Kind zur Welt gebracht. Die einzuhalten.“ älteren Kinder waren bei der Mutter der Klientin untergebracht, das Jüngste mitinhaftiert. Die Kinder- und Jugendhilfe unterstützte den den Staat durch vermiedene Haftkosten, dass Antrag auf elektronisch überwachten Hausar- der elektronisch überwachte Hausarrest eine rest aufgrund der Wichtigkeit für das Wohl der Erfolgsgeschichte ist. Wir befürworten deshalb Kinder, sowohl für die beiden Älteren, als auch die Ausweitung. Es benötigt allerdings Begleit- für das Kleinkind. maßnahmen, um die Erfolge des elektronisch überwachten Hausarrests fortsetzen zu kön- Die Kinderbetreuung bot ausreichend Tages- nen. International hat sich ein Stufenmodell bei struktur und Frau H. verbüßte den Hausarrest längerem Hausarrest bewährt. Bei gutem Verlauf in der Wohnung der Mutter gemeinsam mit den können die Zeiten außerhalb der Unterkunft drei Kindern auf sehr beengtem Raum. Frau erweitert werden. H. setzte sich während der Zeit im elektronisch überwachten Hausarrest intensiv mit ihrer Delikt- Zusätzlich bestätigen zahlreiche Studien sowie geschichte auseinander. Die Schuldensituation Rückmeldungen der Klientinnen und Klienten, wurde geregelt und eine Suchttherapie wurde dass eine sozialarbeiterische Betreuung als Be- mit Unterstützung der Sozialarbeiterin begon- gleitmaßnahme zum elektronisch überwachten nen. Nach sechs Monaten wurde sie entlassen, Hausarrest in jedem Fall notwendig ist. Die Erhö- konnte danach eine eigene Wohnung mit ihren hung von Zeiten außerhalb der Unterkunft sowie Kindern beziehen und ihre Lebenssituation hat sozialarbeiterische Betreuung ist in allen Fällen sich stabilisiert. notwendig, um einen Anstieg der Abbrüche zu verhindern und den Erfolg dieser Vollzugsform Neben persönlichen Erfolgsgeschichten zeigen fortzuführen. die niedrigen Abbrüche sowie die niedrige Rückfälligkeit und die Kosteneinsparungen für – miriam.zillner@neustart.at – 9
ÖSTERREICH report 2021 BETREUEN IN ZEITEN DER PANDEMIE So wie alle Österreicherinnen und Österreicher standen auch die Mitarbeiterinnen und Mitar- beiter von NEUSTART ab März 2020 auf Grund der beginnen- den Pandemie vor großen Herausforderungen – privat wie beruflich. Während des ersten Lockdowns im März 2020 ungskontakt brauchen, um eine Ansprechperson stellten wir den Großteil der Betreuungen in unse- in dieser unklaren und auch teilweise krisenhaften ren sozialarbeiterischen Dienstleistungen deshalb Situation zu haben. Mit den notwenigen Sicher- auf telefonische Kontakte um. Bei Klientinnen heitsmaßnahmen wie Abstand, Handhygiene und und Klienten mit einem hohen Rückfallrisiko verpflichtendem Mund-Nasen-Schutz konnten setzten wir von Beginn an auf durchgehende wir mit einer kurzen Unterbrechung während des persönliche Kontakte. Nach einem Monat wurde ersten Lockdowns bis heute eine durchgehende deutlich, dass sich die Situation nicht so rasch persönliche Betreuung gewährleisten. verändern wird. Es war klar, dass gerade unsere Klientinnen und Klienten, die oftmals wenige so- ziale Kontakte haben, den persönlichen Betreu- – juergen.kaiser@neustart.at – LOCKDOWN IST WIE HAUSARREST „Mir machen diese Lockdowns gar nichts, es ist Markus hingegen leidet sehr unter den Be- so, wie wenn alle Hausarrest haben, nicht nur schränkungen. Er ist nun schon lange arbeitslos, ich“, meint Walter, der nun seit zwei Monaten hat kaum Kontakte und er lebt alleine in seiner die Fußfessel kleinen Wohnung: „Ich treffe so gut wie nieman- trägt, auf meine den mehr. Für‘s Einkaufen hab‘ ich einfach kein „Jeder Klient reagierte an- Frage, wie es ihm Geld und zum Reden finde ich dort sowieso ders auf die Bedingungen im geht. „Ich geh’ niemanden“. Er ist in den vielen Monaten verein- arbeiten, sonst samt: „Meine Katze, zocken und – trinken. Das Lockdown.“ bin ich daheim. ist alles, was meinen Tag ausmacht, jeder Tag Es ist viel weniger gleich, es ist die Hölle. Aber ich habe auch keine Stress als früher, als ich nachher immer noch Gelegenheit mehr, Mist zu bauen.“ Markus hatte irgendwohin wollte“, fährt er fort. „Jetzt hab‘ ich früher beim Ausgehen oft Konflikte mit Bekann- sogar eine Freundin und ich hab‘ mich noch nie ten. Er wirkt so, als ob ihm selbst diese Konflikte mit einer so gut verstanden, wie jetzt.“ fehlen würden. 10
www.neustart.at Ohnmacht und Wut haben auch die Delikte verändert. Gewalt hat sich noch mehr in die Fa- milien und in die engeren Beziehungen verlagert. Ich nehme auch einen deutlichen Anstieg an Alkohol- und Drogenmissbrauch wahr. Zuneh- mend mehr junge Leute versuchen, sich mit Suchtmittelhandel ihre Existenz zu verbessern, auch um den eigenen gestiegenen Bedarf an Drogen zu finanzieren. In gleichem Maß nehmen auch psychische Störungen und Erkrankungen zu. Vor allem Depressionen und die untauglichen Versuche der Selbstbehandlung mit Alkohol und Drogen sind in den letzten Monaten angestie- gen: Pandemie frisst Seele auf. Für uns als in der Bewährungshilfe Tätige war zu Beginn die Herausforderung, unsere Pra- xis der Betreuung den Wellen der Pandemie anzupassen. Während des ersten Lockdowns wurden auch unsere persönlichen Kontakte zu den Klientinnen und Klienten reduziert und auf telefonische Beratung umgestellt. Aber mit fortschreitender Dauer wurde klar, dass es viele Menschen gibt, die eine persönliche Betreuung Bernhard Eisl (NEUSTART Oberösterreich), Bewährungshelfer im oberen Innviertel dringend brauchen und diese auch suchen. Heute sind wir eher als „Wellenbrecher“ gefor- dert, unseren Klientinnen und Klienten muss vermehrt geholfen werden, damit sie nicht Das sind zwei kleine Ausschnitte aus dem Leben untergehen. meiner Klienten, die zeigen, wie sich die über ein Jahr währende Pandemie auf sie auswirkt. Um in dieser Arbeit bestehen zu können, war Ich erlebe, dass sich die Bedingungen, Chancen und ist der Austausch mit meinen Kolleginnen und die Nöte dieser Menschen im Wesentlichen und Kollegen ein wichtiger Ankerpunkt. In der nicht verändert Zeit des Abstandhaltens sind wir uns vertrauter haben. Aber sie sind geworden und näher gekommen als im meist „Auch die Sozialarbeiterin- drängender gewor- hektischen Arbeitsalltag davor. Die Reflexion nen und Sozialarbeiter brau- den, ermöglichen unserer Fallarbeit, die gegenseitige Bestärkung manche Erfahrun- und der Mut machende Austausch stärken die chen Rückhalt.“ gen, die es vorher eigene Handlungssicherheit. nicht gab und for- dern manche auch bis zum Rande der Existenz In der Betreuung fällt auf, dass es viel weniger heraus. Während es einigen Menschen gelingt, Fehltermine gibt. Die Klientinnen und Klienten diese für uns alle gleich geformten Lebensum- kommen meist sehr gerne, und sie bleiben auch stände für sich zu nützen, verblassen manche länger. Das Bedürfnis nach Kontakt, über sich zu Leben bis zur Unsichtbarkeit. Und das ist nur erzählen, ein Gegenüber zu haben, das Auf- einer der Spannungsbögen, in denen unsere Ar- merksamkeit schenkt, ist groß geworden, weil es beit als Bewährungshelferin und Bewährungshel- nicht mehr so selbstverständlich ist, wie vor der fer stattfindet. „Das Leben ist oft reduziert auf so Zeit von Covid-19. Diese Pandemie stellt, indem weniges“, meint eine junge Kollegin. „Ich frage sie unsere Leben auf das Wesentliche reduziert, mich oft, was ich den Leuten raten soll, wenn es Fragen wie: Wer bist Du wirklich? Was macht da so wenig gibt, was ihr Leben ausmacht.“ Dich und Dein Leben aus? Eine Antwort und Lö- sungen alleine zu finden ist schwer. Das ist wohl Dieses „wenige“ kann manchmal auch sei- die Chance, die wir in unserer Betreuung haben: nen Ausdruck als Wut finden. Dann, wenn die diese Erfahrungen miteinander zu reflektieren Einschränkungen, die andauernde Armut und und vielleicht kleine Veränderungen einzuleiten, Arbeitslosigkeit, die soziale Ausgrenzung zu damit das Leben der Klientinnen und Klienten wirklicher Ohnmacht führen, sich die Klienten etwas besser gelingen kann. Dann wird Walter die Maske vom Gesicht reißen und sie sich in vielleicht seine kleinen Erfolge mit in die Zeit Verschwörungsphantasien verlieren: „Ich halte nach der Fußfessel nehmen und Markus seine das nicht mehr aus.“ Das ist etwas, das wir Isolation und Einsamkeit durchbrechen. alle oft gehört haben und manchmal auch so empfinden. – bernhard.eisl@neustart.at – 11
ÖSTERREICH report 2021 2020 37.106 KLIENTINNEN UND KLIENTEN NISCH ÜB EWÄHRUNG RO B KT SH ER ... ... ELE WACHTER ILFE 15.369 1.137 Mal Klientinnen Erhebung und Klienten abgeschlossen HA USARREST Entlassungskonferenzen: 29 Personen Fußfesselvergabe an: Untersuchungshaft-Konferenzen: 207 Personen 1.051 Klientinnen und Klienten Sozialnetzkonferenz bei bedingter Anordnung einer Maßnahme: eine Person FTENTLASS SG A ATAU LEIC H T H EN ... ... 3.747 12.268 ENHILFE Klientinnen Beschuldigte und Klienten und Opfer Entlassungsvorbereitung: 5.284 Personen ausschließlich Opfer 1.393 Insassinnen oder Insassen 2.258 Personen in der Rolle als Opfer und Beschuldigte WIR SIND NEUSTART 2020 waren 601 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hauptamtlich bei NEUSTART beschäftigt. In der Bewährungshilfe arbeiteten 985 Frauen und Männer ehrenamtlich. Das Durchschnittsalter liegt bei 46 Jahren. Mit rund 61 Prozent sind Frauen sowohl haupt- als auch ehrenamtlich in der Mehrheit. – dorit.bruckdorfer@neustart.at – 12
www.neustart.at EMEINNÜTZ EIT ERE HIL F G I W GE 15.784 EN ... ... 6.119 LEISTUNG Besuche Personen 758 Klientinnen und EN Klienten 3.058 Personen als diversionelle Maßnahme 256 Klientinnen und Klienten in 2.809 Personen anstelle einer Ersatzfreiheitsstrafe Wohneinrichtungen von NEUSTART betreut. 252 Personen als Alternative zum Strafvollzug 15.784 Besuche im SAFTLADEN in Salzburg für Finanzvergehen vom Bundesministerium (Kommunikationszentrum) für Finanzen zugewiesen 502 Klientinnen und Klienten in den Vermögensdelikte: 48,20 % Werkstätten in Wien und Linz Delikte gegen Leib und Leben: 17,98 % Verurteilungen nach dem Finanzstrafgesetz: 3,03 % RÄVENTION NLINE BERA P O TU ... ... NG 5.927 796 Stunden Anfragen 2.182 Stunden in der Schulsozialarbeit 796 Anfragen unter 3.745 Stunden mit Gruppen oder einzelnen www.neustart.at Klientinnen und Klienten in der Suchtprävention ILFE FÜR O P ROZESSBEG H P LE FE ... ... ITUN 5.444 R 160 Personen im G Opfer Opferbereich 5.284 im Tatausgleich und 160 Personen bei der Prozessbegleitung Von 1957 bis 2020 hat NEUSTART rund 639.000 Menschen betreut. 13
ÖSTERREICH report 2021 NEUSTART AUS SICHT DER BETROFFENEN Nach dem Terrorattentat in Wien und der öffentlichen Debatte über die Wirksamkeit der Terror- bekämpfung entstand in der Be- völkerung ein Unsicherheitsge- fühl gegenüber den Maßnahmen der Kriminalitätsbekämpfung. NEUSTART hat den Attentäter zuvor im Rahmen unserer Gesellschaft. 56 Prozent der Befragten der Bewährungshilfe betreut. Rasch wurden denken, die Arbeit des Vereins habe auch eine Maßnahmen zur Verbesserung der Betreuung Wirkung bei der Verhinderung von Kriminalität. und Kontrolle dieser Tätergruppen gesetzt. 26 Prozent sehen dabei eine hohe Wirkung. Aber half das, die Für zwölf Prozent hat die Arbeit des Vereins „Beste Werte für Nutzen der Bevölkerung vom Wert der Arbeit von NEUSTART keine Wirkung bei der Verhinderung von Kriminalität. Arbeit und Zufriedenheit mit NEUSTART zu der Betreuung.“ überzeugen? Vom Klientinnen und Klienten sehen eine Dezember 2020 bis positive Veränderung in ihrem Leben zum Februar 2021 Die Zufriedenheit der befragten Klientinnen und wurden vom Institut INTEGRAL 2.106 Österrei- Klienten mit NEUSTART ist nach wie vor sehr cherinnen und Österreicher (repräsentativ für die hoch. Neun von zehn betreuten Menschen sind österreichische Bevölkerung, 16 bis 69 Jahre alt) sehr zufrieden; nach einem kontinuierlichen dazu online befragt. Anstieg nun ein Bestwert seit 2016. 68 Prozent der Betreuten sehen eine positive Änderung in Bevölkerung sieht Nutzen ihrem Leben durch die Hilfe von NEUSTART. in der Arbeit von NEUSTART Weitere 25 Prozent stimmen der Aussage eher 28 Prozent der Befragten kennen den Verein zu. Sieben Prozent stimmen der Aussage eher NEUSTART. Das bedeutet eine signifikante Stei- oder gar nicht zu. gerung der Bekanntheit und den Höchststand seit Beginn der Messung 2007. Der Konnex zur Rückfallrisiko aus Sicht der Betroffenen „Sicherheit in unserer Gesellschaft“ wurde dies- 69 Prozent der antwortenden Personen in der mal mit Bezug zu den dramatischen Ereignissen Bewährungshilfe fühlten sich nach der Betreu- in Wien bewusst in den Fragenkatalog aufge- ung sehr sicher, weitere 15 Prozent sicher, nicht nommen. Bemerkenswert ist das diesbezügliche mehr rückfällig zu werden. Ergebnis: Insgesamt sehen 60 Prozent, also die Mehrheit der Befragten, in der Arbeit des Vereins NEUSTART einen Beitrag für die Sicherheit in – andreas.zembaty@neustart.at – 14
www.neustart.at ZIVILGESELLSCHAFT ERMÖGLICHT RESOZIALISIERUNG Die Ansicht, dass durch den Verbindungen zur Lebenswelt außerhalb des Blickwinkels der sozialen Arbeit her. Sie stellt vermehrten Aufruf zum Enga- damit professionelle Routinen in Frage, sie er- gement Freiwilliger der Abbau möglicht, entwickelt und leistet so verschiedene Formen neuen bürgerschaftlichen Engagements. sozialstaatlicher Leistungen Das erfolgreiche Zusammenwirken von freiwilli- kompensiert werden könnte, gem sozialem Engagement und hauptberuflicher ist falsch. Arbeit gewährleistet Kontinuität und Qualität der sozialen Arbeit in der authentischen und bedarfsgerechten Zuwendung zu hilfsbedürftigen Menschen. Freiwilligen-Engagement wird in der Regel nur dort effizient stattfinden, wo grundsätzlich die NEUSTART orientiert sich in seinem Leitbild an sozialpolitischen Rahmenbedingungen passen, einer humanen, demokratischen und solidari- keine dauernde schen Gesellschaft und ist den Werten von Tole- Überforderung der ranz, sozialer Gerechtigkeit, den Menschenrech- „Freiwillige sind wichtig für Freiwilligen auftritt ten und gewaltfreier Konfliktlösung verpflichtet. die Glaubwürdigkeit einer und sich diese auch Es ist das gemeinsame fachliche Anliegen von Organisation.“ nicht ausgenutzt füh- zivilgesellschaftlich engagierten ehrenamtlichen len. Hauptamtliche und angestellten Mitarbeiterinnen und Mitarbei- und ehrenamtliche tern, der Entfremdung zwischen Straffälligen und Leistungen sind nicht gegenseitig austauschbar. der Gesellschaft entgegenzuwirken. Und Integ- Ebenso stehen sie nicht miteinander in Kon- rationschancen und gesellschaftliche Teilhabe zu kurrenz. Beide haben verschiedene Aufgaben, ermöglichen. brauchen und ergänzen einander. Darüber hinaus zeigt sich der Wert der Freiwil- Der generelle Motivationswandel von altruisti- ligenarbeit noch viel grundsätzlicher: Für eine schen Motiven zu Motiven mit Ich-Bezug und sozial konstruktive und wirksame Kriminalpolitik der Rückgang an freiwilligem Engagement kann braucht jede Demokratie das Feedback aus als tendenzieller Strukturwandel der Freiwilligen- der Zivilgesellschaft. Die freiwillige Mitarbeit arbeit gewertet werden, der die Sozialarbeit vor von Bürgerinnen und Bürgern zum Beispiel bei neue Herausforderungen stellt. Der erfolgreiche NEUSTART trägt zur Umsetzung einer men- Einsatz von Freiwilligen erfordert demnach pro- schenrechtssensiblen, ressourcen- und lösungs- fessionelles Management und die strategische orientierten Kriminalpolitik durch Täterarbeit, Auseinandersetzung mit der Integration von Opferschutz und Prävention bei. Freiwilligen in die Organisation. Die Freiwilligen- arbeit setzt aber auch innovative Impulse, stellt – andreas.zembaty@neustart.at – 15
WIEN report 2021 ANTI-GEWALT- TRAINING: DIE SPEZIELLEN DREI Bewährungshelfer Harald Embacher von NEUSTART Wien 2 mit einem seiner Klienten Anti-Gewalt Training der sen drei Männern. Für uns nannten wir sie „The Special Three“. besonderen Art Wir arbeiteten wöchentlich, sehr intensiv, knapp drei Monate lang. Angesichts der geringen Zu den ersten vorbereitenden Gesprächen für Teilnehmerzahl waren zehn Termine zu je zwei- eine Gruppenarbeit luden wir mehr als 20 ju- einhalb (manchmal bis zu drei) Stunden ange- gendliche und erwachsene Männer ein. Obwohl messen. Nach einer kurzen Phase des Heran- wir schon gute Erfahrungen mit Anti-Gewalt- tastens wurden unsere Grenzen voll ausgetestet. Trainings mit unterschiedlichen Altersgruppen Unabsichtlich haben wir manchmal die Arbeits- gemacht hatten, schien uns diesmal alles an- zeit überzogen. Phantasie, Improvisationsgabe ders. Drei Männer im Alter von 45 bis 54 Jahren und Flexibilität waren wichtige Werkzeuge für die passten so gar nicht zu den viel jüngeren der Arbeit mit den „Special Three“. Schließlich wurde restlichen Gruppe. der Umgang immer vertrauter, die drei konnten sich immer mehr der Aufgabe des Anti-Gewalt- Zwei dieser älteren Erwachsenen hatten sich in Trainings öffnen und arbeiteten mit. Wir schufen ihrer Vergangenheit bereits mehrere Monate lang im Gruppentraining eine familiäre Situation, einen Haftraum geteilt. Zwischen ihnen bestand einmal auch mit Essen und Trinken. also eine „Häfn-Freundschaft“. Der dritte war ein Einzelgänger, Diese Nähe zu uns war für die drei Herren eine auch er mit Haft- neue Erfahrung. Es zeigte sich, dass die Kinder- „Der Austausch von Infor- erfahrungen. Alle beziehungsweise Jugendzeit und das Erwach- mationen ist der wichtigste drei sind typische senwerden aller drei durch Gewalt geprägt war. „Alpha-Männer“, die Das zu besprechen war auch für uns Trainer eine Faktor zur Prävention.“ versuchen, ihre Sicht emotionale Achterbahnfahrt. Durch die intime der Dinge und ihre Atmosphäre gelang es uns Schritt für Schritt, Werte durchzusetzen. Dabei sind sie auch oft das Thema Deliktverarbeitung anzugehen. Über- erfolgreich. Die Lösung von Problemen auch mit raschend war für uns, dass sich die Männer auf Gewalt und Übergriffen anzugehen, gehört zu unsere Arbeit so intensiv einlassen konnten. Es ihrem Repertoire, auf das sie, „wenn’s eng wird“, war berührend mitzuerleben wie sie mit Tränen zurückgreifen. „kämpften“, an ihrer Persönlichkeit und ihren Verhaltensmustern arbeiteten und uns beim Einer war zudem ungewöhnlich groß. Schon nächsten Training mitteilten, wie entspannt sie nach der ersten Runde konnten wir beobachten, danach waren und wie gut ihnen „unsere Aben- dass alle anderen Teilnehmer sich zurücknah- de“ taten. Nach Beendigung des Anti-Gewalt- men und die Themenführerschaft den drei Män- Trainings wollten sie uns überreden weiterzuma- nern überließen. Wir wollten daher die Gruppe chen, denn es würde ihnen etwas fehlen. Die nicht länger mit diesen drei Männern fortsetzen Einzelbetreuung in der Bewährungshilfe läuft und mussten eine andere Lösung finden. aber ohnehin weiter. Nach Rücksprache mit der Abteilungsleiterin und dem Leiter der Einrichtung entschieden wir – harald.embacher@neustart.at – uns für ein Spezial-Anti-Gewalt-Training mit die- – christoph.thurner@neustart.at – 16
NIEDERÖSTERREICH UND BURGENLAND report 2021 www.neustart.at AUSSTIEGSBEGLEITUNG: PILOTPROJEKT NEUSTART KOMPASS Mit 1. September 2020 und Die Betreuung erfolgt in einem Mehrphasen- system, welches die Analyse der individuellen einer Laufzeit bis 31. Mai 2022 Attraktivität für extremistische Zugehörigkeit, wurde gemeinsam mit dem die Durchführung der sozialen Diagnostik und biografischen Rekonstruktion des Radikalisie- Bundesministerium für Inne- rungsprozesses vorsieht. Dann erfolgt die Delikt- res und dem Bundesamt für verarbeitung, die Förderung einer distanzierten Einstellung zu bisherigen Verhaltensweisen und Verfassungsschutz und Terro- der Aufbau eines prosozialen Umfelds. Zusätz- rismusbekämpfung das Pilot- lich zum Sicherheitsfokus mit der kontinuierli- chen Risikoeinschätzung durch das Instrument projekt NEUSTART Kompass VERA-2R (Violent Extremism Risk Assessment gestartet. Version 2 Revised) liegt der Schwerpunkt in der Herstellung einer belastbaren vertrauensvollen Beziehung. Nur wenn es gelingt einen Zugang über die Beziehung zu den radikalisierten Per- Im Rahmen des Projekts ist es das Ziel, religi- sonen zu erhalten, können erfahrungsgemäß ös oder politisch radikalisierte Personen beim neue Perspektiven geschaffen und neue Wege Ausstieg beziehungsweise bei der Abkehr von aufgezeigt werden. extremistischem und gewaltbereitem Gedan- kengut und sozialem Umfeld zu unterstützen. Die Arbeit mit den betreuten Menschen stellt die Ziel ist es, bei den Klientinnen und Klienten Gesellschaft und die Expertinnen und Experten eine Akzeptanz der Menschenrechte und aus unterschiedlichen Bereichen vor enorme demokratischer Werte zu vermitteln und sie Herausforderungen. Das Projekt soll als erste bei der Änderung ihrer bisherigen Verhaltens- österreichische Ausstiegsbegleitung durch die weisen zu begleiten. Kombination von laufender Sicherheitseinschät- zung, Beziehungsarbeit, professioneller Betreu- Die Anregung zur Betreuung erfolgt entweder ung und Vernetzung sowie enger Kooperation über die Direktion für Staatsschutz und Nach- mit den Sicherheitsbehörden die Distanzierung richtendienst im Rahmen von Sicherheitspo- von extremistischen Positionen und eine laufen- lizeilichen Fallkonferenzen (§ 22 Abs. 2 SPG) de Deradikalisierung bewirken. Damit wird ein oder über die Bewährungshilfe, wenn während wichtiger Beitrag zum Opferschutz sowie zur einer laufenden Betreuung eine Radikalisie- Sicherheit der Gesellschaft geleistet. rung festgestellt wird. Nachdem die – alexander.grohs@neustart.at – „Extremistische Menschen Betreuung im Rah- erhalten das Angebot und men des Projekts freiwillig erfolgt, die Hilfe, auszusteigen.“ besteht die erste Herausforderung in der Kontaktaufnahme durch die Spezialis- tinnen und Spezialisten des Projekts, um die Motivation zur Zusammenarbeit zu fördern oder erst zu schaffen. Das erfolgt auch durch ein professionelles Beziehungsangebot, das bei krisenhaften Entwicklungen eine Stütze für die betreuten Personen bedeutet. Essenziell ist dabei die Transparenz der Auftragserteilung und Einschätzung der betreffenden Person durch die Sicherheitsbehörde. Andererseits ist aber auch die Position als unabhängige Sozial- organisation klar zu kommunizieren. 17
STEIERMARK report 2021 DIALOG STATT HASS Hate Speech, Verhetzung und Herabwürdigung von Menschen wegen ihres Ge- Jüdisches Leben mit Tallit, Kippa, Chanukkia, Siddur, Thorarolle, Dreidel, Sederteller, schlechts, ihrer Herkunft, ihrer Mesusa und koscheren (?) Gummibärchen sexuellen und religiösen Orien- tierung oder ihrer körperlichen Hass gegolten hat. Fundiertes Faktenwissen Einschränkungen: Das nimmt wird grassierenden Legenden entgegengesetzt enorm zu in den sozialen und es findet eine Sensibilisierung betreffend die Auswirkungen auf die Betroffenen statt. Medien. In einem der Workshops berichtet Kirsten Arbei- ter, eine Psychotherapeutin vom Verein ZEBRA, Um diesem Phänomen eine wirkungsvolle Inter- von den traumatisierenden Fluchterfahrungen vention entgegenzusetzen, hat NEUSTART in ihrer Klientinnen und Klienten, zeichnet aber enger Kooperation mit der Staatsanwaltschaft, auch ein realistisches Bild der Lebenssituation den Gerichten sowie Extremismus-Präventi- der Geflüchteten bei uns in Europa und konkret onsstellen das Programm Dialog statt Hass auch in der Steiermark. Der steirische Behin- entwickelt. Seit 2018 haben bereits 84 Personen dertenanwalt Mag. Siegfried Suppan und seine in der Steiermark dieses Programm absolviert, Kollegin Katrin Poleßnigg, die selbst im Rollstuhl das im Rahmen der Bewährungshilfe in Ein- sitzt, berichten von Diskriminierungserfahrungen zelberatungen und Kleingruppen-Workshops und welches Opferleid vermeintliche „Witze“ durchgeführt wird. Normverdeutlichend wird über Handicaps verursachen. Mag. Ruth Kathrin aufgezeigt, was warum verboten ist. Mittels Dis- Lauppert-Scholz von der jüdischen Kulturver- kurskompetenz-Training werden die Klientinnen mittlung „Granatapfel“ erzählt einerseits kompe- und Klienten befähigt, zukünftig ihre Meinung in tent und lebendig über jüdisches Leben heute geeigneter Form zu äußern. und informiert andererseits über die Geschichte des Antisemitismus, die Shoah und das Leben Die nachhaltigste Wirkung erzielen wir in von damals in Graz ermordeter Juden (inklusive Workshops, wo man sich direkt mit Expertinnen Besuch von „Stolpersteinen“). und Experten aus jenen Opfergruppen ausei- nandersetzt, denen der im Internet geäußerte – susanne.pekler@neustart.at – Univ.-Prof. Dr. Thomas Mühlbacher, der als Leitender Staatsanwalt maßgeblich an der Entwicklung des Projekts beteiligt war, resümiert: „Fälle von Hate Speech erfordern eine vertiefte Auseinandersetzung der Beschuldigten mit dem Delikt und sind daher grundsätzlich gut für diver- sionelle Maßnahmen geeignet. Was uns bisher fehlte, war das geeignete Diversionsinstrument. Mit Dialog statt Hass konnte diese Lücke ge- schlossen werden. Die damit erzielten Erfolge tragen wesentlich dazu bei, zu verhindern, dass aus verbaler Gewalt eine physische entsteht.“ 18
SALZBURG report 2021 www.neustart.at REGIONALGRUPPE OPFERSCHUTZ- ORIENTIERTE TÄTERARBEIT Die „Bundesarbeitsgemein- Fischer, und meldeten ihr Interesse an der Teilnahme an einem Arbeitskreis an. Auf Seiten schaft Opferschutzorientierte des Landesgerichts hat sich die Richterin Mag. Täterarbeit“ ist eine österreich- Gabriele Glatz bereit erklärt, mit Richterinnen und Richtern des Landesgerichts teilzunehmen. weite Plattform von Täterar- Die Teilnahme der Polizei ist ebenso zugesagt, beits- und Opferschutzeinrich- die Kinder- und Jugendhilfe angefragt. Wir sind zuversichtlich, dass sich auch die Exekutive tungen, die am 18. September beteiligen wird. 2012 gegründet wurde. Das Wesensmerkmal opferschutzorientierter Täterarbeit besteht in der einzelfallbezogenen Sie ist eine Teilumsetzung des Kapitel II im Zusammenarbeit zwischen den Opferschutz- „Übereinkommen des Europarats zur Verhütung einrichtungen einerseits und den mit Tätern ar- und Bekämpfung von Gewalt gegen Frau- beitenden Organisationen andererseits. Das Zu- en und häusliche sammenspiel dieser involvierten Einrichtungen, Gewalt“ („Istanbul- aber auch das Einschreiten der Behörden und „Opferschutzeinrichtungen Konvention“). In Gerichte, die Fallkonferenzen abhalten, Weisun- und solche, die Täter be- der Salzburger gen und Auflagen erteilen und Bewährungshilfe treuen, arbeiten zusammen.“ Regionalgruppe sind die Opferschutzein- sowie Anti-Gewalt-Training anordnen können, ist immens wichtig. Dadurch wird sichergestellt, richtungen Salzbur- dass immer die aktuellen Informationen kreisen ger Frauenhäuser und Gewaltschutzzentrum und dadurch für Opfer permanent aktuelle Ge- Salzburg sowie die mit Tätern arbeitenden fährdungseinschätzungen vorgenommen werden Männerberatungen und NEUSTART zusammen- können. Für die Arbeit mit den Tätern ist es so geschlossen. bedeutsam, weil dadurch deren Lebenssituation, ihre Haltungen und Einstellungen überprüfbar Die brutale Tötung einer 22-jährigen Frau durch werden. Ihnen wird signalisiert, dass die Gewalt ihren Ehemann am 21. März 2021 hat die Re- nicht mehr im „Privaten“ stattfindet und die Be- gionalgruppe Opferschutzorientierte Täterarbeit treuung darauf abgestimmt werden kann. intensiv diskutiert und zum Anlass genommen, an die Leiterin der Staatsanwaltschaft und den Dieser Arbeitskreis kann die Kooperation der Präsidenten des Landesgerichts Salzburg mit relevanten Organisationen verbessern und ver- der Anregung einer gemeinsamen Entwicklung dichten und in Salzburg eine neue Qualität in der von Maßnahmen heranzutreten. Diese Anregung Prävention häuslicher Gewalt bringen. wurde positiv aufgenommen. Mehrere Staats- anwältinnen und Staatsanwälte meldeten sich bei der leitenden Staatsanwältin, Dr. Barbara – johannes.bernegger@neustart.at – 19
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