ZUKUNFTSRAUM GERA Einladung zum Experimentieren für die Neue Mobilität
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Autoren: Prof. Dr. Andreas Knie, Sarah George Prof. Dr. Matthias Gather, Claudia Hille Prof. Dr.-Ing. Uwe Plank-Wiedenbeck ZUKUNFTSRAUM GERA Einladung zum Experimentieren für die Neue Mobilität Ein Konzeptpapier für das Deutsche Zentrum Mobilität der Zukunft (DZMZ) Oktober 2020
INHALTSVERZEICHNIS 1 AUSGANGSSITUATION UND LEITGEDANKE ......................................................................... 2 1.1 Herausforderungen .................................................................................................... 2 1.2 Elemente einer neuen Innovationskultur.................................................................. 4 1.3 Die Idee: Gera als Zukunftsraum für die Neue Mobilität .......................................... 6 2 DER STANDORT GERA: CHARAKTERISTIKA UND POTENTIALE..................................... 7 2.1 Raum- und siedlungsstrukturelle Potenziale im Einzelnen .................................... 10 2.2 Wissenschafts- und Forschungspotentiale im Überblick ........................................ 13 2.3 Industriepotenziale ................................................................................................... 21 3 STAKEHOLDER EINES DZMZ IN GERA .................................................................. 23 4 ORGANISATION UND STRUKTUR DES ZUKUNFTSRAUMES GERA ............................... 26 4.1 Mögliche Bausteine der nachhaltigen Mobilität der Zukunft in Gera ................... 28 4.2 Beispiele für mögliche Projekte des Zukunftsraumes ............................................ 32 ABBILDUNGSVERZEICHNIS Abbildung 1: Durchschnittsalter Bevölkerung ...................................................................................... 8 Abbildung 2: Raumstruktur Gera ......................................................................................................... 11 Abbildung 3: Erreichbarkeit Geras im Straßenverkehr........................................................................ 12 Abbildung 4: Forschungseinrichtungen mit Mobilitätsbezug im erweiterten Umfeld von Gera ..... 14 Abbildung 5: Akteur:innennetzwerk in der Stadt Gera ...................................................................... 23 Abbildung 6: Aufbau DZMZ ................................................................................................................. 28 Abbildung 7: Bausteine des „Deutschen Zentrums für nachhaltige Mobilität der Zukunft“ Gera.. 29
Seite 2 von 42 1 AUSGANGSSITUATION UND LEITGEDANKE Die Initiative von Verkehrsminister Andreas Scheuer, ein Deutsches Zentrum Mobilität der Zukunft (DZMZ) einzurichten, hat in Deutschland eine große Resonanz erhalten. Eine Reihe von Städten hat ihr Interesse und ihre Bereitschaft signalisiert, hieran mitzuwirken. Die Herausforderung für Gera besteht also darin etwas anzubieten, was es so woanders noch nicht gibt und was eine Lücke im deutschen Innovationssystem schließt, die bisher die Durchsetzung von nachhaltigen Verkehrslösungen behindert hat. Gerade in den letzten Monaten konnten hierzu wertvolle Erfahrungen gesammelt wer- den. Die Pandemie hat die Situation des Verkehrs wie durch ein Brennglas vergrößert, strukturelle Probleme offengelegt, aber auch ganz neue verkehrspolitische Perspektiven eröffnet. Was früher als undenkbar galt, erscheint plötzlich möglich. Diese Aufbruchstimmung gilt es zu nutzen und das Verkehrssystem von der bisherigen Schwerpunktsetzung fossiler Verkehre in eine neue effiziente und nachhaltige Mobilität zu transformieren. 1.1 Herausforderungen Das Verkehrssystem in Deutschland ist durch eine Vielzahl von Herausforderungen ge- kennzeichnet. Der bisherige Grundgedanke, durch eine Absenkung der Widerstandsfähig- keit des Raumes die Mobilität von Personen und Gütern zu erleichtern und zu dynamisie- ren, um damit eine hohe wirtschaftliche Prosperität und eine soziale Integration der Ge- sellschaft zu erreichen, ist an seine Grenzen gekommen und muss überdacht werden. Die Fokussierung auf das private Auto sowie den gewerblichen Lkw gefährdet nicht nur das Klima, sondern verliert auch zunehmend an Effizienz. Gleichzeitig ist eine Reihe von neuen technischen Optionen erkennbar, die aber nicht implementiert und deren gesell- schafts- und verkehrspolitische Wirksamkeit noch nicht angemessen getestet und geprüft werden konnte.
Seite 3 von 42 Die Frage und damit die Aufgabe lautet daher: Wie lassen sich die gewohnten Erreichbarkeitsstandards mit Anforderungen an eine nach- haltige Mobilität vereinbaren? Wie kann dabei die soziale Integration der Gesellschaft ver- bessert und Antworten auf den demographischen Wandel gefunden werden? Welche Rolle spielen technische und soziale Innovationen? Zusammenfassend ergibt sich folgendes Bild der Herausforderungen: • Der Personen- und Güterverkehr auf fossiler Basis emittiert zu viele Treibhausgase sowie Lärm und Schadstoffe, er hat einen extrem entfernungsintensiven Lebens- und Arbeitsstil ermöglicht („Raumlast“) und lässt sich mit den verabschiedeten Klimazielen nicht in Übereinstimmung bringen. • Eine Reihe neuer Technologien und Technologiefelder wie das „Autonome Fah- ren“, die Elektromobilität, der Einsatz von Drohnen sowie die Optionen der Was- serstoffwirtschaft versprechen theoretisch eine hohe Lösungskompetenz, die aber praktisch im herrschenden Verkehrssystem noch nicht implementiert werden konnte. • Daten bestimmen auch im Verkehrsbereich die Zukunft und verändern Planungs- prozesse und Geschäftsmodelle, zahlreiche neue Datenquellen werden erschlos- sen, wobei die Möglichkeiten der Auswertung und Nutzung kaum ausgeschöpft sind und der Datenschutz eine große Herausforderung darstellt. • Die Digitalisierung wird die Gesellschaft grundlegend verändern und auch den Ver- kehrsbereich revolutionieren. Neue Plattformen verändern die Marktordnung und verschieben Wertschöpfungsketten, allerdings ohne, dass die deutsche Wirtschaft bisher davon profitieren konnte. • Der verkehrspolitische Rahmen ist in Deutschland in einem sehr starren Korsett eingebunden und erlaubt keine Veränderungen. Erfahrungen für die notwendigen Transformationen können unter den realen Bedingungen nicht gemacht werden, neue Systeme praktisch nicht implementiert werden. • Einstellungen und Verhaltensweisen zur Mobilität verändern sich. Gerade bei der jüngeren Generation ist eine zurückgehende Affinität gegenüber dem Autobesitz und hin zu Sharing-Modellen festzustellen.
Seite 4 von 42 Deutschland ist bei diesen Herausforderungen insbesondere gegenüber den USA immer im Nachteil, weil es hierzulande keine Experimentierkultur gibt. Digitale Systeme lassen sich aber nur in einem „Trial and Error“-Verfahren einführen, entwickeln und erfolgreich vermarkten. Wenn in Deutschland Experimentierräume und innovative Angebote im Ver- kehrsbereich entstehen, geschieht dies nur in Metropolen wie Berlin, Hamburg oder Mün- chen, die bislang auch den Fokus der Bundesforschung bilden, deren Übertragbarkeit auf das gesamte Bundesgebiet aber in der Regel nicht gegeben ist. In den Regionen abseits der Metropolkerne, in der die Fragen von Erreichbarkeit und Daseinsvorsorge, Geschäfts- modellen und Nachfragepotenzialen für neue digitale Dienstleistungen eine große Her- ausforderung darstellen, sind innovative Ansätze dagegen selten und eher zufällig. Eine systematische und gezielte Förderung findet hier nicht statt, obwohl diese Raumtypen geradezu typisch sind für Deutschland. Die Aufgabenstellung einer nachhaltigen, sozial ausgewogenen, technisch anspruchsvol- len neuen Verkehrslandschaft bedarf daher auch neuer Transformationshebel. Gera möchte hier als Zukunftsraum einen neuen Akzent durch eine „Co-Produktion“ aus wis- senschaftlichen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Akteuren setzen. Wichtig ist eine interdisziplinäre Herangehensweise, die Methoden der Ingenieurwissenschaften, Infor- matik, Sozialwissenschaften und Ökonomie verbindet und von einem Praxiskontext aus gesteuert wird. 1.2 Elemente einer neuen Innovationskultur Neben der Bespielung einer für Deutschland typischen Raum- und Problemstruktur soll der Zukunftsraum eine zentrale Herausforderung des Innovationssystems in Deutschland adressieren. Deutschland gilt schon seit vielen Jahrzehnten als das Land der Erfinder:in- nen und Tüftler:innen, besitzt ein gut ausgebautes und hoch differenziertes Wissen- schafts- und Forschungssystem, aber mit großen Schwächen in der Anwendung und Um- setzung neuer Techniken. Dies gilt insbesondere für die neuen digitalen Geschäftsfelder. Hintergrund ist zwar eine hoch professionelle und stabile, aber eben auch wenig flexible Professionskultur, die Neues erst dann zulässt, wenn es die Fachkolleg:innen akzeptieren. Dieses sogenannte „Peer Review“ ist das zentrale Bewertungsverfahren und definiert
Seite 5 von 42 den Kanon des legitimen Wissens und der akzeptierten Verfahrensgrundsätze. Damit ent- steht zwar eine starke Expertenkultur, die aber häufig das Problem einer zu hohen Selbst- referenzialität in sich trägt. Ob sich etwas durchsetzen kann, entscheiden die Fachkol- leg:innen im Vorfeld, die Validierung findet ausschließlich im Peer to Peer-Verfahren statt. Digitale Geschäftsfelder entstehen aber in aller Regel völlig anders, nämlich durch ein per- manentes Ausprobieren im unmittelbaren Verwendungskontext. In den USA spielen da- her die Kund:innen, die letztlich die Instanz dafür sind, ob eine Technik gebrauchstüchtig ist oder nicht, eine bedeutendere Rolle und werden als gleichwertige Partner:innen in die- ser „Co-Production“ anerkannt. Auf diese Weise konnte sich vor allen Dingen die Plattformökonomie in den USA schnell durchsetzen, weil die Produkte und Dienstleistungen von Beginn an einen hohen Ge- brauchswert hatten. Der Zukunftsraum Gera versucht daher neben der etablierten Professionsordnung von Wissenschaft und Forschung die Praxistauglichkeit – also die Entwicklung der Brauchbar- keit – als eine weitere und zwar gleichwertige Validierungsform einzuführen. Die Wissen- schaften und Technologieanbieter sind eingeladen, noch weit bevor ein Verfahren offizi- ell zugelassen oder ein Produkt genehmigt ist, dieses im für Deutschland so charakteristi- schen Raumtypus der ländlichen und suburbanen Regionen unter echten Bedingungen zu testen. Auf diese Weise können frühzeitig auch Korrekturen in wichtigen Eigenschaften oder dem technischen Design vorgenommen werden und die Brauchbarkeit als Garant für einen späteren Markterfolg kann erhöht werden. Gera möchte daher als agiler Testraum für Neue Mobilität für neue Formen der Koopera- tion und der Kollaboration dienen und hier innovative Formate der Implementation neuer Technologien erarbeiten und die Entwicklung digitaler Lösungen als eine Art neues Ge- meinschaftswerk aus Anbieter:innen und Nachfragern in einem experimentellen Raum etablieren.
Seite 6 von 42 1.3 Die Idee: Gera als Zukunftsraum für die Neue Mobilität Diese skizzierte Innovationslücke will Gera mit seinem Umland schließen. Der gesamte Stadt-Umland-Raum dient als Experimentierraum für neue technische und soziale Innova- tionen. Gera wird zum Zukunftsraum für die Neue Mobilität, die effizient organisiert, digi- tal vernetzt, sozial integriert und nachhaltig wirtschaftet. Die Region wird damit zu einer Dauerausstellung in einem permanenten Erprobungsmodus. Die kreisfreie Stadt lädt die Forschung ein, neue Technologien auszuprobieren und auf ihre Gebrauchsfähigkeit für die Stadtgesellschaft zu testen. Die Mobilität von morgen - heute in Gera erlebbar! Die Stadt Gera bietet dazu die besten Voraussetzungen: Ein hochentwickeltes öffentliches Verkehrssystem und eine Mobilitätskultur, in der kollektive Verkehrslösungen einen ho- hen Stellenwert besitzen. Ein Umland mit einer sehr dörflichen Siedlungsstruktur, die aber für Deutschland so typisch ist. Was in Gera funktioniert, hat die Chance, überall in Deutschland erfolgreich zu sein. Gera soll somit das Testgelände unter realen Bedingungen sein und das geplante „Deut- sche Zentrum Mobilität der Zukunft“ (DZMZ) um die Anwendung im praktischen Dauer- einsatz in einem für weite Teile Deutschlands typischen Referenzraum ergänzen. Die Stadt lädt dazu ein, die unterschiedlichen Systeme im Stadtraum und im Umland einzuset- zen und auf ihre Wirksamkeit zu prüfen. Gera wird dazu eine Projektstruktur aufbauen und die Auswahl der Implementationen gemeinsam mit der Stadtgesellschaft selbst tref- fen. Die Kriterien sind das Versprechen zur Lösung der lokalen und regionalen Verkehrs- probleme sowie die Aussicht auf eine bundesweite Implementation. Gera knüpft dabei an eine langjährige Tradition als Industrie- und Innovationsstandort an.
Seite 7 von 42 2 DER STANDORT GERA: CHARAKTERISTIKA UND POTENTIALE Die über 1000 Jahre alte Stadt Gera war in ihrer Geschichte immer wieder ein Kristallisati- onspunkt der wirtschaftlichen, wissenschaftlichen und kulturelleren Entwicklung des Lan- des. Als einstige Reußische Residenzstadt, als Industriezentrum des 20. Jahrhunderts und das administrative Zentrum der Wismut AG musste sich die Stadt und damit die umlie- gende Region immer wieder neu erfinden und weiterentwickeln, um den steigenden Ein- wohnerzahlen eine hohe Lebensqualität zu bieten. Eine besondere Rolle hat dabei immer das Thema Mobilität gespielt, um die wachsende Stadt und die innerstädtische Infrastruk- tur auszubauen und eine gute Anbindung an die umliegenden Städte und Regionen zu schaffen. Gera liegt praktisch mitten in Deutschland und verfügt über einen direkten Zu- gang zur A4, die nur wenige Kilometer weiter die A9 kreuzt und die Stadt so an zwei der wichtigsten Straßenverkehrsadern des Landes anbindet. Hinzu kommen die Bundesstra- ßen 2, 7 und 92, die sich weit in die Regionen verzweigen. Auf der Schiene bestehen zahl- reiche Regionalverbindungen und darüber Zugang zu den wichtigen Fernverkehrsknoten- punkten in Mitteldeutschland, wie Erfurt und Leipzig. Der innerstädtische Verkehr wird durch Busse und ein Straßenbahnnetz gewährleistet, über mehrere Regionalbuslinien wird das Umland angebunden. Im Ergebnis einer genera- tionenübergreifenden Entwicklung ist eine verkehrsgünstig gelegene Großstadt entstan- den, die sich mit dem nächsten Entwicklungsschritt der Mobilität konfrontiert sieht. Stell- vertretend für viele andere Städte des Landes – vor allem aber die Neuen Bundesländer – braucht Gera ein zukunftsfähiges Mobilitätskonzept, das die umliegenden Regionen bes- ser anbindet und tragfähige Alternativen zum motorisierten Massenverkehr aufzeigt. Im Unterschied zu den Metropolregionen wie München, Hamburg oder Halle-Leipzig gibt Gera ein repräsentatives Abbild eines deutschen Mittelzentrums wieder, das in seinen Entscheidungen stark vom demographischen Wandel und den etablierten Strukturen ei- ner Stadt in Mitteldeutschland mit den sehr begrenzten kommunalen Ressourcen ge- prägt ist. Gera repräsentiert daher nicht nur in der Raumstruktur eine für Deutschland ty-
Seite 8 von 42 pische „Zersiedelungslandschaft“, sondern bildet auch eine Sozialstruktur ab, wie sie ins- besondere in ostdeutschen Städten oft zu finden ist: Der Anteil der Einwohner:innen über 65 ist überproportional genauso hoch wie die Zahl der Transferempfänger:innen. In Gera ist damit schon heute das Realität, was für Deutschland in den kommenden Jah- ren gelten wird. Sowohl in Bezug auf die Altersstruktur als auch auf das generelle Schrumpfen der Bevölkerungszahl. Deutschlands Bevölkerung altert seit einigen Jahren, daran werden auch Migrationsbewegungen nichts ändern. Auch Wanderungsbewegun- gen, beziehungsweise das Wachsen ländlicher Regionen zeichnet sich als gesamtdeut- scher Trend ab. Die Bevölkerungszahl sinkt und immer mehr Menschen konzentrieren sich auf wenige Metropolregionen. Besonders stark zeigen sich diese Dynamiken in den östlichen Bundesländern, in altin- dustrialisierten Wirtschaftsregionen und in den peripher gelegenen ländlichen Räumen der Bundesrepublik. Gera steht dabei stellvertretend für diese Regionen. Abbildung 1: Durchschnittsalter Bevölkerung (Quelle: Statistisches Bundesamt)
Seite 9 von 42 Die drängenden Fragen der Zukunft stellen sich daher in Gera in besonderem Maße: Wie wollen wir uns in Zukunft in Stadt und Region bewegen? Wie bringen wir Mobilität mit den Klimazielen in Einklang? Damit wird es zu einem anspruchsvollen Experimentierfeld, dessen Forschungsergeb- nisse im Vergleich eine wesentlich höhere Verbreitung versprechen. Mit dem Projekt laden Geras Bürger:innen die Wissenschaft ein, ihr Knowhow an einem Ort zu bündeln und der Welt zu zeigen, welche Kompetenzen in Deutschland liegen. Die in der Region vorhandenen Fähigkeiten werden die Projekte in ihrem Tun wirkungsvoll unterstützen. Ziel ist es dabei, den motorisierten Individualverkehr (MIV) zu reduzieren und klimaeffiziente und technologieoffene Lösungen für mehr Lebensqualität in Gera zu entwickeln und zu implementieren. In Gera soll die Mobilität von Personen und Gütern neu gedacht und als Anwendungsraum für innovative Verkehrskonzepte genutzt werden. Die Voraussetzungen dafür sind exzellent und es besteht ein sehr hohes Interesse der Ak- teur:innen vor Ort. Ein ganzheitliches Mobilitätskonzept, das von der Stadtgesellschaft und dem anspruchsvollen Umland gleichsam akzeptiert und genutzt wird, kann der Aus- gangspunkt eines Strukturwandels sein, der viele Regionen unseres Landes herausfor- dert. Gera kann dafür die Blaupause liefern und so die Mobilität der Zukunft bereits heute demonstrieren. Die Otto-Dix-Stadt bietet dafür besonders gute Voraussetzungen. Ausgehend von dem gut ausgebauten, öffentlichen Verkehrssystem und der industriellen Infrastruktur der Re- gion wird es darum gehen, das vorhandene Grundgerüst um neue Mobilitätsdienstleitun- gen zu ergänzen. Dabei kann auf bestehende Expertise in der Transferforschung zurück- gegriffen werden. Mit der Dualen Hochschule ist in Gera bereits ein breites Feld anwen- dungsorientier Forschung etabliert. Diese Expertise gilt es für das neue Projekt zu nutzen und auszubauen. Die zahlreichen mittelständischen Unternehmen der Region investieren überproportional in eigene Forschung und Entwicklung. Sie haben ein hohes Interesse an neuen Ideen beim Standortfaktor Mobilität, um dem Fachkräftemangel begegnen zu kön- nen. Auf dieses bestehende Netzwerk von praktischer Erfahrung soll zurückgegriffen
Seite 10 von 42 werden, um neue Konzepte auf ihre Praxistauglichkeit zu überprüfen und Synergien frei- zusetzen. Mit dem Schleizer Dreieck kann der älteste Straßenrundkurs Deutschlands als Teststrecke für alternative Antriebe wiederbelebt werden. So soll auch an das historische Erbe des Fahrzeugbaus in der Region angeknüpft werden, das sich in zahlreichen kulturhistorisch wertvollen Gebäuden, wie der Fabrik des Fahrzeugbaus Golde, widerspiegelt. Die fort- währende Experimentierfreudigkeit im Osten Thüringens zeigt sich nicht nur an heutigen Projekten, wie dem hochautomatisierten Nahverkehrs-Elektro-Shuttle, das im November 2020 von der Dualen Hochschule und privaten Investor:innen in den Stadtverkehr ge- bracht wird, sondern auch an den zahlreichen Bauhaus-Gebäuden, die seit über 100 Jah- ren das Stadtbild prägen. In Gera finden sich mit über 50 Objekten die meisten Bauhaus- denkmäler. Mit Bauten, wie dem Haus Schulenburg oder dem Handelshof, haben natio- nale und internationale Architekt:innen einige der wichtigsten Baudenkmäler des Neuen Bauens in Gera geschaffen. In Gera knüpft man an eine Tradition an, die kreative Köpfe und Ideen der Zeit im Stadtgebiet zusammenbringt, um diese in der Region zu realisieren. 2.1 Raum- und siedlungsstrukturelle Potenziale im Einzelnen Wie typisch Gera für die deutsche Siedlungsstruktur ist, zeigen die Analysen des Bundes- institutes für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR). Rund zwei Drittel des Bundesge- bietes sind als ländliche Räume klassifiziert (Abbildung 2), in denen etwa 30 % der Bevöl- kerung leben.
Seite 11 von 42 Abbildung 2: Raumstruktur Gera (Quelle: veränderte Darstellung auf Grundlage des BBSR 2020) Die Stadt Gera ist mit knapp 100.000 Einwohner:innen Oberzentrum in Ostthüringen und Bestandteil der polyzentrischen Metropolregion Mitteldeutschland. Die Stadt selbst so- wie der sie umschließende Landkreis Greiz werden dabei als „städtische Kreise“ klassifi- ziert, doch liegen sie makroregional in einem ländlichen bzw. sehr dünn besiedelten Raum. Insbesondere der Raum Ostthüringen sowie das angrenzende Nordbayern und Westsachsen sind seit Jahren von starken Abwanderungsbewegungen geprägt und ste- hen somit paradigmatisch für die Herausforderung der Entwicklung der Mobilitätssiche- rung sowie der allgemeinen Daseinsvorsorge ländlicher Räume. Gleichwohl verfügt dieser Raum über eine lange industrielle Tradition sowie eine agile, vielfältige Forschungsland- schaft. Gera sowie die Region Ostthüringen liegen im Schnittpunkt der Autobahnen A4 und A9. Hieraus ergibt sich eine sehr gute Erreichbarkeit im Straßenverkehr (Abbildung 3), sodass
Seite 12 von 42 innerhalb von 90 Minuten der Standort Gera für eine Vielzahl von Akteur:innen – aus ei- nem immer noch siedlungsstrukturell weitgehend homogenen Raum – gut erreichbar ist. Auch wenn gerade im Bereich von Forschung und Entwicklung die digitale Vernetzung im- mer mehr an Bedeutung gewinnt, ist gerade bei der vorgesehenen Erprobung von Mobili- tätslösungen der hierdurch mögliche persönliche und physische Austausch der Stakehol- der integraler Bestandteil dieses Konzeptes. Abbildung 3: Erreichbarkeit Geras im Straßenverkehr (Quelle: TLBV 2020) Hinsichtlich des Verkehrsverhaltens der Stadt Gera liegen mit der Sonderauswertung zum Forschungsprojekt „Mobilität in Städten – SRV 2018“ aktuelle Analysen vor. Demzufolge zeigen sich für Gera die typischen Herausforderungen von Mittel- und kleineren Großstäd- ten abseits der Verdichtungsräume: Trotz eines in Gera sehr gut ausgebauten ÖPNV be- sitzt das eigene Auto eine überproportionale Bedeutung, Sharing-Angebote werden nur spärlich in Anspruch genommen, der nicht-motorisierte Verkehr ist insgesamt auf dem
Seite 13 von 42 Rückzug. Fragen der Dekarbonisierung wurden im Rahmen dieser Untersuchung nicht be- antwortet, doch zeigen Statistiken des Kraftfahrt-Bundesamtes, dass auch die Markt- durchdringung mit elektromobilen Fahrzeugen in diesen Regionen unterrepräsentiert ist. Insgesamt ergeben sich damit für die Stadt und die Region Gera folgende Stärken und Po- tenziale: • Siedlungsstrukturell stehen Stadt und Region paradigmatisch für die Herausforde- rungen schrumpfender Räume abseits der Metropolkerne. • Die Erreichbarkeit von Gera in diesem Raum ist außerordentlich hoch, sodass ide- ale Voraussetzungen für eine Vernetzung vielfältiger Akteur:innen bestehen. • Hinsichtlich des Mobilitätsverhaltens und des Fahrzeugbesatzes stehen Stadt und Region Gera beispielhaft für diesen in Deutschland weit verbreiteten Raumstruk- turtyp. 2.2 Wissenschafts- und Forschungspotentiale im Überblick Gera als anerkannter Thüringer Hochschulstandort liegt im Zentrum einer agilen For- schungslandschaft mit erkennbarem Schwerpunkt auf Verkehrs- und Mobilitätsforschung und bietet auch vor diesem Hintergrund ideale Voraussetzungen in einem „Deutschen Zentrum Mobilität der Zukunft“ die Kompetenzen der Region zu bündeln. Gera hat das Potenzial regionale Akteur:innen und exzellente Wissenschaftler:innen miteinander zu vernetzen. Das DZMZ würde dabei in einer Reihe mit verschiedenen themenrelevanten Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen im Umkreis von Gera ste- hen. Die untenstehende Abbildung 4 liefert einen ersten Überblick zu eben jenen Bil- dungs- und Forschungseinrichtungen in der Region. Mit Sitz in Gera wird das DZMZ unmit- telbar von der bereits in der Region verankerten fachlichen Expertise und dem hier herr- schenden Forschergeist profitieren können.
Seite 14 von 42 Abbildung 4: Forschungseinrichtungen mit Mobilitätsbezug im erweiterten Umfeld von Gera (Quelle: ei- gene Darstellung; Kartengrundlage: openstreetmap.fr/de) Nachfolgend werden die einzelnen Bildungs- wie Forschungseinrichtungen kurz vorge- stellt und thematische Anknüpfungspunkte an ein DZMZ aufgezeigt: Duale Hochschule Gera Die Duale Hochschule Gera bietet insbesondere mit der Studienrichtung Logistik deutli- che Anknüpfungspunkte zum DZMZ. Ein DZMZ in einem agilen und noch jungen Hochschulstandort wie Gera anzusiedeln, kann zudem zu positiven Synergieeffekten führen. Die künftig an einem Mobilitätszentrum tä- tigen Wissenschaftler:innen können vor Ort ausgebildet werden. Das DZMZ hat hier die Möglichkeit, den Ausbildungsweg hinsichtlich neuster Technologien aktiv zu begleiten und Studierende auf ihrem Weg in die Forschung zu prägen.
Seite 15 von 42 Bauhaus-Universität Weimar Die Bauhaus-Universität Weimar liegt ca. 65 km westlich von der Stadt Gera. Mit der Fa- kultät Bauingenieurwesen und hier insbesondere der Professur Verkehrssystemplanung sowie dem Bauhaus-Institut für zukunftsweisende Infrastruktursysteme (b.is) weist die Universität eine besondere Expertise hinsichtlich Wasserstofftechnologien und neuen An- triebstechnologien auf. Derzeit verantwortet die Bauhaus-Universität Weimar mit Part- nern aus Wissenschaft und Industrie den Aufbau des mit rund 20 Millionen Euro geförder- ten Bauhaus. MobilityLab in Erfurt. Ein Experimentierfeld, in dem innovative Produkte und Dienstleistungen in den Bereichen Mobilität, Logistik und Energie unter Realbedin- gungen getestet werden. Das Reallabor ist Teil der KI-Initiative der Bundesregierung und soll dauerhaft betrieben werden. Fachhochschule Erfurt Im rund 80 km entfernten Erfurt wird vor allem am Institut Verkehr und Raum (IVR) der Fachhochschule Erfurt bereits seit über 15 Jahren zur Zukunft der Mobilität geforscht. Das interdisziplinär aufgestellte Forschungsinstitut konnte seit Gründung bereits mehr als 150 Forschungsprojekte auf EU-, Bundes- und Landesebene durchführen. Derzeitige Arbeits- schwerpunkte sind insbesondere die Elektromobilität sowie die Digitalisierung des Ver- kehrssystems. Darüber hinaus werden an der Fakultät Wirtschaft-Logistik-Verkehr mit ih- rer Fachrichtung Verkehrs- und Transportwesen die Mobilitätsexpert:innen der Zukunft ausgebildet. Friedrich-Schiller-Universität Jena An der Forschungsstelle Verkehrsmarktrecht der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Friedrich-Schiller-Universität Jena, die ca. 40 km von Gera entfernt liegt, wird zu den rechtlichen Grundlagen des Verkehrssystems geforscht. Dabei hat es sich die Forschungs- stelle zum Ziel gemacht, objektiv und von wirtschaftlichen Interessen unbeeinflusst die
Seite 16 von 42 juristischen Problemstellungen des Verkehrsmarktes zu beleuchten. Zu diesem Zweck er- folgt eine intensive Zusammenarbeit mit den Akteur:innen des Verkehrsmarktes wie Ver- kehrsunternehmen, Aufsichtsbehörden, Aufgabenträgern und Verbänden. Technische Universität Ilmenau An der etwa 110 km entfernten Technischen Universität Ilmenau wurde im Jahr 2011 das Thüringer Innovationszentrum Mobilität (ThIMo) gegründet. Im interdisziplinär aufge- stellten Wissenschafts- und Entwicklungszentrum steht das umweltgerechte, intelligente, digitalisierte und komplex vernetzte Mobilitätssystem im Mittelpunkt der Forschung. Das Zentrum unterhält dabei Kooperationsbeziehungen mit über 200 inter- wie nationalen Partnern aus Industrie und Wissenschaft. In den fünf Kompetenzfeldern Antriebstechnik (1), Fahrzeugtechnik (2), Funk- und Informationstechnik (3), Leistungselektronik und funk- tionale Integration (4) sowie Kunststofftechnik und Leichtbau (5) erforschen die ansässi- gen Wissenschaftler:innen die Zukunft der Mobilität. Westsächsische Hochschule Zwickau Nur rund 45 km östlich von Gera liegt Zwickau, eine Stadt mit jahrzehntelanger Tradition in der Automobilwirtschaft. Wie die Stadt selbst ist auch die dort ansässige Westsächsi- sche Hochschule Zwickau von dieser Tradition geprägt. An der sogenannten Hochschule für Mobilität werden sowohl in der Fakultät Kraftfahrzeugtechnik als auch in der Fakultät Automobil- und Maschinenbau Studierende als Fachkräfte für den Automobilstandort Deutschland ausgebildet. Ein starker Anwendungsbezug und moderne Laborausstattun- gen sichern eine gelungene und zukunftsfeste Ausbildung. Darüber hinaus wird in ver- schiedenen Gliederungen der Hochschule (Zentrum für Kraftfahrzeugelektronik (ZKE), Institut für Kraftfahrzeugtechnik, Institut für Energie und Verkehr) zur Zukunft des Auto- mobils geforscht.
Seite 17 von 42 Technische Universität Chemnitz An der Fakultät für Maschinenbau der Technischen Universität Chemnitz, welche sich rund 70 km westlich von Gera befindet, betreiben Wissenschaftler:innen Grundlagenfor- schung zu den Themen Automobilproduktionstechnologien sowie Struktur- und System- leichtbau. Darüber hinaus muss der kürzlich in Kooperation mit der Deutschen Bahn AG gegründete Smart Rail Connectivity-Campus zur Erforschung von Technologien der Digi- talisierung und Automatisierung des Schienenverkehrs besonders hervorgehoben wer- den. Entlang einer von der Erzgebirgsbahn betriebenen Strecke zwischen Annaberg- Buchholz und Schwarzenberg soll dafür das "Digitale Testfeld Bahn" aufgebaut werden. Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur Leipzig Im 70 km entfernten Leipzig wird am Kompetenzzentrum Elektromobilität und Ladeinfra- struktur der Fakultät Ingenieurwissenschaften der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur an neuen Antriebstechnologien für den Motorisierten Individualverkehr (MIV) geforscht. In insbesondere bundesgeförderten Drittmittelvorhaben versuchen die Wis- senschaftler:innen des Kompetenzzentrums vor allem Lösungsansätze zu entwickeln, wie flächendeckend und platzsparend Infrastrukturen zum Laden von Elektrofahrzeugen im urbanen Raum etabliert werden können. Universität Leipzig Das Kompetenzzentrum Öffentliche Wirtschaft, Infrastruktur und Daseinsvorsorge e.V. (KOWID) als Ausgründung der Universität Leipzig bündelt die fachliche Expertise zahlrei- cher an der Universität ansässiger Lehrstühle und Institute. Unter anderem neben den Themenfeldern Stadtentwicklung, Energie sowie Gesundheitsökonomie bildet Mobilität einen Forschungsschwerpunkt des KOWID. Insbesondere stehen hier neue Formen der Mobilität wie Sharing-Modelle und Organisationsformen und Finanzierungsmodelle des ÖPNV im Mittelpunkt der Forschungsarbeit.
Seite 18 von 42 Hochschule Hof Im bayrischen Hof, ebenfalls nur rund 90 km von Gera entfernt, werden an der Fakultät Wirtschaftswissenschaften im Masterstudiengang Logistik die Studierenden auf die Über- nahme von Logistikmanagementaufgaben vorbereitet. In der praxisnahen Ausbildung spielen neue Logistiklösungen und -konzepte eine zentrale Rolle und werden sowohl aus technischer als auch aus betriebswirtschaftlicher Sicht vermittelt. So werden hier Studie- rende ausgebildet, die als dringend benötigte Fachkräfte in der noch immer wachsenden Logistik-Branche in Deutschland ihren Platz finden. Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg Auch an der Juristischen und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Martin-Luther- Universität Halle-Wittenberg wird zur Zukunft von Produktion und Logistik gelehrt und geforscht. Im rund 110 km entfernten Halle beschäftigen sich Forscher:innen u.a. mit dem Potenzial von Lieferdrohnen als Ersatz für den straßengebundenen Gütertransport. Dar- über hinaus wird an einem emissionsorientierten Management landgebundener Güterver- kehre geforscht. Hochschule Merseburg Etwa 80 km entfernt von Gera liegt die Hochschule Merseburg. Der dort ansässige Fach- bereich Wirtschaftswissenschaften und Informationswissenschaften bildet ebenfalls für den wachsenden Markt der Logistik-Dienstleister aus. Darüber hinaus wird an der Hoch- schule zur Entwicklung von Verfahren zur Steuerung komplexer Logistiknetzwerke ge- forscht und nach innovativen IT-Lösungen gesucht.
Seite 19 von 42 Fraunhofer Institut für Optronik, Systemtechnik und Bildauswertung IOSB, Institutsteil An- gewandte Systemtechnik (AST) Der Institutsteil Angewandte Systemtechnik (AST) des Fraunhofer-Instituts für Optronik, Systemtechnik und Bildauswertung IOSB ist im thüringischen Ilmenau ansässig. In exzel- lenten Forschungs- und Entwicklungsprojekten wird hier vor dem Hintergrund der Digita- lisierung konsequent und branchenübergreifend unter anderem zu Energiespeichern, Strom- und Energiesystemen geforscht. Mit Blick auf neue Antriebstechnologien sind das zentrale Themenfelder in der Mobilitäts- und Verkehrsforschung. Batterie-Innovations- und Technologie-Center (BITC) des Fraunhofer IKTS Zwischen Erfurt und Ilmenau rund 95 km von Gera entfernt am Erfurter Kreuz konnte im Juli 2020 das Batterie-Innovations- und Technologie-Center (BITC) des Fraunhofer Insti- tuts für Keramische Technologien und Systeme IKTS eröffnet werden. Mit rund 13,5 Milli- onen Euro durch den Freistaat Thüringen gefördert, entsteht hier ein europaweiter Leuchtturm für energieeffiziente und ressourcenschonende Batteriefertigung. Mit Blick auf den Transformationsprozess in der Automobil- und Energiewirtschaft wird das BITC Lösungen für die vernetzte, digital unterstützte Produktion und Qualitätssicherung von Batteriezellen und -modulen erarbeiten. Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) Das Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Leipzig widmet sich im Department „Umweltpolitik“ immer wieder auch Themen der Mobilitäts- und Verkehrsforschung. Aus umweltpolitischer Perspektive sind dabei in den vergangenen Jahren unter anderem Chancen und Risiken neuer Antriebstechnologien wie die Elektromobilität oder auch die Potenziale einer multimodalen Verkehrsmittelwahl untersucht worden.
Seite 20 von 42 Leibniz-Institut für Länderkunde (IfL) Im ebenfalls in Leipzig angesiedelten Leibniz-Institut für Länderkunde forscht ein interdis- ziplinäres Team der Forschungsgruppe „Mobilitäten und Migration“ in der Abteilung „Re- gionale Geographie Europas" zur Wahrnehmung des öffentlichen Verkehrs im internatio- nalen Kontext. Insbesondere interessieren sich die Wissenschaftler:innen dabei für infor- melle Formen und Praktiken des ÖV. Die stark raum- und geisteswissenschaftlich ausge- richtete Erforschung des öffentlichen Verkehrs bildet dabei einen deutlichen Kontrast zu der sonst eher ingenieurwissenschaftlich geprägten Perspektive in der Verkehrsfor- schung. Das im Umfeld von Gera vorhandene regionale Cluster bündelt somit eine hervorragende Expertise, die für den Experimentierraum genutzt werden soll. In den vier Themenfeldern Mobilität, Logistik, Wasserstoff und autonomes und hochautomatisiertes Fahren gibt es bestehende Forschungseinrichtungen, die mit dem Anwendungsfeld in Gera eng zu ver- knüpfen sind. Hieraus ergeben sich in beide Richtungen große Synergien und Vorteile: ➢ Das Anwendungsfeld wird in eine bestehende wissenschaftliche Infrastruktur ein- gebettet und kann das große Know-how und die bestehenden Netzwerke nutzen. ➢ Die vorhandenen Forschungseinrichtungen erhalten die Möglichkeit, in einem gro- ßen Stadt-Umland-Raum eine reale Entwicklung von Mobilität und Verkehr zu im- plementieren und zu testen. Die Bereitschaft der Stadtgesellschaft, nachhaltige Lösungen (wie z.B. die Umverteilung von Verkehrsflächen) zunächst temporär und dann auch dauerhaft umzusetzen, stellt ein wichtiges Alleinstellungsmerkmal für das Zentrum dar. Es wird empfohlen, in einem Auswahlprozess regionale Forschungseinrichtungen als wis- senschaftlich Verantwortliche für die unterschiedlichen Themenfelder des Anwendungs- zentrums zu gewinnen. Durch den interdisziplinären Ansatz des Konzepts werden ganz- heitliche Lösungen bei der Umsetzung möglich. Die Themenverantwortlichen können als Teil des weiter unten vorgeschlagenen Implementationsbeirates die örtliche und regio- nale Umsetzung wirkungsvoll unterstützen.
Seite 21 von 42 2.3 Industriepotenziale Der Raum Gera liegt am östlichen Ende der Thüringer Städtekette (Eisenach – Gotha – Er- furt – Weimar – Jena) zwischen dem Verdichtungsraum Halle/Leipzig, dem westsächsi- schen Industrierevier um Chemnitz/Zwickau mit starker Automobilindustrie sowie den in Nordbayern zahlreich vertretenen Unternehmen der Automobilzuliefererindustrie. Durch die beiden Autobahnen A4 und A9 sind diese Regionen sehr gut an Gera angeschlossen. Aus dieser guten geographischen Lage resultieren auch die besonderen industriellen Ver- flechtungspotenziale in Gera. Der Freistaat Thüringen verfügt neben dem ausgewiesenen Standort der Automobilpro- duktion in Eisenach über eine vielfältige und stark diversifizierte Automobilindustrie. Hierzu liegt eine „Tiefenanalyse zu Möglichkeiten der Zukunftssicherung der Automobil- zuliefererindustrie in Thüringen“ des Automotive Thüringen e.V. vor, die im Auftrag des Thüringer Ministeriums für Wirtschaft, Wissenschaft und Digitale Gesellschaft (TMWWDG) und der Landesentwicklungsgesellschaft Thüringen (LEG) erarbeitet wurde. Ebenso wurde für Thüringen eine „Automotive Agenda“ als wirtschafts- und strukturpoli- tisches Programm erarbeitet, das mit den Zukunftsfeldern „Elektromobilität“, „Autono- mes Fahren“ und „Neue Mobilität“ die für die Außenstelle des DZMZ in Gera vorgeschla- genen Schwerpunkte explizit adressiert. Das industriepolitische Bekenntnis des Landes besitzt somit eine hohe Passfähigkeit mit einem Standort des DZMZ in Gera, wodurch er- hebliche Synergien genutzt werden können. Im Bereich der Elektromobilität entsteht durch die CATL-Ansiedlung am Erfurter Kreuz der größte Batteriezellen-Standort in Europa, in dessen Zuge auch Bosch in Eisenach so- wie Marquardt in Ichtershausen (Batteriemanagement-Systeme)1 erhebliche Neuinvestiti- onen angekündigt haben. Eine Alternative zum batterieelektrischen Fahrzeug stellt die Wasserstofftechnologie dar. 1 Quelle: http://www.tria-online.eu/Newsein- trag.17.0.html?&tx_news_pi1%5Bnews%5D=6748&tx_news_pi1%5Bcontrol- ler%5D=News&tx_news_pi1%5Baction%5D=detail&cHash=4d5e158d03d2ee1917d795ecd13967bc (zuletzt abgerufen am 02.10.2020)
Seite 22 von 42 Im Bereich des autonomen Fahrens wird in Thüringen eine besondere Stärke durch die Vernetzung mit der überregional anerkannten optischen/fotonischen Industrie und For- schungslandschaft im Raum Jena gesehen. In Kombination mit regionalen Sensorik-Un- ternehmen bestehen hier große Potenziale für eine angewandte Forschung bezogen auf den Fahrzeugeinsatz und dessen wirtschaftlichen, planerischen und ökologischen As- pekte. Besondere Chancen im Bereich des autonomen Fahrens bestehen schließlich für die in der Region stark vertretene Nutzfahrzeugindustrie (Multicar und Schmitz Cargobull AG in Gotha, Fliegl Fahrzeugbau in Triptis, Bell Equipment in Eisenach sowie die GAMO Verkaufsmobile in Altenburg) sowie die Bushersteller TS Fahrzeugtechnik in Weida und Göppel in Ehrenhain, die bereits sehr nutzerspezifische innovative Fahrzeugkonzepte ent- wickeln, die idealerweise im Raum Gera im Alltagseinsatz erprobt werden könnten. Ein erster Anwendungsfall eines teil-automatisierten Shuttles wird in Gera für den November erwartet als Gemeinschaftsprojekt der Dualen Hochschule, der Fischer Academy sowie der Immobilienentwicklungsgesellschaft TAG (siehe unten). Thüringen ist durch die zentrale Lage ein wichtiger Standort der Logistik-Industrie gewor- den. In etwa 2000 Logistikunternehmen sind fast 100.000 Beschäftigte angestellt. Die überwiegend durch kleinere und mittlere Unternehmen (KMU) geprägte Branche hat ein hohes Innovationspotential und ist durch Kooperationen mit den zahlreichen Forschungs- einrichtungen prädestiniert für eine Zusammenarbeit mit dem DZMZ. Der Raum Halle/Leipzig ist vor allem durch die großen Automobilstandorte von BMW und Porsche geprägt, in deren Zuge sich eine vitale Zulieferindustrie entwickelt hat. Ein her- ausragendes Automobilcluster in Sachsen stellt aber vor allem die Region zwischen Plauen und Chemnitz mit dem Schwerpunkt um das VW-Werk in Zwickau dar. Aufbauend auf einer langen Tradition der Automobilherstellung konnte hier nach der Wende der An- schluss zum internationalen Stand der Technik wiederhergestellt werden. Auch im an- grenzenden Nordbayern sind nach Angaben der IHK zu Coburg in über 300 Betrieben der Automobilzuliefererindustrie mit zahlreichen Weltmarktführern für Premiummarken über 50.000 Personen beschäftigt, die angesichts der großen Entfernung zu den Zentralräu- men der OEM für die Erprobung innovativer Fahrzeugkonzepte in realer Umgebung als Partner eingebunden werden könnten.
Seite 23 von 42 3 STAKEHOLDER EINES DZMZ IN GERA Die Ansiedlung eines DZMZ in der Region Gera würde auf ein vitales Akteur:innennetz- werk vor Ort treffen, welches sich durch eine starke Umsetzungsorientierung und einen hohen Erprobungswillen kennzeichnet. Innovationsgeist und der Mut zum Experimentie- ren sind Charakteristika der in Gera und der Region ansässigen Akteur:innen. Nicht zuletzt unterstützt der Oberbürgermeister der Stadt Gera sowie die Stadtverwaltung die Ansied- lung eines DZMZ in der Region. Abbildung 5 gibt einen ersten Überblick über die in der Stadt Gera ansässigen relevanten Akteur:innen. Duale Hochschule Gera-Eisenach SRH Hochschule für Gesundheit Studenten-Förderverein Gera e.V. Energieversorgung Gera GmbH TAG Wohnen Fischer Academy GmbH GVB Verkehrs- & Betriebsgesellschaft Gera mbH (Kartengrundlage: Google Maps; ohne Maßstab) LEGENDE Hochschulen Ehrenamtliche Akteure Unternehmen Abbildung 5: Akteur:innennetzwerk in der Stadt Gera (Quelle: eigene Darstellung, Kartengrundlage: o- penstreetmap.fr/de)
Seite 24 von 42 Neben der bereits aufgeführten Dualen Hochschule Gera-Eisenach bietet die Stadt Gera mit der ansässigen SRH Hochschule für Gesundheit eine zweite Hochschule als for- schungsaffinen Anknüpfungspunkt für ein DZMZ. Der Hochschulstandort Gera wird dar- über hinaus aus zivilgesellschaftlicher Perspektive auch durch die Arbeit des Studenten- Fördervereins Gera e.V. geprägt.2 Die Stadt Gera hat sich bereits in der Vergangenheit als Experimentierfeld im Bereich des autonomen Fahrens etablieren können. Derzeit wird durch die Stadt Gera, die TAG Woh- nen und die Fischer Academy GmbH der Einsatz eines selbstfahrenden Shuttles im Stadt- gebiet ab Herbst 2020 vorbereitet. Die Fischer Academy GmbH als eine der innovativsten und zugleich umsatzstärksten Fahrschulen in Deutschland engagiert sich bereits seit lan- gem für neue Mobilitätsformen in Gera und zeichnet sich dabei insbesondere durch einen außerordentlichen Pioniergeist aus. Die TAG Wohnen als Teil der TAG Immobilien AG ist das fünftgrößte überregionale Wohnungsunternehmen in Deutschland und verfügt allein in Thüringen über 20.000 Wohneinheiten. Ziel der TAG Wohnen ist es, am Standort Gera neue Konzepte für die Mobilitätssicherung in Quartieren, die bisher nur unzureichend an den ÖPNV angebunden sind, zu erproben. Weiterer zentraler Akteur vor Ort ist die GVB Verkehrs- und Betriebsgesellschaft Gera mbH. Das Verkehrsunternehmen ist Betreiber des städtischen Straßenbahn- sowie Bus- netzes und unterhält derzeit drei Straßenbahnlinien sowie 14 Buslinien. Rund 15,5 Millio- nen Fahrgäste werden pro Jahr transportiert. Damit bietet die GVB ideale Voraussetzun- gen als potenzieller Kooperationspartner für Realexperimente des DZMZ. Gleiches gilt für die 1991 gegründete Energieversorgung Gera GmbH (EGG), die mehr als 70.000 Kund:in- nen mit Energie versorgt. Das Unternehmen engagiert sich bereits heute aktiv im Bereich der Elektromobilität und hat auch aus diesem Grund das Potenzial eines kompetenten Partners des DZMZ. 2 Der Studenten-Förderverein Gera e.V. hat bereits im März 2020 einen offenen Brief zur Ansiedlung eines DZMZ in Gera verfasst. Dieser ist online abrufbar unter: https://www.studenten-gera.de/ (zuletzt abgerufen am 14.08.2020)
Seite 25 von 42 Auch über die Stadtgrenzen hinweg bietet sich Potenzial für die Einrichtung von Test- und Experimentierfeldern für neue Technologien, Infrastrukturen und Mobilitätsangebote. Hierbei gilt es insbesondere den Flughafen Altenburg-Nobitz sowie die Rennstrecke am Schleizer Dreieck hervorzuheben. Der Flugplatz in Altenburg-Nobitz hat auch dadurch, dass er nicht durch ein System des Linienverkehrs eingeschränkt wird, ideale Bedingun- gen für die Praxiserprobung neuer Technologien im Luftraum. Darüber hinaus kann mit dem dort ansässigen Europäischen Drohnen-Zentrum Altenburg-Nobitz (EDZ) auf erste Expertise im Feld der Praxiserprobung von Drohnentechnologie verwiesen werden. Mit dem Fokus auf den Straßenraum hingegen besteht mit der Betreibergesellschaft “Schlei- zer Dreieck” mbH ein kompetenter und engagierter Partner. In Ergänzung zu einem Real- labor im Stadtgebiet Gera verfügt die Strecke des Schleizer Dreiecks über ideale Voraus- setzungen, in einem geschützten Rahmen neue Technologien zu testen und bis zur Ein- satzfähigkeit unter Realbedingungen zu führen. Gera ist das Zentrum der regionalen Wirtschaft Ostthüringens, verfolgt seit Jahren eine gezielte Ansiedlungspolitik für verarbeitendes Gewerbe und kann daher zahlreiche Ak- teur:innen vor Ort aufweisen, die untereinander hervorragend vernetzt und wichtig für die Weiterentwicklung der Mobilität von morgen sind. Um die Stadtgesellschaft gewinn- bringend in das Projekt zu integrieren, ist es elementar, Gera als Standort des DZMZ zu etablieren. Auch die Lage im Länderdreieck Thüringen, Sachen und Sachsen-Anhalt ist eine Stärke, die als Standortortvorteil für das DZMZ genutzt werden soll.
Seite 26 von 42 4 ORGANISATION UND STRUKTUR DES ZUKUNFTSRAUMES GERA Wie kann ein solcher Zukunftsraum als Teil des DZMZ organisiert und strukturiert wer- den? Oberstes Prinzip ist dabei, dass die technischen Lösungen versprechen, die darge- legten lokalen und regionalen Probleme der Stadt und des Umlandes, die für Deutschland so typisch sind, zu lösen, neue wirtschaftliche Perspektiven zu bieten und den Erforder- nissen der Nachhaltigkeit zu folgen. Die Stadt Gera gründet dazu ein „Projektbüro Zukunftsraum“, in dem neben der Stadt selbst ausgewählte Vertreter:innen der Stadtgesellschaft, der umliegenden Kreise sowie das DZMZ als Beirat vertreten sind. Dieses Büro bildet den Nukleus des Zukunftsraumes und dient als Verbindungsglied zum DZMZ. Es ist vorgesehen, dass dieses Büro eng mit den im Aufbau befindlichen Strukturen des „Smart City“-Vorhabens der Stadt korrespon- diert. Das Büro lädt Vertreter:innen von Wissenschaft und Forschung sowie alle interessierten Anbieter:innen ein, ihre Lösungen zu präsentieren. Gemeinsam mit dem DZMZ sowie dem Beirat werden dann Lösungen ausgesucht und zur Implementierung vorgeschlagen und die örtlichen und regionalen Partner ausgewählt, um eine entsprechende Applikationskul- tur zu sichern. Dabei soll eine erste Phase des Experimentierens mit Mitteln des DZMZ ge- fördert und für eine zweite Phase eine dauerhafte finanzielle Grundlage gefunden wer- den. Ziel ist es, die Lösungen nachhaltig in der Stadt und im Umland zu etablieren und als „lebendige Werbeplattform für die neue Mobilität“ zu nutzen. Die Projekte werden dazu aufgefordert, eigene Erfolgskriterien zu definieren und einen Implementationsplan vorzu- legen, der die folgende Kernfrage beantwortet: Welche Probleme sollen mit welcher technischen und oder sozialen Neuerung und mit welchen Partner:innen in nachhaltiger und sozialer Weise gelöst werden? Der Beirat des Büros entscheidet dann, ob ein solches Vorhaben eingeführt und gemein- sam im Verflechtungsraum mit den Partner:innen umgesetzt wird. Das Büro organisiert nach dieser Entscheidung für jedes Vorhaben einen sogenannten Implementationsbeirat,
Seite 27 von 42 der aus Vertreter:innen der beteiligten Stadt- und Kommunalverwaltungen sowie Vertre- ter:innen der Legislative und interessierten Nutzer:innen besteht. Ziel dieses Implementationsbeirates ist die Übernahme und Erledigung einer „One-Stop- Agency“ vergleichbaren Aufgabe, nämlich alle genehmigungs- und beteiligungsrechtli- chen Voraussetzungen zu schaffen und eventuell auch im Falle von Experimentierklauseln neu zu organisieren und das Vorhaben von Beginn an zu begleiten. Es ist davon auszuge- hen, dass die Experimentier- und Innovationsklauseln der Straßenverkehrsordnung (StVO), der Straßenverkehrszulassungsordnung (StVZ0) sowie des Personenbeförde- rungsgesetzes (PBefG) primär adressiert werden. Die Stadt Gera ist aber bereit, auch die den Kommunen eingeräumten Rechte beim Carsharinggesetz (CsgG) sowie des Elektro- mobilitätsgesetzes (EmoG) offensiv zu nutzen. Der Implementationsbeirat überwacht den Implementationsplan und entscheidet auch darüber, ob das Vorhaben seine Ziele erreicht und alle Mittel auch ausgezahlt werden können. Der Erfolg und die Akzeptanz eines Innovationslabors hängen wesentlich von den techni- schen, organisatorischen und personellen Voraussetzungen ab, die vor Ort zur Verfügung gestellt werden. In Gera soll daher eine Infrastruktur geschaffen werden, die optimale Randbedingungen und Voraussetzungen für die Durchführung von Forschungs- und Ent- wicklungsprojekten und die Demonstration von Innovationen garantiert. Das beinhaltet insbesondere die Verfügbarkeit einer Koordination sowie ein Set von Werkzeugen und Daten für das Monitoring und die Evaluation. Von besonderer Bedeutung wird die konti- nuierliche Bereitstellung von ausgewiesenem Personal zur Betreuung und Organisation der Projekte sein.
Seite 28 von 42 Abbildung 6: Aufbau DZMZ (Quelle: eigene Darstellung) 4.1 Mögliche Bausteine der nachhaltigen Mobilität der Zukunft in Gera Für die Mobilität der Zukunft bestehen zahlreiche technische Innovationen, Überlegun- gen zu ökonomischen Geschäftsmodellen, Konzepte für integrierte und digitale vernetzte Mobilität, Erprobungsklauseln im rechtlichen Rahmen sowie erkennbare gesellschaftliche Trends hin zu einer Mobilitätswende. Alle diese Bausteine brauchen aber eine koordi- nierte Umsetzung, Anwendung und Erprobung in der Fläche. Grundidee des Zukunftsrau- mes Gera ist es, diese unterschiedlichen Ansätze in der Stadt und der Umgebung zu reali- sieren. Als Beispiel für Anwendungsfelder können die unterschiedlichen Ansätze in Form eines „morphologischen Kastens“ dargestellt werden, um den Stadt-Umland-Raum Gera als (peri-)urbanen Experimentier- und Lösungsraum anzuzeigen und so die Mobilität der Zukunft bereits heute zu demonstrieren. Ergänzt wird dieser gesellschaftliche Experimentierraum durch „geschützte Laborflä- chen“ im Geraer Umland wie dem Flugplatz Altenburg-Nobitz, das Schleizer Dreieck oder auch vorhandene stillgelegte Eisenbahninfrastrukturen in der Stadt, auf denen technische Pre-Tests vor der Einführung im realen Stadt-Umland-Raum erprobt werden können.
Seite 29 von 42 Die einzelnen Bausteine dieses (peri-)urbanen Experimentier- und Lösungsraumes Gera, die im Einzelnen bereits eine hohe Umsetzungsreife und bei den Stakeholdern in Gera eine hohe Akzeptanz besitzen sowie deren Verknüpfungsmöglichkeiten, veranschaulicht Abbildung 7. Die technologischen Bausteine, die ggf. ergänzend in den „geschützten La- borflächen“ erprobt werden können, sind blau dargestellt; die Bausteine, die keine tech- nischen Risiken in sich bergen, unmittelbar zur Verfügung stehen und allein der Anwen- dung im Experimentier- und Lösungsraum Gera als Reallabor bedürfen, sind hellrot darge- stellt. Abbildung 7: Bausteine des „Deutschen Zentrums für nachhaltige Mobilität der Zukunft“ Gera (Quelle: eigene Darstellung) Wasserstofftechnologien Wasserstofftechnologien ergänzen die Überlegungen für elektrische Antriebe. Hier be- stehen in Thüringen bereits zahlreiche einschlägige Forschungsprojekte, deren Umset- zung sich insbesondere für eine Dekarbonisierung des ÖPNV in der Fläche anbietet.
Seite 30 von 42 Als zentrales Element des Zukunftsraumes Gera wird dieser Baustein als mögliche Projek- tidee im Anschluss vertieft dargestellt. Elektrische Antriebe Elektrische Antriebe sind die Grundvoraussetzung für eine Dekarbonisierung des Ver- kehrssystems. Die Technologien sind seit Jahren weit vorangeschritten, doch geht es ins- besondere darum, über neue Geschäftsmodelle, Lieferdienste oder im Bereich der Nahmobilität die Verbreitung von elektrischen Fahrzeugen signifikant voran zu treiben. Autonomes und hoch-automatisiertes Fahren Autonomes Fahren bedarf unbedingt einer Erprobung im realen städtischen und periur- banen Umfeld. Neben sich bereits in Erprobung befindlicher Mini-Shuttles sind insbeson- dere im ländlichen Raum Carsharing-Angebote mit selbstfahrenden Fahrzeugen ange- dacht, die sich selbstständig zwischen den Nutzer:innen bewegen und somit quasi Free- Floating-Carsharing ermöglichen. (siehe auch „Baustein Wohnen und Mobilität“) Als zentrales Element des Zukunftsraumes Gera wird dieser Baustein als mögliche Projek- tidee im Anschluss vertieft dargestellt. Neue Geschäftsmodelle Neue Geschäftsmodelle sind eine wesentliche Voraussetzung, um innovative Mobilitäts- dienstleistungen dauerhaft im Markt zu platzieren. Insbesondere genossenschaftliche Lö- sungen sowie die Kombination unterschiedlicher Dienstleistungen werden hier im Mittel- punkt stehen.
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