Zur Inklusionsentwicklung im Land Brandenburg bis 2020 Empfehlungen des Beirats "Inklusive Bildung" beim Ministerium für Bildung, Jugend und Sport ...

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Zur Inklusionsentwicklung
           im Land Brandenburg
                  bis 2020

              Empfehlungen
                    des
       Beirats „Inklusive Bildung“
                   beim
Ministerium für Bildung, Jugend und Sport
         des Landes Brandenburg

               April 2014

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Gliederung

1         Zukunftsfähigkeit der Brandenburger Schulen auf dem Weg zur Inklusion
1.1       Zukunftsfähige Schulen sind inklusive Schulen
1.2       Sonderpädagogische Förderung in Brandenburg seit 1991
1.3       Inklusion und demografische Entwicklung
1.4       Schlussfolgerungen aus der UN-Behindertenrechtskonvention

2         Die gesellschaftliche Bedeutung
2.1       Inklusion als gesamtgesellschaftlicher und partizipativer Prozess
2.2       Ressortübergreifendes gemeinsames Handeln
2.3       Inklusion auf regionaler Ebene planen und gestalten
2.4       Einrichtung einer Ombudsstelle auf Landesebene

3     Zur Entwicklung inklusiver Schulen und zur Zusammenarbeit mit anderen
      Einrichtungen
3.1   Unterrichtsentwicklung als Kernaufgabe einer inklusiven Schule
3.2   Der Raum als dritter Pädagoge
3.3   Übergänge
3.3.1 Der Übergang von der Kindertagesstätte zur Grundschule
3.3.2 Der Übergang von der Grundschule zur Sekundarstufe I
3.3.3 Der Übergang von der Sekundarstufe I zur Sekundarstufe II und zur berufli-
      chen Bildung und zur Arbeitswelt
3.4   Inklusion im Hort und in der Ganztagsschule
3.5   Inklusion gilt für alle Schulen
3.6   Einbeziehung der freien Träger in die inklusive Schulentwicklung

4         Entwicklungsperspektiven der sonderpädagogischen Förderschwerpunkte
4.1       Förderschwerpunkte Lernen, emotionale und soziale Entwicklung, Sprache
          (LES)
4.2       Förderschwerpunkt geistige Entwicklung
4.3       Förderschwerpunkt körperliche und motorische Entwicklung
4.4       Förderschwerpunkt Hören
4.5       Förderschwerpunkt Sehen

5         Diagnostik an inklusiven Schulen und Konsequenzen für den Ressourcenein-
          satz

6         Curriculare Entwicklungen, Leistungsbewertungen und Abschlüsse
6.1       Curriculare Entwicklungen
6.2       Leistungsbewertungen, Nachteilsausgleich und Abschlüsse
6. 2.1    Leistungsrückmeldungen und Leistungsbewertungen
6. 2. 2   Nachteilsausgleich
6. 2. 3   Abschlüsse

                                                                                   2
7     Personalentwicklung
       7.1   Qualifikation und Aufgaben des Personals im Inklusionsprozess
       7.2   Die Rolle der Schulleitung
       7.3   Lehrkräfte im Inklusionsprozess
       7.3.1 Allgemeine Lehrkräfte
       7.3.2 Sonderpädagogische Lehrkräfte
       7.4   Schulsozialarbeit
       7.5   Unterstützende Personen
       7.5.1 Unterstützung im Rahmen der Eingliederungshilfe zur Gewährleistung einer
             angemessenen Schulbildung nach den Sozialgesetzbüchern VIII und XII
       7.5.2 Unterstützung an Schulen gemäß BbgSchuG §29 Abs. 2 und 3 durch sonstiges
             pädagogisches Personal zur Unterstützung der Vermittlung von Kenntnissen
             und Fertigkeiten im Unterricht
       7.5.3 Unterstützung bei erzieherischen, therapeutischen, pflegerischen, techni-
             schen oder verwaltende Aufgaben

       8       Finanzierungsfragen für unterschiedliche Kostenträger

       9       Zusammenfassung der Empfehlungen

       10      Literatur

       11      Tabellenanhang

Mitglieder des Beirats „Inklusive Bildung“ beim Ministerium für Bildung, Jugend und Sport
des Landes Brandenburg

Katrin Kantak
Prof. Dr. Klaus Klemm
Prof. Dr. Katrin Liebers
Heike Noll
Prof. Dr. Ulf Preuss-Lausitz (Stellvertretender Sprecher des Beirats)
Dr. Irmtraud Schnell
Prof. Dr. Jutta Schöler
Prof. Dr. Agi Schründer-Lenzen
Wilfried W. Steinert (Sprecher des Beirats)
Susanne Wolter

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1 Zukunftsfähigkeit der Brandenburger Schulen auf dem Weg zur Inklusion

1.1 Zukunftsfähige Schulen sind inklusive Schulen
In einer pluralistisch-demokratischen und solidarischen Gesellschaft soll jedes Kind in der Schule will-
kommen geheißen werden, weil jeder Mensch seine eigene Würde und seine Menschenrechte auf
freien Ausdruck, soziale Partizipation und Nichtdiskriminierung hat (vgl. Bellamy u.a. 2007). Jedem
Kind steht daher, unabhängig von seinem Leistungsvermögen, seiner sozialen und ethnischen Her-
kunft, seinem Geschlecht, seinen körperlichen und psychischen Voraussetzungen und seiner Wer-
torientierung Anerkennung zu (vgl. Prengel 2013, 5). Dieser Anspruch gilt in allen Bildungseinrichtun-
gen von Anfang an.1 Daher ist die individuelle Förderung als Grundsatz guten Unterrichts und guter
Schule auf alle Facetten bezogen, auf besondere Talente und Begabungen ebenso wie auf Beein-
trächtigungen und Schwierigkeiten.
        Der Beirat ist sich der Notwendigkeit bewusst, bei einer inklusiven Schule alle diese Dimensi-
onen von Unterschiedlichkeit einbeziehen zu müssen. Er konzentriert sich jedoch, auch aus Gründen
des zeitlich begrenzten Auftrages, auf Fragen, die mit dem gemeinsamen Lernen von Kindern mit und
ohne Beeinträchtigungen und damit mit der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention zu tun
haben. Der Beirat ist überzeugt, dass die von ihm vorgeschlagenen Empfehlungen zu einer Pädagogik
der Vielfalt beitragen, die allen Schülerinnen und Schülern dient.

Der Beirat empfiehlt:

1.1: Alle Schulen erweitern und konkretisieren ihr Leitbild bezüglich der Frage, wie mit der Vielfalt
der Heranwachsenden in Erziehung und Lernen produktiv umgegangen wird. Leitbild und Schulpro-
gramm werden auf der Homepage der Schule veröffentlicht.

Der Begriff der Inklusion ist im engeren Sinne mit der – einstimmigen – Übernahme der UN-
Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) durch Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat im Jahr
2009 verbunden. Tatsächlich hat sich das Brandenburger Schulsystem aber schon viel länger auf da-
mit verbundene Entwicklungen bezogen.
        Dazu gehören u.a.
     der Auf- und Ausbau des gemeinsamen Unterrichts;
     die Einführung der flexiblen Schulanfangsphase und die Möglichkeit des jahrgangsübergrei-
        fenden Unterrichts;
     die Umstellung der Rahmenlehrpläne auf Kompetenzorientierung;
     die Einführung verbindlicher individueller Lernstandsanalysen und des Portfolios als Lern-
        entwicklungsdokumentation;
     die Öffnung von Schulen ins Gemeinwesen z.B. als Schulcampus oder durch räumliche Koppe-
        lung mit anderen öffentlichen Einrichtungen, z. B. mit einer Bibliothek, einem Jugendzentrum
        oder einer Beratungsstelle;
     die Vernetzung mit außerschulischen Partnern im Rahmen ganztägiger Angebote.

Ziel ist es, dass die inklusive und gute Schule sich als Ort individuellen und gemeinsamen Lernens
entwickelt. Sie ist anregender Lern-, Erfahrungs- und Lebensraum, der individuelle Interessen, Kreati-
vität, kognitive und sozial-kommunikative Kompetenzen und verantwortliches Sozialverhalten her-
ausfordert und fördert. Dafür arbeiten am Standort Lehrkräfte, sozialpädagogische Fachkräfte, Ver-
eine, Initiativen, unterstützende Dienste und weitere Akteure gemeinsam und partnerschaftlich mit
Eltern, Schülerinnen und Schülern zusammen.
         Inklusion ist nichts gänzlich Neues, sondern Teil einer allgemeinen gesellschaftlichen Entwick-
lung (Inklusion im weiteren Sinne) und zugleich auch Teil der Weiterentwicklung von Schule (Inklusi-
on im engeren Sinne), die erfolgreiches Lernen, Förderung von Individualität und Solidarität mitei-

1
    Vgl. für den Kita-Bereich AG Kita Runder Tisch Inklusive Bildung Brandenburg, Stand 29. 5. 13, 4).
                                                                                                         4
nander verbindet. Diese Entwicklung muss zugleich intensiviert und ausgebaut werden. Dazu sind
sukzessive die systemischen Rahmenbedingungen zu schaffen.

1.2 Sonderpädagogische Förderung in Brandenburg seit 19912
In den letzten 20 Jahren hat sich in Brandenburg die allgemeine Förderquote3 von rd. 5% auf bis zu
8,6% (Schuljahr 2010/11) erhöht und ist im Schuljahr 2012/13 auf 8,4% leicht gesunken. Sie liegt da-
mit immer noch deutlich über dem Bundesdurchschnitt (6,6% im Schuljahr 2012/13). Der Jungenan-
teil ist bei allen Förderkindern überdurchschnittlich hoch (64,5%), besonders in den Bereichen emo-
tionale und soziale Entwicklung und Sprache (84,2% und 67,1%; vgl. Preuss-Lausitz 2011, 33).
          Das Land Brandenburg hat in seinem ersten Schulreformgesetz 1991 festgelegt, dass der ge-
meinsame Unterricht (GU) „Vorrang“ hat. Der Anteil der Kinder mit festgestelltem (sonderpädagogi-
schen) Förderbedarf ist in den 1990er Jahren im gemeinsamen Unterricht (GU) zunächst moderat (bis
1999: 16%), danach aber deutlicher (2008: 36,5%) gestiegen und hat im Schuljahr 2012/13 42,0%
erreicht (vgl. Preuss-Lausitz 2011, 27; MBJS 2013, 7). Bei den ‚zieldifferent‘ integrierten Kindern liegt
ihr Anteil im GU deutlich unterhalb dieses Durchschnitts (Förderschwerpunkte Lernen 29%, geistige
Entwicklung 6,1%), bei allen übrigen schon zwischen 57% (Hören) und 86% (emotionale und soziale
Entwicklung) (MBJS 2013, 7).
Trotz des kontinuierlichen Ausbaus der gemeinsamen Unterrichtung ist der Anteil derjenigen, die in
Förderschulen unterrichtet werden (sogenannte Förderschulquote), in den letzten 20 Jahren nicht
etwa, wie zu erwarten wäre, im gleichen Maß gesunken, sondern bis 2006 stark angestiegen und
nimmt seither nur sehr allmählich ab; im Schuljahr 2012/13 liegt er bei 4,9%. Generell sollte gelten:
Wo mehr gemeinsamer Unterricht stattfindet – und zwar bei allen Förderschwerpunkten –, dort fin-
det weniger Förderschulunterricht statt.
          Der Anteil der Schülerinnen und Schüler, die im GU und nicht in Förderschulen unterrichtet
werden, ist regional sehr unterschiedlich und schwankt zwischen rund 25% und 55% je nach Land-
kreis/kreisfreier Stadt (vgl. Preuss-Lausitz 2011, 36). Dies lässt sich nur teilweise durch Besonderhei-
ten erklären wie dem Standort einer überregionalen Förderschule (z.B. Förderschule für Sehen im
Landkreis Dahme-Spreewald)4.
          In manchen Landkreisen/kreisfreien Städten ohne Förderschulen in den Förderschwerpunk-
ten Hören, Sehen und körperlich-motorische Entwicklung besteht gleichsam die Notwendigkeit zur
Realisierung wohnortnahen gemeinsamen Lernens. In der Brandenburger Entwicklung des gemein-
samen Unterrichts hat sich gezeigt, dass .die Unterschiede zwischen den Landkreisen und kreisfreien
Städten auch dadurch entstanden sein können, dass besonders engagierte Lehrkräfte, Schulleitun-
gen, Schulaufsichtsbeamte, Eltern, Mitglieder von Kreistagen und Kommunalverwaltungen und ande-
re eine wichtige Rolle bei der Zunahme des gemeinsamen Lernens spielten.
          Die regionalen Anteile gemeinsamen Lernens machen zugleich deutlich, dass es in jedem
Landkreis und in jeder Stadt Erfahrungen mit gemeinsamem Lernen gibt, die es für die weitere Ent-
wicklung zu nutzen gilt. Für die 1990er Jahre liegen diese Erfahrungen ausgewertet vor (vgl. Heyer
u.a. 1997).
          Brandenburg ist mit seiner Integrationsquote von 42% zusammen mit Bremen, Schleswig-
Holstein, Hamburg, Berlin und Saarland im bundesweiten Vergleich auf dem Weg zur inklusiven
Schulentwicklung am weitesten vorangeschritten.5 Betrachtet man aber die gesamteuropäische Ent-
wicklung von 29 Staaten, bei der Deutschland zusammen mit Belgien auf den letzten beiden Plätzen
liegt, so würde auch Brandenburg nur den fünftletzten Platz erreichen (nach European Agency 2012,

2
  Zu den Angaben dieses Kapitels sind die entsprechenden Tabellen im Anhang aufgeführt.
3
  Anteil aller Schülerinnen und Schüler mit definiertem sonderpädagogischen Förderbedarf aller
Förderschwerpunkte, bezogen auf die Klassen 1-10.
4
  Es ist unklar, warum überdurchschnittlich viele Kinder des entsprechenden Landkreises in diese Förderschulen
aufgenommen werden (MBJS 2013 a,b).
5
  Inklusionsquote im Schuljahr 2012/13 in Bremen 63,1%; Schleswig-Holstein 57,5%; Hamburg 54,0%; Berlin
50,6%; Saarland 42,9%. Vgl. Klemm 2014.
                                                                                                             5
Preuss-Lausitz 2013). Mit anderen Worten, die inklusiven Anstrengungen des Landes müssen weiter-
hin deutlich erhöht werden, um in Europa anschlussfähig zu werden.

Der Beirat empfiehlt:

1.2: Bei allen inklusiven Maßnahmen ist darauf zu achten, dass für Jungen und Mädchen die unter-
schiedlichen Bedarfe einer individuellen Förderung sichergestellt werden. Dies gilt nicht nur, aber
besonders bei Fördermaßnahmen im Bereich der emotionalen und sozialen Entwicklung. Grundsätz-
lich gilt: Individuelle Förderung darf nicht zu einer Separierung im gemeinsamen Unterricht führen.
Das MBJS stellt schulaufsichtlich sicher, dass beim weiteren Ausbau der gemeinsamen Unterrichtung
entsprechend weniger Schülerinnen und Schüler in Förderschulen aufgenommen werden.

1.3: Zwischen den Landkreisen als Trägern der Schulentwicklungsplanung und dem MBJS müssen
gemeinsame Gespräche über die weitere Entwicklung der Förderschulangebote und Standorte statt-
finden.

1.4: Landeseinheitliche Standards werden bei der Feststellung des Förderbedarfs im Bereich der kör-
perlich-motorischen und geistigen Entwicklung und in den Förderschwerpunkten Hören und Sehen
festgelegt (vgl. Handreichungen des MBJS) und durch Fortbildung und Rechenschaftslegung schulauf-
sichtlich gesichert. Im Bereich der Förderschwerpunkte Lernen, emotionale und soziale Entwicklung
und Sprache (LES) gilt dies, solange die Feststellung noch zur Ressourcenzuweisung eingesetzt wird.
Für den gemeinsamen Unterricht dieser Schülerinnen und Schüler sind mindestens die gleichen son-
derpädagogischen und sächlichen Ressourcen zur Verfügung zu stellen wie in den derzeitigen Pilot-
schulen.

1.5: In allen Landkreisen und kreisfreien Städten werden Teilhabe- bzw. Inklusionspläne im Bereich
Kindertagesbetreuung und Schule erstellt. Dabei werden die für inklusive Bildung hemmenden und
unterstützenden Einflussfaktoren untersucht, Entwicklungsziele festgelegt und die vor Ort von den
Akteuren erworbenen Erfahrungen mit gemeinsamem Lernen und Leben in Kita und Schule in die
Gesamtplanung einbezogen.
Positive Beispiele gemeinsamen Lernens werden über die Internetplattform des MBJS und durch
Einbeziehung der lokalen Medien bekannt gemacht.

1.3 Inklusion und demografische Entwicklung
Die demografische Entwicklung Brandenburgs ist, bezogen auf die nachwachsende Generation, durch
drei Phasen geprägt: Durch einen deutlichen Geburtenrückgang von 1991 (17.200 Geburten) bis
1993 auf rund 13.000 Geburten pro Jahr; durch einen gleichfalls deutlichen Geburtenanstieg von
1994 bis 2008 auf rund 19.000; für die kommenden Jahre wird eine kontinuierliche Abnahme an Ge-
burten, bis 2020 auf 13.000, bis 2030 sogar auf unter 10.000 prognostiziert. Die amtliche Statistik
nimmt damit für den Zeitraum von 2008 bis 2030 landesweit eine Halbierung der Geburtenzahlen an
(nach Landesamt 2012). Die regionalspezifische Ausdifferenzierung der für Brandenburg insgesamt
gültigen Prognose ergibt durch die Folgen von Wanderungsgewinnen (insbesondere im ‚Berliner Um-
land‘) und Wanderungsverlusten (z. B. insbesondere im ‚weiteren Metropolenraum‘) deutliche regi-
onale Unterschiede in der Bevölkerungsentwicklung. Die generelle Entwicklung ist jedoch unstrittig.
        Diese allgemeinen Entwicklungen bedeuten, dass in den Jahren bis 2015 landesweit in den
Grundschulen stabile bzw. höhere Schülerzahlen, danach höhere Sekundarschülerzahlen und zu-
gleich abnehmende Grundschülerzahlen zu erwarten sind. Beim Blick auf die einzelnen Landkreise
bzw. kreisfreien Städte wird deutlich, dass voraussichtlich nur für die Stadt Potsdam bis 2020 wach-
sende Geburtenzahlen erwartet werden. Alle anderen Städte und Kreise müssen dagegen mit Rück-
gängen von 20 - 50% rechnen (vgl. Anhang Tabelle 4.2). Vor diesem Hintergrund ist es notwendig, die

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Schulentwicklungsplanung pro Landkreis bzw. kreisfreier Stadt langfristig anzulegen und mit der Ju-
gendhilfeplanung zu verschränken, insbesondere bezüglich Hort, Sozialarbeit an Schulen, Eingliede-
rungshilfe nach § 35a SGB VIII und Jugendarbeit im Ganztag.
         Für die Einschätzung des Bedarfs nach sonderpädagogischer Förderung bedeutet dies, dass
langfristig nicht nur mit einem allgemeinen – teilweise deutlichen – Schülerrückgang, sondern damit
auch mit einem entsprechenden Rückgang der Kinder mit Behinderungen zu rechnen ist. Legt man
bundesweite Werte in den Förderschwerpunkten Hören, Sehen, körperliche und motorische Entwick-
lung sowie geistige Entwicklung zugrunde (zusammen rund 2% pro Altersjahrgang), dann lässt sich
für den Geburtsjahrgang 2015 und damit den Einschulungsjahrgang 2021 feststellen, dass je Land-
kreis bzw. je kreisfreie Stadt in den Förderbereichen Hören und Sehen 0 – 2 und im Förderbereich
körperliche und motorische Entwicklung 1 – 4 Schulanfänger (Potsdam 6) zu erwarten sind (vgl. An-
hang Tabelle 4.2). Für diese Förderbereiche sind daher eigenständige Förderschulen nicht mehr be-
gründbar, zumal davon auszugehen ist, dass Sorgeberechtigte zunehmend ihr Recht auf Inklusion
wahrnehmen.
         Im Förderschwerpunkt geistige Entwicklung gibt es in Brandenburg bislang relativ wenig Er-
fahrung mit gemeinsamem Unterricht (Integrationsquote 9%). Dennoch erfordert die skizzierte de-
mografische Entwicklung vor allem im ländlichen Raum zu prüfen, ob und wie für diese Schülerinnen
und Schüler langfristig der Anspruch auf inklusive Bildung umgesetzt werden kann. Das gilt insbeson-
dere auf dem Hintergrund, dass Sorgeberechtigte verstärkt gemeinsames Lernen einfordern. Für
2021 liegt die Zahl von Schulanfängern mit dem Förderschwerpunkt geistige Entwicklung pro Land-
kreis bzw. kreisfreier Stadt meist unter 10 Kindern (vgl. Anhang Tabelle 4.2). Damit ließen sich für den
gesamten Einzugsbereich ein bis zwei Klassen einrichten – unter Hinnahme teilweise zeitaufwändiger
Schulwege. Familien- und kinderfreundlicher sind dagegen wohnortnahe inklusive Lösungen unter
Einbeziehung aller Beteiligten.

Der Beirat empfiehlt:

1.6: Die Landkreise und kreisfreien Städte als Verantwortliche für Schulentwicklungsplanung nehmen
im nächsten Planungszeitraum (2017-22) die demografische Entwicklung bis 2030 in ihre Planung mit
auf. Das gilt auch für die damit verbundene Abschätzung von inklusiven Schulplätzen mit sonderpä-
dagogischem Förderbedarf in den Bereichen Hören, Sehen, körperliche und motorische Entwicklung
sowie geistige Entwicklung. Dabei ist auch zu beachten, wie die räumlichen und sächlichen Ressour-
cen in das inklusive Bildungssystem an den Regelschulen genutzt oder überführt werden können.
Schulentwicklungs- und Jugendhilfeplanung werden unter Berücksichtigung der demografischen Da-
ten aufeinander bezogen bzw. im Sinne einer Gesamtstrategie von Bildung, Erziehung und Betreuung
verzahnt.

1.7: Das MBJS wird aufgefordert, für die inklusive Beschulung der Schülerinnen und Schüler mit den
Förderschwerpunkten Hören, Sehen, körperlich-motorische Entwicklung und geistige Entwicklung
verbindliche Ausstattungen/Rahmenbedingungen festzulegen. Für die künftigen Schulaufsichtsberei-
che sind aus den bisherigen Sonderpädagogischen Förder- und Beratungszentren entsprechende
Einrichtungen mit Beratung, Diagnostik, Materialausgabe und -pflege aufzubauen.

1.4 Schlussfolgerungen aus der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK)
Die UN-BRK, die seit 2009 Bundesgesetz ist, fordert insbesondere in Art. 24, dass alle Schülerinnen
und Schüler mit Beeinträchtigungen bzw. Behinderungen ein Recht haben, innerhalb eines allgemei-
nen, inklusiven, kostenlosen, wohnortnahen und auf Vielfalt setzenden Bildungssystems aufzuwach-
sen und dabei die nötige Unterstützung zu erhalten. Brandenburg setzt daher darauf, dass Schulen
sich zu ‚Schulen für alle‘ entwickeln (vgl. MBJS 2013, 7).

                                                                                                      7
An dieser Entwicklung sind Schülerinnen und Schüler ebenso wie ihre Eltern6 zu beteiligen. Dazu sind
transparente Verfahren ebenso wie eine offene und barrierefreie Kommunikation erforderlich.
Um das Ziel einer inklusiven Schule zu erreichen, sind neben personellen, sächlichen und baulichen
Maßnahmen Anpassungen des Schulgesetzes und der entsprechenden Verordnungen nötig.

Der Beirat empfiehlt:

1.8: Im Schulgesetz wird mit ausdrücklichem Verweis auf die rechtsgültige UN-BRK das individuelle
Recht aller Schülerinnen und Schüler ohne Vorbehalte verankert, so dass sie ihre Schulpflicht inner-
halb der allgemeinen Schule in größtmöglicher Wohnortnähe absolvieren können. Wohnortnähe
kann im Grundschulbereich auch durch Verbundlösungen mehrerer kleiner Grundschulen realisiert
werden. Im Sekundarbereich gilt, dass die zulässigen Schulwegzeiten für alle Schülerinnen und Schü-
ler gelten. Das Schulgesetz ist entsprechend zu novellieren.
Das MBJS prüft zügig alle die Inklusion berührenden weiteren Gesetze, Regelungen und Verordnun-
gen auf inklusionshinderliche Formulierungen und Festlegungen und setzt inklusionsförderliche
Schlussfolgerungen zügig um.
Die entsprechenden nachfolgenden Informationen und Broschüren sind so zu gestalten, dass die
Informationen von Eltern, Schülerinnen und Schülern nachvollzogen werden können und sie dem
inklusiven Gesamtkonzept entsprechen.

2 Inklusion als gesellschaftliche Aufgabe

2.1 Inklusion als gesamtgesellschaftlicher und partizipativer Prozess
Inklusives Aufwachsen umfasst alle Lebensbereiche und Lebenswelten von Kindern und Jugendlichen
und weist damit weit über das gemeinsame Lernen in pädagogischen Einrichtungen hinaus. Um jun-
gen Menschen ein inklusives Aufwachsen zu ermöglichen, brauchen sie die Aufmerksamkeit und
Unterstützung der gesamten Gesellschaft. Das ist eine Aufgabe, die keine Familie, keine Institution,
kein System allein leisten kann.
         Einmischen, Mitmischen und Mitentscheiden sind dabei nicht nur wünschenswert, sondern
zugleich Ausdruck des Rechtes auf Teilhabe an allen Belangen, die einen selbst betreffen. Das gilt für
alle Mitglieder der Gesellschaft und damit auch für die bisher von Ausgrenzung Betroffenen, deren
Grundsatz lautet „Nicht über uns, sondern mit uns!“.
         Dazu ist eine breite Öffentlichkeitsarbeit, sind öffentlichkeitswirksame Kampagnen erforder-
lich, die die Bürgerinnen und Bürger für Inklusion aufschließen und umfassend über das Voranschrei-
ten im Land / in den Kommunen informieren. Die Internetplattform www.inklusion-brandenburg.de
ist ein gelungenes Beispiel dafür.
         Darüber hinaus müssen auf allen Ebenen (Land, Kommunen, Institutionen …) geeignete For-
men der Beteiligung geschaffen werden. Der „Runde Tisch inklusive Bildung“ auf Landesebene, Regi-
onale Konferenzen, Fachtagungen, die partizipative Erstellung von kommunalen Teilhabeplänen sind
Schritte auf diesem Weg, die es zu vervielfältigen bzw. auszubauen gilt.

Der Beirat empfiehlt:

2.1: Auf allen Ebenen – vom Land bis zu den Kommunen – sind die politisch Verantwortlichen aufge-
fordert, sich mit der Entwicklung inklusiver Bildung und Erziehung zu befassen und in diesem Prozess
Partizipationsmöglichkeiten vor Ort sicherzustellen.

6
 Genauer wäre es, von Sorgeberechtigten zu sprechen, da nicht alle Eltern sorgeberechtigt sind und teilweise
andere Personen und Ämter das Sorgerecht wahrnehmen. Der sprachlichen Vereinfachung wegen verwenden
wir für alle den Begriff Eltern.
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Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den öffentlichen Verwaltungen sind so zu qualifizieren, dass
sie in der Lage sind, ihr Handeln im Sinne des gesamtgesellschaftlichen Prozesses hin zur inklusiven
Gesellschaft zu reflektieren und zu gestalten.
Pädagogische Einrichtungen, insbesondere Kindertageseinrichtungen und Schulen, schaffen im Rah-
men der Eltern- und Kinderpartizipation sowie der Konzept- bzw. Schulprogramm-Entwicklung Mög-
lichkeiten für alle Beteiligten, an der Entwicklung inklusiver Erziehung und Bildung mitzuwirken.

2.2 Ressortübergreifendes gemeinsames Handeln
Jugendhilfe, Schule, Soziales und Gesundheit stehen als öffentliche Systeme in besonderer Verant-
wortung. Die Verzahnungen zwischen diesen unterschiedlichen Ressorts, ihren Institutionen, Einrich-
tungen und deren Trägern, die unterschiedlichen und zum Teil parallel laufenden Zuständigkeiten in
den Behörden werden auf dem Weg zur inklusiven Gesellschaft neu bewusst und müssen gleichzeitig
konstruktiv genutzt oder verändert werden. In diesem Sinne hat die Landesregierung Brandenburg
als eines der ersten Bundesländer 2011 ein ressortübergreifendes „Behindertenpolitisches Maßnah-
menpaket“ verabschiedet. Bei der Umsetzung erweist es sich als zwingend, dass die unterschiedli-
chen Ressorts zusammen arbeiten und ihr Handeln abstimmen. Gemeinsam müssen sie nach neuen
Wegen suchen, um dort, wo bisherige Leistungsgesetze und -ausführungen der Inklusion noch entge-
genstehen, Änderungen herbeizuführen.
         Erschwert wird diese Abstimmung dadurch, dass die Zuständigkeiten auf unterschiedlichen
Ebenen liegen. Während die Sozialgesetzbücher Bundesgesetze sind, werden die Schul- und Kita-
Gesetze von den Ländern erlassen. Landkreise, Städte und Gemeinden als Schulträger wiederum sind
u.a. für die baulich-räumliche Ausstattung von Schulen und die Schülerbeförderung verantwortlich.
Auch Leistungen der Eingliederungshilfe werden je nach Begründung entsprechend SGB VIII § 35a
oder SGB XII §§ 53/54 bei unterschiedlichen Leistungsträgern (Sozialhilfe / Jugendhilfe) von den
Landkreisen verantwortet.
         Es ist daher notwendig, in die Abstimmung der unterschiedlichen Ressorts neben der Lan-
desebene auch Vertreterinnen und Vertreter der kommunalen Ebenen einzubeziehen. Dabei ist es
dringend erforderlich, Kostenklarheit zu schaffen, um Doppel- oder Parallelfinanzierungen zu ver-
meiden und um die Mittel sinnvoll in die Entwicklung eines inklusiven Bildungssystems zu leiten. Nur
in der Zusammenarbeit der unterschiedlichen Ressorts und Ebenen (Bund-Land-Kommunen) ist eine
Umsteuerung in ein inklusives System möglich.

Der Beirat empfiehlt:

2.2: Das MBJS identifiziert die Schnittstellen in Bezug auf inklusive Bildung und Erziehung zu den an-
deren Ministerien und Behörden. Ressortübergreifende Arbeitsgruppen werden unter Einbeziehung
von Vertretern der kommunalen Ebene zeitlich befristet eingerichtet. Sie erheben den Ist-Stand an
den jeweiligen Schnittstellen und definieren, abgeleitet vom Behindertenpolitischen Maßnahmenpa-
ket, Entwicklungsziele. Darüber hinaus werden in den Arbeitsgruppen Meilensteine, Umsetzungs-
schritte und Verantwortlichkeiten verabredet.

2.3 Die Landesregierung wird aufgefordert, über den Bundesrat eine Neuregelung der Sozialgesetz-
bücher anzuregen und sich aktiv an einer solchen zu beteiligen. Ziel ist es, die Sozialgesetze entspre-
chend den Erfordernissen inklusiver Bildung und Erziehung neu zu gestalten – im Sinne der angemes-
senen Vorsorge und Unterstützung aus einer Hand.
Bis zum Inkrafttreten der entsprechenden gesetzlichen Regelungen und Verordnungen sind Verfah-
rensvereinbarungen auf Landesebene bzw. zwischen Land und Kommunen zu treffen und gemeinsa-
me, vorläufige Finanzierungsregelungen zu vereinbaren. Es ist zu vermeiden, dass in dem Übergangs-
zeitraum bis zur gesetzlichen Regelung zusätzliche individuelle finanzielle Belastungen auf Familien
zukommen.

                                                                                                     9
2.4 Antragsverfahren auf unterstützende Leistungen, wie z.B. Schulbegleitung, müssen so strukturiert
und vereinfacht werden, dass nicht im Blick auf unterschiedliche Diagnosen oder Lernorte immer
neue und andere Anträge gestellt werden müssen. Alle Leistungen auch unterschiedlicher Kostenträ-
ger sollen regional von den Sorgeberechtigten an einer Stelle beantragt und gebündelt bearbeitet
werden.

2.3 Inklusion auf regionaler Ebene planen und gestalten
Die Regionen Brandenburgs sind vielgestaltig – die Bildungslandschaft einer Kommune in der Metro-
polenregion um Berlin gestaltet sich anders als die einer ländlichen Region in den übrigen Landestei-
len. Lösungen für die Weiterentwicklung der Bildungsinfrastruktur hin zu inklusiven Angeboten müs-
sen diese regionalen Gegebenheiten und Entwicklungen berücksichtigen. Deshalb ist eine regionale
Inklusionsplanung notwendig, die ausgehend von einer Bestandsanalyse, Zielstellungen der Regio-
nalentwicklung beschreibt und Handlungs- und Entwicklungsvorgaben etwa im Rahmen eines kom-
munalen Aktionsplanes bündelt.
        Grundlage dafür sind einerseits Entscheidungen der Kommunalvertretungen und -
verwaltungen zugunsten einer inklusiven Ausgestaltung kommunaler Bildungsangebote. Andererseits
sind die Kommunen auf die Rahmensetzung des Landes angewiesen. Vor diesem Hintergrund
braucht es regionale Strukturen der Steuerung und Koordination, in denen neben den für Bildung,
Erziehung und Unterstützung relevanten kommunalen Akteuren auch Vertreterinnen und Vertreter
der regionalen Schulaufsicht mitwirken, die die landesseitigen Vorstellungen und Rahmensetzungen
einbringen. Nur im abgestimmten, verbindlichen und planvollen gemeinsamen Vorgehen wird es
gelingen, die Bildungslandschaft der Regionen bedarfsgerecht weiter zu entwickeln.

Der Beirat empfiehlt:

2.5: Auf der Ebene der Landkreise und kreisfreien Städten arbeiten in einer Steuer- bzw. Lenkungs-
gruppe Vertreterinnen und Vertreter von Politik, Schulverwaltung, Jugendamt, Sozialamt, Gesund-
heitsbereich, Eltern- und Behindertenvertretungen sowie vom staatlichem Schulamt gemeinsam an
einer Weiterentwicklung der regionalen Bildungsinfrastruktur in Richtung Inklusion. Den Landkreisen
bzw. kreisfreien Städten kommt mit der Schulentwicklungsplanung eine koordinierende Funktion zu.

2.4 Einrichtung einer Ombuds-Stelle auf Landesebene
Im Laufe des Entwicklungsprozesses entstehen aufgrund von Unerfahrenheit, Unsicherheit und feh-
lender Information immer wieder Konfliktsituationen, die in einer umfassenden gesellschaftlichen
und bildungspolitischen Neuorientierung oft unvermeidlich sind. Durch verzögerte, missverständliche
oder fehlende Reaktionen können diese zu Belastungen in der weiteren Entwicklung inklusiver Erzie-
hung und Bildung werden. Die Einrichtung einer Ombuds-Stelle auf Landesebene kann dazu beitra-
gen, dass einerseits die Konflikte kurzfristig moderiert und gelöst und andererseits die daraus resul-
tierenden Erfahrungen und Fragestellungen in die weiteren Planungen eingebracht werden können.

Der Beirat empfiehlt:

2.6: Das Land richtet eine Ombuds-Stelle Inklusion als Anlauf- und Moderationsstelle für Fragen und
Konflikte im Rahmen der inklusiven Entwicklung von Erziehung und Bildung ein. Sie wird beim Behin-
dertenbeauftragten des Landes angesiedelt.

                                                                                                   10
3 Zur Entwicklung inklusiver Schulen und zur Zusammenarbeit mit anderen
Einrichtungen

3.1 Unterrichtsentwicklung als Kernaufgabe einer inklusiven Schule
Die in Abschnitt 1 beschriebenen Ziele einer guten, inklusiven Schule verlangen eine professionelle,
kommunikative und engagierte Schulleitung, die nach innen und außen das im Leitbild der Schule
verankerte gemeinsame Grundverständnis vertritt, dass kein Kind zurückgelassen und ein kompe-
tenzorientierter individualisierter Unterricht verwirklicht wird.
         Da die Unterschiedlichkeit der Erziehungs- und Lernvoraussetzungen sowie der Lerntempi im
gemeinsamen Unterricht beachtet werden müssen, ist adaptiver Unterricht, also die Orientierung an
den individuellen Lernausgangslagen und –voraussetzungen, generelle schulpädagogische Orientie-
rung jedes guten Unterrichts. Im inklusiven Unterricht ist diese Orientierung unabdingbar. Daher sind
gut vorbereitete und strukturierte Lerngelegenheiten zu organisieren, in denen Kinder sowohl unter
Anleitung als auch selbstgesteuert und handlungsorientiert lernen können. Aufgabenbezogene
Wechsel von Lehr- und Lernformen, Einzel- und Gruppenarbeit sowie Gelegenheiten, selbstorgani-
siertes und selbstgesteuertes Lernen zu ermöglichen gehören zum adaptiven Unterricht.
         Gerade für den Unterricht in der Sekundarstufe bedeutet inklusiver Unterricht eine erhebli-
che Herausforderung. Hierfür wird eine Ausweitung adaptiver und schülerzentrierter Lehr- und Lern-
formen empfohlen.
         Eigenständigkeit und Selbstständigkeit der Schüler erfordern mehr Vorbereitung und gleich-
zeitig eine größere Zurückhaltung der Lehrperson im Unterrichtsprozess. Lehrerinnen und Lehrer
nehmen im Unterricht eine verstärkt beobachtende, anleitende, erklärende und in individuellen Situ-
ationen unterstützende Rolle ein. Hilfreich für alle Beteiligten ist es, Vorbereitung, Durchführung und
Nachbereitung des Unterrichts weitgehend im Team von Sonder- und Fachpädagogen zu leisten. Im
Rahmen gemeinsamer Vorbereitung kann Unterricht so entwickelt werden, dass alle am gleichen
Gegenstand auf unterschiedlichen Niveaustufen arbeiten können. Dabei geht es nicht darum, dass
der Fachlehrer für den Unterricht und der Sonderpädagoge für die Förderschüler zuständig ist. Beide
sind gemeinsam für den Unterricht, also für die Initiierung von Lernprozessen für alle Schülerinnen
und Schüler zuständig. Es ist zwar nicht zwingend erforderlich, dass durchgängig zwei Lehrkräfte im
Unterricht anwesend sind, der Einsatz der Lehrkräfte muss aber zuverlässig abgesichert sein. Doppel-
besetzungen dürfen nicht als Vertretungsreserve genutzt werden.
         Nur dann können die Vorteile eines gemeinsam vorbereiteten, durchgeführten und ausge-
werteten Unterrichts genutzt werden, die darin liegen, dass im Zusammenspiel von Sonder- und
Fachpädagogen der Blick gleichermaßen auf die individuellen Lernwege und die Leistungsherausfor-
derung gerichtet wird – und im gegenseitigen Wahrnehmen unterschiedlicher Lernzugänge und
Lernwege die Lehrenden selbst zu Lernenden werden.
         So eingesetzte sonderpädagogische Kompetenz trägt zur Entwicklung der inklusiven Schulkul-
tur und insbesondere eines Unterrichts in heterogenen Lerngruppen bei und baut darüber hinaus die
Angst vor Überforderung ab.
         Weiteres zur Zusammenarbeit von unterschiedlichen Professionen ist unter dem Abschnitt
über Personalentwicklung ausgeführt.

Der Beirat empfiehlt:

3.1: Für Schulleiterinnen und Schulleiter aller Schulstufen und -formen wird ein Coaching-Angebot
zur inklusiven Schulentwicklung zur Verfügung gestellt.

3.2: Regelmäßige regionale Fortbildungen zur inklusiven Unterrichtsentwicklung werden angeboten,
die im Sekundar-I-Bereich schulformübergreifend sind. In die Gestaltung dieser Fortbildungen wer-
den Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Jugendhilfe, der Förder- und Beratungszentren einschließ-
lich des Schulpsychologischen Dienstes einbezogen.

                                                                                                    11
3.3: Jede Schule erhält zur Entwicklung ihres Inklusionskonzepts sowie für die erforderlichen schulin-
ternen Fortbildungen im Bereich Inklusion / Umgang mit Heterogenität ein Fortbildungsbudget.

3.2 Der Raum als dritter Pädagoge
Für eine inklusive Schule gehören Klassen-, Gruppen- und Fachräume zur Grundausstattung, um ge-
meinsames und differenzierendes Lernen zu ermöglichen. Zusätzlich sind in allen Schulen Beratungs-
räume erforderlich, z. B. für vertrauliche Gespräche mit Eltern und Schülern, für Teamberatungen,
Diagnostik usw.
        Darüber hinaus sind insbesondere für ganztägig genutzte Grundschulen und weiterführende
Schulen mit Ganztagsangeboten Gesundheits- bzw. Ruheräume und sog. Schulstationen oder Oasen
(auch „time-out-“ bzw. „Auszeit-Räume“ genannt) eine Chance, Entlastung zu schaffen und gleichzei-
tig Lernen und Schulklima zu verbessern (vgl. Rademacher/Altenburg-van-Dieken 2011, Werthem
2007, Winter/Göppel 2011).
        Schulen, die ein Zentrum unterstützender Pädagogik (siehe Empfehlung 4.1, S. 17f) aufbauen,
benötigen dafür entsprechende weitere Räume. Zusätzliche Räume sind erforderlich, wenn allgemei-
ne Schulen sich mit spezifischer Kompetenz inklusiv für sonderpädagogische Förderschwerpunkte
öffnen. Die Anregungen der Montag-Stiftung können zum Maßstab für die inklusive bauliche Schul-
entwicklung genommen werden (vgl. Montag Stiftung 2011).

Der Beirat empfiehlt:

3.4: Das Land gewährt Schulträgern Zuschüsse zu Bau- und Ausstattungsinvestitionen in den Schulen
(Herstellen von Barrierefreiheit, Schulstationen, Ruhe- und Therapieräume, Beratungsräume, Diffe-
renzierungsräume).

3.5: Schulbaurichtlinien für ein inklusives Schulsystem sind zu erarbeiten.

3.3 Übergänge
Eine enge Zusammenarbeit und Beratung für die Übergänge vom Kindergarten in die Schule, von der
Grundschule in die Sekundarstufe und von der Schule in die Arbeitswelt ist vor Ort erforderlich, da-
mit von allen Kindern und Jugendlichen und deren Eltern diese kritischen Entwicklungsphasen erfolg-
reich bewältigt werden können. Für Heranwachsende mit besonderem Förderbedarf muss ein Über-
gangsmanagement geschaffen werden.

3.3.1 Übergang von der Kindertagestätte zur Grundschule
In Brandenburg besuchen fast alle Kinder gemeinsam die Kindertagesstätte: 95,9% der Kinder mit
Behinderungen sind integriert. Daran anschließend sollte aus inklusionspädagogischer Perspektive
möglichst für alle Kinder der Übergang in die Grundschule angestrebt und einer gemeinsamen Be-
schulung Vorrang gegeben werden. Tatsächlich zeigt sich jedoch immer noch, dass sich die Integrati-
onsanteil nach dem Übergang in die Grundschule deutschlandweit und auch in Brandenburg (42% im
Schuljahr 2012/13 – Jgst. 1 bis 10)) auf etwa die Hälfte verringert (vgl. König 2013).
        Deshalb müssen beim Übergang von der Kita in die Grundschule besondere Vorkehrungen
getroffen werden, um den Wechsel in die Grundschule nicht zu einem Abbruch inklusiven Lernens
und Lebens werden zu lassen.
        Um das Ziel zu erreichen, alle Kinder gemeinsam in der Kita und in der Grundschule aufwach-
sen zu lassen, sind die Übergänge auf der Basis von Kooperationsverträgen verbindlich zu planen und
vorzubereiten. Der Übergang in die Schule kann damit für die Kinder mit Auffälligkeiten beim Lernen,
Verhalten und mit der Sprache vertrauensvoll und unter Einbeziehung der Eltern gestaltet werden,
                                                                                                   12
ohne dass es für diese Kinder eines Feststellungsverfahrens bedarf (zur Diagnostik vgl. Abschnitt „5
Diagnostik an inklusiven Schulen und Konsequenzen für den Ressourceneinsatz“). Wenn bei beson-
deren Förderbedarfen im Förderausschuss geprüft werden muss, unter welchen Voraussetzungen
der Unterricht an der zuständigen Grundschule oder einer anderen Schule möglich ist, darf dabei
nicht der Eindruck entstehen, dass das Ob einer inklusiven Beschulung überprüft werden soll. Grund-
sätzlich muss der Vorrang der gemeinsamen Beschulung gelten. Dabei sind die Eltern entsprechend
zu beraten. Ebenso müssen sachliche und fachliche Informationen zur Verfügung gestellt werden,
welche Unterstützungsmaßnahmen in der Regelschule möglich sind und eventuell in Zusammenar-
beit mit den Eltern, behandelnden Ärzten oder Therapeuten geschaffen werden können.

Der Beirat empfiehlt:

3.6: Die Informationen über Möglichkeiten der individuellen Förderung an Grundschulen werden den
Eltern spätestens zwei Jahre vor der Einschulung zur Kenntnis gegeben. Erzieherinnen und Erzieher in
den Kitas werden dazu entsprechend qualifiziert. Frühförder- und Beratungsstellen, Kinderärzten und
Therapeuten werden die notwendigen Informationen zur Verfügung gestellt.
Gegebenenfalls erforderliche Förderausschussverfahren werden verbindlich so rechtzeitig abge-
schlossen, dass in den Schulen die entsprechende Vorsorge und Vorbereitung getroffen werden kön-
nen und den Eltern die Sicherheit gegeben wird, auf deren Basis sie sich und ihr Kind auf die Einschu-
lung vorbereiten können.

3.3.2 Der Übergang von der Grundschule zur Sekundarstufe (Ü-7-Verfahren)
Das Übergangsverfahren von der Grundschule in die Sekundarstufe I ist im Land Brandenburg formal
gut geregelt. Es gibt einen verbindlichen Termin, zu dem das Förderausschussverfahren abgeschlos-
sen sein muss. Die Eltern treffen die Wahl einer Sekundarstufenschule. Allerdings bleibt es bisher
weitgehend den Eltern überlassen, nach einer Schule in öffentlicher oder privater Trägerschaft zu
suchen, die bereit ist, das Kind mit besonderem Förderbedarf zu übernehmen. Bisher sind nur weni-
ge Sekundarstufenschulen bereit, Kinder mit besonderem Förderbedarf zu übernehmen und bieten
damit die Voraussetzung für eine verbindliche Zusammenarbeit zwischen abgebender Grundschule
und weiterführender Schule. Manche Eltern werden mit ihrem Wunsch nach inklusiver Beschulung
nicht genügend unterstützt.

Der Beirat empfiehlt:

3.7: Im Sekundarbereich werden in jedem Kreis/jeder kreisfreien Stadt im Einvernehmen von Land-
kreis/kreisfreier Stadt, Schulträger, staatlichem Schulamt Schulen ausgewählt und bekanntgemacht,
die sich (zusätzlich zu ihrer Grundausstattung im Förderbereich LES) für einen oder mehrere weitere
Förderschwerpunkte entscheiden. Diese Schulen werden von Landkreis/kreisfreier Stadt, Schulträger
und Schulamt entsprechend personell, baulich und sächlich ausgestattet.
Grundschulen stellen verbindliche Kontakte zu den weiterführenden Schulen her, welche Kinder mit
besonderem Förderbedarf in den gemeinsamen Unterricht übernehmen. Die Fortsetzung des ge-
meinsamen Unterrichts wird an allen Sekundarstufenschulen durch Fortbildung und Qualifizierung
der Lehrkräfte entwickelt.

3.3.3 Der Übergang von der Sekundarstufe I zur Sekundarstufe II und in die Arbeitswelt
Der Übergang in die berufliche Bildung verlangt insbesondere für Jugendliche mit sonderpädagogi-
schem Förderbedarf bzw. mit spezifischen Behinderungen eine begleitete Orientierung für mögliche
berufliche Ausbildungs- und Arbeitsfelder. Dabei ist die Zusammenarbeit der Schule mit der Ar-
beitsagentur und ihrer Beratung, aber auch mit lokal bestehenden Ausbildungsstätten zu intensivie-
ren. Für diese Begleitung müssen personelle Ressourcen bereitgestellt werden.
                                                                                                   13
Bisher ist auch im Land Brandenburg in den Berufsschulen die konzeptionelle Befassung mit
dem Thema gemeinsamer Unterricht sowie Berufsausbildung für Jugendliche mit besonderem För-
derbedarf kaum Thema. Nach den bisherigen Erfahrungen der Beratung einzelner Schülerinnen und
Schüler mit besonderem Förderbedarf werden diese an Sonder-Berufsschulen (Berufsbildungswerke)
oder Werkstätten für Behinderte verwiesen. Die Arbeitsämter sind bisher nur unzureichend auf Al-
ternativen zu Werkstätten für behinderte Menschen vorbereitet; vor allem für Jugendliche mit geisti-
ger Behinderung werden in Brandenburg kaum Alternativen entwickelt. Auch die weitere Entwick-
lung der Unterstützten Beschäftigung auf dem 1. Arbeitsmarkt mit Arbeitsassistenz steckt noch in
den Anfängen.

Der Beirat empfiehlt

3.8: Für die berufliche Orientierung und Einfädelung in berufliche Bildung werden den inklusiv unter-
richtenden Oberschulen personelle (sonder- und/oder sozialpädagogische) Ressourcen zur Verfügung
gestellt.

3.9: Bildungs-, Sozial und Arbeitsministerium richten unter Einbeziehung des Berufsbildungswerks
und der Kammern eine gemeinsame Arbeitsgruppe zur Weiterentwicklung der Umsetzung der UN-
Konvention für die berufliche Bildung sowie zur Entwicklung von Arbeitsplatzangeboten mit unter-
stützter Beschäftigung auf dem 1. Arbeitsmarkt ein.

3.4 Inklusion im Hort und in der Schule mit Ganztagsangeboten / Ganztagsschule
Gegenwärtig bestehen in Brandenburg sehr unterschiedliche Formen nachmittäglicher Bildung, Er-
ziehung und Betreuung, vor allem in Form des Horts an der oder in der Nähe von Schulen, als offenes
Ganztagsschulangebot unter Einbeziehung außerschulischer Anbieter oder als gebundene Ganztags-
schule, die für mindestens drei Schultage pro Woche für alle Schülerinnen und Schüler Anwesen-
heitspflicht bedeutet. Dies ermöglicht auch die Rhythmisierung des Schultags zwischen Unterricht,
Lernförderangeboten, Freizeitangeboten (auch externer Anbieter) und den von Schülerinnen und
Schülern selbst organisierten Arbeitsgruppen. Die bisherige bundesweite Auswertung der Ganztags-
entwicklung verweist darauf, dass alle Schulen mit Ganztagsangeboten das soziale Lernen stärken,
bislang weist allerdings nur die gebundene Ganztagsschule Fördereffekte für lernschwächere Schüle-
rinnen und Schüler (insbesondere im sprachlichen Bereich und bei Arbeitstechniken) auf (vgl. Fischer
u.a. 2011).
         Zurzeit ist strittig, wie für Schülerinnen und Schüler mit besonderem Betreuungsbedarf (ins-
besondere bei Förderbedarf körperliche und motorische Entwicklung, geistige Entwicklung, teilweise
auch Autismus), die im Unterricht sonderpädagogisch gefördert und durch Schulhelfer begleitet wer-
den, auch im Hort bzw. in Ganztagsangeboten außerhalb des Unterrichts die notwendige Begleitung
sichergestellt werden kann (darauf verweist auch die AG Kita des Runden Tischs, Stand Mai 2013).
Zurzeit fehlt die gesetzliche Festlegung, dass auch im Nachmittagsbereich der allgemeinen Schulen
für diese Kinder die erforderliche zusätzliche Ausstattung bereitgestellt wird, die in den entsprechen-
den (durchweg als gebundene Ganztagsschulen geführten) Förderschulen vorhanden ist. Es muss
gewährleistet werden, dass diese Kinder nicht vom nachmittäglichen Sozialleben ausgeschlossen
werden.
         Ebenso muss auch die Ferienbetreuung für Kinder mit Behinderungen (im Sinne der SGB VIII
und XII) gesichert werden, damit Inklusion auch für Kinder berufstätiger Eltern sichergestellt ist.

Der Beirat empfiehlt:

3.10: Perspektivisch ist die inklusive Schule (in Primar- und Sekundarstufen) eine Schule, in der ein
rhythmisiertes ganztägiges Angebot für alle gewährleistet ist.

                                                                                                    14
Solange dies für einzelne Kinder noch nicht zu verwirklichen ist, stimmen Grundschule und
Hort/integrierte Kindertagesbetreuung sowie weitere außerschulische Kooperationspartner im Ganz-
tag bzw. im Sekundarbereich Schule und außerschulische Kooperationspartner ihre pädagogischen
Konzepte ab und klären dabei spezifische Bedürfnisse und Unterstützungsnotwendigkeiten dieser
Kinder in Abstimmung mit den Eltern und Leistungsträgern. Sie werden dabei vom regionalen Förder-
und Beratungszentrum unterstützt.

3.11: Das Kita-Gesetz ist so anzupassen, dass allen Trägern von Hort-, Nachmittags- und Ferienbe-
treuung eine Aufnahme von Kinder und Jugendlichen mit besonderem Förderbedarf möglich ist. Die
Träger werden verpflichtet, ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter entsprechend zu qualifizieren.

3.12: Die Landesregierung wird aufgefordert, sich auf Bundesebene für die Zusammenlegung der
Leistungen aus SGB VIII und XII und damit für Leistungen aus einer Hand (sog. Große Lösung) einzu-
setzen.

3.5 Inklusion gilt für alle Schulen
Die UN-BRK spricht von einem inklusiven Schulsystem. Als internationale Konvention kann sie nicht
alle Differenzierungen des deutschen Schulwesens im Sekundarbereich berücksichtigen, auch wenn
die Forderung ‚inclusive education at all levels‘ die „Schule für alle“ (MBJS 2013) nahelegt. Der Wi-
derspruch zwischen einem, auch in Brandenburg, etablierten gegliederten Sekundarschulsystem und
dem Anspruch auf Inklusion besteht. Er kann aber nicht dadurch aufgelöst werden, dass man erst
dann Inklusion verwirklicht, wenn es in fernen Zeiten vielleicht Bevölkerungs- und politische Mehr-
heiten für eine gemeinsame Sekundarschulform gibt. Vielmehr muss der Anspruch gelten, dass alle
heutigen Schulen und Schulformen in den Inklusionsanspruch einbezogen werden und ein schrittwei-
ser Umsteuerungsprozess, mit klaren Zeitplanungen, realisiert wird (vgl. Preuss-Lausitz 2013).

Der Beirat empfiehlt:

3.13: Im BbgSchG wird ausdrücklich der Grundsatz der Inklusion für alle Schulstufen und –formen
verankert. Das bedeutet, dass alle Schulen im Rahmen der vom Land vorgegebenen allgemeinen
Ziele der Schulform in ihren Leitlinien und Schulprogrammen konkretisieren, was dies für ihre Schule
konkret bedeutet. Die zieldifferente Unterrichtung an Gymnasien wird rechtlich ermöglicht, damit
bei Konsens aller Zuständigen (Schulleitung, Schul- und Klassenkonferenz, Eltern und Elternvertreter)
Inklusion in den jeweiligen Gymnasien ermöglicht wird. Diese Gymnasien werden dann entsprechend
ausgestattet.

3.6 Einbeziehung der freien Träger in die inklusive Schulentwicklung
Auch die Schulen in freier Trägerschaft sind verpflichtet, sich den Anforderungen der UN-BRK zu stel-
len. Sie werden in alle landes- und regionalbezogenen Maßnahmen zum Ausbau inklusiver Bildung
einbezogen, soweit dies in der Zuständigkeit des MBJS bzw. der öffentlichen Schulträger liegt. Dabei
haben sie die Möglichkeit, eigene inklusive Konzepte vorzulegen und in ihren Schulen umzusetzen.
         Im Bereich der Sonderpädagogik spielen Schulen freier Träger in Brandenburg quantitativ nur
in einem Förderbereich eine größere Rolle: 38% aller Schülerinnen und Schüler, für die geistige Be-
hinderung festgestellt wird, werden in (n = 7) Schulen freier Träger unterrichtet.
         Der demografische Entwicklungsprozess und das Recht auf Inklusion bedrohen mittelfristig
generell kleine Schulen; dies gilt auch für Förderschulen in freier Trägerschaft. In Einzelfällen hat dies
schon jetzt dazu geführt, dass Anträge auf Umwandlung in inklusive allgemeine Schulen mit spezifi-
schem Förderschwerpunkten gestellt wurden.

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Der Beirat empfiehlt:

3.14: Träger freier Schulen werden in alle landes- und regionalbezogenen Maßnahmen zum Ausbau
inklusiver Bildung einbezogen, soweit dies in der Zuständigkeit des MBJS bzw. der öffentlichen Schul-
träger liegt.
Schulen in freier Trägerschaft erhalten die vergleichbaren Ressourcen für inklusive Bildung wie die
staatlichen Schulen.
Sie werden aufgefordert, eigene inklusive Konzepte vorzulegen und in ihren Schulen umzusetzen.

4 Entwicklungsperspektiven der sonderpädagogischen Förderschwerpunkte

Im Folgenden werden einzelne Förderschwerpunkte unter Inklusionsgesichtspunkten diskutiert, und
zwar bezogen auf die gesamte Schulzeit. Dabei ist zu berücksichtigen, dass häufig der derzeitige,
durch Diagnostik in Verbindung mit Ressourcenzuweisung bestehende Zwang, einen Förderschwer-
punkt als zentral festzulegen, mit den Förderbedürfnissen einzelner Kinder nicht übereinstimmt. Aus
Gründen der leichteren Lesbarkeit wird im Folgenden dennoch entlang der herkömmlichen Begriff-
lichkeit der Förderschwerpunkte argumentiert.
         Darüber hinaus ist sich der Beirat bewusst, dass es weitere Formen des individuellen Förder-
bedarfs gibt, wie z. B. aus dem Autismus-Spektrum, für die besondere Möglichkeiten von Unterstüt-
zung, Assistenz oder individuellen Arrangements entwickelt und zur Verfügung gestellt werden müs-
sen.
         Neben der Frage, welche Rahmung für Schülerinnen und Schüler mit bestimmten Förderbe-
darfen im gemeinsamen Unterricht angemessen erscheint, muss auch, insbesondere unter Beach-
tung des Rechts der Sorgeberechtigten auf inklusive Erziehung ihrer Kinder und der demografischen
Entwicklung, die mittelfristige Perspektive der Förderschulen geklärt werden. Der Beirat schlägt für
alle Förderschwerpunkte außerhalb der Förderbereiche Lernen, emotionale und soziale Entwicklung
und Sprache bei Vorrang der wohnungsnahen Beschulung die Perspektive allgemeiner Schwerpunkt-
schulen innerhalb der Landkreise bzw. kreisfreien Städte vor, insbesondere für den Sekundarbereich.

Der Beirat empfiehlt:

4.1: Im Sekundarbereich werden in jedem Kreis/jeder kreisfreien Stadt im Einvernehmen von Land-
kreis/kreisfreier Stadt, Schulträger, staatlichem Schulamt Schulen ausgewählt, die sich (zusätzlich zu
ihrer Grundausstattung im Förderbereich LES) für einen oder mehrere weitere Förderschwerpunkte
entscheiden. Diese Schulen werden von Landkreis/kreisfreier Stadt, Schulträger und Schulamt ent-
sprechend personell, baulich und sächlich ausgestattet.
Die zusätzliche sonderpädagogische Ausstattung pro Schülerin oder Schüler wird entsprechend der
Lehrer/Schüler-Relation von den bisherigen Förderschulen in die allgemeinen Schulen verlagert.

4.1 Förderschwerpunkte Lernen, emotionale und soziale Entwicklung, Sprache (LES)
Aufgrund der großen Überschneidungen in den sozialen Hintergründen und Belastungen, den sich oft
überschneidenden Förderungsbedürfnissen und damit in den pädagogischen Antworten, ist es sinn-
voll, die Förderschwerpunkte Lernen, emotionale und soziale Entwicklung und Sprache (LES) insbe-
sondere bei der Frage der Ausstattung gemeinsam zu betrachten. Der Beirat begrüßt, dass Branden-
burg im Pilotprojekt Inklusive Grundschule so verfährt. Dieses Vorgehen schließt eine spezifische
Sprachförderung oder eine spezifische Förderung von Lern- und Verhaltensproblemen selbstver-
ständlich nicht aus, sondern ein.
         Förderbedarf im Bereich LES ist oft eng mit sozialen und familialen Belastungen verbunden.
Das ist seit Jahrzehnten bekannt und unstrittig (vgl. Begemann 1970, Wocken 2000). Auch ist spätes-
                                                                                                   16
tens seit den 1990er Jahren belegt, dass lernschwache Schülerinnen und Schüler in kognitiv wie sozial
gemischten Lerngruppen bessere Lern- und Entwicklungschancen haben als in Klassen, in denen alle
anderen ebenfalls Lernprobleme haben (vgl. u.a. Schnell/Sander/Federolf 2011).
        In Brandenburg fällt auf, dass die Anteile im Förderbereich LES extrem schwanken, auch in
sozial vergleichbaren Regionen bzw. Stadtteilen (vgl. Preuss-Lausitz 2011, 22). Zugleich ist festzustel-
len, dass trotz Zunahme des gemeinsamen Unterrichts (GU) im Bereich LES der entsprechende Rück-
gang in den Förderschulen nicht eintrat. Nicht zuletzt: In der Öffentlichkeit wird zuweilen vor Inklusi-
on mit dem Argument gewarnt, dann kämen auf die ohnehin belasteten allgemeinen Schulen in gro-
ßem Umfang verhaltensauffällige Schüler zu. Tatsächlich sind jedoch in Brandenburg im Schuljahr
2012/13 schon 86% aller diesem Förderschwerpunkt zugeschriebenen Schülerinnen und Schüler im
GU – sie werden also besonders häufig integriert (ebenso Kinder mit Sprachproblemen – Inklusions-
anteil 75%)7.
        Die extrem unterschiedlichen Förderfeststellungen im Bereich LES lassen sich nicht durch ei-
ne Standardisierung der Diagnostik lösen, weil die Kontextabhängigkeit der individuellen Probleme
und die Überschneidungen zwischen L, E und S dies verhindern. Die bisherige Notwendigkeit der
Vorab-Feststellungsdiagnostik im Förderbereich LES führt überhaupt erst zu sonderpädagogischen
Ressourcen an allgemeinen Schulen oder zur Sicherung der Einrichtung von Klassen in Förderschulen
(sog. Etikettierungs-Ressourcen-Dilemma). Das Verfahren zwingt zu einer auf das ganze Schuljahr
vorab festgelegten Prognose, hat einen monatelangen diagnostischen Vorlauf mit erheblicher Bin-
dung von sonderpädagogischer Unterrichtskapazität und kann den (ggf. unberechtigten) Verdacht
nicht ausschließen, dass im Zweifel pro domo diagnostiziert wird, also für die eigene Schule Ressour-
cen beschafft werden.
        Daher ist eine grundsätzliche Änderung der Feststellung des Personalbedarfs in Bezug auf die
Ausstattung der allgemeinen Schulen nötig, die dieses Dilemma auflöst und auf die Vorab-
Feststellungs-Diagnostik zugunsten innerschulischer Förder-Diagnostik und Förderung verzichtet (Sie-
he Abschnitt 5: Diagnostik an inklusiven Schulen und Konsequenzen für den Ressourceneinsatz). Da-
mit wird auch ermöglicht, dass temporäre sowie präventive Förderung innerhalb des Schuljahres
möglich und mehr bedarfsbezogene Flexibilität erreicht wird.
        Auf die besonderen Herausforderungen mit verhaltensherausfordernden Kindern kann bei
einer sonderpädagogischen Grundausstattung im Bereich LES besser als bislang reagiert werden.
Allerdings muss die spezifische Kompetenz im Förderbereich emotionale und soziale Entwicklung
dabei auch tatsächlich in jeder Schule vorhanden sein oder durch Fortbildung erworben werden kön-
nen. Auszeit-Einrichtungen zur kurzfristigen Entlastung sind sicher zu stellen. Darüber hinaus sollte
eine Person in der Schule für die Kontakte zur Jugendhilfe und zum regionalen Förder- und Berta-
tungszentrum verantwortlich sein.

Der Beirat empfiehlt:

4.2: Der Beirat begrüßt die Absicht der Landesregierung, für alle allgemeinen Schulen eine sonderpä-
dagogische Grundausstattung in Bezug auf LES einzuführen, die sich an der Gesamtzahl der Schüle-
rinnen und Schüler einer Schule orientiert. Das gegenwärtige Ausstattungsmodell für die inklusiven
Grundschulen im Pilotprojekt inklusive Grundschule (für 5% aller Schülerinnen und Schüler je 3,5
LWS bei einer Klassen-Frequenzberechnung von 23) wird jährlich hochwachsend für alle Grundschu-
len eingeführt. Im Sekundarbereich wird ebenfalls von 5% pro Alterskohorte ausgegangen (ein-
schließlich der Annahme, dass Sprachförderung weniger nötig ist, dagegen Vorbereitung der berufli-
chen Orientierung zusätzlich stattfindet). Falls die Gymnasien in ihren Schulprogrammen keine För-

7
 Die hier und im Folgenden auf das Schuljahr 2012/13 bezogenen Angaben beruhen auf der
Schuldatenerhebung 2012/13 vom September 2012, MBJS Ref. 25, 32.
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