Zuschnitt 8282 Stadt - Holz - Klima - proHolz Bayern

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Zuschnitt Zeitschrift über Holz als Werkstoff und Werke in Holz September 2021 Nr. 82 | 21. Jahrgang | Euro 8 | isbn 978-3-902926-42-5   proHolz Austria

                                    zuschnitt 82
                                                                                                 Stadt – Holz – Klima
                                                                                                 Der Klimawandel und das Wachsen der Städte sind
                                                                                                 ­zentrale Themen der Stadtentwicklung und des Bauens
                                                                                                  in der Stadt. Wir zeigen, welchen Beitrag der Baustoff
                                                                                                  Holz für das klimaneutrale und ressourcenschonende
                                                                                                  Bauen in der Stadt leisten kann.
Inhalt                       Seite 3                        Themenschwerpunkt
                                                                                               Editorial
                                                                  Zuschnitt 82.2021            Text Christina Simmel          Seite 6 – 9
                                                                                               Seite 4                        Mehr als Leuchttürme
                                                                                               Essay                          Holzbau in Wien
                                                                                               Das Klima der Stadt:           Text Maik Novotny
                                                                                               eine sozial-ökologische        Seite 10 – 11
                                                                                               Frage                          Nachgefragt
                                                                                               Text Gabu Heindl               Wie gestalten Wien,
                                                                                                                              München und Berlin ihre
                                                                                                                              Wege in die Zukunft?
                                                                                                                              Text Christina Simmel

                                  Zuschnitt 83.2021 Holz im Alltag
                                  erscheint im Dezember 2021

                                  Holz begegnet uns im Alltag oft, ohne dass wir es besonders beachten: sei es
                                  ein Holzbrettchen beim Frühstück, ein Bleistift für eine schnelle Notiz oder
                                  schlicht der Boden unter unseren Füßen. Alles das scheint selbstverständlich.
                                  In der stillen Präsenz d­ ieser Dinge und in deren alltäglicher Anwendung ver-
                                  gessen wir, welches M ­ aterial wir in Gebrauch haben. In der nächsten Ausgabe
                                  des Zuschnitt wollen wir in den Blick nehmen, wo uns Holz begegnet.
                                  Wir b­ eleuchten all das, was Holz sein kann, obwohl es nicht danach aussieht,
                                  wir es nicht bewusst wahrnehmen oder gar nicht erst vermuten.

Titelbild                          Impressum                      Offenlegung nach § 25        Redaktionsteam                 Fotografien
Blick aus dem HoHo Wien            Medieninhaber und              Mediengesetz                 Christina Simmel (Leitung)     Bruno Klomfar s. 1, 7 u. li., 8 o. re.,
Zuschnitt                          Heraus­geber                   Arbeitsgemeinschaft der      Linda Lackner                  9, 25, 26, 27, 28
issn 1608-9642                     proHolz Austria                österreichischen Holzwirt-   (Assistenz)                    Fæ/Wikimedia Commons s. 2
Zuschnitt 82                      Arbeitsgemeinschaft der         schaft nach Wirtschafts­     Kurt Zweifel                   Simon Menges s. 5, 20 u. re.
isbn 978-3-902926-42-5             ös­t erreichischen Holzwirt-   kammergesetz (wkg § 16)      redaktion @ zuschnitt.at       Hertha Hurnaus s. 7 re., 8 u.
                                   schaft zur Förderung der                                                                   Daniel Hawelka s. 8 o. li.
www.zuschnitt.at                                                  Ordentliche Mitglieder       Texte wienwood 21
                                  ­A nwendung von Holz                                                                        Peter Villain s. 13 o.
                                                                  Fachverband der Holz­-       Anne Isopp
Zuschnitt erscheint viertel­       Obmann Richard Stralz                                                                      Conné van d’Grachten s. 13 u.
                                                                  indus­t rie Österreichs      und Gabriele Kaiser
jährlich, Auflage 11.700 Stk.      Geschäftsführer                                                                            Peter Schinzler s. 14 o.
                                                                  Bundesgremium des Holz-
Einzelheft euro 8                  Georg Binder                                                Lektorat                       Frank Schroth s. 14 u.
                                                                  und Baustoffhandels
Preis inkl. USt., exkl. Versand    Projektleitung Zuschnitt                                    Esther Pirchner, Innsbruck     Stefan Müller-Naumann s. 15 li.
                                   Kurt Zweifel                   Fördernde Mitglieder                                        Florian Nagler Architekten
                                                                                               Gestaltung
                                   A-1030 Wien                    Präsidentenkonferenz der                                    s. 15 re.
                                                                                               Atelier Andrea Gassner,
                                   Am Heumarkt 12                 Landwirtschaftskammern                                      Bernd Borchardt s. 19 li.
                                                                                               Feldkirch; Reinhard Gassner,
                                  T +43 (0)1 ⁄ 712 04 74          Österreichs                                                 Kenan Taufik s. 19 re.
                                                                                               Marcel Bachmann
                                   info @ proholz.at              Bundesinnung der Zimmer-                                    Werner Huthmacher s. 20 o.,
                                   www.proholz.at                 meister, der Tischler und    Druck                          20 u. li.
                                                                  andere Interessenverbände    Print Alliance, Bad Vöslau     Jan Bitter s. 21 o., 23
                                  Copyright 2021 bei proHolz      der Holzwirtschaft           gesetzt in Foundry Journal     Stefan Josef Müller s. 21 u.
                                  Austria und den AutorInnen                                   auf GardaPat 13 Kiara          Mary Mattingly, Courtesy Robert
                                                                  Editorialboard
                                  Die Zeitschrift und alle in                                                                 Mann Gallery s. 32
                                                                  Katharina Bayer, Wien        Bestellung⁄ Aboverwaltung
                                  ihr enthaltenen Beiträge
                                                                  Reinhard Gassner, Schlins    proHolz Austria
                                  und Abbildungen sind
                                                                  Stefan Mayerhofer, München   info @ proholz.at
                                  urheberrechtlich geschützt.
                                                                  Konrad Merz, Dornbirn        T +43 (0)1 ⁄ 712 04 74
                                  Jede Verwendung außerhalb
                                                                  Sylvia Polleres, Wien        shop.proholz.at
                                  der Grenzen des Urheber-
                                                                  Arno Ritter, Innsbruck
                                  rechts ist ohne Zustimmung
                                                                  Susanne Scharabi, Berlin
                                  des Herausgebers unzulässig
                                                                  Sandra Schuster, München
                                  und strafbar. In Bayern
                                                                  Richard Woschitz, Wien
                                  erscheint der Zuschnitt in
                                  Kooperation mit proHolz
                                  Bayern.
Seite 12 – 15              Seite 18 – 21               Seite 24                         Seite 25 – 29                 Seite 30 – 31
Beispielhaft voran!        Noch klein und jung, aber   Wohnbau, Nachhaltigkeit          wienwood 21                   Wald – Holz – Klima
Holzbau in München         sehr dynamisch              und Ökologie                     Seite 29                      Der Stadtbaum
Text Roland Pawlitschko    Holzarchitektur in Berlin   Im Gespräch mit Gregor           Info                          Text Christina Simmel
Seite 16 – 17              Text Claus Käpplinger       ­P uscher, Geschäftsführer des   Bauen mit Holz in der Stadt   Seite 32
Stadt aus Holz             Seite 22 – 23                wohnfonds_wien                                                Holz(an)stoß
Text Alberto Alessi        Klimagerecht. Ressourcen-    Text Christina Simmel                                         Mary Mattingly
                           schonend. Kreislauffähig?                                                                  Text Stefan Tasch
                           Kreislaufgerechtes Bauen

                                                                                                                                              Editorial
                           mit Holz

                                                                                                                                              Inhalt
                           Text Sandra Schuster

                                                                                                                                              2
                                                                                                                                              3   zuschnitt 82.2021
Editorial

Christina Simmel

 Der Trend ist nicht neu: Seit Jahrzehnten wachsen Städte stetig. Zur Jahresmitte
 2021 lebte bereits mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung in ihnen, bis 2050
werden es an die zwei Drittel sein. Das Jahr 2050 markiert seit dem Übereinkom-
 men von Paris auch das Ziel auf dem Weg zur Klimaneutralität, um die negativen
 Auswirkun­gen des Klimawandels zu begrenzen. Was aber hat das mit Holz zu tun?
 Städte sind der Lebensraum der Zukunft. Obwohl sie nur annähernd 3 Prozent
 der Erdoberfläche ausmachen, sind sie zugleich für drei Viertel des weltweiten
 CO2-Ausstoßes verantwortlich. Beim Kampf gegen den Klimawandel spielen sie
also eine zentrale Rolle und die Entwicklung jeder einzelnen Stadt ist somit Teil                 proHolz Webinare 2.2021
einer globalen Zukunftsaufgabe. Insbesondere das Bauwesen und darin der                           Mehrgeschossiger Holzbau
­Gebäudesektor gelten mit einem Ausstoß von etwa einem Drittel der ­glo­balen
                                                                                                  Im Herbst bietet proHolz Austria zum
 Treibhausgasemissionen als Schlüsselbereiche der Dekarbonisierung.
                                                                                                  zweiten Mal in diesem Jahr ein Webinar
 Der Holzbau ist dabei ein wichtiger Teil der Lösung: Holz ist einer der wenigen
                                                                                                  zum Thema „Mehrgeschossiger Holzbau“
 Baustoffe, der CO2-neutral ist. Ein Kubikmeter davon bindet eine Tonne CO2.
                                                                                                  an und legt dabei besonderes Augenmerk
 ­Dieses bleibt der Atmosphäre erspart, solange das Holz stofflich genutzt wird.
                                                                                                  auf den Wohnbau und den Bereich Nach-
 Die Klimaschutzwirkung hält also an, auch wenn das Holz aus dem Wald geerntet
                                                                                                  verdichtung im urbanen Raum.
 und als Baustoff genutzt wird. Durch Bauen mit Holz entsteht in unseren Städten
                                                                                                  Der Holzbauanteil in den Städten nimmt
 ein zweiter Wald.
                                                                                                  permanent zu, vor allem auch im Bereich
 Anstelle der geernteten Bäume wachsen neue Bäume nach, die der Umgebungs-
                                                                                                  des mehrgeschossigen Bauens. Damit
 luft wieder aktiv CO2 entziehen. Jeder verbaute Kubikmeter Holz ersetzt außer-
                                                                                                  einher geht ein steigendes Interesse an
 dem Baustoffe aus endlichen Ressourcen und vermeidet deren CO2-Emissionen.
                                                                                                  einer fachlichen Beratung zur Planung
  Kurz, Bauen mit Holz ist aktiver Klimaschutz.
                                                                                                  mehrgeschossiger Holzbauprojekte.
  Im aktuellen Zuschnitt zeigen wir, wie Leben und Wohnen in Städten ressourcen-
                                                                                                  Dieser Nachfrage kommt proHolz Austria
  und klimaschonend gestaltet werden und welchen Beitrag der Rohstoff Holz
                                                                                                  mit den Webinaren nach.
  ­dabei leisten kann. Neben der Diskussion über Instrumente der nachhaltigen
   Stadtplanung und stadtpolitische Handlungsmöglichkeiten veranschaulichen
                                                                                                  Mehrgeschossiger Holzbau (5 Module)
   ­Porträts der Städte Wien, München und Berlin die Möglichkeiten des Holzbaus auf
                                                                                                  Donnerstag, 7. Oktober 2021
    praktische Weise. Ergänzt werden diese durch die Ergebnisse des wienwood 21,
                                                                                                  Donnerstag, 14. Oktober 2021
    des Holzbaupreises für Wien.
                                                                                                  Donnerstag, 21. Oktober 2021
                                                                                                  Donnerstag, 4. November 2021
                                                                                                  Donnerstag, 11. November 2021

                                                                                                  proHolz Exkursion
wienwood 21
                                                                                                  Von der Produktion zum fertigen
Mit dem wienwood 21 prämiert proHolz Austria – zum dritten Mal nach 2005 und
                                                                                                  ­Mehrgeschosser
2015 – in Kooperation mit der Stadt Wien und dem Architekturzentrum Wien sowie
unterstützt von der Wiener Städtischen Versicherung herausragende Holzbauten                      Als Ergänzung zu den Webinaren bietet
in der Bundeshauptstadt. In diesem Jahr wurden vier Preise, ein Sonderpreis und                   proHolz Austria auch eine Exkursion an:
sechs Auszeichnungen vergeben. Einen Überblick über die Ergebnisse zeigen wir                     Freitag, 22. Oktober 2021
auf den Seiten 25 bis 29 in diesem Zuschnitt.
                                                                                                  Informationen und Anmeldung unter
Ausführliche Informationen unter www.wienwood.at                                                  www.proholz.at
Essay Das Klima der Stadt:
eine sozial-ökologische Frage

Gabu Heindl

Die Zukunft der Stadt hängt wesentlich vom Klima ab, nicht              Raum, der bereits besteht, klug zu nutzen und gerechter zu ver-
zuletzt weil sich Erderhitzung als gravierende Stadterhitzung           teilen: durch Leerstandsaktivierung, ein Ende von Wohnraum als
­auswirkt. Die Veränderung des Klimas stellt dabei nicht ein            Anlage, höhere Besteuerung von Zweit- und Mehrfachwohnsitzen
 Grundproblem für sich allein dar, gegenüber dem andere ge­             u. v. m. Sozial-ökologischer Städtebau bedeutet Umbau und Weiter­
 samtgesellschaftliche Probleme zweitrangig wären, sondern              bauen – und Neubau nur wenn gemeinwohlorientiert. Konsequent
 Klimaprobleme stehen im Zusammenhang mit anderen sozialen              weitergedacht müssten sich die Lehrstühle Städtebau in Städte­
 Problemfeldern, als da sind: leistbares Wohnen, Zugang zu öffent-      umbau o. Ä. umbenennen.
 lichem Raum, Diskriminierungen etc.                                    Gerechte Verteilung bedeutet auch, „imperiale Lebensweisen“
 Was bedeutet Hitze in der Stadt für Bewohnerinnen und Bewohner         infrage zu stellen, wie dies Ulrich Brandt tut. Dabei wird deutlich,
 einer 50-m2-Wohnung ohne Balkon im Vergleich zu jenen einer            wie sich „reiche Länder“ andernorts an ökologischen und sozialen
Villa mit Klimaanlage, Dachterrasse und Garten oder Landhaus im         Ressourcen bedienen, um sich selbst hohe Lebensstandards zu
Kühlen? Wer hat Zugang zu Grün- und Erholungsraum, wer wohnt            sichern. Verteilungsfragen stellen sich also im geopolitischen
in dichtverbautem Gebiet? Wie verteilen sich öffentliche Grünflä-       Maßstab und werden durch die klimabedingte Zerstörung von
 chen in der Stadt? Kurz: Wem wird immer heißer werden? Wer wird        Lebensgrundlagen verschärft, was wiederum eine der Ursachen
 zudem ungesunde Jobs ohne Fluchtmöglichkeit vor der Hitze haben,       für Fluchtbewegungen ist. Das betrifft die hochenergetische
 weil es am Bau oder bei der Ernte keine Klimaanlage gibt?              ­Herstellung von Zement und den Sandverbrauch für Betonbauten,
 Die ausgelöste Klimaveränderung, die die Zukunft der Städte prä-        die gesund­heitsgefährdende Produktion von eps-Dämmstoffen
 gen wird, ist so allumfassend, dass sie nicht „über“ allen anderen       und den Styropor-Abfall in den Ozeanen. Dazu kommen illegale
 Problembereichen steht. Vielmehr berührt sie alle anderen Be-            Rodungen wie zum Beispiel jene der rumänischen Urwälder – mit
 reiche und verstärkt deren Wirkung auf die Leben der Menschen.           diesen steht pikanterweise auch eine Beteiligung österreichischer
 Deshalb können wir Klimafragen keinesfalls gegen „soziale Fragen“,       Unternehmen in Zusammenhang. Diese Kritik ist wichtig, gerade
 also Probleme (un)gerechter Raum- und Reichtumsverteilung,               weil die Ökologisierung des Bauens mit erneuerbaren und inklu-
 ausspielen. Klima- und Verteilungsfragen sind miteinander eng           siven Materialien wie Stroh, Lehm und Holz – das Material mit
 verschränkt, etwa bei der seit kurzem öffentlich geförderten            dem umfassend­sten Potenzial – für die sozial-ökologische Wende
 ­Solarstromerzeugung: Wer besitzt die Flächen und Dächer, um            so wichtig ist und ein globales Nachhaltigkeitsverständnis mit
  die Energie der Sonne, die an sich für alle gleich scheint, produk-    sich bringen muss.
  tiv und profitabel zu nutzen? Klimagerechtigkeit bedeutet auch,        Hier wird also deutlich, dass Klimafragen so etwas wie gesell-
  Sonnenenergie ähnlich wie Grund und Boden als Commons, als             schaftliches Klima mit umfassen – als Umschreibung für die
  öffentliche Güter, zu verstehen. Verantwortung für soziales und        ­Beziehungsnetze und -formen, die Gefühlslagen und kursierenden
  nachhaltiges Bauen zu übernehmen gilt ganz generell und auch            Haltungen, auch die „erhitzten Gemüter“ und Phasen „sozialer
  aus materialtechnischer Sicht nicht nur für Einzelne in der Bau-        Kälte“, die eine Gesellschaft mit ausmachen. Solchermaßen im
  wirtschaft, sondern für die Stadtplanung und Politik, deren             Zeichen des Klimas verstanden, tritt an Verteilungsfragen ein
  ­Instrumente und Förderungen hier steuern müssen.                       wichtiger Punkt hervor: Es geht nie um bloße Zuteilung von Qua-
   Die Frage ist nicht mehr, ob gehandelt werden muss, sondern            dratmetern und Geldmitteln an verschiedene soziale Gruppen
   wie das Handeln zu einer gesamtgesellschaftlichen Aufgabe              durch eine Zentralinstanz; Verteilung heißt nie nur „Versorgung“,
   samt allen Beteiligten der Bauwirtschaft werden kann. Dabei            schon gar nicht durch eine paternalistische Autorität, sondern es
   sind planerische Raumnutzungskonzepte gegen die durch Erhit-           steht immer die Handlungsfähigkeit, die Ermächtigung der vielen
   zung zugespitzten ­Verteilungsprobleme – städtische Grünkeile,         verschiedenen (und in mancher Hinsicht gleichen, gleich betrof-
   Grünraumgürtel, Wasserkühlung, Entsiegelung, Schwammstadt,             fenen) Leute mit im urbanen Raum. Klima und Verteilung, als
   Baumpatenschaften – ebenso relevant wie bau- und material-             „soziale Fragen“ angegangen, stellen Städte-Umbau und Wohn-
   technische Aspekte im Neubau (wenn ein solcher tatsächlich             raumplanung vor die Notwendigkeit, vielfältige Identitäten und
   ­nötig ist), mehr noch im Umbau. In Bezug auf nachhaltige Bau-         Lebensweisen anzuerkennen. Das erfordert radikaldemokratische
    formen und erneuerbare Materialwahl steht Holzbau auch im             Kritik an Ausschlüssen und Diskriminierungen, die sich immer
    städtischen dichten Bereich immer mehr im Vordergrund. Das            auch baulich ausprägen (standardisierte Wohnungsgrundrisse,
    sind raum- und bautechnische Verfahren – und als solche nie           Qualitätsreduktion, fehlende Barrierefreiheit), sowie Allianzen
    ­ohne gesellschaftspolitische ­Dimension. Das zeigt nicht zuletzt     unter Verschiedenen im aktiven Umplanen einer solidarischen und
     die Degrowth-Bewegung auf: Sie legt nahe, die wachsende Stadt        klimagerechten Stadt.
     in einer Post-Wachstums-Gesellschaft zu konzipieren, zugleich
     auch als eine Post-Wachturms-Gesellschaft, also ohne Wachturm,
                                                                        Gabu Heindl
     der über befestigte Grenzen hinweg den Zuzug in die Städte zu      Architektin mit Schwerpunkt öffentliche Bauten, lehrt als Professorin für Städte­
     stoppen versucht. Städte h­ aben durchaus Platz, auch für Men-     bau an der th Nürnberg und an der aa London. 2013 – 2017 Vorstandsvorsitzende
     schen auf der Flucht. Es geht darum, Städte umzubauen und den      der Österreichischen Gesellschaft für Architektur. www.gabuheindl.at
Themenschwerpunkt Stadt – Holz – Klima
Remise Immanuelkirchstraße, Berlin/DE
Wien in Zahlen

                                                                                              Flächenverteilung in %

                                                                                                         Bauland 36
                                                                                                                                              50 Grünland und Gewässer
                                                                                              Verkehrsflächen 14

                                                                                                              Versiegelungsgrad
                                                                                                              44 %

                                                                                              Verkehrsmittelwahl
                                                                                              25 % Auto
                                               Wohnbevölkerung
                                                                                              38 % Öffis
                                               über 20.000
                                               10.001 – 20.000
                                               5.001 – 10.000                                 7 % Fahrrad
414,9 km2  Fläche                              bis 5.000 Personen/km2
                                                                                              30 % zu Fuß
ø 4.607 Personen/km2
geringste Dichte 1.433 Personen/km2
höchste Dichte 27.402 Personen/km2
                                                                                                               Wie wohnt Wien?
                                                                                                               Wohnungen nach rechtlicher Wohnform
                                                                                                               24 % öffentlicher Wohnbau
                                                                                                               		 (überwiegend Gemeindebau)
        Anzahl der Einwohnerinnen und Einwohner pro km2
                                                                                                               28 % Privatmiete
               –                                                                        –                                                                            –
               –                                                                        –              21 %             Eigentum                                     –
               über 20.000                                                              über 20.000                                                                  über 20.000
               10.001 – 20.000                                                          10.001 – 20.000 %
                                                                                                       14               Genossenschaft                               10.001 – 20.000
               –                                                                        –              13 %             Andere                                       –
               5.000 – 10.000                                                           5.000 – 10.000                                                               5.000 – 10.000
               unter 5.000                                                              unter 5.000                                                                  unter 5.000
                               153.232 Wohngebäude
                               1.050.974 Wohnungen                                            Jährliche Hitze- und Eistage 1955 bis 2020
                                                                                                                                                                                      2015
                                                                                                                                                                    2003

     ca. 60 % der Wienerinnen und Wiener leben im
                                                                                              40 Hitzetage
        geförderten Wohnbau und im Gemeindebau
                                                                                                                                                    1994
                                                                                                                                                    1992

                                                                                              30
                                                                                                                                      1983

                                                                                              20
                                                                                                                                                                                                    2020
                                                                                              1955

                                                                                                                                                                                             2017
                                                                                                                                                     1993

                                                                                                                                                                                                    40
                                                                                                                                                                               2010
                                                                                                                                             1985
                                                                                                                                             1987
                                                                                                                     1969

                                                                                                                                                                                                    50
1,91 Mio. Einwohnerinnen und Einwohner
                                                                                                                                                            1996
                                                                                                       1963

                                                                                                                                                                                      60 Eistage
55.649 Hunde

Quellen: Fläche, Flächenverteilung, Dichte (2020): Stadt Wien, ma 18 Stadtentwicklung und Stadtplanung; Wohnungen und Wohngebäude, Einwohnerinnen und Einwohner, Hunde (2020): Statistik Austria;
Versiegelungsgrad (2020): Umweltbundesamt; Verkehr (2019): Wiener Linien, Statistik Austria; Hitze- und Eistage (2020): zamg
Mehr als Leuchttürme
Holzbau in Wien

                                                                                                                                                                      Stadt – Holz – Klima
Maik Novotny

Es hat zwar keinen Scheinwerfer, doch man darf es guten Gewis-               Genau hier wird die besondere Rolle des HoHo Wien deutlich.

                                                                                                                                                                      6
                                                                                                                                                                      7
sens als Leuchtturmprojekt bezeichnen. Das HoHo Wien ist schon               Es ist ein singuläres Leuchtturmprojekt, das nicht singulär bleiben,
von weitem als transdanubischer Hochpunkt sichtbar und mar-                  ­sondern als Türöffner für neue Regeln fungieren will. Dieser

                                                                                                                                                                      zuschnitt 82.2021
kiert das Stadtentwicklungsgebiet Seestadt Aspern wie eine                    Fortschritt wurde auch bei Aspekten wie Statik und Brandschutz
­Nadel auf der Landkarte. Ein Leuchtturmprojekt war es auch von               evident. Denn in Wien wurde der langsame Durchbruch des
 Anfang an für den städtischen Holzbau, war es doch ganz vorne                ­Holzbaus auch vom Entgegenkommen der Kompetenzstelle
 mit dabei im internationalen Wettrennen um das erste, höchste,                Brandschutz (ma 37) unter Leiterin Irmgard Eder begleitet, die
 spektakulärste Hochhaus aus Holz, das in der zweiten Hälfte der               neuen Entwicklungen offenstand.
 2010er Jahre an Dynamik gewann.                                               Es ist der nächste Schritt auf dem Weg des traditionell minera-
 Der Spatenstich erfolgte im Oktober 2016, und trotz vieler Un-                lischen Ostens hin zu einer Normalisierung des urbanen Holz-
 wägbarkeiten im vertikalen Neuland hatte das für Entwicklung                  baus. Erste Anfänge gab es in den 1990er Jahren, weitere Meilen-
 und Planung zuständige Kernteam von vornherein einen klaren                   steine waren etwa die Techniknovelle der Wiener Bauordnung
 Plan. Ein Holz-Purismus war bei 84 Metern Höhe weder realisier-               2001, die Holz in viergeschossigen Bauten erlaubte, 2012 setzte
 bar noch sinnvoll, daher wurde auf eine kluge Hybridlösung                    die Stadt Wien mit einem Bauträgerwettbewerb das Signal für
 ­gesetzt: Ein Kern aus Stahlbeton, daran angehängt eine Holz­                 Holz im Wohnbau. Wurde bei manchen der damaligen Pionier-
  verbundkonstruktion, bestehend aus vier Grundelementen: Ver-                 bauten noch konstruktive Vorarlberger Expertise „importiert“,
  bunddecken, Wandelementen, Stützen und Unterzügen.                           hat inzwischen auch der Osten aufgeholt und an Selbstbewusst-
  Um Purismus ging es dabei nicht, sondern um intelligenten Fort-              sein gewonnen.
  schritt, wie Ingenieur Richard Woschitz betont: „Wir wollten mit
  dem Projekt die gleichwertige Tragfähigkeit gegenüber minera-               Umbruch im Wohnbau
  lischen Baustoffen aufzeigen. Als Beispiel seien hier die Stützen            Die Wiener Stadtentwicklung wurde dabei zum (noch zaghaft
  im HoHo genannt, die gleichwertig die hohen Lasten im Hoch-                  ­bestellten) Experimentierfeld. In fast allen größeren neuen
  hausbereich analog zu den Betonstützen sehr wohl abtragen                     Wohngebieten wurde zumindest ein Baufeld für Experimente
  ­können. Das hier angewandte sogenannte Lego-Grundprinzip                   in Holz reserviert. Ein mehrfach preisgekröntes Beispiel trägt
   aus vorgefertigten und logistisch zusammengefügten Elementen               den simplen Namen „Holzwohnbau Seestadt Aspern“ und wurde
   wird ein wichtiges Thema der Zukunft sein.“ Zwar wurde die                 in ebendieser auf dem Baufeld D12 umgesetzt. Hier wurde eine
   ­Fertigstellung mehrmals verschoben, doch 2019 war es so weit.            kluge Lösung aus modularen vorgefertigten Elementen auf
    „Natürlich dauert die Planungsphase länger“, sagt die Projektent-        ­massivem Sockel realisiert. Das Holz diente hier nicht nur als
    wicklerin des HoHo, Caroline Palfy, „Konsulenten, Prüfungen,              ­Fassade, sondern auch als quasi-landschaftliches Element bei
    Genehmigungen, all das braucht Zeit. Wenn solche Projekte                  der Ausformung der halböffentlichen Bereiche im Hof.
    ­zukünftig in der Baubranche die Regel sind, wird das schneller
     gehen.“

                                                                             Holzwohnbau Seestadt Aspern
                                                                             BauherrIn ebg Gemeinnützige Ein- und Mehrfamilienhäuser
                                                                             Baugenossenschaft reg. Gen. m. b. H., Wien/AT, www.ebg-wohnen.at
                                                                             Planung querkraft architekten, Wien/AT, www.querkraft.at; Berger + Parkkinen, Wien/AT,
                                                                             www.berger-parkkinen.com
                                                                             Fertigstellung 2015
Holzhochhaus HoHo
BauherrIn avv Investment GmbH, Ried im Innkreis/AT, www.avv-investment.com
Planung Rüdiger Lainer + Partner Architekten, Wien/AT, www.lainer.at
Fertigstellung 2019
PopUp dorms                                                                            Bikes and Rails
BauherrIn OeAD-WohnraumverwaltungsGmbH, Wien/AT, www.oead.at;                          BauherrIn Familienwohnbau gemeinnützige Bau- und Siedlungsgesellschaft m. b. H., Wien/AT,
Wohnbauvereinigung für Privatangestellte Gemeinnützige GmbH, Wien/AT, www.wbv-gpa.at   www.familienwohnbau.at; Bikes and Rails – Gesellschaft für solidarische Hausprojekte GmbH,
Planung F2 Architekten, Schwanenstadt/AT, www.f2-architekten.at                        Wien/AT, www.bikesandrails.org
Fertigstellung 2015                                                                    Planung Architekturbüro Reinberg, Wien/AT, www.reinberg.net
                                                                                       Fertigstellung 2020

Zwei Ecken weiter war über mehrere Jahre ein Experiment des                             2019 bezogenen Hauses zeigte die Akzeptanz des Holzbaus in
temporären Holzbaus zu besichtigen: Das Studierendenwohn-                               hochverdichteten Stadtgebieten. Wenige hundert Meter weiter
heim PopUp dorms. Dessen Grundidee war, Grundstücke im                                  ist das Baugruppenprojekt Bikes and Rails der zweite Holzbau im
Nahbereich der Stadt Wien, die frühestens in fünf Jahren b­ ebaut                       Viertel, und auch hier ist das Material über den rein konstruktiven
werden, einer Zwischennutzung zuzuführen. Der Entwurf des                               Aspekt hinaus ein Signal für besonderes Engagement – in diesem
­modularen Gebäudes basierte auf dem bereits vom selben                                 Fall von Seiten eines Mietshäusersyndikats.
 ­Planungsteam entwickelten Produkt gobox, das schon mehrmals                           Doch es bleibt nicht bei diesen einzelnen „Exoten“, denn auch
  für Wohn- und Gewerbezwecke zum Einsatz kam und 2007 mit                              auf übergeordneter Ebene wird der Holzbau gezielt ins Programm
  dem Oberösterreichischen Holzbaupreis ausgezeichnet wurde.                            genommen. Die Internationale Bauausstellung iba_Wien 2022
  Im Sommer 2021 schließlich rückten die Transporter zum plange-                       initiierte eine Städtepartnerschaft mit Vancouver, bei der es neben
  mäßen ersten Umzug an und die komplett möblierten Module                             dem sozialen Wohnbau auch um den Austausch von Holzbau­
  wanderten in den Norden der Seestadt.                                                expertise geht. Ein Ergebnis wird künftig in Wien zu sehen sein:
  Auch im Sonnwendviertel mit seinen kleineren Baufeldern und                          Für das Projekt Waldrebengasse entwickelte das Planungsteam
  seinem differenzierten Vergabeverfahren fand der Holzbau Platz.                      des HoHo sein für das Hochhaus entwickeltes, offenes Bausystem
  Als Leuchtturmprojekt dafür ist beispielsweise das Wohnprojekt                       obsys weiter. Dieses ist nicht in Produkten gedacht, sondern in
  Gleis21 zu nennen, bei dem es ein expliziter Wunsch der Baugruppe                    Prinzipien. Ziel ist es, eine preisliche Konkurrenzsituation zu
  war, einen Bau in Holz-Hybridbauweise zu realisieren. Hier war                       schaffen und nicht von einer einzigen konstruktiven Lösung
  vor allem die Balance zwischen der Grundrissflexibilität, die sich                   ­abhängig zu sein. So will man auch die Hürde der Leistbarkeit
  aus den individuellen Wünschen der Bewohnerinnen und Bewoh-                           im geförderten Wohnbau meistern, die gepaart mit einer Grund­
  ner ergab, und dem holzbauimmanenten regulären Rastersystem                           skepsis auf Auftraggeberseite gegenüber ungewohnten Lösun­gen
  die große Herausforderung. Die durchweg positive Rezeption des                        immer noch bremsend auf Holzbauvorhaben wirkt.

                                                                                                                   Gleis21
                                                                                                                   BauherrIn Schwarzatal – Gemeinnützige Wohnungs- & Siedlungs­-
                                                                                                                   anlagen GmbH, Wien/AT, www.schwarzatal.at;
                                                                                                                   Verein Wohnprojekt Gleis 21, Wien/AT, www.gleis21.wien
                                                                                                                   Planung einszueins architektur, Wien/AT, www.einszueins.at
                                                                                                                   Fertigstellung 2019
Stadt – Holz – Klima
                                                                                                                                                                          9
                                                                                                                                                                          8
                                                                                                                                                                          zuschnitt 82.2021
                                                                                                                                 Kindergarten in Pötzleinsdorf
                                                                                                                                 BauherrIn Stadt Wien, ma 10 – Wiener
                                                                                                                                 Kindergärten
                                                                                                                                 Planung Schluder Architekten, Wien/AT,
                                                                                                                                 www.architecture.at
                                                                                                                                 Fertigstellung 2018

 Holzbau macht Schule                                                                   Der Studiengang Green Building Master an der fh Campus Wien
 Neben dem Wohnbau sind Bildungsbauten wohl der Bereich,                                umfasst mehrere Forschungsprojekte, darunter auch Holzbau 4.0.
 in dem der Wiener Holzbau der letzten Jahre die größte Dynamik                         Dabei vernetzt man sich auch mit Hochschulen in anderen euro-
 erfahren hat, denn das Schulbauprogramm setzte vor allem bei                           päischen Ländern. Eine Anerkennung gab es für die Studierenden
 kleineren Neu- und Zubauten auf schnelle und einfache Lösun­gen.                       der fh Campus Wien bei der proHolz Student Trophy 2020, die
 Beim Kindergarten in Pötzleinsdorf kam eine Fertigteilbauweise                           proHolz Austria in Kooperation mit der Stadt Wien und Wiener
 aus flächigen Holzelementen zur Anwendung. Dabei profitierte                             Wohnen durchführte. Aufgabe war es, Konzepte für die Aufsto-
 man von einem eingespielten Team, das schon öfter mit der Stadt                        ckung von Wohnbauten aus den 1960er Jahren zu finden. Das
 Wien zusammengearbeitet hatte, was die Kommunikation er-                               Potenzial für Aufstockungen von Wiener Gemeindebauten ist
 leichterte und den Prozess beschleunigte – auch dies ein Zeichen                       ­enorm: Laut einer Studie der Stadt Wien könnten hier bis zu
 für die wachsende Expertise auf Seiten der Stadtverwaltung. Dass                        7.600 neue Wohnungen realisiert werden. Wenn wir heute mit
 zuständige Stellen wie die ma 34 und die Wiener Standortent-                            neuer Dringlichkeit über ressourcenschonendes Bauen und
 wicklungsgesellschaft wse viele Bildungsbauten als Holzbau aus-                         ­Umbau statt Neubau reden, rückt der Holzbau noch weiter ins
 schreiben, liegt auch am Vertrauen in Projektpartnerschaften mit                         Zentrum des Geschehens. Der Weg von den Leuchttürmen hin zu
 entsprechendem Know-how, inzwischen auch in Ostösterreich.                               einer Normalität ist geebnet.
 Wie viel Innovationspotenzial im Holzbau über die serielle Ein-
 fachheit hinaus steckt, zeigte ein anderes Leuchtturmprojekt aus
                                                                                        Maik Novotny
 dem Bereich Bildungsbau, das Bibliotheks- und Seminarzentrum
                                                                                        ist Architekturjournalist und schreibt regelmäßig für die Tageszeitung
 der boku Wien. Hier brachte das für die Planung verantwortliche                        Der Standard, die Wochenzeitung Falter sowie für Fachmedien über Architektur,
 Team zusammen mit dem Hersteller Stora Enso eine gute Portion                          Stadtentwicklung und Design.
 digitales Hightech in die 980 m3 Holz ein. Zum einen wurde                             www.maiknovotny.com
­jedes Bauteil mit Sensoren ausgestattet, die dessen Weg zur Bau-
 stelle überwachten und nach der Fertigstellung Informationen
 beispielsweise zum Feuchtigkeitsgehalt an die Zentrale funkten,
 zum anderen wurde der Bau in der Planungsphase mittels eines
 digitalen Tools komplett virtuell dargestellt. „Der Vorteil ist, dass
 alle Abstimmungen schon frühzeitig in der Planungsphase pas-
 sieren und aufwendige spätere Korrekturen vermieden werden“,
 so Christoph Falkner von swap Architekten.
 Zu guter Letzt ist bei den Wiener Hochschulen nicht nur die Hülle,
 sondern auch der Inhalt auf dem Weg zum urbanen Holzbau,
 denn die Lehre widmet sich diesem Thema mehr als zuvor.

                                                        Ilse Wallentin Haus boku Wien
                BauherrIn big – Bundesimmobiliengesellschaft mbH, Wien/AT, www.big.at
                      Planung swap Architekten, Wien/AT, www.architektur.swap-zt.com;
                                                         Delta, Wels/AT, www.delta.at
                                                                  Fertigstellung 2020
Nachgefragt
                                                                                                 g­ ewinnt darüber hinaus der integrierte
Wie gestalten Wien, München und Berlin                                                            Quartieransatz an Bedeutung, in dem
ihre Wege in die Zukunft?                                                                         verschiedene Themen wie Wohnen, ­
                                                                                                  Bauen, Energieeffizienz, Mobilität und
                                                                                                  ­demografische sowie soziale Entwick-
                                                                                                   lungen eng verzahnt werden. Da die Zu-
                                                                                                   ständigkeiten für diese Themen in einer
                                                                                                   großen Stadtverwaltung weit gestreut
Christina Simmel                                                                                   sind, muss für eine kooperative Verwal-
                                                                                                   tungs- und Planungskultur gesorgt sein.
Wien, München und Berlin sind wachsende Städte – und sie sollen bis spätestens                     Die Stadtentwicklungsplanung hat dabei
2050 klimaneutral sein. Neben den Herausforderungen des Wachstums müssen sie                       eine Schlüsselposition.
sich auch jenen des Klimawandels und der Ressourcenknappheit stellen. Wir h­ aben
bei Bernhard Jarolim (Stadtbaudirektor Wien), Elisabeth Merk (Stadtbaurätin München)             Regula Lüscher
und R­ egula Lüscher (Senatsbaudirektorin Berlin bis Sommer 2021) nachgefragt.                   Berlin ist eine Stadt mit vielen Zentren und
                                                                                                 kann daher das Konzept der kompakten
                                                                                                 Stadt mit kurzen Wegen gut umsetzen. ­
Welche Strategien der Stadt­entwicklung          Regula Lüscher                                  So wird die vorhandene verkehrliche und
ermöglichen den Weg einer wachsenden             Eine nachhaltige Stadtentwicklung gelingt,      soziale Infrastruktur dauerhaft gut ausge-
Stadt in eine klimaneutrale Zukunft?             wenn in einem integrierten Verfahren den        lastet. Die damit einhergehende Dichte
                                                 unterschiedlichen Belangen ausgewogen           braucht Qualität: im Freiraum, in der Ar-
Bernhard Jarolim                                 Rechnung getragen wird. Dazu sind die           chitektur, im öffentlichen Raum. Alle diese
Stadtwachstum ist in erster Linie von zwei       ökologischen Gegebenheiten vor Ort wich-        Bereiche brauchen Aufmerksamkeit, um
Polen geprägt: Einerseits wird die Bevölke-      tig, ebenso muss die Entwicklung den            unsere Stadt lebenswert, attraktiv und
rungszahl größer und mit ihr wachsen der         ­sozialen Interessen genügen und zugleich       ­robust gegenüber den Folgen des Klima-
Bedarf an Wohnraum und Infrastruktur              ökonomisch tragfähig sein. Dem zuneh-           wandels zu gestalten. Wenn wir also die
sowie der materielle Fußabdruck. Anderer-         menden Wachstum der Stadt gilt es durch         Stadt umbauen, im Bestand weiterbauen
seits nimmt durch den starken Zuzug die           Maßnahmen und Möglichkeiten auf unter-          oder neu bauen, dann sind dies Maßstäbe
zu nutzende Fläche pro Kopf ab. Umso              schiedlichen Ebenen zu begegnen. Ein            für einen resilienten Entwicklungspfad.
wichtiger ist ein weitsichtiger Umgang mit        ­Ansatz stellt die Mehrfachnutzung von          Ein wesentlicher Punkt dabei ist, die Men-
der endlichen Ressource Raum: Wien wird            Flächen dar, um die Neuversiegelung mög-       schen mitzunehmen. Denn die Umsetzung
sein Wachstum innerhalb seiner Grenzen             lichst gering zu halten. Neue Stadtentwick-    des Klimaschutzes und der Klimaanpas-
bei gleichzeitigem Schutz seiner Grün-             lungsgebiete brauchen eine intergierte         sung ist eine gesamtgesellschaftliche Auf-
und Freiflächen bewältigen und setzt auf           Planung, um den Querschnittsthemen einer       gabe. Für die öffentliche Seite heißt das:
Strategien, die den Bestand wertschätzen.          klimaneutralen und klimaangepassten            Sensibilisieren, Informieren, Beraten, För-
Es gilt nicht nur, die Verbauung der umge-         Entwicklung zu entsprechen, und von            dern, gegebenenfalls auch Fordern.
benden ruralen Flächen und insgesamt               ­A nfang an eine gemeinsame Vision: als
jede zusätzliche Versiegelung möglichst zu          Grundlage eines kooperativen Handelns        Welche Maßnahmen müssen hinsichtlich
vermeiden, sondern auch bereits versiegelte         zwischen Akteurinnen und Akteuren und        des Bauens getroffen werden, um bis
Flächen mehrfach oder intensiver zu nutzen,         einer gemeinsamen Entwicklungsrichtung.      2050 auf einem Netto-Null-Kohlenstoff-
die Stadt als Materiallager zu begreifen                                                         Gebäudestand zu sein?
und ein Weiterbauen zu ermöglichen.              Was macht eine zukunftsorientierte Stadt-
                                                 und Baupolitik aus?                             Bernhard Jarolim
Elisabeth Merk                                                                                   Wien hat sich das Ziel gesetzt, bis 2040
München steht wie alle anderen Städte vor        Bernhard Jarolim                                klimaneutral zu sein. Eine integrierte
der Herausforderung, mit dem zunehmen­           In puncto Zukunftsorientierung baut die         ­Betrachtung von Klimaschutz, Klimawan-
den Wachstum umzugehen und dabei eine,           Wiener Stadt- und Baupolitik auf bishe-          delanpassung und Ressourcenschonung
ökonomisch betrachtet, gute Öko­bilanz zu        rigen Erfahrungen und Entwicklungen auf.         unter Anwendung kreislaufwirtschaftlicher
erreichen. Derzeit arbeiten wir an einem         Wien wird seinen Weg solidarisch, mit den        Prinzipien ist für das Gelingen dieses Vor-
Stadtentwicklungsplan, mit dem wir die           Menschen im Mittelpunkt, weitergehen             habens zentral. Als Dachstrategie wurde
Vielschichtigkeit der Themen einer nach-         und weiterhin leistbares Wohnen ermögli-         dazu die Smart City Wien Rahmenstrategie
haltigen, ressourcenschonenden Stadt­ent­        chen. Es gilt, Grund und Boden dafür und         entwickelt und auf das Übereinkommen
wicklung im Überblick behalten. Wollen wir       für infrastrukturelle Bedürfnisse sicherzu-      von Paris abgestimmt. Konkret prüft die
dem Bedarf an Wohnraum nachkommen,               stellen und zugleich Qualitäten auf ökolo-       Stadt Wien bis 2022 alle Gebäude auf ihre
gilt es, bestehende Stadtgebiete sorgfältig      gischer, ökonomischer und soziokultureller       Eignung zur Erzeugung von Solarenergie
nachzuverdichten. Dabei zielen wir auf eine      Ebene zu pflegen.                                und rüstet sie, wo möglich, bis 2025 mit
„doppelte Innenentwicklung“ ab: Wo Woh-                                                           entsprechenden Anlagen aus. So werden
nungen gebaut werden, m   ­ üssen auch die       Elisabeth Merk                                   sie zum aktiven Teil der Infrastruktur ­
Freiräume entsprechend bereitgestellt und        Sehr wichtig ist, neben der Gesamtstadt          für das Energiesystem. Im Zuge der Ent-
aufgewertet werden. Fester Bestandteil           auch besonders dynamische Teilräume in           wicklung kleinerer Stadtteile und der
wird dabei auch die Entwicklung neuer            den Blick zu nehmen und in diesen Gebie-         ­Stadterweiterung werden neue Parks
Stadtquartiere sein, bei denen die Klima-        ten die strategische Ebene besser mit der         ­geschaffen und die Grünflächen an den
gerechtigkeit im Vordergrund stehen muss.        operativen zu verbinden. In München sind           Klimawandel angepasst, um signifikante
Auf sozialer Ebene fokussieren wir das Stadt­­   das die sogenannten Handlungsräume                 Grünräume mit tauglichen Baumbestän-
entwicklungs­konzept noch mehr auf Nach-         der Stadtentwicklung. Auf dem Weg zu               den zu gewährleisten. Zu nennen sind
haltigkeit und Gemeinwohlorientierung.           Nachhaltigkeit und Klimaneutralität                auch die Anwendung des Schwammstadt-
Prinzips, die Begrünung von Straßen und        Dazu gehört die stadtnahe Herkunft des         Rohstoffen in kg je m2 Wohnfläche),
 Plätzen, Fassaden, Dächern und Innen­          Rohstoffs Holz und damit ein möglichst         ­wobei abhängig vom Anteil der Nawaros
 höfen. Das transdisziplinäre Programm          CO2-neutraler Transport.                        ein Zuschuss für die etwas höheren Erst­
 „DoTank Circular City Wien 2020 – 2030“,                                                       investitionen im Holzbau gewährt wurde.

                                                                                                                                               Stadt – Holz – Klima
ein Leitprojekt der Wirtschaftsstrategie        Mit welchen Maßnahmen fördern Sie den           Aufgrund unserer sehr guten Erfahrungen
wien 2030, wurde von mir in Auftrag             Einsatz nachhaltiger, nachwachsender            damit planen wir derzeit auch vier neue
­gegeben und ist dementsprechend in der         Rohstoffe und kreislauffähiger Baustoffe        Holzbausiedlungen und bereiten ein
 Stadtbaudirektion angesiedelt. E­ s bereitet   und welche Rolle spielt konkret das Bauen       ­weiteres Förderprogramm für künftige
 praktisch und strategisch den Weg zu           mit Holz?                                        Siedlungen in Holzbauweise vor, das noch
 einem zirkulären Wien entlang der ge­                                                           über den sogenannten Holzbaubeschluss
 samten Wertschöpfungskette des Lebens-         Bernhard Jarolim                                 hinausgeht. Bei der Vergabe städti­scher

                                                                                                                                              10
                                                                                                                                              11
 zyklus in Hochbau, Infrastruktur und           Für den Einsatz nachhaltiger, kreislauf­         Grundstücke sollen künftig 50 Prozent der
 Stadtplanung.                                  fähiger Bauprodukte bzw. -stoffe braucht         Vorhaben in Holzbauweise erstellt werden.

                                                                                                                                               zuschnitt 82.2021
                                                es ein ganzes Maßnahmenbündel. So wird           Zudem hat der Bayerische Landtag Ende
Elisabeth Merk                                  u. a. das standort- und nutzungsgerechte         letzten Jahres das „Gesetz zur Vereinfa-
Hier greifen mehrere Handlungsoptionen          Planen und Bauen für maximale Ressour-           chung baurechtlicher Regelungen und zur
ineinander: Im Bestand müssen wir ineffi-       censchonung ab 2030 zum Standard                 Beschleunigung sowie Förderung des
ziente Gebäude sukzessive sanieren und          erhoben sein, wodurch die Verfügbarkeit          Wohnungsbaus“ beschlossen. Es ­enthält
die Heiztechnik möglichst auf treibhaus-        lokaler Baumaterialien und -produkte             umfangreiche Änderungen der ­Bayerischen
gasneutrale Techniken umstellen. Die            aufgewertet wird. Es wird daher darauf           Bauordnung, die u. a. die Holzbauweise
Münchner Stadtwerke dekarbonisieren die         ankommen, integrale Planungsprozesse             in allen Gebäudeklassen ­ermöglichen. Eine
Fernwärme-Versorgung, die rund 30 Pro-          zu etablieren und die verfügbaren Bauele-        Holzbaurichtlinie als Technische Baube-
zent des Stadtgebietes abdeckt, schritt-        mente und -produkte für die angestrebte          stimmung soll folgen.
weise über die in der südbayerischen Region     maximale Ressourcenschonung bereits in
zur Verfügung stehende Tiefengeothermie.        der Entwurfsplanung zu berücksichtigen.        Regula Lüscher
Eine weitere Maßnahme ist die bereits           Idealerweise soll ein beinahe geschlosse­      Berlin unterstützt die Marktetablierung
­erwähnte Strategie des integrierten Quar-      ner Kreislauf vom Ende des Lebenszyklus        nachhaltiger, nachwachsender Rohstoffe
 tiersansatzes.                                 einer Baulichkeit zum Anfang eines ande-       und kreislauffähiger Baustoffe durch
 Laut Beschluss des Stadtrats zur Klimaneu-     ren oder direkt zurück in die Erde nach        ­öffentliche Bauprojekte. Dazu wurde ein
 tralität von 2019 müssen Neubauten einem       dem „Cradle to Cradle“-Prinzip entstehen.       umfangreiches Förderprogramm für Pilot-
 energetischen Mindeststandard genügen.         Der Holzbau ist in Wien spätestens im Jahr      und Innovationsprojekte zum Holzbau
 Zudem greift hier die Landeshauptstadt         2001 mit der Bauordnungsnovelle ange-           ­aufgelegt, beispielsweise die Holzbaumaß-
 München das Thema im Bereich der Sanie-        kommen. Eine Anpassung der Brand-                nahme für Kindertagesstätten und Berlins
 rung auf. Die großen Potenziale für ein        schutzvorschriften ermöglichte die Errich-       Schulbauoffensive im Holzmodulbau.
 ­klimaneutrales München liegen darin,          tung von bis zu vier Geschossen plus             Auch die erwähnte Bauhütte 4.0 ist hier
  beim Bestand anzusetzen. Der Fokus muss       Dachgeschoss aus Holz in Verbindung mit          zu nennen. Auf dem ehemaligen Flugha-
  dabei auf einer integrierten Sicht liegen.    einem massiven Erdgeschoss. 2007 wur-          fen Berlin-Tegel entsteht ab 2023 das der-
  Wir nehmen neben der Energieversorgung        den erstmals Rahmenbedingungen in den          zeit weltgrößte Holzbauquartier mit über
  und der Gebäudesanierung auch die Mo-         bundesweit anerkannten Richtlinien des         5.000 Wohnungen für mehr als 10.000
  bilität, den öffentlichen Raum, die Versor-   österreichischen Instituts für Bautechnik      Menschen. Es ist als Modellprojekt für das
  gung im Quartier sowie weitere Themen         (oib) für den Holzbau in der Gebäudeklasse 5   klimaneutrale Stadtquartier der Zukunft
  der Stadtentwicklung in diesen Prozess        (Gebäudehöhe 16 bis 26 Meter) festgelegt.      gedacht.
  auf, um langlebige Konzepte umzusetzen.       2015 ermöglichten die Brandschutzvor-          Zudem treiben wir die Anpassung gesetz-
                                                schriften den Einsatz von Holz in bis zu       licher Vorgaben voran. Die rechtlichen
Regula Lüscher                                  sechs Geschossen. 2019 wurde schließlich       Rahmenbedingungen bestehen seit dem
Wir sind strategisch schon gut aufgestellt,     die umfassende Neuerung der oib-Richt­         Senatsbeschluss von 2018 zum nachhal-
um das Klimaneutralitätsziel zu erreichen.      linien beschlossen, die ebenfalls weiter­      tigen Bauen und zum bevorzugten Einbau
Das Berliner Energie- und Klimaschutzpro-       gehende Zugangsverbesserungen für die          des Baustoffs Holz im Rahmen der Fort-
gramm 2030 wurde auf Basis des Berliner         Verwendung von Holz und Holzprodukten          schreibung der Verwaltungsvorschrift Be-
Energiewendegesetzes entwickelt. Als            erwirken wird. Erkennbar ist, dass der Bau-    schaffung und Umwelt. Im selben Jahr
erste Maßnahmen auf dem Bau- und Ge-            stoff Holz sukzessive mit anderen Bauma-       wurde die Bauordnung von Berlin entspre-
bäudesektor werden neue Stadtquartiere          terialien gleichgestellt werden soll.          chend novelliert, was sich insbesondere auf
klimaneutral gestaltet, die Holzbauweise                                                       den mehrgeschossigen Holzbau auswirkt.
etabliert, öffentliche Gebäude mit ener­        Elisabeth Merk
getischen Mindeststandards neu gebaut           Ein Meilenstein war 2015 der Beschluss
oder saniert, die klimaneutrale Entwicklung     des Münchner Stadtrats, eine ökologische
der Fernwärme ausgeweitet, das Solarge-         Mustersiedlung auf dem ehemaligen Ge-
setz erlassen und der Solaratlas geschaffen.    lände der Prinz-Eugen-Kaserne in Holzbau-
Besonders wichtig ist uns die sogenannte        weise umzusetzen.
Bauhütte 4.0 – sie soll als Katalysator eines   Die Grundstücke wurden nicht an die
innovativen Holzbauclusters in urbanem          Höchstbietenden vergeben, sondern im
Maßstab dienen. Als Prototyp für nach­          Zuge von Konzeptausschreibungen u. a.
haltige Stadtentwicklung entsteht nach          mit Vorgaben zur Kohlenstoffspeicherung.
diesem Konzept in Berlin Tegel ein Modell-      Die Voraussetzung für die Grundstücks­
quartier, das die gesamte Wertschöpfungs­       vergabe war ein Mindestanteil an so­
kette vom Wald zur Stadt berücksichtigt.        genannten Nawaros (nachwachsenden
München in Zahlen

                                                                                                                      Flächenverteilung in %

                                                                                                                                                                             25 Grünland und Gewässer
                                                                                                                                Bauland 58
                                                                                                                                                                             17 Verkehrsflächen

                                                                                                                                  Versiegelungsgrad
                                                                                                                                  46 %

                                                                                                                      Verkehrsmittelwahl
                                                                                                                      34 % Auto

                                                                                                                      24 % Öffis

                                                                                                                      18 % Fahrrad
                                                                       Wohnbevölkerung
                                                                                                                      24 % zu Fuß
                                                                       über 20.000
                                                                       10.001 – 20.000
                                                                       5.001 – 10.000
                        310,7 km2  Fläche                              bis 5.000 Personen/km2

                        ø 5.024 Personen/km2
                                                                                                                                    Wie wohnt München?
                                                                                                                                    Wohngebäude nach Eigentumsform des Gebäudes
                        geringste Dichte 2.200 Personen/km2
                        höchste Dichte 15.800 Personen/km2                                                                          19,6 % Eigentumsgemeinschaft

                                                                                                                                     64 % Privat

                                                                                                                                    2,4 % Genossenschaft
                                                                                                                                    4,9 % Kommunal
und Einwohner pro km2                                                                                                               9,2 %		 Andere
                                          –                                                                               –
                                          –                                                                               –
                                          über 20.000                                                                     über 20.000
                                          10.001 – 20.000                                                             Jährliche     Hitze-
                                                                                                                          10.001 – 20.000                und Eistage 1955 bis 2018
                                          –                                                                               –
                                                      143.717
                                          5.000 – 10.000
                                                                  Wohngebäude                                             5.000 – 10.000
                                                                                                                                                                                                  2003

                                                                                                                                                                                                                          2015

                                          unter 5.000                                                                 40 Hitzetage
                                                                                                                          unter 5.000
                                                            815.057 Wohnungen                                         30
                                                                                                                                                                                    1994
                                                                                                                                                                                    1992
                                                                                                                                                                      1983

                                                                                                                      20
                                                                                                                                    1964

                                                                                                                                           1967

                                                                                                                                                                                                                                   2018
                                                                                                                     1955

                                                                                                                                                                                                                                 2017
                                                                                                                                                                                                                   2013
                                                                                                                                                               1981

                                                                                                                                                                                                         2005

                                                                                                                                                                                                                                   40
                                                                                                                                                  1969

                                                                                                                                                                                                                2010
                                                                                                                                                                             1985

                                                                                                                                                                                                                                   50
                        1,56 Mio. Einwohnerinnen und Einwohner
                                                                                                                                                                                           1996
                                                                                                                       1956

                                                                                                                                                                                                                       60 Eistage
                        40.675 Hunde
                                                                                                                                  1963

                        Quellen: Fläche und Dichte (2020), Wohnungen und Wohngebäude, Einwohnerinnen und Einwohner, Hunde (2020): Statistisches Amt München, Bayerisches Landesamt für Stastistik und Datenverarbeitung;
                        Flächenverteilung (2019): Bayerisches Landesamt für Statistik; Versiegelungsgrad (2019): Landeshauptstadt München, Referat für Klima- und Umweltschutz; Verkehr (2017): Bundesministerium für Verkehr
                        und digitale Infrastruktur; Hitze- und Eistage (2020): Deutscher Wetterdienst (dwd)
Beispielhaft voran!
Holzbau in München

                                                                                                                                                                       Stadt – Holz – Klima
                                                                                                                                                                      12
                                                                                                                                                                      13
                                                                                                                                                                       zuschnitt 82.2021
                                                  Ökologische Mustersiedlung Mit der ökologischen Mustersiedlung setzte die Stadt München neue Maßstäbe im Holzbau.
                                                  Auf einem ehemaligen Kasernengelände entstanden insgesamt 1.800 Wohnungen, davon 566 in verschiedenen Holzbau-
                                                  weisen im Plus-Energie-Standard und mit bis zu sieben Geschossen.

Roland Pawlitschko

Spätestens seit der Fertigstellung der sogenannten ökologischen           höhere Kosten verursachen. Dank dieses Fördermodells ist es uns
Mustersiedlung in Holzbauweise auf dem Gelände der ehemali­               erstmals gelun­gen, diese Mehrkosten wettzumachen“, sagt gwg-­
gen Prinz-Eugen-Kaserne im Jahr 2020 wird München zunehmend               Geschäfts­f üh­rerin Gerda Peter. „Hinzu kommt, dass diese Art der
als Stadt des Holzbaus wahrgenommen. Die in Holz- und Holz-               Förderung sehr motivierend war, weil sie bei uns wie auch bei
Hybridbauweise realisierten 566 Wohnungen gelten als größte               ­allen anderen Wohn­ungsbauunternehmen dazu führte, sich noch
zusammenhängende Holzbausiedlung Deutschlands. Viel interes-              intensiver d­ amit auseinanderzusetzen, wie und wo überall Holz
santer als dieser Superlativ ist jedoch das von der Landeshaupt-          zum Einsatz kommen könnte.“
stadt München hierfür entwickelte Fördermodell. Als zentrales             Das neue Wohnquartier Hochmuttinger Straße gilt als eines der
Kriterium diente die verbaute Menge nachwachsender Rohstoffe              Folgeprojekte dieses Fördermodells und soll bis 2024 in „qualifi-
(Nawaro) in kg pro m2 Wohnfläche. Bei den Geschosswohnungs-               zierter Holz- bzw. Holzhybridbauweise“ entstehen, jedoch nicht
bauten lag der geforderte Mindestanteil bei 50 kg/m2 – ein Wert,          als weitere Mustersiedlung, sondern mithilfe eines entsprechend
den die Projekte meist um ein Vielfaches übertrafen. Die städ-            formulierten Bebauungsplans. Auch hier sollen Förderungen an
tische Wohnungsbaugesellschaft gwg beispielsweise erhielt für             die Menge der nachwachsenden Rohstoffe gekoppelt sein. Eine
ihren Mietwohnungsbau mit integriertem „Haus für Kinder“ pro              von Bebauungsplänen oder Modellprojekten unabhängige Förde-
Quadratmeter Wohnfläche einen Förderbetrag von 317 Euro.                  rung des Baustoffs Holz, die das Entstehen von Holzbauten auf
„Langjährige Unter­suchungen unserer Bauvorhaben ergaben, dass            breiter Ebene unterstützen würde, ist von Seiten der Landes-
Holzbauten im Vergleich zu Massivbauten um rund 20 Prozent                hauptstadt aktuell (noch) nicht vorgesehen.

Ökologische Mustersiedlung,
Baufeld wa 14 West
BauherrIn gwg München,
München/DE,
www.gwg-muenchen.de
Planung Rapp Architekten, Ulm/DE,
www.rapp-architekten.de
Fertigstellung 2019
Grundschule Baierbrunner Straße
BauherrIn Landeshauptstadt München, Referat für Bildung und Sport, München/DE, www.muenchen.de
Planung Köhler Architekten + beratende Ingenieure, München/DE, www.rak-architekten.de
Fertigstellung 2016

Forschen für die Praxis                                                                           Beispielhafte Beschlüsse und Bauten
Auch im Bereich der Forschung bauen Projekte aufeinander auf.                                     Eine wichtige Rolle beim ökologischen, CO2-armen Bauen in
Das 2017 am Lehrstuhl für Entwerfen und Holzbau an der tu                                        München und so auch beim Bauen mit Holz spielen die städti­
München unter der Leitung von Hermann Kaufmann abgeschlos-                                       schen Bauaktivitäten. In dem im Dezember 2019 gefassten
sene Forschungsprojekt „leanwood. Optimierte Planungsprozesse                                    ­Beschluss zur Klimaneutralität heißt es hierzu: „In Wahrnehmung
für Gebäude in vorgefertigter Holzbauweise“ verfolgte als Haupt-                                  ihrer ­Vorbildfunktion strebt die Landeshauptstadt München an,
ziel die Entwicklung neuer Organisations- und Prozessmodelle                                      den stadteigenen Gebäudebestand sowie den Gebäudebestand
für den vorgefertigten Holzbau. Wesentlicher Bestandteil dieser                                   der Eigen- und Regiebetriebe auf Grundlage eines für die Landes-
zusammen mit Universitäten, Holzbauunternehmen sowie Archi-                                       hauptstadt München definierten Niedrigstenergiestandards, […]
tektinnen und Architekten aus Deutschland, Frankreich, Finnland                                   der Berücksichtigung der Klimarelevanz der Baustoffe sowie des
und der Schweiz durchgeführten Forschung war der Aufbau eines                                     Einsatzes von erneuerbaren Energieträgern und der Fernwärme
Katalogs „bauphysikalisch und ökologisch geprüfter und/oder                                       möglichst klimaneutral zu gestalten und zu betreiben.“
zugelassener Holz- und Holzwerkstoffe, Baustoffe, Bauteile und                                    Eine Folge dieses Beschlusses ist etwa das erklärte Ziel des städ-
Bauteilfügungen für den Holzbau“, die von akkreditierten Prüfan-                                  tischen Baureferats, „neu zu errichtende Kinderbetreuungsein-
stalten freigegeben wurden. Dieser wurde mit der Internetplatt-                                   richtungen und Jugendfreizeitstätten künftig in Holzbauweise
form dataholz.eu geschaffen und findet inzwischen zunehmend                                       umzusetzen“. Bezogen auf das aktuelle „Kita-Bauprogramm“ heißt
Anwendung.                                                                                        das konkret: 17 von 27 Projekten sind derzeit in Holzbauweise
In gewisser Weise geht leanwood nun in die zweite Runde: Erst                                     ­geplant. Um die Klimarelevanz der Baustoffe anhand einzelner
vor kurzem initiierten die tu München und das Baureferat der                                       Maßnahmen des Kita-Bauprogramms bewerten zu können,
Landeshauptstadt München eine gemeinsame Begleitforschung                                          ­erstellte die Landeshauptstadt außerdem ein vereinfachtes Öko­
mit einer Auswahl konkreter städtischer Holzbauvorhaben. Das                                        bilanztool. „Dieses Tool soll nun gemäß den Empfehlungen eines
Forschungsprojekt, das unterschiedlichste holzbautechnische                                         Fachgutachtens auch an die differenzierteren Anforderungen für
Konzepte untersucht, soll wissenschaftlich begleitet und ausge-                                     große investive Baumaßnahmen angepasst und flächendeckend
wertet werden und so Wege zu einer holzbaugerechten Projekt­                                        bei allen konkreten Baumaßnahmen angewandt werden“, heißt
abwicklung aufzeigen.                                                                               es aus dem Baureferat. Und weiter: „Vor allem der Einsatz nach-
                                                                                                    wachsender Baustoffe bietet einen großen Hebel in Bezug auf
                                                                                                    die Optimierung der Klimarelevanz der Baustoffe.“

                                                                                                               rioriem
                                                                                                               BauherrIn Wogeno eG, München/DE, www.wogeno.de;
                                                                                                               wagnis eG, München/DE, www.wagnis.org
                                                                                                               Planung Architekten Zwingel, Dilg, Färbinger, Rossmy, München/DE;
                                                                                                               a +p Architekten, München/DE, www.ap-architekten.de
                                                                                                               Fertigstellung 2021
Stadt – Holz – Klima
        Städtische Schul- und Kita-Gebäude in Holzbauweise üben in                   Neue Handlungsspielräume für den Holzbau entstehen darüber

                                                                                                                                                                                       14
                                                                                                                                                                                       15
        ­vielerlei Hinsicht eine wichtige Vorbildwirkung aus. Zum einen              hinaus durch die novellierte Bayerische Bauordnung (BayBO
         prägen sie die Sehgewohnheiten von Kindern und Jugendlichen –               2021) und die neue Muster-Holzbaurichtlinie 2021, die einen

                                                                                                                                                                                            zuschnitt 82.2021
         ein nicht zu unterschätzender Wert, wenn es um die spätere                  ­vereinfachten Umgang mit dem Baustoff Holz insbesondere in
         ­Akzeptanz oder gar Einforderung von Holzbauten durch die                    der Gebäudeklasse 5 ermöglicht.
          ­Nutzerinnen und Nutzer geht. Zum anderen beeinflussen sie die
           Verantwortlichen auf Seiten der Planung, Bauherrschaft und Bau-            Holzbau auf breiter Ebene
           wirtschaft – beispielsweise durch das bereits 2014 beschlossene            Neben all diesen Neuerungen und Initiativen auf Stadt- und Län-
           „Aktionsprogramm Schul- und Kita-Bau 2020“. Dieses umfasst                derebene sorgen in München aber auch viele Wohnungsbaugesell-
           mit einem Investitionsvolumen von insgesamt gut 3,8 Mrd. Euro             schaften und Wirtschaftsunternehmen dafür, den Holzbau in der
           als deutschlandweit größtes kommunales Bildungsbaupro­-                   Stadt voranzutreiben. Vielzitiert in diesem Zusammenhang sind
           gramm 16 Gymnasien, 9 Realschulen, 5 Berufliche Schulzentren,             die beiden Wohnungsbauten östlich und westlich des Dantebads
           27 Grundschulen, 2 Fachoberschulen, 69 Kindertagesstätten,                von Florian Nagler Architekten. Beide Projekte sind nicht nur
           8 Sportanlagen und 69 Pavillonanlagen für kurzfristig dringend            hinsichtlich der vorgefertigten Holzbauweise beispielhaft, sondern
           benötigten Schulraum und Kinderbetreuungsplätze. Dieses Pro-              auch weil sie neue Bauräume auf bislang eher unansehnlichen
           gramm ist umso bemerkenswerter, als es auf rein städtischer               Pkw-Parkplätzen erschließen. Dank der aufgeständerten Holz-
           Ebene angelegt ist – also ohne die Vorteile, die die Verschmel-           bauten schaffen sie neuen Wohnraum, ohne die ebenerdigen Park­
           zung von Stadt und Bundesland in Stadtstaaten wie Berlin bietet.          möglichkeiten des Schwimmbads gänzlich zu verbannen, und sor-
           Eines der Projekte, mit dem gezielt der Holzbau gefördert werden          gen so für eine verträgliche Nachverdichtung.
           sollte, ist die Erweiterung der Grund- und Mittelschule Alfons-           Ein weiteres aktuelles Projekt soll den Holzbau in München nun
           straße. Die Evaluierung der Planung dieses Holzbau-Modellpro-             auch in die Höhe bringen. Für die Bayerische Versorgungskam-
           jekts durch das Baureferat ergab, „dass Schulbauprojekte mit ihren        mer plant das Büro David Chipperfield Architects ein 112.000 m2
           nutzungsspezifischen Anforderungen auch als Sonderbauten der              großes Hauptquartier – ein Gebäudeensemble aus drei bis zu
           Gebäudeklasse 5 in wesentlichen Teilen in Holzbauweise umge-              100 Meter hohen Baukörpern in Holz-Beton-Hybridbauweise.
           setzt werden können. In enger Abstimmung mit der Branddirek­              Bis zur geplanten Fertigstellung in vier Jahren werden vermutlich
           tion München und dem Referat für Stadtplanung und Bauord-                 noch viele weitere Neubauten dafür sorgen, Holz als selbstver-
           nung wurden die Ergebnisse in einer ‚Matrix mehrgeschossiger              ständliches Baumaterial zu etablieren. Genau das ist im Sinne
           Holzbau im Bildungswesen‘ dokumentiert.“ Diese Matrix soll Pla-           ­s owohl des Klimaneutralitätsbeschlusses der Landeshauptstadt
           nungsbeteiligte bei der Umsetzung von Neubauten in Holzbau-                München als auch einer Zukunft in einer lebenswerten Umwelt
           weise unterstützen und enthält grundlegende Planungshinweise               dringend nötig.
           für Schulbauten in Bezug auf Planungsrecht, Konstruktionswei-
           sen, Brandschutz, Bauphysik und Bauökologie.
                                                                                     Roland Pawlitschko
                                                                                     ist freier Architekt, Autor und Redakteur sowie Architekturkritiker. Er lebt und
                                                                                     arbeitet in München.

Wohnen am Dantebad                                                          Dante II Reinmarplatz
BauherrIn gewofag Wohnen GmbH, München/DE, www.gewofag.de                   Nach dem Pilotprojekt Wohnen am Dantebad errichtet die städtische Wohnungsbaugesellschaft Gewofag 144 weitere
Planung Florian Nagler Architekten, München/DE, www.nagler-architekten.de   Wohnungen am Rein­m arplatz. Mit der Planung wurde wieder das Team von Florian Nagler Architekten beauftragt,
Fertigstellung 2016                                                         geplante Fertigstellung ist 2021.
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