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Raumforschung und Raumordnung | Spatial Research and Planning, 2020; 78(4): 361–376 Beitrag / Article Open Access Olivia Kummel* Zwischen Mitgestalten und Alltagsdruck: Herausforderungen zivilgesellschaftlich Engagierter zur (Wieder)belebung einer Kleinstadt in Ostdeutschland Between co-creation and daily routine: challenges of volunteering people for (re) vitalizing their small town in Eastern Germany https://doi.org/10.2478/rara-2020-0016 Eingegangen: 29. Juni 2019; Angenommen: 17. April 2020 Kurzfassung: Zivilgesellschaftliches Engagement steht gerade in Städten, die von Bevölkerungsrückgang betrof- fen sind, vor großen Herausforderungen, da soziale Netzwerke ausgedünnt und kommunale Dienstleistungen im freiwilligen Pflichtaufgabenbereich reduziert worden sind. Gleichzeitig nimmt in solchen Städten das zivilgesell- schaftliche Engagement einen besonderen Stellenwert ein, um Engpässe bei der Daseinsvorsorge auszugleichen. Der Artikel untersucht die lebensweltlichen Umstände von zivilgesellschaftlich Engagierten und will damit einen Beitrag zum Verständnis für den unterschiedlichen Umfang des Engagements bestimmter Personengruppen in bestimmten Lebensphasen leisten. Anhand von Projektverläufen im zivilgesellschaftlichen Engagement, initiiert von jüngeren Personengruppen, werden Hemmnisse und Bedarfe aufgezeigt, die die Engagierten erfahren haben. Die Befunde zeigen, dass bürokratische und hierarchische Hürden, geringe Wertschätzung freiwilliger Arbeit und Inte- ressenkonflikte zwischen Fördergebern und Engagierten von Letzteren als wesentliche Hemmnisse wahrgenom- men werden. Dem gegenüber stehen Einzelfaktoren zivilgesellschaftlichen Engagements, die im Einklang mit den lebensweltlichen Umständen der Engagierten stehen, wie gemeinsames Arbeiten, ein offener, flexibler Rahmen für das individuelle Handeln wie auch dessen flexible Einteilung und Organisation. Dem Beitrag liegen empirische Daten zugrunde, die durch Einzelfallanalysen in der ostdeutschen Kleinstadt Weißwasser erhoben worden sind. Schlüsselwörter: Zivilgesellschaftliches, Engagement, Bottom-up-Prozess, demographischer Wandel, struktur- schwache Region, Weißwasser Abstract: Civic engagement faces major challenges, especially in cities affected by declining populations, as social networks have been thinned out and services in the sector of voluntary municipal compulsory tasks have been reduced. At the same time, civic engagement is particularly important in such cities in order to compensate for bot- tlenecks in services of general interest. This paper examines the life worlds of voluntarily engaged people and aims *Corresponding author: Dr. Olivia Kummel, ILS – Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung, Brüderweg 22-24, 44135 Dortmund, Deutschland, E-mail: olivia.kummel@ils-forschung.de Open Access. © 2020 Olivia Kummel, published by Sciendo. This work is licensed under the Creative Commons Attribution-NonCommercial-NoDerivatives 4.0 License.
362 Olivia Kummel to contribute to an understanding of the different levels of involvement of certain groups of people in certain phases of life. On the basis of project histories in civic engagement, initiated by younger groups of people, the obstacles and needs experienced by those involved are highlighted. The findings show that bureaucratic and hierarchical hurdles, low appreciation of voluntary work and conflicts of interest between funding bodies and those involved are percei- ved by the latter as major obstacles. On the other hand, there are individual factors of civic engagement that are in harmony with the conditions of the life worlds of those voluntarily active, such as working together, an open, flexible framework for individual action and its flexible division and organisation. The paper is based on empirical data coll- ected in individual case analyses in the small town Weißwasser in Eastern Germany. Keywords: Civic engagement, Bottom-up process, Demographic change, Structurally weak region, Weißwasser 1 Einleitung vermutet wird. Die aufgrund des Bevölkerungsrückgan- ges stark ausgedünnten sozialen Netzwerke können Zivilgesellschaftliches Engagement ist der Kitt, der eine oft die eigenverantwortliche Organisation von zivilge- Gesellschaft zusammenhält und das Gemeinwohl stärkt sellschaftlichem Engagement kaum mehr übernehmen (Zimmer 2010: 180; BMFSFJ 2017: 3; Alscher/Priller/ (vgl. Olk/Gensicke 2014: 207; Nadler 2017: 505). So Burkhardt 2018: 373). Zudem gilt zivilgesellschaftliches ist es nötig, ein breiteres Verständnis für die Unter- Engagement in seiner dem Gemeinwohl dienenden schiede im Engagement bestimmter Personengruppen Absicht als einer der Grundpfeiler einer demokratisch bzw. deren Lebensphasen zu entwickeln (Nadler 2017: orientierten Gesellschaft (Zimmer 2010: 180; Antonov 507; Kummel/Nadler 2018: 59). Genau hier setzt dieser 2016: 5; Simonson/Ziegelmann/Vogel et al. 2016: 15). Beitrag an: Es werden anhand von Projektverläufen im Eine besondere Bedeutung kommt dem zivilgesell- zivilgesellschaftlichen Engagement, initiiert von jüngeren schaftlichen Engagement bei der Schaffung gleichwerti- Personengruppen, Hemmnisse und Bedarfe aufgezeigt, ger Lebensverhältnisse zu, in der wachsenden Stadt wie die die Engagierten während ihrer Projektarbeit erfahren in ländlichen Räumen (BBSR 2017: 7). Diese wurden haben. Im Beitrag wird der Frage nachgegangen, wie zu Beginn der 2000er-Jahre stark in Frage gestellt und zivilgesellschaftliches Engagement in einer vom demo- einer veralteten Förderpolitik zugeschrieben. Daraufhin graphischen Wandel stark betroffenen Stadt ermög- wurde die finanzielle Unterstützung für periphere, struk- licht und Eigeninteressen stärker eingebracht werden turschwache Regionen zurückgefahren und zeigen sich können. in der Verschlechterung der Standards (Barlösius/Neu Dazu werden im folgenden Kapitel zunächst die 2008: 21; Aring 2013: 44). Periphere ländliche Gemein- Rahmenbedingungen für zivilgesellschaftliches Enga- den sollten mehr selbstverantwortliche Handlungsspiel- gement in Deutschland dargestellt und exemplarisch räume bekommen, um so den Rückzug der staatlichen der Kontext für stark vom demographischen Wandel Gewährleistungsfunktionen und die Finanzknappheit betroffene ländliche Regionen Ostdeutschlands und der öffentlichen Hand zu kompensieren (vgl. Reim/ dessen mögliche Engagementpotenziale erläutert. Das Schmithals 2008: 75). Vor allem in strukturschwachen, dritte Kapitel befasst sich mit den empirischen Befunden vom demographischen Wandel betroffenen Gemeinden einer Einzelfallstudie, die im Rahmen einer dreijährigen werden auch zukünftig freiwillig Engagierte in die Erbrin- Begleitung von Engagierten in der stark geschrumpften gung von Daseinsvorsorgeleistungen eingebunden, die Kleinstadt Weißwasser in der Oberlausitz (Sachsen) vorher teilweise staatlich organisiert waren (BBSR 2017: erhoben worden sind. Diese werden im vierten Kapitel 7). Kleinstädte übernehmen hier wichtige Ankerfunktio- diskutiert. Im Fazit werden Möglichkeiten aufgezeigt, nen, um die Versorgung der dünn besiedelten Räume zivilgesellschaftliches Engagement mit der Lebenswelt aufrechtzuerhalten. der Engagierten in Einklang zu bringen und zu fördern. Dass diese Überlegung zu kurz gegriffen ist, erscheint offensichtlich. So fehlen in vom demographi- schen Wandel stark betroffenen Regionen vor allem jüngere Bevölkerungsgruppen, in denen ein wesentli- ches Potenzial an zivilgesellschaftlichem Engagement
Zwischen Mitgestalten und Alltagsdruck: Herausforderungen zivilgesellschaftlich 363 Engagierter zur (Wieder)belebung einer Kleinstadt in Ostdeutschland 2 Zivilgesellschaftliches desregierung die gestiegene Zahl an freiwillig Engagier- ten. Laut letztem Freiwilligensurvey in 2014 ist der Anteil Engagement und Engagierter im Vergleich zur Erhebung in 2009 um 7,7 % demographischer Wandel auf 43,6 % deutschlandweit gestiegen. Seit Beginn der Erhebungen im Jahr 1999 ist diese Zahl besonders in den Da es für zivilgesellschaftliches Engagement unter- letzten fünf Jahren stark angestiegen. Dies kann zum schiedliche Begriffsverständnisse gibt, beziehe ich mich einen am gestiegenen Bildungsniveau, zum anderen an in diesem Beitrag im Wesentlichen auf fünf Dimensio- der vermehrten Bewusstseinsbildung durch Politik und nen, die mit diesem Begriff abgedeckt werden. Öffentlichkeit liegen (Simonson/Ziegelmann/Vogel et al. – Unter zivilgesellschaftlichem Engagement versteht 2016: 15-16). man eine freiwillige, unbezahlte, gemeinwohlorien- Ein weiterer Grund für den gestiegenen Anteil an tierte Arbeit (Deutscher Bundestag 2002: 24; BAGFA Engagierten ist ferner die Diversifizierung von Engage- 2014: 2; Antonov 2016: 9; Priller 2016: 162; Alscher/ mentformaten (Krimmer 2015: 5), wie Freiwilligenagen- Priller/Burkhardt 2018: 373). turen, Mehrgenerationenhäuser, Bürgerstiftungen oder – Zivilgesellschaftliches Engagement findet im öffent- auch zeitlich begrenzte, themenbezogene Initiativen lichen Raum statt, also in zivilgesellschaftlichen (Gundert 2010: 110), die ein zusätzliches Angebot zum Organisationen oder im weniger organisationsge- traditionellen Ehrenamt anbieten. Viele staatliche Pro- bundenen Rahmen (Antonov 2016: 8; Priller 2016: gramme unterstützen zivilgesellschaftliche Initiativen, 162; Alscher/Priller/Burkhardt 2018: 373). die sich für das Gemeinwohl einsetzen. Häufig wird – Als zivilgesellschaftliches Engagement wird eine dabei Engagement mit der Auflage unterstützt, Part- Tätigkeit verstanden, die nicht auf berufliche Qualifi- nerschaften mit Bürgerinnen und Bürgern, Kommunen kationen abzielt (Antonov 2016: 8; Nadler 2017: 501). und Staat einzugehen (Gundert 2010: 110; Klie/Marzluff – Mit zivilgesellschaftlichem Engagement wird keine 2012: 749; o.V. 2018: 27). Bei der Zusammenarbeit zwi- direkte politische Macht ausgeübt (Nadler 2017: schen Bürgerinnen/Bürgern und Kommunen gibt Nadler 500). (2017: 507) jedoch zu bedenken, dass sich Verwaltung – Zivilgesellschaftliches Engagement, in das eigene und Politik häufig als die einzig legitimen Institutionen Ideen eingebracht werden können, wird autonom und sehen, gemeinwohlorientierte Interessen zu definieren selbst geführt (BAGFA 2014: 2; Antonov 2016: 8). und durchzusetzen. Ein Mitgestalten der Stadtgesell- schaft ist dann schwierig, wenn Daseinsvorsorgeleistun- Anhand dieser fünf Dimensionen soll im Folgenden gen von Engagierten erbracht werden sollen. Die Gefahr näher erläutert werden, ob in den vom demographi- besteht darin, dass die Aufgaben, die von Bürgerinnen schen Wandel betroffenen Städten zivilgesellschaftli- und Bürgern übernommen werden sollen, nicht ihren ches Engagement möglicherweise anders verhandelt Eigeninteressen entsprechen und sie sich dann weniger wird, da die Rahmenbedingungen aufgrund von Mangel einbringen wollen (Nadler 2017: 507). Generell wird von an verschiedensten Ressourcen anders gelagert sind. vielen Engagierten mehr Eigenverantwortung und ein Zunächst wird der Stand des zivilgesellschaftlichen Abbau bürokratischer Hürden gefordert (Kummel/Nadler Engagements in Deutschland im Allgemeinen erläu- 2018: 59). Auch der Freiwilligensurvey 2014 belegt mit tert, um anschließend die Rahmenbedingungen in den Zahlen, dass sich über die Hälfte der Engagierten für vom demographischen Wandel betroffenen ländlichen mehr Information und Beratung zum Engagement wie Räumen in Ostdeutschland zu betrachten. auch für eine Unterstützung bei der Ausstattung mit einfachen Ressourcen wie Räumlichkeiten und Ausstat- tungsmitteln aussprechen (Simonson/Ziegelmann/Vogel 2.1 Zivilgesellschaftliches Engagement et al. 2016: 21). Krimmer (2015: 5) fordert deshalb einen in Deutschland ermöglichenden Staat, der die Selbstorganisation und den Eigensinn im Engagement fördert. Die Bundesregierung sieht in der Engagementpolitik eine Zivilgesellschaftliches Engagement ist nicht in allen Schwerpunktaufgabe und hat 2016 die Engagementstra- Regionen Deutschlands gleich verteilt. Gerade in den tegie auf den Weg gebracht, um zivilgesellschaftliches vom demographischen Wandel betroffenen Regionen Engagement stärker zu fördern und günstigere Rah- nimmt der Anteil engagierter Menschen ab, da durch menbedingungen zur Entfaltung des Engagements zu die hohen Bevölkerungsverluste oft die kritische Masse schaffen (BMFSFJ 2017: 6). Damit unterstützt die Bun- an Engagementpotenzial zur Selbstorganisation fehlt
364 Olivia Kummel (Nadler 2017: 505). Gleichzeitig wird in diesen Regionen Sittler, Amrhein und Krimmer (2015: 49) schlagen ein erhöhter Bedarf an zivilgesellschaftlichem Enga- deshalb Engagement-Förderregionen vor, die sowohl gement festgestellt, dem vor allem durch Anreize und kommunale, gesellschaftliche, demographische und Unterstützung selbstorganisierter Hilfeleistungen begeg- wirtschaftliche Rahmenbedingungen einbeziehen wie net werden kann (ARL 2016: 33). auch informelles Engagement mit einbetten, um lokale organisationsübergreifende Engagementstrategien zu entwickeln, die dann autonom und ohne staatlich steu- 2.2 Demographischer Wandel in ernde Einflüsse umgesetzt werden. Ostdeutschland Zivilgesellschaftliches Engagement kommt somit der Aufgabe nach, auch in strukturschwachen Regio- Der demographische Wandel in Ostdeutschland ist, nen zur Lebensqualität beizutragen. Die Bewertung von vor allem in ländlichen Räumen und deren Kleinstäd- Lebensqualität hängt vor allem vom gesellschaftlichen ten, durch massive Bevölkerungsverluste gekennzeich- Zusammenhalt ab (Küpper/Steinführer 2017: 52). Klie net. Bei der jüngeren Bevölkerung zwischen 19 und 30 und Marzluff (2012: 748) wie auch Kummel und Nadler Jahren sind die Wanderungsverluste am höchsten. (2018: 59) merken dazu jedoch kritisch an, dass zivil- Festzustellen ist ein West-Ost-Gefälle im Anteil gesellschaftliches Engagement kein Allheilmittel ist, der Engagierten. Während sich im Jahr 2014 in West- dem demographischen Wandel und seinen Folgen zu deutschland 44,8 % der Bevölkerung engagierten, begegnen. Vielmehr sei es nötig, Grenzen zu erkennen waren es in Ostdeutschland 38,5 % (Kausmann/Simon- und die Rolle der Mitgestalterinnen und Mitgestalter son 2016: 564). Diese Unterschiede begründen Nadler neu zu definieren. Steinführer, Küpper und Tautz (2012: (2017: 501) wie auch Olk und Gensicke (2014: 19) zum 5) berichten, dass vor allem in der kulturellen, gemein- einen damit, dass während der DDR-Zeit die Zivilgesell- schaftsstiftenden Daseinsvorsorge zivilgesellschaftli- schaft oft für politische Zwecke instrumentalisiert wurde, ches Engagement eine wichtige Rolle einnimmt. Aller- zum anderen durch eine hohe Arbeitslosigkeit, gefolgt dings sind Engagierte gerade in stark geschrumpften von massiven Abwanderungsprozessen nach der Wie- Kleinstädten auf unterstützende Strukturen, wie Verläss- dervereinigung, die vor allem ländliche Regionen stark lichkeit in der Planung und Ressourcen, angewiesen, ausdünnten und Familienstrukturen aufbrachen. Olk und um eine Kontinuität im Engagement zu fördern (Stein- Gensicke (2014: 203) weisen in diesem Zusammenhang führer/Küpper/Tautz 2012: 5). Im Raumordnungsbericht darauf hin, dass Engagement in strukturschwachen 2017 (BBSR 2017: 54) wie auch von Gundert (2010: 115) Regionen Ostdeutschlands eine andere Sinnzuschrei- wird ebenfalls empfohlen, eine „Unterstützungskultur“ zu bung erfährt. Gerade von den Verbliebenen wird Enga- pflegen, administrative Hürden für Engagement niedrig gement als soziale Integration oder als Verbesserung zu gestalten und bestimmte Bevölkerungsgruppen in der Qualifikation und Beschäftigung bei Arbeitslosigkeit ihren Lebenszusammenhängen zu aktivieren. betrachtet wie auch als Wertschätzung, Anerkennung Besondere Bedeutung kommt den Kleinstädten als und Familienersatz von älteren Menschen genutzt (Olk/ Ankerfunktion in den ländlichen Regionen zu, die von Gensicke 2014: 178). Infolgedessen unterscheiden sich Bevölkerungsverlusten und starker Überalterung betrof- auch die Engagementstrukturen dahingehend, dass in fen sind. In ländlichen Kleinstädten kann die Grund- Westdeutschland eher formale Vereinsstrukturen bevor- versorgung an Daseinsvorsorgeleistungen meist noch zugt werden, während in Ostdeutschland das informelle erfüllt werden. Dennoch hemmen auch hier nicht mehr oder private Engagement, wie gegenseitige Hilfeleistun- vorhandene öffentliche Infrastrukturen freiwilliges Enga- gen im Familien-, Freundes- und Nachbarschaftskreis, gement, weil Ansprechpartnerinnen/-partner und Res- verbreitet ist (Reim/Schmithals 2008: 78; Olk/Gensicke sourcen fehlen. 2014: 12; Kausmann/Simonson 2016: 569-570). Letzte- res wird von den informell Engagierten oft selbst nicht als solches wahrgenommen und taucht demnach in den 2.3 Engagementpotenziale in Statistiken kaum auf (Kummel/Nadler 2018: 56). Kleinstädten Ostdeutschlands Eine weitere Erklärung für unterschiedliche Enga- gementquoten wird in der ungleichen Verteilung von Politische Umbrüche, wie sie in Ostdeutschland erlebt Engagement ermöglichenden Einrichtungen gesehen. wurden, erfordern bestimmte Strategien, um sich neu Bischoff und Rahn (2015: 12) sprechen hier von einem zu orientieren oder zu überleben. Willisch (2011: 83) West- Ost- wie auch von einem Süd-Nord-Gefälle. beschreibt in diesem Zusammenhang eine Reduktion
Zwischen Mitgestalten und Alltagsdruck: Herausforderungen zivilgesellschaftlich 365 Engagierter zur (Wieder)belebung einer Kleinstadt in Ostdeutschland auf das Wesentliche als Überlebens- oder Schrump- und aktivieren sie gezielt (Vogel/Hagen/Simonson et al. fungsarrangements: Vom Kosten Verursachenden wird 2016: 94). Nicht zuletzt ist freiwilliges Engagement für sich verabschiedet, alles Nützliche wird zusammen- Schülerinnen und Schüler attraktiv, wenn sie dadurch gehalten. Visuell kommen diese Schrumpfungsarran- Vorteile für ihre spätere Berufswahl erzielen (BMFSFJ gements durch brachgefallene, ehemals bedeutsame, 2012: 14). Auch die Enquete-Kommission „Zukunft der identitätsstiftende soziale Infrastrukturen wie Gemein- ländlichen Regionen vor dem Hintergrund des demo- schaftshäuser und Schulen drastisch zum Ausdruck grafischen Wandels“ sowie Mai und Swiaczny (2008: 15) (Steinführer/Moser 2016: 265). Als „Leitfiguren“ und teilen die Meinung, dass die Aktivierung Jugendlicher zur „Kümmerer“ werden solche Personen betitelt, die durch nachhaltigen Entwicklung ländlicher Räume unerlässlich ihr Engagement alternative Lösungen für diese brach- ist, allerdings brauche es alternative Formate und feste gefallenen Gemeinschaftseinrichtungen aufzeigen und Ansprechpartnerinnen/-partner, um ein kontinuierliches weitere Personen für ihre Ideen begeistern können. Die Engagement zu ermöglichen (Landtag Brandenburg Neuaneignung in Eigenverantwortung hat auch symbo- 2018: 85-86). lischen Charakter: Staatliche Funktionen werden nicht Als weiteres Engagementpotenzial in Kleinstädten ersetzt, sondern neuen Gegebenheiten angepasst und Ostdeutschlands lassen sich Personen mit einer Zuwan- positiv in Wert gesetzt (Steinführer/Moser 2016: 273). derungsgeschichte beschreiben. Diese weisen zwar auf- Stellt sich die Frage, wer diese Entfaltungsräume grund sozialstruktureller Faktoren ein niedrigeres lang- in ostdeutschen Kleinstädten in ländlichen, struktur- fristiges Engagement auf (BMFSFJ 2012: 13), verfügen schwachen Räumen nutzt, um eigene Ideen von zivil- jedoch über Erfahrungen von anderswo, die sie an ihrem gesellschaftlichem Engagement umzusetzen. Schaut neuen Wohnort einbringen können. man sich die empirischen Befunde des Freiwilligensur- Vor allem gilt es, diese drei Bevölkerungsgruppen veys 2014 an, so ist zu erkennen, dass sich bestimmte mit ihren bislang in zu geringem Umfang eingebrachten Bevölkerungsgruppen unterschiedlich stark engagieren. Engagementpotenzialen zukünftig in stärkerem Maße Frauen sind geringfügig weniger engagiert (41,5 %) als einzubinden. Von der Fachwelt werden dazu Bottom- Männer (45,7 %). Unter den Bevölkerungsgruppen im up-Partnerschaften vorgeschlagen, um bestimmte zivil- Alter zwischen 14 und 29 Jahren (46,9 %) und zwischen gesellschaftliche Gruppen zu aktivieren, Sozialkapital 30 und 49 (47,0 %) ist das Engagement weitaus stärker zu entwickeln und regionale Kooperationen zu fördern etabliert als bei den über 65-Jährigen (34,6 %) (Vogel/ (Beetz/Huning/Plieninger 2008: 296; Küpper/Kundolf/ Hagen/Simonson et al. 2016: 93). Mettenberger et al. 2018: 231). Aus diesen Bottom-up- Bereits aus dem ersten Engagementbericht von 2012 Prozessen können Strategien entwickelt werden, die geht hervor, dass vor allem Frauen in bestimmten Berei- in Kleinstädten einen kollektiven und kollaborativen chen wie im Sport oder in Leitungspositionen unterreprä- Umgang mit den Folgen der Schrumpfung anregen. sentiert sind. Zudem ist ihr Engagement in den Lebens- phasen unterschiedlich ausgeprägt. Während junge Frauen im Alter zwischen 25 und 30 Jahren im öffentli- 3 Zivilgesellschaftlich chen Engagement weniger aktiv sind als Männer, unter- scheidet sich die Engagementquote im Alter zwischen Engagierte in einer 45 und 55 Jahren kaum zwischen den Geschlechtern schrumpfenden Kleinstadt (BMFSFJ 2012: 13). Einen weiteren Grund für das gerin- gere Engagement bilden die geringen Verwirklichungs- Ostdeutschlands räume qualifizierter junger Frauen in ländlich-peripheren Regionen Ostdeutschlands. Mit ihren kreativen Potenzi- 3.1 Das Fallbeispiel Weißwasser alen geben jedoch gerade sie Impulse für neue Formen zivilgesellschaftlichen Engagements (Gabler/Kollmor- Im Rahmen der Begleitforschung für das Projekt „Klein- gen/Kottwitz 2016: 5). Das Engagement der Jugend- stadt macht Leute, Leute machen Kleinstadt: Innovative lichen im Alter zwischen 14 und 29 Jahren hat in den Anreizsysteme für aktive Mitgestaltung im demografi- letzten fünf Jahren stark zugenommen, vor allem bei schen Wandel am Beispiel Weißwasser/Oberlausitz“ Schülerinnen und Schülern, was damit begründet wird, („Kleinstadt_gestalten“), gefördert durch das Programm dass vermehrt ein höherer Bildungsabschluss ange- „Kommunen innovativ“ vom Bundesministerium für strebt wird. Zivilgesellschaftliche Organisationen haben Bildung und Forschung (BMBF), wurden acht Bürgerpro- das Engagementpotenzial der Jugendlichen erkannt jekte von Engagierten ins Leben gerufen, die hauptsäch-
366 Olivia Kummel lich Bedarfe in der kulturellen Daseinsvorsorge abdeck- „Der Niedergang Weißwassers hat bei der Bevölkerung ten. Das Projekt war in Weißwasser als Referenzstadt zu einer Dominanz von Verlustmotiven in der Wahr- angesiedelt und hatte eine Laufzeit von 2016 bis 2019. nehmung der Stadtentwicklung geführt. Die Suche Das Ziel des Projektes bestand darin, die spezifischen nach Zukunftsoptionen wird dadurch blockiert.“ Für die Bedürfnisse der Bevölkerungsgruppen Jugendliche, Bewohnerinnen und Bewohner, die in Weißwasser-Süd junge Frauen und Rückkehrer/Zugezogene zu erfor- lebten und aufgewachsen sind, ist mit dem kompletten schen, die Anreiz- und Anerkennungskultur für deren Abriss großer Teile des Stadtgebietes ein Stück Heimat Engagement auszubauen und für sie mehr Möglich- verloren gegangen. Somit brachte der Stadtumbau zwar keitsräume zu schaffen. Mit dem Projekt war als Ziel die eine ökonomische Sanierung, gab aber den ehemaligen Erprobung von Anreiz- und Aktivierungsmechanismen Bewohnerinnen und Bewohnern kaum gestalterischen für die drei oben genannten Zielgruppen verbunden, Spielraum, den Stadtumbauprozess aktiv mitzugestalten um anschließend die Bürgerprojekte in die Verstetigung (Bernt/Kabisch/Peter 2005: 51; Beetz/Huning/Plieninger zu führen und ein kontinuierliches Engagement sicher- 2008: 296; Bernt 2009: 763-765). Durch die finanziellen zustellen. Im Rahmen des Projekts „Kleinstadt_gestal- Engpässe der Stadtverwaltung wurden bei den freiwil- ten“ wurden die Bürgerprojekte durch zwei Mitarbeiter in ligen Aufgaben im Kulturbereich Einsparungen vorge- einem Vor-Ort-Büro und durch einen Kleinprojektefonds nommen. Zudem zog sich 2016 der Energieversorger unterstützt, der von der Stadtverwaltung Weißwasser Vattenfall AG aus der Region zurück. Viele Kommunen verwaltet wurde. in der Region hatten dadurch Millioneneinbußen zu ver- Weißwasser ist eine ehemalige Industriestadt, zeichnen. So musste Weißwasser für die vergangenen groß geworden durch die Glas- und Montanindustrie. Jahre fast zehn Millionen Euro Gewerbesteuer zurück- Auch heute noch bestimmen diese beiden Industrie- zahlen, da der Konzern Verluste zu verzeichnen hatte zweige einen Teil der kleinstädtischen Wirtschaft, jedoch (Moeritz 2016: o.S.). Seit Kurzem schwächt sich jedoch längst nicht mehr in dem Umfang wie zu DDR-Zeiten. die negative Bevölkerungsentwicklung ab (Weißwasser Die Kleinstadt im äußeren Nordosten Sachsens ist 2020).1 Ein Rückkehrer fasst seine Wahrnehmung zu umgeben von einem dünn besiedelten, strukturschwa- Weißwassers Wandel in den 15 Jahren seiner Abwesen- chen Raum und liegt an der Grenze zu Brandenburg und heit folgendermaßen zusammen: Polen. Weißwasser wird vor allem durch eine touristisch „Also von dem, was ich so mitbekommen habe, sind die Leute genutzte Landschaft im Norden eingerahmt: dem grenz- ein bisschen optimistischer geworden. Also vor sieben, acht überschreitenden UNESCO Global Geopark „Muskauer Jahren ist man hier durch die Stadt gegangen, da wollte man Faltenbogen“ und dem Fürst-Pückler-Park Bad Muskau wirklich nur noch weg. Weil alle grimmig geguckt haben. Das samt Schloss. Im Süden grenzt der noch aktive Braun- hast du denen angesehen, die hatten irgendwie keine Freude, kohlentagebau „Nochten“ an die Stadtgrenze. Nach der […] Ich meine, es ist klar, hier haben sie die halbe Stadt weg- Wiedervereinigung hatte die Stadt massive Abwande- gerissen. [...] Das waren massive Veränderungen, mit denen die hier klarkommen mussten. Und eigentlich konstant seit der rungen zu verzeichnen, vor allem von jüngeren Men- Wende haben hier ja die Veränderungen angehalten. Und jetzt schen. Über die Hälfte der Bevölkerung verließ seit 1990 ist es, glaube ich, in einem Stadium, wo ein bisschen Ruhe die Stadt, sie schrumpfte von rund 38.000 Einwohnern reinkommt. Wo die großen, massiven Veränderungen durch 1989 auf rund 16.000 Einwohner im Jahr 2018 (Kummel/ sind erst einmal. Also die richtig großen. Und wo die Leute Nadler 2018: 54). auch wieder ein bisschen, ja, einen Lichtblick haben. […] Es entwickeln sich wieder Ideen und die haben vielleicht auch Vor allem das Städtebauförderprogramm „Stadt- mehr Perspektiven oder, auf lange Sicht gesehen, einfach umbau Ost“ veränderte den Stadtgrundriss. Das Neu- wieder einen optimistischeren Blick in die Zukunft. Also das baugebiet „Weißwasser Süd“, in dem zu DDR-Zeiten hat sich wirklich doll geändert“ (Rückkehrer 06, 05.02.2018).2 67 % der Einwohnerinnen/Einwohner lebten, wurde fast komplett rückgebaut und wieder aufgeforstet (Stölzel 2019: 22). Vor allem den kommunalen Wohnungsunter- nehmen sollte durch die „Entlastung sogenannter DDR- Altschulden ein starker Beteiligungsanreiz“ geboten werden (Steinführer/Moser 2016: 271), was eher einer 1 Vgl. https://www.weisswasser.de/zahlen_fakten (18.03.2020). 2 Die Interviews der Zugezogenen und Rückkehrer wurden „Entrepreneuralisierung“ im Sinne der Anpassung statt transkribiert und anonymisiert. Die Transkripte wurden den Wachstum gleichkam (Bernt 2009: 755). Bernt, Kabisch jeweiligen drei Zielgruppen des Projektes zugeordnet, wie „junge und Peter (2005: 54) beschrieben die Wahrnehmung Frauen“, „Jugendliche“ und „Rückkehrer“, und mit einer Nummer des massiven Schrumpfungsprozesses noch wie folgt: versehen.
Zwischen Mitgestalten und Alltagsdruck: Herausforderungen zivilgesellschaftlich 367 Engagierter zur (Wieder)belebung einer Kleinstadt in Ostdeutschland 3.2 Methodisches Vorgehen Jobgenerator, Engagement und Eigeninteressen, Enga- gement und Gemeinwohl. Die acht Bürgerprojekte und die Neuauflage eines zuvor bereits angedachten Bürgerprojektes wurden als Einzelfallanalyse in einer ethnographischen Studie 3.3 „Die Zeit ist das Problem“ – (vgl. Flick 2012) mit teilnehmender Beobachtung (vgl. Anreizoptionen für die Engagierten Patton 2002) wie auch mit Einzel- und Gruppeninter- views wissenschaftlich begleitet. Es wurde die ethno- Der empirische Teil des Beitrages widmet sich der graphische Methodik gewählt, da mit ihr Einblicke in die Darstellung der Alltagswelt der Engagierten und der Alltagswelt der Engagierten gegeben werden können, Umsetzung ihrer Bürgerprojekte. Anhand der Katego- um deren spezifischen Bedürfnisse herauszustellen rien Lebenshorizonte, Aktivierung zum Engagement, und deren Möglichkeitsräume auszuloten, um heraus- Bedarfsorientierung, Projektverlauf, Unterstützung zufinden, unter welchen Bedingungen ein langfristiges und Projektverstetigung, die aus dem Datenmaterial Engagement möglich erscheint. In einem Feldtagebuch selektiert wurden, werden die in Kapitel 3.2 genannten wurden die Beobachtungen und Projektgespräche mit vier Anreizoptionen, sich zu engagieren, eingehender den Engagierten, Projektmitarbeiterinnen/-arbeitern und beleuchtet. Bürgerinnen/Bürgern Weißwassers festgehalten. Zu Beginn und zum Abschluss wurden mit den Engagierten je sieben teilstandardisierte Leitfadeninterviews (n=14) 3.3.1 Engagement als professionelle und während der Projektdurchführung drei zweistündige Weiterqualifizierung Gruppeninterviews mit den Initiatoren der Bürgerpro- jekte durchgeführt. Während der Projektlaufzeit gaben Viele Engagierte nutzen ihre berufliche Qualifikation und drei Engagierte ihre Bürgerprojekte auf oder gaben sie setzen ihr Wissen auch im freiwilligen Engagement ein. weiter an ihre Nachfolger. Die Gründe für ihr Ausschei- Es gibt aber auch Engagierte, die, noch neu in ihrem den wurden ebenfalls in Leitfadeninterviews erfasst. Job, das freiwillige Engagement als professionelle Wei- Die Leitfadeninterviews, die als Einzelinterviews geführt terqualifizierung sehen, um ihre beruflichen Chancen zu wurden, umfassten eine Dauer von 24 bis 68 Minuten. erweitern. Vor allem zwei junge männliche Rückkehrer, Sämtliche Interviews wurden mit dem Einverständnis die jeweils ein Studium erfolgreich abgeschlossen und der Engagierten aufgezeichnet und anschließend tran- noch keine eigene Familie gegründet hatten, hatten skribiert. Ausgewertet wurden die Feldtagebuchnotizen jeweils ihr eigenes Bürgerprojekt an den Start gebracht, und Transkripte der Einzel- und Gruppeninterviews mit- allerdings mit unterschiedlichen Bedarfsorientierun- hilfe der qualitativen strukturierten Inhaltsanalyse (vgl. gen. Bens3 Bürgerprojekt war stark auf den kulturellen Mayring 1994), um sie verstehend zu interpretieren und Bereich ausgerichtet, da er auch halbtags im Kulturbe- so ein realistisches Bild der Engagierten zu zeichnen. reich angestellt war und so Beruf und Engagement ver- Anschließend wurden die Ergebnisse zielgruppenspe- binden konnte: zifisch zusammengefasst und verglichen. Folgende Es ist sozusagen ‘n Teil meiner Arbeit, die ich dort mache, den Fragen waren dabei erkenntnisleitend: Welche hindern- Kulturraum oder das Konzept für den Kulturraum zu überar- den und fördernden Aspekte beeinflussten den Projekt- beiten. […] Also, da kann man die Ansatzpunkte wunderschön verlauf? Welche Strategien verfolgten die Engagierten verknüpfen. […] Also ich versuche, das dann einfach pragma- zur Umsetzung ihrer Projekte? Wie integrierten sie ihr tisch zu sehen. Wenn ich dann einmal mit jemandem am Tisch Engagement in ihre Alltagswelt? sitze, den ich halt genau dann habe, warum soll ich den nicht Aufgrund der räumlichen Selektivität lässt die noch auf was anderes ansprechen? […] Und es bringt mir ja auch für die Arbeit dann wieder ‘n Mehrwert, weil dieses Netz- Analyse keine Verallgemeinerungen zu, sondern zeigt werk aufbauen steht ja auch bei uns mit drin in der Konzeption Aktivierungs- und Handlungsmuster während des und deswegen ist das ja ‘ne Sache, die so ‘n bisschen ineinan- Umsetzungsprozesses der Bürgerprojekte auf. Diese dergreift und deswegen denke ich mal, hat man auch ‘n ganz sind spezifisch für den Fall Weißwasser und nur unter guten Ansatzpunkt (Ben, 30.01.2017). ähnlichen Ausgangsbedingungen auf andere Städte und städtische Gesellschaften übertragbar. Im Wesentlichen können durch Systematisierung des Datenmaterials vier Anreizoptionen identifiziert werden: Engagement 3 Die Namen der Engagierten wurden durch fiktive Namen als professionelle Weiterqualifizierung, Engagement als ausgetauscht, um deren Persönlichkeit zu schützen.
368 Olivia Kummel Tims Bürgerprojekt widmete sich der Diversifizie- ten in der Stadtverwaltung selbst das Bürgerprojekt nach rung der sozialen Infrastruktur im Bereich der Kinder- etwas über einem Jahr Laufzeit aufgeben. Der bürokrati- betreuung. Er verband ebenfalls sein Engagement sche Aufwand hatte zu viel Zeit in Anspruch genommen, sehr effizient mit seinem Beruf als Projektmitarbeiter im was für einen Einzelkämpfer nicht mehr leistbar war. Tim soziokulturellen Bereich und als professionelle Weiter- schätzt, dass 50-60 % seiner Zeit als Engagierter nur für qualifizierung. Allerdings waren seine Anreizoptionen buchhalterische und organisatorische Tätigkeiten aufge- nicht primär beruflicher Natur, sondern auch stark getrie- bracht wurden. Das hat ihn extrem demotiviert. ben vom Gemeinwohl und dem Ziel, eine Entlastung für Auch Ben gab sein Bürgerprojekt nach eineinhalb Alleinerziehende zu schaffen und somit zur Verbesse- Jahren auf, nachdem bestimmte Projektverläufe nicht rung ihrer Lebensbedingungen beizutragen. zufriedenstellend gelaufen waren und seine ursprüngliche Idee, die Verbindung zwischen Kultur und Sport, gar nicht „Also, es motiviert mich auch, weil‘s ja schon mit meiner Arbeit zum Tragen gekommen war. Letzten Endes waren es zu tun hat, ne? Also, es motiviert mich, weiterhin das zu tun, persönliche und berufliche Gründe, die zum Abbruch des was ich jetzt eigentlich schon tue, also, dass ich für mich und meine Zukunft auch sage, das macht mir Spaß, ne, find‘s toll, Projektes führten, denn Ben verließ anschließend Weiß- wenn man Menschen hilft, denen ‘s eben nicht so gut geht, wasser. Zu Bens Bürgerprojekt gab es eine Neuauflage: oder die halt, die‘s schwierig haben im Leben, und das würde Ein Jugendlicher, der sich zu der Zeit gerade im Praktikum mich einfach weiter motivieren, dass ich genau da weiter so bei einem soziokulturellen Verein und kurz vor Aufnahme an der Stange bleibe, und ist halt ‘ne persönliche Motiva- seines Studiums befand, legte ein Kunstprojekt auf, das tion für mich und meine Arbeit und was ich tue, genau“ (Tim, 18.01.2017). nun jährlich einmal mit wechselnden Protagonisten statt- finden soll und dann vom Verein selbst getragen wird. Beide wurden in ihrem Engagement unterstützt von ihren Kolleginnen/Kollegen und Vorgesetzten. Im wei- 3.3.2 Engagement als Jobgenerator teren Projektverlauf hatte Tim jedoch mit vielerlei büro- kratischen Hürden zu kämpfen, durch die er sich mutig Dass Engagement in strukturschwachen Räumen schlug: genutzt wird, um bessere Chancen auf dem Arbeits- „Ende August gab es ein Gespräch zwischen Tim und der markt zu haben, wurde bereits in Kapitel 2.2 erläutert. Organisation4, Ende September dazu eine E-Mail von der Im Projekt „Kleinstadt_gestalten“ waren es sechs junge Organisation, die beschreibt, dass für das Projekt eine männliche und weibliche Geflüchtete mit ihren Familien, Betriebserlaubnis für einen offenen Kindertreff notwendig ist, die durch ihr Bürgerprojekt zum einen den interkulturellen wofür wiederum hohe Anforderungen bestehen. Die avisierte Austausch fördern, zum anderen in Weißwasser ‚ankom- Kooperation mit der Organisation erscheint damit hinfällig. Das Bürgerprojekt kann in der ursprünglichen Form aufgrund men‘ wollten. Durch gastronomische Angebote wollten zu hoher behördlicher/bürokratischer Auflagen (exempla- sie sich einen Lebensunterhalt verdienen, so war zumin- risch: Jugendamt […]) nicht im Ehrenamt umgesetzt werden“ dest der Plan zu Anfang des Projektes. Auch Lukas, ein (Auszug aus dem Feldtagebuch, 17.10.2017). arbeitsloser Alleinerziehender, verband sein Engage- ment in einem anderen Bürgerprojekt mit der Jobsuche: Letztendlich wurde mit der Unterstützung des Vor-Ort- „Wenn man selber in einer Situation ist, wo für einen selber die Büros eine alternative Herangehensweise gewählt, in berufliche Perspektive sehr unklar ist, dann ist es eigentlich der der Ort und die Qualifikation der Betreuungsperso- ganz normal, dass man einen großen Teil der Energie dafür nen durch das Vertrauen der Eltern beurteilt wurden. Es verwenden muss. Auch sagen wir mal die Existenzsicherung, kam zu einem Speed-Dating-Termin mit Eltern, Kindern ein Kind zu haben, da ist das Engagement eben das Werk- und älteren Personen, die gerne ein Kind außerhalb der zeug dazu” (Lukas, 01.11.2017). Kindergartenzeiten betreuen wollten. Diese Veranstal- tung hatte einen großen Zulauf und es konnten dadurch Die Geflüchteten wurden von Hans unterstützt, der einige ehrenamtliche Großeltern vermittelt werden. hauptamtlich mit seinem Verein soziale Projekte fördert. Schließlich musste Tim jedoch aufgrund persönlicher Im weiteren Verlauf des Projektes gestaltete es sich Gründe und wegen des immens hohen, bürokratischen zunehmend schwieriger, einen anderen ehrenamtlichen Aufwands beim Mittelabruf im Kleinprojektefonds und Koordinator zu finden, der Hans ablösen sollte, damit den damit verbundenen personellen Verantwortlichkei- dieser sich seinen eigenen hauptamtlichen Projekten widmen konnte. Ein weiterer schwieriger Faktor war 4 Der Name der Organisation wurde durch „Organisation“ ersetzt. die Sprachbarriere der Geflüchteten. Deshalb sollte der
Zwischen Mitgestalten und Alltagsdruck: Herausforderungen zivilgesellschaftlich 369 Engagierter zur (Wieder)belebung einer Kleinstadt in Ostdeutschland Koordinator die Aktionen, die eigentlich in Kooperation lerinnen und Schüler im Alter zwischen 15 und 18 Jahren, mit der lokalen Gastronomie stattfinden sollten, in ihrer die zu Projektbeginn zum Großteil auf das örtliche Gym- Anlaufzeit unterstützend begleiten. Diese Aufgabe war nasium gingen. Vor allem Felix und Lisa lag ein Projekt jedoch mit viel kommunikativer und organisatorischer am Herzen: Sie wollten einen Jugendtreff etablieren aus Arbeit verbunden. Hans fasst diese komplexe Aufgabe dem Bedarf heraus, dass es für sie, ihre Freunde und in der Aussage zusammen: Klassenkameradinnen/-kameraden keinen Treffpunkt gab, in dem sie sich in ihrer Freizeit mit anderen treffen „Um dieses Projekt weiter zu führen, braucht man Leute, die konnten, in dem Konzerte, Veranstaltungen oder Work- es sich zutrauen, Fremde anzusprechen und sozusagen mit- shops angeboten wurden, wo jeder gern gesehen war: zunehmen“ (Hans, 23.01.2019). „ … der Abend ist ein Problem und damit fing das dann an. Zudem hegten die Vertreterinnen und Vertreter der ört- Was stellen wir uns vor? Was fehlt in Weißwasser? Eben lichen Gastronomie Bedenken gegenüber dem kulinari- dieser Treff, und dadurch ging das dann nach und nach, mit schen Angebot, der Gesundheit und Hygiene. Sie brach- den Mädels noch Ideen gesammelt. Dann waren auch noch andere da, auch Jugendliche, weiter Ideen gesammelt und ten zum Ausdruck, dass grundsätzlich kein Interesse an dann Kontakte ausgetauscht, Adressen“ (Felix, 31.01.2017). einem interkulturellen Abend bestünde. Äußerungen aus der Stadtgesellschaft bestätigten dies. Zusätzlich wurde Die Werbung auf Facebook und die Guerilla-Werbung in der Kleinprojektefonds als zu bürokratisch und unüber- der Stadt lockten sie zur Auftaktveranstaltung des For- sichtlich wahrgenommen. Deshalb wurden kaum Mittel schungsprojektes, wo die Ideen für die zukünftigen Bür- abgerufen, stattdessen eine Spendendose aufgestellt gerprojekte gesammelt und Einladungen zur Summer und die Ehrenamtspauschale in Anspruch genommen: School ausgesprochen wurden, um diese Ideen wei- „ … da müssten sich entweder Fördermittelgeber oder die terzuentwickeln, sodass aus Ideen ein Engagement mit Stellen, die für die Umsetzung des Programms zuständig Aktionen und Veranstaltungen entstehen konnte. Um sind, die müssten sich drüber im Klaren sein, also wenn wir ihr Bürgerprojekt in die Tat umzusetzen, brauchten sie Ehrenamtsprojekte fördern wollen, dann muss die Inanspruch- Räumlichkeiten und einen Träger, der die Funktion der nahme der Mittel und die Bewirtschaftung so übersichtlich und Betreuung bei Jugendlichen unter 18 Jahren überneh- unkompliziert sein, dass dort nicht die Leute, die das ehren- amtlich machen, die Hälfte ihrer Zeit darauf verwenden, dort men konnte. Um beide wesentlichen Rahmenbedingun- irgendwelche Vorgänge zu eruieren, die die Behörden brau- gen zu erfüllen, gab es ein zähes Ringen, da es von chen oder die Fördermittelstelle braucht, weil dann macht mehreren Seiten Ansprüche gab, zum Beispiel Betreu- man‘s tot. Also dann, das geht gar nicht. Das ist keine Ehren- ungsansprüche von einem anderen lokalen Trägerverein amtsförderung, das ist Ehrenamtsbehinderung dann letztend- (Konkurrenz zwischen den Trägervereinen) und hohe lich“ (Hans, 23.01.2019). Ansprüche an die Räumlichkeiten von den Jugendlichen selbst, die nicht aus dem Weg zu räumen waren. Die Auch die Unterstützung vom Vor-Ort-Büro nahm Hans Stadtverwaltung unterstützte die Suche nach den Räum- kaum in Anspruch, da er sich mit Projektmanagement lichkeiten oder nach Betreuung nicht. Dazu merkt Leon schon von Berufs wegen auskannte. Unterstützung für von einem anderen Bürgerprojekt an: das Bürgerprojekt bekam er seit der Hälfte der Projekt- laufzeit von den Bundesfreiwilligen. Damit das Bürger- „Die Jugendlichen brauchen ein Erfolgserlebnis, um am Ball projekt auch ohne die lokale Gastronomie weiterlaufen zu bleiben, und Unterstützung dazu“ (Leon, 27.09.2018). kann, werden auch künftig die kulinarischen Leckereien auf städtischen Festen und Veranstaltungen angeboten. Obwohl sie im Rahmen von „Kleinstadt_gestalten“ bei Mittlerweile werden sie sogar vermehrt für öffentliche ihrer Suche nach Räumlichkeiten und organisatorischen Veranstaltungen nachgefragt. Das Bürgerprojekt blieb Lösungen stark vom Vor-Ort Büro unterstützt wurden, und bleibt damit auch weiterhin der Stadt erhalten. entschieden sich die Jugendlichen, das Bürgerprojekt nach fünf Monaten erfolgloser Suche aufzugeben, da die weitere Motivation fehlte. Drei Protagonisten waren 3.3.3 Engagement und Eigeninteressen bereits vorher abgesprungen. Felix stand vor dem Abitur und der anschließenden Ausbildung, Lisa hatte sich für Im Engagement werden auch Eigeninteressen verfolgt, ein Austauschjahr im Ausland entschieden. die letztendlich dem Gemeinwohl zugutekommen, da es Lukas hatte mit seinem Mitstreiter schon vor dem allgemeine Bedarfe anspricht, wie im Falle der fünf Schü- Projektstart von „Kleinstadt_gestalten“ eine Projektidee
370 Olivia Kummel und auch schon drei Aktionen mit Unterstützung des projekt. Acht Monate vor Projektende von „Kleinstadt_ Bürgermeisters zur Müllbeseitigung in der Stadt gestar- gestalten“ bekam er einen Job im Schichtdienst mit 30 tet. Er wollte erreichen, dass die Menschen nicht nur Arbeitsstunden in der Woche. Bis zum Projektende war meckern, sondern selbst mit anpacken, dass die Bür- noch nicht klar, wer die Raummiete und die Aktionen gerinnen und Bürger ein Bewusstsein entwickeln, selbst des Bürgerprojektes weiter finanzieren sollte. Zudem tätig zu werden und teilzuhaben an der Mitgestaltung fiel sein Mitstreiter auf unbestimmte Zeit aus. Damit war ihrer Stadt. Lukas ist Zugezogener mit einem Haupt- unklar, ob das Projekt, wie von Lukas intendiert, weiter schulabschluss und einer Ausbildung. Zum Projektstart betrieben werden konnte. war der alleinerziehende Vater Hausmann. Vom Projekt erhoffte er sich eine breite Unterstützung, um sein Vor- haben breiter aufzustellen und auch Räumlichkeiten für 3.3.4 Engagement und Gemeinwohl seine Geräte, für Aktionen und Publikumsverkehr zu finden. Mit seinem Bürgerprojekt wollte er eine saubere Drei junge Frauen verbanden mit ihren Bürgerprojekten Stadt mit bespielbaren, sicheren Spielplätzen schaffen. vornehmlich Gemeinwohlinteressen, wobei alle drei eine ähnliche Bedarfsorientierung verfolgten: Austausch und „Naja, wenn sich mehr Leute anschließen und sich gegebe- Vernetzung. Jana ist Rückkehrerin, Mutter dreier Kinder, nenfalls daraus eine richtige Organisation entwickelt, sage ich hat studiert und arbeitet halbtags. Den Anreiz, ihr Bür- mal, ne. Die halt, sage ich mal, auch angesehen ist, auch nicht nur von den Bürgern, sondern auch von den Firmen“ (Lukas, gerprojekt auf den Weg zu bringen, drückt sie wie folgt 31.01.2017). aus: „Naja, zu bestimmten gesellschaftlichen Fragestellungen, Der Verlauf seines Projektes war geprägt von vielen denke ich, findet man auch nur Antworten, wenn man im Aus- Hürden, angefangen damit, dass eine Projektkalkula- tausch mit anderen ist. […] Was haben andere für Gedanken tion verlangt wurde, die ihm viel abverlangte, dass seine dazu, für Ideen dazu, und nur daran kann ich mich eigentlich Mitstreiterinnen/Mitstreiter wechselten, der Kleinpro- weiterentwickeln, denke ich. Was dann, hoffe ich, auch aus jektefonds viel zu bürokratisch und nicht engagement- so einer Gruppe heraus auch wieder in die Gesellschaft oder freundlich zu handhaben war. Zudem gab es für manche eben in die Stadt hineinwirkt. Also, man geht ja dann doch wieder raus mit neuen Gedanken, mit neuen Blickrichtungen Maßnahmen keine klaren Regeln, was zur Folge hatte, und, ja, in irgendeiner Weise wirkt es auf die Stadt zurück, und dass er durch fehlende Kommunikation ausgebremst ich hoffe auf positive Weise eben“ (Jana, 31.01.2017). und demotiviert wurde. Aber auch persönliche Umstände führten streckenweise zur Behinderung seines Bürger- Sie wollte mit ihrem Projekt den Ideenaustausch und die projektes. Dazu trug zum Teil auch die hierarchische, Vernetzung von Menschen fördern und so die Kräfte zur starre Projektstruktur von „Kleinstadt_gestalten“ bei, Weiterentwicklung der Stadt bündeln. In ihrem Engage- die kaum Flexibilität zuließ, da auf Vorschriften beharrt ment wurde sie vor allem durch ihren Ehemann unter- wurde, die sich von Engagierten aufgrund von Zeitman- stützt und nur gelegentlich vom Vor-Ort-Büro, da sie sich gel oder Mangel an Qualifikation kaum beachten ließen. durch ihre Arbeit im Projektmanagement auskannte. Zudem wurden den Engagierten keine Leitlinien zum Ein weiteres Bürgerprojekt hat Marie auf den Weg Abruf des Kleinprojektefonds an die Hand gegeben, was gebracht, um den Informationsaustausch in der Stadt zu zu viel Verwirrung, Frust und wenig Mittelabfluss führte. fördern. Sie hat ihr Fachabitur und eine Ausbildung im „Ich stelle halt immer wieder im Rahmen des Projektes fest, Dienstleistungsbereich abgeschlossen. Täglich pendelte dass in dem Projekt selber irgendwo so ein Stück weit die sie eine Stunde zu ihrem Bürojob mit einer Arbeitszeit Struktur fehlt. Also, es gab da nie klare Regeln, die irgendwo von 30 Stunden pro Woche und hatte noch keine Familie schriftlich festgehalten werden. Wer darf was oder sonst was. gegründet. Anna wollte mit ihrem Bürgerprojekt den kul- Wie ich das meinte mit der Handkasse. Zum Anfang hat man turellen Austausch in der Stadt fördern und bezog dazu uns gesagt, 400 Euro, ab 400 Euro müssen wir drei Ange- bote einholen. Und dann waren es auf einmal 100 Euro, wo ich auch die Diaspora5 in ihre Treffen mit ein. Sie hat stu- sage, so was muss von vornherein geklärt werden“ (Lukas, diert, ist zusammen mit ihrem Partner ins Umland von 23.01.2019). 5 Mit „Diaspora“ sind ehemalige Bewohnerinnen und Bewohner Lukas vernetzte sich stark mit anderen Aktiven und von Weißwasser gemeint, die in anderen Teilen Deutschlands Vereinen in der Stadt und bekam starke Unterstützung und der Welt leben, sich aber immer noch für ihre Heimatstadt vom Vor-Ort-Büro sowie Räumlichkeiten für das Bürger- Weißwasser interessieren und sie regelmäßig besuchen.
Zwischen Mitgestalten und Alltagsdruck: Herausforderungen zivilgesellschaftlich 371 Engagierter zur (Wieder)belebung einer Kleinstadt in Ostdeutschland Weißwasser zurückgekehrt und arbeitet nun als Selbst- fällte der Projektmitarbeiter im Alleingang. Marie fühlte ständige. Auch sie hatte noch keine eigene Familie sich dadurch manchmal ihres eigenen Bürgerprojektes gegründet. Ihr Projekt war ein Nachrücker, das nur acht beraubt. Selbst als sie eine Mitstreiterin für ihr Projekt Monate vor Projektende Zeit hatte, sich zu etablieren. gewinnen konnte, fehlte ihr die Motivation und die Sie hatte dabei starke Unterstützung von einem Projekt- Zeit, das Projekt fortzusetzen. Da sie ihre Arbeitsstelle mitarbeiter und Freunden, die ihr halfen, für ihre Aktio- gewechselt hatte, nun Vollzeit arbeitete und täglich zwei nen in der Stadt und auf Facebook zu werben und sie Stunden pendeln musste, blieb kaum noch Zeit, das auch während der Aktionen unterstützten. Bürgerprojekt weiter zu verfolgen. Ihre Mitstreiterin Ella, Die drei Projektverläufe gestalteten sich sehr unter- eine nach Weißwasser Zugezogene, übernahm das schiedlich: Jana zeigte sich zum Start ihres Bürgerpro- Projekt. Marie fasst ihren Entschluss, das Bürgerprojekt jektes sehr euphorisch und organisierte ihre Treffen zum abzugeben, so zusammen: Ideenaustausch mit großem Eifer. Im weiteren Verlauf „Also, das war ja so, dass ich relativ zeitig schon so ein biss- jedoch fehlte ihr immer mehr die Zeit, um weitere Treffen chen gezweifelt hab‘, weil ich mir das ja ein bisschen anders zu organisieren und eine Kontinuität in ihr Projekt hin- vorgestellt habe. Und hab‘ dann aber trotzdem weiterge- einzubringen. Gründe für den entstandenen Zeitmangel macht. Hatte die Zweifel immer so im Hintergrund, na ja, und waren zum einen, dass sie stärker in ihre Arbeit einge- irgendwann hab‘ ich dann auch eben durch den neuen Job, bunden wurde, ihre Arbeitsstunden wurden heraufge- und da ich ja auch dann Vollzeit gehe mit dem Arbeitsweg, setzt, zum anderen spielten familiäre Gründe eine Rolle. halt gemerkt, das funktioniert nicht. Und dieser Gegensatz, weniger Zeit, aber nicht mehr Unterstützung, dann eben Selbst die Suche und Aktivierung eines Mitstreiters zur gesagt, okay, das funktioniert einfach nicht. Ich hab‘ ja auch Verstetigung ihres Projektes gestaltete sich angesichts noch für mich ein Privatleben. Und ich hatte manchmal auch des akuten Zeitmangels sehr schwierig. Jana konnte das Gefühl, die Ergebnisse, die ich dann doch gebracht habe, selbst die angebotene Unterstützung des Vor-Ort-Büros sind dann irgendwie im Sande verlaufen. […], jetzt hast Du und ihres potenziellen Mitstreiters kaum nutzen. Jana Dir Deine wenige Zeit genommen, und irgendwie ist da nie das rausgekommen, was ich mir vorgestellt habe. Und das merkt dazu an: war nicht bloß ein, zwei Mal so, das war dann halt mehrmals so. Und dann wollte ich nicht, dass es so weitergeht, und hab „Kontakte pflegen, ja, das ist was, was ich jetzt schon auch dann das eben beendet“ (Marie, 25.07.2017). so ein Stück angebahnt hab‘ dadurch, dass ich einfach viel zu wenig Zeit hab‘ für die Ideen, die ich so hatte und habe, hat sich das so ergeben, dass ein paar andere Leute da entwe- Als Ella das Projekt von Marie übernahm, war sie vor der mit eingestiegen sind oder auch mit einer ähnlichen Idee Ort in Vollzeit beschäftigt und hatte noch keine eigene kamen, irgendwie da jetzt gemeinsame Sache machen oder die selber auch was starten. Ja, also das ist für mich auf alle Familie gegründet. Unterdessen hatte auch Ellas Arbeit- Fälle ein Punkt, ja, weil ich das alleine nicht schaffe“ (Jana, geber Gefallen an ihrem Bürgerprojekt gefunden und es 04.10.2018). für betriebliche Zwecke vereinnahmt, was es schwierig gestaltete, die ehrenamtliche Ausrichtung des Bürger- Dennoch gelang es, das Projekt zu verstetigen, indem projektes aufrechtzuhalten. Es fanden sogar Projekt- Jana ihr Bürgerprojekt an ein ebenfalls verstetigtes Bür- treffen statt, über die sie nicht informiert wurde. Ella war gerprojekt aus „Kleinstadt_gestalten“ angedockt hat und kurz davor, das Projekt fallen zu lassen, denn sie fand in dessen Rahmen weiterhin ihre Treffen stattfinden sich nicht mehr in dem Projekt wieder, war stark frustriert lassen konnte. und demotiviert: An Verstetigung war bei Marie erst einmal kaum zu „Aufgrund eines generellen, von ihr wahrgenommenen Infor- denken, gestaltete sich doch der ganze Verlauf des Pro- mationsdefizits stellte sich in der Vergangenheit ein Gefühl jektes schwierig. Zudem brachte sie keinerlei Projektma- ein, außen vorgelassen zu werden. Zum Teil führte dies nagementerfahrung mit und fühlte sich streckenweise zum Verlust von Motivation […]“ (Auszug Feldtagebuchein- allein gelassen, da durch einen Projektmitarbeiter, der trag 10.04.2018). „Mit der Entwicklung des Projektes bis zum sie besonders unterstützen wollte, kaum Informationen jetzigen Zeitpunkt findet Ella die ursprüngliche Idee, die sie zu ihr vordrangen. Außerdem bestanden unterschiedli- unterstützen wollte, kaum mehr wieder (Anspruch vs. Wirk- lichkeit). Ihre eigens gewählten Aufgaben sind obsolet auf che Vorstellungen zwischen ihr und dem Projektmitar- Eis gelegt, und sie bekleidet eine Rolle, die sie nicht selbst beiter über die Ziele des Bürgerprojektes, wie Informati- gewählt hat. Was ihre Kapazitäten angeht, wird sie nicht viel onen zu Veranstaltungen, Vereinen und Ähnliches an die mehr leisten können und wollen, […]“ (Auszug Feldtagebuch- Bürger herangetragen werden sollten. Einige Entschei- eintrag 06.06.2018). dungen über den weiteren Verlauf des Bürgerprojektes
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