1,5 Kurswechsel Wege in eine klimagerechte Zukunft - ZUSAGE - Globale Klimagerechtigkeit
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Kurswechsel Kurswechsel 1,5° Wege in eine klimagerechte Zukunft ist eine gemeinsame Veröffentlichung von: 1,5° Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V. (BUND) – Friends of the Earth Germany Am Köllnischen Park 1, 10179 Berlin +49 30 275 86-40 bund@bund.net www.bund.net Kontakt: Ann-Kathrin Schneider Wege in eine Heinrich-Böll-Stiftung e.V. Schumannstr. 8, 10117 Berlin klimagerechte +49 30 285 34-0 info@boell.de Zukunft www.boell.de Kontakt: Lili Fuhr Misereor e.V. Mozartstr. 9, 52064 Aachen +49 241 442-0 info@misereor.de www.misereor.de Kontakt: Kathrin Schroeder Autorinnen: Susanne Götze, Verena Kern, Sandra Kirchner, Eva Mahnke, Linda Schneider, Susanne Schwarz Diese Publikation wird unter den Bedingungen einer Creative- Mit Beiträgen und redaktioneller Mitarbeit von: // 1: Die Welt, in der wir leben Commons-Lizenz “Namensnen- Björn Ecklundt, Lili Fuhr, nung-Weitergabe unter gleichen Ann-Kathrin Schneider, // 2: Kurswechsel Bedingungen 4.0 International” Kathrin Schroeder, Stefan Tuschen // 3: Wege in die Zukunft (CC BY-SA 4.0) veröffentlicht. Die Lizenz finden Sie unter https:// Lektorat: Matthias Bauer creativecommons.org/licenses/by- Design: Lynne Stuart sa/4.0/legalcode, eine allgemeinver- www.ideainaforest.org ständliche Zusammenfassung der Lizenz (die diese nicht ersetzt) unter https://creativecommons.org/licenses/ V.i.S.d.P.: Yvonne Weber, BUND by-sa/4.0/deed.de Druck: ARNOLD Group, Großbeeren Berlin 2017 ii 1
Am Scheidepunkt Die Klimakrise stellt uns mit zunehmender Dringlich- der planetarischen Grenzen. Und so, dass nicht länger keit eine alte Frage: Was für eine Welt wollen wir? Eine Menschenrechte und Demokratie unter die Räder g Aerosolk u tzun onz e nt Welt, die die grundlegenden Bedürfnisse und den kommen und Millionen Menschen marginalisiert und in hm Wunsch aller Menschen nach einem guten Leben in ei- Armut leben. r sc ra ti o Ve n ner intakten Umwelt respektiert? In der faire Regeln für Wie dringend wir diese Ansätze, die soziale, t soziale Gerechtigkeit sorgen und Einzelinteressen nicht ökologische und demokratische Fragen gleichermaßen al Ze e lf r auf Kosten des Gemeinwohls gehen? In der demokra- berücksichtigen, breit umsetzen sollten, zeigt die Vi st tische Mitbestimmung und gesellschaftliche Teilhabe Bestandsaufnahme mit furchtbarer Klarheit: Seit 1970 R ö HE ru möglich sind? Und all dies auch für unsere Kinder und hat der Lebensstil und Konsum der globalen Mittel- ISC n deren Nachkommen auf allen Kontinenten? schicht die Hälfte aller Wirbeltierarten ausgelöscht. gv t Ge s u n igkei g ht dh lo Anstatt dieser Welt jedoch näher zu kommen, Mittlerweile ist ein Viertel der weltweiten Böden de- eit on ec er bi o entfernen wir uns immer weiter von ihr. Menschen gradiert. Mehr als eine Milliarde Menschen hat keinen E Bö g ertrinken in den Fluten, die durch Extremniederschläge Zugang zu sauberem Wasser. Die Schere zwischen Arm rn r VON d en te äh ausgelöst werden. Taifune zerlegen ihre Häuser. Dür- und Reich klafft so weit auseinander, dass die 8 reichs- ch ru ren zwingen Hunderttausende von ihren ausgedörrten ten Männer inzwischen so viel Vermögen angehäuft Verlust ergie eschle n Äckern in die Großstadtslums und Millionen werden haben, wie die 3,7 Milliarden der ärmeren Hälfte der g Wasser Eink SüSSwasserver mit dem steigenden Meeresspiegel ihren Lebensraum Menschheit insgesamt besitzen. Von den global 17 endgültig verlieren. All das passiert jetzt und wird wärmsten Jahren seit 1881 liegen 16 im neuen Jahr- G dramatisch zunehmen (S. 4/5), wenn wir nicht ver- tausend. Weltweit hat die Zahl der wetterbedingten hindern, dass der Klimawandel eine unaufhaltsame Katastrophen zugenommen; zwischen 1970 und 2012 h nloc Dynamik entfaltet. sind hierdurch fast zwei Millionen Menschen ums En Ist es utopisch, angesichts der Klimakrise auf ein Leben gekommen. Und in den immer saurer werdenden om e bra Ozo gutes Leben für alle zu dringen? Vielleicht. Aber nicht Ozeanen findet ein nie dagewesenes Korallensterben tz m ä weniger realistisch als die Utopie endlosen Wachs- statt. en l uc sp tums auf einem endlichen Planeten. Wie wir eine Können noch mehr Märkte – und seien es „grüne“ Mi ei t H re tb b nachhaltige und für alle lebenswerte Welt realisieren und solche für Treibhausgasemissionen – die esti r mmu n g A ee K können, zeigen zahlreiche praktische Beispiele – von Klimakrise stoppen? Können Volkswirtschaften und M li m der dezentralen erneuerbaren Energieerzeugung über politische Systeme, die auf Wachstum ausgerichtet R dE aw bewährte Konzepte für die nachhaltige Waldnutzung sind, wirksame Rezepte für die absolute Begrenzung g a n (S. 21) bis hin zu Ideen für moderne Mobilität (S. 15) des Ressourcen- und Energiehungers liefern? Können n el d ru und den ökologischen Anbau unserer Nahrungsmittel wir es uns noch länger leisten, einseitig darauf zu ue St (S. 19). Gemeinsam ist ihnen: Sie zeigen, wie wir gut hoffen, dass technologische Lösungen die multiplen s a r ic Ve ks leben, arbeiten und wirtschaften können. Innerhalb sozialen und ökologischen Krisen unserer Zeit mit to ufe f- u f einem Schlag fortzaubern? (S. 8) eislä osphorkr ND Ph Graphik inspiriert von Kate Raworths Doughnut der sozialen und planetarischen Grenzen. Siehe http://www.kateraworth.com/doughnut/ 2 3
Von 2 Grad zu 1,5 Grad: < 1,5° 1.5° < Keine halbe Sache Als Frankreichs Außenminister Laurent Fabius am Klimarahmenkonvention ist seit mehr als 20 Jahren klar Abend des 12. Dezember 2015 den Hammer fallen und schnörkellos festgelegt, was mit einem Klimaver- lässt und das Paris-Abkommen für angenommen trag erreicht werden soll: nämlich Ernährungssicher- erklärt, bricht im Konferenzzentrum in Le Bourget heit inklusive Wasserversorgung sowie das Vermeiden Jubel aus. Klimadiplomaten und Chefverhandlerin- von Störungen der Ökosysteme, die diese beiden Ziele nen, die stets auf höfliche Distanz achten, umarmen infrage stellen würden. sich. Politikerinnen und Staatschefs, die sonst kaum Mit einem 2-Grad-Limit ist das nicht zu haben, eine Miene verziehen, vergießen Freudentränen. zeigen die Studien der Klimawissenschaft mit zuneh- Jahrelange Vorbereitungen, zwei Wochen Gipfelstress mender Schärfe. Für die Erfüllung selbst der grundle- und eine Zitterpartie auf den letzten Metern, ob nicht gendsten menschlichen Bedürfnisse – Essen und doch wieder alles scheitert, liegen hinter den Verhand- Trinken – kann dann niemand mehr allen Ernstes eine Meeresspiegelanstieg Meeresspiegelanstieg lungsdelegationen. Garantie abgeben. Gelingt es, die globale Erwärmung von 40 Zentimetern im von 50 Zentimetern Jetzt fallen große Worte. Das Klimaschutzabkom- auf 1,5 Grad zu begrenzen, sinken die Risiken hingegen Jahr 2100 im Jahr 2100 men, das Konferenzpräsident Fabius mit seinem Ham- erheblich. merschlag besiegelt hat, sei ein „historischer Durch- In tropischen Regionen oder auch im Mittelmeer- bruch”, eine „Zeitenwende“, eine „friedliche Revolution“, raum beispielsweise werden die Ernteausfälle bei ein „Sieg für alle Menschen auf dem Globus und die wichtigen Grundnahrungsmitteln dann „nur“ zehn Alle Korallenriffe wären kommenden Generationen“. Tatsächlich geht der Prozent betragen statt mindestens zwanzig Prozent. vom Aussterben bedroht Vertrag weit über das hinaus, was selbst Optimisten er- Hitzewellen werden sich weniger stark ausdehnen. Der wartet hatten. Eine Erwärmung um zwei Grad Celsius Anstieg des Meeresspiegels wird voraussichtlich um will die Menschheit nun nicht mehr zulassen. Das neue zehn Zentimeter geringer ausfallen. Für die Ozeane Limit liegt bei „deutlich“ unter 2 Grad, am besten sogar wären mehr als 1,5 Grad Erwärmung nicht verkraft- nur 1,5 Grad. In der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts bar, betont die Meeresforschung seit Langem. Die soll die Welt „klimaneutral“ sein. Weltmeere schlucken den größten Teil der Strahlungs- energie, schon heute nehmen sie 24 Millionen Tonnen Kohlendioxid auf – jeden Tag. Die Versauerung bringt Im Mittelmeerraum Das Paris-Abkommen, eine unmissver- die maritimen Ökosysteme aus dem Gleichgewicht und gäbe es 20 Prozent ständliche Handlungsaufforderung wird zur Existenzbedrohung für die ohnehin übernutz- weniger Trinkwasser ten globalen Fischbestände. Auch Sicherheitsexpertin- Einige Korallenriffe Die neue 1,5-Grad-Grenze ist eine unmissverständliche nen und Militärstrategen warnen inzwischen vor einem könnten überleben Handlungsaufforderung: Ab sofort muss mehr getan ungebremsten Klimawandel. Dürren, Ernteausfälle und werden, um den Ausstoß von Klimagasen zu reduzie- Wassermangel verschärfen das Konfliktpotenzial in ren. Alle 196 Mitgliedsstaaten der UN-Klimarah- vielen Regionen der Welt. Der Unterschied zwischen 1,5 und 2 Grad Erwärmung ist für das Klima ein Unter- Im Mittelmeerraum In den Tropen und im Mit- menkonvention haben sich dazu bekannt. Besonders schied ums Ganze. gäbe es 10 Prozent telmeerraum würden 20 vom Klimawandel betroffene Länder wie die kleinen Allerdings ist ein großes politisches Ziel leichter weniger Trinkwasser Prozent des angebauten Inselstaaten werden nun nicht mehr mit Sonntagsreden verkündet als mit Leben erfüllt. Mit den nationalen Kli- Getreides verloren gehen und einem Schulterzucken abgespeist und ansonsten alleingelassen. maplänen jedenfalls, die die UNO von allen Staaten für Genau genommen hat sich die Staatengemeinschaft den neuen Vertrag eingesammelt hat, steuert die Welt damit aber nur selbst beim Wort genommen. In der immer noch auf drei Grad Erwärmung zu. 4 5
Die Dispo-Mentalität Fair Play nicht nur im Fußball Es war der verzweifelte Versuch, der Politik die Dring- Die Länder im globalen Norden haben den Klima- CO2 Emissionen lichkeit beim Klimaschutz deutlich zu machen. Wenn wandel zum großen Teil verursacht – mit ihrer eigenen Politikerinnen und Politiker eines können, dann mit fossil getriebenen Entwicklung und ihrer wachsenden USA Budgets jonglieren, dachte sich die Klimawissenschaft Vorliebe für Sportwagen, Flugreisen, Steaks und elek- Pro Kopf 2013: – und stellte 2009 die Carbon Budgets vor. Dahinter tronische Stromfresser. Die Folgen dieser Entwicklung, 17 Tonnen steckt die Idee, die maximale Menge an Treibhausgasen die Millionen Menschen den Aufstieg in die Mittel- % der historischen zu errechnen, die die Menschheit noch in die Atmos- schicht ermöglicht hat, bekommt aber besonders der Emissionen seit 1850: 29% phäre pusten darf. Ab Juli 2017 sind das noch 154 Mil- globale Süden zu spüren, der viel weniger finanzielle liarden Tonnen Kohlenstoff, um die Erderwärmung mit und technische Mittel für die Anpassung an stärkere einer Wahrscheinlichkeit von 60 Prozent unter 1,5 Grad Dürren, Stürme oder Fluten hat. zu halten. Werden alle derzeit geplanten Kohlekraft- Der Pariser Klimavertrag spiegelt das nur begrenzt werke (S. 17) wirklich gebaut und über ihre normale wider. Jeder Staat darf selbst festlegen, wie stark er Lebensdauer von 40 Jahren betrieben, verursachen sie seine Emissionen senken will. Das ist ungerecht: der allein bereits etwa 300 Milliarden Tonnen CO2. faire Anteil eines Landes am globalen Klimaschutz Allerdings hat die Budget-Logik einen Haken: Die ist abhängig von seinen historischen Emissionen Budgets, mit denen die Politik normalerweise umgeht, und seinen finanziellen Möglichkeiten. Bedenkt man kann man auch mal überziehen. Entsprechend soll das, haben viele Entwicklungsländer sogar stärkere nun auch die Atmosphäre Dispo gewähren. Der Druck Klimaziele gemeldet als die Industriestaaten. auf die Welt, dieser Idee zu folgen, ist riesig, denn das Was gerechter Klimaschutz ist, kann nicht jedes CO2-Budget für das 1,5-Grad-Limit wird bereits 2021 Land für sich entscheiden – Klimagerechtigkeit aufgebraucht sein, wenn wir so weiterwirtschaften wie muss zum Grundsatz der Klimapolitik werden und bisher. 2018 der Maßstab bei der ersten Auswertung Der Vorschlag ist nun, dass riskante Technologien der nationalen Klimaschutzpläne aller Länder den Dispo in ferner Zukunft wieder ausgleichen könn- sein. Dazu gehört nicht nur, dass die historisch ten. So ließe sich zum Beispiel im großen Stil Biomasse verantwortlichen Staaten mehr Klimaschutz leisten, anbauen und verbrennen. Die Millionen Tonnen des sondern auch, dass sie arme Länder ausreichend dabei entstehenden Kohlendioxids ließen sich ab- unterstützen. Wer nicht handelt, verstärkt die scheiden und unter die Erde pressen. Diese sogenannte Ungerechtigkeit. Bei der Umsetzung der Pläne muss BECCS-Technologie (Bioenergie mit Abscheidung und die Weltgemeinschaft auf Klimagerechtigkeit dringen. Deutschland Speicherung von CO2) funktioniert bislang allerdings Und: Jede Klimaschutzmaßnahme muss ökologisch Pro Kopf 2013: nur auf dem Papier und ist darüber hinaus mit verhee- sinnvoll und sozial gerecht sein sowie fundamentalen 9 Tonnen renden ökologischen und sozialen Folgen verbunden demokratischen Prinzipien genügen. % der historischen (S. 10). Fatal an allen Ideen für negative Emissionstech- Emissionen seit 1850: nologien ist: Die Hoffnung auf den atmosphärischen 7% Dispo lässt die Notwendigkeit der radikalen Einsparung Indien von CO2 im Hier und Jetzt verblassen. Was allenfalls als Pro Kopf 2013: Plan B taugt, ist auf dem besten Weg, den Plan A in den 1,4 Tonnen Hintergrund zu drängen – eine von Grund auf andere % der historischen Wirtschaft, die den Planeten für alle lebenswert erhält. Emissionen seit 1850: 2,5% 6 7
Wir sind auf dem Wir kennen die falschen Pfad Richtung Mehr als eine Milliarde Autos sind auf unserem Plane- Emissionshandel (S. 16) und Offsetting (S. 14), um Die guten Ideen sind längst bekannt, jenseits von Kom- müssen – nicht als globalen Masterplan, sondern in ten unterwegs und Jahr für Jahr werden zig Millionen Klimaschutz und Ökosystemerhalt marktkonform zu pensation, Emissionshandel und negativen Emissionen: vielen verschiedenen, regional angepassten Spielarten. neue produziert. Die globale Fleischproduktion hat sich gestalten. Und immer mehr Hände, die nach dem Der schnellstmögliche Ausstieg aus Kohle, Öl und Gas Sie machen Klimaschutz zu einer verlässlichen in den vergangenen 50 Jahren vervierfacht und steigt Strohhalm negativer Emissionstechnologien greifen ist das sicherste Mittel, die Klimakatastrophe zu brem- Zielgröße, ohne dass dabei Ökosysteme, soziale Fragen weiter an. Die Wachstumsraten im internationalen (S.10), weil das Emissionsbudget unter Business-as- sen. Dass auch Sonne, Wind und Co. zu 100 Prozent und demokratische Teilhabe unter die Räder kommen. Flugverkehr weisen steil nach oben. Und auch nach Un- usual-Bedingungen rasant dahin schmilzt (S. 6). unsere Häuser wärmen, unsere Maschinen antreiben Entscheidend ist bei alldem die Frage: Wird uns terzeichnung des Pariser Klimaabkommens sind welt- Dabei ist der eindimensionale Glaube an die und uns von A nach B bringen, können wir mit kluger das ausreichend schnell gelingen? Werden wir die weit noch mehr als 1.400 Gigawatt Kohlekraftwerks- technische und ökonomische Lösbarkeit aller Probleme, Politik rasant vorantreiben. Fahrradfreundliche Städte Verbrennung fossiler Energieträger so drastisch wie kapazität in Bau oder Planung und etliche Konzerne das „technokratische Paradigma“, selbst Teil des mit einem starken öffentlichen Nahverkehr zeugen nötig eindämmen und Verbrennungsmotoren binnen haben neue Förderlizenzen für Erdöl erhalten. Zwar Problems. Weil er ratlos ist, wenn wir mit Millionen davon, wie lebenswert unser Wohnumfeld durch eine kürzester Zeit von den Straßen verbannen? Werden geht der Ausbau der erneuerbaren Energien voran und spritsparender Autos Milliarden von Kilometern mehr grundlegende Verkehrswende wird. Und die klein- wir die großindustrielle Landwirtschaft grundlegend der globale Energiehunger wächst langsamer als zuvor. fahren. Weil er den Einfluss der mächtigen Lobbys bäuerlichen Betriebe weltweit, die mit nur 30 Prozent ändern und den Raubbau an unseren Wäldern tatsäch- Aber er wächst – obwohl er drastisch sinken müsste. ignoriert, die von einem Weiter-so massiv profitieren. der Agrarressourcen 70 Prozent aller Nahrungsmittel lich stoppen? Die Alternativen sind da. Wir müssen sie Statt der radikalen Kehrtwende, die es angesichts der Weil uns der Glaube an die Technik in höchst riskanter liefern, beweisen, dass uns die Erde ohne massiven umsetzen – schnell und überall. Klimakrise braucht: Business as usual, wohin man blickt. Weise darauf wetten lässt, dass wir mit Hilfe neuer Einsatz von Dünger und Pestiziden versorgen kann. Hinzu kommt eine Wohlfühl-Rhetorik um die „Green Technologien wie BECCS (S.10) das Weltklimasystem Dort, wo Korruption effektiv bekämpft wird und die Economy“, die stetes Wachstum mit immer intelligen- reparieren können. Hinzu kommt: CO2 kann keine Menschen vor Ort gemeinsam über die Nutzung der teren grünen Technologien verspricht. Vertrauen auf geeignete Einheitswährung für nachhaltiges Handeln Wälder entscheiden, werden sie erhalten bleiben. Dort, sein, denn sie führt dazu, dass sich der Norden im wo die Lobbys der fossilen Großkonzerne, Agrargigan- globalen Nullsummenspiel von seiner Verpflichtung ten und Autofabriken keinen Zugang zu Entscheidern zum Handeln freikauft und wir die Rechte indigener und Politikerinnen mehr finden, wird Wandel möglich. Völker gegen Tonnen von CO2 aufrechnen. Dort, wo wir erkennen, dass wir uns nicht nur um die immer effizientere Herstellung derselben Mengen bemühen müssen, sondern auch um mehr Suffizienz – das heißt ein Weniger an Konsum und Produktion – sind wir auf dem richtigen Weg. Das sind die machbaren Konzepte, die wir in den nächsten fünf bis zehnJahren massiv voranbringen 8 8 9
Geoengineering: Runter mit den Symptombehandlung Emissionen! mit Nebenwirkungen Statt auf hochriskante und in ihren Folgen kaum absehbare Großtechnologien zu setzen, lässt sich das Klimaproblem auch direkt an der Wurzel packen – indem der Ausstoß von Treibhausgasen drastisch reduziert wird. Da die Verbrennung fossiler Energien Idee: Atmosphäre und Ozeane werden mit zwei Drittel der weltweiten Emissionen verursacht, so viel CO2, Methan und anderen Gasen steht der rasche Komplett-Ausstieg aus Kohle, Öl vollgepumpt, dass sich die Erde in ein immer und Gas an. Die billionenschweren Subventionen, mit wärmer werdendes Treibhaus verwandelt. Je offensich- denen die Fossilen derzeit noch gepäppelt werden, tlicher es wird, wie schwer sich die Menschheit damit könnten dann entfallen – und stattdessen in den sozial tut, ihre Emissionen radikal zu senken, desto mehr reizt abgefederten Umbau der Energiesysteme fließen. es viele, das Problem mit technologischen Eingriffen zu Würden Länder wie Saudi-Arabien, Russland oder beheben. Schließlich, so die Logik des technokratischen die USA ihre immensen Fördergelder zurückfahren, Paradigmas, hat der Ingenieursverstand schon ganz würden sie allein damit ihre Emissionen in den andere Technikwunder ersonnen – Raketen, die zum kommenden vier bis fünf Jahren um mehr als zehn Mond fliegen, Flugzeuge mit Überschallgeschwindig- Prozent senken. keit oder Kühlschränke, die sich selber um den Einkauf An die Stelle der fossilen treten die erneuerbaren kümmern. Energien. Ihr Ausbau muss beschleunigt und Die Ideen, das Klima gezielt zu steuern, fallen unter beispielsweise durch Gesetze wie das EEG gefördert den Begriff „Geoengineering”. Im Großen und Ganzen stark verändern – keine gute Nachricht für die globale werden. Technisch möglich ist die Versorgung mit 100 gibt es zwei Ansätze: Das „Solar Radiation Manage- Ernährungssicherheit. Prozent Erneuerbaren in vielen Industriestaaten schon ment” zielt darauf, die Sonneneinstrahlung zu bremsen heute – zumindest beim Strom. Bei der Gesamtenergie – durch riesige Spiegel in der Erdumlaufbahn oder Ökologische Folgen: Schon 2010 haben die – also auch Wärme und Verkehr – ist das Jahr 2050 mittels Schwefelimpfung der Atmosphäre, was den Mitgliedstaaten der UN-Biodiversitätskon- realistisch. Bei den weltweiten Investitionen in neue Effekt eines Vulkanausbruchs simulieren soll. Beim vention ein Moratorium für Geoengineering Stromerzeugungskapazitäten haben die Erneuerbaren „Carbon Dioxide Removal” sollen die Klimagase quasi beschlossen. Begründung: Die Technologien sind mit bereits die Fossilen überflügelt. wieder eingefangen werden. Geschehen soll das durch dem Schutz von Ökosystemen nicht zu vereinbaren. Allerdings sind immer noch rund 1.000 neue Technologien wie CCS – neuerdings zusammen mit Kohlekraftwerke im Bau oder in Planung. Gehen Bioenergie als BECCS. Oder durch die Eisendüngung Soziale Folgen: Geoengineering würde sie ans Netz, werden allein dadurch mehr CO2- der Ozeane: Das regt das Wachstum von Algen an, die das Gesicht der Erde dramatisch ändern Emissionen entstehen, als das Kohlenstoff-Budget dann mehr Kohlendioxid aufnehmen. Statt Eisen kommt – und damit die Frage aufwerfen, wer eine für das 1,5-Grad-Limit erlauben würde. Wenigstens auch Harnstoff infrage. derart weitreichende Entscheidung mit weitestgehend ist die Zahl der Neuplanungen inzwischen rückläufig. unbekannten Folgen für die gesamte Weltbevölkerung Im Jahr 2016 sanken die in der Pipeline befindlichen Klimaeffekt: Mit Techniken wie der treffen darf. Das gilt auch für Methoden wie BECCS. Erzeugungskapazitäten beim Klimakiller Nummer eins CO2 Schwefelimpfung könnte die Erderwärmung Um dabei genug CO2 aus der Atmosphäre zu von 1.090 auf 570 Gigawatt. Vielleicht zeigt der Pariser quasi „eingefroren” werden – allerdings mit holen, müsste ein bedeutender Teil der weltweiten Klimagipfel schon Wirkung. enormen regionalen Unterschieden, die kaum vorher- Ackerfläche nur für diesen Zweck reserviert zusagen sind. Einige Länder würden profitieren, viele werden. Wie sich die voraussichtlich neun Milliarden andere dagegen mehr Hitze und Dürre erleben. Ins- Menschen 2050 dann ernähren sollen, kann niemand gesamt würde sich die Niederschlagsmenge weltweit beantworten. 10 11
BECCS: Fata Morgana mit Auf den Humus großen Versprechen kommt es an! möglich, Biomasse „CO2-neutral” als Energiequelle zu Anstatt auf immer neue Technologien mit unbekannten Lebendige Moore nutzen. Der Anbau im großen Maßstab inklusive Trans- Auswirkungen und hohen Risiken zu setzen, helfen altbe- port braucht selbst viel Energie und die industriellen währte und neu entdeckte Anbaumethoden. Ökologisch In vergangenen Jahrzehnten wurden viele Moore Agrarmethoden tragen dazu bei, dass die Böden ihre nachhaltige Anbaumethoden (S. 19) mit längeren und entwässert, um mehr Anbauflächen für die Landwirt- Funktion als CO2-Speicher einbüßen (S. 19). Zudem ist vielfältigeren Fruchtfolgen helfen organische Substanz schaft zu erhalten. Dabei wird viel Kohlendioxid freige- die Verpressung und Speicherung des Kohlendioxids aufzubauen, die natürlichen Mikroorganismen im Boden setzt. Werden entwässerte Moore in ihren Ursprungs- selbst ein sehr energieintensives Verfahren. Und ob zu nähren und die Bodenqualität zu verbessern. Das zustand zurückversetzt, sinken die Emissionen wieder das gespeicherte CO2 tatsächlich dauerhaft im Boden senkt die Treibhausgasemissionen der Landwirtschaft. – und einzigartige Biotope können seltenen Pflanzen- verbleibt, ist mehr als ungewiss. Dennoch rechnen die Denn der im Boden gespeicherte organische Kohlenstoff und Tierarten das Überleben sichern. meisten vom Weltklimarat IPCC verwendeten Szena- ist nach den Ozeanen das zweitgrößte Kohlenstoffreser- rien, bei denen die Erderwärmung auf weniger als zwei voir der Erde. Der Mensch beeinflusst direkt, wie viel Vitale Wälder Grad begrenzt wird, mit den „negativen Emissionen”, Kohlenstoff gebunden oder freigesetzt wird – durch die die die BECCS-Technologie liefern soll. Pfade, die uns Auswahl der Pflanzen, die Art der Düngung und durch Weil ein intakter Wald (S. 20) sehr viel mehr Kohlendi- ohne BECCS innerhalb des 1,5-Grad-Limits halten, hat die Methoden, mit denen er den Boden oxid speichert und widerständiger gegen den Klimawan- die Klimawissenschaft bisher noch nicht im Gepäck. bearbeitet. Studien zeigen, dass Böden del ist, braucht es naturnahe Wälder und ein sensibles beim richtigen Umgang mit ihnen Aufforsten von abgeholzten Regenwaldflächen. Intakte Ökologische Folgen: Um die Erderwär- sogar Kohlenstoff aufnehmen kön- Waldökosysteme mit gemischten Baumarten sowie Alt- mung mit BECCS unter zwei Grad zu halten, nen. und Totholz erhöhen auch die biologische Vielfalt und Idee: Für sich genommen funktionieren bräuchte man etwa 500 Millionen Hektar bieten Millionen von Menschen eine Lebensgrundlage. weder der umfassende Einsatz von Bioener- Land – die anderthalbfache Fläche Indiens. Der Anbau gie noch die umstrittene CCS-Technologie. in riesigen Monokulturen unter massivem Einsatz von Doch aus der Kombination beider Verfahren wird eine Düngemitteln und Pestiziden würde die Artenvielfalt der scheinbar verheißungsvollsten Technologien der weiter verringern, das Grundwasser verseuchen und Gegenwart: BECCS (Bioenergie mit CO2-Abscheidung die Böden auslaugen. Außerdem besteht die Gefahr, und -Speicherung) soll der Atmosphäre Kohlendioxid dass das verpresste CO2 unerwartet frei wird und im entziehen und so unser noch verbleibendes Budget für Untergrund das Grundwasser versauert. den klimaschädlichen CO2-Ausstoß vergrößern. Dazu soll Biomasse in Kraftwerken verstromt und das Soziale Folgen: dabei entstehende CO2 aufgefangen und Für die gi- unterirdisch gespeichert werden. Bislang gantischen existiert die Methode aber im Wesentlichen BECCS-Plantagen würden auf dem Papier. Offen ist, ob sie je im großen schützenswerte Ökosys- Stil funktionieren wird. Lediglich in gering- teme sowie Ackerböden em Umfang kommt BECCS in einigen klein- geopfert. Wie das Men- en Raffinerien mit Ethanol zum Einsatz. schen in die Armut treibt, Gewalt schürt und soziale Klimaeffekt: Trotz fehlender Erprobung Gemeinschaften zerstört, CO2 sind die Erwartungen an die Technologie kann man an den Folgen immens. Allerdings wirkt auch der Anbau des heutigen Land Grab- von Biomasse aufs Klima: Es ist nahezu un- bing sehen. 12 13 13
Klimakompensation: Umsteuern statt Das Nullsummenspiel Rechenspielchen Idee: Für das Weltklima ist es im Prin- schwarzen Schafen in der Branche gibt es auch viele Taschenrechner und Abakusse bitte zur Seite legen – werden. In anderen Ländern kann der Abbau fossiler zip egal, wo auf der Welt Treibhausgase sinnvolle Projekte, die durch freiwillige Kompensation und einfach mal mit dem Wandel anfangen! Wie das Subventionen Geld freisetzen. Indien besteuert bereits ausgestoßen oder eingespart werden. finanziert werden. geht, ist in vielen Fällen längst bekannt. Luxusautos und Geländewagen. Die Verkehrswende ist In dieser Logik wurde im Kyoto-Protokoll von 1997 Beispiel Verkehrssektor: Der Traum vom eigenen dringend nötig – für das Klima und für smoggeplagte festgelegt, dass Industrieländer ihre Verpflichtung Klimaeffekt: Es geht bei der Klimakompen- Auto, das jedem und jeder Einzelnen Freiheit und Großstadtmenschen, die dann endlich mal wieder so zum Klimaschutz nicht nur „zu Hause“ erfüllen müssen, CO2 sation nicht darum, CO2 einzusparen. Wenn Unabhängigkeit verspricht, ist von vorgestern. richtig durchatmen können. sondern auch kostengünstigere Projekte in Entwick- Emissionen kompensiert werden, hat sich Gebraucht wird ein neues Verkehrssystem, das vor lungsländern finanzieren können (Clean Development am Quell des Übels, z.B. dem klimaschädlichen (Flug-) allem auf Verkehrsvermeidung, Schienenverkehr und Mechanism - CDM). Verkehr, nichts geändert. Hinzu kommt, dass es oft das Ende des Verbrennungsmotors setzt. Wo sich der Parallel dazu hat sich ein riesiger freiwilliger Markt schwierig ist, nachzuweisen, ob und, wenn ja, wie viel Ausbau von Schienen – auf dem Land zum Beispiel entwickelt, auf dem Unternehmen oder auch Privat- CO2 ein Klimaschutzprojekt tatsächlich zusätzlich oder in Megastädten – nicht lohnt, können Busse zum personen ihre Flüge, Busfahrten und Veranstaltungen eingespart hat. Bei Forstprojekten geht die Rechnung Einsatz kommen. Und von der letzten Haltestelle kann kompensieren können. Die Projekte der Anbieter gar nicht auf: Wenn Kohle verbrannt wird, wird Kohlen- es mit dem Fahrrad oder per Carsharing weitergehen. sind von unterschiedlicher Qualität und neben vielen stoff frei, der zuvor unter der Erde sicher und dauerhaft Die Verkehrsmittel müssen gut ineinandergreifen. gebunden war. Von Baumplantagen wird es hingegen Dann bleibt es für die Nutzenden auch bequem und nur kurzfristig gebunden – bis zum nächsten Waldbrand flexibel. oder bis zur nächsten Dürre. „Dieselgate“ hat gezeigt: Von den Autokonzernen ist nicht zu erwarten, dass sie sich für das Klima auch Ökologische Folgen: CO2 ist nicht der ein- nur annähernd so interessieren wie für den Umsatz. zige Schadstoff, der aus Auspuffrohren und Die Politik muss radikal umsteuern und klimafreund- Schornsteinen kommt. Andere schädliche lichen Verkehr attraktiv gestalten. Dazu gehört Partikel wirken lokal weiter. Wird ein Kohlekraftwerk etwa die Stärkung des öffentlichen Nahverkehrs, die effizienter, heißt das noch lange nicht, dass die Luft- Verlagerung von Gütern auf die Schiene, der Bau von und Ackerbodenvergiftung abnimmt. Die Laufzeit für Radwegen und separaten Fahrspuren für Schnellbusse dreckige Kraftwerke wird zum Teil durch den CDM oder die Förderung von Lastenrädern. Mit intelligenten sogar noch verlängert. Maßnahmen lassen sich die Emissionen im Verkehrs- sektor zum Beispiel in Deutschland bis 2050 um 95 Soziale Folgen: Der CDM soll einen Beitrag Prozent verringern. zur nachhaltigen Entwicklung leisten. Die Verkehrswende muss nicht am Finanziellen Beteiligt wird die lokale Bevölkerung aber oft scheitern. In Deutschland kann sie beispielsweise durch nur auf dem Papier. Nicht wenige Projekte führen gar Abgaben auf klimaschädliche Kraftstoffe, Dienstwa- zu verschlechterten Lebensbedingen und gewaltsamen genbesteuerung oder eine höhere Kfz-Steuer finanziert Vertreibungen, z.B. für ökologisch höchst bedenkliche Baumplantagen. 14 15
Die Lizenz zum Ein Kohleausstiegsgesetz Verschmutzen mit klarem Zeitplan fördern. Doch das Gegenteil passiert: Durch einen Wie können wir gewährleisten, dass der klimaschäd- Stromüberschuss sinkt der Strompreis an der Börse. lichste aller Energieträger, die Kohle, nicht noch zehn, Weil Kohle billig ist, werden zuerst die Gaskraftwerke zwanzig, dreißig Jahre im großen Stil verbrannt wird? abgeschaltet. Das ist eine Bankrotterklärung fürs Kohle ist für ein gutes Viertel der gesamten Treibhaus- Klima und fatal für den Strommarkt, der bei dem gasemissionen verantwortlich und führt außerdem zunehmenden Erneuerbaren-Anteil zunächst noch dazu, dass Menschen vertrieben werden, Wasser auf die gut regelbaren Gaskraftwerke angewiesen verunreinigt wird und die Atemluft von Millionen von ist. Trotz fehlender Lenkungswirkung soll der Menschen überall auf der Welt mit Feinstaub und Emissionshandel für die EU auch nach 2020 das Quecksilber verschmutzt ist. Statt darauf zu hoffen, zentrale Klimaschutzinstrument sein. Durch dass ein schwer steuerbarer Zertifikatemarkt Strom den Pariser Klimavertrag könnten zudem bald und Wärme aus Kohle schon rechtzeitig teuer und Klimaschutzzertifikate („mitigation outcomes”) weltweit unattraktiv genug werden lässt, braucht es gesetzliche gehandelt werden – eine ganz neue Dimension eines Vorgaben für einen schnellstmöglichen Kohleausstieg. weltweiten „Offsettings”. (S. 14) Industrieländer – allen voran Deutschland als größter Idee: Die Wirtschaft mit sanfter Hand Braunkohleförderer der Welt – müssen hier vorange- zum Klimaschutz motivieren, ohne ihr zu Ökologische Folgen: Bisher deckt der hen. schaden: Mit diesem Credo führte die Emissionshandel in der EU rund 45 Für Länder, in denen Kohle gefördert oder verbrannt Europäische Union 2005 das Emissionshandelssystem Prozent aller Emissionen ab. Zwar wurde wird, heißt das: Es muss klar sein, wann welches Kohle- ein. Damit emissionsintensive Industrien wie Kohle- 2012 der innereuropäische Flugverkehr einbezogen, kraftwerk vom Netz geht und zu welchem Zeitpunkt kraftwerke oder Aluminiumfabriken nicht von heute auf aber große Sektoren wie die Landwirtschaft oder welche Tagebaue und Kohleminen für immer geschlos- morgen schließen müssen, wird der Treibhausgasaus- der Straßenverkehr sind weiterhin außen vor. sen werden. Machbar ist das zum Beispiel, indem der stoß nach und nach staatlich gedeckelt. „Marktbasiert Energieintensive Materialien wie Aluminium sind trotz Gesetzgeber maximale Betriebslaufzeiten für die und kosteneffizient“ soll so die technologische Wende hohen Energieverbrauchs weiterhin billig und werden bestehenden Kraftwerke festlegt, die vereinbar mit dem gelingen. Teile der Industrie bekommen die Zertifikate in Massen produziert. Gleichzeitig werden europaweit 1,5-Grad-Limit sind. Oder er schreibt Mindestwirkungs- kostenlos zugeteilt, eines pro Tonne CO2-Äquivalent. die Flughäfen ausgebaut – zum Schaden des Klimas, der grade vor, die die Altanlagen in den nächsten Jahren Der Handel mit den Zertifikaten soll Klimaschutz Bevölkerung vor Ort und der lokalen Ökosysteme. zum Abschalten zwingen oder Vorgaben dazu machen, befördern, wo er am günstigsten ist. Mittlerweile haben wie viel CO2 welches Kraftwerk noch maximal aus- neben der EU mehr als 15 Länder und Regionen den Soziale Folgen: Statt fossile Energien stoßen darf. Sinnvoll ist ein sofortiges Moratorium auf Emissionshandel eingeführt, darunter Kalifornien, Neu- zu verteuern und Verschmutzer zur alle neuen Kohleminen. Der Ausstieg aus der Kohlever- seeland, Japan und sieben chinesische Provinzen. Kasse zu bitten, ist das Gegenteil bewirkt stromung bis spätestens 2030 muss in Deutschland worden: Viele große Unternehmen haben durch gesetzlich geregelt werden. Klimaeffekt: den Emissionshandel gut verdient. So haben die Damit wir eine realistische Chance haben, das CO2 Die Lenkungswirkung des europäischen Unternehmen bisher über 24 Milliarden Euro Profite 1,5-Grad-Limit einzuhalten, muss der Kohleausstieg Emissionshandels ist jedoch marginal. Grund mit dem Handelssystem gemacht. Allein die deutsche auf der Liste der dringendsten Klimaschutzmaßnah- ist der Preisverfall, der aus den einst 30 Euro teuren Industrie hat rund 4,5 Milliarden eingestrichen. men ganz oben stehen. Hier lässt sich binnen kürzester CO2-Zertifikaten in der EU nun Ramschpapiere von Die angeblichen Kosten des Handels wurden teils Zeit ein Viertel aller globalen Treibhausgasemissionen wenigen Euro gemacht hat. Durch einen hohen CO2- unverzüglich an die Endkunden und Verbraucherinnen einsparen. Mit Konzepten für einen gerechten Über- Preis sollten Kohlekraft und Aluminiumherstellung weitergegeben. gang und demokratisch entwickelten Ideen für den teurer werden, um klimafreundliche Technologien zu Strukturwandel können wir dafür sorgen, dass das nicht zulasten der Schwächsten geht. 16 17
Climate Smart Agriculture: Landwirtschaft und Die gekaperte Idee Klimaschutz verbinden Idee: Schon seit Jahren versuchen einige Klimaeffekte: Konkrete Angaben, wie viel Nur gute, intakte Böden sind optimale Kohlenstoff- und Wasser zu speichern. Das erhöht nicht nur die Industrienationen und Biotech-Konzerne die CO2 Treibhausgase die klimasmarte Landwirt- speicher. Weltweit könnten in solchen Böden zehn Pro- Bodenfruchtbarkeit, sondern auch die Biodiversität. Landwirtschaft in den Emissionshandel schaft einsparen könnte, fehlen – weil das zent der menschengemachten Emissionen gebunden Die industrielle Landwirtschaft ist nicht nur für ein (S. 16) einzubeziehen. Mit dem Kauf von CO2-Zerti- Konzept zu beliebig ist, um zuverlässige Aussagen zu werden. Wie Böden bearbeitet werden müssen, damit Drittel der weltweiten Treibhausgase verantwortlich, fikaten sollen Unternehmen ihre Emissionen herunter- treffen. Zudem schwankt der Kohlendioxidgehalt im sie mehr Kohlenstoff speichern, wissen Bäuerinnen und sie zerstört auch die Böden. Aber schlechte Böden kön- rechnen können. Denn viele Böden haben erhebliches Boden. Zur Kompensation von Emissionen aus der Bauern seit Langem: mit nachhaltigen und lokal ange- nen auch wieder zu guten werden. Statt industrieller Kohlenstoffspeicherpotenzial. Der Weltklimarat IPCC Verbrennung von fossilen Rohstoffen eignen sich passten Landnutzungs- und Anbaumethoden, bekannt Agrobetriebe mit hohem Verbrauch an künstlichen, mit schätzt das Senkenpotenzial der Böden weltweit auf bis Böden keinesfalls. Und der energieintensive Einsatz unter dem Fachbegriff Agrarökologie. Bedecken die großem Energieaufwand hergestellten Düngemitteln zu sechs Milliarden Tonnen CO2-Äquivalent. von Dünger und Pestiziden erhöht den CO2-Ausstoß angebauten Früchte den Boden vollständig oder wird braucht es mehr Unterstützung für die kleinbäuerliche, Die Agroindustrie und einige Industrieländer haben ebenso wie fossil angetriebene Maschinen und die mit Mulch und Ernterückständen der Boden geschützt, ökologisch angepasste Landwirtschaft und für lokale es geschafft, die ursprüngliche Idee der Climate Smart weiten Transportwege im globalen Handel. steigt das Kohlenstoffspeicherpotenzial. Der Boden Strukturen. Regionale, umweltgerechte Produktion Agriculture der FAO, der Ernährungs- und Landwirt- trocknet nicht so schnell aus und das Bodenleben ist von Lebensmitteln stärkt die lokalen Gemeinschaften, schaftsorganisation der Vereinten Nationen, umzudeu- Ökologische Folgen: Der Anbau in vitaler. Wichtig sind wechselnde Anbauzyklen, eine sichert Familienbetrieben das Einkommen und vermei- ten. Als die FAO den Ansatz 2010 vorstellte, ging es um Monokulturen mit intensivem Düngerein- regelmäßig Anbaupause (Brache) und der Einsatz von det CO2-Emissionen. eine Vielzahl – größtenteils nachhaltiger – land- und satz und vielen Pestiziden hat nicht nur zur Kompost und Gründüngung. Nebenbei helfen diese Gerade die Produktion von Fleisch in Großbetrie- forstwirtschaftlicher Maßnahmen zur Anpassung an Folge, dass Boden und Grundwasser massiv belastet Maßnahmen dabei, die agrarwirtschaftlichen Nähr- ben belastet das Klima und die Böden und ist für die Klimaveränderungen und um die Vermeidung von werden und immer mehr Arten bedroht sind – zum stoffkreisläufe wieder zu reaktivieren, denn Boden- Tiere eine Qual. Deshalb dürfen pro Hektar lediglich Emissionen. Dank intensiver Lobbyarbeit werden nun Beispiel die für die Befruchtung von Pflanzen lebens- kohlenstoff trägt dazu bei, Bodenpartikel, Nährstoff so viele Tiere gehalten werden, wie Mist, Gülle und auch nicht-nachhaltige Methoden als „klima-schlau“ be- wichtigen Bienen. Die industrielle Nutzung führt auch Hühnerkot naturverträglich ausgebracht werden kön- zeichnet. Längst fällt die Verwendung von gentechnisch dazu, dass Humus und Bodenlebewesen zerstört und nen. Das senkt die Nährstoffbelastung der Böden und verändertem Saatgut ebenso unter das gekaperte Label die Böden verdichtet werden und dass die Erosion Gewässer. Eine Steuer oder Abgabe auf Stickstoff kann wie Praktiken mit massivem Einsatz von Düngemitteln durch Wind und Wasser zunimmt. die Auswirkungen von Überdüngung ebenso mindern und Pestiziden und mit industrieller Fleischproduktion. wie eine fleischreduzierte Ernährung. Längst überfällig Alles mit dem Ziel, neue Märkte für Dünger, Herbizide Soziale Folgen: Statt Saatgut – wie in sind klare politische Vorgaben, wie viel Treibhausgas und Saatgut zu schaffen. jahrhundertelanger Tradition – selbst zu die Landwirtschaft einsparen muss. züchten, sind Bäuerinnen und Bauern auf Dünger, Herbizide und patentiertes Saatgut angewi- esen. Das untergräbt ihre Selbstbestimmung, v erringert die für die Anpassung an den Klima- wandel notwendige Flexibilität und erhöht die Abhängigkeit von großen Konzernen, die den W eltmarkt dominieren und große Profite einstreichen. 18 19
REDD: Das Geschäft mit Umdenken – dem Waldschutz aber wie? Idee: Seit Jahrtausenden holzen Menschen Vereinten Nationen FAO als „Wald“, obgleich sie eher Weltweit werden jedes Jahr Millionen Bäume gefällt Wälder ab. Heute ist die Entwaldung global. Holzäcker sind. Plantagen speichern nur den Bruchteil oder abgebrannt, um Waren herzustellen: den Brotauf- Es geht nicht mehr nur um Holz, sondern um des CO2 eines natürlichen Waldes. Zudem werden sie strich und die Hautcreme mit Palmöl, das Steak zum wertvollen Boden – ob zur Rinderzucht in Brasilien, für intensiv bewirtschaftet und das Holz wird kommerziell Abendessen, das Hähnchen vom Grill oder auch die Soja als Tierfutter in Argentinien oder Palmölplanta- vertrieben und so wieder in Umlauf gebracht. Tankfüllung – alles Alltagsprodukte, hinter denen wir gen in Indonesien. Doch Wald ist nicht nur wertvoller kaum den Wald vermuten. Entwaldung geschieht nicht Lebensraum für viele Tier- und Pflanzenarten, sondern Ökologische Folgen: Waldmonokulturen einfach so, sie wird in den Chefetagen multinationaler auch einer der wichtigsten Kohlenstoffspeicher der verhindern die Entstehung von natürlichen Konzerne geplant. Wälder verschwinden nicht zufällig, Erde. Bei der Abholzung wird Kohlenstoff, der in Baum Wäldern, laugen Böden aus und zerstören sondern aufgrund von Businessplänen. Ebenso beteiligt und Boden gespeichert ist, als CO2 frei. Deshalb ist ohne Biodiversität. Sind die Wälder im Besitz von Unter- sind politische Akteure und Entscheidungsträger, Waldschutz eine Begrenzung des Klimawandels nicht zu nehmen oder Regierungen, können die Grundstücke die das Land verkaufen – häufig illegal und mit hohen erreichen. jederzeit wieder veräußert werden, beispielsweise an Bestechungssummen. Am Ende der Kette sind die Kon- Das Waldschutzprogramm REDD – die englische Unternehmen, die Rohstoffe fördern wollen. Der Schutz sumenten an der Waldzerstörung beteiligt. Abkürzung für „Verringerung von Emissionen aus Ent- ist nicht garantiert und der Lebensraum Wald wird auf waldung und zerstörerischer Waldnutzung” – ist Teil des seine Funktion als Holzlieferant und CO2-Speicher Ursachen bekämpfen Weltklimavertrages der Vereinten Nationen. Um Abhol- reduziert. Die biologische Vielfalt bleibt auf der Strecke. zung zu verhindern, sollen diejenigen Geld bekommen, Ursache von Entwaldung ist die Ausbeutung und die den Wald erhalten. Doch wem gehört der Wald? Und Soziale Folgen: Gerade tropische Wälder im Vermarktung von natürlichen Ressourcen – so wird wem gehört das CO2, das die Bäume speichern? Amazonasbecken, in Zentralafrika und Süd- aus dem Regenwald eine Erdölförderstätte, eine Farm ostasien werden oft gemeinschaftlich von für Massenrinderzucht, ein Sojafeld für Tierfutter oder Klimaeffekt: Länder können sich den Schutz indigenen Völkern oder anderen lokalen Gemeinschaf- eine Palmölplantage. Ein erster Schritt muss deshalb CO2 ihrer Wälder auf ihre Klimaziele anrechnen ten bewirtschaftet und bewohnt. Für REDD werden sein, gegen die Verantwortlichen für die Rodung von lassen. Dementsprechend weniger müssen vielerorts Wälder privatisiert oder zu staatlichen wertvollem Wald vorzugehen – durch Bekämpfung sie in anderen Bereichen tun. Doch CO2wird nur Reservaten erklärt. Die Menschen vor Ort stören in von Korruption, Sanktionierung von Unternehmen dann als „vermiedene Abholzung” angerechnet, wenn den Augen der selbsternannten REDD-Waldschützer oder politisch Zuständigen und Maßnahmen gegen die tatsächlich eine Zerstörung geplant war. Bei bereits meist nur. Aus vielen Ländern gibt es Berichte über organisierte Kriminalität. Auch eine einseitige Privati- zerstörten oder als zerstört ausgewiesenen Flächen Landraub und Vertreibung für REDD-Projekte, obwohl sierung natürlicher Ressourcen muss verhindert wer- übernehmen oft Firmen die Wiederaufforstung. Sie das Programm noch gar nicht richtig läuft. Regierungen, den. Nur eine gemeinschaftliche Verwaltung durch die investieren in Plantagen und Monokulturen von schnell die traditionelle Landrechte nur zögerlich oder gar lokale Bevölkerung, öffentliche Behörden und Nicht- wachsenden Hölzern. Diese gelten laut der Definition nicht anerkennen und schützen, sind Mitwirkende beim regierungsorganisationen kann einen transparenten der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der „Verkauf“ des Landes und bei den Vertreibungen. und demokratischen Schutz der Wälder garantieren. Waldschutz ist nicht nur eine Herausforderung für den globalen Süden. Auch in Europa – wo der größte Teil des Waldes bereits vor langer Zeit zerstört wurde der Stopp von staatlichen Hermes-Kreditbürgschaften – sind Konzepte für eine ökologisch verträgliche Wald- für Unternehmen, die Tropenwald zerstören. bewirtschaftung gefragt. Es braucht zudem eine Politik Durch den Schutz und die Wiederherstellung natür- und Gesetze in Europa, die die Waldzerstörung in der licher Ökosysteme könnten bis zum Ende des Jahrhun- Welt nicht vorantreiben, sondern verhindern. Dazu derts weltweit 220 bis 330 Gigatonnen CO2 gebunden gehören der Abbau umweltschädlicher Subventionen, werden – ein wichtiger, aber einmaliger Beitrag, der eine ökologische Kehrtwende in der Agrarpolitik und sich nicht beliebig wiederholen lässt. 20 21 21
Müllverbrennung - Sackgasse Von der Wegwerf- zur für die Klimapolitik Kreislaufwirtschaft Idee: Konsumgesellschaften produzieren Umweltgifte (Persistent Organic Pollutants), die inter- Für ein nachhaltiges, ressourcenschonendes und CO2- Quelle getrennt und wiederverwertet, nur etwa ein unendlich viel Müll: Verpackungen, Ein- national verboten sind. Auch gehen wertvolle Rohstof- armes Wirtschaften ist ein Paradigmenwechsel nötig, Fünftel Restmüll muss anderweitig entsorgt werden. wegprodukte, industrielle Abfälle, Lebens- fe verloren, die aus den verbleibenden Aschen und der weit über den Abfallsektor hinausreicht: Weg von Schon 2010 wurden rund 160 Millionen t CO2- mittelabfälle, Elektroschrott – und vieles mehr. Eine Schlacken nicht mehr zurückgewonnen werden können. einer linearen Wirtschaft, in der Produkte und Verpa- Äquivalent pro Jahr in den 27 EU-Ländern allein durch verfehlte Abfallpolitik trägt erheblich zum Treibhausef- Das Wegwerfen und Verbrennen von Wertstoffen ckung weggeworfen und verbrannt werden, hin zu einer Recycling eingespart. Die Abfallziele im Kreislaufwirt- fekt bei, was oft übersehen wird. und Abfällen bedeutet daher, dass weltweit kontinuierlich Kreislaufwirtschaft, die Müll nicht entstehen lässt und schaft-Konzept der Europäischen Kommission könnten Als klimapolitische Lösung werden Biomasseabfälle neue Rohstoffe und Ressourcen abgebaut und entnom- deutlich weniger Rohstoffe und Energie verbraucht. zusätzlich jedes Jahr 190 Millionen Tonnen CO2- und Restmüll in Müllheizkraftwerken und Zementfabri- men werden müssen. Europa beispielsweise importiert Zentral ist hier die Reihenfolge: Zuerst ist Müll Emissionen in der EU einsparen – das entspricht den ken verbrannt. Die aus der Verbrennung von Biomüll bereits vier Mal so viel Rohstoffe wie es exportiert: Inter- bereits an der Quelle zu vermeiden, dann sollten gesamten jährlichen Emissionen der Niederlande. Die gewonnene Energie wird als „saubere“, CO2-neutrale nationale Ressourcengerechtigkeit sieht anders aus. Produkte wiederverwendet und repariert werden, Umsetzung steht jedoch noch aus. Bioenergie deklariert. Gleichzeitig sollen dabei Me- und dann erst sollte das Recycling anstehen. In einer thanemissionen eingespart werden, die sonst auf Soziale Folgen: Bei der Abfallverbren- Kreislaufwirtschaft sollten Rohstoffe möglichst immer Mülldeponien anfallen, und die als Treibhausgas 21mal nung entstehen große Mengen an sauren aus recycelten Materialien entnommen und nicht neu stärker als CO2 wirken. Dieser Ansatz ist jedoch weit Gasen und anderen gesundheitsschädlichen gewonnen werden. Auf diese Weise können auch neue entfernt von einer klimagerechten, gesundheitlich Nebenprodukten, die mit hohem Aufwand unschädlich Arbeitsplätze entstehen, die – wenn Arbeitsschutz und unbedenklichen und ressourceneffizienten Lösung. gemacht werden müssen. Dies geschieht aber nur in Menschenrechte geachtet werden – eine nachhaltige wenigen Ländern. So kommt es in der Umgebung von Lebensgrundlage ermöglichen. Klimaeffekt: Von der klimaschädlichen Müllheizkraftwerken und müllverbrennenden Zement- Wenn eine Neugewinnung von Ressourcen nicht CO2 Mülldeponierung, die noch in vielen Teilen fabriken zu erhöhten Krebsraten sowie Haut- und zu vermeiden ist, dann sind beim Abbau unbedingt der Welt praktiziert wird, muss dringend Atemwegserkrankungen - insbesondere in Ländern mit Ökosysteme und die Rechte lokaler Gemeinschaften zu Abstand genommen werden. Dieses Problem aber schwacher Umweltgesetzgebung. schützen. durch Abfallverbrennung aus der Welt schaffen zu Die Subventionierung von Müllverbrennung setzt Im Rahmen einer Kreislaufwirtschaft, die vor allem wollen, ist der falsche Weg. gesellschaftlich und ökonomisch Anreize, mehr Müll zu auf Vermeidung von Abfällen setzt, kann Recycling Der angebliche positive Klimaeffekt von Müllverbren- produzieren, anstatt Ressourcennutzung klimagerecht positive Klimaeffekte entfalten. Durch Recycling kön- nung oder –mitverbrennung ist gering: Die aus biolo- zu reduzieren. Das Müllsammeln und Recyceln bie- nen gegenüber der Neuproduktion z.B. bei Polyethylen- gischen Abfällen erzeugte Energie ist nicht CO2-neutral! tet vielen Menschen informelle zusätzliche Einnah- Folie rund 70 Prozent an Primärrohstoffen eingespart Vielmehr produziert Energie aus Biomasse in aller Regel mequellen, wenn auch oft unter problematischen werden. Jedes Kilogramm Kunststoff, das dem Recy- zusätzliche Treibhausgase. Die Mitverbrennung von Arbeitsbedingungen und mangelhafter cling zugeführt wird statt im Restmüll zu landen, spart Abfällen in Zementwerken erzeugt direkte, aber auch Arbeitssicherheit. Sie gehen 1,26 Kilogramm CO2. indirekte Emissionen durch die notwendige Neuproduk- durch industrielle Doch es ist noch mehr möglich. Zahlreiche Beispiele tion der verbrannten Materialien und Produkte. Müllverbrennung belegen die Machbarkeit und Wirksamkeit einer Trans- verloren. formationsstrategie, die tatsächlich auf Null-Abfall setzt: Ökologische Folgen: Bei der Verbrennung In Bayern wurde auf Druck von Bürgerinitiativen die Ein- von Müll fallen neben Treibhausgasen auch führung der getrennten Sammlung von Haushaltsabfäl- andere schädliche Emissionen an, insbeson- len erreicht und damit die Restmüllmenge pro Kopf von dere bei industriellen Abfällen und z.B. 1988 bis2014 um 58 % gesenkt. Auch die italienische halogenhaltigen Kunststoffen. So Kleinstadt Capannori in der Toskana hat sich 2007 einer entstehen etwa Null-Abfall-Strategie verschrieben. Heute, ein Jahrzehnt langlebige später, produziert die Stadt 40% weniger Müll. Gut organische vier Fünftel des städtischen Mülls werden direkt an der 22 23
Nachbemerkung Literatur Der globale Temperaturanstieg ändert unsere Viele unserer Kolleginnen und Kollegen aus Kann es gelingen, den notwendigen Kurswechsel Ballinger, Ann; Hogg, Dominic (2015): The Potential Lebensbedingungen auf drastische Art und Weise. der Zivilgesellschaft, aber auch Experten und und die erforderliche grundlegende Transformation Contribution of Waste Management to a Low Carbon Hitzewellen, Dürren, Überschwemmungen und Expertinnen aus Wissenschaft und Politik rechnen unserer Gesellschaften in kurzer Zeit zu Economy. Zero Waste Europe: http://bit.ly/2rHMlRR Wirbelstürme fordern Todesopfer und Verletzte, bereits damit, dass das maximale Emissionsbudget bewerkstelligen? Rechtzeitig, um den Klimakollaps BUND (2015): Position Klimagerechtigkeit: verursachen schwere wirtschaftliche Schäden und zur Unterschreitung der 1,5-Grad-Grenze nicht abzuwenden? Der erste Schritt muss sein, wirklichen http://bit.ly/2egxxTR bringen immer mehr Menschen dazu, ihre Heimat eingehalten wird. Deshalb fließen viele Ressourcen Alternativen, gerechten Lösungen und transformativem zu verlassen. Lange war es tabu, den Klimawandel zu in die Erforschung von Technologien, die das Handeln zum Durchbruch zu verhelfen. Dazu wollen Ekardt, Felix (2016): Suffizienz: Politikinstrumente, den Migrationsursachen zu zählen. Mittlerweile wird erwartbare Zuviel an CO2 unter der Erde speichern wir mit dieser Publikation beitragen. Grenzen von Technik und Wachstum und die Klimawandel als eine der zentralen Ursachen für das oder anderweitig aus der Atmosphäre entfernen und schwierige Rolle des guten Lebens: http://bitly/2edGnna Verlassen von Heimat anerkannt. Der Klimawandel ist unschädlich machen sollen. Vielen dieser Vorschläge ist Ernsting, Almuth; Munnion, Oliver (2015): Last Ditch zur Klimakrise geworden. gemein, dass sie teuer sind, unerprobt und verbunden Climate Option or Wishful Thinking? Bioenergy with Um die schlimmsten Auswirkungen des Klima- mit einem hohen Flächenverbrauch sowie großen Carbon Capture and Storage. Biofuelwatch: wandels zu verhindern, bleibt uns noch ein kleines Risiken für die direkt betroffenen Menschen und http://bit.ly/2ea0Wib Zeitfenster. In den nächsten zehn Jahren müssen Ökosysteme. Sie verführen außerdem dazu zu glauben, Hubert Weiger und können wir den Treibhausgasausstoß drastisch wir könnten so weiter wirtschaften wie bisher. Die Bund für Umwelt und Naturschutz Fatheuer, Thomas; Fuhr, Lili; Unmüßig, Barbara (2015): reduzieren. Realität und auch das neue Klimaabkommen fordern Kritik der Grünen Ökonomie. München: Deutschland (BUND) Wenn wir den Klimawandel eindämmen – dies jedoch das Gegenteil. Und vielerorts gibt es Initiativen http://bit.ly/2dX76CB würde die Begrenzung der globalen Erwärmung auf 1,5 und Beispiele, die in die richtige Richtung weisen. Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) Grad gegenüber dem vorindustriellen Niveau bedeuten Dennoch ist es die technologische Symptombe- 2014: Fifth Assessment Report: http://bit.ly/2egvNKm – würden wir eine der Ursachen für Migration abbauen. kämpfung, die aktuell im Mainstream der klima- Wir würden Ökosysteme schützen und das Überleben politischen Debatte viel Gehör findet. Oft auch als Friends of the Earth International (2015): Why Barbara Unmüßig Community Forest Management Matters: von Millionen Menschen sowie von unzähligen Tier- einzig denkbarer und als einzig machbarer Weg, der und Pflanzenarten ermöglichen. Heinrich Böll Stiftung http://bit.ly/2dolL7l in Betracht gezogen wird. Dabei gibt es viele andere Die internationale Gemeinschaft hat sich 2015 in Emissionsminderungsstrategien, die wir nicht nur Kartha, Sivan; Dooley, Kate (2016): The Risks of Paris dazu bekannt, alles zu tun, die globale Erwärmung hier und jetzt, sondern auch unter Wahrung von Relying on Tomorrow’s ‘Negative Emissions’ to Guide auf deutlich unter 2 Grad zu begrenzen. Doch wie Menschenrechten und demokratischer Teilhabe Today’s Mitigation Action. Stockholm Environment soll das gehen? Die historische Klimakonferenz von umsetzen können: Kohleausstieg, Ausbau der Institute, Somerville: http://bit.ly/2dY11I7 Paris liegt schon länger hinter uns, das weltweite erneuerbaren Energien, Schutz von Wäldern und Pirmin Spiegel Klima-Abkommen ist bereits Anfang November Mooren, Agrarökologie und eine Neugestaltung der Misereor La Via Campesina; GRAIN (2014): Food sovereignty: 2016 in Kraft getreten. Aber weiterhin ist unklar, was Mobilität. Wenn solche Maßnahmen noch vor 2020 five steps to cool the planet and feed its people: genau passieren soll, um die CO2-Konzentration in von der Staatengemeinschaft umgesetzt würden, http://bit.ly/2dknoYt der Erdatmosphäre nicht weiter steigen zu lassen sind enorme Fortschritte beim Klimaschutz, beim MISEREOR (2016): Anstiftung zur Rettung der Welt. und die Emissionen drastisch zu senken. Dieser Schutz von Ökosystemen und der Verringerung der Ein Jahr Enzyklika „Laudato Si“: http://bit.ly/1rFPpfN Handlungsdruck findet jedoch bis heute kaum Armut möglich. Vielleicht würden sie sogar genügen, Moreno, Camila; Speich Chassé, Daniel; Fuhr, Lili (2016): Eingang in nationale Politiken und führt nicht zu um die katastrophalsten Folgen des Klimawandels CO2 als Maß aller Dinge. Die unheimliche Macht von entsprechenden Maßnahmen. Deutschland und Europa abzuwenden. Utopisch? Wohl kaum mehr als die vage Zahlen in der globalen Umweltpolitik. Hrsg. Heinrich- sind da keine Ausnahmen. Hoffnung, wir könnten mit den Folgen einer um 3 Grad Böll-Stiftung, Berlin: http://bit.ly/2dMKAjL Celsius oder mehr wärmeren Welt schon irgendwie umgehen. Papst Franziskus 2015: Enzyklika Laudato Si. Über die Sorge um das gemeinsame Haus: http://bit.ly/2dxwgsj 24 25
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