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10 % Refugialflächen in Baden-Württemberg – Wie funktioniert das und was bringt es? Naturschutztage Baden-Württemberg 06. – 08.01.2022 Dr. Sabine Geißler-Strobel (Freie Landschaftsökologin) Sprecherin Initiative Artenvielfalt Neckartal (IAN) Dr. S. Geißler-Strobel - Naturschutztage NABU/BUND 2022 – 07.01.2022
Inhalt 1. Refugialflächen - Woher stammt der Begriff und was versteht der Gesetzgeber darunter? 2. Refugialflächen in Ackerbaugebieten - Positiv- und Negativbeispiele 3. Wie funktioniert das und was bringt es? – Beispiel Rebhuhnschutzprojekt im Landkreis Tübingen 4. Fazit und Ausblick Dr. S. Geißler-Strobel - Naturschutztage NABU/BUND 2022 – 07.01.2022
1. Refugialflächen – Woher stammt der Begriff und was versteht der Gesetzgeber darunter? Dr. S. Geißler-Strobel - Naturschutztage NABU/BUND 2022 – 07.01.2022
Feldvögel (Acker- und Wiesenbrüter) Biodiversitätsstärkungsgesetz gehören (seit 31.07. zu deninam 2020 Kraft) stärksten Reaktion aufgefährdeten Volksbegehren Arten (Trend „Rettet die in ganz Europa) Bienen“ Wichtige Wechselwirkungen Foto: Heribert Baur Dr. S. Geißler-Strobel - Naturschutztage NABU/BUND 2022 – 07.01.2022
Feldvögel (Acker- und Wiesenbrüter) gehören zu den am Gesetzliche Definition der Refugialflächen stärksten gefährdeten Arten (Trend in ganz Europa) Gemäß § 4 Abs. 8 (neu) des Landwirtschafts- und Landeskulturgesetzes (LLG) sind Refugialflächen „Habitate, in die sich Tier- oder Pflanzenarten zurückziehen, weil in ihren ursprünglichen, oftmals durch frühere Landnutzungsformen im Offenland entstandenen Lebensräumen aus verschiedenen Gründen kein Überleben mehr möglich ist. Refugialflächen dienen daher vorrangig als Lebens- und Rückzugsräume für Tier- und Pflanzenarten.“ Gesetzliches Ziel: In LLG § 17d wird folgendes Ziel formuliert: „Das Land wird den Anteil an Refugialflächen mittelfristig landesweit auf mindestens 10 Prozent der Fläche je landwirtschaftlicher Landnutzungsart ausbauen. Ziel des Landes ist es, dass jeder landwirtschaftliche Betrieb einen Mindestanteil von 5 Prozent an ökologisch wirksamen Maßnahmen umsetzt. Welche Nutzungsformen oder Flächen als Refugialflächen anerkannt werden, wird durch eine Verwaltungsvorschrift der zuständigen obersten Landwirtschaftsbehörde im Einvernehmen mit der obersten Naturschutzbehörde geregelt.“ Foto: Heribert Baur Dr. S. Geißler-Strobel - Naturschutztage NABU/BUND 2022 – 07.01.2022
Aus der Gesetzesbegründung: Feldvögel (Acker- und Wiesenbrüter) gehören zu den am zu § 17 d – Refugialflächen stärksten gefährdeten Arten (Trend in ganz Europa) „Die biologische Vielfalt geht insbesondere in den intensiv landwirtschaftlich genutzten Regionen zurück. Insbesondere fehlen Rückzugs- und Überlebensräume (Refugialflächen) sowohl im konventionellen als auch im ökologischen Landbau. Wissenschaftliche Untersuchungen zeigen, dass der Anteil an besonders biodiversitätsfördernden Maßnahmen in der Agrarlandschaft bei mindestens 10 % liegen muss, um weitere Biodiversitätsverluste zu verhindern. Für einzelne Artengruppen ist ein deutlich höherer Anteil anzustreben. Daher wird das Land vorhandene Maßnahmen verstärken und neue entwickeln, um mittelfristig landesweit auf 10% der landwirtschaftlichen Fläche Fördermaßnahmen (zum Beispiel FAKT und LPR) durchzuführen, die eine besonders biodiversitätsfördernde Funktion und Wirkung entfalten……. Sofern geeignete Refugialflächen in den Suchräumen des Biotopverbundes liegen, können diese zur Erreichung der Ziele des Biotopverbundes beitragen. Foto: Heribert Baur Dr. S. Geißler-Strobel - Naturschutztage NABU/BUND 2022 – 07.01.2022
Refugialflächen (Zusammenfassung) Feldvögel (Acker- und Wiesenbrüter) gehören zu den am - Rückzugs- und Lebensräume mit besonderer biodiversitätsfördernder stärksten Wirkung! gefährdeten Arten (Trend in ganz Europa) - Mittelfristig 10 % der landwirtschaftlichen Nutzfläche - Umsetzung auf Betriebsebene freiwillig - Ziel: mindestens 5 % je landwirtschaftlichem Betrieb - Anrechnung je Nutzungsart (Acker/Grünland/Sonderkulturen) - Attraktive Förderangebote für Landwirte (konventionell und ökologisch) - Anerkennung der Refugialflächen regelt Verwaltungsvorschrift des MLR im Einvernehmen mit UM Foto: Heribert Baur Dr. S. Geißler-Strobel - Naturschutztage NABU/BUND 2022 – 07.01.2022
Beteiligung Naturschutzverbände Feldvögel (Acker- und Wiesenbrüter) gehören zu den am - Gemeinsame Vorschläge NABU/BUND/LJV/LNV stärksten gefährdeten Arten (Trend in ganz Europa) - „Festlegung von Refugialflächen, die der Artenvielfalt wirklich dienen“ – übermittelt ans UM/MLR (09.06. ergänzt 30.06.2021) - Frühzeitige Öffentlichkeitsbeteiligung/Verbändegespräche 06/07 2021 - Entwurfsfassung MLR zur Stellungnahme vorgelegt am 14.12.2021 - Stellungnahme Verbände bis 25.01.2021 - Inkrafttreten der Verwaltungsvorschrift zum 01.03.2022 geplant Foto: Heribert Baur Dr. S. Geißler-Strobel - Naturschutztage NABU/BUND 2022 – 07.01.2022
2. Refugialflächen in Ackerbaugebieten Positiv- und Negativbeispiele Dr. S. Geißler-Strobel - Naturschutztage NABU/BUND 2022 – 07.01.2022
Zentrale Bedeutung als Refugialflächen - Mehrjährige (Blüh-)brachen Dr. S. Geißler-Strobel - Naturschutztage NABU/BUND 2022 – 07.01.2022
Besondere Wirksamkeit zur Biodiversitäts-Sicherung durch zahlreiche Studien seit vielen Jahren wissenschaftlich belegt (kleine Auswahl) 2003 - 2007 2013 2014 2020 https://www.lfl.bayern.de/mam/cms07/ https://www.ifls.de/fileadmin/user_ https://www.dvl.org/uploads/tx_ttprod Quelle: OPPERMANN, R., PFISTER, S. publikationen/daten/schriftenreihe/faun upload/Abbildungen/Projekte/Hand ucts/datasheet/DVL-Publikation- C., EIRICH, A. (HRSG., 2020): istische-evaluierung_bluehflaechen_lfl- buch_OEVForsch/Handbuch_OEV Fachpublikation_Wer_Vielfalt_saet_s Sicherung der Biodiversität in der schriftenreihe-1-2014.pdf Forsch_mit_Merkblaettern.pdf chafft_Lebensraeume.pdf Agrarlandschaft – Quantifizierung des Maßnahmenbedarfs und Empfehlungen zur Umsetzung. Institut für Agrarökologie und Biodiversität (IFAB), Mannheim, 191 S. Dr. S. Geißler-Strobel - Naturschutztage NABU/BUND 2022 – 07.01.2022
Blühbrachen: Warum mehrjährig und nicht einjährig? ➢ Mindestens 5 Jahre auf derselben Fläche ➢ Wesentlich höhere Wirksamkeit (belegen zahlreiche Studien) ➢ Ganzjährig Nahrung, Deckung und Reproduktionsmöglichkeiten für Insekten und Feldvögel u.a. ➢ Je nach Mischung und Naturraum können auch rückläufige und gefährdete Insektenarten gefördert werden ➢ Mehrjährige (Blüh-)brachen als besonders biodiversitätsfördernde Maßnahmen wichtigste Refugialflächen in Gebieten mit intensiver ackerbaulicher Nutzung Dr. S. Geißler-Strobel - Naturschutztage NABU/BUND 2022 – 07.01.2022
Einjährige Blühbrachen ➢ Ansaat bis 15. Mai, Umbruch je nach Folgekultur ab Sept./Nov. ➢ Geringe Bedeutung als Brutplatz für Feldvögel ➢ Keine Winterdeckung ➢ Für Insekten: ➢ Kurzzeitig Nahrungshabitat – fördern v.a. ungefährdete Generalisten ➢ Wirkung als „Brutfalle“ – Anlockwirkung, bei Eiablage keine erfolgreiche Reproduktion (z.B. sämtliche Stängel-, Halm- und Streuüberwinterer) ➢ Können Insektenrückgang sogar noch beschleunigen Einjährige (Blüh-)brachen als Refugialflächen ungeeignet Dr. S. Geißler-Strobel - Naturschutztage NABU/BUND 2022 – 07.01.2022
Beispiel Wildbienen ➢ ¾ aller Wildbienen sind Bodenbrüter – benötigen ungestörte Bodenflächen ➢ Weitere Arten überwintern in hohlen Stängeln von abgeblühten Pflanzen ➢ Hoher Anteil Wildbienen auf zwei- oder mehrjährige Pflanzenarten spezialisiert ➢ Kleine Wildbienenarten haben geringen Radius – z.T. nur 100m – benötigen Nahrungs-/Nist- und Überwinterungsflächen im engen räumlichen Kontakt ➢ nur in mehrjährigen Blühbrachen zu realisieren (Quelle: Leon Wurz, RP Stuttgart, Landinfo 3/2019) Dr. S. Geißler-Strobel - Naturschutztage NABU/BUND 2022 – 07.01.2022
Beispiel Feldvögel – Bruten überwiegend erst ab 2. Brachejahr - Feldlerche - Schwarzkehlchen - Orpheusspötter - Dorngrasmücke - Neuntöter - Bluthänfling - Goldammer - Grauammer Quelle: Zollinger, J.L., Birrer, S., ZBINDEN, N., Korner, F. (2013): The optimal age of sown field margins für farmland birds.- Ibis (013): 779-791 Dr. S. Geißler-Strobel - Naturschutztage NABU/BUND 2022 – 07.01.2022
Bestand einjähriger/mehrjähriger Blühbrachen - Förderung über FAKT in BW – Stand 2020 Blühbrachen gefördert über FAKT Fläche Anteil Fördersumme Einjährige Blühbrachen (FAKT E2.1, E2.2) 18.422 ha 98,2 % 12.554.556 € Mehrjährige Blühbrachen (FAKT E7) 337 ha 1,8 % 181.922 € Anteil einjähriger und mehrjähriger FAKT- Auf ca. 2 % der Brachen in Baden-Württemberg 2020 Ackerflächen ungünstige 2% einjährige einjährige Blühbrachen (FAKT Blühbrachen – E2.1, E2.2) Fördersumme > mehrjährige Blühbrachen (FAKT 98% E7) 12,5 Mio. €/Jahr Quelle: Drucksache 16/9706 Landtag von Baden-Württemberg – Stellungnahme des Ministeriums für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz Dr. S. Geißler-Strobel - Naturschutztage NABU/BUND 2022 – 07.01.2022
Feldvögel (Acker- Gemeinsames und Wiesenbrüter) Eckpunktepapier gehören zu den am MLR/UM - 15.10.2019 stärksten gefährdeten Arten (Trend in ganz Europa) Als Refugialflächen gelten Landschaftselemente wie Hecken und Raine, insbesondere mehrjährige Blühflächen und Brachen, Altgrasstreifen sowie extensiv bewirtschaftetes, artenreiches Grünland. Die Refugialflächen sind je Landnutzungsart (Acker, Dauergrünland) auszuweisen. Die Anlage mehrjähriger Blühflächen in Gewässerrandstreifen soll weiter ausgebaut werden. Allein durch Ersatz der einjährigen durch mehrjährige Blühbrachen in Baden-Württemberg könnten ohne zusätzliche Flächeninanspruchnahme auf ca. 2 % der Ackerflächen wichtige Refugialflächen entstehen! Foto: Heribert Baur Dr. S. Geißler-Strobel - Naturschutztage NABU/BUND 2022 – 07.01.2022
Weitere wichtige Refugialflächen in Ackerbaugebieten (Auswahl) Acker-Rittersporn (Consolida spec.) Schutzäcker für gefährdete Ackerwildkräuter Dr. S. Geißler-Strobel - Naturschutztage NABU/BUND 2022 – 07.01.2022
„Lichtäcker“ - Getreide mit „weiter Saatreihe, reduzierter Saatstärke“ und Verzicht auf PSM Rebhuhngelege in lückigem Biodinkelacker Foto: B. Keller Gewässerrandstreifen mit Altgrasbeständen/mehrjährigen Blühbrachen Dr. S. Geißler-Strobel - Naturschutztage NABU/BUND 2022 – 07.01.2022
Refugialflächen im Ökolandbau Getreide-Leguminosengemenge - Oft Bestandteil der Fruchtfolge im Biolandbau - Oft vglw. lichte, wildkrautreiche Bestände Dr. S. Geißler-Strobel - Naturschutztage NABU/BUND 2022 – 07.01.2022
Schutzmaßnahmen im Feldfutterbau Kleegras/Luzerne wichtiger Bestandteil der Fruchtfolgen im Ökolandbau: - Strukturell z.T. hohe Attraktivität - Hohe Falleneffekte für Feldvögel durch Mahd während Brutzeit - Bruten und Altvögel – Verlustraten z.T. 98 % (Quelle: FUCHS & STEIN-BACHINGER 2008) Minderung des Falleneffekts - - Verschiedene Mahdvarianten - 20m breite ungemähte Vogelstreifen (linke Bildseite) Mit Zunahme Ökolandbau – wachsende Bedeutung! Foto: Heiner Götz Dr. S. Geißler-Strobel - Naturschutztage NABU/BUND 2022 – 07.01.2022
Kleinstrukturen als Refugialflächen – z.T. geschützte Biotope (§ 33 NatSchG) Stufenraine mit Kraut-/Altgrassäumen Gut besonnte Lössböschungen Vernässungsstellen in Äckern Dr. S. Geißler-Strobel - Naturschutztage NABU/BUND 2022 – 07.01.2022
Graswege und artenreiche Säume Regelmäßig gepflegte Niederhecken mit hohen Saumanteilen (bestehende Hochhecken für Offenlandarten wieder aufwerten) Dr. S. Geißler-Strobel - Naturschutztage NABU/BUND 2022 – 07.01.2022
Welche Bedeutung hat Neuentwicklung von Gehölzen? Starke Zunahme der Gehölzfläche in BW von 1996 bis 2010 Hauptgründe 1. Gehölzsukzession v.a. Grenzertragsstandorte: (Magerrasen/Moore/Feuchtgebiete) 2. Flächige Gehölzpflanzungen im Offenland 3. Aufforstungen Zusätzlich lineare Gehölzentwicklung Biotopverbund/Gewässerränder/Straßenränder /Bahnböschungen Auch Ergebnis der landesweiten Biotopkartierung: Gehölzbiotope haben zu Quelle: Trautner, J., Straub, F. , Mayer, J. (2015): Artenschutz bei häufigen gehölzbrütenden Vogelarten. Was ist wirklich Lasten von Offenlandbiotopen stark erforderlich und angemessen?.- Acta ornithoecologica, Jena 8 (2015): 75-95. zugenommen Basisdaten: Regionalstatistik „Bodenfläche nach Art der tatsächlichen Nutzung“ der Statistischen Ämter des Bundes und der Länder (abgerufen über die GENESIS-Datenbank des Statistischen Bundesamts, https://www-genesis.destatis.de). Datenquelle für Landkreis- und Bundeslandgrenze: LGL, www. lgl-bw.de. Dr. S. Geißler-Strobel - Naturschutztage NABU/BUND 2022 – 07.01.2022
Es mangelt nicht an Gehölzen – Ackerbaulandschaften waren traditionell gehölzarm Wenn Zweifel bestehen lohnt ein Vergleich mit alten Luftbildern aus dem Jahr 1968: https://www.leo-bw.de/web/guest/kartenvergleich Beispiel: Ackerbaulandschaft südwestlich Heitersheim (südlicher Oberrhein) Dr. S. Geißler-Strobel - Naturschutztage NABU/BUND 2022 – 07.01.2022
Gehölzentwicklung in Baden-Württemberg fortschreitend Kurzumtriebsplantagen (KUP), Agroforstsysteme, Empfehlung Gewässerrandstreifen, Ökokonto, Biotopverbund, Wildtierkorridore u.a. Für Feldvögel können schon einzelne Flächen große Areale vollständig entwerten: - Meidung von hohen Baumkulissen bis 200 m – Grauammer, Feldlerche, Kiebitz - 500 m Baumhecke entwertet in Feldbrütergebieten bis zu 20 ha Bruthabitat, 1 ha KUP nach Aufwachsen bis zu 25 ha Wer wurde gefördert? - häufige ungefährdete Gehölzbrüter (Amsel, Mönchsgrasmücke) Wer sind die Verlierer? - hochgradig gefährdete Offenlandarten, nicht nur Feldvögel Dr. S. Geißler-Strobel - Naturschutztage NABU/BUND 2022 – 07.01.2022
Bsp. Ammertal westlich von Tübingen – Vogelschutzgebiet (VSG) Schönbuch 1968: „Ausgeräumte Landschaft“ Aktuell: „Guter Gehölzverbund“ Zunahme häufige ungefährdete Gehölzbrüter Verlust Feldvogelarten des VSG – Braunkehlchen, Kiebitz, Grauammer, Rebhuhn Dr. S. Geißler-Strobel - Naturschutztage NABU/BUND 2022 – 07.01.2022
Foto des vorherigen Landschaftsausschnitts Kulissenwirkung durch Gehölzpflanzung/-sukzession (Biotopverbund/Gewässerentwicklung) Lebensraum für Feldvogelarten des VSG vollständig entwertet Foto: Michael Braunicke Foto: Heribert Baur Foto: Heribert Baur Foto: Markus Römhild Kiebitz Braunkehlchen Grauammer Rebhuhn Dr. S. Geißler-Strobel - Naturschutztage NABU/BUND 2022 – 07.01.2022
Zielkonflikte auch mit Insektenschutz - Gehölze haben vielfach bedeutende „Refugialflächen“ für blütenbesuchende Insekten ersetzt Beispiel Schwäbische Alb 1990: Blumenreiche Säume weit 2015: Blumenreiche Säume verbreitet - wichtige Refugialflächen weitgehend durch Gehölze ersetzt für blütenbesuchende Insektenarten Zunahme: Häufige ungefährdete Gebüsch- und Gehölzbewohner Verlust: Rote Liste Arten Insekten und Feldvögel Dr. S. Geißler-Strobel - Naturschutztage NABU/BUND 2022 – 07.01.2022
Beispiel: Verlust kleinflächiger Refugialflächen – Bsp. Feuchtbiotop Schlangenknöterich Randring-Perlmutterfalter Gärtringen-Rohrau - Verlust eines Habitats des Randring-Perlmutterfalters (RL2 !) 1993 – 430 Falter, 2003 war das Vorkommen infolge Gehölzsukzession erloschen Daten und Fotos: G. Hermann Dr. S. Geißler-Strobel - Naturschutztage NABU/BUND 2022 – 07.01.2022
➢ Im Mangel sind wertgebende Offenlandstrukturen als Refugialflächen ➢ Mehrjährige Blühbrachen ➢ Magere blütenreiche Säume und Ackerrandstreifen ➢ Nicht jährlich gemähte Altgrasbestände ➢ Lückige Getreidebestände ➢ Vernässungsstellen in Äckern ➢ Sehr extensive Ackernutzungen Dr. S. Geißler-Strobel - Naturschutztage NABU/BUND 2022 – 07.01.2022
Vorschlag der Naturschutzverbände für „Refugialflächen, die der Artenvielfalt wirklich dienen“ (Auswahl) Anerkennung als Refugialflächen Keine Anerkennung als Refugialflächen Mehrjährige (Blüh)-brachen Einjährige Blühbrachen - Blühbrache ohne Mindestnutzung (FAKT E8) - Stattdessen Umstieg von einjährigen auf - Blühbrache mit jährlich nur halbseitigem Umbruch wirksame mehrjährige Blühbrachen (FAKT E7) Kurzumtriebsplantagen/Agroforst/sonstige - Ackerbrache mit Selbstbegrünung Aufforstungen von Offenland Lichter Getreideacker Zwischenfrüchte - mit weiter Saatreihe ohne PSM-Einsatz Erhöhung des Anteils „Leguminosenanbau“ Gewässerrandstreifen - Hohe Falleneffekte für Feldvögel - mit Entwicklung mehrjährige Blühbrachen, Ökolandbau generell Hochstaudenfluren, Altgrasbestand Bauplanungs- und naturschutzrechtliche Schutzäcker Kompensationsmaßnahmen - für gefährdete Ackerwildkräuter Fläche mit bestimmtem rechtlichen Status generell Mahdvarianten und Brachestreifen im Kleegras- - nicht Schutzstatus, sondern Qualität bestimmt /Luzerneanbau Eignung als Refugialfläche - zur Erhöhung des Bruterfolgs Strukturelemente - Erhalt/Anlage (z.B. ephemere Kleingewässer, gehölzarme Lössböschungen, Lehmwände, bestehende Hecken…) Dr. S. Geißler-Strobel - Naturschutztage NABU/BUND 2022 – 07.01.2022
3. Refugialflächen - Wie funktioniert das und was bringt es? Beispiel Rebhuhnschutzprojekt im Landkreis Tübingen Dr. S. Geißler-Strobel - Naturschutztage NABU/BUND 2022 – 07.01.2022
Rebhuhn – Indikatorart für struktur- und artenreiche Ackerbaulandschaften Quelle: Mathias Kramer – Feldvögel in Baden-Württemberg – Bestandsentwicklungen und Gefährdungsursachen – Präsentation beim Landschaftspflegetag Baden-Württemberg, 23.09.2021 Bestandsrückgang um ca. 99 %, in BW vom Aussterben bedroht (RL 1) Dr. S. Geißler-Strobel - Naturschutztage NABU/BUND 2022 – 07.01.2022
Rückgangsursachen 1. Nutzungsintensivierung (Acker und Grünland) 2. Gehölzpflanzungen/-sukzession (Feldvögel meiden hohe Gehölzkulissen) 3. Sonstiges (Habitatzerstörung ohne Funktionserhalt, Prädation, Freizeitdruck etc.) Dr. S. Geißler-Strobel - Naturschutztage NABU/BUND 2022 – 07.01.2022
Rebhuhnschutzprojekt im Landkreis Tübingen NABU-Vogelschutzzentrum Mössingen (Laufzeit April 2017 – Ende 2022) in Kooperation mit LEV VIELFALT e.V. und IAN, gefördert durch PLENUM BW Foto: M. Eick Foto: M. Eick Dr. S. Geißler-Strobel - Naturschutztage NABU/BUND 2022 – 07.01.2022
Projektinhalte (Auswahl) • Maßnahmenkatalog für landwirtschaftliche Betriebe • Pflegekonzept für Hecken • Beratung der Landwirte und fachliche Begleitung Maßnahmenumsetzung • Ehrenamtliches Monitoring • Erarbeitung Biotopverbundkonzept (2021) • Öffentlichkeitsarbeit Ausgangssituation • 2015 nur noch ca. 30 Reviere im Landkreis (ca. 250 noch Mitte der 1980er Jahre) • Viele Kerngebiete bereits verwaist • Erlöschen der Restvorkommen ohne gezielte Grundlage Flächenkulisse Maßnahmen absehbar relevanter Offenlandbereiche (Masterarbeit Uni-Tübingen 2015, s. SEIDT et al. 2017) Foto: M. Eick Dr. S. Geißler-Strobel - Naturschutztage NABU/BUND 2022 – 07.01.2022
Maßnahmenschwerpunkte - Mehrjährige Blühbrachen als wichtigste Refugialflächen Lagekriterien – Voraussetzung für Wirksamkeit • Breite ≥ 20m, in Ausnahmefällen ≥ 12 m • Mindestabstände zu Kulissen (Wald /hohe Gehölze ≥ 150m, Siedlung/Straßen ≥ 50 m) • Lage nicht parallel zu angrenzenden Feldwegen • Möglichst mehrere Maßnahmenflächen im räumlichen Verbund - Umwandlung von Hochhecken in Niederhecken Foto: Dr. Nils Anthes Dr. S. Geißler-Strobel - Naturschutztage NABU/BUND 2022 – 07.01.2022
Mehrjährige Blühbrachen- jährlich halbseitig alternierend umgebrochen und neu eingesät (Blüh-, Brut- und Rückzugsflächen/FAKT E7 – seit 2019) Dr. S. Geißler-Strobel - Naturschutztage NABU/BUND 2022 – 07.01.2022
Mehrjährige Blühbrache - ohne Mindestnutzung („Brachebegrünung mit mehrjährigen Blühmischungen“ - FAKT E8 seit 2021) 4. Standjahr Dr. S. Geißler-Strobel - Naturschutztage NABU/BUND 2022 – 07.01.2022
Umwandlung von Hochhecken in Niederhecken Fachgerecht auf den Stock gesetzter Heckenabschnitt (Regelfall) Ggf. auch durch Fällung von Überhältern Hecken oft geschützte Biotope nach § 33 NatSchG; vor Erstpflege Abstimmung mit UNB Dr. S. Geißler-Strobel - Naturschutztage NABU/BUND 2022 – 07.01.2022
Stand der Maßnahmenumsetzung (Stand 04/2021) Ackermaßnahmen (v.a. LPR-Verträge) • Ca. 60 ha mehrjährige Brachen • > 80 Flächen • 21 Landwirte beteiligt Heckenpflege (Kommunen, Landwirte, Naturschutzverbände) • > 7 km Hochhecken in Niederhecken umgewandelt • 40 von 392 erfassten Hecken Gelb: mehrjährige Blühbrachen, rot: Umwandlung Hochhecke/Niederhecke u. Folgepflege als Niederhecke (Quelle: LEV VIELFALT e.V.) Dr. S. Geißler-Strobel - Naturschutztage NABU/BUND 2022 – 07.01.2022
Biotopverbundkulisse Rebhuhn Landkreis Tübingen (ca. 80 km²) Verbund- Kriterien funktion Kernraum Aktuell besiedelte Teilgebiete - Nach- weise aus den letz- ten fünf Jahren vor- liegend Entwick- Verwaiste Teilge- lungs- biete mit Entwick- raum lungspotenzial Korridor Zusätzliche Bereiche mit Bedeutung zur Vernetzung der Vor- kommen und Ent- wicklungspotenzial Refugialflächen • Mehrjährige Blühbrachen Hier gleichzeitig wichtige Strukturen im landesweiten Biotopverbund Dr. S. Geißler-Strobel - Naturschutztage NABU/BUND 2022 – 07.01.2022
Wirksamkeit der umgesetzten Maßnahmen Bestandsentwicklung Rebhuhn auf 41 definierten Transekten 2017 – 2021 60 50 51 50 43 44 Rebhuhn-Reviere 40 34 30 20 10 0 2017 2018 2019 2020 2021 Erfassungsjahr Foto: M. Eick • Mehrjährige Blühbrachen auf ca. 2 % der Kernräume • Mehrjährige Blühbrachen erst ab dem 2. Standjahr wirksam – späte Einsaat • Einjährige Blühbrachen als Bruthabitat für das Rebhuhn ohne Relevanz Dr. S. Geißler-Strobel - Naturschutztage NABU/BUND 2022 – 07.01.2022
Wirksamkeit der mehrjährigen Blühbrachen Monitoring Rebhuhn 2017 bis 2021 40 35 30 Anzahl Reviere 25 20 15 10 5 0 2017 2018 2019 2020 2021 Gebiete ohne mehrjährige 18 18 13 11 17 Blühbrachen Gebiete mit mehrjährigen Blühbrachen 16 32 30 33 34 Teilgebiete mit Maßnahmen: Verdopplung der Bestände Teilgebiete ohne Maßnahmen: Bestände weiter leicht rückläufig Dr. S. Geißler-Strobel - Naturschutztage NABU/BUND 2022 – 07.01.2022
Erste Zwischenziele erreicht: - Weiterer Rückgang konnte aufgehalten werden – gegen den landesweiten Trend - Erstmals seit 1980er Jahren wieder Bestandszunahme dokumentiert - Vom Zielbestand für langfristig überlebensfähige Population noch weit entfernt (Orientierungswert 250 Reviere) - Noch zu geringe Dichte wirksamer „Refugialflächen“ (v.a. mehrjährige Brachen) Hoffnungsträger: Foto: H. Götz Junge Rebhühner 2018 Dr. S. Geißler-Strobel - Naturschutztage NABU/BUND 2022 – 07.01.2022
Mitnahmeeffekte für weitere Arten der Agrarlandschaft Mehrjährige Blühbrachen: Auch hier wichtige Nahrungsflächen im Winter für einheimische und Zugvogelarten Foto: K. Kilchling-Hink Dr. S. Geißler-Strobel - Naturschutztage NABU/BUND 2022 – 07.01.2022
Mehrjährige Blühbrachen: Brut- und wichtige Nahrungshabitate für weitere, z.T. hochgradig gefährdete Feldvogelarten Grauammer Feldlerche Schwarzkehlchen Foto: Wikipedia, GNU Dokumentations- Lizenz, V. Prasuhn, D. Petterson Foto H. Götz Foto: Dr. Nils Anthes Mehrjährige Blühbrache „Lebensraum –Tübingen“, 4. Standjahr Dr. S. Geißler-Strobel - Naturschutztage NABU/BUND 2022 – 07.01.2022
Mehrjährige Blühbrachen: Förderung von Biomasse und Artenvielfalt heimischer Insekten (je nach Mischung und Naturraum) Ermöglichen Reproduktion von Arten, die an oberirdischen Pflanzenbestandteilen oder in der Streuschicht überwintern. Foto: K. Kilchling-Hink Foto: K. Kilchling-Hink Foto: S. Geißler-Strobel Foto: K. Kilchling-Hink Foto: G. Hermann Dr. S. Geißler-Strobel - Naturschutztage NABU/BUND 2022 – 07.01.2022
Präferenz für regelmäßig gepflegte Niederhecken: Auch „Heckenvögel“ meiden „Hochhecken“ und profitieren von der Umwandlung in „regelmäßig gepflegte Niederhecken“ - bspw. Neuntöter, Schwarzkehlchen, Goldammer, Dorngrasmücke, Sumpfrohrsänger, Feldschwirl) (s. auch R. BAUER, 2017 - Zulassungsarbeit Uni Tübingen) Neuntöter (Foto: H. Götz) Goldammer (Foto: H. Götz) Schwarzkehlchen (Foto: H. Götz) Dr. S. Geißler-Strobel - Naturschutztage NABU/BUND 2022 – 07.01.2022
Zusammenarbeit mit der Landwirtschaft Landwirte und Landwirtinnen sind die entscheidenden Partner! Kontaktaufnahme über • Landratsamt/LEV • Veranstaltungen (GA-Veranstaltung, Felderrundfahrten, Infoabende) • Ansprache im Gelände Landwirte beteiligen sich gerne, wenn es sich rechnet und in die Betriebsabläufe passt • Aber vieles, was sinnvoll wäre, kann nicht gefördert werden • Mit niedrigen Fördersätzen (FAKT/LPR) erreichen wir fast nur extensiv wirtschaftende Nebenerwerbslandwirte Rückmeldung ist wichtig! • Informationen zum Stand der Projekte • Hohe Motivation bei Wirksamkeit „Ihrer“ umgesetzten Maßnahmen! • Gegenseitige Wertschätzung Dr. S. Geißler-Strobel - Naturschutztage NABU/BUND 2022 – 07.01.2022
4. Fazit und Ausblick Dr. S. Geißler-Strobel - Naturschutztage NABU/BUND 2022 – 07.01.2022
Fazit • 10 % Refugialflächen könnten wichtigen Beitrag zur Sicherung und Wiederherstellung der Artenvielfalt in Ackerbaugebieten leisten Entscheidend für Erfolg ist die tatsächliche Umsetzung „besonders biodiversitätsfördernder Maßnahmen“ Voraussetzung: • Keine Anerkennung einjähriger Blühbrachen (Falleneffekte für Insekten)! • Keine Anerkennung von KUPs/Agroforstsystemen/Aufforstungen (Kulissenwirkung für Feldvögel) • Aufwertung mit wertgebenden Offenlandstrukturen, nicht mit neuen Gehölzen • Ergänzung weiterer nachweislich besonders wirksamer Maßnahmen in den Agrarumweltmaßnahmen (nur z.T. für 2023 geplant) • Attraktive Förderhöhen Dr. S. Geißler-Strobel - Naturschutztage NABU/BUND 2022 – 07.01.2022
Ausblick • Abstimmungen MLR/UM für Verordnungsentwurf laufen zur Zeit + Aktueller Entwurf sieht keine Anerkennung für KUPs, Agroforstsysteme und Aufforstungen vor - Aktueller Entwurf sieht die Anerkennung einjähriger Blühflächen vor Die Auswahl wirklich biodiversitätsfördernder Maßnahmen sind wir auch den Landwirten schuldig, damit durch Umsetzung der empfohlenen Maßnahmen endlich auch die versprochenen Effekte für die Biodiversitätssicherung messbar werden! Mit einjährigen Blühbrachen würde dieses Ziel wieder verfehlt und weitere Verschlechterungen in Kauf genommen! Dr. S. Geißler-Strobel - Naturschutztage NABU/BUND 2022 – 07.01.2022
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit Mehrjährige Blühbrache „Lebensraum Tübingen“ 2. Standjahr Dr. S. Geißler-Strobel - Naturschutztage NABU/BUND 2022 – 07.01.2022
Braunkehlchen RL1, LA ✓ Kiebitz RL2, LA ✓ Feldlerche RL3, N ✓ Rebhuhn RL2, LA ✓ ✓ Grauammer RL2, LB ✓ ✓ Fotos: S. Geißler-Strobel, H.Baur, M.Bräunicke, Wikipedia, -GNU Dr. S. Geißler-Strobel Dokumentations-Lizenz, Naturschutztage NABU/BUND 2022 V. Prasuhn, D. Petterson – 07.01.2022
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