#166 - rundblick Niedersachsen

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#166
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  INNERES

Moorbrand in Meppen: Grüne üben
harsche Kritik an Landesregierung

   Nach Raketentests der Bundeswehr brennt das Moor auf der wehrtechnischen Dienststelle 91 bei
Meppen mittlerweile auf rund acht Quadratkilometern. Der Brand war gestern sogar vom All aus zu
sehen, der Deutsche Wetterdienst veröffentlichte ein Satellitenbild, auf dem die Rauchschwaden
deutlich zu erkennen sind. In der Nacht zu Mittwoch war der Rauch sogar in Hannover zu riechen.
Während Feuerwehr und Technisches Hilfswerk vor Ort versuchen, den seit mehr als zwei Wochen
schwelenden Brand unter Kontrolle zu bekommen, wird das Feuer nun zum Politikum. Die Bundeswehr
gibt Informationen nur häppchenweise heraus, das Verteidigungsministerium hüllt sich bisher komplett
in Schweigen. Auch die niedersächsische Landesregierung sieht sich wachsender Kritik ausgesetzt.
Planlos, zögerlich und desinteressiert agierten Ministerpräsident, Innen- und Umweltminister,
konstatieren die Grünen und fordern in gleich drei Ausschüssen Aufklärung. Dabei offenbart vor allem
das für den Katastrophenschutz zuständige Innenministerium gravierende Informationslücken.

   Dort weiß man etwa, dass rund 450 niedersächsische Feuerwehrleute bei der Brandbekämpfung
helfen, aber nicht, wie viele Kräfte insgesamt im Einsatz sind. Pläne zur Räumung der besonders vom
Rauch eingehüllten Ortschaften wurden zwar ausgearbeitet, doch für eine Evakuierung wird bisher kein
Anlass gesehen. Gleiches gilt für eine Anlaufstelle für Bürgeranfragen und eine öffentlich zugängliche
Liste mit Antworten auf die wichtigsten Fragen zum Brand. Letzteres dürfte daran liegen, dass die
Landesregierung derzeit kaum Fragen beantworten kann. Immer wieder verweisen die Ministerien bei
wichtigen Fragestellungen auf die Bundeswehr. Auch die Antwort einer Referentin aus dem
Sozialministerium, die gestern im Landtags-Sozialausschuss zu der Gesundheitsgefahr für die Bürger
Stellung nahm, legt ein Informationsdefizit nahe. Man werde sich mit den anderen Ressorts abstimmen,
wie eine solche „FAQ-Liste“ zusammengestellt werden könne, sagte sie.

   Scharfe Kritik erntet derzeit vor allem Innenminister Boris Pistorius. Erst am späten
Mittwochnachmittag gab das Ministerium bekannt, dass anstelle von Staatssekretär Stephan Manke
nun doch der Minister selbst am gestrigen Donnerstag nach Meppen fahren und sich von der Situation
ein Bild machen würde. Seinen ursprünglichen Plan, zu dieser Zeit in Celle den Brandschutzbericht
2017 vorzustellen, gab er kurzfristig auf. Im Landtag wird gemutmaßt, dass es keine spontane
Entscheidung des Ministers war, sondern vielmehr auf einer dringenden Bitte des Ministerpräsidenten

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an Pistorius beruht haben könnte. Auch im Innenausschuss am Donnerstag stellte der Innenminister
seine Kritiker nicht zufrieden. Abgeordnete der Opposition zeigten sich irritiert, als Pistorius den Brand
als „regionales Problem“ bezeichnete, für das der Landkreis Emsland zuständig sei. „Dort brennt eine
Moorfläche in der Größe von 8000 Fußballfeldern, der Rauch ist in halb Niedersachsen zu riechen.
Wenn das kein Katastrophenfall ist, dann weiß ich nicht, was sonst“, sagte der Grünen-Abgeordnete
Christian Meyer. Seine Fraktionschefin Anja Piel bezeichnete es als „Unverfrorenheit“, dass Pistorius
sich im Ausschuss damit brüste, mit einem Staatssekretär aus dem Verteidigungsministerium
gesprochen zu haben. „Wir wollen nicht wissen, dass er mit jemandem gesprochen hat. Wir wollen
wissen, wie es jetzt weitergeht und was die Landesregierung zu tun gedenkt.“

  Auch Ministerpräsident Weil und Umweltminister Lies verhielten sich aus Sicht der Grünen zu
defensiv. Weil sagte am Mittwoch, er könne gar nicht verstehen, wie man nach diesem trockenen
Sommer im Moor Schießübungen veranstalten könne. „Das muss vielleicht einmal gründlich
nachbereitet werden, wenn die aktuelle Situation geklärt ist.“ Lies kritisierte ebenfalls das fahrlässige
Verhalten der Bundeswehr und berichtete, er habe einen Brief ans Verteidigungsministerium mit der
Bitte um Aufklärung verfasst. „Insbesondere interessiert mich, warum das so passieren konnte.“
Grünen-Fraktionschefin Piel rügte, Weil und Lies hätten sich nicht über die Situation und die
Bundeswehr zu beklagen, sondern müssten selbst Verantwortung übernehmen und handeln, damit die
Menschen in der Region endlich die nötige Aufklärung bekämen.

  INNERES

FDP pocht auf Verwaltungsreform: Schon 2019
muss mit Stellenabbau begonnen werden

  Die FDP ist enttäuscht von der rot-schwarzen Haushaltsplanung für nächstes Jahr. Die nötige
Überprüfung der Aufgaben des Landes – Vorstufe des Personalabbaus in den Ministerien – sei immer
noch nicht terminiert worden. „Wir erwarten, dass dies schon im nächsten Jahr startet“, sagte der
Haushaltsexperte der Freien Demokraten, Christian Grascha. Er hält der Regierung vor, den
Personalapparat an der Spitze der Landesverwaltung, den Ministerien, in den vergangenen Jahren
aufgebläht zu haben. Da seien zunächst die 100 Stellen, die Rot-Schwarz mit dem Nachtragsetat 2018
neu eingerichtet hatte. Finanzminister Reinhold Hilbers hatte zuletzt im Haushaltsausschuss am
vergangenen Mittwoch angekündigt, im gleichen Umfang Stellen bis zum Ende der Legislaturperiode
im Jahr 2022 aus dem Landesdienst wieder zu streichen. Aus FDP-Sicht ist dieses Zeitfenster viel zu
groß, man erwarte viel eher Schritte zur Verschlankung der Ministerien. Das gelte auch für rund 320

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Stellen, die zwischen 2014 und 2018 von der damals zuständigen rot-grünen Landesregierung in den
Ministerien geschaffen wurden. „Wir möchten gern wissen, wozu diese Stellen nötig waren“, sagt
Grascha. Die Staatskanzlei und alle Ministerien zusammen zählen rund 2500 Stellen – zu rot-grünen
Zeiten kamen etwa im Finanzministerium 32, im Sozialministerium 15 und im Kultusministerium 19
Stellen hinzu, wie aus einer Antwort der Landesregierung auf eine Anfrage der FDP-Fraktion
hervorgeht.

   Die FDP hat ein eigenes Konzept als Alternative zum Etatplan der rot-schwarzen Regierung
vorgelegt. Darin fordert sie beispielsweise, die Altschulden von rund 60 Milliarden Euro im kommenden
Jahr um 200 Millionen Euro abzubauen. Die Landesregierung hat hier bisher keinen Betrag vorgegeben
und angekündigt, die Tilgung aus einem Teil der Mehreinnahmen in diesem Jahr vorzunehmen. „Wir
wollen nicht, dass der Schuldenabbau vom Zufall abhängig wird, wir wollen das geplant sehen“,
betonen Grascha und der FDP-Fraktionsvorsitzende Stefan Birkner. Außerdem fordern sie, das
„Sondervermögen“ für die Digitalisierung, das aus dem Landesetat ausgegliedert wurde, wieder in
diesen zurückzuführen. Der Effekt wäre, dass dann jedes Jahr im Parlament über das Geld, das im
kommenden für diesen Zweck ausgegeben werden soll, beraten und abgestimmt werden müsste. Mit
dem „Sondervermögen“ hat sich die rot-schwarze Regierung dagegen eine Kasse angelegt, in die sie
jetzt kräftig einzahlt, dann aber über viele Jahre hinaus daraus ohne besonderen Landtagsbeschluss
Geld entnehmen kann. Ein weiterer Haushaltswunsch der FDP ist es, den Städten und Gemeinden die
Möglichkeit zur Erhebung von Straßenausbaubeiträgen zu nehmen (und sie dafür insgesamt pauschal
mit 50 Millionen Euro zu entlasten). Die Innovationsförderung solle gestärkt werden und mehrere
großzügig bemessene Ansätze im Etat sollen verringert werden. „Unter Hilbers ist es Übung, manche
Ansätze sehr hoch zu verankern – etwa bei Gehältern, Zinsausgaben oder Flüchtlingskosten. Das führt
dann dazu, dass am Jahresende viel Geld übrig ist, über dessen Verwendung die Regierung ohne das
Parlament entscheiden kann. Den Grundsätzen der Haushaltsklarheit und -wahrheit entspräche es
aber, die Ansätze realistisch zu schätzen und bei nötigen Mehrausgaben dann mit einem
Nachtragshaushalt an den Landtag heranzutreten“, meint Grascha.

  Ein weiterer Schwerpunkt der FDP für den Etat 2019 ist die Bildungspolitik. Die Fraktion schlägt vor,
den Schulbusverkehr für Oberstufenschüler kostenfrei zu gestalten, dafür seien jährlich 34 Millionen
Euro nötig. Außerdem sollten alle Grund- und Hauptschullehrer, die noch nach A12 besoldet werden,
von August 2019 an A13 erhalten. Dies betreffe 25.000 Menschen und koste für die letzten fünf
Monate des nächsten Jahres 87,3 Millionen Euro, danach dann jährlich 213 Millionen Euro. „Die
Folgewirkung kann sein, dass dann die Gymnasiallehrer hochgestuft werden. Wir haben darüber aber
noch nicht beraten und uns dazu noch nicht festgelegt“, sagte Birkner.

Lesen Sie auch:
Warum der Finanzminister im Landtag mit dem „Großen Gatsby“ verglichen wird
Landesregierung vertagt heikles Votum zum Stellenabbau in den Ministerien

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KOMMENTAR

Der Netzgipfel als Showveranstaltung?
Nein, hier könnte Wichtiges geschehen

   Darum geht es: Auf einem sogenannten Netzgipfel haben sich Bund und Länder in Berlin auf ein
Maßnahmenpaket verständigt. Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier sprach von einem
„Meilenstein, der bisherige Blockaden und Verzögerungen samt ihrer Kosten für die Verbraucher
auflösen hilft“. Niedersachsens Umweltminister Olaf Lies zog im Gespräch mit dem Rundblick ebenfalls
ein positives Fazit. Der Widerspruch zwischen Bund und Ländern sei aufgehoben worden. Sämtliche
Länder hätten sich zur Energiewende bekannt. Ein Kommentar von Martin Brüning.

  Der Ausbau der Energienetze ist jetzt Chefsache. Und wenn etwas zur Chefsache wird, veranstaltet
man am besten erst einmal einen Gipfel. Bei Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier trafen sich
Ländervertreter am Donnerstag in Berlin deshalb zum sogenannten Netzgipfel. Mit den
Stromautobahnen ging es in den vergangenen Jahren ähnlich schleppend voran wie mit dem Bau der
Autobahnen aus Beton. Was China in wenigen Jahren hochzieht, wird in Deutschland seit langem in
Dekaden berechnet. Von den rund 7700 geplanten Leitungskilometern wurde im vergangenen Jahr
gerade mal ein Achtel gebaut. Erst wird informiert, dann wird diskutiert und am Ende wird dann geklagt.
So zieht sich der Netzausbau in Deutschland hin - und der Windstrom aus dem Norden verpufft derzeit
im Energie-Nirwana, statt in Richtung Süden zu fließen. Den Netzbetreiber Tennet kosten die
sogenannten Noteingriffe im Netz inzwischen eine Milliarde Euro. Das kann man nicht einmal mit der
Vokabel „Engpassmanagement“ schönreden.

   Ob der Berliner Gipfel an den Problemen grundsätzlich etwas ändert und wirklich zu einem
„Meilenstein“ wird, bleibt abzuwarten, aber er war in jedem Fall ein erster wichtiger Schritt in die
richtige Richtung. Der Vorwurf der Grünen im Bund, Altmaiers Netzgipfel sei eine reine
Showveranstaltung, läuft ins Leere. Denn auch die von den Grünen geführte Landesregierung in
Baden-Württemberg hat ein großes Interesse an einem zügigen Netzausbau. Die Zeit der
Kernkraftwerke geht unweigerlich zu Ende und auch die Kohlekraftwerke werden, nach welchem
Zeitplan auch immer, nach und nach vom Netz gehen. Irgendwo muss der Strom für die Industrie im
Südwesten allerdings herkommen. Die Vertreter der Regierungspartei aus Stuttgart waren deshalb
nicht für eine Inszenierung, sondern für konkrete Ergebnisse nach Berlin gekommen. Der Süden muss
seine Taktik in der Energiepolitik den Gegebenheiten anpassen.

   Mehr Tempo könnte vor allem die Novelle des Netzausbaubeschleunigungsgesetzes mit sich
bringen. Durch den Verzicht auf die Bundesfachplanung und in Teilen auf Raumordnungsverfahren

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kann Zeit gewonnen werden, ebenso durch eine schnellere Planung. Für einige Vorhaben wurde, wie
im niedersächsischen Masterplan Digitalisierung, eine konkrete Zeitplanung vereinbart. So sollen bis
zum Jahr 2021 zum Beispiel die großen Stromautobahnen von Nord nach Süd durch die
Bundesnetzagentur genehmigt sein. Allein das gesetzte zeitliche Ziel wird für Druck sorgen und macht
deutlich, dass man nicht mehr gewillt ist, bis zum Sankt Nimmerleinstag zu warten.

  Für den Erfolg des Netzausbaus sind allerdings zwei Faktoren vonnöten, die schwer auf einem Gipfel
beschlossen werden können. So müssen die Länder auch bei sich vor Ort zu ihrer 16-zu-0-
Entscheidung zum Netzausbau stehen. Das Sankt-Florians-Prinzip beim Leitungsausbau muss ein
Ende haben. Es kostet Zeit und wird keinen Erfolg bringen. Und auch die Bürger werden sich
entscheiden müssen. Wer keinen Strom mehr aus Kern- und Kohlekraftwerke beziehen will, wird nicht
bei jedem Meter Leitung eine Debatte über Erdverkabelung vom Zaun brechen können. Wir haben
schon immer die Kraftwerke gesehen, wir sehen Infrastruktur wie Schienen und Straßen. Die nötigen
Stromnetze werden nicht für alle unsichtbar in der Erde verschwinden. Vielleicht kann auch die von
Umweltminister Olaf Lies ins Spiel gebrachte dauerhafte Entschädigung einen Schubs in die richtige
Richtung geben. Diese Entschädigung würde zwar wieder einmal Geld kosten. Lies hat aber recht,
wenn er feststellt: Keine Lösung zu finden, kostet noch mehr.

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  HINTERGRUND

Vier Szenarien, in denen Stephan Weil eine
wichtige Rolle in der Bundespolitik übernimmt

  Die Affäre um den bisherigen Verfassungsschutzpräsidenten Hans-Georg Maaßen hat die Große
Koalition offenbar bis an einen Abgrund geführt. Mit dem Kompromiss konnte wohl gerade noch der
Fall in die Tiefe verhindert werden – aber nun leidet die SPD, denn sie steht nicht als die strahlende
Siegerin da. Weil ihre Vorsitzende Andrea Nahles den Streit eskalieren ließ, obwohl sie hätte wissen
müssen, dass CSU-Chef Horst Seehofer kurz vor der Landtagswahl in Bayern nie einen
Gesichtsverlust hinnehmen würde, mehren sich Zweifel an Nahles‘ strategischem Geschick. Das nährt
Spekulationen, Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil könne den Parteivorsitz der SPD
übernehmen und die neue starke Figur der SPD wären. Doch unter welchen Umständen wäre ein
solcher Schritt überhaupt denkbar? Wir zeichnen vier Szenarien.

                                                                               #166     21.09.2018   5
Variante 1: Koalitionsbruch. Nach der bayerischen Landtagswahl am 14. Oktober, die für die CSU mit
einer Schmach enden könnte, erklärt die CSU womöglich ihren Austritt aus der Großen Koalition auf
Bundesebene. Dies könnte zwar dazu führen, dass CDU, SPD und Grüne eine neue Regierung unter
Angela Merkel bilden. Wahrscheinlich ist das jedoch nicht, da die Führungen von CDU und CSU
bemüht sein dürften, ihre Fraktionsgemeinschaft im Bundestag zu erhalten – und das Hauptinteresse
von Horst Seehofer im Sturz von Kanzlerin Angela Merkel bestehen dürfte. Denkbar ist, dass Merkel im
Bundestag die Vertrauensfrage stellen und keine Mehrheit bekommen würde, Bundespräsident Frank-
Walter Steinmeier dürfte daraufhin den Bundestag auflösen – vorgezogene Neuwahlen wären die
Folge, womöglich zusammen mit der Europawahl am 26. Mai 2019. Dass Merkel erneut CDU-
Spitzenkandidatin würde, ist höchst unwahrscheinlich, und die Berliner SPD-Führungsriege gilt als
beschädigt. Denkbar wäre ein Kanzlerkandidaten-Zweikampf zwischen Annegret Kramp-Karrenbauer
(CDU/CSU) und Stephan Weil (SPD).

Variante 2: Koalitionswechsel. Wenn die Niederlage der CSU in Bayern schwächer als vermutet
ausfällt, könnte der Unmut in der SPD das Ende der Großen Koalition auslösen. Vorstellbar wäre, dass
dann die Jamaika-Koalition aus CDU/CSU, Grünen und FDP doch zustande kommt – womöglich unter
Merkel, vielleicht auch unter Kramp-Karrenbauer. Die neue Mehrheit stünde unter einem starken Druck
von AfD, SPD, Linken und vielen Medien, sie habe keine Legitimation durch das Volk und müsse sich
daher den Wählern stellen. Die Rufe nach vorgezogenen Neuwahlen würden Früchte zeigen. Doch in
diesem Fall wäre der Weg über eine verlorene Abstimmung zur Vertrauensfrage nicht so einfach –
denn eigentlich bestünde ja eine Mehrheit im Bundestag für die Kanzlerin. 1982 war es nach dem
Bruch der sozialliberalen Koalition und dem Start von Helmut Kohl ähnlich, damals löste
Bundespräsident Karl Carstens dennoch den Bundestag auf – und das Bundesverfassungsgericht
urteilte später, dass dieser Weg beschritten werden dürfe in einer „echten Krise“. 2005 nutzte Gerhard
Schröder ebenfalls die gescheiterte Vertrauensfrage, obwohl auch damals seine rot-grüne Mehrheit im
Bundestag noch stabil war. Der hannoverschen Staatsrechtler Hans-Peter Schneider rügte damals,
eine bewusst verlorene Vertrauensfrage habe „den Geruch der Manipulation“. Nun könnte dieser Weg
dennoch ein drittes Mal angewandt werden. Wenn dann Neuwahlen Mitte oder Ende 2019
stattfänden, könnte die SPD Weil als Kanzlerkandidaten aufstellen – mangels Eignung der
Spitzenpersonen Nahles, Olaf Scholz und Heiko Maas in Berlin.

Variante 3: Koalitionsbefriedung. Sollten Union und SPD bei den Landtagswahlen in Bayern und
Hessen nicht so schlecht abschneiden wie befürchtet, könnte sich die politische Lage auch wieder
beruhigen – vor allem dann, wenn auch die AfD-Werte in den Umfragen nach unten gehen sollten. Die
SPD müsste sich dann nicht auf Neuwahlen vorbereiten, doch was bliebe, wäre die
Führungsschwäche von Nahles, die in der Maaßen-Affäre mehr als deutlich geworden ist. Denkbar
wäre, dass Nahles irgendwann die Brocken hinwirft und Weil als neuer Parteichef gerufen wird, um die
unterschiedlichen Strömungen der Sozialdemokraten miteinander zu versöhnen – getreu seinem
inoffiziellen Regierungsmotto in Niedersachsen: „Es ist doch alles nicht so schlimm. Ich habe die Lage
im Griff, ihr müsst mir nur vertrauen.“

                                                                               #166     21.09.2018   6
Variante 4: rascher Nahles-Rücktritt. Denkbar ist, dass sich nach der Affäre Maaßen das politische
Klima in der Großen Koalition wieder beruhigt, der Druck in der SPD aber die Parteichefin Nahles
kurzfristig zu Fall bringt. Dann wäre Weil als Vertreter eines starken SPD-Landesverbandes womöglich
als Parteichef gefordert, weil Malu Dreyer nicht will, Olaf Scholz keine Mehrheit bekäme und Manuela
Schwesig noch abwartet. In diesem Fall bliebe er daneben aber Ministerpräsident in Hannover –
obwohl sich dort, erkennbar für alle Beobachter, zwei mögliche Nachfolge-Aspiranten um verstärkte
öffentliche Profilierung bemühen, die Minister Olaf Lies (Umwelt) und Boris Pistorius (Innen). Lies, der
Menschenfischer, hat derzeit klar die Nase vorn. Pistorius erntet mit seiner teilweise schroffen und
polternden Art, etwa im Umgang mit der AfD im Landtag, auch in den eigenen Reihen Kritik. (kw)

Lesen Sie auch:
Debatte um Maaßen: Deutschland ist außer Rand und Band
Weil: Die CSU muss ihr Verhältnis zur Bundesregierung klären

  NOTIZEN

Lies will bei multiresistenten Keimen
weiter auf der Hut bleiben

   Umweltminister Olaf Lies hat gestern die Ergebnisse der ersten niedersachsenweiten Untersuchung
von Gewässern auf multiresistente Keime vorgestellt. An 80 Messstellen hatten der Niedersächsische
Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN) und das Universitätsklinikum
Bonn im Sommer 200 Proben genommen und auf antibiotikaresistente Keime untersucht. Die
Wasserproben stammten sowohl aus Flüssen und Seen, wie auch aus Kläranlagen, Abwassern und
Sedimenten. Dabei wurden in 79 Proben Keime entdeckt, die gegen drei Antibiotikagruppen resistent
sind. Die Wasserproben aus Leine und Innerste wiesen sogar Keime auf, die auch mit Reservemitteln
nicht mehr bekämpft werden können. Die meisten Keime fanden die Wissenschaftler in Proben, die aus
einer Kanalisation unterhalb eines Klinikums in Osnabrück entnommen wurden. Lies bezeichnete das
Ergebnis als erwartbar, die Studie habe den wissenschaftlichen Beweis dafür erbracht, dass sich
multiresistente Keime in Gewässern befänden. „Die Situation ist nicht kritisch, deswegen sehe ich
zurzeit keinen akuten Handlungsbedarf.“ Allerdings zeigten die Ergebnisse, dass man die Entwicklung
der Bakterien im Auge behalten müsse.

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Dazu kommt, dass es noch keinen bundesweit einheitlichen Standard gibt, ab welcher Konzentration
von multiresistenten Bakterien in Gewässern eine Gefahr für die Gesundheit besteht. „Auf der
vergangenen Umweltministerkonferenz haben wir vereinbart, dass es bald einen solchen Standard
geben soll“, sagte Lies. Bis dahin müsse man sich darauf konzentrieren, die Zahl der multiresistenten
Keime in Gewässern zu senken, indem weniger belastetes Abwasser in die Umwelt gelangt. „Die
Studie zeigt, dass Kläranlagen in der Lage sind, diese Keime zu einem gewissen Teil herauszufiltern.“
Auch müsse der Antibiotikaeinsatz in der Human- und Tiermedizin sparsamer dosiert werden. „Denn
die meisten Keime gelangen dort ins Wasser, wo viel mit Antibiotika gearbeitet wird“, sagt Lies.

  P UND P

Personen & Positionen

  Stefan Birkner, FDP-Fraktionschef, hadert mit einem von der Großen Koalition im
Verfassungsschutzausschuss durchgesetzten Beschluss. Die Mehrheit der Großen Koalition hat dort
neue Regeln festgelegt, wie Abgeordnete mit als Verschlusssachen eingestuften Informationen
umgehen sollen, die ihnen im Verfassungsschutzausschuss mitgeteilt werden. Künftig sollen die
Mandatsträger nämlich ihre schriftlichen Notizen während der Unterrichtung des Ministeriums
anschließend entweder unter Aufsicht vernichten, oder aber an einen Mitarbeiter der
Landtagsverwaltung übergeben, der diese dann in einem Safe verwahrt. Birkner meint, dieser Weg
könne ein unzulässiger „Eingriff in die Ausübung des Abgeordnetenmandats“ sein. Er könne nicht
nachvollziehen, warum er seine Notizen als Abgeordneter einem Mitarbeiter der Landtagsverwaltung
aushändigen soll. Gemutmaßt wird, dass die Große Koalition den Beschluss gefasst hat, um die
Weitergabe interner Informationen etwa über die Beobachtung von Untergliederungen der AfD zu
verhindern.

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