23 2018 CESifo Group Munich

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23 2018 CESifo Group Munich
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                                                                                   2018
                                                                               6. Dezember 2018
                                                                                    71. Jahrgang

FORSCHUNGSERGEBNISSE             ZUR DISKUSSION GESTELLT

Auswege aus dem Dilemma
der empirischen Mittelstands­
forschung
                                 Türkei, Argentinien,
Michael Berlemann, Vera Jahn
und Robert Lehmann               Brasilien, Indien:
DATEN UND PROGNOSEN
                                 Schwellenländer vor
ifo Konjunkturumfrage im
Verarbeitenden Gewerbe:
                                 neuer Krise?
Konjunkturelle Hochlage          Carsten Hefeker, Volker Treier, Ulrich Kater, Jörg Krämer und
führt zu Engpässen               Ulrich Leuchtmann, Valentin Lang, Klaus-Jürgen Gern
Simon Litsche und Stefan Sauer
Die ifo Investitions­
erwartungen – ein neuer
Frühindikator für die
Investitionstätigkeit
deutscher Unternehmen
Timo Wollmershäuser
Schwächere Autokonjunktur
dämpft Leasingwachstum –
Anlageinvestitionen weiter
auf Wachstumskurs
Arno Städtler

IM BLICKPUNKT

ifo Konjunkturumfragen
November 2018
Klaus Wohlrabe
ifo Schnelldienst
ISSN 0018-974 X (Druckversion)
ISSN 2199-4455 (elektronische Version)

Herausgeber: ifo Institut, Poschingerstraße 5, 81679 München, Postfach 86 04 60, 81631 München,
Telefon (089) 92 24-0, Telefax (089) 98 53 69, E-Mail: ifo@ifo.de.
Redaktion: Dr. Marga Jennewein.
Redaktionskomitee: Prof. Dr. Dr. h.c. Clemens Fuest, Annette Marquardt, Prof. Dr. Chang Woon Nam.
Vertrieb: ifo Institut.
Erscheinungsweise: zweimal monatlich.
Bezugspreis jährlich:
Institutionen EUR 225,–
Einzelpersonen EUR 96,–
Studenten EUR 48,–
Preis des Einzelheftes: EUR 10,–
jeweils zuzüglich Versandkosten.
Layout: Kochan & Partner GmbH.
Satz: ifo Institut.
Druck: Majer & Finckh, Stockdorf.
Nachdruck und sonstige Verbreitung (auch auszugsweise):
nur mit Quellenangabe und gegen Einsendung eines Belegexemplars.

im Internet:
http://www.cesifo-group.de
SCHNELLDIENST                                                                                    23/2018

ZUR DISKUSSION GESTELLT

Türkei, Argentinien, Brasilien, Indien: Schwellenländer vor neuer Krise?                                         3

Türkei, Argentinien, Indonesien, Brasilien: Die Währungen vieler Schwellenländer befinden sich zunehmend
unter Druck. Die Ursachen sind ähnlich: hohe Schulden, steigende Inflation und schwaches Wachstum. Es
fällt den Ländern zunehmen schwer, internationales Kapital zu attrahieren. Stehen sie vor einer neuen Krise?
Carsten Hefeker, Universität Siegen, legt dar, dass die Schwellenländer derzeit doppelt negativ von der ameri-
kanischen Handels- und Währungspolitik betroffen sind. Die Konsequenzen der amerikanischen Handelspoli-
tik und die Gefahr eines Handelskriegs seien Themen internationaler Diskussionen, aber auch die restriktiver
gewordene amerikanische Geldpolitik habe negative Auswirkungen auf die Schwellenländer. Um diese negati-
ven Effekte zu reduzieren, sollte die Fed die Folgen ihrer Geldpolitik stärker berücksichtigen. Eine moderatere
Zinspolitik würde die Volatilität von Kapitalströmen reduzieren. Volker Treier, Deutscher Industrie- und Handels-
kammertag, Berlin, sieht die Schwellenländer ebenfalls durch höhere US-Zinsen belastet. Allerdings zeigten
sich die meisten Schwellenländer heute widerstandsfähiger als in früheren Zeiten. Die Türkei und Argentinien
seien zwei Sonderfälle, deren Probleme in erster Linie hausgemacht seien: Ein immenses strukturelles Leis-
tungsbilanzdefizit belaste beide Länder. Ulrich Kater, Deka Bank, sieht die Schwellenländer als festen »Bestand-
teil des Anlageuniversums« an. Die institutionelle und makroökonomische Stabilität sowie die Entwicklung der
Finanzmärkte in diesen Ländern haben deutliche Fortschritte gemacht. Trotz einer Zunahme der Verschuldung
in den Schwellenländern in den Jahren nach der Finanzkrise sorgen im Durchschnitt moderate Finanzkennzah-
len für ausreichendes Vertrauen in die Finanzmärkte der Schwellenländer. Nach Ansicht von Jörg Krämer und
Ulrich Leuchtmann, Commerzbank AG, ist eine umfassende Krise der Schwellenländer wenig wahrscheinlich, auch
wenn Krisen einzelner Schwellenländer nicht ausgeschlossen werden können. Die Verschuldungssituation sei in
den meisten Fällen wenig alarmierend und die Geldpolitik der Schwellenländer besser geworden. Das Ausblei-
ben einer Krise bedeute aber nicht, dass die Schwellenländer zum ungewöhnlich hohen Wachstum der frühen
2000er Jahre zurückkehrten. Valentin Lang, Universität Zürich, geht der Frage nach, welchen Effekt Krisenländer
erwarten können, wenn sie in ein IWF-Programm eintreten: Nach den bisherigen Erfahrungen könne der IWF
kurzfristig dem Vertrauensverlust von Investoren entgegenwirken und zu einer geld- und finanzpolitischen Sta-
bilisierung verhelfen. Langfristig allerdings hänge der Erfolg davon ab, ob der IWF dem Land Reformen zumute,
die dieses auch innenpolitisch umsetzen könne. Reformprogramme, die zu starke Wachstumseinbrüche mit
sich brächten und deren Lasten sich zu ungleich auf die Bevölkerung verteilten, seien zum Scheitern verurteilt.
Klaus-Jürgen Gern, Institut für Weltwirtschaft, Kiel, stellt fest, dass das Wachstum in den Schwellenländern, das
in den 2000er Jahren und in den Jahren unmittelbar nach der Großen Rezession der stärkste Treiber der welt-
wirtschaftlichen Expansion war, bereits vor einiger Zeit ins Stocken geraten ist. Das Krisenpotenzial sei durch eine
gestiegene Verschuldung größer geworden. Es sei damit zu rechnen, dass die Wachstumsdynamik in den Schwel-
lenländern allgemein nachhaltig gebremst werde. Eine ausgewachsene Schwellenländerkrise, vergleichbar mit
der Asienkrise 1997, sei aber derzeit nicht wahrscheinlich.

FORSCHUNGSERGEBNISSE

Auswege aus dem Dilemma der empirischen Mittelstandsforschung                                                   22
Michael Berlemann, Vera Jahn und Robert Lehmann

Nach einhelliger Meinung zeichnen sich mittelständische Unternehmen vor allem dadurch aus, dass hier Eigen-
tum und Leitung der Unternehmen in einer Hand liegen. Aber in der empirischen Mittelstandsforschung sowie
beinahe allen Berichten, die sich mit der tatsächlichen Größe und der Bedeutung des Mittelstands auseinan-
dersetzen, werden mittelständische Unternehmen mit kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) gleichgesetzt.
Der Grund hierfür liegt darin, dass mittelständische Firmen auf Basis amtlicher Daten nicht geeignet abgegrenzt
werden können. In der Folge ist beinahe die gesamte empirische Mittelstandsforschung faktisch Forschung über
kleine und mittlere Unternehmen. Um diesem Dilemma zu entgehen, wurden drei Sonderfragen in die ifo Kon-
junkturumfrage integriert, die eine sachgemäße Identifikation mittelständischer Unternehmen zulassen. Die
Ergebnisse zeigen, dass die KMU-Quote die Mittelstandsquote erwartungsgemäß sehr stark überzeichnet. Mit
den Sonderfragen bieten die Daten des ifo Instituts nunmehr die Möglichkeit, neue Impulse für die empirische
Mittelstandsforschung zu liefern und so das beschriebene Dilemma zu überwinden.

DATEN UND PROGNOSEN

ifo Konjunkturumfrage im Verarbeitenden Gewerbe: Konjunkturelle Hochlage
führt zu Engpässen                                                                                            29
Simon Litsche und Stefan Sauer

Zu Beginn des Jahres 2018 bewerteten die an der ifo Konjunkturumfrage teilnehmenden Unternehmen des Ver-
arbeitenden Gewerbes ihren Geschäftsverlauf als so gut wie noch nie seit der Wiedervereinigung. Seitdem hat
sich die Lage zwar leicht abgekühlt, die Situation stellt sich aber nach wie vor sehr gut dar. Gleichzeitig war im
Jahresverlauf ein erheblicher Anstieg der Anzahl der Firmen zu verzeichnen, die über negative Einflüsse auf ihre
Produktionstätigkeit klagten. Vor allem die Faktoren Fachkräftemangel sowie Material- und Rohstoffengpässe
traten dabei vermehrt zum Vorschein. Der Artikel stellt die vierteljährlich erhobene Frage nach Produktionsbe-
hinderungen im Verarbeitenden Gewerbe genauer vor und beleuchtet die aktuellen Entwicklungen und deren
Hintergründe näher.

Die ifo Investitionserwartungen – ein neuer Frühindikator für die Investitions-
tätigkeit deutscher Unternehmen                                                                               32
Timo Wollmershäuser

Seit dem Jahr 2015 machen die deutschen Unternehmen im Rahmen der regulären ifo Konjunkturumfrage zwei-
mal jährlich im Mai und November Angaben zu ihrer tatsächlichen und geplanten Investitionstätigkeit. Damit
steht ein Frühindikator zur Verfügung, der einen recht guten Zusammenhang zur jahresdurchschnittlichen Ver-
änderung der Bruttoanlageinvestitionen aufweist. Die jüngste Befragung im Herbst 2018 legt nahe, dass die
Unternehmen ihre Investitionen in diesem Jahr stärker ausgeweitet haben dürften als im vergangenen Jahr. Im
kommenden Jahr dürfte jedoch mit einer Verlangsamung zu rechnen sein.

Schwächere Autokonjunktur dämpft Leasingwachstum – Anlageinvestitionen
weiter auf Wachstumskurs                                                                                      36
Arno Städtler

Das Leasing hat 2017 mit einem Zuwachs von 6,4% besser abgeschnitten als die gesamtwirtschaftlichen Inves-
titionsausgaben, wie die neueste ifo Investitionsumfrage bei den deutschen Leasinggesellschaften zeigt. Für
das Jahr 2018 signalisiert der ifo Investitionsindikator, den das ifo Institut und der Bundesverband Deutscher
Leasing-Unternehmen gemeinsam ermitteln, einen Anstieg der Ausrüstungsinvestitionen von nominal 4,5%. Die
Investitionen im Nichtwohnbau sollen um real 2,1% zunehmen, was nominal ein Plus von über 6% ergeben dürfte.
Die Investitionsentwicklung wäre damit sogar noch etwas dynamischer als im Vorjahr. Ursächlich hierfür dürfte
auch der inzwischen schon lange anhaltende Aufschwung und die ständige Zunahme des Auslastungsgrads der
deutschen Wirtschaft seit 2013 sein.

IM BLICKPUNKT

ifo Konjunkturumfragen November 2018 auf einen Blick:
Die deutsche Konjunktur kühlt sich ab                                                                         47
Klaus Wohlrabe

Der ifo Geschäftsklimaindex ist im November gefallen. Dies ist der dritte Rückgang in Folge. Die Unternehmen
schätzten die aktuelle Lage – wenn auch von einem noch hohen Niveau ausgehend – schlechter ein. Ihre Erwar-
tungen trübten sich ebenfalls ein. Dies deutet zusammen mit anderen Indikatoren auf ein Wirtschaftswachstum
von allenfalls 0,3% im vierten Quartal hin.

Wir wünschen unseren Leserinnen und Lesern frohe Weihnachten und ein gutes neues Jahr 2019.
ZUR DISKUSSION GESTELLT

Türkei, Argentinien, Brasilien, Indien:
Schwellenländer vor neuer Krise?

Türkei, Argentinien, Indonesien, Brasilien: Die Währungen vieler Schwellenländer befinden
sich zunehmend unter Druck. Die Ursachen sind ähnlich: hohe Schulden, steigende Inflation
und schwaches Wachstum. Es fällt den Ländern zunehmen schwer, internationales Kapital
zu attrahieren. Stehen die Schwellenländer vor einer neuen Krise?

Carsten Hefeker*                                                      auf 35,5% und bei Vorprodukten von 3% auf 31% stei-
                                                                      gen könnten.
Dollardominanz und Krisen-
anfälligkeit von Schwellen-                                           GLOBALE KAPITALSTRÖME
ländern                                                               Die Konsequenzen der amerikanischen Handelspolitik
                                                                      und die Gefahr eines Handelskriegs sind Themen inter-
Internationaler Währungsfonds (IWF) und Finanz-                       nationaler Diskussionen, aber es wird wenig davon
presse warnen vor einem globalen Abschwung, wenn                      gesprochen, wie sehr die restriktiver gewordene ame-                              Carsten Hefeker

auch noch nicht vor einer Rezession. Die projektierte                 rikanische Geldpolitik Auswirkungen auf Schwellenlän-
Wachstumsrate für Schwellenländer liegt nur noch                      der hat. Seit die Federal Reserve im Jahr 2013 erstmals
bei etwas über 3% und selbst für China werden nur                     vorsichtig den geldpolitischen Wechsel ankündigte,
noch 6% erwartet. Erste Vorboten einer möglichen                      sind die negativen Effekte der amerikanischen Zinspo-
Krise zeigen sich in erheblichen Wechselkurseffekten.                 litik für Schwellenländer sichtbar und steigt die Anzahl
So haben seit Beginn dieses Jahres der argentinische                  von sudden stops (vgl. De Gregorio et al. 2018).1 Da die
Peso um rund 50% und die türkische Lira um rund 30%                   amerikanische Zentralbank weitere Zinssteigerungen
gegenüber dem Dollar verloren. Auch die Währungen                     angekündigt hat, ist davon auszugehen, dass sich der
Brasiliens, Indiens und Russlands haben um über 10%                   Druck weiter verstärken wird.
an Wert eingebüßt, und Länder wie Mexiko, Südafrika,                        Während vor wenigen Jahren der brasilianische
Indonesien, Pakistan und die Philippinen sind eben-                   Finanzminister Mantega den USA noch vorwarf, durch
falls unter Druck geraten. Die Probleme der Türkei und                ihre expansive Geldpolitik einen »Währungskrieg«
Argentiniens sind mit Inflationsraten von 20 bzw. 40%                 gegen die Schwellenländer zu führen, wird nun betont,
nicht überraschend, aber die moderaten Inflationsra-                  dass niedrige Zinsen im Zentrum Kapitalströme in die
ten der anderen Schwellenländer weisen auf andere                     Peripherie lenken und dort zu Fehlinvestitionen und
Gründe hin.                                                           steigenden Vermögenspreisen, vor allem im Immo-
     Sieht man von den hausgemachten Proble-                          biliensektor, führen (vgl. Rajan 2015, Gopinath 2017).
men ab, so sind die Schwellenländer derzeit doppelt                   Insbesondere Schwellenländer mit liquiden und ent-
negativ von amerikanischer Handels- und Währungs-                     wickelten Finanzmärkten ziehen in Niedrigzinspha-
politik betroffen. Die von Präsident Trump gegen                      sen große Zuströme an. Hier aber findet dann ebenso
China, die Türkei, Mexiko, Russland und die EU ver-                   der stärkste Abfluss statt, wenn sich die Zinssituation
hängten Zölle auf Stahl und Aluminium und deren                       ändert, da die Anleger die höhere Liquidität dieser
Gegenmaßnahmen beeinflussen durch die globalen                        Märkte nutzen, um ihre Anlagen zu verkaufen.
Wertschöpfungsketten auch den Handel mit Dritt-                             Dabei ist besonders auffällig, dass die Wechsel-
staaten. Potenziell noch bedrohlicher wäre es, wenn                   kurse und Aktienmärkte von Ländern mit starken
Trump seine Ankündigung umsetzt und aus der Welt-                     makroökonomischen Fundamentaldaten (hohe Wäh-
handelsorganisation WTO ausscheidet. So befürch-                      rungsreserven, geringe öffentliche Defiziten und Ver-
ten Bown und Irwin (2018), dass die durchschnittli-                   schuldung, starkes Wachstum) hierfür keineswegs
chen Zollsätze der USA bei Konsumgütern von 4,6%                      weniger anfällig sind. Lediglich Länder, die erst eine
                                                                      1
* Prof. Dr. Carsten Hefeker ist Inhaber des Lehrstuhls für Europäi-     Sudden stops bezeichnet die abrupte Umkehr von Kapitalzuströ-
sche Wirtschaftspolitik an der Universität Siegen.                    men, die vor allem Schwellenländer betrifft.

                                                                                  ifo Schnelldienst   23 / 2018   71. Jahrgang   6. Dezember 2018   3
ZUR DISKUSSION GESTELLT

    starke reale Aufwertung hatten und große Leistungs-               ner Verschuldung in eigener Währung seit dem Jahr
    bilanzdefizite aufbauten, erleben stärkere Abflüsse               2000 von 10% auf 60% gestiegen ist.2 Aber während
    als Länder, die nur moderat aufwerteten und deren                 sich die Fremdwährungsverschuldung einiger Staaten
    Leistungsbilanzdefizite relativ gering anstiegen (vgl.            in Schwellenländern entspannt hat, gilt dies nicht für
    Eichengreen und Gupta 2015).                                      die Auslandsverschuldung von Unternehmen. Bruno
         Somit zeigt sich ein globaler Finanz- und Kredit-            und Shin (2018) zeigen, dass vor allem Unternehmen
    zyklus, in dem die amerikanischen Zinssätze ganz                  in Schwellenländer ihre Dollarverschuldung in den
    entscheidend sowohl für das Niveau wie auch die Ver-              letzten Jahren erhöht haben. Der gesamte Bestand
    änderungen von Kapitalströmen in Schwellenländer                  an Dollar denominierter Verschuldung von Nichtban-
    sind. So schätzen Bräuning und Ivashina (2018) einen              ken steht nach ihren Schätzungen bei mehr als 11 Bil-
    Volumeneffekt von rund 2%, wenn sich die US-Zinsen                lionen, wovon 3,7 Billionen auf Schwellenländer ent-
    um 0,25% verändern. Geht man von einer Veränderung                fallen, und sich somit seit 2010 verdoppelt hat. Grund
    von insgesamt 4% über den Zinszyklus in den USA aus,              dafür ist der sogenannte carry trade, der besonders
    so hat dies einen Effekt auf mehr als 30% der Kapital-            lukrativ ist, solange der Zinsabstand zum Dollar hoch
    ströme. Mit der Entscheidung der Schwellenländer                  und der Wechselkurs stark ist.3 Sie finden auch, dass
    zur Öffnung der Kapitalmärkte und der Integration in              nicht die Fremdwährungsverschuldung per se ein Pro-
    die globalen Finanzströme werden diese also anfällig              blem ist, sondern die Verwendung der Mittel entschei-
    für Änderungen der amerikanischen Geldpolitik – und               dend ist. Gefährdet sind vor allem diejenigen Firmen,
    dies gilt sowohl bei festen wie bei flexiblen Wechsel-            die mit den Fremdwährungsschulden Finanzanlagen
    kursen (vgl. Rey 2015). Während die meisten Studien               in heimischer Währung finanzieren und durch das
    immer noch zeigen, dass flexible Wechselkurse eine                damit verbundene Währungsungleichgewicht zwi-
    gewisse geldpolitische Autonomie erhalten und Län-                schen Anlagen und Verbindlichkeiten anfällig für eine
    der weniger anfällig für Krisen machen, sind die Vor-             Abwertung werden. Da carry trade besonders von grö-
    teile flexibler Kurse aber offenbar deutlich geringer,            ßeren Firmen betrieben wird, verlieren diese in die-
    als herkömmliche Theorien annehmen, da die Integr­                sem Fall stark an Börsenwert. Insgesamt finden die
    ation in die globalen Finanzmärkte auch bei Ländern               Autoren, dass vor allem Firmen mit großen Bargeldbe-
    mit flexiblen Wechselkursen die Finanzmarktstabili-               ständen in Brasilien, China und Russland von Abwer-
    tät gefährdet (vgl. Obstfeld und Taylor 2017).                    tungen betroffen sind, was auf den ersten Blick kon-
                                                                      traintuitiv ist. Der Grund liegt darin, dass offenbar vor
    ANFÄLLIG FÜR DEN DOLLAR                                           allem riskantere Firmen einen größeren Bedarf sehen,
                                                                      Reserven zu halten.
    Tatsächlich trauen die meisten Schwellenländer den                     Bruno und Shin (2018) kontrollieren auch für die
    angeblichen Vorteilen weitgehend flexibler Wech-                  positiven Effekte einer Abwertung durch eine Ver-
    selkurse nicht. Es wird geschätzt, dass rund 80% der              besserung der Exportchancen, finden aber, dass die
    Entwicklungs- und Schwellenländer Arrangements                    negativen Effekte aus der Verschuldung überwiegen.
    haben, die implizit einen Zielwert oder Korridor zu               Anders als oft erwartet, hat eine Abwertung vielfach
    einer anderen Währung definieren und somit nur eine               nicht die erwünschten positiven Effekte für eine Ver-
    beschränkte Flexibilität der Wechselkurse aufweisen,              besserung der Leistungsbilanz. Dabei wird meist
    was in der Anfälligkeit aus schwankenden Wechselkur-              unterstellt, dass eine nominale Abwertung zu einer
    sen begründet ist (vgl. Gopinath 2017).                           realen Abwertung führt, die Exporte verbilligt und
         Anfällig gegenüber starken Abwertungen sind                  Importe verteuert. Tatsächlich zeigen neuere Arbei-
    die Schwellenländer dabei aus verschiedenen Grün-                 ten, dass eine nominale Abwertung des Wechselkur-
    den. Traditionell wird vor allem auf das Ausmaß an                ses um 1% nur eine Veränderung um 0,1% des realen
    Fremdwährungsverschuldung verwiesen, das Kredit-                  Wechselkurses bewirkt (vgl. Gopinath 2017). Anders
    nehmer unter Druck setzt, wenn die Dollarzinsen stei-             als in den Standardmodellen unterstellt, sind offen-
    gen und die heimische Währung gegenüber dem Dol-                  bar nicht die Produzentenpreise in heimischer Wäh-
    lar abwertet. Dabei hat der Anteil des Dollar in inter-           rung fixiert, sondern werden die Exportpreise in
    nationaler Verschuldung zugenommen. Waren 2008                    Dollar fixiert. Eine Veränderung des Wechselkur-
    noch 45% der grenzüberschreitenden Verschuldung                   ses verändert damit zwar die Gewinne der exportie-
    in Dollar gezeichnet, so waren es 2016 über 60% (vgl.             renden Firmen, hat aber nur geringe Effekte auf das
    Gopoinath 2017). Entsprechend stark ist die Weltwirt-             Handelsvolumen.
    schaft gegenüber einer Änderung des Dollar exponiert.                  Zurückzuführen ist dies auf die dominante Stel-
         Während für lange Zeit vor allem die Staatsver-              lung des Dollar im internationalen Handel. Das Phäno-
    schuldung in Fremdwährung Ursache für Finanzkri-                  2
                                                                         Dies gilt aber noch längst nicht für alle Länder. Die Gebietskörper-
    sen gewesen ist, kann man hier eine gewisse Besse-                schaften Argentiniens sind mit rund 100 Mrd. in Dollar verschuldet,
                                                                      dazu kommen im privaten Sektor noch einmal knapp 70 Milliarden.
    rung beobachten, da es Schwellenländern zuneh-                    50 Milliarden dieser Auslandsschulden sind zum nächsten Jahr fällig.
    mend gelingt, Staatsschulden in lokaler Währung                   Es überrascht daher nicht, dass das Land beim IWF einen Kredit von
                                                                      mehr als 50 Mrd. Dollar aufgenommen hat.
    aufzunehmen. So berichten Du und Schreger (2017)                  3
                                                                         Beim carry trade werden niedrig verzinste Fremdwährungskredite
    für eine Gruppe von 14 Ländern, dass der Anteil exter-            aufgenommen und zu höheren Zinsen in Heimatwährung investiert.

4   ifo Schnelldienst   23 / 2018   71. Jahrgang   6. Dezember 2018
ZUR DISKUSSION GESTELLT

men der »dominanten« Währung zeigt sich vor allem                         Nicht zuletzt hat die jüngste Entwicklung auch
darin, dass der Anteil des Dollar mit 40% im interna-                die Diskussion über die dominante Rolle des Dollar
tionalen Handel viermal höher ist als der Anteil der                 wiederbelebt. So hat kürzlich EU-Kommissionprä-
USA am internationalen Handel.4 Nicht nur Handel,                    sident Jean-Claude Juncker in einer Rede vor dem
bei denen die USA auf einer Seite beteiligt sind, wird               Europäischen Parlament kundgetan, es sei »unsin-
in Dollar fakturiert, sondern auch der zwischen Staa-                nig« und »lächerlich«, wenn Produkte, die nicht aus
ten, die andere Währungen benutzen. Daher ist es                     den USA importiert würden, in Dollar abgerechnet
nicht der bilaterale Wechselkurs zwischen zwei Län-                  würden. Bereits seit längerer Zeit ist auch die chine-
dern, sondern der Kurs der eigenen Währung gegen-                    sische Regierung bemüht, die globale Bedeutung des
über dem Dollar, der die Handelsvolumen beein-                       Dollar zugunsten des Renminbi zu reduzieren. Bislang
flusst. Eine Abwertung der eigenen Währung gegen-                    ist allerdings nicht zu erkennen, dass die chinesische
über der des Handelspartners beeinflusst demnach                     Währung dem Dollar Konkurrenz machen könnte (vgl.
die eigenen Importpreise nur wenig. Wertet aber die                  De Gregorio et al. 2018). Und während mit der Einfüh-
Währung gegenüber dem Dollar um 1% ab, so steigen                    rung des Euro spekuliert wurde, dieser könnte irgend-
die Importpreise um 0,8%. Eine Aufwertung des Dol-                   wann den Dollar ablösen, ist davon gegenwärtig nur
lar gegenüber dem Rest der Welt führt daher zu einem                 noch wenig zu hören.
Rückgang des Handelsvolumens, da dies die Import-                         Es sind vor allem strukturelle Gründe, die gegen
preise aller Länder erhöht und so zum Rückgang von                   eine größere internationale Rolle anderer Währungen
Importen führt (vgl. Gopinath 2017). Diese Dominanz                  sprechen, und hier besonders die relativ geringe Liqui-
des Dollar wird schließlich noch verstärkt durch den                 dität der Währungs- und Anleihemärkte. Die Rolle des
Anreiz, sich in Dollar zu verschulden. Um eine natür-                Dollar wird erst zurückgehen, wenn sich sichere und
liche Absicherung gegen schwankende Wechselkurse                     verlässliche Anlagealternativen bieten. Mindestens im
zu schaffen, ist es naheliegend, Einkommen in Dollar                 Fall des Euro könnte man dem relativ leicht begegnen,
zu erzielen. Werden aber Exporte vermehrt in Dollar                  wenn es gemeinsame Eurobonds gäbe, die einen ent-
abgerechnet, stärkt dies die Rolle des Dollars weiter.               sprechend großen Markt schaffen würden. Das wird
                                                                     aber nicht nur von der deutschen Regierung vehement
REDUZIERUNG DER ANFÄLLIGKEIT                                         abgelehnt, und so lange das so ist, ist von einer größe-
                                                                     ren Rolle des Euro als Anlagewährung nicht auszuge-
Um die negativen Effekte einer Änderung der ameri-                   hen. Es ist also zu erwarten, dass der Dollar weiter die
kanischen Geldpolitik auf Schwellenländer zu redu-                   dominante Währung bleiben wird und die Schwellen-
zieren, ist eine naheliegende Forderung an die Fed,                  länder wohl oder übel daran und an der Geldpolitik
die externen Effekte ihrer Geldpolitik stärker zu be-                der USA hängen bleiben werden.
rücksichtigen (vgl. Rajan 2015). Eine moderatere Zins­
politik würde, so die Hoffnung, auch die Volatilität                 LITERATUR
von Kapitalströmen reduzieren. Ob die Fed dazu bereit
                                                                     Bown, C. und D. Irwin (2018), What Might a Trump Withdrawal from the
ist, ist jedoch fraglich. Eine weitergehende Form der                World Trade Organization Mean for US Tariffs?, Policy Brief 18-23, Peterson
internationalen Zusammenarbeit besteht in der Aus-                   Institute for International Economics, Washington DC.
weitung der existierenden Swap-Abkommen, die Län-                    Bräuning, F. und V. Ivashina (2018), »U.S. Monetary Policy and Emerging
                                                                     Market Credit Cycles«, NBER Working Paper 25185.
dern unter Druck Zugang zu internationaler Währung
                                                                     Bruno, V. und H. S. Shin (2018), »Currency Depreciation and Emerging
verschaffen, sowie die Schaffung regionaler Währungs-
                                                                     Market Corporate Distress, Bank for International Settlements«, Working
fonds wie der Chang-Mai-Initiative, dem BRICS Con-                   Paper 753.
tingent Reserve Arrangement oder des lateinameri-                    De Gregorio, J., B. Eichengreen, T. Ito und C. Wyplosz (2018), IMF Reform:
kanischen Reservefonds FLAR, die den IWF ergänzen                    The Unfinished Agenda, Geneva Reports on the World Economy 20, CEPR,
                                                                     London.
(vgl. De Gregorio et al. 2018). Noch sind die Mittel aber
                                                                     Du, W. und J. Schreger (2017), »Sovereign Risk, Currency Risk, and Corpo-
beschränkt, und einer Ausweitung der multilatera-                    rate Balance Sheets«, Columbia University, mimeo.
len Möglichkeiten im Rahmen des IWF werden die USA                   Eichengreen, B. und P. Gupta (2015), »Tapering Talk: The Impact of Expec-
kaum zustimmen.                                                      tations of Reduced Federal Reserve Security Purchases on Emerging Mar-
                                                                     kets«, Emerging Markets Review 25, 1–15.
      Unilateral können die betroffenen Staaten ihre
                                                                     Gopinath, G. (2017), »Rethinking Macroeconomic Policy: International
Verwundbarkeit natürlich durch die Reduzierung                       Economy Issues«, Harvard University, mimeo.
ihrer Dollarverschuldung senken, wofür erste Anzei-                  Obstfeld, M. und A. Taylor (2017), »International Monetary Relations:
chen zu sehen sind. Neue Schuldverschreibungen in                    Taking Finance Seriously«, Journal of Economic Perspectives 31(3), 3–28.

den sechs Monaten bis Oktober sind auf rund 24 Mrd.                  Rajan, R. (2015), »Competitive Monetary Easing: Is It Yesterday Once
                                                                     More?«, Macroeconomics and Finance in Emerging Market Economies 8,
Dollar und damit um mehr als 70% im Vergleich zum                    5–16.
Vorjahr gefallen. Stattdessen nahmen die Emissio-                    Rey, H. (2015), »Dilemma not Trilemma: The Global Financial Cycle and
nen in anderen Währungen zu (vgl. Financial Times,                   Monetary Policy Independence«, NBER Working Paper 21162.

15. November 2018).
4
  Für manche Länder, vor allem in Lateinamerika, ist der Anteil
noch höher. So sind 88% der argentinischen Importe in Dollar deno-
miniert, obwohl nur 15% aus den USA kommen.

                                                                                   ifo Schnelldienst   23 / 2018   71. Jahrgang   6. Dezember 2018   5
ZUR DISKUSSION GESTELLT

                                          Volker Treier*                                                       gen der handelspolitischen Konflikte – vor allem zwi-
                                                                                                               schen den USA und China – noch nicht in ihrer Gänze
                                          Asienkrise 2.0 – droht ein                                           entfaltet, so dass es für eine generelle Entwarnung
                                          neuer Flächenbrand?                                                  definitiv zu früh ist.

                                          Lira, Peso, Rand und Rupie. Im Laufe des Jahres                      HÖHERE US-ZINSEN BELASTEN DIE EMERGING
                                          sind die Währungen einiger Schwellenländer unter                     MARKETS
                                          Druck geraten. Auslöser war die Erhöhung der US-
                                          Leitzinsen durch die Fed. Die Steuerreform des                       Derzeit belaufen sich die US-Dollarschulden der
                                          US-Präsidenten hat dem Dollar zusätzlich Aufwind                     Emerging Markets laut Bank für Internationalen Zah-
                © DIHK/Jens Schicke

                                          verliehen. Das hat dazu geführt, dass sich die Ren-                  lungsausgleich (BIZ) auf rund 3,7 Billionen US-Dol-
                                          diteaussichten der Kapitalanleger im Vergleich zu                    lar. Damit haben sich die Verbindlichkeiten seit der
                                          den risikoreicheren Emerging Markets zum Vorteil                     Finanzkrise 2008 mehr als verdoppelt. Das lag in den
Volker Treier                             des »sicheren« Hafens USA verschoben haben. In                       vergangenen Jahren vor allem an den niedrigen Leit-
                                          der Folge kam es zu einer Umschichtung von Kapi-                     zinsen in den USA, Europa und anderen Industrie-
                                          tal nach Nordamerika. Das wiederum hat die Wäh-                      nationen. Die im Vergleich dazu attraktive Risiko-
                                          rungen einiger aufstrebender Ökonomien zur Abwer-                    prämie hat vermehrt Investoren in die aufstreben-
                                          tung gezwungen – vor allem dort, wo angesichts gro-                  den Ökonomien gelockt. Ende 2014 beendete die
                                          ßer Leistungsbilanzdefizite eine US-Dollarverschul-                  Fed jedoch ihre stark expansive Geldpolitik. Zunächst
                                          dung vorherrscht. Insbesondere in Argentinien und                    ließ die amerikanische Währungshüterin ihr Ankauf-
                                          in der Türkei hat zwischenzeitlich eine massive Kapi-                programm für Staatsanleihen auslaufen. Im Dezem-
                                          talflucht eingesetzt. Länderspezifische Probleme, die                ber 2015 hob sie in Reaktion auf die anziehende
                                          sich auch eher in einer strukturell ungleichgewichti-                US-Konjunktur auch die Zinsen von 0 auf 0,5% an.
                                          gen Außenwirtschaft ausdrücken, wurden offenge-                      Ab diesem Zeitpunkt gestaltete die Fed ihren geld-
                                          legt. Der Handelskonflikt zwischen China und den USA                 politischen Kurs zunehmend restriktiver. Seit Novem-
                                          belastet die Schwellenländer zusätzlich. Die meis-                   ber 2017 hat sie die Leitzinsen viermal erhöht – zum
                                          ten asiatischen Länder sind bei ihren Exporten auf                   letzten Mal im September 2018 auf 2,25%. Die kurz
                                          den amerikanischen Markt über das Reich der Mitte                    aufeinanderfolgenden Zinsanhebungen haben die
                                          verbunden.                                                           Währungen einiger Schwellenländer unter Abwer-
                                               Angesichts der aktuellen Entwicklungen füh-                     tungsdruck gebracht. Durch die Zinserhöhung stieg
                                          len sich viele an die Asienkrise in den 1990er Jahren                die Zinslast der US-Dollarverschuldung deutlich an.
                                          erinnert. Damals hatten unter anderem hohe Han-                      Die durch die Steuerreform beflügelte US-Konjunk-
                                          delsdefizite und eine exzessive Kreditaufnahme                       tur sowie die mit ihr angestoßene Repatriierung
                                          in Fremdwährung eine schwere Wirtschafts- und                        von Gewinnen verstärkten den Run auf den Dol-
                                          Finanzkrise in den Tiger- und Pantherstaaten aus-                    lar. Zeitgleich büßten die betroffenen Staaten als
                                          gelöst. Heute ist die Situation jedoch eine andere.                  Investitionsstandort relativ zu den USA an Attrakti-
                                          Schwellenland ist nicht mehr Schwellenland. Viele                    vität ein. Ausländische Geldgeber zogen Investi-
                                          aufstrebende Volkswirtschaften konnten ihre makro-                   tionsmittel in die Vereinigten Staaten ab. Das
                                          ökonomischen Rahmenbedingungen unter ande-                           wiederum ließ den Wert der heimischen Währung
                                          rem durch die Einführung flexibler Wechselkurse                      fallen und vergrößerte die reale Schuldenlast. Argen-
                                          und die Reduzierung ihrer Staatsschulden signifi-                    tinien und die Türkei traf die Zinserhöhung beson-
                                          kant verbessern. Im Vergleich zu einigen kriseln-                    ders hart. Dort setzte aufgrund der stark ausge-
                                          den Eurostaaten ist die staatliche Gesamtverschul-                   prägten Auslandsverschuldung und des hohen Leis-
                                          dung in der Breite geradezu vorbildlich. Dement-                     tungsbilanzdefizits ein Teufelskreis aus Kapitalflucht
                                          sprechend präsentieren sich viele Emerging Markets                   und Abwertung ein.
                                          deutlich widerstandsfähiger. Die Türkei und Argen-                        Auch in anderen Emerging Markets waren die
                                          tinien bilden zwei schwierige Sonderfälle. Abgese-                   Auswirkungen der gestiegenen Leitzinsen auf die hei-
                                          hen von den politischen Widrigkeiten im Zusam-                       mischen Währungen zu spüren. Im aktuellen »AHK
                                          menhang mit dem Putschversuch im Juli 2016 in                        World Business Outlook Herbst 2018« berichtet welt-
                                          der Türkei belastet beide Länder ein immenses                        weit jedes dritte deutsche Unternehmen, dass seine
                                          strukturelles Leistungsbilanzdefizit, das zu einem                   Auslandsgeschäfte von Wechselkursschwankungen
                                          Großteil durch kurzfristige Fremdwährungskredite                     bedroht werden – ein im Zeitvergleich besonders
                                          finanziert wird. Die Gefahr einer Ausbreitung der regi-              hoher Wert. Mit Ausnahme von den unter etlichen
                                          onalen Krisen in Verbindung mit höheren Zinsen –                     US-Sanktionen stehenden Ländern Iran (75%) und
                                          insbesondere in den USA – zu einem Flächenbrand                      Russland (71%) sehen die Betriebe das größte Wech-
                                          erscheint daher aktuell als nicht sehr hoch. Allerdings              selkursrisiko in der Türkei (79%) und in Argentinien
                                          haben sich die negativen konjunkturellen Auswirkun-                  (68%). Aber auch in Südafrika (64%), Indien (44%) und
                                          * Dr. Volker Treier ist Stellvertretender Hauptgeschäftsführer des
                                                                                                               Brasilien (42%) herrschen große Sorgen mit Blick auf
                                          Deutschen Industrie- und Handelskammertags, Berlin.                  die heimische Währung vor.

                                      6   ifo Schnelldienst   23 / 2018   71. Jahrgang   6. Dezember 2018
ZUR DISKUSSION GESTELLT

DENNOCH: SCHWELLENLÄNDER SIND WIDER-                           Es bleibt die Frage zu klären, warum es andere
STANDSFÄHIGER GEWORDEN                                    Schwellenländer wie Südafrika nicht ähnlich hart
                                                          getroffen hat wie die Türkei oder Argentinien. Im Früh-
Die aktuellen Entwicklungen in Argentinien und der        jahr musste das Land am Kap der guten Hoffnung auf-
Türkei sind zweifelsfrei besorgniserregend. Der Wert      grund einer verheerenden Dürre eine wirtschaftliche
des Peso hat sich seit letztem November gegenüber         Talsohle durchschreiten und wird dieses Jahr nur um
dem US-Dollar nahezu halbiert. Die Lira verzeichnet im    knapp 0,5% wachsen. Dennoch zeigt sich das Land
Vergleich zum April trotz einer leichten Erholungsphase   relativ stabil. Der afrikanische Rand war zwar im Laufe
noch immer ein Defizit von knapp 25%. Makroökono-         des Jahres Schwankungen unterworfen, konnte sich
misch zeigen sich beide Staaten durch die Wirtschafts-    jedoch leicht über dem Vorjahresniveau stabilisieren.
und Währungskrisen schwer angeschlagen. Das tür-          Ein starker Anstieg der Verbraucherpreise blieb eben-
kische Wirtschaftswachstum erfährt bereits dieses         falls aus wie eine Kapitalflucht der Investoren.
Jahr einen deutlichen Knick. Nächstes Jahr droht am            Die größten Herausforderungen Argentiniens und
Bosporus eine Stagnation. Argentinien ist derweil         der Türkei sind die hohen Leistungsbilanzdefizite von
bereits in eine Rezession gerutscht.                      rund 5% des Bruttoinlandsprodukts. Nach der Anhe-
     Nichtsdestotrotz ist die Gefahr einer Ausbreitung    bung der Zinsen haben die Investoren das Vertrauen
der Krise auf andere aufstrebende Volkswirtschaf-         verloren, dass diese Defizite weiterhin durch Zufluss
ten gering. Laut IWF werden die aufstrebenden Öko-        ausländischen Kapitals finanziert werden können –
nomien auch 2018 und 2019 um fast 5% wachsen. Im          sie haben ihr Kapital abgezogen. Zum Vergleich: In
Fall Argentiniens und der Türkei sind die Probleme in     Südafrika betrug das Defizit mit 2,3% nicht einmal die
erster Linie hausgemacht. In beiden Ländern kommt         Hälfte. Indien verzeichnete ein Minus von 2%, Brasi-
– so schmerzhaft die aktuellen Verwerfungen sind –        lien ein Minus von 0,5%.
schlichtweg das ökonomische Prinzip vom »rationa-              Ein weiterer Grund für das Ausbleiben der Krise
len Kapital« zum Tragen. Die Anteile wandern dorthin,     in anderen Schwellenländern ist die Struktur der Aus-
wo unter Einbeziehung von Risikofaktoren der größte       landsverschuldung. Ein hoher Anteil an kurzfristigen
Ertrag erzielt werden kann. Schwellenländer wie           Schulden wie zum Beispiel in Form von Portfolioin-
Indien, Malaysia oder Indonesien haben in der Vergan-     vestitionen macht ein Land per se anfälliger für Wech-
genheit wirtschaftspolitische Aufgaben gründlicher        selkursschwankungen. Bei dieser Form der Anlage
erledigt und sind dementsprechend besser gegen            stehen der Entwicklungsgedanke und der Kontroll­
den Abzug von ausländischem Kapital gewappnet.            aspekt über ein Unternehmen nicht im Mittelpunkt.
Der Blick auf zentrale Wirtschaftsdaten verschiedener     Investoren können ihr Kapital zeitnah in attraktivere
Emerging Markets hilft, um die geringe Widerstandsfä-     Anlagemärkte verlagern, wenn sich die Renditeaus-
higkeit von Buenos Aires und Ankara zu erklären.          sichten ändern. Dem gegenüber stehen die längerfris-
     Die Höhe der Staatsverschuldung scheint nicht        tigen Direktinvestitionen. Dabei handelt es sich um
der Auslöser der aktuellen Krise zu sein. In den meis-    Vermögensinvestitionen. Neben dem Kapital fließen
ten Schwellenländern hat sich die Staatsverschuldung      auch Technologie und Wissen in das Land. Der Inves-
zuletzt vergleichsweise positiv entwickelt. Brasilien     tor versucht nachhaltige Strukturen vor Ort zu schaf-
verzeichnet mit fast 90% des Bruttoinlandsprodukts        fen. Dementsprechend sind Direktinvestitionen weit
die höchste Schuldenquote unter den aufstrebenden         weniger volatil als Portfolioinvestitionen. Insbeson-
Ökonomien. Indien ist mit knapp 70%, Argentinien          dere in Argentinien und der Türkei ist der Anteil an
mit 63%, Südafrika und Malaysia jeweils mit 56% ver-      kurzfristigen Investitionen mit 12% beziehungsweise
schuldet. Die Türkei und Russland verbuchen sogar         14% überdurchschnittlich hoch. Im Vergleich kommt
nur ein Defizit von 33% beziehungsweise 15%               Südafrika lediglich auf 9%, Indien auf 4% und Brasi-
     Schwellenländer weisen traditionell eine hohe        lien auf 2,5%.
Verschuldung in Fremdwährung auf. Daher ist die Aus-
landsverschuldung – also alle Verbindlichkeiten des       SONDERFALL ARGENTINIEN
staatlichen und privaten Sektors gegenüber dem Aus-
land – ein aufschlussreicherer Indikator für die der-     In Argentinien wurde auch während der Erholungs-
zeitigen Probleme. Die Türkei ist mit über der Hälfte     phase der letzten Jahre weiterhin ein Großteil der
ihres Bruttoinlandsprodukts im Ausland verschuldet.       Staatsausgaben sowie das immense Leistungsbilanz-
Südafrika schuldet dem Ausland knapp die Hälfte sei-      defizit von mehr als 30 Mrd. Euro über eine hohe Aus-
nes Bruttoinlandsprodukts. Argentinien liegt bei 37%,     landsverschuldung in US-Dollar finanziert. Eine stär-
Brasilien und Indien bei 26% beziehungsweise bei          kere Finanzierung über die Anziehung von Direktinves-
20%. Angesichts dieser Zahlen wird deutlich, warum        titionen ist auch der Reformregierung von Präsident
Schwellenländer bei einer Abwertung der eigenen           Macri nicht gelungen. Der wachsende Schuldenberg
Währung schnell in die Bredouille geraten können.         wurde dem Land im Frühjahr zum Verhängnis. Die Anhe-
Argentiniens Auslandsverschuldung wird 2018 laut          bung der US-Leitzinsen hat die noch immer existieren-
IWF auf 51% steigen. Innerhalb eines Jahres erhöhen       den strukturellen Probleme des Landes frei gelegt, die
sich die Schulden des Landes damit um 14%.                Anleger zum Geldabzug bewegt und den Peso letztlich

                                                                    ifo Schnelldienst   23 / 2018   71. Jahrgang   6. Dezember 2018   7
ZUR DISKUSSION GESTELLT

    zur Abwertung gezwungen. Der vergleichsweise hohe                 Großteil der Geschäfte wie zum Beispiel Mietverträge
    Anteil an kurzfristigen Auslandsverbindlichkeiten hat             in Dollar getätigt werden, haben sich die Kosten für
    die Lage verschärft. Insbesondere die Portfolioinves-             viele Betriebe in der Türkei nahezu verdoppelt. Zah-
    titionen haben 2017 stark zugenommen. Dementspre-                 lungsausfälle und Insolvenzen sind derzeit die Folge.
    chend einfach war es für Investoren, ihr Geld aus dem                  Von der Türkei geht dennoch wenig Ansteckungs-
    Markt herausziehen. Selbst das IWF-Darlehen von über              gefahr aus. Die Verknüpfungen zu anderen Schwel-
    50 Mrd. Euro und Leitzinsen von 60% konnten die Kapi-             lenländern sind zu gering ausgeprägt. Die türkischen
    talflucht nicht gänzlich stoppen. Es fehlt das Vertrauen          Probleme sind in erster Linie länderspezifisch. Ein Ein-
    der Anleger in die Nachhaltigkeit des eigentlich positi-          bruch des Handels träfe zunächst die engsten Wirt-
    ven wirtschaftspolitischen Kurses der Regierung. Auch             schaftspartner: Das sind Deutschland, Russland und
    die deutsche Wirtschaft zeigt sich über die dortigen              China. Ein Risiko für andere vulnerable Emerging Mar-
    wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen besorgt:                 kets besteht vor allem dann, wenn diese Staaten dem
    Knapp drei Viertel der Betriebe in Argentinien geben              türkischen Beispiel von Kapitalverkehrskontrollen –
    die Wirtschaftspolitik als großen Unsicherheitsfak-               oder Ankündigung derselben – nacheifern und so das
    tor an. Im lateinamerikanischen Durchschnitt sind es              Vertrauen der Kapitalgeber verspielt werden sollte.
    ohnehin auch hohe 52%.
         Ein Übergreifen der Krise auf andere aufstre-                ANSTECKUNGSEFFEKTEN VORBEUGEN
    bende Ökonomien Südamerikas erscheint unwahr-
    scheinlich. Brasiliens Expansion hat sich zwar abge-              Die meisten Emerging Markets zeigen sich heute wider-
    schwächt, bleibt aber im positiven Bereich. Der bra-              standsfähiger als in früheren Zeiten. Die Probleme in
    silianische Real hat ebenfalls spürbar abgewertet,                Argentinien und der Türkei sind in erster Linie hausge-
    jedoch bei Weitem nicht im Umfang des Pesos. Gefahr               macht. Unsolide außenwirtschaftliche Defizite sowie
    droht am Zuckerhut allerdings für den Fall, dass die              politische Instabilität beziehungsweise Fragezeichen
    neugewählte Regierung der weltweit achtgrößten                    haben das Vertrauen der Anleger unterminiert bezie-
    Volkswirtschaft die nötigen Reformen im Land unter-               hungsweise nicht überzeugend restauriert (Argen-
    lässt. Für die restlichen Volkswirtschaften Südameri-             tinien). Die beste Prävention gegen die Entstehung
    kas stehen die Zeichen mit Ausnahme von Venezuela                 weiterer Krisenherde ist ein nachhaltiger wirtschafts-
    in der Summe weiterhin auf Wachstum.                              politischer Kurs. Dazu zählt neben einer soliden Haus-
                                                                      haltsführung auch die Stärkung des internationalen
    SONDERFALL TÜRKEI                                                 Handels und der Attrahierung ausländischer Direkt-
                                                                      investitionen im Rahmen von Freihandelsabkommen
    Am Bosporus zeigt sich eine ähnliche Entwicklung wie              sowie einer Verbesserung von Standortfaktoren. Ins-
    in Argentinien – ergänzt um eine politische Kompo-                besondere rohstoffreichen Schwellenländern bietet
    nente. Das türkische Wachstum wurde in den letzten                sich durch Freihandelsabkommen ein lukrativer Wirt-
    Jahren stark von Krediten in Fremdwährung getrie-                 schafts- und Warenaustausch mit den Ländern der
    ben. So hat sich in der Türkei über die Jahre ein Leis-           Europäischen Union. Eine rechtlich abgesicherte Inves-
    tungsbilanzdefizit von fast 50 Mrd. US-Dollar pro Jahr            titionsregelung im Rahmen eines Abkommens wie zum
    aufgebaut. Dabei haben die hohe Kassen- und Import-               Beispiel EU-Mercosur erhöht zudem die Attraktivität
    nachfrage die Preise sukzessive in die Höhe getrieben.            des Investitionsstandorts und kann helfen, neue Inves-
    Bei einem Inflationsziel von 5% lag die Preissteigerung           toren ins Land zu ziehen.
    im Jahr 2017 mit 11% mehr als doppelt so hoch. Als im
    Frühjahr 2018 die US-Leitzinsen gestiegen waren und               LITERATUR
    gleichzeitig einige Ratingagenturen die Bonität des
                                                                      DIHK e.V. (2018), AHK World Business Outlook, Herbst, Berlin.
    Landes herabgestuft hatten, geriet die heimische Wäh-
                                                                      Internationaler Währungsfonds (2018), World Economic Outlook, Challen-
    rung unter Druck. Die von den Märkten geforderte Leit-            ges to Steady Growth, Oktober, Washington DC.
    zinserhöhung wurde lange Zeit unterlassen. Auch in der
                                                                      Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Ent-
    Türkei konnten Investoren einen signifikanten Teil ihres          wicklung (2014), Mehr Vertrauen in Marktprozesse, Jahresgutachten
                                                                      2014/2015, Wiesbaden.
    Kapitals in kurzer Zeit problemlos abziehen.
         Die später erfolgten etatistischen Eingriffe der
    Regierung zur Stabilisierung der Währung wie die Kon-
    vertierungspflicht konnten den Sturz der Lira nicht
    stoppen. Sie wurden vielmehr als Signal der Verzweif-
    lung gesehen. Erst die deutliche Anhebung des Leit-
    zinses von 17,75 auf 24% durch die Nationalbank im
    September 2018 verschaffte der türkischen Währung
    etwas Luft. Aktuell leidet die Wirtschaft jedoch noch
    immer unter einer hohen Inflationsrate. Im Septem-
    ber erhöhten sich die Verbraucherpreise um knapp ein
    Viertel – so stark wie seit 15 Jahren nicht mehr. Da ein

8   ifo Schnelldienst   23 / 2018   71. Jahrgang   6. Dezember 2018
ZUR DISKUSSION GESTELLT

Ulrich Kater*                                                          Finanzkrise ausnahmsweise einmal nicht die Schwel-
                                                                       lenländer, sondern die »Industrieländer« betraf, gilt
Schwellenländer: Fester                                                weiterhin als Ausnahme von der Regel.
Bestandteil des Anlage-                                                     Allerdings ist in den vergangenen Jahren eine stär-
                                                                       kere Widerstandskraft der Schwellenländer gegen-
universums                                                             über finanzwirtschaftlichen Störfaktoren zu erken-
                                                                       nen. Nicht zuletzt sind die beiden letzten Belastungs-
Die Bilanz Anfang des vierten Quartals war alles                       phasen der Jahres 2013 und 2018 ohne eine weiter
andere als berauschend: Finanzanlagen in Schwel-                       gehende Ansteckung und damit ohne eine »Schwel-                                 Ulrich Kater

lenländern standen im Jahr 2018 unter keinem guten                     lenländerkrise« bewältigt worden. Dass es dabei zu
Stern. Emerging-Markets-Anleihen hatten sich von                       lokalen Krisen in einzelnen Ländern gekommen ist,
ihren im Sommer erreichten Tiefständen zwar stabili-                   2013 in Brasilien und in Indien, gegenwärtig in der Tür-
siert, doch sie steuern noch immer auf das schwächste                  kei und – wieder einmal – in Argentinien verdeutlicht
Jahresergebnis seit 2013 zu. Die Währungskrisen in                     vielleicht am besten, auf welchem Weg die Gruppe der
der Türkei und in Argentinien haben einen erheb-                       Schwellenländer ist, nämlich auf einem Weg der Aus-
lichen Beitrag zu der negativen Entwicklung 2018                       differenzierung, auf dem es krisenanfällige Volkswirt-
geleistet. Die Panik, die beide Märkte phasenweise                     schaften ebenso gibt wie krisenresistente.
erfasst hatte, war zwar nicht auf andere Länder über-
gesprungen, doch der makroökonomische Rahmen                           KAPITALFLÜSSE ÜBERRASCHEND STABIL
aller Länder wurde vor dem Hintergrund der beiden
Krisen genauer unter die Lupe genommen. Durch den                      Bei allen individuellen Unterschieden war das Dreh-
Test gefallen sind wie schon 2013 in erster Linie die                  buch der vergangenen Schwellenländerkrisen ähn-
Länder mit den höchsten Leistungsbilanzdefiziten:                      lich. Eine zentrale Rolle spielten jeweils die Kapital-
So zählten der südafrikanische Rand mit einem Rück-                    ströme. Hohe Kapitalzuflüsse ermöglichten Schwel-
gang von 12,2% in den ersten drei Quartalen, die in-                   lenländern Leistungsbilanzdefizite und damit die
dische Rupie (12,0%), die indonesische Rupiah                          Verschuldung im Ausland, ebenso wie sie inländische
(– 8,9%), der philippinische Peso (– 7,3%) und der                     Kreditbooms antrieben. Mit der Zeit wandelt sich
chilenische Peso (– 6,8%) zu den größten Verlie-                       die Struktur der Kapitalzuflüsse mehr und mehr von
rern unter den Währungen. Der brasilianische Real                      Direktinvestitionen hin zu Finanzinvestitionen mit
(– 17,6%) und der russische Rubel (12,2%) kamen auf-                   der Tendenz zu immer kürzeren Laufzeiten. Insbeson-
grund der anhaltenden politischen Unsicherheit mit                     dere feste Wechselkursregimes fördern solches Inves-
Blick auf die mittlerweile abgeschlossenen Wahlen                      torenverhalten, zumindest solange sie glaubwürdig
in Brasilien und die lange Zeit drohende Verschär-                     sind. Dauert der Zyklus lange genug an, ist die Gefahr
fung der Sanktionen für Russland noch weiter unter                     von Übertreibungen groß – Wachstum und makroöko-
Druck. Zusätzlich stiegen die Renditen von Lokalan-                    nomische Stabilität bleiben hinter den Erwartungen
leihen der Schwellenländer, was Kursverluste aus-                      zurück. Politische oder ökonomische Schocks füh-
löste. In der Gesamt­ertragsschau wurden diese Kurs-                   ren dann zu plötzlichem Kapitalabzug mit gesamt-
rückgänge zwar durch die Kuponzahlungen abgemil-                       wirtschaftlich erheblichen negativen Konsequen-
dert, das reine Rentenergebnis lag aber immer noch bei                 zen. Die Wechselkursanbindung kann nicht mehr auf-
– 0,4%, hinzu kommt das Währungsergebnis des Index                     rechterhalten werden. Zahlungsausfälle, Inflation
für EM-Inlandswährungsanleihen mit zusätzlichen                        und Zinserhöhungen führen die Länder in schwere
– 10,2%. Im Gegensatz dazu hielt sich der Markt für                    Anpassungskrisen.
EM-Hartwährungsanleihen deutlich besser: Der hier                           Daher überrascht es nicht, dass die geldpoliti-
maßgebliche Index verlor von Jahresbeginn bis zum                      sche Wende in den USA für die Schwellenländer das
Ende des dritten Quartals lediglich 3,0%. Ein ähnliches                beherrschende Thema ist, seitdem der damalige
Bild bietet sich auf der Aktienseite: Ein breiter Markt-               US-Notenbankchef Ben Bernanke sie im Mai 2013
index über alle Schwellenländer wies von Jahresan-                     eingeleitet hat. Diese geldpolitische Schubumkehr
fang bis Anfang des vierten Quartals einen Rückgang                    hat mittlerweile die Weltfinanzmärkte erreicht und
von 13,7% auf.                                                         ist im Jahr 2018 weit vor allen weltpolitischen Ein-
     Die Entwicklungen in diesem Jahr, insbesondere                    flussfaktoren der Haupttreiber der Kursverluste bei
zur Jahresmitte, haben die Angst vor einer generel-                    Aktien und Anleihen gewesen. An den Finanzmärkten
len Schwellenländerkrise geschürt. Währungs- und                       der Emerging Markets war die geldpolitische Wende
Finanzkrisen gehören landläufig immer noch zu den                      bereits wesentlich früher angekommen. Bereits sehr
Definitionsmerkmalen von Schwellenländern. Die                         früh nach der bloßen Ankündigung der Fed, ihr A­n -
Häufigkeit von staatlichen Zahlungsausfällen und                       leihekaufprogramm auslaufen zu lassen, bestand
Währungsschocks in den vergangenen Jahrzehnten                         die Sorge, dass steigende US-Zinsen zu einer Umkehr
scheinen das zu bestätigen. Dass die letzte große                      der Kapitalströme führen könnten. Die Daten der
* Dr. Ulrich Kater ist Chefvolkswirt bei der Deka Bank, Frankfurt am
                                                                       nachfolgenden Jahre deuteten denn auch auf stei-
Main.                                                                  gende Kapitalabflüsse hin: Im Jahr 2015 lag der

                                                                                 ifo Schnelldienst   23 / 2018   71. Jahrgang   6. Dezember 2018   9
ZUR DISKUSSION GESTELLT

     private Nettokapitalabfluss aus Schwellenländern                  der jüngeren Vergangenheit zu flexiblen Wechselkur-
     bei 739 Mrd. US-Dollar. 2013 war es noch zu einem                 sen übergegangen sind, haben Länder wie Algerien,
     Nettozufluss in Höhe von 297 Mrd. US-Dollar gekom-                Angola, die Dominikanische Republik oder Kroatien
     men, so dass sich der Saldo innerhalb von zwei Jah-               den entgegengesetzten Weg eingeschlagen.
     ren um über eine Billion US-Dollar verschlechtert
     hatte. Dieser private Kapitalabfluss wurde von mas-               HOHE VERSCHULDUNG GRUND ZUR BESORGNIS
     siven Devisenmarktinterventionen begleitet, in dem
     Versuch der Zentralbanken, ihre Währungen zu sta-                 Einen generellen Grund zur Besorgnis bilden die stark
     bilisieren. Die Zentralbanken der Schwellenländer                 gestiegenen Verschuldungsniveaus in den Schwellen-
     veräußerten 2015 netto Währungsreserven in Höhe                   ländern. Seit dem Jahr der Finanzkrise 2008 sind die
     von 496 Mrd. US-Dollar, während 2013 die Reser-                   Verschuldungsquoten (alle Sektoren) der Schwellen-
     ven noch um 533 Mrd. US-Dollar gestiegen waren.                   länder im Durchschnitt von 146 auf 211% in Relation
     2016 lagen die Nettokapitalabflüsse mit 373 Mrd.                  zum BIP angestiegen. Allerdings lohnt es sich auch
     US-Dollar erneut auf hohem Niveau. Die Währungs­                  hier, hinter die Zahlen zu schauen. Denn auch hier ist
     reserven schrumpften um weitere 236 Mrd. US-Dol-                  ein Großteil der Verschuldungszunahme der chinesi-
     lar. Es handelte sich bei dieser Umkehr der Kapital-              schen Konjunkturprogramme nach der Finanzkrise
     flüsse jedoch nicht um einen allgemeinen Trend:                   zuzuschreiben, die bei der staatlichen Verschuldung,
     Wie so viele Schwellenlän­derstatistiken wird auch                mehr aber noch bei den Schuldenquoten von Unter-
     diese von der Entwicklung in China dominiert. Von                 nehmen und Haushalten zu erheblichen Zuwächsen
     den gesamten privaten Nettoabflüssen des Jah-                     geführt hat. Nur relativ wenige andere Schwellenlän-
     res 2015 in Höhe von 739 Mrd. US-Dollar entfielen                 der haben einen ähnlich bedenklichen Weg gewählt,
     680 Mrd. auf Nettoabflüsse aus China. 2016 lagen                  bei dem der Anstieg der Verschuldung durch die Ent-
     die Nettoabflüsse aus China bei 460 Mrd. US-Dol-                  wicklung von Realwirtschaft oder die notwendige
     lar. Bei einem Gesamtabfluss aus den Emerging Mar-                finanzielle Vertiefung im Entwicklungsprozess nicht
     kets von 373 Mrd. US-Dollar bedeutet dies für die                 zu rechtfertigen ist.
     übrigen Länder sogar einen Nettozufluss in Höhe                        Im Gegenteil lassen sich für die gegenwärtig zu
     von 87 Mrd. US-Dollar. Diese Zahlen konnten so ge-                beobachtende Widerstandkraft gegen die negati-
     deutet werden, dass sich Schwellenländer im Allge-                ven Wirkungen einer strafferen US-Geldpolitik in vie-
     meinen noch einigermaßen stabil hielten, während                  len Ländern sogar verbesserte Finanzrelationen an­­
     sich in China eine bedrohliche Entwicklung andeu-                 führen. So sind die Währungsreserven in den meis-
     tete – allerdings waren hier weniger die Umkehr inter­            ten Schwellenländern heute deutlich höher als etwa
     nationale Investoren als vielmehr die Anlageentschei-             in den 1990er Jahren. Die Krisenkandidaten der
     dungen von Inländern oder sogar staatliche Direkt­                Ver­gangenheit, angefangen von Thailand, Indone-
     investitionen im Ausland ursächlich. China reagierte              sien und Malaysia 1997 über Russland 1998 bis hin zu
     auf diese Bedrohung mit Einschränkung der Konver-                 Argentinien 2001, wiesen vor ihren damaligen Krisen­
     tibilität, nachdem vorher ein Viertel der hohen Devi-             erfahrungen deutlich geringere Währungsreserven
     senreserven zur Stützung der Währung aufgewendet                  als kurzfristige Auslandsschulden auf. Heute ist dies
     wurden, um eine starke Abwertung zu verhindern.                   nur bei der Türkei sowie der Ukraine der Fall. Die
     Zwar hängt das Damoklesschwert der Kapitalflucht                  meisten Länder verzeichnen doppelt so hohe Reser-
     weiterhin über dem Land und verhindert über not-                  ven im Vergleich zu ihren kurzlaufenden Verbindlich-
     wendige Konvertibilitätsbeschränkungen die weitere                keiten im Ausland. Dies sorgt für ein größeres Ver-
     Entwicklung zur Weltreservewährung, das akute Pro-                trauen bei Investoren und schafft in Stressperio-
     blem hoher Kapitalabflüsse wurde allerdings effektiv              den Zeit für die makroökonomische Anpassung. Dies
     behoben.                                                          ermöglicht es auch, die in den vergangenen Jahren
           In großen Schwellenländern wie Brasilien, Südaf-            angestiegene Verschuldung in harter Währung zu
     rike, der Türkei, Indien und Indonesien haben flexible            rechtfertigen. Fremdwährungen spielen dabei ge­
     Wechselkurse in den vergangenen Jahren zur Mode-                  genwärtig für die staatlichen Schulden eine geringe
     rierung von Ungleichgewichten beigetragen. So steu-               Rolle: Außerhalb Chinas liegen die Volumina der
     ert die Türkei mittlerweile auf eine ausgeglichene Leis-          staatlichen Verbindlichkeiten in Fremdwährung bei
     tungsbilanz hin. Dass Emerging Markets jedoch gene-               durchschnittlich unter 10% gemessen am heimischen
     rell zu flexiblen Wechselkursregimes übergegangen                 BIP. Die chinesische Staatsschuld etwa ist dabei zu
     sind, lässt sich nicht belegen. In den 1990er Jahren              fast 100% in heimischer Währung denominiert. China
     ließen tatsächlich nur ein gutes Drittel der Schwellen-           selber sollte bei der langen Historie von Leistungs­
     länder den Außenwert ihrer Währung frei schwanken.                bilanzüberschüssen und einer weiterhin nicht voll-
     Nach der Asienkrise stieg dieser Anteil zwar auf 60%              ständig konvertiblen Währung noch eine Weile lang
     an, um danach jedoch wieder deutlich zurückzufallen.              von außenwirtschaftlichen Krisen verschont sein.
     Auch heute haben etwa nur die Hälfte der Schwellen-               Allerdings steuert das Land auf eine außenwirt-
     länder flexible Wechselkursregimes. Während etwa                  schaftliche Zeitenwende zu. Hier wird es in den kom-
     Länder wie Russland, Kasachstan oder Paraguay in                  menden Jahren darauf ankommen, ob das Land die

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