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10 2018 24. Mai 2018 71. Jahrgang FORSCHUNGSERGEBNISSE ZUR DISKUSSION GESTELLT Ungleichheit und Wirtschafts- wachstum: Warum OECD und IWF falsch liegen Big Data als Clemens Fuest, Florian Neumeier und Daniel Stöhlker Geschäftsmodell: Regionale Ungleichheit der Arbeitsproduktivität Wie mit der Macht Martin Braml und Gabriel Felbermayr der Internetfirmen DATEN UND PROGNOSEN umgehen? Investitionen nehmen Katarina Barley, Achim Wambach, Ralf Dewenter, Fahrt auf Christian Hildebrandt, Hamidreza Hosseini und Holger Schmidt, Magnus Reif und Arno Städtler Peter Buxmann ifo Weltwirtschaftsklima verschlechtert sich Dorine Boumans IM BLICKPUNKT Kurz zum Klima: »Sektorkopplung« Sophia Appl Scorza, Johannes Pfeiffer, Alex Schmitt und Christoph Weissbart
ifo Schnelldienst ISSN 0018-974 X (Druckversion) ISSN 2199-4455 (elektronische Version) Herausgeber: ifo Institut, Poschingerstraße 5, 81679 München, Postfach 86 04 60, 81631 München, Telefon (089) 92 24-0, Telefax (089) 98 53 69, E-Mail: ifo@ifo.de. Redaktion: Dr. Marga Jennewein. Redaktionskomitee: Prof. Dr. Dr. h.c. Clemens Fuest, Annette Marquardt, Prof. Dr. Chang Woon Nam. Vertrieb: ifo Institut. Erscheinungsweise: zweimal monatlich. Bezugspreis jährlich: Institutionen EUR 225,– Einzelpersonen EUR 96,– Studenten EUR 48,– Preis des Einzelheftes: EUR 10,– jeweils zuzüglich Versandkosten. Layout: Kochan & Partner GmbH. Satz: ifo Institut. Druck: Majer & Finckh, Stockdorf. Nachdruck und sonstige Verbreitung (auch auszugsweise): nur mit Quellenangabe und gegen Einsendung eines Belegexemplars. im Internet: http://www.cesifo-group.de
SCHNELLDIENST 10/2018 ZUR DISKUSSION GESTELLT Big Data als Geschäftsmodell: Wie mit der Macht der Internetfirmen umgehen? 3 In der Digitalwirtschaft zielen viele Geschäftsmodelle auf das Erheben von Daten, insbesondere personenbezo- genen Daten, ab. Die enormen Datenmengen geben jedoch Anlass zur Diskussion. Werden die Nutzer ausgespäht und Datenmissbrauch betrieben, oder basiert das Geschäftsmodell darauf, Informationen über die Nutzer zu sammeln, um diese weiterzugeben. Sind das Wettbewerbsrecht und das Datenschutzgesetz ausreichende Ins trumente, um die Macht der Internetfirmen zu kontrollieren? Oder sollten sie sogar – wie von manchen Experten gefordert – zerschlagen werden? Nach Ansicht von Katarina Barley, Bundesministerin der Justiz und für Verbrau- cherschutz, ist ein Transparenzgebot für Algorithmen nötig. Zur digitalen Entwicklung gehöre ein verlässlicher rechtlicher Ordnungsrahmen, der Raum für Innovationen enthalte, aber auch Handhabe gegen Datenmissbrauch, Betrug und Diskriminierungen biete. Zudem brauche man eine Art »Corporate Digital Responsibility«. So könne die Sicherheit von Daten ein Standortvorteil sein. Achim Wambach, Monopolkommission und ZEW, Mannheim, bringt Big Data viele Vorteile für die Verbraucher – von individualisierten Diensten bis hin zu geeigneterer Wer- bung – mit sich. Daher sollte die Nutzung von Daten als Geschäftsmodell auch zukünftig ermöglicht und Innova- tionen gefördert werden. Dies müsse allerdings durch eine wettbewerbsfördernde Ordnungspolitik, durch Daten- schutzanforderungen und Wettbewerbsinstrumente, die Marktmachtmissbrauch effektiv ahnden, flankiert werden. Eine Zerschlagung oder Entflechtung von Internetkonzernen seien zu drastische Eingriffe in die markt- wirtschaftliche Ordnung und die Rechte der betroffenen Unternehmen und derzeit keine Option. Ralf Dewenter, Helmut-Schmidt-Universität Hamburg, weist darauf hin, dass die Daten nicht nur Teil einiger Geschäftsmodelle, sondern viele der Geschäftsmodelle untrennbar mit der Erhebung und Verwendung von Daten verbunden seien. Die Forderung, ganz auf die Datenerhebung zu verzichten, sei demnach weder realistisch noch sinnvoll. Ein Ein- griff in die Struktur der Geschäftsmodelle bedeute, dass die Qualität der Produkte und die Innovationstätigkeit beeinflusst würde. Ein Teil der Probleme sei auf die Marktmacht von Plattformen zurückzuführen, ein anderer Teil entstehe aus Datenschutzaspekten. Ein wichtiges Element, das sowohl für den Wettbewerb als auch den Datenschutz relevant sei, sei die Transparenz über die Verwendung der Daten, ein erstes Mittel dafür, Informati- onsasymmetrien abzubauen. Christian Hildebrandt, WIK GmbH, Bad Honnef, sieht in einer fortwährenden syste- matischen Marktbeobachtung von Internetplattformen ein geeignetes und angemessenes Instrument für Wett- bewerbs- und Regulierungsbehörden. Das Ziel bestehe zunächst darin, eine hinreichende Informationsbasis mit einem fundierten Erkenntnisstand zu verbinden. Hamidreza Hosseini, ECODYNAMICS, und Holger Schmidt, Digital Economist, schlagen den Unternehmen vor, im Rahmen der Unternehmensstrategie eine umsetzungsorientierte Datenstrategie zu etablieren, die die Chancen bei der internen Nutzung und dem Umgang mit den Daten festlegt. Für die externe Nutzung der Daten sei es notwendig, Themen wie Kundenbegeisterung zu definieren. Peter Bux- mann, Technische Universität Darmstadt, zeigt das Spannungsfeld zwischen dem Wert von Daten für Unterneh- men einerseits und der Privatsphärensorgen von Nutzern andererseits auf: Anbieter können auf Basis von Daten lukrative Geschäftsmodelle entwickeln, Nutzer zahlen die angebotenen Services zum Teil durch Aufgabe ihrer Privatsphäre, obwohl die meisten mit dem Deal »Service gegen Daten« nicht einverstanden sind. Allerdings sei es aufgrund des potenziell hohen Wertes von Daten für Wirtschaft und Gesellschaft nicht sinnvoll, datenbasierte Geschäftsmodelle zu verbieten. Es sollte aber verstärkt auf die Fairness der entsprechenden Angebote geachtet werden. So sei unter anderem von den Anbietern mehr Transparenz in Bezug auf die von den Nutzern erfassten Daten und die Verarbeitung bzw. Weitergabe dieser Daten zu fordern. FORSCHUNGSERGEBNISSE Ungleichheit und Wirtschaftswachstum: Warum OECD und IWF falsch liegen 22 Clemens Fuest, Florian Neumeier und Daniel Stöhlker In zwei kürzlich erschienenen Studien stellen die OECD und der IWF die Behauptung auf, Ungleichheit wirke sich negativ auf das Wirtschaftswachstum aus, und schlussfolgern, umverteilende Politikmaßnahmen hätten keine wachstumshemmende Wirkung. Diese Behauptung ist irreführend. Eine empirische Analyse demonstriert, dass für einkommensstarke Länder ein positiver – und kein negativer – Zusammenhang zwischen Ungleichheit und
Wachstum besteht. Diese Relation spiegelt jedoch keinen Kausalzusammenhang wider. Sowohl Wachstum als auch Ungleichheit sollte man als Größen betrachten, die von einer Vielzahl an Faktoren beeinflusst werden. Dazu gehören von der Politik gesetzte oder stark beeinflusste Faktoren wie Humankapitalinvestitionen, Steuergesetze oder die staatliche Regulierung der Wirtschaft. Regionale Ungleichheit der Arbeitsproduktivität in Deutschland und der EU: Was sagen die Daten? 26 Martin Braml und Gabriel Felbermayr Im ifo Schnelldienst 7/2018 wurde gezeigt, dass die regionale Ungleichheit in Deutschland und der EU, gemessen an der Varianz des BIP pro Einwohner auf Kreisebene, seit 2000 zurückgeht. Dieser Betrag belegt, dass das Niveau der regionalen Ungleichheit deutlich niedriger ist, wenn man die Wirtschaftskraft pro Beschäftigten – ein Maß für die Arbeitsproduktivität – untersucht. Der Grund dafür ist das Einpendeln vieler Menschen in Kreise mit hohem BIP pro Einwohner. Die Mobilität des Faktors Arbeit verringert auf zwei Arten die regionale Ungleichheit: Zum einen führt er durch Zu- und Fortzug zu einer Änderung der Knappheitsverhältnisse und gleicht die Pro-Kopf-Ein- kommen an. Zum anderen führt kreisüberschreitendes Pendeln dazu, dass regionale Produktion und regiona- ler Konsum nicht deckungsgleich sein müssen. Es profitieren viele Kreise von Produktionshubs in ihrer nähe- ren Umgebung, in die die Arbeitnehmer einpendeln können, ohne gleich hinziehen zu müssen. Die räumliche Ungleichheit ist – auch mit dieser Metrik gemessen – in Deutschland deutlich rückläufig. DATEN UND PROGNOSEN Investitionen nehmen Fahrt auf 32 Magnus Reif und Arno Städtler Der auf den Geschäftslagebeurteilungen der Leasinggesellschaften basierende Investitionsindikator, den das ifo Institut und der Bundesverband Deutscher Leasing-Unternehmen gemeinsam ermitteln, signalisiert für das Jahr 2018 einen Anstieg der Ausrüstungsinvestitionen von nominal 5,9%, nach einem Anstieg um 4,3% im Vorjahr. Auch für das kommende Jahr ist nochmals mit einem Wachstum zu rechnen, wenn auch mit etwas verminderter Dyna- mik. Ursächlich hierfür dürfte der inzwischen acht Jahre anhaltende Aufschwung und die ständige Zunahme des Auslastungsgrades der deutschen Wirtshaft sein, der inzwischen in eine deutliche Überauslastung der gesamt- wirtschaftlichen Kapazitäten, insbesondere im Baugewerbe, übergegangen ist. Daher ist damit zu rechnen, dass kapazitätserweiternde Investitionen zunehmen. ifo Weltwirtschaftsklima verschlechtert sich 36 Ergebnisse des 140. World Economic Survey (WES) für das zweite Quartal 2018 Dorine Boumans Das ifo Weltwirtschaftsklima hat sich verschlechtert. Der Indikator sank im zweiten Quartal und befindet sich damit in etwa wieder auf dem Niveau des vierten Quartals 2017. Die Beurteilungen zur aktuellen Wirtschaftslage bleiben unverändert günstig, aber die Erwartungen sind deutlich weniger optimistisch als im Quartal zuvor. Der Aufschwung der Weltkonjunktur ist weiterhin intakt, schwächt sich jedoch ab. Insgesamt rechnen die WES-Exper- ten mit einem Anstieg des Weltbruttoinlandsprodukts von 3,9% in diesem Jahr. IM BLICKPUNKT Kurz zum Klima: »Sektorkopplung« – Ansätze und Implikationen der Dekarbonisierung des Energiesystems 49 Sophia Appl Scorza, Johannes Pfeiffer, Alex Schmitt und Christoph Weissbart Der deutsche Klimaschutzplan sieht vor, die Treibhausgasemissionen in Deutschland bis 2050 um 80 bis 95% gegenüber 1990 zu reduzieren. Auch wenn im Detail noch große Unsicherheit darüber besteht, wie dieses Ziel kon- kret erreicht werden soll, ist in jedem Fall davon auszugehen, dass die Nutzung erneuerbarer Energien nicht nur im Stromsektor erheblich ausgebaut werden muss. In diesem Zusammenhang hat der Begriff der »Sektorkopp- lung« in den vergangenen Jahren in der energiepolitischen Diskussion in Deutschland an Bedeutung gewonnen. Dieser Beitrag führt in das Thema ein: Er definiert zunächst den Begriff der Sektorkopplung und grenzt diesen ein, bevor einzelne Sektoren und Schlüsseltechnologien genauer betrachtet sowie aktuelle Kostenabschätzungen der Dekarbonisierung des Energiesystems diskutiert werden.
ZUR DISKUSSION GESTELLT Big Data als Geschäftsmodell: Wie mit der Macht der Internetfirmen umgehen? In der Digitalwirtschaft zielen viele Geschäftsmodelle auf das Erheben von Daten, insbeson- dere personenbezogenen Daten, ab. Die enormen Datenmengen geben jedoch Anlass zur Dis- kussion. Werden die Nutzer ausgespäht und Datenmissbrauch betrieben, oder basiert das Geschäftsmodell darauf, Informationen über die Nutzer zu sammeln, um diese weiterzuge- ben. Sind das Wettbewerbsrecht und das Datenschutzgesetz ausreichende Instrumente, um die Macht der Internetfirmen zu kontrollieren? Oder sollten sie sogar – wie von manchen Experten gefordert – zerschlagen werden? Katarina Barley* zahlreiche Arbeitsplätze durch Computer ersetzt und © Thomas Köhler/ photothek ganze Berufe überflüssig. Wir brauchen ein Trans Alle diese Entwicklungen waren keine Naturereig- parenzgebot für Algorithmen nisse, die die Menschen gottesfürchtig hinnehmen und akzeptieren mussten. Im Gegenteil: Alle industriellen – die Sicherheit von Daten photothek Revolutionen warfen die Frage auf, wie Gesellschaft und kann ein Standortvorteil sein Politik auf den technischen Fortschritt reagieren. Die- ser ständigen Diskussion über den Umgang mit Maschi- Katarina Barley Die Digitalisierung durchdringt alle Teile der Gesell- nen verdanken wir zum Beispiel unsere Sozialgesetzge- schaft. Es gibt keinen Lebensbereich, der nicht von der bung, das Arbeitsrecht und den Arbeitsschutz. digitalen Vernetzung erfasst wird: Wir arbeiten in der Cloud. Wir orientieren uns an fremden Orten mit Navi- VERÄNDERUNGEN ZUM WOHLE DER MENSCHEN gationssystemen. Wir pflegen berufliche und private GESTALTEN Kontakte über das Internet. Wir unterhalten uns mit Intelligenten Assistenten wie »Siri« und »Alexa«, lassen Im September vergangenen Jahres ist eine Partei mit uns von ihnen Dinge erklären, die wir nicht verstehen, dem Slogan »Digital first – Bedenken second« in den und geben über sie Bestellungen auf, um uns etwas lie- Bundestagswahlkampf gezogen. Das griffige Motto fern zu lassen. offenbart, dass da jemand die Geschichte unserer Das fundamental Neue an dieser sogenannten Industrialisierung nicht wirklich verstanden hat. Und vierten industriellen Revolution ist, dass bisher gül- es zeigt, dass sich jemand vor der wichtigsten Aufgabe tige Grenzen zwischen virtuell und real, zwischen drücken will, die Politik hat: nämlich Veränderungen privat und öffentlich, ja selbst zwischen Mensch und nicht tatenlos zuzuschauen, sondern diese zum Wohle Maschine verschwimmen. Die immer stärkere digitale der Menschen aktiv zu gestalten. Vernetzung führt dazu, dass man die Welt am Ende Die Politik muss neue Ideen fördern und Innovati- nicht mehr in »online« und »offline« aufteilen kann. onen unterstützen. Dazu gehört aber auch, die gesell- Alle bisherigen industriellen Revolutionen boten schaftlichen Auswirkungen von technischen Innovati- neue Möglichkeiten und Chancen für die Menschheit. onsprozessen genau zu beobachten, wissenschaftlich Sie bargen aber immer auch Risiken, die erkannt und zu analysieren und politisch zu begleiten. Eine ange- minimiert werden mussten: Die erste industrielle Revo- messene und realistische Technikfolgenabschätzung lution brachte den Manchester-Kapitalismus hervor ist ein wesentliches Element der staatlichen Verant- und spitzte die Soziale Frage zu. Die zweite industrielle wortung für seine Bürgerinnen und Bürgern. Revolution führte zur Akkordarbeit, die den Beschäftig- Es geht auch bei der Digitalisierung letztlich um ten in den Fabriken körperlich und psychisch zusetzte. Fragen der Freiheit, Sicherheit und Gerechtigkeit. Nur Während der dritten industriellen Revolution wurden wenn die Menschen die Überzeugung gewinnen, dass sich ihnen wirkliche und konkrete Vorteile bieten, * Dr. Katarina Barley ist Bundesministerin der Justiz und für Ver- kann das notwendige Vertrauen in die vernetzte Welt braucherschutz. wachsen. ifo Schnelldienst 10 / 2018 71. Jahrgang 24. Mai 2018 3
ZUR DISKUSSION GESTELLT Es gilt, eine Reihe von grundsätzlichen Fragen zu personalisierter Werbung zugunsten von Trump zu klären: Wie gehen wir mit den in einer digitalen und ver- beeinflussen. Einen solchen Missbrauch persönlicher netzten Welt entstehenden neuen Abhängigkeiten um? Daten dürfen wir nicht dulden. Freiheit und Selbstbe- Wie bewahren wir uns wichtige Werte wie Freiheit und stimmung sind in einer offenen Gesellschaft ohne Pri- Souveränität? Wie verhindern wir, dass Menschen zum vatheit nicht denkbar. Nur wer weiß, was mit seinen bloßen Gegenstand von Technik werden? Wie gewähr- Daten geschieht, kann über ihre Verarbeitung souve- leisten wir auch in der digitalen Welt einen Datenschutz rän entscheiden. auf hohem Niveau? Ich finde es äußerst bedenklich, dass soziale Netz- Gerade erst hat eine Studie gezeigt, wie abhän- werke das Verhalten ihrer Nutzerinnen und Nutzer zu gig wir inzwischen von digitalen Plattformen sind, kommerziellen Zwecken ausforschen. Richtig gefähr- indem die Autoren ermittelten, einen wie hohen Wert lich wird es aber, wenn Tracking, Profiling und Scoring Nutzerinnen und Nutzer kostenlosen Internetdiens- eingesetzt werden, um die politische Willensbildung zu ten zumessen. Die Forscher befragten in den USA rund beeinflussen. Damit gerät der demokratische Diskurs 3 000 Internetnutzer, für wie viel Geld sie bereit wären, insgesamt in Gefahr. Wenn unter dem Mantel der tech- auf Plattformen wie Google, Facebook oder YouTube nischen Objektivität die Anzeige von Nachrichten und zu verzichten. Für Facebook ermittelten die Forscher Werbung politisch manipuliert wird, dann bleibt die einen durchschnittlichen Wert von rund 50 Dollar pro demokratische Selbstbestimmung auf der Strecke. Monat. Manche Nutzer waren aber nicht einmal für Wir befinden uns da in einer Situation »David 1 000 Dollar bereit, einen Monat lang ohne Facebook gegen Goliath«: die einzelnen Nutzerinnen und Nut- auszukommen. Besonders hoch schätzten die befrag- zer gegen die geballte Wirtschaftsmacht und die Unter- ten Nutzerinnen und Nutzer den Wert von Suchmaschi- nehmen. Gerade deswegen braucht es hier den Rechts- nen ein: Im Median hätten die Forscher pro befragtem staat und den Verbraucherschutz, um das Machtgefälle Nutzer mehr als 17 500 Dollar zahlen müssen, damit auszugleichen. diese ein ganzes Jahr lang auf sämtliche Suchmaschi- Die seit Mai geltende Europäische Daten- nen im Internet verzichten. schutz-Grundverordnung macht es deutlich einfacher, Auch wenn die Zahlen in den USA erhoben wurden, individuell auszuwählen, welche Daten man freigeben gelten sie so oder ähnlich sicher in fast allen modernen will – und welche eben nicht. Und sie eröffnet auch Staaten. Denn die zugrunde liegenden technischen bei der Sanktionierung einen deutlich weiteren Rah- Entwicklungen vollziehen sich auf der ganzen Welt. men für die unabhängigen Datenschutzbehörden: Eine Globale Phänomene wie der Klimawandel, Migrations- Geldbuße von 4% des weltweiten Jahresumsatzes ist bewegungen oder eben auch die Digitalisierung stel- bei einem Unternehmen wie Facebook mit einem Jah- len die politischen Akteure vor die Herausforderung, resumsatz von 40 Mrd. Euro schon eine ganze Menge. gemeinsam oder zumindest abgestimmt zu handeln. Eine potenzielle Sanktion in Höhe von 1,6 Mrd. Euro hat Denn dass etwas weltweit auftritt, ändert nichts am durchaus eine abschreckende Wirkung. Anspruch der Menschen, dass die Politik Verantwor- Die gerade in der Beratung befindliche E-Pri- tung übernimmt und Gestaltungswillen zeigt. vacy-Verordnung der Europäischen Union kann weitere In der Digitalisierung steckt ein enormes Poten- rechtliche Handhabe bieten, um eine ausufernde Daten- zial für gesellschaftlich nützliche Anwendungen. Ein erfassung zu begrenzen. Werte- und Ordnungsrahmen für die Digitalisierung Wir können mit unserer europäischen Gesetz- steht dazu keineswegs im Widerspruch. Ein solches gebung in diesem Bereich durchaus weltweite Stan- ethisches und politisches Koordinatensystem kann dards setzen. Diese Chance sollten wir nutzen, bevor sogar maßgeblich dazu beitragen, die Akzeptanz von es andere mit einem deutlich niedrigeren Datenschutz- Innovationen in der Bevölkerung zu erhöhen. Wir soll- niveau tun. Die Sicherheit von Daten kann ein echter ten also sachlich und offen über die notwendigen Standort- und Wettbewerbsvorteil sein. Regeln diskutieren, die für jede technische Entwick- Gleichzeitig könnten wir aber auch darüber nach- lung gelten müssen. denken, digitale Daten von Nutzerinnen und Nutzern Unabhängig von technischen Details und kon- anonymisiert und nach klaren Regeln zu gemeinwohl- kretem Einsatzbereich ist meine rechts- und verbrau- orientierten Zwecken auszuwerten. Das wäre für die cherpolitische Maxime: Digitale Entwicklungen müs- medizinische Forschung wie auch für die Sozialwissen- sen ebenso sicher wie frei von Diskriminierungen und schaften ein erheblicher Gewinn. Benachteiligungen sein. Und sie müssen so transparent wie möglich gestaltet und eingesetzt werden. BENACHTEILIGUNGEN UND DISKRIMINIERUNGEN VERHINDERN PERSÖNLICHE DATEN SCHÜTZEN Bei den offenen politischen Fragen zur Digitalisierung Wir haben vor Kurzem erfahren, dass Daten von Face- geht es aber nicht nur um gewichtige Probleme des book-Nutzern ohne deren Wissen von einem Dienst- Datenschutzes. Auch mögliche Benachteiligungen und leister ausgewertet wurden, offenbar um sie im ame- Diskriminierungen von Nutzerinnen und Nutzern sind rikanischen Präsidentschaftswahlkampf gezielt mit ein ernstes Thema. 4 ifo Schnelldienst 10 / 2018 71. Jahrgang 24. Mai 2018
ZUR DISKUSSION GESTELLT Wir müssen mit unserem Glauben an die Objektivi- werfen wollen – und wann nicht. Niemand wird heute tät von Technik vorsichtig sein: Auch Algorithmen sind auf die Chancen und Möglichkeiten durch die Digitali- nur so gut wie diejenigen, die sie programmiert haben, sierung verzichten wollen. Aber über Ausmaß, Art und und die Datenbasis, mit der sie gelernt haben. Fehler Weise sollte in seinem Privatleben jeder selbst ent- können sich in ungeahnter Weise vervielfältigen. scheiden können. Dafür muss die Politik geeignete Rah- Gerade wenn schon die Datenbasis Fehler, Verzer- menbedingungen setzen. rungen oder Vorurteile enthält, kann ein Algorithmus So sollten wir die Hersteller digital vernetzter zu inakzeptablen Ergebnissen kommen: Wenn Sie als Haushaltsgeräte verpflichten, intelligente Geräte nur Arbeitgeber jemanden einstellen wollen und ein Algo- mit einer Grundeinstellung auf den Markt zu bringen. rithmus bei der Bewertung der Bewerbungen helfen Ein Kühlschrank darf also erst einmal nur kühlen. Will soll, muss der Algorithmus zunächst trainiert werden. der Käufer, dass sein Kühlschrank auch mit dem Super- Aus den verfügbaren Trainingsdaten lernt der Algo- markt kommuniziert, dann soll er diese Funktion selbst rithmus dann, dass Männer höhere Gehälter verlangen aktivieren müssen. Und der Hersteller muss dem Kun- – und auch bekommen. Folglich wirft der Algorithmus den offenlegen, was genau mit seinen Daten passiert. für männliche Bewerber höhere Gehaltsvorschläge aus – und verschärft damit das ohnehin schon bestehende FAZIT Problem der ungleichen Bezahlung männlicher und weiblicher Fachkräfte. Wir sind mittendrin in einer rasanten digitalen Ent- Natürlich sind auch menschliche Entscheidun- wicklung. Diese Entwicklung muss die Menschen mit- gen fehlerhaft. Allerdings sind Menschen flexibler: Sie nehmen. Dazu gehört ein verlässlicher rechtlicher Ord- erkennen Abweichungen im Einzelfall, reflektieren sie nungsrahmen, der einen breiten Korridor für Innovatio- und können auf besondere Umstände reagieren. Algo- nen enthält, jedoch Handhabe gegen Datenmissbrauch, rithmische Entscheidungen hingegen berücksichtigen Betrug und Diskriminierungen bietet. nur Kriterien, die in der Programmierung angelegt sind. Wir brauchen aber auch eine Diskussion über ethi- Für Verbraucherinnen und Verbraucher können sche Maßstäbe in der digitalen Welt mit der IT-Wirt- algorithmische Entscheidungen gesellschaftlich nicht schaft. Nachdem sich schon viele Unternehmen die gewollte Auswirkungen haben: Der Einsatz von Algo- Corporate Social Responsibility auf die Fahne geschrie- rithmen kann die Selbstbestimmung, die Wahlfreiheit ben haben, brauchen wir jetzt auch so etwas wie eine und die wirtschaftliche Teilhabe von Verbraucherinnen Corporate Digital Responsibility. und Verbrauchern gefährden. Soziale Verhältnisse kön- Ein demokratischer Rechtsstaat muss die Freiheit nen zementiert werden, wenn die Daten, die ein Algo- und Souveränität seiner Bürgerinnen und Bürger auch rithmus analysiert, bereits selbst Diskriminierungen im digitalen Zeitalter bewahren, schützen und gewähr- enthalten. So wird soziale Ungleichheit reproduziert leisten. Transparenz ist ein wesentlicher Garant, um in und verfestigt. unserer vernetzten Welt Diskriminierungen zu verhin- dern und Selbstbestimmung zu sichern. TRANSPARENZGEBOT FÜR ALGORITHMEN Es stellt sich die Frage, ob wir den geltenden Rechtsrah- men anpassen müssen, um eine unabhängige Kontrolle jedenfalls von solchen algorithmenbasierten Entschei- dungen gewährleisten zu können, die Grundrechte und gesellschaftliche Teilhabe betreffen. Wenn Algorith- men Entscheidungen automatisiert treffen, sollten sie grundsätzlich auf die Einhaltung von Diskriminierungs- verboten, des Datenschutzrechts, des Wettbewerbs- rechts sowie anderer rechtlicher Vorgaben hin über- prüfbar sein. Dabei sollen natürlich nicht irgendwelche Zahlenkolonnen im Fokus stehen, sondern die Funkti- onsweise der jeweiligen Algorithmen. Wir brauchen ein Transparenzgebot für Algorith- men, damit Nutzerinnen und Nutzer verlässlich ein- schätzen können, ob das Netz versucht, sie zu beein- flussen, und damit Nutzerinnen und Nutzer selbst- bestimmt entscheiden können, welche Filter und Personalisierungen sie in der digitalen Welt akzeptie- ren wollen – und welche eben nicht. Es muss uns als Userinnen und Usern möglich sein, selbst zu entscheiden, wann wir uns in unserer Freizeit der Produktion von User Generated Content unter- ifo Schnelldienst 10 / 2018 71. Jahrgang 24. Mai 2018 5
ZUR DISKUSSION GESTELLT Achim Wambach* Von früheren Analysemethoden unterschei- Wettbewerbsregeln an die det sich Big Data nicht nur durch die umfangreiche- Digitalökonomie anpassen ren Datenmengen, sondern Big-Data-Technologien ermöglichen es auch, unterschiedliche, nicht standar- disierte Daten mittels Vorhersagemodellen und Algo- Der Datenskandal um Facebook und die Daten rithmen zu analysieren. So können beispielsweise analysefirma Cambridge Analytica hat wieder ein- Text, Audio- oder Videodaten miteinander kombiniert mal gefühlte Macht und Ohnmacht im Online-Zeit- werden, um mögliche Muster, Trends oder Verhal- alter offengelegt: Die Macht von Facebook, als welt- tensweisen zu erkennen und zu untersuchen. Für Big- weit größtem sozialem Netzwerk mit derweil mehr als Data-Analysen ist neben der Datenmenge die Quali- 2 Mrd. Nutzern, und die wahrgenommene Ohnmacht tät der Datenverarbeitung ein erfolgskritischer Faktor der Nutzer bei der Kontrolle über die Nutzung ihrer (vgl. Kraus 2013, S. 4 ff.). Bei solchen Analysen werden Daten.1 Es ist richtig, dass ein Großteil der Macht der unterschiedlichste, auch personenbezogene Daten großen Internetkonzerne auf ihre Sammlung und Nut- aus unterschiedlichsten Quellen erhoben, gespeichert Achim Wambach zung von Daten zurückzuführen ist, aber nicht nur. Ins- und miteinander verknüpft. besondere Netzwerkeffekte spielen eine Rolle dafür, Die Erhebung, Verarbeitung und Auswertung gro- dass sich Marktmacht bei einigen Internetkonzer- ßer Datenmengen ist heute in vielen Bereichen üblich nen konzentriert und einen lebendigen Wettbewerb und beschränkt sich nicht auf die besonders in der Dis- erschwert. Netzwerkeffekte liegen dann vor, wenn der kussion stehenden Online-Dienste. Wesentliche Ziele Wert, bei einem Dienst oder Netzwerk zu sein, von der des Einsatzes von Big-Data-Technologien sind die Opti- Anzahl der Nutzer dieses Dienstes abhängt. Bei sozia- mierung von Geschäftsprozessen, die Steigerung der len Netzwerken ist das offensichtlich: Je mehr Nutzer Profitabilität durch die Senkung von Kosten sowie eine dort sind, die man selbst kennt, umso mehr schätzt erhöhte Kundenorientierung. man dieses Netzwerk. Derartige Netzwerkeffekte Die Unternehmen verfolgen mit dem Sammeln können sich durch eine systematische Datennutzung von Daten im Internet zumeist sehr konkrete Ziele. verstärken. Je nach Geschäftsmodell können dabei unterschied- Die Wettbewerbs- und Verbraucherpolitik wird ihr liche Interessen im Vordergrund stehen. Online- Instrumentarium, wie sie es schon bisher getan hat, Diensten ermöglicht die Erhebung von Daten sowie kontinuierlich an die Besonderheiten der Internetöko- die Verfolgung von Internetnutzern innerhalb und nomie anpassen und erweitern müssen, damit die Vor- außerhalb ihrer eigenen Dienste zunächst eine um- teile von »Big Data« nicht nur zu steigenden Gewinnen fangreiche Analyse des Nutzerverhaltens. Diese der Internetkonzerne und zu einer stärkeren Abhän- Erkenntnisse können sie zur stetigen Optimierung gigkeit von diesen Konzernen führen, sondern auch sowie Personalisierung ihrer Produkte und Dienst- die Nutzer nachhaltig von den neuen technologischen leistungen nutzen. Gerade für Unternehmen, deren Möglichkeiten profitieren. Geschäftsmodell zu weiten Teilen auf der Vermark- tung zielgerichteter Online-Werbung basiert, ist die BIG DATA UND GESCHÄFTSMODELLE Auswertung von Nutzerdaten zur Anzeige personali- sierter Werbung von großer Bedeutung. Zudem kön- Der Begriff »Big Data« ist nicht eindeutig definiert. nen Unternehmen aus gesammelten Daten poten- Grundsätzlich bezeichnet er Datensätze von solcher zielle Trends ableiten und hierauf aufbauend neue Größe, dass sie durch klassische Datenbank-Software- Produkte und Dienstleistungen mit besonderer Rele- tools nicht mehr erfasst, gespeichert, verarbeitet und vanz für die Nutzer entwickeln. Grundsätzlich gilt die analysiert werden können (vgl. Reimer et al. 2013, S. 9). Fähigkeit zur Erhebung und Auswertung von Daten Zur Charakterisierung des Phänomens Big Data wird in als zentraler Faktor der Innovationskraft dieser Un- der Regel auf die sogenannten 3V – Volume, Variety und ternehmen. Velocity – verwiesen. Diese beschreiben die erst durch die Digitalisierung mögliche algorithmische Analyse PLATTFORMBETREIBER UND MARKTMACHT besonders großer Datenmengen (Volume) aus unter- schiedlichsten Quellen und Formaten (Variety) in mög- Während die Digitalisierung vielfach zu einer sehr lichst hoher Geschwindigkeit (Velocity). Daneben wird dynamischen Entwicklung von Märkten und Wettbe- Big Data häufig als Schlagwort verwendet, unter dem werb beigetragen hat, sind gleichzeitig marktmäch- neben den Technologien zur Erhebung, Auswertung tige Stellungen einiger Unternehmen zu beobach- und Verknüpfung großer und komplexer Datenmengen ten. Die Wettbewerbsvorteile aus der systematischen auch die damit einhergehenden Geschäftsmodelle ver- Datennutzung, die insbesondere vertikal integrier- standen werden. ten und diversifizierten Unternehmen zugutekom- men, sind in der Interaktion mit Netzwerkeffekten von * Prof. Achim Wambach, Ph.D., ist Vorsitzender der Monopolkom- hoher Bedeutung für die Zunahme an Marktmacht. Die mission und Präsident des Zentrums für Europäische Wirtschaftsfor- schung (ZEW), Mannheim. Entwicklungen der Internetökonomie werden nicht 1 Dieser Text basiert auf Auszügen aus Monopolkommission (2015). ohne Grund häufig mit dem Schlagwort der »Win- 6 ifo Schnelldienst 10 / 2018 71. Jahrgang 24. Mai 2018
ZUR DISKUSSION GESTELLT ner-takes-all«-Technologien beschrieben. So können WETTBEWERBSPOLITIK FÜR DAS Plattformmärkte, ein Kennzeichen der digitalen Öko- ONLINE-ZEITALTER nomie, wegen ihrer Netzwerkeffekte zur Monopolisie- rung tendieren. Der Gesetzgeber sowie die Wettbewerbsbehörden Ein bedeutender Größenvorteil ergibt sich auch bemühen sich schon seit einiger Zeit, die Missbrauchs aus den gesammelten Daten über das Verhalten der aufsicht in Fällen von Marktmacht zu verbessern und Nutzer (vgl. Bracha und Pasquale 2008, S. 1181 oder vermehrt einzusetzen. Dabei gilt bisher als Grundsatz, Pollock 2010, S. 24 f.). Je mehr Daten z. B. eine Such- dass es nicht verboten ist, Marktmacht zu haben. Wohl plattform hat, desto besser kann sie die Anzeige von aber, sie zu missbrauchen. Suchergebnissen und Suchwerbung auf die Inte So wurde in der 9. Novelle des Gesetzes gegen ressen der Nutzer anpassen. Dieser Lerneffekt führt Wettbewerbsbeschränkungen 2017 unter anderem dazu, dass wiederum mehr Nutzer den Suchdienst klargestellt, dass Märkte auch dann vorliegen kön- nutzen und immer höhere Werbeumsätze erzielt wer- nen, wenn bei ihnen keine monetären Preise bezahlt den können. Im Grunde ist derselbe Mechanismus werden. Dieser Zusatz war notwendig geworden, da auch bei sozialen Netzwerken zu beobachten. Der die Dienste von Google oder Facebook für deren Nut- Datenvorteil von Plattformunternehmen mit vielen zer weitestgehend unentgeltlich erbracht werden und Nutzern ist ein Faktor, der es Wettbewerbern ohne die Rechtsprechung die Annahme eines Marktes in der- entsprechenden Datenbestand schwer macht, in den artigen Fällen in der Vergangenheit verneint hatte. Markt einzutreten. Aber ohne einen Markt könnte es auch keine Markt- Bei sozialen Netzwerken kommen weitere Fak- macht geben. Zudem wurden für die wettbewerbliche toren zum Tragen. Zum Beispiel im Fall von Facebook Bewertung die besonderen Eigenschaften von Platt- würde ein Wechsel weg davon bedeuten, die dorti- formmärkten mit Netzwerkeffekten und der Zugang zu gen »Freunde« zu verlieren. Neben Netzwerkeffekten Datensätzen mit ins Gesetz aufgenommen. können also auch durch fehlende Interoperabilität Die Wettbewerbsbehörden nutzen zudem ihre begünstigte hohe Wechselkosten zu einer Lock-in-Si- Durchsetzungsbefugnisse, um gegen Marktmacht- tuation für Nutzer führen, die eine Marktkonzentration missbrauch vorzugehen. So hat die Europäische Kom- fördert. Durch das Zusammenwirken dieser Faktoren mission Google im vergangenen Jahr mit einer Re können soziale Netzwerke einen großen Verhaltens- kordbuße in Höhe von 2,4 Mrd. Euro belegt. Grund spielraum gegenüber den Nutzern erlangen, den sie ist, dass Google seine marktbeherrschende Stellung nutzen können, um weiterreichende Zustimmungen auf dem Markt der Internetsuche missbräuchlich zur Erhebung und Verwertung von persönlichen Daten ausgenutzt haben soll, indem das Unternehmen sei- einzufordern, als dies bei funktionierendem Wettbe- nen Preisvergleichsdienst Google Shopping bei den werb zu erwarten wäre. Suchergebnissen besser platziert habe als vergleich- Auch der Erfolg von Google und Facebook ist auf bare Dienste der Konkurrenz. Weitere Verfahren diese Datenvorteile, die systematische Big-Data-Ana- gegen Google laufen. Auch Facebook steht im Visier lyse und Netzwerkeffekte zurückführen. Wettbewer- der Wettbewerbshüter. Das Bundeskartellamt wirft ber gibt es zwar, diese sind aber viel kleiner und stel- dem sozialen Netzwerk die missbräuchliche Nut- len im europäischen Raum daher momentan nur eine zung seiner Marktstellung vor, da es Nutzerdaten aus geringe Konkurrenz dar. Im Suchmaschinenbereich Drittquellen sammelt und mit dem Facebook-Konto gibt es etwa neben Google relevante Anbieter für spe- zusammenführt. In einer vorläufigen Einschätzung zielle Produkte, wie zum Beispiel Amazon und eBay ist es zwischenzeitlich zu dem Ergebnis gekommen, für diverse Produkte, HRS und Trivago für Hotels und dass das Sammeln und Verwerten von Daten aus auch weiterhin allgemeine Suchmaschinen wie Bing Drittquellen außerhalb der Facebook-Website miss- oder duckduckgo. Bei sozialen Netzwerken haben bräuchlich ist. Dieser Einschätzung liegt ein Urteil des sich neben Facebook vor allem Berufsnetzwerke wie deutschen Bundesgerichtshofs zugrunde, wonach LinkedIn und Xing am Markt halten können. Einige die Unangemessenheit von Konditionen auch anhand Funktionen werden auch durch Messaging-Dienste von Wertungen des Zivilrechts, etwa zu Allgemeinen wie WhatsApp und Snapchat oder andere soziale Geschäftsbedingungen, oder anhand einer grund- Medien wie Youtube oder Twitter erfüllt. rechtlichen Interessenabwägung überprüft werden Neben den Besonderheiten der Internetöko kann.2 nomie wird diskutiert, ob auch eine unzureichende In diesen technologisch-dynamischen Märkten Wettbewerbsaufsicht zur Entwicklung von Markt- ist die Missbrauchsaufsicht grundsätzlich das rich- macht beitragen könnte. Empirische Evidenz für eine tige Instrument. Bei einer Verfestigung der Dominanz solche Schlussfolgerung fehlt zwar bislang. Aber den- der Digitalkonzerne sollten aber auch gezielt Regu noch ist der Ruf aus Politik und Öffentlichkeit nach lierungsinstrumente zum Zuge kommen. Gut geeig- einem härteren Vorgehen der Wettbewerbsbehörden net sind dabei gerade solche Maßnahmen, die nicht bis hin zur Forderung nach einer stärkeren Regulie- nur die Konsumenten gegen Ausbeutung und vor rung von Plattformunternehmen immer häufiger zu hören. 2 BGH, Urteil vom 24. Januar 2017, KZR 47/14 - VBL Gegenwert II. ifo Schnelldienst 10 / 2018 71. Jahrgang 24. Mai 2018 7
ZUR DISKUSSION GESTELLT missbräuchlicher Datennutzung sichern, sondern die LITERATUR auch dazu beitragen, den Wettbewerb anzukurbeln. Bracha O. und F. Pasquale (2008), »Federal Search Commission? Access, Datenportabilität ist eine solche Maßnahme. Die Fairness, and Accountability in the Law of Search«, Cornell Law Review 93, Europäische Datenschutz-Grundverordnung, die im 1149–1209. Mai dieses Jahres in Kraft treten wird, enthält das Recht Kraus, H. (2013), Big Data – Einsatzfelder und Herausforderungen, Arbeitspapiere der FOM, Nr. 41, Oktober, Essen. auf Datenübertragbarkeit. Nutzer einer Plattform kön- Monopolkommission (2015), Sondergutachten 68: Wettbewerbspolitik: Her- nen künftig verlangen, dass diese ihnen ihre Daten zur ausforderung digitale Märkte, 1. Aufl., (SG 68), verfügbar unter. Verfügung stellt. Die Erwartung ist, dass die Möglich- http://www.monopolkommission.de/images/PDF/SG/SG68/S68_volltext. pdf. keit, Daten von einem Anbieter zu einem konkurrie- renden Anbieter mitnehmen zu können, auch zu einer Pollock, R. (2010), »Is Google the Next Microsoft? Competition, Regulation in Internet Search«, Review of Network Economics 9(4), 1–31. Erhöhung des Wettbewerbsdrucks beitragen wird. Reimer, B., B. Lix, M. Messerschmidt, J. Stüben, M. Rasch und M. Ehrig Sinnvoll kann auch sein, Plattformen – ähnlich wie z. B. (2013), Big Data – Bedeutung. Nutzen. Mehrwert, Juni, PwC, Frankfurt am Börsen – Transparenzvorgaben zu unterwerfen. Nut- Main. zer wissen dann besser, worauf sie sich einlassen, und können konkurrierende Dienste einfacher vergleichen. Ganz neu ist diese Idee nicht, sie wurde speziell bei Crowd-Funding-Plattformen schon früher diskutiert. Selbstverpflichtungen oder in der letzten Instanz Regulierungsmaßnahmen können darüber hinaus zur Sicherung von Standards beitragen, die der europä- ische oder nationale Gesetzgeber bewahren will. Ein aktueller Vorschlag der Europäischen Kommission sieht einen Verhaltenskodex gegen Desinformation vor, über den sich Online-Plattformen zu Standards im Umgang gegen irreführende Meldungen, die Auswer- tung von Nutzerdaten und Werbepraktiken eigenstän- dig verpflichten sollen. Ein solcher Verhaltenskodex soll im Sommer 2018 von den Online-Plattformen und Medien freiwillig erarbeitet werden und in Kraft treten. Für den Fall, dass die Ergebnisse als nicht zufriedenstel- lend beurteilt werden, hat die Europäische Kommission bereits eigene regulatorische Eingriffe angekündigt. Immer wieder wird auch eine Zerschlagung oder Entflechtung von Internetkonzernen zur Reduktion ihrer Marktmacht vorgeschlagen. Solche Maßnahmen stellen drastische Eingriffe in die marktwirtschaftliche Ordnung und die Rechte der betroffenen Unternehmen dar und können nur als Ultima Ratio dienen. In jedem Fall bedürfen sie eines Nachweises, dass die Monopol- stellung schädlich für die Verbraucher ist und nur durch eine solche Maßnahme abgewiesen werden kann. Das ist derzeit nicht ersichtlich. Als Fazit bleibt festzuhalten, dass Big Data viele Vorteile für die Verbraucher von individualisierten Diensten bis hin zu geeigneterer Werbung mit sich bringt. Daher sollte es im Interesse aller sein, die Nut- zung von Daten als Geschäftsmodell auch zukünftig zu ermöglichen und Innovationen zu fördern. Dies muss allerdings durch eine wettbewerbsfördernde Ord- nungspolitik, durch Datenschutzanforderungen und Wettbewerbsinstrumente, die Marktmachtmissbrauch effektiv ahnden, flankiert werden. Die Voraussetzun- gen sind mit jüngsten Gesetzesänderungen sowie der Datenschutz-Grundverordnung geschaffen. Weitere Schritte werden folgen. 8 ifo Schnelldienst 10 / 2018 71. Jahrgang 24. Mai 2018
ZUR DISKUSSION GESTELLT Ralf Dewenter* daraus auf die Präferenzen der Verbraucher geschlos- sen und die Qualität der Produkte verbessert werden. Welche Regulierung Darüber hinaus können die Daten dazu benutzt wer- datenbasierter Plattformen den, nicht nur bestehende Produkte und Dienstleis- tungen zu verbessern, sondern ebenso neue zu entwi- ist tatsächlich notwendig? ckeln. Auf diese Weise wird auch der Innovationswett- bewerb durch die Verwendung der Daten gestärkt. Spätestens nach dem Datenskandal von Facebook Die Daten sind also nicht nur Teil einiger Geschäfts- und Cambridge Analytica werden immer wieder Stim- modelle, sondern viele der Geschäftsmodelle sind Ralf Dewenter men laut, die eine strikte Regulierung der großen Inter- untrennbar mit der Erhebung und Verwendung von netplattformen fordern. Dabei reichen die Vorschläge Daten verbunden. In vielen Fällen ist es unmöglich, von einer Zwangsverpflichtung der Plattformen, ihre diese Modelle ohne die Verwendung von Daten anzu- Dienste gegen ein Entgelt, aber dafür datenfrei anzu- wenden. Die Forderung, ganz auf die Datenerhebung bieten, bis hin zu absurden Vorstellungen wie der zu verzichten, ist demnach zumindest für einige Platt- Errichtung von staatlichen Angeboten wie etwa einer formen weder realistisch noch sinnvoll. Ein Eingriff in staatlichen Suchmaschine oder staatlicher sozialer die Struktur der Geschäftsmodelle bedeutet nicht nur, Netzwerke. Während diese Vorschläge kaum geeignet dass sich Preise und Mengen ändern würden, sondern sind, mögliche Wettbewerbs- oder Datenschutzpro- ebenso, dass die Qualitäten der Produkte und die Inno- bleme zu lösen, stellt sich jedoch die Frage, wie tatsäch- vationstätigkeit beeinflusst würde. Es würde auch die lich mit diesen Problemen umgegangen werden soll. Gefahr bestehen, dass manche Angebote verschwin- den würden. Dies bedeutet natürlich nicht, dass Markt- DATEN ALS GRUNDLAGE DER GESCHÄFTSMODELLE eingriffe von vornherein ausgeschlossen werden müs- sen. Jedoch sollte immer auch bedacht werden, welche Um eine Einschätzung der oftmals angemahnten Folgen eine entsprechende Regulierung haben kann. »Datensammelwut« der Plattformen vornehmen zu können, ist wichtig, sich die Relevanz der Daten für die ÖKONOMISCHE EIGENSCHAFTEN VON DATEN entsprechenden Geschäftsmodelle vor Augen zu füh- ren. Die Plattformen bieten den Nutzern in der Regel Um die Effekte, die von Daten ausgehen, besser ein- kostenlose Dienste an und finanzieren diese Ange- schätzen zu können, ist es sinnvoll, sich einige ihrer bote typischerweise anhand von Werbung. Im Gegen- ökonomischen Eigenschaften vor Augen zu führen. satz zur Werbung in üblichen Medien ist Internetwer- Dabei sollten Daten nicht als homogene Masse verstan- bung jedoch deutlich effizienter, da es den Plattformen den werden, sondern als heterogene Inputfaktoren, die möglich ist, die Zielgruppen der Werbenden genau zu je nach Herkunft, Inhalt oder z.B. Form unterschiedli- identifizieren. Darüber hinaus können die Präferenzen che Verwendungen aufweisen können. Betrachtet man der einzelnen Nutzer im Netz relativ genau abgebildet Internetplattformen, handelt es sich in vielen (aber und somit Anzeigen zielgerichtet auf die Nutzer abge- nicht allen) Fällen um personenbezogene Daten. Diese stimmt werden. Nicht nur die Werbekunden profitie- sind schon allein deshalb hervorzuheben, da mit ihnen ren dann von einer solchen Werbung, auch die Nutzer (im Gegensatz zu Sachdaten) direkt das Datenschutz- erhalten nun deutlich weniger Werbung, die sie nicht recht verbunden ist. interessiert. Um aber eine solche zielgerichtete Wer- Daten weisen zunächst die Eigenschaft der bung zu ermöglichen, ist es notwendig, die Nutzerda- Nicht-Rivalität auf. Allein dies unterschiedet sie von ten zu erheben. den meisten anderen Inputfaktoren. Daten können Einen zweiten Vorteil, den die Nutzerdaten mit sich im Prinzip beliebig oft wiederverwendet werden und bringen, ist die Nutzung der entsprechenden Informa- verbrauchen sich dadurch nicht. Die entsprechenden tionen, um die vorhandenen Dienste der Plattformen Informationen können also beliebig vielen Plattformen zu verbessern. Eine Suchmaschine zum Beispiel kann zur Verfügung gestellt werden, ohne dass eine andere mit Hilfe der vorhandenen Suchanfragen und weite- Plattform einen Nachteil dadurch hätte. Gleichzeitig ren Informationen zu den Suchenden, genauere indi sind Daten aber prinzipiell ausschließbar. Es besteht viduelle Suchergebnisse produzieren. Ein Onlinehandel also kein Grund, von einem Marktversagen aufgrund kann anhand der Suchhistorie in Kombination mit sozio- eines Trittbrettfahrerverhaltens auszugehen. demographischen Daten bessere Produktempfehlun- Eine weitere wichtige Eigenschaft vieler Daten, gen abgeben. Aber auch die auf Handelsplattformen die sich zum Teil aus der Nicht-Rivalität ergibt, ist die vertriebenen Produkte können anhand der erhobenen Nicht-Exklusivität. Insbesondere personenbezogene Informationen verbessert werden. Kombiniert man die Daten werden in aller Regel einer Plattform nicht exklu- soziodemographischen Eigenschaften der Nutzer mit siv zur Verfügung gestellt. Jede Plattform, die von den Informationen über die erworbenen Produkte, kann Nutzern genutzt wird, kann identische Daten erheben und für ihr Geschäftsmodell nutzen. Darüber hinaus * Prof. Dr. Ralf Dewenter ist Professor für Volkswirtschaftslehre, insbesondere Industrieökonomik an der Helmut-Schmidt-Universität ist es jedoch oftmals gar nicht notwendig, identische Hamburg. Daten wie Konkurrenzplattformen zu erheben. Finan- ifo Schnelldienst 10 / 2018 71. Jahrgang 24. Mai 2018 9
ZUR DISKUSSION GESTELLT ziert sich eine Plattform z.B. über Werbung, kommt formmärkten bessere Ergebnisse erzielen würde. Die es vor allem darauf an, eine bestimmte Zielgruppe zu Algorithmic Collusion, also die Gefahr, dass selbstler- erreichen. Dabei ist unerheblich, ob dabei die identi- nende Algorithmen selbständig ein kollusives Gleich- schen Nutzer erreicht werden, die auch von der Kon- gewicht erreichen, ist nach jetzigem Stand zwar nicht kurrenz adressiert werden können. Wichtig ist ledig- gänzlich auszuschließen. Glaubt man aber den Ergeb- lich, Nutzer so gut wie möglich bezüglich ihrer Präfe- nissen der Spieltheorie und den Publikationen der Data renzen zu identifizieren. Dazu sind zwar die Daten über Scientists, so ist die Gefahr äußerst gering und gegen- diese Präferenzen erforderlich, jedoch nicht die Daten läufige Aussagen doch eher unglaubwürdig. bestimmter Personen. Daten bestimmter Zielgrup- Eine zweite Klasse von Problemen betrifft das pen oder auch bestimmter Personen stehen damit den Datenschutzrecht und damit ausschließlich personen- Plattformen nur sehr selten exklusiv zur Verfügung. bezogene Daten. Besteht z.B. keine Transparenz über Aufgrund der hier diskutierten Eigenschaften sind die Verwendung der Daten, könnten Anreize bestehen, vor allem personenbezogene Daten deutlich seltener diese gegen den Willen der Nutzer weiterzugeben. Da ein hinreichender Grund für Marktzutrittsbarrieren, als Nutzer nur schwer nachvollziehen können, wie die Platt- man auf den ersten Blick vermuten könnte. Natürlich formen mit ihren Daten verfahren, sind solche Daten- können Daten, die über einen gewissen Zeitraum erho- schutzverstöße tatsächlich nicht auszuschließen. ben wurden, durchaus einen Vorteil gegenüber New Solche Verstöße, die sich z.B. auf die Intransparenz comern bedeuten. Jedoch erscheint gerade im Bereich zurückführen lassen, sind jedoch unabhängig von einer der Online-Plattformen ein attraktives Geschäftsmo- etwaigen Marktmacht der Plattformen. Eine Sanktion dell sowie der zeitliche Aspekt von Bedeutung, um die mittels des Wettbewerbsrechts sollte daher in diesem entsprechenden Daten zu erlangen. Darüber hinaus Fall keine Option sein. Generell gilt, dass das Wettbe- ist das Know-how über die Verarbeitung der Daten ein werbsrecht lediglich dann anzuwenden ist, wenn ein wesentlicher Faktor. Hier spielt zum einen die Qualität klarer Wettbewerbsbezug vorliegt. der verwendeten Algorithmen eine Rolle, zum ande- Aus datenschutzrechtlichen Gründen können ren können ebenso Lerneffekte bei der Datenanalyse aber unter Umständen ebenso Wettbewerbsprobleme auftreten. Daten (und vor allem personenbezogene entstehen, wie folgende Beispiele zeigen: So kann Daten) allein sind jedoch nicht unbedingt ein wesent- das Tracking des Nutzerverhaltens dazu führen, dass licher Faktor, um den Marktzutritt zu verhindern oder wohlfahrtsreduzierende Preisdifferenzierung betrie- wesentlich zu erschweren. ben wird. Dies kann durch sogenannte Referral-Links ermöglichst werden, die identifizieren, ob ein Nut- WELCHE PROBLEME KÖNNEN AUFTRETEN? zer über eine Preisvergleichsseite zu einer Plattform gelangt ist oder nicht. Es kann darüber hinaus ein Zwar weisen die von den Plattformen erhobenen erhöhtes Spamaufkommen die Folge der Datennut- Daten als Grundlage vieler Geschäftsmodelle Eigen- zung sein, und durch die Zweiseitigkeit der Märkte kann schaften auf, die es Konkurrenten einfach macht, ähn- es zu einem ineffizienten hohen (oder auch ineffizient liche Daten zu sammeln und zu vermarkten. Dennoch geringen) Werbeaufkommen kommen. lassen sich zwei Arten von Problemen identifizieren: Unabhängig davon, ob es sich um personenbezogene WELCHE REGULIERUNG IST SINNVOLL? oder nicht-personenbezogene Daten handelt, können Wettbewerbsprobleme z.B. aufgrund der zugrunde lie- Wie die bisherige Diskussion gezeigt hat, lässt sich ein genden Netzeffekte oder auch aufgrund der Daten ent- Teil der Probleme auf die Marktmacht von Plattformen stehen. Letztere sind wegen der ökonomischen Eigen- zurückführen, während ein anderer Teil wiederum aus schaften vor allem bei personenbezogenen Daten eher den Datenschutzaspekten entsteht. Nur manche die- unwahrscheinlich. Plattformen sollten zumindest nach ser Probleme betreffen tatsächlich beide Bereiche. Die einer gewissen Zeit in der Lage sein, identische oder Maßnahmen, die entsprechende Probleme verhindern zumindest ähnliche Daten zu erheben, um in die ent- oder zumindest abmildern sollen, sind diesen Situati- sprechenden Märkte eintreten zu können. Lediglich onen entsprechend anzupassen. Nur in manchen Fäl- dann, wenn die Erhebung oder der Erwerb der Daten len liegen sowohl Datenschutz- als auch Marktmacht- durch andere Rechte wie Patente geschützt ist, ist es probleme vor, und nur in diesen Fällen sollten Daten- möglich, dass der Zugang zu den Daten verwehrt bleibt schutzprobleme unter Umständen mit dem Wettbe- und damit auch ein Marktzutritt nicht mehr möglich ist. werbsrecht adressiert werden. Eine generelle Ver- Weitere potenzielle Wettbewerbsprobleme betref- mengung von Datenschutz- und Wettbewerbsrecht fen den Missbrauch von Marktmacht und die soge- ist dagegen abzulehnen, allein schon deshalb, um den nannte Algorithmic Collusion. So könnten z.B. markt- Datenschutz weiterhin unabhängig von Marktmacht zu mächtige Plattformen den Zugang zu Daten verwei- ermöglichen. gern. Es ist fraglich, ob in diesen Fällen eine völlig Ein wichtiges Element, das sowohl für den Wettbe- neue Definition von Marktmacht helfen würde, die- werb als auch den Datenschutz relevant ist, ist dabei sen Problemen zu begegnen, oder ob nicht eine exak- die Transparenz über die Verwendung der Daten. Ein tere Anwendung der Missbrauchsaufsicht bei Platt- erstes Mittel ist es, Informationsasymmetrien abzu- 10 ifo Schnelldienst 10 / 2018 71. Jahrgang 24. Mai 2018
ZUR DISKUSSION GESTELLT bauen und die Nutzer in die Lage zu versetzen, auf LITERATUR bestimmte Angebote der Plattformen zu reagieren. Auf Dewenter, R. und H. Lüth (2016), »Big Data aus wettbewerblicher Sicht: diese Weise können die Nutzer sowohl auf die Datener- Analysen und Berichte«, Wirtschaftsdienst 96(9), 648–654. hebung als auch auf anderes Verhalten, wie die Daten- Lambrecht, A. und C.E. Tucker (2015), »Can Big Data Protect a Firm from weitergabe, reagieren. Die Datenschutz-Grundverord- Competition?«, (SSRN Scholarly Paper No. ID 2705530), Social Science Research Network, Rochester, New York. nung setzt in Artikel 13 und 14 verankerten Informati- Körber, T. (2016), »Ist Wissen Marktmacht?« Überlegungen zum Verhältnis onspflichten bereits auf eine erhöhte Transparenz. von Datenschutz, »Datenmacht« und Kartellrecht – Teil 1, Neue Zeitschrift Ein weiteres Element, um den Wettbewerb zwi- für Kartellrecht 4(7), 303–310. schen den Plattformen zu verstärken, ist der Abbau Telle, S. (2017), »Kartellrechtlicher Zugangsanspruch zu Daten nach der von Wechselkosten. Ein Wechsel zwischen den Platt- essential facility doctrine«, in M. Hennemann und A. Sattler (Hrsg.), Imma- terialgüter und Digitalisierung, Nomos, Baden-Baden, 73–88. formen kann dabei aufgrund von zu hohen Preisen, zu Varian, H.R. (2002), »Economic Aspects of Personal Privacy«, in: Cyber geringer Qualität oder auch aufgrund von Datenschutz- Policy and Economics in an Internet Age, Springer, Boston, 127–137. problemen erfolgen. Sind die Nutzer in der Lage, einen Konkurrenten zu wählen, erhöht das den Druck auf die Plattformen, und Marktzutrittsbarrieren werden gesenkt. Mit Einführung der Datenportabilität (Art. 20 DSGVO: Recht auf Datenübertragbarkeit) ist auch die- ses Element mit der neuen Datenschutz-Grundverord- nung eingeführt worden. Und auch wenn dieses Recht möglicherweise relativ hohe Kosten für Newcomer und kleinere Plattformen erzeugt und man daher darüber nachdenken sollte, ob diese nicht davon ausgenom- men sein sollten, ist die Einführung der Datenportabi- lität durchaus zu begrüßen.1 Ebenso ist es sinnvoll, die Wahlfreiheit der Nutzer zu erhöhen. Hierzu können z.B. Opt-in- und Opt-out-Modelle angewendet werden. Eine weitere Ausweitung des Datenschutzrechts erscheint nicht notwendig. Nicht so einfach zu beantworten ist die Frage, ob eine Änderung des Wettbewerbsrechts sinnvoll ist. Bereits mit der neunten GWB-Novelle sind einige Ände- rungen, die insbesondere für Plattformen Relevanz haben, in das Wettbewerbsrecht aufgenommen wor- den. So wurde die Fusionskontrolle erweitert und ein- geführt, dass nun auch kostenlose Leistungen einen Markt nach dem GWB begründen können. Ebenso wur- den Kriterien wie Netzeffekte und Daten bei der Markt- machtbestimmung aufgenommen. Eine generelle Aus- weitung der Essential Facility Doktrin auf Daten – wie zum Teil gefordert – ist abzulehnen. Aufgrund der oben genannten ökonomischen Eigenschaften erscheint es nicht sinnvoll, einen solchen Schritt zu vollziehen. Dar- über hinaus würde dies bei personenbezogenen Daten mit dem Datenschutzrecht kollidieren. Handlungsbedarf ist dagegen vielmehr in der Anwendung des Wettbewerbsrechts zu sehen. Noch immer bestehen keine geeigneten Methoden, um eine Marktabgrenzung von zweiseitigen Märkten vorzu nehmen. Auch ist die Bestimmung von Marktmacht oder auch der Umgang mit Netzeffekten in Platt- formmärkten noch nicht ausreichend institutionali- siert. Es stellt sich also die Frage, inwiefern der Miss- brauch von Marktmacht, vor allem in der Anwendung, stärker auf Plattformmärkte zugeschnitten werden muss. 1 Zwar bieten einige wenige Plattformen freiwillig die Möglichkeit, die eigenen Daten zu extrahieren, jedoch scheint sich marktendogen kein eigener Standard oder ein flächendeckendes Angebot durchzu- setzen. ifo Schnelldienst 10 / 2018 71. Jahrgang 24. Mai 2018 11
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