53 LÄNDERBERICHTE RELIGIONSFREIHEIT: MYANMAR - Missio hilft

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53 LÄNDERBERICHTE RELIGIONSFREIHEIT: MYANMAR - Missio hilft
LÄNDERBERICHTE       53
RELIGIONSFREIHEIT:
MYANMAR
LÄNDERBERICHTE   53
                                                     MYANMAR

Autor:
Dr. theol. Dr. phil. Manfred Hutter

Manfred Hutter ist Professor für Vergleichende
Religionswissenschaft am Institut für Orient-
und Asienwissenschaften der Universität Bonn.
Zu seinen Forschungsbereichen gehört der
Theravada-Buddhismus auf dem südostasiati-
schen Festland in Wechselwirkung mit religiösen
Minderheiten.

Herausgeber:
missio – Internationales
Katholisches Missionswerk e.V.
Fachstelle für Menschenrechte
und Religionsfreiheit

Zitiervorschlag:
Hutter, Manfred, Religionsfreiheit: Myanmar, hrsg.
vom Internationalen Katholischen Missionswerk
missio e.V. (Länderberichte Religionsfreiheit 53),
Aachen 2021.
Liebe Leserinnen und Leser,

LÄNDERBERICHTE       die Machtübernahme durch das Militär       Geschichte jedoch wieder weit zurück-     mus und Nationalismus – kein neues
RELIGIONSFREIHEIT:   am 1. Februar 2021 hat Myanmar in die      zudrehen und nicht nur bürgerliche        Phänomen in der langen Geschichte
MYANMAR              Schlagzeilen der politischen Nachrichten   Freiheiten und Menschenrechte massiv      des Landes – führt dabei in manchen
                     gebracht. Durch den Putsch wurde die       einzuschränken, sondern auch die im       Landesteilen auch zu einem erneuten
                     Zusammenkunft der Mitglieder des           letzten Jahrzehnt aufkeimende Hoff-       Erstarken der Kampfhandlungen zwi-
                     Parlaments verhindert, das im Novem-       nung auf eine materielle Verbesserung     schen ethnischen nichtbuddhistischen
                     ber 2020 mit einer überwältigenden         der Lebensbedingungen der über-           Gruppen und der staatlichen Armee,
                     Mehrheit für die NLD (National League      wältigenden Mehrheit der Bevölkerung      wovon die muslimischen Rohingyas im
                     for Democracy) gewählt worden war.         zu zerstören.                             Westen Myanmars und die christlichen
                     Viele Einwohner Myanmars haben die                                                   Kachin im Norden des Landes am
                     illegitime Machtergreifung der Militär-    Die Freiheiten, die der Demokrati­        stärksten betroffen sind.
                     führung nicht akzeptiert und stellen       sierungsprozess mit sich gebracht
                     sich seither mit Protesten und zivilem     hatte, ermöglichten es jedoch auch        Der vorliegende Länderbericht
                     Ungehorsam gegen das Militär, das mit      buddhistischen „Stimmungsmachern“,        beschreibt – nach einem Überblick
                     brutaler Härte auf die Demonstrationen     einen uniformen Buddhismus als die        zur Geschichte des Landes und den
                     reagiert.                                  für die myanmarische Nation aus-          Religionsgemeinschaften – jene
                                                                schließlich richtige Lehre zu propagie-   Brennpunkte der Gefährdung der
                     Bereits im Jahr 2007 hatten massive        ren und dadurch Muslime und Christen      Religionsfreiheit, die vor allem durch
                     Unruhen und Proteste buddhistischer        als Gefährdung für die Einheit einer      eine nationalistische Interpretation
                     Mönche die seit 1962 herrschende           buddhistischen Nation in Misskredit       des Buddhismus entstehen. Vorsichtige
                     Militärdiktatur ins Wanken gebracht. Die   zu bringen. Seit 2012 geschah dies        Versuche von interreligiösen Dialogen
                     Proteste waren zwar niedergeschlagen       zunächst unter der wortgewaltigen         sind ein Hoffnungszeichen, das gesell­
                     worden, hatten aber zu einem Refe-         Führung des extremistischen buddhis-      schaftliche Zusammenleben in Zukunft
                     rendum und einer neuen Verfassung          tischen Mönches Ashin Wirathu und ab      spannungsfreier zu gestalten.
                     (2008) geführt. Insbesondere nach          dem folgenden Jahr in der sogenannten
                     den Wahlen im Jahr 2010 konnte ein         Ma-Ba-Tha-Bewegung. Daraus resultie-
                     vorsichtiger Demokratisierungsprozess      ren seither immer wieder Übergriffe auf
                     beobachtet werden. Die gegenwärtige        nichtbuddhistische Menschen und Ein-      Pfarrer Dirk Bingener
                     Situation scheint das Rad der              richtungen. Die Mischung aus Buddhis-     missio-Präsident
INHALT

       MYANMAR:                             RELIGIONS-                         VÖLKER-                                     RELIGIONS-
       GESCHICHTE,                          GEMEIN-                            RECHTLICHER                                 FREIHEIT                                         FAZIT
       POLITIK,                             SCHAFTEN                           RAHMEN                                      KONKRET
       GESELLSCHAFT                         IM LAND

       8                                    13                                 24                                          26                                               39

                                                                                                                           Verfassungsrechtlicher Rahmen               26   • Anmerkungen     41
                                                                                                                                                                            • Erschienene     45
                                                                                                                           Verletzungen der Religionsfreiheit          27     Publikationen
                                                                                                                           durch staatliche Akteure
                                                                                                                             • Kontrolle des Buddhismus                27
                                                                                                                             • Umgang mit Kult(einrichtungen)          29
                                                                                                                             • Antikonversionsgesetze                  31
                                                                                                                             • Der Umgang mit den Rohingyas            32
                                                                                                                             • Restriktionen aufgrund von Covid-19     33
                                                                                                                             • Indirekte Konsequenzen für Religionen   34
                                                                                                                               durch die Machtübernahme des Militärs

                                                                                                                           Verletzungen der Religionsfreiheit          35
                                                                                                                           durch nichtstaatliche Akteure

                                                                                                                           Dialogpotenzial                             37

                             MYANMAR

                                  Einwohner:
                          54 Millionen (2014)

                     Religionszugehörigkeit:
             87,9 % (Theravada-)Buddhisten
                  4,3 % sunnitische Muslime
                0,8 % Angehörige ethnischer         Die hier genannten Angaben stammen vom offiziellen Zensus des
                                                    Jahres 2014; vgl. The Republic of the Union of Myanmar: The 2014
                   Religionen („Animismus“)         Myanmar Population and Housing Census. The Union Report:
                                 0,5 % Hindus       Religion. Census Report Volume 2-C, Nay Pyi Taw 2016, 5; unter:
                                                    https://drive.google.com/file/d/0B067GBtstE5TSl9FNElRRGtvMUk/
6,2 % Christen (hauptsächlich Protestanten;         view?resourcekey=0-CfL2st9o4U3JXOiBhJQu_Q (Stand: 30.06.2021).
                               1 % Katholiken)      Angaben von verschiedenen (nichtstaatlichen) Institutionen,
                                                    die teilweise auf Schätzungen beruhen, weichen davon ab;
                          0,1 % Ohne Religion       vgl. für das Jahr 2015 Association of Religion Data Archives, unter:
                                                    https://www.thearda.com/internationalData/countries/
                                                    Country_37_2.asp (Stand: 30.06.2021).
MYANMAR:                                                                   der staatlich geförderte Theravada-Buddhismus zum gesellschaft-     Theravada-Buddhis-
                                                                                                                                                                         mus gesellschaftlich
                                                                                                     lich prägenden Faktor, wobei sich bis zum Ende des birmanischen
                          GESCHICHTE,                                                                Königtums im späten 19. Jahrhundert die Herrscher des Landes
                                                                                                                                                                         prägender Faktor

                          POLITIK,                                                                   immer als buddhistische Idealherrscher und Verteidiger dieser
                          GESELLSCHAFT                                                               Religion verstanden.1
                                                                                                         Gegen Ende des 13. Jahrhunderts verlor die politische Füh-      Ende des 13. Jh. drei
                                                                                                     rung in der Hauptstadt Bagan die Vorherrschaft über das ganze       lokale Dynastien

                                                                                                     Land: Daraufhin teilten sich drei Kontrahenten die Macht: Birma-
                                                                                                     nen beherrschten das zentrale Gebiet des heutigen Myanmar, Mon
                                                                                                     dominierten im Süden und Thai erstreckten von Zentralthailand
                                                                                                     aus ihren Einfluss auf den Nordosten des heutigen Staatsgebiets.
                                                                                                     Ab der Mitte des 15. Jahrhunderts breiteten birmanische Herrscher
                         Die „Republik der Union Myanmar“ hat eine Fläche von 676.578 km² und        ihre Macht auf den Westen nach Arakan aus, wobei dieses Gebiet
                         etwa 54 Millionen Einwohner (2014). Der unabhängige Staat Myanmar           sich politisch nach Bengalen orientierte. In der Mon-Hauptstadt
                         (bis Juni 1989: Birma) besteht seit dem 4. Januar 1948, als das Vereinig-   Bago nahm der Herrscher Dhammaceti (reg. 1472–1492) Kontakte zu
     Administrative      te Königreich das Land aus dem Kolonialstatus in die Unabhängigkeit         Sri Lanka auf, um die Theravada-Tradition des Landes zu stärken.    Ende des 18. Jh.
     Gliederung der      entließ. Seit 1954 gibt es diplomatische Beziehungen zur Bundesrepu-        Dieses Nebeneinander von lokalen Dynastien dauerte in den fol-      wieder gemeinsame
  Republik in lokale                                                                                                                                                     Herrschaft der
                         blik Deutschland. Die Grenzziehung und die administrative Gliederung        genden Jahrhunderten an, ehe die Birmanen in der Mitte des 18.
 Staaten und Regio-                                                                                                                                                      Birmanen
   nen durch Briten      der Republik in lokale Staaten (mit jeweils nichtbirmanischer Bevölke-      Jahrhunderts das Land wieder unter eine gemeinsame Herrschaft
                         rungsmehrheit) und Regionen (mit birmanischer Bevölkerung) geht auf         brachten.
  Vielvölkerstaat mit    die Organisation durch die Briten in der Kolonialzeit zurück. Die 2005          Mit dem ersten britisch-birmanischen Krieg (1825/26) begann     Erster britisch-
   unterschiedlichen     errichtete neue Hauptstadt Naypyidaw ist verwaltungsmäßig ein eigen-        der Prozess der Kolonialisierung, wobei zunächst Niederbirma        birmanischer Krieg
Sprachen, Birmanisch                                                                                                                                                     (1825/26) und
                         ständiges Gebiet. Myanmar ist ein Vielvölkerstaat mit unterschiedlichen     an das britische Kolonialgebiet Indien angeschlossen wurde. Als
    als Amtssprache                                                                                                                                                      Kolonialisierungs-
                         Sprachen, wobei das Birmanische die Amtssprache ist.                        König Mindon 1853 an die Regierung kam, beschränkte sich seine      prozess
                            Im 3. Jahrhundert n. Chr. sind die ersten Fürstentümer der mit           Herrschaft nur noch auf einen Reststaat in Oberbirma, wo er 1857
                         den Birmanen verwandten Pyu entlang des Ayeyarwady-Flusses                  Mandalay als neue Hauptstadt errichtete. Trotz Modernisierungs-
  Fürstentümer der       fassbar und seit dem 4. Jahrhundert existieren im Süden des Lan-            versuchen konnte sich das Königreich nicht auf Dauer gegen die
Pyu und Siedlungen       des und in Zentralthailand Siedlungen der Mon, die mit den Khmer            Kolonialisierung zur Wehr setzten und Mindons Nachfolger, König
           der Mon
                         im heutigen Kambodscha sprachlich verwandt sind. Das Zentrum                Thibaw (reg. 1878–1885), wurde von den Briten abgesetzt, wodurch
                         der Mon war das Fürstentum Dvaravati mit der Hauptstadt Lobpuri             Birmas Selbstständigkeit endete.
                         in Thailand, von dem ein Führungsanspruch über alle Mon aus-                    Die verlorene Selbstständigkeit führte zum Erwachen des         Erwachen des
                         ging. Unter den Mon – stärker als bei den Pyu – war der Theravada-          Nationalbewusstseins in Verbindung mit einer buddhistischen         Nationalbewusst-
                                                                                                                                                                         seins und
 Ab dem 8. Jh. n. Chr.   Buddhismus bereits die dominierende Religion. Ab dem 8. Jahr-               Erneuerung, wobei Mönche ihre Hinwendung zur Politik damit
                                                                                                                                                                         buddhistische
    aus dem Norden       hundert etablierten die aus dem Norden einwandernden Birmanen               legitimierten, dass der Widerstand gegen die Fremdherrschaft        Erneuerung
      einwandernde
                         schrittweise ihre Herrschaft über die früheren Pyu- und Mon-                notwendig sei, um die buddhistische Religion vor Schaden zu
          Birmanen
                         Fürstentümer. Im Jahr 849 wurde ihre Hauptstadt Bagan das neue              bewahren.2 Der Nationalismus führte in den 1930er Jahren zu meh-
                         Machtzentrum und unter König Anawrahta (reg. 1044–1077) wurde               reren Aufständen und zu Zusammenstößen zwischen muslimischen

                    8     MYANMAR: GESCHICHTE, POLITIK, GESELLSCHAFT                                                                                                     9
Indern, die von den Briten nach Birma umgesiedelt worden waren,      rechte eingeschränkt. Ne Win kehrte zur Trennung von Staat und
                         und buddhistischen Birmanen. Ein wichtiger Akteur im Streben nach    Religion zurück und etablierte einen „mittleren Weg“ zwischen bir-
                         Unabhängigkeit war die sogenannte Dobama Asiayone („Wir-Birma-       manischer Tradition und westlichem Sozialismus. Politisch führte
                         Vereinigung“), die ihren Ausgang unter birmanischen Studenten        dies zu einer weitgehenden internationalen Abschottung des Staa-
                         nahm und die Trennung von Politik und Buddhismus propagierte.        tes, sodass sich die wirtschaftliche Lage verschlechterte und Mitte     Erneute Unruhen in
                             In diesem Zusammenhang traten erstmals jene Personen in          der 1980er Jahre erneut Unruhen ausbrachen.                             den 1980er Jahren

                         Erscheinung, die für die Entstehung der unabhängigen „Republik           Im August 1988 begann für Aung San Suu Kyi, die Tochter des
                         der Union Birma“ und die ersten vier Jahrzehnte der Geschichte       Nationalhelden Aung San und spätere Friedensnobelpreisträgerin
      Aung San, U Nu     des Staates eine tragende Rolle spielen sollten: Aung San, U Nu      (1991), die politische Laufbahn in der Demokratiebewegung mit
         und Ne Win      und Ne Win. Unter der Führung von Aung San und Ne Win bildete        einer Rede in der Shwedagon-Pagode in Yangon. Den darauf-
                         sich im Frühjahr 1945 die sogenannte „Antifaschistische Freiheits-   folgenden Demonstrationen gegen die Militärregierung im August
                         bewegung“ (Anti-Facist People’s Freedom League, AFPFL) mit dem       und September schlossen sich auch zahlreiche Mönche an. Am
                         Ziel der Erlangung der Unabhängigkeit. Im Januar 1946 gelang der     18. September 1988 beendete die Militärführung die Unruhen, bei
                         AFPFL eine Massenmobilisierung,3 um die Briten zu politischen        denen rund 3.000 Personen getötet wurden.4 Als die von Aung San         Aung San Suu Kyi
                         Zugeständnissen zu zwingen. Da allerdings einzelne ethnische         Suu Kyi geprägte National League for Democracy (NLD) bei den            und die National
                                                                                                                                                                      League for
                         Gruppierungen (wie die Shan und Kachin) einen unabhängigen           Wahlen im Jahr 1990 die Mehrheit der Stimmen gewann, erkannten
                                                                                                                                                                      Democracy (NLD)
                         Staat oder zumindest einen Sonderstatus (wie die Chin) nach der      die Militärmachthaber das Wahlergebnis nicht an. Eine in der Folge
                         Unabhängigkeit des Landes anstrebten, kam es zu internen Span-       zunehmende Isolierung des Landes verschlechterte zu Beginn des
                         nungen und Aung San, sein Stellvertreter und weitere hochrangige     21. Jahrhunderts die Wirtschaftslage, was im September 2007 zu          Mönche stellen sich
                         Politiker wurden am 19. Juli 1947 ermordet. Danach übernahm U Nu     massiven Unruhen führte. Zahlreiche Mönche stellen sich an der          2007 an die Spitze
                                                                                                                                                                      des Protests gegen
 Unabhängigkeit am       die politische Führung und am 4. Januar 1948 erlangte Birma mit      Spitze der Proteste gegen die Militärherrschaft. Trotz der gewalt-
                                                                                                                                                                      die Militärherrschaft
       4. Januar 1948    U Nu als Premierminister und General Ne Win als Verteidigungs-       samen Beendigung der Proteste durch die Armee waren sie nicht
                         minister die Unabhängigkeit.                                         völlig erfolglos.5 Ein Referendum über eine neue Verfassung im Mai
                             Unter U Nu gewann der Buddhismus an politischer Bedeutung,       2008 – wenige Tage nach dem Tropensturm Nargis mit hundert-             Verfassungsreferen-
                         auch wenn der Premierminister sich um die Bewahrung der              tausenden Opfern – ermöglichte im November 2010 Parlaments-             dum 2008 und
                                                                                                                                                                      Parlamentswahlen
                         Religionsfreiheit für die nichtbuddhistische Bevölkerung bemühte.    wahlen. Dabei wurde die Militärführung durch eine „zivile“ Regie-
                                                                                                                                                                      2010
    Verfassungszusatz    Ein von ihm im September 1961 erlassener Verfassungszusatz           rung abgelöst, allerdings konnte das Militär durch reservierte Sitze
     zur Stärkung der    zur Stärkung der religiösen Rechte der Nichtbuddhisten und die       und ein umfangreiches Vetorecht viele Fäden der Macht in der Hand
religiösen Rechte der
                         Errichtung von einigen Moscheen in einem Vorort Ranguns (heute       behalten. Die nachfolgenden Wahlen in den Jahren 2015 und 2020
        Nichtbuddhis-
   ten, Übergriffe auf   Yangon) führte jedoch zu von buddhistischen Mönchen geschürten       stärkten den Stimmenanteil der NLD und machten Aung San Suu
             Muslime     Unruhen mit Übergriffen auf Muslime. Bevor diese Konflikte eine      Kyi zur de facto Regierungschefin. Schritte der Demokratisierung
                         landesweite Ausbreitung erfuhren, übernahm General Ne Win            waren jedoch nur soweit möglich, als Vertreter des Militärs sie nicht
        Militärputsch    am frühen Morgen des 2. März 1962 durch einen Militärputsch          im Parlament verhinderten.
         im Jahr 1962    die Macht. Diese Machtübernahme schuf eine feste Klammer, um             Die demokratische Öffnung brachte aber auch seit 1962 unter-        Spannungen
                         die unterschiedlichen Interessen von Birmanen und ethnischen         drückte Spannungen zwischen ethnischen Gruppierungen und                zwischen ethnischen
                                                                                                                                                                      Gruppierungen und
                         Minderheiten innerhalb der Union von Birma zusammenzuhalten.         gegenüber Muslimen an die Oberfläche. Im Mai 2012 begannen
                                                                                                                                                                      gegenüber Muslimen
                         Zugleich wurden dadurch für ein halbes Jahrhundert Menschen-         im Westen des Landes Auseinandersetzungen zwischen mus-

                  10      MYANMAR: GESCHICHTE, POLITIK, GESELLSCHAFT                                                                                                  11
Muslimische     limischen Rohingyas, die von Myanmar nicht als Staatsbürger             RELIGIONS-
         Rohingyas      anerkannt werden, und der lokalen buddhistischen Bevölkerung;           GEMEIN-
                        nationalistisch-fundamentalistische Buddhisten hatten zuvor ein
                        Schreckensszenario der Bedrohung des Buddhismus durch den               SCHAFTEN
                        Islam erfunden. Der NLD und ihrer Führerin Aung San Suu Kyi kann        IM LAND
                        dabei vorgeworfen werden, dass ihre Politik die Menschenrechts-
                        verletzungen an den Rohingyas nicht verhindert hat. Dennoch
                        konnte die NLD bei den Parlamentswahlen im November 2020 ihren
                        Stimmenanteil vergrößern. Bevor das neugewählte Parlament am 1.
                        Februar 2021 zur konstituierenden Sitzung zusammentreten konnte,
  Machtübernahme        haben die Generäle diesen Prozess der Veränderung des Landes
   des Militärs 2021    gestoppt. Der bisherige vom Militär unterstützte Vizepräsident
                        Myint Swe wurde zum Übergangspräsidenten ernannt, während der          Der Zensus des Jahres 2014 nennt für die in der Verfassung §§            Zensus 2014 nennt
                        ethnische Chin Henry Van Thio, ein Christ, als zweiter Vizepräsident   361–362 anerkannten Religionen folgende Verbreitung: 87,9 % der          87,9 % Buddhisten,
                                                                                                                                                                        6,2 % Christen,
                        wie auch andere seit 2016 amtierende Regierungsmitglieder der          Bevölkerung sind Buddhisten, 6,2 % Christen, 4,3 % Muslime, 0,5 %
                                                                                                                                                                        4,3 % Muslime,
                        NLD abgesetzt wurden. Trotz der Ernennung eines Übergangs-             Hindus und 0,8 % Angehörige traditioneller ethnischer Religionen.        0,5 % Hindus,
                        präsidenten liegt die Macht in den Händen von General Min Aung         Die weitere Bevölkerung gehört sehr kleinen anderen oder keiner          0,8 % Angehörige
                        Hlaing. Aktivitäten des zivilen Ungehorsams und der alltäglichen       Religion an.6 Schätzungen von staatlich unabhängigen Institutio-         traditioneller ethni-
                                                                                                                                                                        scher Religionen
                        Proteste gegen diesen „Staatsstreich“, die Etablierung einer „Exil-    nen weichen davon ab und nennen folgende Zahlen:7 Buddhismus:
Internationale Kritik   regierung“ sowie internationale Kritik am Vorgehen der Militär-        74,7 %; traditionelle Religionen: 9,2 %; Christentum: 9,2 % (davon 6,5
   am Vorgehen der      führung prägen seither den politischen Alltag des Staates, wobei       % Protestantismus; 1,3 % Katholizismus); Islam: 3,8 %; chinesische
      Militärführung
                        das Militär immer wieder gewaltsam gegen Demonstranten vorgeht.        Religionen: 1,8 %; Hinduismus: 1,7 %. Der wesentlich höhere Pro-
                                                                                               zentsatz der Anhänger des Buddhismus in der staatlichen Statistik
                                                                                               drückt ein Stück Ideologie der Favorisierung dieser Religion aus,
                                                                                               indem die sogenannten „chinesischen Religionen“, d. h. zum Teil
                                                                                               Formen des chinesischen Mahayana-Buddhismus, unter Buddhis-
                                                                                               mus subsumiert werden. Aber auch die Eigenständigkeit ethnischer
                                                                                               Religionen wird durch ihre Zuordnung zum Buddhismus nicht nur
                                                                                               missachtet, sondern man vereinnahmt diese für die nationale (d. h.
                                                                                               birmanische) Einheit des Landes. Insofern ist die offizielle Statistik
                                                                                               zur Religionszugehörigkeit zwar nicht völlig falsch, verdeckt aber
                                                                                               die religiöse Vielfalt des Staates.

                                                                                               Buddhismus                                                               Legende verbindet
                                                                                                                                                                        birmanischen
                                                                                               Der Legende nach soll der indische Herrscher Ashoka (reg. 268–232        Buddhismus mit
                                                                                               v. Chr.) zwei Mönche nach Suvannabhumi („Goldland“) im Gebiet der        indischem Herrscher
                                                                                               Mon-Fürstentümer geschickt haben. Diese ahistorische Tradition           Ashoka

                  12     RELIGIONSGEMEINSCHAFTEN IM LAND                                                                                                                13
Erste Spuren des      dient dazu, den birmanischen Buddhismus mit dem berühmten                        Nach der Machtergreifung von General Ne Win verloren die          Sangha-Konferenz
    Buddhismus ab        indischen Förderer der Religion zu verbinden. Erste Spuren des               Mönche ihren politischen Einfluss, bis die Regierung im Mai 1980      1980 fasst zehn
   dem 3. Jh. n. Chr.                                                                                                                                                       verschiedene Orden
                         Buddhismus finden sich jedoch erst ab dem 3. Jahrhundert n. Chr.             eine Sangha-Konferenz organisierte, um die zehn verschiedenen
        bei den Pyu                                                                                                                                                         zusammen, stärkere
                         bei den Pyu – neben dem Hinduismus und der Verehrung von Geis-               Orden als eine Einheit zusammenzufassen. Dadurch entstand             Kontrolle der Reli-
       Im 11. Jh. wird   tern und/oder Naturerscheinungen. Erst im 11. Jahrhundert wurde              eine Struktur, die in Kooperation zwischen dem Orden und der          gionsausübung
         Theravada-      unter König Anawrahta von Bagan der Theravada-Buddhismus die                 Politik eine Kontrolle der Religionsausübung erlaubte. Mit seiner
        Buddhismus
                         bis heute Birma/Myanmar dominierende buddhistische Richtung.                 Religionspolitik konnte Ne Win Sympathien unter der Bevölkerung       Von der Regierung
        dominierend
                              Im Theravada-Buddhismus8 spielt die hierarchische Gliede-               erwerben, was durch von der Regierung finanzierte großangelegte       finanzierte Neu-
                                                                                                                                                                            bauten von zwei
                         rung der Gesellschaft in Mönche, Nonnen, männliche und weib-                 Neubauten von zwei Pagoden in Yangon und Mandalay sowie der
                                                                                                                                                                            Pagoden in Yangon
                         liche Laien eine wichtige Rolle. An der Spitze des Buddhismus steht          International Theravada Buddhist Missionary University in Yangon      und Mandalay
                         der – bis zur Kolonialisierung des Landes vom König eingesetzte –            gefördert wurde. Dadurch repräsentierte sich die Militärregierung
                         Sangha­  raja (Thathanabaing). Wichtig für die Geschichte des                buddhistisch. Am deutlichsten wird dies in der Errichtung der Uppa-   Uppatasanti-Pagode
  5. Buddhistisches      Buddhismus ist das von König Mindon einberufene 5. Buddhisti-                tasanti-Pagode in der neuen Hauptstadt Naypyidaw sichtbar.10 Die      in der neuen Haupt-
Konzil (1868–1871) in                                                                                                                                                       stadt Naypyidaw
                         sche Konzil (1868–1871) in Mandalay, das die enge Verbindung der             Grundsteinlegung der Pagode erfolgte am 12. November 2006 durch
           Mandalay
                         weltlichen Machthaber mit der Förderung des Buddhismus zeigt.                General Tan Shwe und den ranghöchsten Mönch Myanmars; am 10.
                         Bei diesem Konzil wurde eine Revision des Pali-Kanons als Grund-             März 2009 wurde die Pagode gemeinsam vom höchsten politischen
                         lage des Buddhismus durchgeführt, indem „unechte“ Texte aus-                 und höchsten religiösen Führer des Landes eingeweiht. Die Größe
                         geschieden wurden, um durch diese Reform die Religion wieder auf             der Pagode und ihr Aussehen verdeutlichen, dass dieses religiöse
                         die ursprüngliche „Lehre der Alten“ (Theravada) zurückzuführen.              Bauwerk die altehrwürdige und populäre Shwedagon-Pagode in
                              Die enge Verbindung zwischen Staat und Religion blieb nach dem          Yangon „kopiert“, um durch diese Symbolik der Hauptstadt und der
                         Ende der Kolonialherrschaft bestehen.9 1951 begann der Bau der Kaba Aye      Militärregierung buddhistische Legitimität zu geben und die Rolle
                         Pagode, der „Friedenspagode“, in Yangon, in der staatliche Zeremonien        des Buddhismus als staatstragende Religion zu betonen. Allerdings
Von Premierminister      zur Verehrung Buddhas durchgeführt wurden. Das vom Premierminister           wird die Uppatasanti-Pagode bislang von der Bevölkerung wesent-
  U Nu einberufenes      U Nu einberufene 6. Buddhistische Konzil (1954–1956) diente der Stär-        lich weniger geschätzt als viele ältere Kultbauten im Land. Naypyi-
   6. Buddhistisches
                         kung der nationalen buddhistischen Identität Birmas und erfasste das         daw soll noch weiter als buddhistisches „Zentrum“ entwickelt wer-
   Konzil (1954–1956)
        zur Stärkung     Land mit einer Welle religiöser Begeisterung. Die fünf buddhistischen        den, denn der gegenwärtige Machthaber bemüht sich momentan,
der nationalen bud-      sīlas („Gebote“) der Laien wurden dadurch zu populären Leitlinien für        eine sehr große Buddhastatue in Naypyidaw errichten zu lassen,
dhistischen Identität    die Lebensführung. Zahlreiche Dhamma-Hallen wurden für die in der            die jene Buddhafigur, die zwischen 2000 und 2002 in der Kyauk-
                         ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts revitalisierten Meditationspraktiken      tawgyi-Pagode im Norden von Yangon aus einem einzigen Marmor-
                         neu errichtet. Die Renaissance der traditionellen, aber kaum noch prak-      block mit mehr als sieben Metern Höhe aufgestellt wurde, an Größe
                         tizierten vipassanā-Meditation hatte der Mönch Ledi Sayadaw (1846–           pompös übertreffen soll.
                         1923) eingeleitet. Zu ihrer Popularisierung trug schließlich der Laie U Ba       Neben der vipassanā-Meditation spielt im alltäglichen Buddhis-    Vipassanā-
                         Khin (1899–1971) bei; im Jahr 1952 gründete er das „International Medita-    mus der Erwerb von Verdiensten (puñña) eine große Rolle, was          Meditation und
                                                                                                                                                                            Erwerb von Ver-
                         tion Center“ (IMC) in der Hauptstadt Rangun, das bis heute besteht und       durch die Unterstützung der Klöster durch Laien mit materiellen
                                                                                                                                                                            diensten (puñña)
   Buddhismus- und       von dem viele Vipassanā-Zentren weltweit ideell abhängig sind. Eine für      Gaben geschieht. Man erwartet sich davon eine günstige Wieder-
       Meditations­      die Buddhismus- und Meditationsrenaissance genauso wichtige Rolle            geburt. Auch der regelmäßige Besuch der Pagoden prägt die
       renaissance
                         spielte der Mönch Mahasi Sayadaw (1904–1982).                                buddhistische Alltagspraxis, wobei sehr berühmte Pagoden (z. B.

                  14      RELIGIONSGEMEINSCHAFTEN IM LAND                                                                                                                   15
die Shwedagon-Pagode in Yangon), Buddhastatuen (z. B. der              zusammen. Zwischen 1832 und 1834 verfertigte er eine birmanische
                         sogenannte Mahamuni-Buddha in Mandalay) oder einzelne Orte (z.         Bibelübersetzung, die verbunden mit seiner Tätigkeit die Grund-
                         B. der Berg Popa als Schnittpunkt von volkstümlicher Verehrung         lage für die Entstehung der „Baptistischen Kirche Birmas“ wurde,
      Volkstümliche      der sogenannten Nats, d. h. ursprünglich nichtbuddhistischer Geis-     der bis heute die Mehrheit der Christen angehört. Der Erfolg von         Erfolg von Judson
 Verehrung der Nats      ter) zu „Wallfahrtsstätten“ werden. Das aus Indien stammende           Judson und anderer baptistischer Missionare war durch drei Fak-          und anderer baptis-
                                                                                                                                                                         tischer Missionare
                         Thingyan-Fest Mitte April, das ein vorbuddhistisches, agrarisches      toren begünstigt: (a) der Beginn der britischen Kolonialherrschaft
                                                                                                                                                                         durch drei Faktoren
                         Neujahrsfest war, ist einerseits Teil der Volksfrömmigkeit in Ver-     ermöglichte eine erfolgreiche Missionstätigkeit in den britisch          begünstigt
                         bindung mit der Verehrung der Nats, aber es spielt auch in der         beherrschten Gebieten; (b) Judson und die amerikanischen Baptis-
                         buddhistischen Praxis eine wichtige Rolle: Im Rahmen des Festes        ten-Missionare wurden, weil sie nicht zur Kolonialmacht gehörten,
                         werden die sogenannten shinbyu-Rituale durchgeführt, bei denen         von der Bevölkerung positiv aufgenommen; (c) der Erfolg der Mis-
                         Jungen als Novizen für eine bestimmte Zeit in ein Kloster gehen.       sion erfolgte unter der nichtbirmanischen Bevölkerung in den von
                         Diese Klosterzugehörigkeit vermittelt buddhistische Werte an die       der Kolonialmacht eingerichteten sogenannten „ethnic states“ für
                         Jungen, und auch deren Eltern versuchen während dieser Zeit, sich      Chin, Kachin, Kayah, Mon, Karen, Shan und Arakanesen.12 Vor allem
                         strenger an die buddhistischen Regeln der Lebensführung zu hal-        unter den Chin, Kachin und Karen (Kayin) gelangen den Missiona-
                         ten. Da der Theravada-Buddhismus stark vom Mönchtum geprägt            ren nicht nur erfolgreiche Bekehrungen zum Christentum, sondern          Stärkung eigen-
                         ist, spielt die Belehrung der Laien durch Predigten in den Klöstern    sie trugen durch Bildungsarbeit zur Stärkung der eigenständigen          ständiger Identität
                                                                                                                                                                         ethnischer Gruppen
                         eine wichtige Rolle: Das Vesak-Fest im Mai, bei dem die Erinnerung     Identität dieser ethnischen Gruppen gegenüber der birmanischen
                                                                                                                                                                         gegenüber birma-
                         an Buddhas Geburt, an seine Erleuchtung und an seinen Tod und          (Kultur-)Dominanz bei. Dass dabei die Christianisierung nicht nur        nischer (Kultur-)
                         das Erlangen des Nirvana gefeiert werden, ist als buddhistisches       durch ausländische Missionare geschah, zeigt sich an der Tätigkeit       Dominanz
                         Hauptfest dafür die geeignete Zeit. Das im Oktober stattfindende       des Karen Ko Tha Byu, den Judson zu den Karen schickte, um bei
                         Vassa-Fest, bei dem Laien den Mönchen neue Roben übergeben,            ihnen als „einheimischer“ Missionar zu agieren. Bei Judsons Tod          Einheimische
                         ist das andere wichtige Fest im Jahreslauf. Insgesamt zeigt die bud-   1850 gab es etwa 8.000 Baptisten in Birma, vor allem bei den Karen.      Missionare

                         dhistische Alltagspraxis,11 dass Laien in ihrer Religionsausübung      Die Missionierung setzte sich in den folgenden Jahren fort, so ab 1856
                         immer auf die Mönche als „höherstehende Elite-Buddhisten“ aus-         bei den Chin und ab 1876 bei den Kachin. Damit ist das „typische“
                         gerichtet sind. Zwar gibt es auch Frauen, die als Nonnen leben, aber   Merkmal des Christentums angesprochen: Die Verbreitung der Reli-
                         sie sind innerhalb der Mönchshierarchie und im Verständnis der         gion unter (buddhistischen) Birmanen und (buddhistischen) Shan,
                         (männlichen wie weiblichen) Laien in der Wertschätzung den Mön-        einer eng mit den Thai verwandten Volksgruppe, ist sehr gering.
                         chen klar nachgeordnet.                                                Die verschiedenen christlichen Konfessionen (neben den Baptisten
                                                                                                sind ab 1856 katholische Missionsgesellschaften und ab 1859 die
   Erste katholische     Christentum                                                            anglikanische Gesellschaft zur Verbreitung des Evangeliums aktiv)
Gemeinden Ende des       Am Ende des 16. Jahrhunderts ist die Existenz einer ersten katho-      gewinnen von der Kolonialzeit bis zur Gegenwart den Großteil ihrer
 16. Jh., Ende des 18.
                         lischen Gemeinde nachweisbar. Die Aktivitäten von katholischen         Anhänger vor allem unter den genannten nichtbirmanischen eth-
 Jh. höchstens 3.000
           Katholiken    Missionaren im 17. und 18. Jahrhundert in den lokalen Königs-          nischen Gruppen sowie unter den seit der Kolonialzeit nach Birma
                         städten Ava sowie Bago blieben aber wenig erfolgreich, sodass          gekommenen Indern. 2010 sind nach Schätzung jeweils 90 % der
    Adoniram Judson
                         es am Ende des 18. Jahrhunderts höchstens 3.000 Katholiken             ethnischen Chin und Kachin Christen.
 (1788–1850) von der
    American Baptist     gab. Die protestantische Mission hängt eng mit Adoniram Judson             Die enge Verbindung des Christentums mit ethnischen Gruppen
             Mission     (1788–1850) von der American Baptist Mission ab dem Jahr 1813          stellte im unabhängigen Staat Birma die Religion vor eine neue

                  16      RELIGIONSGEMEINSCHAFTEN IM LAND                                                                                                                17
Christen gelten nach     Herausforderung, da einzelne ethnische Gruppen selbst nach poli-      Islam
 Unabhängigkeit als      tischer Unabhängigkeit strebten. Dadurch gerieten Christen inso-      Aktuell denkt man bei Muslimen in Myanmar meist nur an die               Rohingyas im
   „Fremdkörper“ in                                                                                                                                                     Rakhine-Staat
                         fern unter Druck, als sie als „Fremdkörper“ in der birmanisch-bud-    Rohingyas, die im Rakhine-Staat im Westen Myanmars leben. Dort
der birmanisch-bud-
 dhistischen Staats-     dhistischen Staatsideologie galten. Eine weitere Herausforderung      kommt es regelmäßig zu Spannungen zwischen den lokalen Musli-
           ideologie     betraf vor allem die katholische Kirche. Ne Wins Nationalisierungs-   men mit den buddhistischen Arakanesen; viele Rohingyas fliehen
                         kampagne13 führte zur Ausweisung von Ausländern aus Birma,            ins benachbarte Bangla Desh. Allerdings beschränkt sich der Islam
 Ausweisungen nach       sodass etwa zwei Drittel der katholischen Priester und Nonnen         in Myanmar nicht auf diese Volksgruppe, sondern man muss auch            Chinesische, birma-
  Nationalisierungs-     als (westliche) Ausländer und Ausländerinnen das Land verlassen       die chinesischen, birmanischen und indischen Muslime – mit ihrer         nische und indische
         kampagne                                                                                                                                                       Muslime
                         mussten, deutlich mehr als bei den anderen christlichen Konfessio-    eigenen historischen und kulturellen Prägung des Islam – beachten.
                         nen, die sich seit fast einem Jahrhundert bereits auf einheimische        Die ersten gesicherten Zeugnisse für die Anwesenheit von Mus-
                         Pastoren und Prediger stützen konnten. 1965 wurden alle christ-       limen im Gebiet des heutigen Myanmar gehen auf Händler aus               Muslimische Händ-
                         lichen (mehrheitlich katholischen) Schulen nationalisiert. Von die-   Bengalen, von der Malabar-Küste und aus Sri Lanka zurück, die im         ler aus Bengalen,
                                                                                                                                                                        von der Malabar-
                         sem Einschnitt konnte sich das katholische Christentum nur lang-      Delta des Ayeyarwady und an der Martaban-Küste wirtschaftlich
                                                                                                                                                                        Küste und aus Sri
                         sam erholen, doch verlor es dadurch teilweise das Stigma einer        aktiv waren. Viele dieser Händler verbrachten einen Teil des Jahres      Lanka
                         „Ausländer- oder Kolonialkirche“, weil die Verkündigung durch ein-    in Indien und den anderen Teil im birmanischen Königreich und
      „Einheimisch­      heimische Kleriker und engagierte Laien fortgesetzt werden musste.    hatten sowohl in Indien als auch in Birma eine Ehefrau mit Kin-
       werdung“ der      Diese „Einheimischwerdung“ der katholischen Kirche wurde in den       dern. Dadurch wurde der Islam vor allem durch familiäre Bande,
 katholischen Kirche
                         1990er Jahren durch das Projekt „Evangelisierung 2000“ mit der        Eheschließungen und teilweisen Zuzug von indischen Verwandten
                         sogenannten Zetaman-Bewegung („Junge-Missionare-Bewegung“)            dieser Händler verbreitet. Gesellschaftlich haben sie sich an Sit-
                         weiter gefördert. Dabei verpflichteten sich junge Menschen nach       ten, die birmanische Sprache und Kultur (abgesehen von der Reli-         Verbreitung der
                         einer Grundausbildung in Katechese, Liturgie und Bibelstudium, für    gion) angeglichen. Seit dem 18. Jahrhundert verbreiteten sich diese      „birmanischen“
                                                                                                                                                                        Muslime seit dem
                         zwei bis fünf Jahre in Dörfern im Norden Myanmars als Verkünder       „birmanischen“ Muslime von den küstennahen Gebieten über das
                                                                                                                                                                        18. Jh.
                         des Christentums und „profane“ Lehrer zur Entwicklung der lokalen     ganze Land. Etwa die Hälfte aller Muslime in Myanmar gehört zu
                         Bevölkerung beizutragen.                                              dieser Gruppe.
  Priesterausbildung         Für die katholische Theologieausbildung gab es lange nur in           Die britische Kolonialherrschaft brachte Muslime aus Nordindien      Muslime aus Nord-
stärker regionalisiert   Yangon ein Priesterseminar, in dem junge Männer aus den 16 Diö-       ins Land, damit diese in der Verwaltung und in der Wirtschaft tätig      indien während
                                                                                                                                                                        britischer Kolonial-
                         zesen (mit den drei Erzdiözesen Yangon, Mandalay und Taunggyi)        wurden. Ein Großteil von ihnen ließ sich in urbanen Gebieten als Händ-
                                                                                                                                                                        herrschaft
                         studierten. Auf Beschluss der Bischofskonferenz soll die Priester-    ler und Ladenbesitzer nieder. Dies trug zum Wachstum von birmani-
                         ausbildung stärker regionalisiert werden, sodass für die mit der      schen Städten bei, sodass z. B. Rangun durch solche Zuwanderung
                         Erzdiözese Taunggyi verbundenen Diözesen im Jahr 2017 ein eigenes     am Ende des 19. Jahrhunderts eine indische Bevölkerungsmehrheit
                         Priesterseminar eingerichtet wurde; Ähnliches könnte in Zukunft       besaß. Dies führte ab den 1920er Jahren zu zunehmenden Spannun-          Spannungen
     Diplomatische       auch für Mandalay geschehen. Im Jahr 2017 nahmen der Vatikan          gen zwischen buddhistischen Birmanen und muslimischen Indern in          zwischen buddhis-
      Beziehungen                                                                                                                                                       tischen Birmanen
                         und Myanmar durch die Errichtung einer Apostolischen Nuntiatur        Birma. Letztere schlossen sich im Unterschied zu den „birmanischen“
     zwischen dem                                                                                                                                                       und muslimischen
                         diplomatische Beziehungen auf. Im November 2017 besuchte Papst        Muslimen weder sprachlich noch kulturell der birmanischen Gesell-        Indern seit den
       Vatikan und
  Myanmar seit 2017      Franziskus auf einer Pastoralreise die Wirtschaftsmetropole Yangon    schaft an. Aber auch zwischen den birmanischen und den indischen         1920er Jahren
                         sowie die Hauptstadt Naypyidaw.                                       Muslimen schuf die gemeinsame Religion kaum Kontakte. Die Mehr-
                                                                                               heit der indischen Muslime lebt bis heute in Yangon.

                  18      RELIGIONSGEMEINSCHAFTEN IM LAND                                                                                                               19
Chinesische Muslime         Ab dem 18. Jahrhundert kamen chinesische Muslime, die             Rakhine-Staat zurück.14 In den folgenden Jahrzehnten verschärften
       ab dem 18. Jh.   sogenannten Panthay, aus Yunnan im Südwesten der heutigen             sich zeitweilig die Verfolgungen der Rohingyas (und davon abhängig
                        Volksrepublik China in den Norden des Landes. Als Händler kon-        auch der anderen muslimischen Volksgruppen), wie später noch zu
                        trollierten sie die Karawanenrouten zwischen China, dem Norden        zeigen ist.
                        Birmas mit der Hauptstadt Mandalay und weiter nach Laos bzw.
                        Thailand. Kulturell hielten sie gegenüber den birmanischen und        Hinduismus
                        indischen Muslimen sowie den buddhistischen Birmanen Distanz.         Hindu-Traditionen15 sind seit der Zeit der Pyu verbreitet. Mit der   Hinduistische
  Westen Myanmars           Der Westen Myanmars, der sich seit der Mitte des 15. Jahr-        Dominanz des Theravada-Buddhismus seit der Bagan-Periode             „Hofbrahmanen“
       erst 1785 vom    hunderts zur Bewahrung der Eigenständigkeit gegenüber den             spielte der Hinduismus unter den Birmanen keine Rolle mehr.
       birmanischen
                        buddhistischen Birmanen religiös immer zum muslimischen Ben-          Allerdings behielten am Königshof hinduistische „Hofbrahmanen“
  Königreich erobert
                        galen (heute Bangla Desh) orientierte, wurde erst im Jahr 1785 end-   bis zur Abdankung des letzten Königs Thibaw im Jahr 1885 eine
                        gültig vom birmanischen Königreich erobert, ohne kulturell ein        wichtige Rolle im Hofzeremoniell. Seit dem Ende des Königtums
                        Teil des Königreichs zu werden. Die Region blieb – auch nach der      praktizieren diese Brahmanen bis heute – vor allem in Mandalay,
      Wirtschaftlich    Unabhängigkeit Birmas – jedoch ein wirtschaftlich vernachlässigtes    der letzten Königshauptstadt – den Hinduismus, wobei diese Hin-
   vernachlässigtes     Randgebiet, und ihre Bewohner, die Rohingyas, gelten als ethni-       dus als „Punna“ bezeichnet werden. Bedeutsamer für den gegen-
        Randgebiet,
                        scher und religiöser Fremdkörper im Staat. Dies führt immer wie-      wärtigen Hinduismus sind jedoch die Nachkommen der in der            Nachkommen der
Rohingyas gelten als
                        der zu Spannungen zwischen Buddhisten und Muslimen in diesem          Kolonialzeit aus Indien eingewanderten Hindus. Der Großteil von      in der Kolonialzeit
       Fremdkörper
                                                                                                                                                                   aus Indien einge-
                        Gebiet und zur zeitweiligen Flucht ins benachbarte muslimisch         ihnen lebt in Yangon, in Mandalay und im Bago-Distrikt. Im Unter-
                                                                                                                                                                   wanderten Hindus
                        geprägte Bangla Desh. Nach den birmanischen Muslimen sind die         schied zu den Muslimen ist es den Hindus gelungen, ihre Inter-
                        Rohingyas die größte muslimische Bevölkerungsgruppe.                  essen als gemeinsame Hindu-Gemeinschaft in der birmanischen
                            Diese unterschiedliche Verortung der Muslime in der birmani-      Gesellschaft zu vertreten. Dadurch werden die großen Feste – z.B.
                        schen Gesellschaft wirkt sich nachteilig auf die Stellung des Islam   Durga Puja, Navaratri, Deepavali oder Holi – als einigendes Band
                        in Myanmar aus. Nach Erlangung der Unabhängigkeit wurde die           der Hindus gefeiert. Der „All Myanmar Hindu Central Board“ ist die
                        „Jamiyyat al-Ulama, Birma“ gegründet, die sich um soziale und         Dachorganisation zur Vertretung der hinduistischen Interessen
                        politische Belange der Muslime kümmern wollte. Indische Muslime       gegenüber der Regierung und kümmert sich auch erfolgreich um
                        opponierten jedoch gegen die zu starke Anlehnung der birmani-         das Wohlergehen der Gemeinde und um die Pflege der hinduisti-
                        schen Muslime an die Kultur des Landes. Auch unterstützten bir-       schen Tempel.
                        manische Muslime die Einheitsbemühungen der Regierung, was die
                        Spannungen zwischen beiden muslimischen Gruppen verschärfte.          Ethnische Religionen und offiziell
                        Dadurch zerbrach die Einheit einer gemeinsamen politischen Ver-       nicht anerkannte Religionen
                        tretung für alle Muslime. Mit der Nationalisierungspolitik Ne Wins    Neben diesen „großen“ Religionen gehör(t)en ethnische Gruppen
                        wurden zunächst die indischen Muslime und ab den 1980er Jahren        außerhalb des birmanischen Tieflandes und Zentralbirmas ver-
    Marginalisierung    auch die Rohingyas marginalisiert; von Letzteren verließen 1992 –     schiedenen traditionellen Religionen an. Im unabhängigen Birma
     und Verfolgung     nach unterschiedlichen Quellen – 100.000 oder 250.000 Flüchtlinge     setzten jedoch Konversionsbewegungen ein, die – teilweise von        Konversions­
      muslimischer                                                                                                                                                 bewegungen
                        das Land. Da sie in ihrem „Zielland“ Bangla Desh nicht willkommen     der Regierung gefördert, teilweise von den ethnischen Gruppen
           Gruppen
                        waren, kehrten rund 40.000 Menschen im Oktober 1993 aufgrund          selbst erwünscht – in der Hinwendung zum Buddhismus oder
                        eines Abkommens zwischen Bangla Desh und Birma wieder in den          zum Christentum die Möglichkeit der „Modernisierung“ und Über-

                 20      RELIGIONSGEMEINSCHAFTEN IM LAND                                                                                                           21
Überwindung      windung der „Rückständigkeit“ sahen. So fasste in den 1960er Jah-     Buddhisten in die dominierende Religion einordnet und ihnen die
      vermeintlicher    ren der Mahayana-Buddhismus unter der ethnischen Gruppe der           Funktion zuschreibt, den „irdischen“ Buddhismus zu beschützen.
     Rückständigkeit
                        Wa Fuß und sehr viele Chin und Kachin konvertierten zum baptisti-     Die Verankerung der Verehrung der nationalen und buddhistischen       Nationale und
                        schen Christentum.                                                    Nats im birmanisch-nationalen Buddhismus dürfte dabei ein Grund       buddhistische Nats,
                                                                                                                                                                    Anerkennung des
   Fruchtbarkeit der        Im Mittelpunkt der ethnischen Religionen steht die Fruchtbar-     dafür sein, dass die eng mit der Nat-Verehrung verbundenen eth-
                                                                                                                                                                    „Animismus“ in der
  Erde, Streben nach    keit der Erde und das Streben nach einer kosmischen Harmonie,         nischen Religionen als „Animismus“ in der Verfassung als eine offi-   Verfassung
          kosmischer
                        die sich in der gesellschaftlichen Harmonie widerspiegelt. Der        zielle Religion anerkannt sind.
   Harmonie, Vereh-
rung von Geistwesen     ganze Kosmos ist von Geistwesen belebt, die in regelmäßiger Inter-        Weitere – zahlenmäßig wenig verbreitete – Religionen haben
                        aktion mit den Menschen stehen. Die Verehrung von Geistwesen          keinen offiziellen Status im Land, sind jedoch offiziell auch nicht
                        auf Bergen bzw. von Bergen als Manifestation solcher Geistwesen       verboten, sondern aufgrund der Verfassungsbestimmung (§ 34; §
                        kann als allgemeines Charakteristikum dieser traditionellen Reli-     354d) der allgemeinen Religionsfreiheit zulässig, solange sie nicht
                        gionen gelten, wobei der Berg Popa in der Nähe von Bagan seit         gegen die öffentliche Ordnung, Moral, Gesundheit oder andere
                        langem auch von Buddhisten als heiliger Ort angesehen wird. Dies      Verfassungsvorschriften verstoßen. Erwähnenswert sind vor allem
                        zeigt, dass Elemente der traditionellen Religionen Eingang in die     drei Religionen, die in der Kolonialzeit nach Birma gekommen sind.
                        buddhistische Alltagsreligion gefunden haben. Am deutlichsten ist     Sikhs sind vor allem als Soldaten der Kolonialmacht in Birma sess-
Weltliche Hilfe durch   dies bei der Verehrung der sogenannten Nats16 der Fall. Nats sind     haft geworden, oft in jenen Orten, in denen auch Hindus wohnten.
  Geistwesen (Nats)     Geistwesen und man wendet sich an sie, um von ihnen weltliche         Obwohl es derzeit noch 48 Sikh-Tempel in Myanmar gibt, leben nur
                        Hilfe zu erlangen; zugleich fürchtet man sie, weil sie schädigend     etwa 3.000 Angehörige der Religion im Land. Ebenfalls mit der Ein-
                        agieren können. Die Vielzahl der Nats kann man in drei Kategorien     beziehung Birmas in das britische Kolonialreich hängt die Ankunft     Sikhs, Juden und
                        einteilen: Naturgeister; die 37 nationalen Nats Birmas; buddhisti-    jüdischer Händler zusammen, die bereits 1857 im damaligen Ran-        Baha’i

                        sche Nats. Die erste Kategorie steht bei den traditionellen ethni-    gun die erste Synagoge errichteten. Das frühe 20. Jahrhundert war
                        schen Religionen im Mittelpunkt. Ihre Verehrung spielt bei der Ehe-   für die Juden die Blütezeit in Birma, da sie wirtschaftlich eng mit
                        schließung und der Geburt von Kindern eine große Rolle. Genauso       der Kolonialmacht zusammenarbeiteten. Nach der Entstehung des
                        verbindet man sie mit der agrarischen Fruchtbarkeit, sodass man       Staates Israel verließen viele von ihnen das Land, sodass heute
                        ihnen für das Gedeihen der Felder Opfer darbringt. Dabei kann         nur noch rund 20 Juden in Myanmar leben. Die ersten Spuren der
                        man hierarchisch-genderbezogene Differenzierungen beobachten,         Baha’i-Religion in Birma reichen bis in das Jahr 1878 zurück, als
                        da Männer die Verehrung der Nats häufig als „minderwertige“           zwei persische Baha’i-Missionare ihre Missionsreise nach Indien
                        Angelegenheit der Frauen betrachten, während sie von sich beto-       auch auf Birma ausdehnten. In Rangun und Mandalay schlossen
 Buddhismus drängt      nen, den Buddhismus als „richtige“ Religion zu praktizieren. Diese    sich einige Muslime der Baha’i-Religion an und die Gemeinde in
        traditionelle   Diskrepanz zeigt, dass der Buddhismus die traditionellen Religio-     Mandalay entwickelte sich zum Ausgangspunkt für die weitere Ver-
  Religionen an den
                        nen an den Rand drängt, was auch die weitere Kategorisierung          breitung der Religion, wobei gegenwärtig etwa 20.000 Baha’i in
                Rand
                        der Nats verdeutlicht: Die 37 nationalen Nats sind – anscheinend      Myanmar leben.
                        schon seit der Bagan-Periode – eine in den Staatskult einbezogene
                        Gruppe; manche dieser Nats gehen auf „vergöttlichte“ Perso-
                        nen von ursprünglich lokaler Bedeutung zurück. Die sogenannten
                        „buddhistischen Nats“ ihrerseits zeigen die Integration dieser vor-
                        buddhistischen Vorstellungen, indem man sie als „himmlische“

                 22      RELIGIONSGEMEINSCHAFTEN IM LAND                                                                                                            23
VÖLKER-                                                                        Da Myanmar dem IPbpR nicht beigetreten ist, sind auch die Aus-

      RECHTLICHER                                                                sagen des Paktes und des General Comment20 Nr. 22 vom 20. Juli
                                                                                 1993 für den Staat nicht verbindlich. Allerdings hat Myanmar im
      RAHMEN                                                                     November 2012 an der Verabschiedung der ASEAN Human Rights
                                                                                 Declaration21 mitgewirkt. Darin übernimmt § 22 praktisch wört-
                                                                                 lich den Abschnitt 18 (1) aus dem IPpbR, womit zumindest indirekt
                                                                                 die Aussagen bzgl. Religionsfreiheit des IPpbR auch für Myanmar
                                                                                 gelten. Diese positiven Grundsätze werden jedoch durch § 7 ein-
                                                                                 geschränkt, wo ausdrücklich gesagt wird, dass die Umsetzung der
                                                                                 Menschenrechte immer im regionalen oder nationalen Kontext
                                                                                 zu sehen ist, bei dem der jeweilige politische, kulturelle, histori-
                                                                                 sche und religiöse Hintergrund beachtet werden muss. Kritisch
     Der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte              ist daher anzumerken, dass dieser Paragraph die Einschränkung
     (IPbpR)17 ist ein Meilenstein in der globalen völkerrechtlichen Fest-       von Menschenrechten und Religionsfreiheit durch die Regierung
     legung der Menschenrechte im Allgemeinen. Myanmar ist dem                   legitimiert. Dadurch schafft die Zustimmung Myanmars zur ASEAN         ASEAN Human
     Pakt nicht beigetreten, der nach mehrjährigen Beratungen am 16.             Human Rights Declaration keine unbeschränkte Religionsfreiheit         Rights Declaration

     Dezember 1966 beschlossen wurde. Nachdem 53 Staaten den Pakt                auf formaler rechtlicher Ebene, was bei der Zustimmung zum IPbpR
     ratifiziert hatten, trat er am 23. März 1976 in Kraft.18 Hinsichtlich der   der Fall wäre. Dennoch stellt die Erklärung der Menschenrechte der
     Religionsfreiheit formuliert Artikel 18 (1) des IPbpR Folgendes:            ASEAN ein gewisses Instrumentarium dar, auf das bei Missachtung
                                                                                 von politischen oder bürgerlichen Rechten verwiesen werden kann.
                Jedermann hat das Recht auf Gedanken-, Gewissens-                Denn Vertreter der Philippinen22 haben sich am 10. April 2021 aus-
                und Religionsfreiheit. Dieses Recht umfasst die Freiheit,        drücklich auf diese ASEAN-Erklärung berufen, als sie die Militär-
                eine Religion oder eine Weltanschauung eigener Wahl              machthaber in Myanmar aufgerufen haben, die demokratischen
                zu haben oder anzunehmen, und die Freiheit, seine                Kräfte und deren Proteste gegen die Militärgewalt im Land nicht
                Religion oder Weltanschauung allein oder in Gemein-              länger zu unterdrücken.
                schaft mit anderen, öffentlich oder privat durch Gottes-
                dienst, Beachtung religiöser Bräuche, Ausübung und
                Unterricht zu bekunden.

     Prinzipiell zitiert dieser Artikel den entsprechenden Artikel der All-
     gemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen
     von 1948, allerdings mit einer Änderung. Während die Allgemeine
     Erklärung der Menschenrechte von der „Freiheit, eine Religion
     oder Überzeugung zu wechseln“ spricht, ist im IPbpR nur von der
     „Freiheit, eine Religion oder eine Weltanschauung eigener Wahl zu
     haben oder anzunehmen“, die Rede.19

24    VÖLKERRECHTLICHER RAHMEN                                                                                                                          25
RELIGIONS-                                                             Buddhismus – formal unzutreffend – als Staatsreligion empfunden
                          FREIHEIT                                                               wird, wodurch sowohl staatliche als auch nichtstaatliche Akteure
                                                                                                 Einschränkungen für nichtbuddhistische Religionen rechtfertigen.
                          KONKRET                                                                   Die Einschränkung der Religionsfreiheit in Myanmar betrifft
                                                                                                 dabei in erster Linie Christen und Muslime, in abgeschwächter Form
                                                                                                 auch Hindus wegen ihrer Herkunft aus Indien. Wichtig und zugleich
                                                                                                 schwierig ist dabei zu berücksichtigen, dass Aktionen staatlicher     Einschränkungen
                                                                                                 oder nichtstaatlicher Akteure gegen nichtbuddhistische Religionen     der Religionsfreiheit
                                                                                                                                                                       aus religiösen und
                                                                                                 häufig aus der Vermengung der Einschränkung der Religionsfreiheit
                                                                                                                                                                       ethnischen Motiven
                                                                                                 und der Ablehnung des ethnischen Hintergrunds der Religionsan-
                                                                                                 gehörigen entstehen.

                         VERFASSUNGSRECHTLICHER RAHMEN
                                                                                                 VERLETZUNGEN DER RELIGIONSFREIHEIT
§ 34 Gewissens- und      Die Verfassung Myanmars23 aus dem Jahr 2008 betont in § 34 all-         DURCH STAATLICHE AKTEURE
    Religionsfreiheit,   gemein die Gewissens- und Religionsfreiheit und die §§ 360 bis 364
    Details in §§ 360
                         benennen Details. Als anerkannte Religionen sind der Buddhis-           Einschränkungen der Religionsfreiheit24 durch primär staat-           Einschränkungen
              bis 364
                         mus (§ 361) sowie Christentum, Islam, Hinduismus und „Animis-           liche Akteure hängen eng mit dem birmanischen Nationalismus           der Religionsfreiheit
                                                                                                                                                                       durch birmanischen
                         mus“ (§ 362), womit traditionelle ethnische Religionen gemeint          zusammen; ethnische Gruppen mit einem hohen Anteil von Chris-
                                                                                                                                                                       Nationalismus
                         sind, genannt. Die Religionsfreiheit ist insofern eingeschränkt, als    ten (Chin, Kachin, Kayin [Karen], Naga und Inder) bzw. Muslimen
                         Religionen keine ökonomischen, politischen oder weltlichen Aktivi-      (Rohingyas, Inder) sind davon besonders betroffen, wobei auch
                         täten mit der religiösen Praxis verbinden dürfen und auch nicht         birmanische Muslime häufig darüber klagen, dass ihnen – auf-
                         das öffentliche Wohlergehen oder gesellschaftliche Reformen             grund der islamischen Religionszugehörigkeit – von Behörden die
                         behindern dürfen (§§ 360 und 364). Diese Formulierung erlaubt           Anerkennung ihrer birmanischen Ethnizität verweigert wird und
  Mögliche Eingriffe     somit dem Staat Eingriffe in religiöse Aktivitäten, falls die politi-   sie stattdessen – wie die Rohingyas – in staatlichen Dokumenten       Marginalisierung
       des Staates in    schen Machthaber eine Religion(sgemeinschaft) als Einschränkung         negativ als „Bengali“ bezeichnet werden. Solche Zuschreibungen        nichtbuddhistischer
religiöse Aktivitäten                                                                                                                                                  Gläubiger verschie-
                         oder Gefährdung der eigenen politischen Ziele empfinden. Genauso        bedeuten damit zwar nicht die Einschränkung der Religionsfreiheit
                                                                                                                                                                       dener ethnischer
                         ermöglicht die wörtlich zwar neutrale Formulierung, dass der            per se, aber sie marginalisieren nichtbuddhistische Gläubige aus      Gruppen
                         Staat Religionen unterstützen und beschützen kann (§ 363), dass         solchen ethnischen Gruppen im nationalen Diskurs.
                         einzelne Religionen von Seiten des Staates bevorzugt werden. Da
   Bevorzugung des       dem Buddhismus als Religion der Mehrheit der Bevölkerung eine           Kontrolle des Buddhismus
       Buddhismus        spezielle Position gegenüber den anderen Religionen zugebilligt         Obwohl der Buddhismus nicht Staatsreligion in Myanmar ist, weist      Buddhismus nicht
                         wird (§ 361), bedeutet dies eine Bevorzugung des Buddhismus bzw.        ihm die Verfassung eine besondere Stellung zu, da er von der Mehr-    Staatsreligion

                         die indirekte Nachrangigkeit der in § 362 genannten Religionen.         heit der Bevölkerung praktiziert wird. Sowohl führende Militärs als
                         In der alltäglichen Wahrnehmung führt dies häufig dazu, dass der        auch Regierungsangehörige – inklusive der seit Februar 2021 ent-

                  26      RELIGIONSFREIHEIT KONKRET                                                                                                                    27
machteten de facto Regierungschefin Aung San Suu Kyi – treten als      wobei viele Klassenzimmer mit Buddhastatuen ausgestattet sind.
                        Unterstützer des Buddhismus und der Mönche in der Öffentlich-          Lehrmaterialien – sowohl in den Na-Ta-La- als auch öffentlichen
                        keit auf und nehmen an Ritualen teil. Die Regierung – sowohl           Schulen – beinhalten diskriminierende oder pejorative Aussagen
                        die Militärregierung bis 2011, die demokratische Regierung bis zu      über nichtbuddhistische Religionen bzw. über die „Unterlegenheit“     Einschränkungen
                                                                                                                                                                     der Religionsfreiheit
                        ihrer Entmachtung 2021 und der jetzt herrschende Militärchef Min       oder „Rückständigkeit“ nichtbirmanischer Ethnien. D. h. diese „För-
                                                                                                                                                                     für Nichtbuddhisten
     Durchgehende       Aung Hlaing – sowie das Religionsministerium unterstützen bud-         derung“ des Buddhismus durch staatliche Akteure schränkt nicht        und nichtbirmani-
      Unterstützung     dhistische Aktivitäten zur Verbreitung der Religion und die beiden     nur die Religionsfreiheit von Nichtbuddhisten ein, sondern auch       sche Buddhisten
     buddhistischer
                        Buddhistischen Universitäten in Yangon und Mandalay finanziell.        die von nichtbirmanischen Buddhisten.
         Aktivitäten
                        Selbst wenn man solche staatlichen Aktivitäten als „positive Dis-         Praktisch ist nur eine spezifische Ausrichtung des Buddhismus
                        kriminierung“ des Buddhismus bewertet, ist die politische Ziel-        politisch zulässig, und Buddhisten, die sich für Religionsfreiheit
                        setzung unübersehbar. Der Buddhismus und das „State Sangha             engagieren, werden in ihrer Tätigkeit behindert bzw. strafrechtlich
                        Maha Nayaka Committee“, das regierungsnah die Belange des              verfolgt. Beispielsweise wurde Htin Lin Oo, ein Mitglied der NLD,
                        Buddhismus vertritt, werden dadurch zugleich kontrolliert, um die      wegen seiner Kritik an Mönchen, die Hass gegen Andersdenkende
 Parteien (auch NLD)    buddhistisch-birmanische Identität zu bewahren. Genauso unter-         schüren, im Jahr 2015 zu zwei Jahren Haft verurteilt – mit der        Strafrechtliche Ver-
        unterstützen    stützen alle Parteien, die nicht exklusiv auf ethnische Minderheiten   Begründung der Beleidigung der buddhistischen Lehre25. Ähnlich zu     folgung bei Kritik
       buddhistische                                                                                                                                                 an Mönchen oder
                        beschränkt sind, die buddhistische Vorherrschaft. In dieser Hin-       bewerten ist die Verhaftung von Swe Win im Jahr 2017 wegen sei-
       Vorherrschaft                                                                                                                                                 „Beleidigung“ der
                        sicht nimmt auch die NLD keine grundsätzlich andere Stellung ein,      ner Kritik am radikalen Mönch Wirathu, der einer der bekanntesten     buddhistischen
                        was sowohl bei Rohingyas als auch bei Christen, die die NLD als        nationalistischen Vertreter der Ma-Ba-Tha-Bewegung (siehe dazu        Lehre
                        Oppositionskraft unterstützt haben, zu Enttäuschung geführt hat.       unten) ist.
                        Denn auch die NLD hat im Jahrzehnt der Demokratisierungsversuche
                        zwischen 2011 und 2021 den (birmanischen) Buddhismus als Teil          Umgang mit Kult(einrichtungen)
                        der nationalen Identität klar gegenüber anderen Religionen favori-     Angehörige der in der Verfassung aufgeführten nichtbuddhistischen
                        siert. Auch die oppositionelle Partei „Union Solidarity and Develop-   Religionen erfahren auch in der religiösen Praxis Beschränkungen.
                        ment Party“ (USDP), die politisch die Ziele der Armee Myanmars         Deutlich zeigt sich dies in den Möglichkeiten, angemessene Bauten
                        vertritt, unterstützte mit ihrem Eintreten für Gesetzesänderungen      für den Kult sowie für die sozialen Belange der Religionsgemein-
  Politische Parteien   zum Schutz von Rasse und Religion in den Jahren um 2015 den            schaft zu errichten. Baubewilligungen für die Neuerrichtung oder      Verzögerung von
         beschränken    birmanisch geprägten Buddhismus. Damit beschränken politische          Renovierung von Tempeln, Moscheen oder Kirchen werden meist           Bau- oder Renovie-
  religionskulturelle                                                                                                                                                rungsbewilligungen
                        Parteien jedoch auch die religionskulturelle Eigenständigkeit der      nur nach mehrjährigen zähen Verhandlungen erteilt, wobei auch
Eigenständigkeit der                                                                                                                                                 für Tempel,
buddhistischen Mon,     buddhistischen Mon, Shan und Kayin innerhalb der Union. Die            erteilte Bewilligungen oft nicht allgemein anerkannt werden, sodass   Moscheen oder
     Shan und Kayin     sogenannten Na-Ta-La-Schulen, die als Bildungseinrichtungen in         sich Bauverfahren verzögern oder Anträge für Bauvorhaben über-        Kirchen
                        mehreren ethnischen Gebieten errichtet sind, dienen ebenfalls          haupt nicht (oder nur mit Hilfe von Bestechungsgeldern) bearbeitet
    Bildungseinrich-    als staatliches Kontroll- und Förderinstrument. Diese Schulen          werden. Teilweise sind solche Behinderungen eine Mischung von
     tungen als Kon-    sind qualitativ deutlich besser und kostengünstiger als „normale“      einschränkenden Aktivitäten staatlicher Behörden und persön-
   troll- und Förder­
                        öffentliche Schulen, sie dienen jedoch in erster Linie dazu, junge     licher (und rechtlich nicht gedeckter) Ablehnung eines Beamten,
           instrument
                        Menschen im Sinne des staatlichen Buddhismus zu erziehen. Aber         was eine scharfe Abgrenzung von staatlichen und nichtstaatlichen
                        auch reguläre Schulen verlangen von den (nichtbuddhistischen)          Akteuren als Triebkräfte der Beschränkung von Religionsfreiheit
                        Schülern, dass sie an buddhistischen Zeremonien teilnehmen,            nicht immer ermöglicht. Tendenziell lässt sich beobachten, dass

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