53 LÄNDERBERICHTE RELIGIONSFREIHEIT: MYANMAR - Missio hilft
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LÄNDERBERICHTE 53 MYANMAR Autor: Dr. theol. Dr. phil. Manfred Hutter Manfred Hutter ist Professor für Vergleichende Religionswissenschaft am Institut für Orient- und Asienwissenschaften der Universität Bonn. Zu seinen Forschungsbereichen gehört der Theravada-Buddhismus auf dem südostasiati- schen Festland in Wechselwirkung mit religiösen Minderheiten. Herausgeber: missio – Internationales Katholisches Missionswerk e.V. Fachstelle für Menschenrechte und Religionsfreiheit Zitiervorschlag: Hutter, Manfred, Religionsfreiheit: Myanmar, hrsg. vom Internationalen Katholischen Missionswerk missio e.V. (Länderberichte Religionsfreiheit 53), Aachen 2021.
Liebe Leserinnen und Leser, LÄNDERBERICHTE die Machtübernahme durch das Militär Geschichte jedoch wieder weit zurück- mus und Nationalismus – kein neues RELIGIONSFREIHEIT: am 1. Februar 2021 hat Myanmar in die zudrehen und nicht nur bürgerliche Phänomen in der langen Geschichte MYANMAR Schlagzeilen der politischen Nachrichten Freiheiten und Menschenrechte massiv des Landes – führt dabei in manchen gebracht. Durch den Putsch wurde die einzuschränken, sondern auch die im Landesteilen auch zu einem erneuten Zusammenkunft der Mitglieder des letzten Jahrzehnt aufkeimende Hoff- Erstarken der Kampfhandlungen zwi- Parlaments verhindert, das im Novem- nung auf eine materielle Verbesserung schen ethnischen nichtbuddhistischen ber 2020 mit einer überwältigenden der Lebensbedingungen der über- Gruppen und der staatlichen Armee, Mehrheit für die NLD (National League wältigenden Mehrheit der Bevölkerung wovon die muslimischen Rohingyas im for Democracy) gewählt worden war. zu zerstören. Westen Myanmars und die christlichen Viele Einwohner Myanmars haben die Kachin im Norden des Landes am illegitime Machtergreifung der Militär- Die Freiheiten, die der Demokrati stärksten betroffen sind. führung nicht akzeptiert und stellen sierungsprozess mit sich gebracht sich seither mit Protesten und zivilem hatte, ermöglichten es jedoch auch Der vorliegende Länderbericht Ungehorsam gegen das Militär, das mit buddhistischen „Stimmungsmachern“, beschreibt – nach einem Überblick brutaler Härte auf die Demonstrationen einen uniformen Buddhismus als die zur Geschichte des Landes und den reagiert. für die myanmarische Nation aus- Religionsgemeinschaften – jene schließlich richtige Lehre zu propagie- Brennpunkte der Gefährdung der Bereits im Jahr 2007 hatten massive ren und dadurch Muslime und Christen Religionsfreiheit, die vor allem durch Unruhen und Proteste buddhistischer als Gefährdung für die Einheit einer eine nationalistische Interpretation Mönche die seit 1962 herrschende buddhistischen Nation in Misskredit des Buddhismus entstehen. Vorsichtige Militärdiktatur ins Wanken gebracht. Die zu bringen. Seit 2012 geschah dies Versuche von interreligiösen Dialogen Proteste waren zwar niedergeschlagen zunächst unter der wortgewaltigen sind ein Hoffnungszeichen, das gesell worden, hatten aber zu einem Refe- Führung des extremistischen buddhis- schaftliche Zusammenleben in Zukunft rendum und einer neuen Verfassung tischen Mönches Ashin Wirathu und ab spannungsfreier zu gestalten. (2008) geführt. Insbesondere nach dem folgenden Jahr in der sogenannten den Wahlen im Jahr 2010 konnte ein Ma-Ba-Tha-Bewegung. Daraus resultie- vorsichtiger Demokratisierungsprozess ren seither immer wieder Übergriffe auf beobachtet werden. Die gegenwärtige nichtbuddhistische Menschen und Ein- Pfarrer Dirk Bingener Situation scheint das Rad der richtungen. Die Mischung aus Buddhis- missio-Präsident
INHALT MYANMAR: RELIGIONS- VÖLKER- RELIGIONS- GESCHICHTE, GEMEIN- RECHTLICHER FREIHEIT FAZIT POLITIK, SCHAFTEN RAHMEN KONKRET GESELLSCHAFT IM LAND 8 13 24 26 39 Verfassungsrechtlicher Rahmen 26 • Anmerkungen 41 • Erschienene 45 Verletzungen der Religionsfreiheit 27 Publikationen durch staatliche Akteure • Kontrolle des Buddhismus 27 • Umgang mit Kult(einrichtungen) 29 • Antikonversionsgesetze 31 • Der Umgang mit den Rohingyas 32 • Restriktionen aufgrund von Covid-19 33 • Indirekte Konsequenzen für Religionen 34 durch die Machtübernahme des Militärs Verletzungen der Religionsfreiheit 35 durch nichtstaatliche Akteure Dialogpotenzial 37 MYANMAR Einwohner: 54 Millionen (2014) Religionszugehörigkeit: 87,9 % (Theravada-)Buddhisten 4,3 % sunnitische Muslime 0,8 % Angehörige ethnischer Die hier genannten Angaben stammen vom offiziellen Zensus des Jahres 2014; vgl. The Republic of the Union of Myanmar: The 2014 Religionen („Animismus“) Myanmar Population and Housing Census. The Union Report: 0,5 % Hindus Religion. Census Report Volume 2-C, Nay Pyi Taw 2016, 5; unter: https://drive.google.com/file/d/0B067GBtstE5TSl9FNElRRGtvMUk/ 6,2 % Christen (hauptsächlich Protestanten; view?resourcekey=0-CfL2st9o4U3JXOiBhJQu_Q (Stand: 30.06.2021). 1 % Katholiken) Angaben von verschiedenen (nichtstaatlichen) Institutionen, die teilweise auf Schätzungen beruhen, weichen davon ab; 0,1 % Ohne Religion vgl. für das Jahr 2015 Association of Religion Data Archives, unter: https://www.thearda.com/internationalData/countries/ Country_37_2.asp (Stand: 30.06.2021).
MYANMAR: der staatlich geförderte Theravada-Buddhismus zum gesellschaft- Theravada-Buddhis- mus gesellschaftlich lich prägenden Faktor, wobei sich bis zum Ende des birmanischen GESCHICHTE, Königtums im späten 19. Jahrhundert die Herrscher des Landes prägender Faktor POLITIK, immer als buddhistische Idealherrscher und Verteidiger dieser GESELLSCHAFT Religion verstanden.1 Gegen Ende des 13. Jahrhunderts verlor die politische Füh- Ende des 13. Jh. drei rung in der Hauptstadt Bagan die Vorherrschaft über das ganze lokale Dynastien Land: Daraufhin teilten sich drei Kontrahenten die Macht: Birma- nen beherrschten das zentrale Gebiet des heutigen Myanmar, Mon dominierten im Süden und Thai erstreckten von Zentralthailand aus ihren Einfluss auf den Nordosten des heutigen Staatsgebiets. Ab der Mitte des 15. Jahrhunderts breiteten birmanische Herrscher Die „Republik der Union Myanmar“ hat eine Fläche von 676.578 km² und ihre Macht auf den Westen nach Arakan aus, wobei dieses Gebiet etwa 54 Millionen Einwohner (2014). Der unabhängige Staat Myanmar sich politisch nach Bengalen orientierte. In der Mon-Hauptstadt (bis Juni 1989: Birma) besteht seit dem 4. Januar 1948, als das Vereinig- Bago nahm der Herrscher Dhammaceti (reg. 1472–1492) Kontakte zu Administrative te Königreich das Land aus dem Kolonialstatus in die Unabhängigkeit Sri Lanka auf, um die Theravada-Tradition des Landes zu stärken. Ende des 18. Jh. Gliederung der entließ. Seit 1954 gibt es diplomatische Beziehungen zur Bundesrepu- Dieses Nebeneinander von lokalen Dynastien dauerte in den fol- wieder gemeinsame Republik in lokale Herrschaft der blik Deutschland. Die Grenzziehung und die administrative Gliederung genden Jahrhunderten an, ehe die Birmanen in der Mitte des 18. Staaten und Regio- Birmanen nen durch Briten der Republik in lokale Staaten (mit jeweils nichtbirmanischer Bevölke- Jahrhunderts das Land wieder unter eine gemeinsame Herrschaft rungsmehrheit) und Regionen (mit birmanischer Bevölkerung) geht auf brachten. Vielvölkerstaat mit die Organisation durch die Briten in der Kolonialzeit zurück. Die 2005 Mit dem ersten britisch-birmanischen Krieg (1825/26) begann Erster britisch- unterschiedlichen errichtete neue Hauptstadt Naypyidaw ist verwaltungsmäßig ein eigen- der Prozess der Kolonialisierung, wobei zunächst Niederbirma birmanischer Krieg Sprachen, Birmanisch (1825/26) und ständiges Gebiet. Myanmar ist ein Vielvölkerstaat mit unterschiedlichen an das britische Kolonialgebiet Indien angeschlossen wurde. Als als Amtssprache Kolonialisierungs- Sprachen, wobei das Birmanische die Amtssprache ist. König Mindon 1853 an die Regierung kam, beschränkte sich seine prozess Im 3. Jahrhundert n. Chr. sind die ersten Fürstentümer der mit Herrschaft nur noch auf einen Reststaat in Oberbirma, wo er 1857 den Birmanen verwandten Pyu entlang des Ayeyarwady-Flusses Mandalay als neue Hauptstadt errichtete. Trotz Modernisierungs- Fürstentümer der fassbar und seit dem 4. Jahrhundert existieren im Süden des Lan- versuchen konnte sich das Königreich nicht auf Dauer gegen die Pyu und Siedlungen des und in Zentralthailand Siedlungen der Mon, die mit den Khmer Kolonialisierung zur Wehr setzten und Mindons Nachfolger, König der Mon im heutigen Kambodscha sprachlich verwandt sind. Das Zentrum Thibaw (reg. 1878–1885), wurde von den Briten abgesetzt, wodurch der Mon war das Fürstentum Dvaravati mit der Hauptstadt Lobpuri Birmas Selbstständigkeit endete. in Thailand, von dem ein Führungsanspruch über alle Mon aus- Die verlorene Selbstständigkeit führte zum Erwachen des Erwachen des ging. Unter den Mon – stärker als bei den Pyu – war der Theravada- Nationalbewusstseins in Verbindung mit einer buddhistischen Nationalbewusst- seins und Ab dem 8. Jh. n. Chr. Buddhismus bereits die dominierende Religion. Ab dem 8. Jahr- Erneuerung, wobei Mönche ihre Hinwendung zur Politik damit buddhistische aus dem Norden hundert etablierten die aus dem Norden einwandernden Birmanen legitimierten, dass der Widerstand gegen die Fremdherrschaft Erneuerung einwandernde schrittweise ihre Herrschaft über die früheren Pyu- und Mon- notwendig sei, um die buddhistische Religion vor Schaden zu Birmanen Fürstentümer. Im Jahr 849 wurde ihre Hauptstadt Bagan das neue bewahren.2 Der Nationalismus führte in den 1930er Jahren zu meh- Machtzentrum und unter König Anawrahta (reg. 1044–1077) wurde reren Aufständen und zu Zusammenstößen zwischen muslimischen 8 MYANMAR: GESCHICHTE, POLITIK, GESELLSCHAFT 9
Indern, die von den Briten nach Birma umgesiedelt worden waren, rechte eingeschränkt. Ne Win kehrte zur Trennung von Staat und und buddhistischen Birmanen. Ein wichtiger Akteur im Streben nach Religion zurück und etablierte einen „mittleren Weg“ zwischen bir- Unabhängigkeit war die sogenannte Dobama Asiayone („Wir-Birma- manischer Tradition und westlichem Sozialismus. Politisch führte Vereinigung“), die ihren Ausgang unter birmanischen Studenten dies zu einer weitgehenden internationalen Abschottung des Staa- nahm und die Trennung von Politik und Buddhismus propagierte. tes, sodass sich die wirtschaftliche Lage verschlechterte und Mitte Erneute Unruhen in In diesem Zusammenhang traten erstmals jene Personen in der 1980er Jahre erneut Unruhen ausbrachen. den 1980er Jahren Erscheinung, die für die Entstehung der unabhängigen „Republik Im August 1988 begann für Aung San Suu Kyi, die Tochter des der Union Birma“ und die ersten vier Jahrzehnte der Geschichte Nationalhelden Aung San und spätere Friedensnobelpreisträgerin Aung San, U Nu des Staates eine tragende Rolle spielen sollten: Aung San, U Nu (1991), die politische Laufbahn in der Demokratiebewegung mit und Ne Win und Ne Win. Unter der Führung von Aung San und Ne Win bildete einer Rede in der Shwedagon-Pagode in Yangon. Den darauf- sich im Frühjahr 1945 die sogenannte „Antifaschistische Freiheits- folgenden Demonstrationen gegen die Militärregierung im August bewegung“ (Anti-Facist People’s Freedom League, AFPFL) mit dem und September schlossen sich auch zahlreiche Mönche an. Am Ziel der Erlangung der Unabhängigkeit. Im Januar 1946 gelang der 18. September 1988 beendete die Militärführung die Unruhen, bei AFPFL eine Massenmobilisierung,3 um die Briten zu politischen denen rund 3.000 Personen getötet wurden.4 Als die von Aung San Aung San Suu Kyi Zugeständnissen zu zwingen. Da allerdings einzelne ethnische Suu Kyi geprägte National League for Democracy (NLD) bei den und die National League for Gruppierungen (wie die Shan und Kachin) einen unabhängigen Wahlen im Jahr 1990 die Mehrheit der Stimmen gewann, erkannten Democracy (NLD) Staat oder zumindest einen Sonderstatus (wie die Chin) nach der die Militärmachthaber das Wahlergebnis nicht an. Eine in der Folge Unabhängigkeit des Landes anstrebten, kam es zu internen Span- zunehmende Isolierung des Landes verschlechterte zu Beginn des nungen und Aung San, sein Stellvertreter und weitere hochrangige 21. Jahrhunderts die Wirtschaftslage, was im September 2007 zu Mönche stellen sich Politiker wurden am 19. Juli 1947 ermordet. Danach übernahm U Nu massiven Unruhen führte. Zahlreiche Mönche stellen sich an der 2007 an die Spitze des Protests gegen Unabhängigkeit am die politische Führung und am 4. Januar 1948 erlangte Birma mit Spitze der Proteste gegen die Militärherrschaft. Trotz der gewalt- die Militärherrschaft 4. Januar 1948 U Nu als Premierminister und General Ne Win als Verteidigungs- samen Beendigung der Proteste durch die Armee waren sie nicht minister die Unabhängigkeit. völlig erfolglos.5 Ein Referendum über eine neue Verfassung im Mai Unter U Nu gewann der Buddhismus an politischer Bedeutung, 2008 – wenige Tage nach dem Tropensturm Nargis mit hundert- Verfassungsreferen- auch wenn der Premierminister sich um die Bewahrung der tausenden Opfern – ermöglichte im November 2010 Parlaments- dum 2008 und Parlamentswahlen Religionsfreiheit für die nichtbuddhistische Bevölkerung bemühte. wahlen. Dabei wurde die Militärführung durch eine „zivile“ Regie- 2010 Verfassungszusatz Ein von ihm im September 1961 erlassener Verfassungszusatz rung abgelöst, allerdings konnte das Militär durch reservierte Sitze zur Stärkung der zur Stärkung der religiösen Rechte der Nichtbuddhisten und die und ein umfangreiches Vetorecht viele Fäden der Macht in der Hand religiösen Rechte der Errichtung von einigen Moscheen in einem Vorort Ranguns (heute behalten. Die nachfolgenden Wahlen in den Jahren 2015 und 2020 Nichtbuddhis- ten, Übergriffe auf Yangon) führte jedoch zu von buddhistischen Mönchen geschürten stärkten den Stimmenanteil der NLD und machten Aung San Suu Muslime Unruhen mit Übergriffen auf Muslime. Bevor diese Konflikte eine Kyi zur de facto Regierungschefin. Schritte der Demokratisierung landesweite Ausbreitung erfuhren, übernahm General Ne Win waren jedoch nur soweit möglich, als Vertreter des Militärs sie nicht Militärputsch am frühen Morgen des 2. März 1962 durch einen Militärputsch im Parlament verhinderten. im Jahr 1962 die Macht. Diese Machtübernahme schuf eine feste Klammer, um Die demokratische Öffnung brachte aber auch seit 1962 unter- Spannungen die unterschiedlichen Interessen von Birmanen und ethnischen drückte Spannungen zwischen ethnischen Gruppierungen und zwischen ethnischen Gruppierungen und Minderheiten innerhalb der Union von Birma zusammenzuhalten. gegenüber Muslimen an die Oberfläche. Im Mai 2012 begannen gegenüber Muslimen Zugleich wurden dadurch für ein halbes Jahrhundert Menschen- im Westen des Landes Auseinandersetzungen zwischen mus- 10 MYANMAR: GESCHICHTE, POLITIK, GESELLSCHAFT 11
Muslimische limischen Rohingyas, die von Myanmar nicht als Staatsbürger RELIGIONS- Rohingyas anerkannt werden, und der lokalen buddhistischen Bevölkerung; GEMEIN- nationalistisch-fundamentalistische Buddhisten hatten zuvor ein Schreckensszenario der Bedrohung des Buddhismus durch den SCHAFTEN Islam erfunden. Der NLD und ihrer Führerin Aung San Suu Kyi kann IM LAND dabei vorgeworfen werden, dass ihre Politik die Menschenrechts- verletzungen an den Rohingyas nicht verhindert hat. Dennoch konnte die NLD bei den Parlamentswahlen im November 2020 ihren Stimmenanteil vergrößern. Bevor das neugewählte Parlament am 1. Februar 2021 zur konstituierenden Sitzung zusammentreten konnte, Machtübernahme haben die Generäle diesen Prozess der Veränderung des Landes des Militärs 2021 gestoppt. Der bisherige vom Militär unterstützte Vizepräsident Myint Swe wurde zum Übergangspräsidenten ernannt, während der Der Zensus des Jahres 2014 nennt für die in der Verfassung §§ Zensus 2014 nennt ethnische Chin Henry Van Thio, ein Christ, als zweiter Vizepräsident 361–362 anerkannten Religionen folgende Verbreitung: 87,9 % der 87,9 % Buddhisten, 6,2 % Christen, wie auch andere seit 2016 amtierende Regierungsmitglieder der Bevölkerung sind Buddhisten, 6,2 % Christen, 4,3 % Muslime, 0,5 % 4,3 % Muslime, NLD abgesetzt wurden. Trotz der Ernennung eines Übergangs- Hindus und 0,8 % Angehörige traditioneller ethnischer Religionen. 0,5 % Hindus, präsidenten liegt die Macht in den Händen von General Min Aung Die weitere Bevölkerung gehört sehr kleinen anderen oder keiner 0,8 % Angehörige Hlaing. Aktivitäten des zivilen Ungehorsams und der alltäglichen Religion an.6 Schätzungen von staatlich unabhängigen Institutio- traditioneller ethni- scher Religionen Proteste gegen diesen „Staatsstreich“, die Etablierung einer „Exil- nen weichen davon ab und nennen folgende Zahlen:7 Buddhismus: Internationale Kritik regierung“ sowie internationale Kritik am Vorgehen der Militär- 74,7 %; traditionelle Religionen: 9,2 %; Christentum: 9,2 % (davon 6,5 am Vorgehen der führung prägen seither den politischen Alltag des Staates, wobei % Protestantismus; 1,3 % Katholizismus); Islam: 3,8 %; chinesische Militärführung das Militär immer wieder gewaltsam gegen Demonstranten vorgeht. Religionen: 1,8 %; Hinduismus: 1,7 %. Der wesentlich höhere Pro- zentsatz der Anhänger des Buddhismus in der staatlichen Statistik drückt ein Stück Ideologie der Favorisierung dieser Religion aus, indem die sogenannten „chinesischen Religionen“, d. h. zum Teil Formen des chinesischen Mahayana-Buddhismus, unter Buddhis- mus subsumiert werden. Aber auch die Eigenständigkeit ethnischer Religionen wird durch ihre Zuordnung zum Buddhismus nicht nur missachtet, sondern man vereinnahmt diese für die nationale (d. h. birmanische) Einheit des Landes. Insofern ist die offizielle Statistik zur Religionszugehörigkeit zwar nicht völlig falsch, verdeckt aber die religiöse Vielfalt des Staates. Buddhismus Legende verbindet birmanischen Der Legende nach soll der indische Herrscher Ashoka (reg. 268–232 Buddhismus mit v. Chr.) zwei Mönche nach Suvannabhumi („Goldland“) im Gebiet der indischem Herrscher Mon-Fürstentümer geschickt haben. Diese ahistorische Tradition Ashoka 12 RELIGIONSGEMEINSCHAFTEN IM LAND 13
Erste Spuren des dient dazu, den birmanischen Buddhismus mit dem berühmten Nach der Machtergreifung von General Ne Win verloren die Sangha-Konferenz Buddhismus ab indischen Förderer der Religion zu verbinden. Erste Spuren des Mönche ihren politischen Einfluss, bis die Regierung im Mai 1980 1980 fasst zehn dem 3. Jh. n. Chr. verschiedene Orden Buddhismus finden sich jedoch erst ab dem 3. Jahrhundert n. Chr. eine Sangha-Konferenz organisierte, um die zehn verschiedenen bei den Pyu zusammen, stärkere bei den Pyu – neben dem Hinduismus und der Verehrung von Geis- Orden als eine Einheit zusammenzufassen. Dadurch entstand Kontrolle der Reli- Im 11. Jh. wird tern und/oder Naturerscheinungen. Erst im 11. Jahrhundert wurde eine Struktur, die in Kooperation zwischen dem Orden und der gionsausübung Theravada- unter König Anawrahta von Bagan der Theravada-Buddhismus die Politik eine Kontrolle der Religionsausübung erlaubte. Mit seiner Buddhismus bis heute Birma/Myanmar dominierende buddhistische Richtung. Religionspolitik konnte Ne Win Sympathien unter der Bevölkerung Von der Regierung dominierend Im Theravada-Buddhismus8 spielt die hierarchische Gliede- erwerben, was durch von der Regierung finanzierte großangelegte finanzierte Neu- bauten von zwei rung der Gesellschaft in Mönche, Nonnen, männliche und weib- Neubauten von zwei Pagoden in Yangon und Mandalay sowie der Pagoden in Yangon liche Laien eine wichtige Rolle. An der Spitze des Buddhismus steht International Theravada Buddhist Missionary University in Yangon und Mandalay der – bis zur Kolonialisierung des Landes vom König eingesetzte – gefördert wurde. Dadurch repräsentierte sich die Militärregierung Sangha raja (Thathanabaing). Wichtig für die Geschichte des buddhistisch. Am deutlichsten wird dies in der Errichtung der Uppa- Uppatasanti-Pagode 5. Buddhistisches Buddhismus ist das von König Mindon einberufene 5. Buddhisti- tasanti-Pagode in der neuen Hauptstadt Naypyidaw sichtbar.10 Die in der neuen Haupt- Konzil (1868–1871) in stadt Naypyidaw sche Konzil (1868–1871) in Mandalay, das die enge Verbindung der Grundsteinlegung der Pagode erfolgte am 12. November 2006 durch Mandalay weltlichen Machthaber mit der Förderung des Buddhismus zeigt. General Tan Shwe und den ranghöchsten Mönch Myanmars; am 10. Bei diesem Konzil wurde eine Revision des Pali-Kanons als Grund- März 2009 wurde die Pagode gemeinsam vom höchsten politischen lage des Buddhismus durchgeführt, indem „unechte“ Texte aus- und höchsten religiösen Führer des Landes eingeweiht. Die Größe geschieden wurden, um durch diese Reform die Religion wieder auf der Pagode und ihr Aussehen verdeutlichen, dass dieses religiöse die ursprüngliche „Lehre der Alten“ (Theravada) zurückzuführen. Bauwerk die altehrwürdige und populäre Shwedagon-Pagode in Die enge Verbindung zwischen Staat und Religion blieb nach dem Yangon „kopiert“, um durch diese Symbolik der Hauptstadt und der Ende der Kolonialherrschaft bestehen.9 1951 begann der Bau der Kaba Aye Militärregierung buddhistische Legitimität zu geben und die Rolle Pagode, der „Friedenspagode“, in Yangon, in der staatliche Zeremonien des Buddhismus als staatstragende Religion zu betonen. Allerdings Von Premierminister zur Verehrung Buddhas durchgeführt wurden. Das vom Premierminister wird die Uppatasanti-Pagode bislang von der Bevölkerung wesent- U Nu einberufenes U Nu einberufene 6. Buddhistische Konzil (1954–1956) diente der Stär- lich weniger geschätzt als viele ältere Kultbauten im Land. Naypyi- 6. Buddhistisches kung der nationalen buddhistischen Identität Birmas und erfasste das daw soll noch weiter als buddhistisches „Zentrum“ entwickelt wer- Konzil (1954–1956) zur Stärkung Land mit einer Welle religiöser Begeisterung. Die fünf buddhistischen den, denn der gegenwärtige Machthaber bemüht sich momentan, der nationalen bud- sīlas („Gebote“) der Laien wurden dadurch zu populären Leitlinien für eine sehr große Buddhastatue in Naypyidaw errichten zu lassen, dhistischen Identität die Lebensführung. Zahlreiche Dhamma-Hallen wurden für die in der die jene Buddhafigur, die zwischen 2000 und 2002 in der Kyauk- ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts revitalisierten Meditationspraktiken tawgyi-Pagode im Norden von Yangon aus einem einzigen Marmor- neu errichtet. Die Renaissance der traditionellen, aber kaum noch prak- block mit mehr als sieben Metern Höhe aufgestellt wurde, an Größe tizierten vipassanā-Meditation hatte der Mönch Ledi Sayadaw (1846– pompös übertreffen soll. 1923) eingeleitet. Zu ihrer Popularisierung trug schließlich der Laie U Ba Neben der vipassanā-Meditation spielt im alltäglichen Buddhis- Vipassanā- Khin (1899–1971) bei; im Jahr 1952 gründete er das „International Medita- mus der Erwerb von Verdiensten (puñña) eine große Rolle, was Meditation und Erwerb von Ver- tion Center“ (IMC) in der Hauptstadt Rangun, das bis heute besteht und durch die Unterstützung der Klöster durch Laien mit materiellen diensten (puñña) Buddhismus- und von dem viele Vipassanā-Zentren weltweit ideell abhängig sind. Eine für Gaben geschieht. Man erwartet sich davon eine günstige Wieder- Meditations die Buddhismus- und Meditationsrenaissance genauso wichtige Rolle geburt. Auch der regelmäßige Besuch der Pagoden prägt die renaissance spielte der Mönch Mahasi Sayadaw (1904–1982). buddhistische Alltagspraxis, wobei sehr berühmte Pagoden (z. B. 14 RELIGIONSGEMEINSCHAFTEN IM LAND 15
die Shwedagon-Pagode in Yangon), Buddhastatuen (z. B. der zusammen. Zwischen 1832 und 1834 verfertigte er eine birmanische sogenannte Mahamuni-Buddha in Mandalay) oder einzelne Orte (z. Bibelübersetzung, die verbunden mit seiner Tätigkeit die Grund- B. der Berg Popa als Schnittpunkt von volkstümlicher Verehrung lage für die Entstehung der „Baptistischen Kirche Birmas“ wurde, Volkstümliche der sogenannten Nats, d. h. ursprünglich nichtbuddhistischer Geis- der bis heute die Mehrheit der Christen angehört. Der Erfolg von Erfolg von Judson Verehrung der Nats ter) zu „Wallfahrtsstätten“ werden. Das aus Indien stammende Judson und anderer baptistischer Missionare war durch drei Fak- und anderer baptis- tischer Missionare Thingyan-Fest Mitte April, das ein vorbuddhistisches, agrarisches toren begünstigt: (a) der Beginn der britischen Kolonialherrschaft durch drei Faktoren Neujahrsfest war, ist einerseits Teil der Volksfrömmigkeit in Ver- ermöglichte eine erfolgreiche Missionstätigkeit in den britisch begünstigt bindung mit der Verehrung der Nats, aber es spielt auch in der beherrschten Gebieten; (b) Judson und die amerikanischen Baptis- buddhistischen Praxis eine wichtige Rolle: Im Rahmen des Festes ten-Missionare wurden, weil sie nicht zur Kolonialmacht gehörten, werden die sogenannten shinbyu-Rituale durchgeführt, bei denen von der Bevölkerung positiv aufgenommen; (c) der Erfolg der Mis- Jungen als Novizen für eine bestimmte Zeit in ein Kloster gehen. sion erfolgte unter der nichtbirmanischen Bevölkerung in den von Diese Klosterzugehörigkeit vermittelt buddhistische Werte an die der Kolonialmacht eingerichteten sogenannten „ethnic states“ für Jungen, und auch deren Eltern versuchen während dieser Zeit, sich Chin, Kachin, Kayah, Mon, Karen, Shan und Arakanesen.12 Vor allem strenger an die buddhistischen Regeln der Lebensführung zu hal- unter den Chin, Kachin und Karen (Kayin) gelangen den Missiona- ten. Da der Theravada-Buddhismus stark vom Mönchtum geprägt ren nicht nur erfolgreiche Bekehrungen zum Christentum, sondern Stärkung eigen- ist, spielt die Belehrung der Laien durch Predigten in den Klöstern sie trugen durch Bildungsarbeit zur Stärkung der eigenständigen ständiger Identität ethnischer Gruppen eine wichtige Rolle: Das Vesak-Fest im Mai, bei dem die Erinnerung Identität dieser ethnischen Gruppen gegenüber der birmanischen gegenüber birma- an Buddhas Geburt, an seine Erleuchtung und an seinen Tod und (Kultur-)Dominanz bei. Dass dabei die Christianisierung nicht nur nischer (Kultur-) das Erlangen des Nirvana gefeiert werden, ist als buddhistisches durch ausländische Missionare geschah, zeigt sich an der Tätigkeit Dominanz Hauptfest dafür die geeignete Zeit. Das im Oktober stattfindende des Karen Ko Tha Byu, den Judson zu den Karen schickte, um bei Vassa-Fest, bei dem Laien den Mönchen neue Roben übergeben, ihnen als „einheimischer“ Missionar zu agieren. Bei Judsons Tod Einheimische ist das andere wichtige Fest im Jahreslauf. Insgesamt zeigt die bud- 1850 gab es etwa 8.000 Baptisten in Birma, vor allem bei den Karen. Missionare dhistische Alltagspraxis,11 dass Laien in ihrer Religionsausübung Die Missionierung setzte sich in den folgenden Jahren fort, so ab 1856 immer auf die Mönche als „höherstehende Elite-Buddhisten“ aus- bei den Chin und ab 1876 bei den Kachin. Damit ist das „typische“ gerichtet sind. Zwar gibt es auch Frauen, die als Nonnen leben, aber Merkmal des Christentums angesprochen: Die Verbreitung der Reli- sie sind innerhalb der Mönchshierarchie und im Verständnis der gion unter (buddhistischen) Birmanen und (buddhistischen) Shan, (männlichen wie weiblichen) Laien in der Wertschätzung den Mön- einer eng mit den Thai verwandten Volksgruppe, ist sehr gering. chen klar nachgeordnet. Die verschiedenen christlichen Konfessionen (neben den Baptisten sind ab 1856 katholische Missionsgesellschaften und ab 1859 die Erste katholische Christentum anglikanische Gesellschaft zur Verbreitung des Evangeliums aktiv) Gemeinden Ende des Am Ende des 16. Jahrhunderts ist die Existenz einer ersten katho- gewinnen von der Kolonialzeit bis zur Gegenwart den Großteil ihrer 16. Jh., Ende des 18. lischen Gemeinde nachweisbar. Die Aktivitäten von katholischen Anhänger vor allem unter den genannten nichtbirmanischen eth- Jh. höchstens 3.000 Katholiken Missionaren im 17. und 18. Jahrhundert in den lokalen Königs- nischen Gruppen sowie unter den seit der Kolonialzeit nach Birma städten Ava sowie Bago blieben aber wenig erfolgreich, sodass gekommenen Indern. 2010 sind nach Schätzung jeweils 90 % der Adoniram Judson es am Ende des 18. Jahrhunderts höchstens 3.000 Katholiken ethnischen Chin und Kachin Christen. (1788–1850) von der American Baptist gab. Die protestantische Mission hängt eng mit Adoniram Judson Die enge Verbindung des Christentums mit ethnischen Gruppen Mission (1788–1850) von der American Baptist Mission ab dem Jahr 1813 stellte im unabhängigen Staat Birma die Religion vor eine neue 16 RELIGIONSGEMEINSCHAFTEN IM LAND 17
Christen gelten nach Herausforderung, da einzelne ethnische Gruppen selbst nach poli- Islam Unabhängigkeit als tischer Unabhängigkeit strebten. Dadurch gerieten Christen inso- Aktuell denkt man bei Muslimen in Myanmar meist nur an die Rohingyas im „Fremdkörper“ in Rakhine-Staat fern unter Druck, als sie als „Fremdkörper“ in der birmanisch-bud- Rohingyas, die im Rakhine-Staat im Westen Myanmars leben. Dort der birmanisch-bud- dhistischen Staats- dhistischen Staatsideologie galten. Eine weitere Herausforderung kommt es regelmäßig zu Spannungen zwischen den lokalen Musli- ideologie betraf vor allem die katholische Kirche. Ne Wins Nationalisierungs- men mit den buddhistischen Arakanesen; viele Rohingyas fliehen kampagne13 führte zur Ausweisung von Ausländern aus Birma, ins benachbarte Bangla Desh. Allerdings beschränkt sich der Islam Ausweisungen nach sodass etwa zwei Drittel der katholischen Priester und Nonnen in Myanmar nicht auf diese Volksgruppe, sondern man muss auch Chinesische, birma- Nationalisierungs- als (westliche) Ausländer und Ausländerinnen das Land verlassen die chinesischen, birmanischen und indischen Muslime – mit ihrer nische und indische kampagne Muslime mussten, deutlich mehr als bei den anderen christlichen Konfessio- eigenen historischen und kulturellen Prägung des Islam – beachten. nen, die sich seit fast einem Jahrhundert bereits auf einheimische Die ersten gesicherten Zeugnisse für die Anwesenheit von Mus- Pastoren und Prediger stützen konnten. 1965 wurden alle christ- limen im Gebiet des heutigen Myanmar gehen auf Händler aus Muslimische Händ- lichen (mehrheitlich katholischen) Schulen nationalisiert. Von die- Bengalen, von der Malabar-Küste und aus Sri Lanka zurück, die im ler aus Bengalen, von der Malabar- sem Einschnitt konnte sich das katholische Christentum nur lang- Delta des Ayeyarwady und an der Martaban-Küste wirtschaftlich Küste und aus Sri sam erholen, doch verlor es dadurch teilweise das Stigma einer aktiv waren. Viele dieser Händler verbrachten einen Teil des Jahres Lanka „Ausländer- oder Kolonialkirche“, weil die Verkündigung durch ein- in Indien und den anderen Teil im birmanischen Königreich und „Einheimisch heimische Kleriker und engagierte Laien fortgesetzt werden musste. hatten sowohl in Indien als auch in Birma eine Ehefrau mit Kin- werdung“ der Diese „Einheimischwerdung“ der katholischen Kirche wurde in den dern. Dadurch wurde der Islam vor allem durch familiäre Bande, katholischen Kirche 1990er Jahren durch das Projekt „Evangelisierung 2000“ mit der Eheschließungen und teilweisen Zuzug von indischen Verwandten sogenannten Zetaman-Bewegung („Junge-Missionare-Bewegung“) dieser Händler verbreitet. Gesellschaftlich haben sie sich an Sit- weiter gefördert. Dabei verpflichteten sich junge Menschen nach ten, die birmanische Sprache und Kultur (abgesehen von der Reli- Verbreitung der einer Grundausbildung in Katechese, Liturgie und Bibelstudium, für gion) angeglichen. Seit dem 18. Jahrhundert verbreiteten sich diese „birmanischen“ Muslime seit dem zwei bis fünf Jahre in Dörfern im Norden Myanmars als Verkünder „birmanischen“ Muslime von den küstennahen Gebieten über das 18. Jh. des Christentums und „profane“ Lehrer zur Entwicklung der lokalen ganze Land. Etwa die Hälfte aller Muslime in Myanmar gehört zu Bevölkerung beizutragen. dieser Gruppe. Priesterausbildung Für die katholische Theologieausbildung gab es lange nur in Die britische Kolonialherrschaft brachte Muslime aus Nordindien Muslime aus Nord- stärker regionalisiert Yangon ein Priesterseminar, in dem junge Männer aus den 16 Diö- ins Land, damit diese in der Verwaltung und in der Wirtschaft tätig indien während britischer Kolonial- zesen (mit den drei Erzdiözesen Yangon, Mandalay und Taunggyi) wurden. Ein Großteil von ihnen ließ sich in urbanen Gebieten als Händ- herrschaft studierten. Auf Beschluss der Bischofskonferenz soll die Priester- ler und Ladenbesitzer nieder. Dies trug zum Wachstum von birmani- ausbildung stärker regionalisiert werden, sodass für die mit der schen Städten bei, sodass z. B. Rangun durch solche Zuwanderung Erzdiözese Taunggyi verbundenen Diözesen im Jahr 2017 ein eigenes am Ende des 19. Jahrhunderts eine indische Bevölkerungsmehrheit Priesterseminar eingerichtet wurde; Ähnliches könnte in Zukunft besaß. Dies führte ab den 1920er Jahren zu zunehmenden Spannun- Spannungen Diplomatische auch für Mandalay geschehen. Im Jahr 2017 nahmen der Vatikan gen zwischen buddhistischen Birmanen und muslimischen Indern in zwischen buddhis- Beziehungen tischen Birmanen und Myanmar durch die Errichtung einer Apostolischen Nuntiatur Birma. Letztere schlossen sich im Unterschied zu den „birmanischen“ zwischen dem und muslimischen diplomatische Beziehungen auf. Im November 2017 besuchte Papst Muslimen weder sprachlich noch kulturell der birmanischen Gesell- Indern seit den Vatikan und Myanmar seit 2017 Franziskus auf einer Pastoralreise die Wirtschaftsmetropole Yangon schaft an. Aber auch zwischen den birmanischen und den indischen 1920er Jahren sowie die Hauptstadt Naypyidaw. Muslimen schuf die gemeinsame Religion kaum Kontakte. Die Mehr- heit der indischen Muslime lebt bis heute in Yangon. 18 RELIGIONSGEMEINSCHAFTEN IM LAND 19
Chinesische Muslime Ab dem 18. Jahrhundert kamen chinesische Muslime, die Rakhine-Staat zurück.14 In den folgenden Jahrzehnten verschärften ab dem 18. Jh. sogenannten Panthay, aus Yunnan im Südwesten der heutigen sich zeitweilig die Verfolgungen der Rohingyas (und davon abhängig Volksrepublik China in den Norden des Landes. Als Händler kon- auch der anderen muslimischen Volksgruppen), wie später noch zu trollierten sie die Karawanenrouten zwischen China, dem Norden zeigen ist. Birmas mit der Hauptstadt Mandalay und weiter nach Laos bzw. Thailand. Kulturell hielten sie gegenüber den birmanischen und Hinduismus indischen Muslimen sowie den buddhistischen Birmanen Distanz. Hindu-Traditionen15 sind seit der Zeit der Pyu verbreitet. Mit der Hinduistische Westen Myanmars Der Westen Myanmars, der sich seit der Mitte des 15. Jahr- Dominanz des Theravada-Buddhismus seit der Bagan-Periode „Hofbrahmanen“ erst 1785 vom hunderts zur Bewahrung der Eigenständigkeit gegenüber den spielte der Hinduismus unter den Birmanen keine Rolle mehr. birmanischen buddhistischen Birmanen religiös immer zum muslimischen Ben- Allerdings behielten am Königshof hinduistische „Hofbrahmanen“ Königreich erobert galen (heute Bangla Desh) orientierte, wurde erst im Jahr 1785 end- bis zur Abdankung des letzten Königs Thibaw im Jahr 1885 eine gültig vom birmanischen Königreich erobert, ohne kulturell ein wichtige Rolle im Hofzeremoniell. Seit dem Ende des Königtums Teil des Königreichs zu werden. Die Region blieb – auch nach der praktizieren diese Brahmanen bis heute – vor allem in Mandalay, Wirtschaftlich Unabhängigkeit Birmas – jedoch ein wirtschaftlich vernachlässigtes der letzten Königshauptstadt – den Hinduismus, wobei diese Hin- vernachlässigtes Randgebiet, und ihre Bewohner, die Rohingyas, gelten als ethni- dus als „Punna“ bezeichnet werden. Bedeutsamer für den gegen- Randgebiet, scher und religiöser Fremdkörper im Staat. Dies führt immer wie- wärtigen Hinduismus sind jedoch die Nachkommen der in der Nachkommen der Rohingyas gelten als der zu Spannungen zwischen Buddhisten und Muslimen in diesem Kolonialzeit aus Indien eingewanderten Hindus. Der Großteil von in der Kolonialzeit Fremdkörper aus Indien einge- Gebiet und zur zeitweiligen Flucht ins benachbarte muslimisch ihnen lebt in Yangon, in Mandalay und im Bago-Distrikt. Im Unter- wanderten Hindus geprägte Bangla Desh. Nach den birmanischen Muslimen sind die schied zu den Muslimen ist es den Hindus gelungen, ihre Inter- Rohingyas die größte muslimische Bevölkerungsgruppe. essen als gemeinsame Hindu-Gemeinschaft in der birmanischen Diese unterschiedliche Verortung der Muslime in der birmani- Gesellschaft zu vertreten. Dadurch werden die großen Feste – z.B. schen Gesellschaft wirkt sich nachteilig auf die Stellung des Islam Durga Puja, Navaratri, Deepavali oder Holi – als einigendes Band in Myanmar aus. Nach Erlangung der Unabhängigkeit wurde die der Hindus gefeiert. Der „All Myanmar Hindu Central Board“ ist die „Jamiyyat al-Ulama, Birma“ gegründet, die sich um soziale und Dachorganisation zur Vertretung der hinduistischen Interessen politische Belange der Muslime kümmern wollte. Indische Muslime gegenüber der Regierung und kümmert sich auch erfolgreich um opponierten jedoch gegen die zu starke Anlehnung der birmani- das Wohlergehen der Gemeinde und um die Pflege der hinduisti- schen Muslime an die Kultur des Landes. Auch unterstützten bir- schen Tempel. manische Muslime die Einheitsbemühungen der Regierung, was die Spannungen zwischen beiden muslimischen Gruppen verschärfte. Ethnische Religionen und offiziell Dadurch zerbrach die Einheit einer gemeinsamen politischen Ver- nicht anerkannte Religionen tretung für alle Muslime. Mit der Nationalisierungspolitik Ne Wins Neben diesen „großen“ Religionen gehör(t)en ethnische Gruppen wurden zunächst die indischen Muslime und ab den 1980er Jahren außerhalb des birmanischen Tieflandes und Zentralbirmas ver- Marginalisierung auch die Rohingyas marginalisiert; von Letzteren verließen 1992 – schiedenen traditionellen Religionen an. Im unabhängigen Birma und Verfolgung nach unterschiedlichen Quellen – 100.000 oder 250.000 Flüchtlinge setzten jedoch Konversionsbewegungen ein, die – teilweise von Konversions muslimischer bewegungen das Land. Da sie in ihrem „Zielland“ Bangla Desh nicht willkommen der Regierung gefördert, teilweise von den ethnischen Gruppen Gruppen waren, kehrten rund 40.000 Menschen im Oktober 1993 aufgrund selbst erwünscht – in der Hinwendung zum Buddhismus oder eines Abkommens zwischen Bangla Desh und Birma wieder in den zum Christentum die Möglichkeit der „Modernisierung“ und Über- 20 RELIGIONSGEMEINSCHAFTEN IM LAND 21
Überwindung windung der „Rückständigkeit“ sahen. So fasste in den 1960er Jah- Buddhisten in die dominierende Religion einordnet und ihnen die vermeintlicher ren der Mahayana-Buddhismus unter der ethnischen Gruppe der Funktion zuschreibt, den „irdischen“ Buddhismus zu beschützen. Rückständigkeit Wa Fuß und sehr viele Chin und Kachin konvertierten zum baptisti- Die Verankerung der Verehrung der nationalen und buddhistischen Nationale und schen Christentum. Nats im birmanisch-nationalen Buddhismus dürfte dabei ein Grund buddhistische Nats, Anerkennung des Fruchtbarkeit der Im Mittelpunkt der ethnischen Religionen steht die Fruchtbar- dafür sein, dass die eng mit der Nat-Verehrung verbundenen eth- „Animismus“ in der Erde, Streben nach keit der Erde und das Streben nach einer kosmischen Harmonie, nischen Religionen als „Animismus“ in der Verfassung als eine offi- Verfassung kosmischer die sich in der gesellschaftlichen Harmonie widerspiegelt. Der zielle Religion anerkannt sind. Harmonie, Vereh- rung von Geistwesen ganze Kosmos ist von Geistwesen belebt, die in regelmäßiger Inter- Weitere – zahlenmäßig wenig verbreitete – Religionen haben aktion mit den Menschen stehen. Die Verehrung von Geistwesen keinen offiziellen Status im Land, sind jedoch offiziell auch nicht auf Bergen bzw. von Bergen als Manifestation solcher Geistwesen verboten, sondern aufgrund der Verfassungsbestimmung (§ 34; § kann als allgemeines Charakteristikum dieser traditionellen Reli- 354d) der allgemeinen Religionsfreiheit zulässig, solange sie nicht gionen gelten, wobei der Berg Popa in der Nähe von Bagan seit gegen die öffentliche Ordnung, Moral, Gesundheit oder andere langem auch von Buddhisten als heiliger Ort angesehen wird. Dies Verfassungsvorschriften verstoßen. Erwähnenswert sind vor allem zeigt, dass Elemente der traditionellen Religionen Eingang in die drei Religionen, die in der Kolonialzeit nach Birma gekommen sind. buddhistische Alltagsreligion gefunden haben. Am deutlichsten ist Sikhs sind vor allem als Soldaten der Kolonialmacht in Birma sess- Weltliche Hilfe durch dies bei der Verehrung der sogenannten Nats16 der Fall. Nats sind haft geworden, oft in jenen Orten, in denen auch Hindus wohnten. Geistwesen (Nats) Geistwesen und man wendet sich an sie, um von ihnen weltliche Obwohl es derzeit noch 48 Sikh-Tempel in Myanmar gibt, leben nur Hilfe zu erlangen; zugleich fürchtet man sie, weil sie schädigend etwa 3.000 Angehörige der Religion im Land. Ebenfalls mit der Ein- agieren können. Die Vielzahl der Nats kann man in drei Kategorien beziehung Birmas in das britische Kolonialreich hängt die Ankunft Sikhs, Juden und einteilen: Naturgeister; die 37 nationalen Nats Birmas; buddhisti- jüdischer Händler zusammen, die bereits 1857 im damaligen Ran- Baha’i sche Nats. Die erste Kategorie steht bei den traditionellen ethni- gun die erste Synagoge errichteten. Das frühe 20. Jahrhundert war schen Religionen im Mittelpunkt. Ihre Verehrung spielt bei der Ehe- für die Juden die Blütezeit in Birma, da sie wirtschaftlich eng mit schließung und der Geburt von Kindern eine große Rolle. Genauso der Kolonialmacht zusammenarbeiteten. Nach der Entstehung des verbindet man sie mit der agrarischen Fruchtbarkeit, sodass man Staates Israel verließen viele von ihnen das Land, sodass heute ihnen für das Gedeihen der Felder Opfer darbringt. Dabei kann nur noch rund 20 Juden in Myanmar leben. Die ersten Spuren der man hierarchisch-genderbezogene Differenzierungen beobachten, Baha’i-Religion in Birma reichen bis in das Jahr 1878 zurück, als da Männer die Verehrung der Nats häufig als „minderwertige“ zwei persische Baha’i-Missionare ihre Missionsreise nach Indien Angelegenheit der Frauen betrachten, während sie von sich beto- auch auf Birma ausdehnten. In Rangun und Mandalay schlossen Buddhismus drängt nen, den Buddhismus als „richtige“ Religion zu praktizieren. Diese sich einige Muslime der Baha’i-Religion an und die Gemeinde in traditionelle Diskrepanz zeigt, dass der Buddhismus die traditionellen Religio- Mandalay entwickelte sich zum Ausgangspunkt für die weitere Ver- Religionen an den nen an den Rand drängt, was auch die weitere Kategorisierung breitung der Religion, wobei gegenwärtig etwa 20.000 Baha’i in Rand der Nats verdeutlicht: Die 37 nationalen Nats sind – anscheinend Myanmar leben. schon seit der Bagan-Periode – eine in den Staatskult einbezogene Gruppe; manche dieser Nats gehen auf „vergöttlichte“ Perso- nen von ursprünglich lokaler Bedeutung zurück. Die sogenannten „buddhistischen Nats“ ihrerseits zeigen die Integration dieser vor- buddhistischen Vorstellungen, indem man sie als „himmlische“ 22 RELIGIONSGEMEINSCHAFTEN IM LAND 23
VÖLKER- Da Myanmar dem IPbpR nicht beigetreten ist, sind auch die Aus- RECHTLICHER sagen des Paktes und des General Comment20 Nr. 22 vom 20. Juli 1993 für den Staat nicht verbindlich. Allerdings hat Myanmar im RAHMEN November 2012 an der Verabschiedung der ASEAN Human Rights Declaration21 mitgewirkt. Darin übernimmt § 22 praktisch wört- lich den Abschnitt 18 (1) aus dem IPpbR, womit zumindest indirekt die Aussagen bzgl. Religionsfreiheit des IPpbR auch für Myanmar gelten. Diese positiven Grundsätze werden jedoch durch § 7 ein- geschränkt, wo ausdrücklich gesagt wird, dass die Umsetzung der Menschenrechte immer im regionalen oder nationalen Kontext zu sehen ist, bei dem der jeweilige politische, kulturelle, histori- sche und religiöse Hintergrund beachtet werden muss. Kritisch Der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte ist daher anzumerken, dass dieser Paragraph die Einschränkung (IPbpR)17 ist ein Meilenstein in der globalen völkerrechtlichen Fest- von Menschenrechten und Religionsfreiheit durch die Regierung legung der Menschenrechte im Allgemeinen. Myanmar ist dem legitimiert. Dadurch schafft die Zustimmung Myanmars zur ASEAN ASEAN Human Pakt nicht beigetreten, der nach mehrjährigen Beratungen am 16. Human Rights Declaration keine unbeschränkte Religionsfreiheit Rights Declaration Dezember 1966 beschlossen wurde. Nachdem 53 Staaten den Pakt auf formaler rechtlicher Ebene, was bei der Zustimmung zum IPbpR ratifiziert hatten, trat er am 23. März 1976 in Kraft.18 Hinsichtlich der der Fall wäre. Dennoch stellt die Erklärung der Menschenrechte der Religionsfreiheit formuliert Artikel 18 (1) des IPbpR Folgendes: ASEAN ein gewisses Instrumentarium dar, auf das bei Missachtung von politischen oder bürgerlichen Rechten verwiesen werden kann. Jedermann hat das Recht auf Gedanken-, Gewissens- Denn Vertreter der Philippinen22 haben sich am 10. April 2021 aus- und Religionsfreiheit. Dieses Recht umfasst die Freiheit, drücklich auf diese ASEAN-Erklärung berufen, als sie die Militär- eine Religion oder eine Weltanschauung eigener Wahl machthaber in Myanmar aufgerufen haben, die demokratischen zu haben oder anzunehmen, und die Freiheit, seine Kräfte und deren Proteste gegen die Militärgewalt im Land nicht Religion oder Weltanschauung allein oder in Gemein- länger zu unterdrücken. schaft mit anderen, öffentlich oder privat durch Gottes- dienst, Beachtung religiöser Bräuche, Ausübung und Unterricht zu bekunden. Prinzipiell zitiert dieser Artikel den entsprechenden Artikel der All- gemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen von 1948, allerdings mit einer Änderung. Während die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte von der „Freiheit, eine Religion oder Überzeugung zu wechseln“ spricht, ist im IPbpR nur von der „Freiheit, eine Religion oder eine Weltanschauung eigener Wahl zu haben oder anzunehmen“, die Rede.19 24 VÖLKERRECHTLICHER RAHMEN 25
RELIGIONS- Buddhismus – formal unzutreffend – als Staatsreligion empfunden FREIHEIT wird, wodurch sowohl staatliche als auch nichtstaatliche Akteure Einschränkungen für nichtbuddhistische Religionen rechtfertigen. KONKRET Die Einschränkung der Religionsfreiheit in Myanmar betrifft dabei in erster Linie Christen und Muslime, in abgeschwächter Form auch Hindus wegen ihrer Herkunft aus Indien. Wichtig und zugleich schwierig ist dabei zu berücksichtigen, dass Aktionen staatlicher Einschränkungen oder nichtstaatlicher Akteure gegen nichtbuddhistische Religionen der Religionsfreiheit aus religiösen und häufig aus der Vermengung der Einschränkung der Religionsfreiheit ethnischen Motiven und der Ablehnung des ethnischen Hintergrunds der Religionsan- gehörigen entstehen. VERFASSUNGSRECHTLICHER RAHMEN VERLETZUNGEN DER RELIGIONSFREIHEIT § 34 Gewissens- und Die Verfassung Myanmars23 aus dem Jahr 2008 betont in § 34 all- DURCH STAATLICHE AKTEURE Religionsfreiheit, gemein die Gewissens- und Religionsfreiheit und die §§ 360 bis 364 Details in §§ 360 benennen Details. Als anerkannte Religionen sind der Buddhis- Einschränkungen der Religionsfreiheit24 durch primär staat- Einschränkungen bis 364 mus (§ 361) sowie Christentum, Islam, Hinduismus und „Animis- liche Akteure hängen eng mit dem birmanischen Nationalismus der Religionsfreiheit durch birmanischen mus“ (§ 362), womit traditionelle ethnische Religionen gemeint zusammen; ethnische Gruppen mit einem hohen Anteil von Chris- Nationalismus sind, genannt. Die Religionsfreiheit ist insofern eingeschränkt, als ten (Chin, Kachin, Kayin [Karen], Naga und Inder) bzw. Muslimen Religionen keine ökonomischen, politischen oder weltlichen Aktivi- (Rohingyas, Inder) sind davon besonders betroffen, wobei auch täten mit der religiösen Praxis verbinden dürfen und auch nicht birmanische Muslime häufig darüber klagen, dass ihnen – auf- das öffentliche Wohlergehen oder gesellschaftliche Reformen grund der islamischen Religionszugehörigkeit – von Behörden die behindern dürfen (§§ 360 und 364). Diese Formulierung erlaubt Anerkennung ihrer birmanischen Ethnizität verweigert wird und Mögliche Eingriffe somit dem Staat Eingriffe in religiöse Aktivitäten, falls die politi- sie stattdessen – wie die Rohingyas – in staatlichen Dokumenten Marginalisierung des Staates in schen Machthaber eine Religion(sgemeinschaft) als Einschränkung negativ als „Bengali“ bezeichnet werden. Solche Zuschreibungen nichtbuddhistischer religiöse Aktivitäten Gläubiger verschie- oder Gefährdung der eigenen politischen Ziele empfinden. Genauso bedeuten damit zwar nicht die Einschränkung der Religionsfreiheit dener ethnischer ermöglicht die wörtlich zwar neutrale Formulierung, dass der per se, aber sie marginalisieren nichtbuddhistische Gläubige aus Gruppen Staat Religionen unterstützen und beschützen kann (§ 363), dass solchen ethnischen Gruppen im nationalen Diskurs. einzelne Religionen von Seiten des Staates bevorzugt werden. Da Bevorzugung des dem Buddhismus als Religion der Mehrheit der Bevölkerung eine Kontrolle des Buddhismus Buddhismus spezielle Position gegenüber den anderen Religionen zugebilligt Obwohl der Buddhismus nicht Staatsreligion in Myanmar ist, weist Buddhismus nicht wird (§ 361), bedeutet dies eine Bevorzugung des Buddhismus bzw. ihm die Verfassung eine besondere Stellung zu, da er von der Mehr- Staatsreligion die indirekte Nachrangigkeit der in § 362 genannten Religionen. heit der Bevölkerung praktiziert wird. Sowohl führende Militärs als In der alltäglichen Wahrnehmung führt dies häufig dazu, dass der auch Regierungsangehörige – inklusive der seit Februar 2021 ent- 26 RELIGIONSFREIHEIT KONKRET 27
machteten de facto Regierungschefin Aung San Suu Kyi – treten als wobei viele Klassenzimmer mit Buddhastatuen ausgestattet sind. Unterstützer des Buddhismus und der Mönche in der Öffentlich- Lehrmaterialien – sowohl in den Na-Ta-La- als auch öffentlichen keit auf und nehmen an Ritualen teil. Die Regierung – sowohl Schulen – beinhalten diskriminierende oder pejorative Aussagen die Militärregierung bis 2011, die demokratische Regierung bis zu über nichtbuddhistische Religionen bzw. über die „Unterlegenheit“ Einschränkungen der Religionsfreiheit ihrer Entmachtung 2021 und der jetzt herrschende Militärchef Min oder „Rückständigkeit“ nichtbirmanischer Ethnien. D. h. diese „För- für Nichtbuddhisten Durchgehende Aung Hlaing – sowie das Religionsministerium unterstützen bud- derung“ des Buddhismus durch staatliche Akteure schränkt nicht und nichtbirmani- Unterstützung dhistische Aktivitäten zur Verbreitung der Religion und die beiden nur die Religionsfreiheit von Nichtbuddhisten ein, sondern auch sche Buddhisten buddhistischer Buddhistischen Universitäten in Yangon und Mandalay finanziell. die von nichtbirmanischen Buddhisten. Aktivitäten Selbst wenn man solche staatlichen Aktivitäten als „positive Dis- Praktisch ist nur eine spezifische Ausrichtung des Buddhismus kriminierung“ des Buddhismus bewertet, ist die politische Ziel- politisch zulässig, und Buddhisten, die sich für Religionsfreiheit setzung unübersehbar. Der Buddhismus und das „State Sangha engagieren, werden in ihrer Tätigkeit behindert bzw. strafrechtlich Maha Nayaka Committee“, das regierungsnah die Belange des verfolgt. Beispielsweise wurde Htin Lin Oo, ein Mitglied der NLD, Buddhismus vertritt, werden dadurch zugleich kontrolliert, um die wegen seiner Kritik an Mönchen, die Hass gegen Andersdenkende Parteien (auch NLD) buddhistisch-birmanische Identität zu bewahren. Genauso unter- schüren, im Jahr 2015 zu zwei Jahren Haft verurteilt – mit der Strafrechtliche Ver- unterstützen stützen alle Parteien, die nicht exklusiv auf ethnische Minderheiten Begründung der Beleidigung der buddhistischen Lehre25. Ähnlich zu folgung bei Kritik buddhistische an Mönchen oder beschränkt sind, die buddhistische Vorherrschaft. In dieser Hin- bewerten ist die Verhaftung von Swe Win im Jahr 2017 wegen sei- Vorherrschaft „Beleidigung“ der sicht nimmt auch die NLD keine grundsätzlich andere Stellung ein, ner Kritik am radikalen Mönch Wirathu, der einer der bekanntesten buddhistischen was sowohl bei Rohingyas als auch bei Christen, die die NLD als nationalistischen Vertreter der Ma-Ba-Tha-Bewegung (siehe dazu Lehre Oppositionskraft unterstützt haben, zu Enttäuschung geführt hat. unten) ist. Denn auch die NLD hat im Jahrzehnt der Demokratisierungsversuche zwischen 2011 und 2021 den (birmanischen) Buddhismus als Teil Umgang mit Kult(einrichtungen) der nationalen Identität klar gegenüber anderen Religionen favori- Angehörige der in der Verfassung aufgeführten nichtbuddhistischen siert. Auch die oppositionelle Partei „Union Solidarity and Develop- Religionen erfahren auch in der religiösen Praxis Beschränkungen. ment Party“ (USDP), die politisch die Ziele der Armee Myanmars Deutlich zeigt sich dies in den Möglichkeiten, angemessene Bauten vertritt, unterstützte mit ihrem Eintreten für Gesetzesänderungen für den Kult sowie für die sozialen Belange der Religionsgemein- Politische Parteien zum Schutz von Rasse und Religion in den Jahren um 2015 den schaft zu errichten. Baubewilligungen für die Neuerrichtung oder Verzögerung von beschränken birmanisch geprägten Buddhismus. Damit beschränken politische Renovierung von Tempeln, Moscheen oder Kirchen werden meist Bau- oder Renovie- religionskulturelle rungsbewilligungen Parteien jedoch auch die religionskulturelle Eigenständigkeit der nur nach mehrjährigen zähen Verhandlungen erteilt, wobei auch Eigenständigkeit der für Tempel, buddhistischen Mon, buddhistischen Mon, Shan und Kayin innerhalb der Union. Die erteilte Bewilligungen oft nicht allgemein anerkannt werden, sodass Moscheen oder Shan und Kayin sogenannten Na-Ta-La-Schulen, die als Bildungseinrichtungen in sich Bauverfahren verzögern oder Anträge für Bauvorhaben über- Kirchen mehreren ethnischen Gebieten errichtet sind, dienen ebenfalls haupt nicht (oder nur mit Hilfe von Bestechungsgeldern) bearbeitet Bildungseinrich- als staatliches Kontroll- und Förderinstrument. Diese Schulen werden. Teilweise sind solche Behinderungen eine Mischung von tungen als Kon- sind qualitativ deutlich besser und kostengünstiger als „normale“ einschränkenden Aktivitäten staatlicher Behörden und persön- troll- und Förder öffentliche Schulen, sie dienen jedoch in erster Linie dazu, junge licher (und rechtlich nicht gedeckter) Ablehnung eines Beamten, instrument Menschen im Sinne des staatlichen Buddhismus zu erziehen. Aber was eine scharfe Abgrenzung von staatlichen und nichtstaatlichen auch reguläre Schulen verlangen von den (nichtbuddhistischen) Akteuren als Triebkräfte der Beschränkung von Religionsfreiheit Schülern, dass sie an buddhistischen Zeremonien teilnehmen, nicht immer ermöglicht. Tendenziell lässt sich beobachten, dass 28 RELIGIONSFREIHEIT KONKRET 29
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