6/2021 ÄRZTEBLATT MECKLENBURG-VORPOMMERN - Online-Ärztetag 2021 Neurologische Manifestationen der COVID-19-Erkrankung 120. Geburtstag von Rudolf ...
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ÄRZTEBLATT 6/2021 MECKLENBURG-VORPOMMERN Rapsfeld bei Panschenhagen Foto: Dr. Th. Müller Online-Ärztetag 2021 Neurologische Manifestationen der COVID-19-Erkrankung 120. Geburtstag von Rudolf Petershagen
Inhalt Editorial Veranstaltungen und Kongresse Bemerkenswert 205 Impfkurse in Mecklenburg-Vorpommern 225 Veranstaltungen der Ärztekammer M-V 225 124. Deutscher Ärztetag Veranstaltungen in unserem Kammerbereich 226 Online: Ärztetag mal anders 206 Veranstaltungen in anderen Kammerbereichen 227 KBV 2025: Strukturen bedarfsgerecht anpassen 212 Recht Leserbriefe Satzung der Schlichtungsstelle für Arzthaftplicht- Gegenwind 214 fragen der Ärztekammer Mecklenburg-Vorpommern 228 Verkrustete Weltsicht alter Männer 214 In eigener Sache Wissenschaft und Forschung Dr. Andreas Kauffold zurückgetreten 230 Neurologische Manifestationen der COVID 19-Erkrankung 215 Junge Ärzte Zum Beispiel – Vorbilder 231 Aktuelles COVID-19: Immunität bei Geimpften und Personalien Genesenen 220 Nachruf für Dr. Maskow 238 Management des Long-COVID 222 Kultur Qualitätssicherung bei der Behandlung von Kindern und Jugendlichen mit Zerebralparese Zwischen Wollen und Dürfen 239 in Sozialpädiatrischen Zentren 232 Geschichte der Medizin Auf der Suche nach Neurochirurgen 237 Erinnerung an einen mutigen Mann: Fortbildung 120. Geburtstag von Rudolf Petershagen 240 29. Interdisziplinäre Seminar- und Rezensionen Fortbildungswoche der Ärztekammer Mecklenburg-Vorpommern 224 Für Sie gelesen 242 Geburtstage Wir beglückwünschen 244 Impressum 244 Genderneutrale Sprache In der deutschen Sprache sind personenbezogene Pluralformen grundsätzlich geschlechtsneutral. Soweit singuläre Formen wie Arzt, Patient, Gast o.ä. aus Gründen der Flüssigkeit und besseren Lesbar- keit in den Texten des Ärzteblattes Mecklenburg Vorpommern ver- wendet werden, bezeichnen sie wie auch die Pluralformen in jedem Fall sowohl Personen des weiblichen wie des männlichen als auch eines möglichen dritten Geschlechts. Die Redaktion AUSGABE 6/2021 31. JAHRGANG Seite 203
EDITORIAL Bemerkenswert Am Rande des 124. Deutschen Ärztetages notiert Ganz anders und doch irgendwie wie immer! Der Online- Ablauf war ein moderiertes Ge- Ärztetag im Pandemie-Jahr verlief viel besser als von den spräch zwischen dem Bundes- meisten erwartet. Nicht nur vom Präsidenten des 124. Deut- gesundheitsminister und dem schen Ärztetages Dr. Klaus Reinhardt, auch von einigen Ab- Präsidenten des DÄT; war bisher geordneten wurde des Öfteren bedauert, dass der Ärztetag der Minister stets unmittelbar nicht in Präsenz stattfinden kann, dass er nicht in Rostock nach seiner Rede verschwun- stattfindet und das vor allem eines fehlt: der unmittelbare, den, hat er sich in diesem Jahr kollegiale Austausch. Sogar Jens Spahn hat gesagt, dass er den Fragen der Ärzteschaft gestellt. Kurz vor dem Ärztetag nach Rostock zum nächsten Ärztetag kommen würde, in war das Thema „Kilmaschutz ist Gesundheitsschutz“ auf ei- welcher Funktion auch immer, und sei es als Privatmann – nen geplanten Präsenz-Ärztetag im Herbst (Termin steht warten wir´s ab! noch nicht fest) verschoben worden, damit genügend Zeit für die wichtigen Themen unter TOP I zur Verfügung stand. Der Vorstand der Bundeärztekammer hatte sich im Estrel- Das zweite große Thema dieses Ärztetages war die ärztliche Hotel in Berlin versammelt. Die Abgeordneten haben ent- Sterbebegleitung. weder aus dem Homeoffice oder gemeinsam als Kammer am Ärztetag teilgenommen. In Vorbereitung des Ärzteta- Die Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel hatte – wohl noch ges gab es umfangreiche Informationen über die Modalitä- als Referenz für den ursprünglichen Tagungsort Rostock – ten im Abgeordnetenportal: Anträge einreichen und unter- ein Grußwort zugesagt. In ihrer Videobotschaft hat sie den stützen, Wortmeldungen, Reden, Abstimmen usw. In den Einsatz des medizinischen Personals im Kampf gegen die meisten Fällen hat dies sehr gut geklappt. Einige Male hat Pandemie gewürdigt, die Notbremse als Beitrag bezeichnet, es sehr lange gedauert, bis der oder die Rednerin auf dem um dem Gesundheitswesen beizustehen, und sich zuver- Bildschirm auftauchte; der Zeitgewinn durch Begrenzung sichtlich gezeigt, dass die Pandemie letztendlich mit der der Redezeit wurde dadurch konterkariert. Einige Abgeord- Impfkampagne beherrscht werden kann. Während auf Prä- nete hatten im Vorfeld gefordert, dass der Ärztetag auch senzärztetagen zahlreiche in- und ausländische Gäste be- als Online-Veranstaltung über vier Tage gehen solle. Gut, grüßt werden, oft auch weitere Grußansprachen folgen, dass es nicht so war! Am Dienstag (4. Mai) ging es über kamen in diesem Jahr lediglich der Präsident des Weltärzte- mehr als elf Stunden mit 45 Minuten Mittagspause, am bundes Dr. David Barbe und Lucas Thieme als Vertreter der nächsten Tag begann die Sitzung bereits um 8:30 Uhr, wie- Medizinstudierenden in Videobotschaften zu Wort. derum 45 Minuten Pause – und nahezu überraschend ging Obwohl mit einer Satzungsänderung auf diesem Ärztetag der Ärztetag pünktlich um 18 Uhr zu Ende. Zwei Tage vor die Voraussetzungen geschaffen wurden, dass auch in Zu- dem Bildschirm sind anstrengender als vier Tage in Präsenz. kunft Veranstaltungen der Bundesärztekammer online oder als Hybridsitzungen stattfinden können, besteht weitge- Die Abgeordneten der Ärztekammer Mecklenburg-Vorpom- hende Einigkeit, Ärztetage grundsätzlich in Präsenz abhal- mern haben gemeinsam im Radisson-Hotel in Rostock am ten zu wollen. Die fehlende Kommunikation bei Anträgen Ärztetag teilgenommen und hatten hier ausgezeichnete Ar- und Abstimmungen, der direkte Meinungsaustausch auch beitsbedingungen. Dafür sei an dieser Stelle den Mitarbei- das Austragen von Kontroversen wird durch die elektroni- tern der Geschäftsstelle herzlich gedankt, allen voran dem sche Abstimmung in bisher nie dagewesener Geschwindig- Geschäftsführer Frank Loebbert, seiner Mitarbeiterin Henri- keit und Präzision nicht aufgewogen. Es ist sogar vorstell- ette Öri und dem Leiter der IT-Abteilung Heiko Karsten. bar, dass manch Abstimmungsverhalten durch die Anonymi- tät begünstigt wird. Die Dramaturgie deutscher Ärztetage folgt einem bewähr- ten Schema: Begrüßung – Grußwort – Totenehrung – Verlei- In den Publikumsmedien hat der Ärztetag kaum eine Rolle hung der Paracelsus-Medaille – Referat des Präsidenten zum gespielt. Was sich inhaltlich auf diesem Ärztetag getan hat, TOP I – Ansprache des Bundesgesundheitsministers – Über- können Sie den folgenden Seiten entnehmen. gang zur Tagesordnung und Aussprache zum TOP I Gesund- heits-, Sozial- und ärztliche Berufspolitik. Neu in diesem Dr. Wilfried Schimanke AUSGABE 6/2021 31. JAHRGANG Seite 205
124. DEUTSCHER ÄRZTETAG Online: Ärztetag mal anders Zuletzt hat mit Helmut Kohl ein Bundeskanzler im Jahr 1991 an einem Deutschen Ärztetag teilgenommen; es war der erste gesamtdeutsche Ärztetag in Hamburg. Die beson- dere Ehre, die Dr. Angela Merkel dem 124. Deutschen Ärztetag mit ihrer Videobotschaft zuteil werden ließ, ist si- cher als Würdigung des von ihr als „aufopferungsvoll“ be- zeichneten Einsatzes der Ärzte und Pflegekräfte in der Co- ViD-19-Pandemie zu sehen. Die Zusage, auf diesem Ärztetag, der eigentlich in Rostock stattfinden sollte, zu sprechen, darf aber im letzten Jahr ihrer Kanzlerschaft auch als besondere Ehre für das Land ihrer politischen Heimat verstanden wer- den. Schade, dass wir die Kanzlerin nicht live in Rostock be- grüßen konnten. In der üblichen Totenehrung durch den Präsidenten des Angela Merkel würdigt die Leistungen aller Mitarbeiter im 124. Deutschen Ärztetages (DÄT) wurde explizit der kürzlich Gesundheitswesen mit 61 Jahren verstorbenen Vizepräsidentin der Bundesärz- tekammer (BÄK) Dr. Heidrun Gitter, Kammerpräsidentin in Bremen, und aller Kolleginnen und Kollegen gedacht, die in anderswo gewürdigt, konnte jedoch feststellen, dass unser der Auseinandersetzung mit der Viruspandemie gestorben Gesundheitssystem zu keinem Zeitpunkt überlastet war – im sind. Aus unserem Land befinden sich Prof. Dr. Otto-Andreas Gegensatz zu vielen Regionen weltweit. Trotz der bisherigen Festge (Greifswald) und Dr. Hans-Georg Körber (Ludwigslust) Erfolge habe die Pandemie auch die Defizite unseres Gesund- unter den seit dem letzten Ärztetag Verstorbenen, derer auf heitswesens aufgedeckt: Ausstattung der Gesundheitsämter, einem Web-Portal1 der BÄK besonders gedacht wird. Meldesysteme, Digitalisierung, Arbeitsdruck in den Kranken- Die Verleihung der Paracelsus-Medaille erfolgte in der häusern u.a. denkbar knappsten Form: Die Preisträger wurden auf einer Eindrucksvoll hat Reinhardt das Versagen der Politik mit sei- Folie vorgestellt, ohne dass die Abgeordneten sie zu sehen nen Ausführungen über eine Studie aus dem Jahr 2012 ange- bekommen haben. Geehrt wurden Prof. Dr. Michael von Cra- prangert, mit der eine Pandemie durch ein fiktives Virus skiz- nach, Psychiater in Kaufbeuren, Prof. Dr. Christoph Fuchs, ziert wurde. Diese Studie liest sich wie ein Drehbuch für die langjähriger Hauptgeschäftsführer der BÄK, Prof. Dr. Viola gegenwärtige Pandemie. Mit der Drucksache 17/12051 wurde Hach-Wunderle, Angiologin in Frankfurt/M. und posthum Li dem Bundestag Anfang 2013 ein Bericht zur Risikoanalyse Wenliang, Augenarzt in Wuhan (China), der frühzeitig vor im Bevölkerungsschutz zugeleitet, aus dem offensichtlich CoViD-19 gewarnt hatte und selbst daran verstorben ist. Die keinerlei Konsequenzen gezogen wurden. Reinhardt: „Wir Laudationes sind auf der Website der BÄK 2 zu finden und können und wir sollten beim nächsten Mal besser vorbereitet werden im Deutschen Ärzteblatt veröffentlicht. sein.“ Der Präsident ging sodann auf die Einzelheiten dieser Vorbereitung ein: Reserven an Medizinprodukten, Krisenstä- TOP I Gesundheits-, Sozial- und ärztliche Berufspolitik Der Präsident der BÄK Ausgehend von den bedrückenden Zahlen dieser Pandemie (> 3,4 Mio Infizierte in D, darunter mehr als 84.000 Beschäf- tigte im Gesundheitswesen; über 83.000 Todesfälle in Verbin- dung mit CoViD-19) hat auch der Präsident der BÄK und des DÄT Dr. Klaus Reinhardt den Einsatz in Intensivstationen, Praxen, Gesundheitsämtern, Forschungseinrichtungen und 1 www.124daet.baek.de/Totenehrung 2 www.baek.de/ÄRZTETAG/124.DÄT Seite 206 ÄRZTEBLATT MECKLENBURG-VORPOMMERN
be, Reform des Öffentlichen Gesundheitsdienstes (ÖGD) Konflikt zwischen kommerziellen Vorgaben und ärztlicher und fordert eine bessere Koordination zwischen Gesund- Ethik ein. Professionelle Autonomie bezeichnete er als heitsämtern, Kliniken und Praxen sowie eine bessere Vergü- Grundvoraussetzung für eine individuelle Arzt-Patienten- tung der Ärzte im ÖGD. Beziehung; sie sei damit im weitesten Sinne ein Patienten- Auch über das Thema Krankenhaus müsse neu nachgedacht recht. Kliniken und Praxen sind Einrichtungen der Daseins- werden. Die Forderungen nach kooperativen Versorgungs vorsorge; das Mantra von Markt und Wettbewerb sei kritisch konzepten und sektorenübergreifender Versorgung ist nicht zu hinterfragen. Im ambulanten Bereich müsse die Beteili- neu. Die Pandemie habe gezeigt, dass wir vielmehr ein funk- gung von Fremdinvestoren begrenzt werden; MVZ dürfen tional und nach einheitlichen Kriterien abgestuftes, subsidiär keine marktbeherrschende Stellung erlangen; Gewinnabfüh- strukturiertes Netz einander ergänzender Kliniken – also spe- rungs- und Beherrschungsverträge mit externen Kapitalge- zialisierte größere Zentren in Ballungsräumen und eine gesi- bern sollen unterbunden werden. Abschließend ging der cherte Grundversorgung in der Fläche benötigen. Dabei müs- Redner noch auf die „Kollateralschäden“ der Pandemie ein; sen Synergien genutzt werden, um den Produktivitätsdruck uns Ärzten würde es gut anstehen, den gesamten Bogen auf das Personal abzubauen; Personalabbau dürfe es im Hin- rund um das Pandemiegeschehen im Auge zu behalten. blick auf steigenden Behandlungsbedarf und fehlender Re- Spätesten an dieser Stelle hat sich ein wesentliches Defizit servekapazitäten nicht geben. Die Probleme der Kranken- des Ärztetages als Online-Veranstaltung gezeigt: Es fehlte hausfinanzierung waren den Abgeordneten leider nicht neu: der Beifall, den Klaus Reinhardt sicher auch an mancher Stel- Investitionsstau und Krankenhausfinanzierung stehen seit 20 le während der Rede erhalten hätte. Auch dem Bundesge- Jahren auf der Agenda jedes Ärztetages. sundheitsminister Jens Spahn wäre wohl Beifall sicher ge- Sodann bedankte sich der Präsident bei Gesundheitsminister wesen, als er erklärt hat, dass die Pandemie die Defizite des Jens Spahn für den Schutzschirm, mit dem die wirtschaftli- Gesundheitswesens „wie im Brennglas“ gezeigt habe. Sehr chen Folgen der Pandemie durch rückläufige Fallzahlen in wahrscheinlich hätte es aber auch Unmutsäußerungen gege- den Praxen gemindert worden sind. Auch an den Minister ben – zumindest, als er die Corona-WarnApp als Erfolgsge- gewandt bezeichnete es Reinhardt als Skandal, dass der freie schichte dargestellt hat. Beruf Arzt nach 30 Jahren immer noch keine reformierte Ge- bührenordnung habe. Dabei gab er eine Sachstandsbericht Der Bundesgesundheitsminister zum Thema GOÄ, aus dem hervorging, dass die konsentierte Nachdem Spahn die Erfolge in der Bekämpfung der Pande- Gebührenordnung noch in dieser Legislatur hätte verabschie- mie auf die Säulen Kontaktbeschränkungen, Hygienemaß- det werden können – hätte! nahmen, Schnelltests und letztlich die Impfkampagne zu- Die Pandemie habe auch Defizite des Informationsflusses in rückgeführt hat, würdigte er das Engagement der Mitarbei- den medizinischen Versorgungsprozessen aufgezeigt. Mit ter des Gesundheitswesens. Die flächendeckende Versor- den vorgesehenen Schritten der Digitalisierung (Notfallda- gung, Wissenschaft, Forschung und Industrie am Standort tensatz, e-Medikations- plan) werde endlich ein konkreter Nutzen der Te- lematik erfahrbar. Gleich- zeitig warnte Reinhardt vor mangelnder Gründ- lichkeit, Praxistauglich- keit und zu engen Fristen bei der Einführung neuer Anwendungen. Die vor- gesehenen Sanktionen müssten angesichts ver- späteter Verfügbarkeit von ePA-Konnektoren und Bearbeitungsstau beim eHBA vollständig gestrichen werden. Im weiteren Verlauf sei- ner Rede ging der Präsi- dent der BÄK auf den AUSGABE 6/2021 31. JAHRGANG Seite 207
124. DEUTSCHER ÄRZTETAG Optimale Arbeitsbedingungen für die Abgeordneten aus MV Ärztetagspräsident Dr. Klaus Reinhardt Deutschland bezeichnete er als Stärken unseres Gesundheits- ten, müsse die Krankenhausstruktur überdacht werden; nicht systems. Dabei räumte er ein, dass der ÖGD bisher ein Ni- jeder müsse alles machen. schendasein geführt habe; übereinstimmend mit dem Präsi- denten erkannte er hier die Notwendigkeit der personellen Moderierter Dialog und finanziellen Stärkung. SORMAS – das digitale System zur Auf vergangenen Ärztetagen wurde der indirekt durch Re- Vernetzung der Gesundheitsämter – solle den Durchbruch in den nacheinander geführte Dialog oft als Schlagabtausch der Effektivität des ÖGD bringen. zwischen Minister und BÄK-Präsident bezeichnet. Neu auf Zur Impfkampagne würdigte Spahn die Leistungen der diesem Ärztetag und von den Abgeordneten (soweit in einer Impfzentren; gleichzeitig verteidigte er die späte Einbe Online-Sitzung beurteilbar) positiv aufgenommen wurde das ziehung der Arztpraxen. Dies sei früher wegen fehlenden Gespräch, das der Bundesgesundheitsminister im Anschluss Impfstoffes nicht sinnvoll gewesen. Er äußerte sich für die an seine Rede mit dem Präsidenten des Ärztetages live ge- kommenden Wochen sehr optimistisch, weil mehr und mehr führt hat. Unter der Moderation von Jürgen Zurheide Impfstoff zur Verfügung stehe und auch Privat- und Betrieb (Deutschlandfunk) glich dieser Dialog eher einem tänzeri- särzte in die Kampagne einbezogen werden. schen Gefecht mit Florett als einem Schlagabtausch mit Die Digitalisierung solle viele Dinge leichter machen, je- schweren Waffen. Wo in den Reden bereits Konsens zu er- doch brauche man nach wie vor die Behandlung im Wortsin- kennen war, wurde dieser bekräftigt. Der Dissens z.B. zum ne (dabei hat er den Wortteil Hand betont). Das DVPMG Thema Digitalisierung – Tempo – Sanktionen und zur GOÄ solle am Donnerstag verabschiedet werden; damit werden wurde eher verdeutlicht. viele digitalen Anwendungen wie die Videosprechstunde, die durch die Pandemie getriggert worden seien, noch aus- Debatte und Beschlüsse geweitet. Nach 16 Jahren sei die elektronische Patientenakte Der Vorstand der BÄK hatte zum TOP I einen Leitantrag zu (ePA) endlich gestartet; in diesem Zusammenhang kritisierte den Lehren der CoViD-19-Pandemie vorgelegt. Nach brei- Spahn die unzureichende Einbindung in die Praxis-Informa- ter Diskussion und mit nur zwei Ergänzungen zur Kranken- tionssysteme. Insgesamt zeigte sich Spahn bei diesem Thema hausfinanzierung und zu Belegärzten wurde dieser Antrag geradezu euphorisch und versprach eine schnelle Auswei- beschlossen. Unter dem Titel „Für ein zukunfts- und krisen- tung des Nutzens der Telematik. festes Gesundheitswesen“ werden auf 9 Seiten programma- Alle Systeme, die der Gesundheitsminister für Webkonferen- tische Forderungen zum ÖGD, zur Krankenhausplanung und zen benutzt, kommen nicht aus Europa. Die Pandemie habe -finanzierung, zur Krisenbewältigung in Arztpraxen, zur ihm gezeigt, dass Deutschland unabhängiger von China und ärztlichen Nachwuchsförderung, zur interprofessionellen Zu- anderen Teilen der Welt werden müsse. Das Gesundheitswe- sammenarbeit, zur Ökonomie und Ethik, zur Digitalisierung, sen ist ein sensibler Bereich; bestimmte Wirkstoffe und Pro- zur Krankenversicherung, zu den Sektorengrenzen und zum dukte müssten in Deutschland hergestellt werden. Auch das Pandemiemanagement erhoben3. Problem der Fachkräfte hat der Minister angesprochen und dabei auf die vielfältigen Reformen der letzten Jahre hinge- Der Beschluss wie alle weiteren Beschlüsse ist im Beschlussprotokoll auf der 3 wiesen. Auch wenn wir die Pandemie bisher gemeistert hät- Website der BÄK www.baek.de unter dem Button Ärztetage zu finden. Seite 208 ÄRZTEBLATT MECKLENBURG-VORPOMMERN
Gesundheitsminister Jens Spahn Moderierter Dialog: Florett statt Säbel Im Rahmen des TOP I wurden auch viele Themen diskutiert, stimmt. Es gibt zwar bestimmte Schnittmengen zwischen die sonst unter den TOP Tätigkeitsbericht gefallen wären. 14 beiden Anträgen; die Stellungnahme zum Gesetz ist in unse- Anträge waren dem Thema Pandemie zuzuordnen. Insge- rem Antrag jedoch wesentlich kritischer. Nach erneuter Dis- samt wurden 62 Anträge bearbeitet. Thematisiert wurden kussion in zweiter Lesung und Änderung des Titels in „DV- u.a. auch die ärztliche Ausbildung, der ÖGD, die Versorgung PMG gestalten“ wurde auch unser Antrag mit breiter Mehr- mit Arzneimitteln und die Klimakrise. Im Komplex eHealth heit beschlossen. haben sich Mitglieder des Telematik-Ausschusses an dem Ti- Dem Zeitgeist geschuldet verwundert es kaum, dass auch das tel „DVPMG stoppen“ des von unseren Abgeordneten einge- „Gendern“ thematisiert wurde. Ein mit großer Mehrheit ge- brachten Antrages gestört; zudem befand die Regie des DÄT, fasster Beschluss fordert allgemein mehr Gendersensibilität dass der zuvor beschlossene Antrag I-45 der weitergehende und ist auf die wissenschaftlichen und medizinischen Aspekte sei und damit unser Antrag entfallen würde. (Ein überra- einer Gendermedizin gerichtet. Beschlossen wurde auch eine schendes Novum, denn redundante Beschlüsse auf Ärzteta- gendergerechte Repräsentation in den Gremien der ärztlichen gen sind nicht selten). Dem I-45, der die digitalen Anwen- Selbstverwaltung, allerdings verbunden mit einem Appell an dungen unterstützt, wenn sie für Ärzte und Patienten einen die Ärztinnen sich mehr zu engagieren. Der Antrag „Sprache Nutzen bringen, haben auch unsere Abgeordneten zuge- schafft Wahrnehmung“, mit dem die Verwendung gendersen- sibler Sprache durch die BÄK gefordert wird, war in erster Lesung deutlich abgelehnt wor- den. Dr. Schimanke hatte ge- fragt, ob wir demnächst zwi- schen Menschen und Menschin- nen unterscheiden müssen. In 2. Lesung konnten die Antrag- steller doch noch eine Überwei- sung an den Vorstand errei- chen. Die Ärztezeitung titelte dazu: „Heißt es künftig Deut- scher Ärzt*innentag?“ Wie gro- tesk diese Sternchen-Gramma- tik ist, hat die Ärztezeitung un- gewollt gezeigt, als sie im Be- richt über den neu eingeführ- ten Facharzt für Infektiologie von „Fach*ärztinnen“ spricht. Zwar vor Ort, dennoch Video-Ärztetag: der Vorstand der BÄK (Wer oder was ist ein „Ärzt“?) AUSGABE 6/2021 31. JAHRGANG Seite 209
124. DEUTSCHER ÄRZTETAG Dr. Schimanke: Wäre die 3. Welle vermieden worden, Dialog statt trockener Referate wenn die Studie von 2012 bereits auf dem DÄT 2020 the- matisiert worden wäre (und die Politik gehandelt hätte)? TOP III Ärztliche Weiterbildung eine WB bei einem Befugten ersetzt werden. Wegen der Fi- nanzrelevanz wurde die ganz überwiegend befürwortete For- Tagesordnungspunkte werden üblicherweise mit mehr oder derung nach Evaluation der Weiterbildung an den Vorstand weniger trockenen Referaten zum Thema eingeleitet. Die- überwiesen. Gleichzeitig werden die Landesärztekammern ser unter Online-Bedingungen verstärkt erwarteten Be- (LÄK) und die BÄK aufgefordert, sich über einheitliche Pro- fürchtung sind die Vorsitzenden der Weiterbildungsgremi- gramme zur Qualitätssicherung der WB zu verständigen. en der BÄK Dr. Johannes A. Gehle (WL) und Prof. Dr. Zum eLogbuch konnten Gehle und Herrmann berichten, dass Hendrik Herrmann (SH) mit einem Video-Dialog vor der es von zehn Ärztekammern bereits eingeführt ist (darunter Projektionsleinwand erfolgreich begegnet. Nachdem zu- auch in MV). In den Ständigen Konferenzen (StäKo) Weiterbil- nächst die Umsetzung der M-WBO 2018 beleuchtet wurde dung, Geschäftsführungen der LÄK und der AG IT wird die – in 13 von 17 Ärztekammern ist die WBO inzwischen Lan- Entwicklung jeweils thematisiert und mit einem Erfahrungs- desrecht – wurde berichtet, dass die Überarbeitung der austausch zwischen den LÄK und der BÄK begleitet. Auf der Muster-Kursbücher inzwischen abgeschlossen ist; insgesamt Agenda stehen u. a. Plausibilitätsprüfungen, eine Verbesse- liegen 23 Kursbücher vor. rung der Nutzerfreundlichkeit und die Einbindung von Apps. Fachlich empfohlene Weiterbildungspläne (FEWP) sind ein neues Element der Weiterbildung, die auch in MV mit der TOP IV Konsequenzen des Urteils des BVerfG WBO 2020 eingeführt wurden. Diese werden sukzessive von zum § 217 STGB der BÄK erarbeitet; bisher stehen etwa 20 FEWP zur Verfü- gung. Zur Anpassung der WB-Befugnisse an die neue WBO Mit dieser etwas sperrigen Formulierung stand die Ärztliche werden Befugniskriterien als optionale Orientierungshilfe Sterbebegleitung und das Problem Beihilfe zum Suizid auf für die Kammern erarbeitet. Die Anpassung der M-WBO soll der Tagesordnung. In das Thema eingeführt haben der Prä- künftig einmal im Jahr erfolgen. Bis dahin eingehende An- sident des DÄT Klaus Reinhardt und der Vorsitzende des Be- träge werden in einem Themenspeicher gesammelt. rufsordnungsausschusses SR Dr. Josef Mischo (Saarland). Die Referenten erläuterten die dem Ärztetag vorliegenden Wie Klaus Reinhardt lehnt auch eine überwältigende Mehr- Anträge u.a. den zur Einführung eines neuen Facharztes für heit Suizidassistenz als ärztliche Aufgabe ab. Die Ärzteschaft Innere Medizin und Infektiologie, der nachfolgend durch- müsse sich in das Gesetzgebungsverfahren zur Suizidbeihilfe aus kontrovers diskutiert, jedoch mit Mehrheit beschlossen einbringen. Er könne sich vorstellen, dass es Einzelfälle gibt, wurde. in denen ein Arzt leidenden Patienten helfen will und kann. Weiterhin beschlossen wurde, dass in den Zusatz-WB Aku- Mit der beantragten Streichung des Satzes 3 aus § 16 M-BO, punktur, Flugmedizin, Ernährungsmedizin, Medizinische Infor- der bisher auch in M-V die Hilfe zur Selbsttötung verbietet, matik, Naturheilverfahren, Palliativmedizin, Sexualmedizin solle klargestellt werden, dass die Ärzteschaft die Gewissens- und Sportmedizin die alleinige Kursweiterbildung nicht mehr entscheidung des Einzelnen akzeptiert. „Wir wollen sie nicht ausreicht; hier ist der Erwerb von WB-Inhalten unter Befugnis mehr als Berufspflichtverletzung ahnden“, so Mischo. nachzuweisen. Demgegenüber ist in der Manuellen Medizin In der umfassenden Debatte wurde vor „holländischen Ver- die Kursweiterbildung essentiell und kann nicht mehr durch hältnissen“ gewarnt; gemeint ist die Tötung gesunder, aber Seite 210 ÄRZTEBLATT MECKLENBURG-VORPOMMERN
Dr. Placke: Es gibt gute Gründe, dass DVPMG in dieser Form nicht Bewerben sich um einen Sitz im Vorstand: Dr. Maitra (ob.), zu verabschieden. Dr. Botzlar und Dr. Regine Held Fotos/Screenshots: Dr. Schimanke, K. Sass lebensüberdrüssiger Menschen auf deren Verlangen. Der Satzung § 4 Absatz 1 explizit, dass der DÄT grundsätzlich in DÄT hat festgestellt, dass vertrauensvolles und wertschätzen- Präsenz durchgeführt wird. Der Vorstand kann aber bei „Vor- des Gespräch mit Menschen über deren Wunsch zu sterben liegen besonderer Umstände“ die Teilnahme auch online er- zum Kern ärztlicher Tätigkeit gehört. Eine ärztliche Beschei- möglichen. Nicht nur von Reinhardt, auch von anderen Ab- nigung als Voraussetzung für die Erfüllung des Sterbewun- geordneten wurde der Grundsatz der Präsenz bekräftigt – sches lehnt der Ärztetag ab. In diesem Zusammenhang wur- und im Erlebnis dieses Ärztetages kann dies nur begrüßt de von mehreren Rednern darauf verwiesen, dass der Sterbe- werden. wunsch auch Ausdruck einer psychischen Störung, einer Stim- mung oder momentaner Umstände sein könne und sich TOP V Nachwahl eines sonstigen Arztes / kurzfristig ändern kann. Der Ärztetag hat ebenso festge- einer Ärztin in den Vorstand der BÄK stellt, dass der Tod nie Ziel einer ärztlichen Heilbehandlung war und ist; vielmehr muss präventiv beraten und gehandelt Durch die Wahl von Dr. Peter Bobbert zum Präsidenten der werden. Überraschenderweise gab es auch bei dem Be- Ärztekammer Berlin ist dessen Sitz als „Sonstiger“ im Vor- schluss, der den Ausbau der Suizidprävention in Deutschland stand frei geworden. Um diesen Sitz bewerben sich Dr. Regi- fordert, einzelne Gegenstimmen und Enthaltungen. ne Held (Berlin), Dr. Andreas Botzlar (Bayern) und Dr. Robin Mit überwältigender Mehrheit, aber auch nicht einstimmig, Maitra (Baden-Württemberg), die sich jeweils mit einem Vi- wurden schließlich die Anträge beschlossen, die feststellen, deo vorgestellt haben. Die eigentliche Wahl erfolgt in Form dass Beihilfe zum Suizid keine ärztliche Aufgabe ist, dass vor einer Briefwahl. einer gesetzlichen Regelung ein breiter gesellschaftlicher Der Präsident der ÄK Nordrhein Rudolf Henke hat die Einla- Konsens erzielt werden muss und die Eckpunkte für eine ge- dung zum Ärztetag 2023 nach Essen moderiert, die von setzliche Regelung formuliert haben. Auch der Änderung der dort tätigen Kolleginnen und Kollegen in einer Videobot- Berufsordnung wie von Mischo vorgetragen haben die Ab- schaft ausgesprochen wurde. geordneten zugestimmt. Noch steht nicht fest, ob der Ärztetag 2022 der 125. sein wird – im Herbst soll u.a. das Thema „Klimaschutz ist Ge- TOP II Änderung der Satzung der BÄK sundheitsschutz“ auf einem Präsenzärztetag behandelt wer- den. Die Einladung nach Bremen für 2022, die normalerweise Um diesen Ärztetag online überhaupt zu ermöglichen, hat- bereits 2020 in Mainz erfolgt wäre, hat der Vizepräsident der ten die Abgeordneten im Umlaufverfahren eine Änderung ÄK Bremen Dr. Johannes Grundmann ausgesprochen. der Geschäftsordnung beschlossen, die am 16.04.2021 im Dt. Abschließend hat Dr. Klaus Reinhardt vielen Mitarbeitern der Ärzteblatt veröffentlicht wurde und nur für diesen Ärztetag BÄK und beteiligter Firmen, insbesondere aber der Ärztli- galt. Mit der nunmehr vom Leiter des Dezernat Recht der chen Geschäftsführerin Dr. Katrin Bräutigam, für die wirklich BÄK Prof. Dr. Karsten Scholz vorgestellten Änderung der Sat- bewundernswerte Organisation gedankt. In Präsenz wäre zung werden die Voraussetzungen geschaffen, dass auch anhaltender und verdienter Beifall sicher gewesen. zukünftig die Teilnahme an Gremiensitzungen der BÄK on- line möglich ist. Für den Ärztetag heißt es in der geänderten Dr. Wilfried Schimanke AUSGABE 6/2021 31. JAHRGANG Seite 211
KBV-VERTRETERVERSAMMLUNG KBV 2025: Strukturen bedarfsgerecht anpassen Allmählich entwickelt sich eine gewisse Routine: Für die Kas- te und ihrer Mitarbeiterinnen, die in den Wahlprogrammen senärztliche Bundesvereinigung (KBV) war es bereits die drit- praktisch nicht vorkommen. te Vertreterversammlung (VV), die am 3. Mai im Vorfeld des Die gemeinsame Selbstverwaltung leide unter Auflösungser- Ärztetages online stattfand. Bis auf kleinere technische scheinungen; der GKV-Spitzenverband entziehe sich jedem Schwierigkeiten und Probleme einzelner Vertreter bei der Dialog. „Umso wichtiger scheint es, dass wir als KBV und Abstimmung, die die Vorsitzende der VV Dr. Petra Reis- KVen unsere Ideen und Vorschläge für ein zukunftsfestes Ge- Berkowicz souverän gemeistert hat, lief alles wie am sundheitswesen in die Politik einbringen.“ Die KBV hat daher Schnürchen. ein Positionspapier vorgelegt, mit dem bedarfsgerechte Selbstverständlich stand ein Thema im Mittelpunkt: Co- Strukturen in der medizinischen Versorgung, die digitale ViD-19 und das Impfen. In seinem Bericht hat sich der KBV- Weiterentwicklung des KV-Systems und die Zukunftsfähig- Vorsitzende Dr. Andreas Gassen zuversichtlich gezeigt, keit des Sicherstellungsauftrages gewährleistet werden soll. dass die VV bald wieder in Präsenz zusammentreten werde. Abschließend hat Andreas Gassen die gesellschaftlichen Ver- „Die Corona-Schutzimpfungen finden endlich auch in den änderungen gegeißelt, die im Gefolge der Pandemie stattge- Praxen statt. … Das ist tatsächlich wahrscheinlich der ent- funden haben und noch stattfinden: Vergiftung der Gesell- scheidende Meilenstein im Kampf gegen die Pandemie.“ Gas- schaft, Hass und Pöbelei, Konfrontation statt Diskussion. sen setzte sich deutlich mit den widersprüchlichen politi- „Ärzte und Psychotherapeuten werden in der nächsten Zeit schen Entscheidungen in der Bekämpfung der Pandemie viel damit zu tun haben, auch die seelischen Folgen von auseinander. „Zu offensichtlich ist der Versuch, das Narrativ Corona zu behandeln, damit unsere Gesellschaft heilen des Lockdowns als einziges wirkungsvolles Mittel um jeden kann.“ Preis zu retten, um nicht die unangenehme Frage beantwor- Der stellvertretende Vorstandsvorsitzende der KBV Dr. Ste- ten zu müssen, warum Deutschland bisher so schleppend ge- phan Hofmeister unterstrich die Leistungen der niederge- impft hat.“ Die 7-Tage-Inzidenzen bezeichnet er als „Glücks- lassenen Ärzte mit Zahlen und warnte gleichzeitig vor politi- rad“, vermisst eine „echte Strategie zur Pandemiebekämp- schen Kapriolen wie Herausschieben der Zweitimpfung, fung“ und hinterfragt, welche Impfquote denn genug sei für Wechsel des Impfstoffes oder Stocken der Impfkampagne eine endgültige Normalisierung. Sodann fordert Gassen eine durch fehlende Impfstoffe. Die Impfkampagne dürfe keine gerechtere Verteilung der Impfstoffe und eine Aufhebung Achterbahnfahrt sein. der Priorisierung. Kritische Worte fand der KBV-Vorsitzende Es hat zunächst verwundert, dass in beiden Reden das Thema für die mangelnde Wertschätzung der niedergelassenen Ärz- Digitalisierung nur am Rande behandelt wurde. Die Digitali- sierung war jedoch der wesentli- che Inhalt der Rede von Vor- standsmitglied Dr. Thomas Krie- del. Er forderte eine Analyse, „welche Versorgungsprobleme und Defizite am drängendsten sind, welche davon Verbesse- rungspotenzial durch Digitalisie- rung aufweisen und dann schau- en, welche technischen Lösungen wir dafür benötigen – und nicht umgekehrt“. Kriedel warnte aber auch vor Risiken der Digitalisie- rung: Millionen Menschen könn- ten den Anschluss an die Gesund- heitsversorgung verlieren. Die Vorstellungen der KBV zur Ent- wicklung der Medizin in einer di- Der Vorstand der KBV im Online-Portal (v.l.): Dr. Kriedel, Dr. Hofmeister, Dr. Gassen, gitalen Gesellschaft werden in Dr. Petra Reis-Berkowicz dem Positionspapier „KBV 2025: Seite 212 ÄRZTEBLATT MECKLENBURG-VORPOMMERN
KBV-VERTRETERVERSAMMLUNG Dr. Gassen erstattet Bericht Pressekonferenz im Anschluss an die VV Fotos/Screenshots: Dr. Schimanke Strukturen bedarfsgerecht anpassen - Digitalisierung peutische Ressourcen der Patientenversorgung belasten. Sie sinnvoll nutzen“ dargelegt und wurden von der Vertreter- beauftragt den Vorstand, sich bei der Politik für sachgerech- versammlung einstimmig beschlossen. te Entscheidungen einzusetzen und nimmt dabei ausdrück- Die Diskussion über das Impfen war durchaus widersprüch- lich Bezug auf die bevorstehenden Koalitionsverhandlungen. lich: Einerseits wurde zu Recht als Erfolg gefeiert, dass die Auch der Deutsche Ärztetag stand auf der Tagesordnung der Impfkampagne erst mit Einbeziehung der Praxen an Fahrt Vertreterversammlung. Es wurde die Forderung des SpiFa aufgenommen habe, andererseits wurde wiederholt festge- bekräftigt, endlich eine neue GOÄ vorzulegen; darüber hin- stellt, dass damit eine erhebliche Belastung des Praxisperso- aus gab es keine Wortmeldung, so dass dieser TOP in weni- nals verbunden ist. Die Vertreterversammlung fordert die ger als fünf Minuten abgehandelt war. extrabudgetäre Vergütung von zusätzlichen Impftagen (bspw. am Wochenende) und einen Bonus für die MFA als Zum Schluss konnte Petra Reis-Berkowicz eine positive Bilanz staatliche Anerkennung für deren außergewöhnliche Leis- ziehen: Die Versammlung habe große Gemeinsamkeiten, tungen. große Kraft, große Einigkeit gezeigt. Mit „Genug gelobt“ In einer Entschließung hat sich die VV entschieden gegen ging die Versammlung nach knapp 2,5 Stunden zu ende. Qualitätssicherungsmaßnahmen ausgesprochen, die mit ho- hem bürokratischem Aufwand ärztliche und psychothera- Dr. Wilfried Schimanke ANZEIGEN AUSGABE 6/2021 31. JAHRGANG Seite 213
LESERBRIEFE Gegenwind Leserbrief zur Glosse „Der Doktor, die Dokterschen und die kalte Barbara“, Ausgabe 5/2021, Seite 193 Eigentlich hatte ich nach der Lektüre erwartet, eine Bemer- „Work-Life-Balance“ subsumieren lässt). Zudem wurde von kung zum Erstabdruck aus dem ÄB 5/1951 (*) zu lesen. Umso den drei „Dokterschen“ eine offensichtlich qualifizierte Mit- erstaunter war ich, dass im Jahr 2020/21 in der Corona-Krise arbeiterin eingestellt, die es tatsächlich fertiggebracht hat, noch immer ein eigentlich bereits berenteter „Doktor“ mit das Patientenklientel in „krank und behandlungsbedürftig“ hochgekrempelten Ärmeln und dank völlig unkomplizierter und „einfach nicht krank“ vorzusortieren bzw. dessen Selbst- Reaktivierung seiner Kassenzulassung (Öffnen der Schublade heilungskräfte zu aktivieren, in meinen Augen ein durchaus und Entnahme eines Stempels) einfach locker die Arbeit von positives Beispiel einer Triage, zudem ausreichend/wirtschaft- gleich drei „Dokterschen“, respektive Ärztinnen erledigen lich/zweckmäßig. Da es mit der Belastung durch Miasmen oder kann. Haben sich diese Drei geradezu erdreistet, das Dogma – ganz en vogue – Aerosolen im Jahr 1951 aber noch nicht so der ständigen Verfügbarkeit (auch der der unbenannten schlimm war, ist die Behandlung im heimischen Pensionärs- Ehefrau) nicht nur wegen des besseren Kontaktes zur eige- wohnzimmer auch akzeptabel, allemal gemütlicher als unter nen Familie in Frage zu stellen, sondern auch noch so neumo- den entbehrlichen Hygieneregeln. Die sollten sich mal lieber dische Dinge wie Fitness des vormittags zu betreiben (was ausschließlich um Ihre Kinder kümmern, diese Rabenmütter- sich insgesamt unter den noch neumodischeren Begriff dokterschen, jedenfalls bis der richtige Doktor umfällt und kei- neR mehr zum Führen der Landpraxis da ist wie vielerorts. Anm. d. Red.: Den Bezug auf 1951 haben wir nicht verstanden – ansonsten * kann man eine Glosse auch so interpretieren! Barbara Lebert, Neuenkirchen Verkrustete Weltsicht alter Männer Leserbrief zur gleichen Glosse Die von Martin Tannenberg verfasste Glosse „Der Doktor, die In Mecklenburg hingegen meint die Ärztekammer, die knapp Dokterschen und die kalte Barbara“ in Ausgabe 5/2021 ist in 47% tätigen Ärztinnen als unmotivierte Selbstverwirklicher Zeiten der Landflucht und des Ärztemangels ein Schlag ins darstellen zu müssen? Gesicht für moderne Ärztinnen, die Familie und Arbeit mit Ich bin entrüstet und beschämt, dass meine Kammer sich im Teilzeitstellen verknüpfen möchten. Jahr 2021 hergibt, solch eine rückwärtsgewandte Meinungs- Eine ironisch-distanzierte Haltung zu den geschilderten mache kommentarlos zu veröffentlichen. Umständen als Merkmal der Glosse sucht man hier leider vergebens. Dr. Christian Siebel, Schwerin Offensichtlich leidet der Autor vielmehr an Verkennung der ländlichen Realitäten. Statt von den Mitbürgern für die gesi- cherte Versorgung durch gleich drei(!) Ärztinnen eine Anpas- sung an die geänderten Sprechzeiten zu verlangen, wird in Eine Glosse ist eine Glosse, auch wenn der Leser die Iro- dumpfem Reaktionismus der Lebensentwurf von studierten nie darin nicht erkennt. Selbstverständlich gibt eine Müttern verächtlich gemacht. Glosse niemals die Meinung der Kammer wieder. Auch Und natürlich muss eine MFA, die das mitmacht, auch voll- für das Ärzteblatt gilt: Namentlich gekennzeichnete kommen kühl und menschenfeindlich sein. Beiträge geben stets die Meinung des Autors wieder. Es Unter anderem ist es doch gerade die altbackene Forderung bleibt der Redaktion unverständlich, wie man darin nach Selbstaufgabe und unbegrenzter Erreichbarkeit, die eine „Meinungsmache“ erkennen kann. Wir freuen uns den Beruf so unattraktiv macht, dass tausende Ärztinnen ab- über jeden Leserbrief; damit haben wir das Ziel der Ver- wandern. öffentlichung erreicht. In den skandinavischen Ländern ist es völlig selbstverständ- W.S. lich, ein Leben neben dem Arztberuf zu haben. Seite 214 ÄRZTEBLATT MECKLENBURG-VORPOMMERN
WISSENSCHAFT UND FORSCHUNG Neurologische Manifestationen der COVID 19-Erkrankung Matthias Wittstock, Annette Grossmann*, Jan Klinke, Martin Gloger**, Uwe Walter, Johann Christian Virchow**, Marc-André Weber*, Alexander Storch Abstract Einleitung Neurologische Symptome und Erkrankungen in Assoziation Im Dezember 2019 wurde in Wuhan, China, erstmals eine Se- mit einer COVID-19-Erkrankung sind häufig. Ursachen neuro- rie von neuartigen viralen Pneumonien mit zum Teil sehr logischer Manifestationen sind möglicherweise die Aktivie- schweren Verläufen registriert, welche durch einen neuarti- rung von ACE2-Rezeptoren sowie ein Zytokinsturm. Häufig ges Corona-Virus (SARS-CoV-2) verursacht wurden: coronavi- kommt es zu Geruchs-und Geschmackssinnstörungen. Kopf- rus disease 2019 (COVID-19) [1, 2]. Bis heute sind in Deutsch- schmerzen und quantitative Bewusstseinsstörungen bis hin land mehr als 2,9 Millionen Menschen infiziert, und mehr als zum Koma wurden beschrieben. Neuromuskuläre Probleme 77103 Menschen sind im Zusammenhang mit COVID-19 ge- können auftreten. Weiterhin kommt es zu einer erhöhten storben. Die klinisch im Vordergrund stehenden Leitsympto- Rate von Schlaganfällen, deren Ursache in der mit COVID in- me der Erkrankung stellen Dyspnoe, Husten, Fatigue, Durch- duzierten Koagulopathie liegt. Die neuroradiologische Eva- fall und Fieber dar. In schwerwiegenden Fällen führt die Er- luation ist ein wichtiger Baustein in der Diagnostik. Der Ver- krankung zu einer Intensivbehandlungs- und Beatmungsnot- lauf kann akut oder chronisch sein und bedarf einer individu- wendigkeit, welche mit einer hohen Mortalität verbunden ellen und adäquaten Therapie. Besonderes Augenmerk muss ist. Zur Sicherung der Diagnose führen charakteristische auf kritisch kranken COVID19-Patienten liegen, da eine neu- Lungenveränderungen in der radiologischen Bildgebung wie rologische Mitbeteiligung hier im Rahmen der intensivmedi- hauptsächlich die Peripherie und die basalen Lungenab- zinischen Behandlung leicht übersehen werden kann, ob- schnitte betreffende Konsolidierungen, Milchglastrübungen wohl gegebenenfalls Behandlungsmöglichkeiten bestehen. und knotige Verschattungen (LIT) sowie Laboruntersuchun- Eine prolongierte Rekonvaleszenz ist häufig. Bezüglich mög- gen mittels PCR. licher Langzeitschäden liegen noch keine abschließenden Daten vor. Mehr als 35% der COVID-19-Patienten entwickeln neurologi- sche Symptome. Einige COVID-19-Patienten können neurolo- Klinik und Poliklinik für Neurologie * Institut für Diagnostische und Interventionelle Radiologie, gische Symptome als Erstmanifestation der Erkrankung auf- Kinder- und Neuroradiologie weisen [3]. Die Prävalenz neurologischer Zeichen und Symp- ** Abteilung für Pneumologie und Intensivmedizin Universitätsmedizin Rostock tome ist bei Patienten mit schwerer COVID-19-Infektion hö- ANZEIGEN AUSGABE 6/2021 31. JAHRGANG Seite 215
WISSENSCHAFT UND FORSCHUNG – ein sogenanntes olfactory bulb sign – nachgewiesen werden [8, 9]. Bei der Mehrzahl der Patienten sind die Geruchs- und Geschmackssinnstörungen innerhalb einer Woche rückläufig, können jedoch bei ca. 17 % der Patienten über 4 Wochen per- sistieren [10] und in Einzelfällen dauerhaft anhalten. Kopfschmerzen Kopfschmerzen und Benommenheit sind die beiden häufigs- ten Symptome einer COVID-19-Erkrankung [6] Die Kopf- schmerzcharakteristik wird ähnlich einem Spannungskopf- schmerz beschrieben und ist von leichter bis mittelgradiger Intensität. Die Mechanismen der Kopfschmerzsymptomatik sind nicht abschließend geklärt. Als mögliche Mechanismen werden zum einen eine direkte Invasion von SARS-CoV-2 in die trigeminalen Nervenendigungen im Nasenraum oder eine perivaskuläre Affektion über ACE2-Rezeptoren der pe- rineuralen Gefäße sowie zirkulierende pro-inflammatorische Zytokine und eine Hypoxie diskutiert [11]. Enzephalopathie Abbildung 1: Schematische Darstellung möglicher neurologischer Manifestationen im Rahmen einer COVID-19-Erkrankung (PRES = Unter dem eher unspezifischen Begriff Enzephalopathie ver- Posteriores reversibles Vasokonstriktionssyndrom, ADEM = Akute steht man diffuse Hirnfunktionsstörungen, welche durch demyelinisierende Enzephalomyelitis). quantitative und qualitative Bewusstseinsstörungen bis hin zum Delir gekennzeichnet sind. Enzephalopathien entwickeln her, die auf eine zerebrale Hypoxie aufgrund eines Atemver- sich in der Regel über Stunden bis Tage. Bei der COVID-19-Er- sagens zurückzuführen sein kann [4]. COVID-19 ist mit einer Vielzahl neurologischer Erkrankungen assoziiert. Neben eher unspezifischen Symptomen wie Kopfschmerzen, kann es zur Tabelle 1: Häufigkeiten neurologischer Komplikationen im Rahmen Entwicklung von Riech- und Geschmacksstörungen und zu En- einer COVID-19-Erkrankung. zephalopathien unterschiedlicher Ausprägung kommen. Fälle mit einer posterioren reversiblen Enzephalopathie sind beob- Krankheitsbild/ Häufigkeit (%) achtet worden. Weiterhin können eine akute disseminierte Syndrom/Symptom Enzephalomyelitis, eine Meningoenzephalitis, ischämische und Anosmie 86 [33] hämorrhagische Schlaganfälle sowie epileptische Anfälle auf- Dysgeusie 82 [33] treten. Im Bereich des peripheren Nervensystems sind bei- Kopfschmerz 6-10 [11] spielsweise Fälle eines Guillain-Barré-Syndrom (GBS) beschrie- ben (Abbildung 1). Häufigkeiten neurologischer Komplikatio- Fatigue [31] nen im Rahmen einer COVID-Erkrankung zeigt Tabelle 1. Enzephalitis 6 [25] Vaskulitis < 1 [21, 23, 34] Geruchs- und Geschmackssinn ADEM Kasuistisch, z. B. [35] Der Verlust des Geruchssinns ist wohl eines der prominentes- Ischämischer Schlaganfall 4,6-46 [1, 36] ten (und charakteristischsten) neurologischen Symptome im Intrazerebrale Blutung 0,25-7,9 [37, 38] Rahmen einer SARS-CoV-2-Infektion [5, 6]. Bis zu 85 % der Sinusvenenthrombosen Kasuistisch, Fallserien, z. B. [20] Patienten klagen über eine Geruchssinnstörung geringen bis mittelgradigen Ausmaßes [7]. Meist tritt die Geruchssinnstö- Enzephalopathien 7,0-13 rung in Kombination mit meiner Beeinträchtigung des Ge- PRES Kasuistisch, z. B. [14] schmackssinns einher. Dabei geht die Riechstörung in mehr als Guillain-Barré-Syndrom Kasuistisch, N > 15, z. B. [27] 10 % der Patienten weiteren Symptomen voraus [8]. Im krani- Hyper-CKämie 11 [6] alen MRT können Signalveränderungen im Bulbus olfactorius Seite 216 ÄRZTEBLATT MECKLENBURG-VORPOMMERN
WISSENSCHAFT UND FORSCHUNG Abbildung 2: 39-jährige Patientin mit schwerer COVID-19-Pneumo- Abbildung 3: 74-jähriger Patient mit COVID-19-Pneumonie und nie, ARDS und assoziiertem PRES. Klinisch-neurologisch zeigte die lakunärem Hirninfarkt im Stromgebiet der A. cerebri media links Patientin ein enzephalopathisches Bild und einen non-konvulsiven (kraniale MRT, A ausgeprägte ältere mikroangiopathische Markla- Status epilepticus (kraniale MRT, A Tag 26. B Tag 33). gerveränderungen in der FLAIR-Sequenz, B akuter lakunärer In- farkt in der Diffusionswichtung (Pfeil)). krankung findet sich das gesamte Spektrum enzephalopathi- [1, 6]. Die Häufigkeit wird in bisher publizierten Kohorten scher Symptome, die mit 25-69% eine häufige Problematik zwischen 2 und 6 % der COVID-Patienten angegeben [1, 16]. bei COVID-Patienten darstellen [6, 12]. Hypoxisch / metaboli- Die exakte Inzidenz und die pathophysiologischen Mechanis- sche Veränderungen durch eine intensive Entzündungsreak- men sind nicht abschließend geklärt. Eine gepoolte Untersu- tion gegen das Virus lösen einen Zytokinsturm aus und kön- chung fand eine 2,5-fach erhöhte Wahrscheinlichkeit einen nen anschließend ein ARDS mit Organversagen und konseku- Schlaganfall im Rahmen einer COVID-Erkrankung zu erleiden tiver Enzephalopathie verursachen. Das Auftreten ist häufig [17]. Die Schlaganfallätiologie war hier heterogen. bei älteren und schwerkranken Patienten auf der Intensivsta- Schwere COVID-19-Erkrankungen können mit einer Sepsis- tion. Das Vorhandensein von Komorbiditäten prädisponiert induzierten Koagulopathie (SIC) mit hohen D-Dimer-Spiegeln für diese Veränderungen. Kortikale und subkortikale T2 / und erhöhtem Fibrinogen einhergehen. Aus dieser SIC kann FLAIR (fluid attenuated inversion recovery)-Signaländerun- sich eine disseminierte intravasale Koagulopathie (DIC) ent- gen sind häufige Befunde in der zerebralen Bildgebung. wickeln, welche mit einer systemischen inflammatorischen Antwort mit konsekutiver endothelialer Dysfunktion und Sonderform posteriores reversibles Enzephalopathie- Mikrothrombosen einhergeht. Darüber hinaus kann CO- Syndrom VID-19 zum Auftreten von erhöhten Antiphospholipid-Anti- Eine Sonderform der Enzephalopathien ist das Posteriore re- körpern (aPL-Ak) führen, welche in einer kleineren Fallserie versible Enzephalopathie-Syndrom (PRES). Klinisch ist das mit ischämischen Schlaganfällen assoziiert waren [18]. PRES durch eine quantitative Bewusstseinsstörung, das Auf- treten von epileptischen Anfällen bis hin zum Status epilep- ANZEIGE ticus und charakteristische Veränderungen parieto-okzipital durch ein kortikal/subkortikales vasogenes Ödem in der Bild- gebung gekennzeichnet (Abbildung 2). In der Literatur fin- den sich eine Reihe von Fallberichten eines PRES im Zusam- menhang mit einer COVID-19-Erkrankung [13, 14]. Bei den in der Literatur berichteten Fällen sowie dem hier berichteten Kasus einer schweren COVID-19-Erkrankung mit PRES ist eine endotheliale Dysfunktion in Kombination mit hämodynami- schem Stress und einer immunologischen Aktivierung mit Frei- setzung von TNF-α, INF-γ und IL-1 mit konsekutiver erhöhter vaskulärer Permeabilität ursächlich zu diskutieren [14, 15]. Schlaganfall Ischämische und hämorrhagische Schlaganfälle (Abbildung 3 und 4) können mit einer COVID-19-Erkrankung assoziiert sein AUSGABE 6/2021 31. JAHRGANG Seite 217
WISSENSCHAFT UND FORSCHUNG der untersuchten Patienten mit SARS-CoV2-Infektion eine Gefäßwandverdickung mit konzentrischem und homogenem Enhancement gezeigt werden, welche gut mit dem Auftre- ten einer Endothelitis bzw. Vaskulitis im Rahmen einer CO- VID-Erkrankung vereinbar ist. Eine neuropathologische Be- stätigung erfolgte in dieser Studie jedoch nicht. Meningitis und Enzephalitis Entzündungen der Hirnhaut und/oder des Hirngewebes wer- den in der Regel durch Infektionen oder Autoimmunreakti- onen verursacht. Bisher sind nur einzelne Fallberichte von COVID-assoziierten Meningitiden bzw. der Nachweis von Abbildung 4: 87-jähriger multimorbider Patienten mit COVID- SARS-CoV-2-RNA im Liquor in der PCR berichtet [24, 25]. Ein 19-Pneumonie und Stammganglienblutung (A kraniale CT, Fall einer hämorrhagischen, nekrotisierenden Enzephalopa- B kraniale MRT, T2*-gewichtete Sequenz). thie im Rahmen einer COVID-19-Infektion wurde in den USA dokumentiert [26]. Bezüglich der Therapie zerebrovaskulärer Ereignisse kommt neben dem Akutmanagement unter Infektionsschutzbedin- Eine meningoenzephalitische CoV-2-Infektion scheint somit gungen der Sekundärprophylaxe mit einer raschen Antiko- eine Rarität und Ihre Bedeutung unklar zu sein. Wesentliches agulation eine besondere Wichtigkeit zu, um thrombotische Augenmerk sollte hier auf Sekundärinfektionen gerichtet Ereignisse zu verhindern [19]. sein, welche nach den Leitlinien der Deutschen Gesellschaft Intrazerebrale Blutungen (Abbildung 4) treten mit einer Häu- für Neurologie und des Paul-Ehrlich-Institutes behandelt figkeit von über 7 % auf und sind mit einer hohen Mortalität werden sollten. und Morbidität assoziiert. Als Mechanismen für die Entwick- lung eines hämorrhagischen Schlaganfalls im Rahmen einer Neuromuskuläre Manifestationen COVID-Erkrankung werden die Depletion von angiotensin converting enzyme 2 (ACE2) Rezeptoren und eine überaktive Im Rahmen von COVID-19-Infektionen kann es auch zu Neu- Immunantwort diskutiert. ritiden und Polyradikulitiden kommen. In der Literatur sind Aufgrund der Überlappung der Altersstruktur für den Alters- mehr als 30 Fälle eines Guillain-Barré-Syndroms (GBS) im Zu- gipfel zerebrovaskulärer Erkrankungen und der Risikopopu- sammenhang mit COVID beschrieben worden [27]. Die neu- lation für eine COVID-19-Erkrankung ist die Assoziation und rologischen Symptome eines GBS wie Parästhesien und mus- gegebenenfalls Koinzidenz von erheblicher klinischer und kuläre Schwäche treten im Durchschnitt 12 ± 6 Tage nach der logistischer Bedeutung. COVID-Infektion auf [27]. Einzelfälle eines Miller-Fisher-Syn- Sinusvenenthrombose und zerebrale Vaskulitis sind insge- droms und ein Fall einer Polyneuritis cranialis wurden berich- samt seltene Schlaganfallursachen. tet [28]. Bei allen Patienten war die SARS-CoV-2 PCR aus dem Sinusvenenthrombosen im Rahmen von einer COVID-Erkran- Liquor negativ. Passagere Muskelschmerzen, Abgeschlagen- kung wurden in Fallserien beschrieben [20]. Es wird in die- heit und Hyper-CK-ämien wurden bei 40-70 % der COVID- sem Kontext diskutiert, dass entweder der durch die Virusin- Patienten beschrieben [6]. Bei schweren COVID-Verläufen ist fektion induzierte Zytokinsturm oder die durch die Virusbin- nach einer Behandlung auf der Intensivstation mit dem Auf- dung an den ACE-2-Rezeptor verursachte Endothelschädi- treten einer Critical-illness-Polyneuropathie oder –Myopathie gung eine Kaskade aktivieren kann, die zu einer Hyperko- zu rechnen [29]. agulabilität führt. Post-COVID-Syndrom Das Auftreten einer zerebralen Vaskulitis in Assoziation mit einer COVID-Erkrankung wurde kasuistisch beschrieben [21, Auch 8 Wochen nach der Entlassung aus dem Krankenhaus 22]. Eine aktuelle kernspintomographische Untersuchung mit leiden noch über 65 % der Patienten unter Fatigue und mehr mehr als 60 COVID-Patienten zeigte Befunde im Bereich der als 50 % unter Atemnot. Ein Drittel der Patienten klagt über mittleren Gefäße, welche mit einer zerebralen Vaskulitis ver- Husten und knapp 15 % litten unter depressiven Symptomen einbar waren und als möglicher Mechanismus einer ischämi- [30]. Patienten klagen weiterhin über kognitive Störungen, schen Hirnschädigung interpretiert wurden [23]. Über ein über „Nebel im Kopf“ und Muskelschwäche. Über 90 % der Vessel-wall-Imaging konnte kernspintomographisch bei 16 % Patienten hatten wiederkehrende Kopfschmerzen. Circa 2 % Seite 218 ÄRZTEBLATT MECKLENBURG-VORPOMMERN
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