Welt MÄRZ-MAI2020 C5178 - Nordkirche ...
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Schwerpunkt Was genau heißt Inklusion? Aus dem Inhalt Editorial Kirche aller für alle Musik machen, ohne werden Barrieren 4 20 I nklusion ist ein Begriff, der in aller Munde ist. In immer Lieber Leser*in, mehr Schulen und Bildungseinrichtungen wird heute in- Inklusion ist eine Bereiche- In Jerusalem gibt es ein ein- Fotos: C. Plautz (1), G. Marziou (1), C. Wenn (1), shutterstock (1), D. Schneider (1), D. Bakine (1), Amity Foundation (1), D. Stanley (1), Wikimedia (1), www.adpic.de (5) klusiv unterrichtet. Doch wie zeigt sie sich im gesell- rung, nicht nur für die Ge- zigartiges musiktherapeuti- Inklusion ist (noch)eine Utopie. schaftlichen Miteinander? sellschaft, auch für die Kir- sches Angebot für Menschen Bis zu einem gleichberechtigten „Inklusion ist nicht nur eine gute Idee, sondern ein Men- che, so Katharina Peetz. mit Multipler Sklerose. Zusammenleben von Menschen schenrecht. Inklusion bedeutet, mit und ohne Einschränkungen dass kein Mensch ausgeschlos- Ein Stadtteil für alle Selbstverständliches ist es ein weiter Weg. Die Situa- sen, ausgegrenzt oder an den Zusammenleben tion von Menschen, die unter Menschen mit und ohne Be- 8 25 Rand gedrängt werden darf. Als geistigen und körperlichen Be- Menschenrecht ist Inklusion un- hinderung waren in Hamburg An vielen Orten Indiens wird hinderungen leiden, ist in den Gesellschaften weltweit mittelbar verknüpft mit den An- von Beginn an bei der Pla- Inklusion einfach gelebt, wie verschieden. Aber eines eint all diejenigen, die sich für sprüchen auf Freiheit, Gleichheit nung eines Stadtteils beteiligt. in den Anganwadi-Zentren, ihre Rechte einsetzen, seien es die Betreffenden selbst, und Solidarität. Damit ist Inklusion Ein Experiment der Zukunft? erfuhr Dietrich Schneider. Angehörige oder soziale Einrichtungen: sie wollen weg sowohl ein eigenständiges Recht, von der Exklusion, hin zu einem gelebten Miteinander. als auch ein wichtiges Prinzip, Inklusion braucht Wantok und Nächsten- Wie das funktionieren kann, zeigen viele Beispiele im ohne dessen Anwendung die Experimentierfreude liebe Heft. So sind in Hamburg-Altona Menschen mit und 12 28 Durchsetzung der Menschenrech- ohne Einschränkungen gemeinsam an der Planung eines te unvollständig bleibt.“ (Deutsches Sie ist überall möglich. Kirchen Für Maiyupe Par ist das kirch- neuen Stadtteils beteiligt. Damit alle das bekommen, was Institut für Menschenrechte). könnten Inklusionsagenten sein, liche „Disability Program“ in sie in ihrer Lebenssituation brauchen, sind keine fertigen Jeder Mensch hat das Recht auf so Rainer Schmidt, Pastor und Papua-Neuguinea ein Konzepte nötig, sondern Phantasie, Lernbereitschaft gesellschaftliche Teilhabe und in- Paralympicssieger. erster Schritt. und „Experimentierfreude“ – und die Bereitschaft vieler dividuelle Entwicklung, unabhän- zur Zusammenarbeit. Das hat auch Rainer Schmidt gig von ethnisch-kultureller Zuge- Dem behinderten Gott Wahres Wesen der erfahren, Pastor und mehrfacher Paralympicssieger. Für hörigkeit, Gender, sexueller Orien- begegnen Gemeinschaft ihn bedeutet Inklusion schon früh: „Ich gehöre dazu“, tierung und Religion. Dieses Recht kann nur umgesetzt werden, wenn 16 Die US-Theologin Nancy L. Eiesland hat eine Befreiungs- Auf den Philippinen wird der Ruf nach Inklusion lauter. Da- 30 aber auch: „Ich habe meinen Weg mit der Hilfe anderer gefunden“. Damit weist er darauf hin, was Inklusion vor die gesamte Gesellschaft bereit allem heißt: Es geht nicht um die Anpassung einiger an theologie der Behinderung für braucht es radikale Verän- ist, sich auf den Prozess der Inklu- die Gesellschaft, sondern um eine Veränderung der entwickelt. derungen, so Niza J. Santiago. sion einzulassen und entsprechen- Gesellschaft insgesamt. Eine Herausforderung, zugleich de Strukturen zu schaffen – im aber eine große Chance und Bereicherung. Inklusion Kleinen wie im Großen. Inklusion „Das Beste: direkt Kreativer Schub für öffnet Wege des aufeinander Zugehens, des voneinander geht alle etwas an – und sie ist ein Fragen stellen“ mehr Inklusion Lernens und miteinander Gestaltens. Es hilft schon, 18 Prozess. So sind Veränderungen in wenn wir uns bewusst machen, dass wir aufeinander den Strukturen, aber auch in den Haltungen und Einstellungen aller Tim Melchert hat sein Abitur an der Schule für Sehbehin- In China setzt sich besonders die Amity Foundation für 32 angewiesen sind und „niemand unbehindert ist. Wir haben Talente Begabungen und Charismen, damit wir Menschen notwendig. Das braucht derte gemacht und schildert Menschen mit Behinderungen sie in den Dienst des Zusammenlebens stellen“, so Zeit. Zum einen betont Inklusion seine Erfahrungen. ein, weiß Isabel Friemann. Schmidt. In dem Sinne ist Inklusion etwas völlig Selbst- die Gleichheit der Menschen, zu- verständliches. gleich berücksichtigt der Begriff die Verschiedenheit von Inklusive Schulen sind Verantwortung für den Menschen. Inklusion heißt Gemeinsamkeit von Anfang eine Chance Frieden Ihre 20 36 an. Sie beendet das aufwendige Wechselspiel von Exklusion (= ausgrenzen) und Integration (= wieder her- Hier rückt die Vielfalt in den Mit internationalen Gästen des einholen). Mittelpunkt. Für Schulen eine Zentrums für Mission und Öku- Quelle: Cornelsen Gelegenheit Normen zu über- mene: Hamburg feiert 10-jährige PS: Ihre Meinung interessiert uns. Deshalb schreiben Sie uns gern! denken. Partnerschaft mit Dar es Salaam. weltbewegt-Post-Anschrift: Zentrum für Mission und Ökumene – Nordkirche weltweit, Postfach 52 03 54, 22593 Hamburg, Telefon 040 88181-0, Fax -210, E-Mail: info@nordkirche-weltweit.de IMPRESSUM: weltbewegt (breklumer sonntagsblatt fürs Haus) erscheint viermal jährlich. HERAUSGEBER UND V ERLEGER: Zentrum für Mission und Ökume- DRUCK, VERTRIEB UND VERARBEITUNG: Druckzentrum Neumünster, JAHRESBEITRAG: 15,– Euro, SPENDENKONTO: IBAN DE77 5206 0410 0000 1113 33 ne – Nordkirche weltweit, Breklum und Hamburg. Das Zentrum für Mission und Ökumene ist ein Werk der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Norddeutschland. EVANGELISCHE BANK, BIC GENODEF1EK1. Mit Namen gekennzeichnete Artikel geben die Meinung des Autors/der Autorin und nicht unbedingt die Ansicht des DIREKTOR: Pastor Dr. Christian Wollmann (V.i.S.d.P.), REDAKTION: Ulrike Plautz, GESTALTUNG: Christiane Wenn, KONZEPT: Andreas Salomon-Prym, SCHLUSS herausgebenden Werkes wieder. Die Redaktion behält sich vor, Manuskripte redaktionell zu b earbeiten und gegebenenfalls zu kürzen. Gendergerechte Sprache KORREKTUR: Hedwig Gafga, ADRESSE: Agathe-Lasch-Weg 16, 22605 H amburg, Telefon 040 88181-0, Fax: 040 88181-210, w ww.nordkirche-weltweit.de. wenden wir in dieser Publikation an, indem wir das sogenannte Gendersternchen (*) in einem Wort benutzen. Gedruckt auf TCF – total chlorfrei gebleichtem Papier. 2 weltbewegt weltbewegt 3
Schwerpunkt Gemeinsam Kirche aller für alle werden Bei Inklusion geht es um die Veränderung der Gesellschaft als Ganzes. Das ist eine Bereiche- rung und eine Chance, auch für die Kirche. Katharina Peetz E ine Alltagsszene, neulich beobachtet: Der ICE fährt in den Frankfurter Hauptbahnhof ein. Vor mir in der Reihe stehen viele Passagiere mit Reisegepäck. Eine Aber ihre Behinderungen sind immer auch sozial be- gründet: durch ihre Mitmenschen, durch diskriminie- rende Praktiken und benachteiligende gesellschaftliche Frau hat es besonders eilig und trommelt ungeduldig auf Strukturen. In der Definition der UN-Behinderten- ihrem Koffer herum. Der Zug hält endlich, doch es geht rechtskonvention zielt Inklusion nicht darauf, dass nicht weiter. Kurze Zeit später wird deutlich, woran das Menschen mit Behinderung sich an die Gesellschaft liegt: Die Tür, durch die alle aussteigen wollen, funktio- anpassen müssen, sondern auf die Ermöglichung eines niert nicht. Darauf weist auch ein Schild hin auf dem gemeinsamen Lebens aller. „Türstörung“ zu lesen ist. Der Mann, der ganz nahe bei Die Erfahrung des Mannes im Zug ist nicht deutsch- der Tür steht, hat die Störung offensichtlich nicht be- landspezifisch. Überall auf der Welt werden Menschen merkt. mit Behinderung diskriminiert und stigmatisiert. Auch wenn sich etwa das westafrikanische Land Nigeria mit Was bedeutet Inklusion (nicht)? der Unterzeichnung der Behindertenrechtskonvention 2007 zur Inklusion verpflichtet hat, gibt es bislang zu Für mich bedeutet Inklusion, dass Menschen mit unter- wenig politische Maßnahmen, die Teilhabe aller zu be- schiedlichen Fähigkeiten und Begabungen miteinander fördern. Erst 2019 verabschiedete die nigerianische leben und sich dabei gegenseitig in ihrer Diversität Regierung auf Druck von Behindertenrechtsaktivist- annehmen und wertschätzen. Bei Inklusion geht es *innen ein Gesetz zur nationalen Umsetzung der Kon- sowohl um den politischen Einsatz für eine Verände- vention. Doch im Alltag von Menschen mit Behinde- rung ausgrenzender Gesellschaftsstrukturen hin zur rung in Nigeria hat sich bis heute zu wenig geändert. Ermöglichung einer Teilhabe aller am gesellschaftlichen Immer noch gilt die Geburt eines Kindes mit Behinde- Leben als auch um eine neue Vision des Zusammenle- rung als Fluch oder als Strafe Gottes für die Sünden der bens. Inklusion ist daher ein kontinuierlicher Prozess, in Eltern. Die Haltung der Eltern ist nicht „unser Kind ist, dem gesellschaftliche Praxis von der Inklusionsidee her so wie es ist, ein Gottesgeschenk“, sondern „unser Kind verändert wird und zugleich sich die Idee durch Erfah- ist eine schmachvolle Last“. Aus Scham werden Men- rungen gelingender Inklusion weiterentwickelt. schen mit Behinderung von ihrer Familie versteckt und Die Situation im Zug war sicher keine, die etwas mit zu Hause eingesperrt. Behinderte wurden – so ein in der gelebter Inklusion zu tun hatte: Deutlich für alle erkenn- religiösen Tradition verankerter Mythos der nigeriani- bar war die gelbe Armbinde mit den drei schwarzen schen Yoruba – am Anfang von einem betrunkenen Punkten, die auf die fehlende Sehfähigkeit des Mannes Gott geformt. Die „Behinderten“, die „Krüppel, Blinden hinweist. Er hatte also gar nicht bemerken können, dass und Lahmen“ sind daher nicht gewollt, sondern ein die Tür gestört war, weil darauf nur das Schild hinwies. Schöpfungsfehler. Nachbarn und Nachbarinnen scheu- Statt den Mann in seiner situativen Verletzlichkeit anzu- en den Kontakt zu Menschen, die als „behindert“ gelten, erkennen und ihm vielleicht sogar Hilfe anzubieten, aus Angst vor eigener sozialer Abwertung. Dazu kom- reagierten viele Passagiere hörbar ungeduldig oder men beschämende Blicke, die gerade auf Körper gerich- machten ihrem Unmut lautstark Luft: „Jetzt gehen Sie tet werden, die von vermeintlich „normalen“ Körpern doch mal an dem blinden Mann vorbei“, forderte eine abweichen. Mit eingeschränkter Hörfähigkeit oder Foto: epd bild (1) Für „Inklusion statt Selektion“ gingen am 10. April 2019 in Passagierin mit gereizter Stimme. Für die meisten Pas- Taubheit in Nigeria zu leben, bedeutet im Empfinden Berlin zahlreiche Menschen auf die Straße. Anlass war eine sagiere war der Mann einfach nur im Weg. Ein Hinder- zahlreicher Betroffener von anderen wie ein Geist oder Debatte im Bundestag über die Einführung von Gen-Tests nis auf ihrem Weg nach draußen. Menschen, die mit ein Gegenstand behandelt zu werden, das heißt als Fortsetzung in den Leistungskatalog gesetzlicher Krankenkassen. Behinderung leben, erfahren dieses Leben individuell. jemand, mit dem Kommunikation unmöglich ist. Durch Seite 6 4 weltbewegt weltbewegt 5
Schwerpunkt Schwerpunkt Getanzte Inklusion. Die Dance „Kirchen müssen in Ländern Company Eggenfelden mit wie Brasilien zu Anwälten der Mitarbeiter*innen der KJF Menschen mit Behinderung Werkstätten eröffnet auf dem werden.“ Der taubstumme Domplatz in Regensburg den Musikschüler lernt in Sao Paulo, Katholikentag 2014, der unter wie er Musik über Schwingun- dem Motto steht: „Mit Christus gen wahrnehmen kann. Brücken bauen“. solche diskriminierenden Praktiken werden Menschen assoziiert wird, kann und muss sie nach Auffassung vie- den Kirchen im Vordergrund stehen. Die christlichen tes unbedingtes Ja zu seiner Schöpfung allen Menschen mit Behinderung aus dem öffentlichen Raum herausge- ler Christ*innen in Nigeria und Brasilien geheilt werden. Kirchen müssen daher die Rolle einer Anwältin für die gilt. Von daher kann der Hinweis auf die unbedingte drängt. In Deutschland verlaufen solche Verdrängungs- Heilung wird mit Glaube, Behinderung mit Unglaube Rechte von Menschen mit Behinderung einnehmen und Gottgewolltheit von Menschen mit Behinderung ein Ge- prozesse subtiler, aber nicht weniger wirkungsvoll. gleichgesetzt, ebenso körperliche Heilung mit Heil. In primär mit den Behindertenrechtsorganisationen in gennarrativ zu diskriminierenden Erzählungen, Hal- Gerade Menschen mit schwerer mehrfacher Behinde- dieser Sichtweise sind Menschen mit Behinderung, die Ländern wie Nigeria und Brasilien kooperieren, die tungen und Praktiken sein. Um der Menschen willen, rung sind hier kaum in der Öffentlichkeit präsent. Ihr nicht geheilt werden können, nicht Teil des Reiches Got- einem menschenrechtsorientierten Ansatz verpflichtet die in Nigeria und Brasilien mit Behinderung leben, sind Platz scheint klar definiert zu sein: im Heim, aber nicht tes. Nicht zufällig ist Nigeria eines der Länder mit der sind. Statt Menschen mit Behinderung als Objekte von Theologien zur kritisieren, die die Grenze zwischen Hei- im Restaurant oder am Badesee. Der Fotograf Florian weltweit höchsten Zahl an Kirchen, die Wunderheilun- Fürsorge und Mitleid zu verstehen, müssen gerade die lung und Nicht-Heilung zu einer Grenze zwischen Heil Jaenicke veröffentlichte im Zeit Magazin Bilder des All- gen anbieten. Da Nicht-Heilung als Beweis für Unglau- Kirchen sie als Personen und Rechtssubjekte anerken- und Unheil machen. Menschen, die mit Behinderung tags mit seinem Sohn Friedrich. Auf einem Bild sieht ben gilt, erleben Menschen mit Behinderungen noch nen. leben, sind vielmehr darin zu bestärken, dass der univer- man Friedrich, der mit schwerer mehrfacher Behinde- größere Stigmatisierung und soziale Ausgrenzung, wenn Für diese Anerkennungsprozesse sind theologische sale Heilswille Gottes ihnen in ihrem Sosein, also ihnen rung lebt, wie er von seinen Eltern im öffentlichen in solchen Gottesdiensten der Heilungserfolg ausbleibt. Ansätze wie von Deborah Creamer fruchtbar, die nicht ganz mit ihren Erfahrungen und ihrer Geschichte, mit Raum, nämlich auf einem Autobahnparkplatz, gewi- Dazu gesellen sich in allen christlichen Traditionen Aus- auf Unterschiede zwischen Menschen fokussieren, son- ihren Verwundungen und Begabungen, gilt. ckelt wird. Jaenicke kommentiert das Bild mit wenigen legungen der biblischen Heilungsgeschichten, die andere dern darauf, was Menschen in ihrem Menschsein verbin- Ihr Leben, auch ihr Leben als religiöses Subjekt, ist Sätzen und illustriert das Unverständnis, mit dem viele ausschließen. Für Sharon V. Betcher, die in Vancouver det. Uns Menschen verbindet das Moment der Körper- nicht per se qualitativ schlechter als das Leben von Men- Menschen auf die Wickel-Szene reagierten. Theologin ist und ihr Bein durch einen Unfall verlor, lichkeit, aber auch die Erfahrung von uns allen im Leben, schen ohne offensichtliche Behinderung. In der Perspek- Die obigen Beispiele verdeutlichen, dass aus der For- sind biblische Heilungsgeschichten daher keine heilsa- verletzlich zu sein und an Grenzen zu stoßen. In unse- tive von Dorothee Wilhelm, Pädagogin und feministi- derung nach Inklusion nicht einfach Inklusion folgt. Es men Texte, sondern „texts of terror“. rem Leben sind wir auf andere Menschen angewiesen, sche Theologin, ist der Clou der biblischen Heilungsnar- bedarf sowohl politischer Maßnahmen zur Umsetzung In Gottesdiensten werden Menschen, die mit Behin- und gerade deshalb sind wir durch Erfahrungen von rative die Veränderung des Blickes: So gehe es in ihnen des Inklusionsgedankens als auch die Bereitschaft bei derung leben, häufig als störend empfunden, etwa wenn Ausbeutung, Zurückweisung, Ausgrenzung, Einsamkeit nicht um Heil oder Heilung von Behinderung, sondern allen Mitgliedern einer Gesellschaft, sich auf Inklusion sie aufgrund spastischer Lähmungen unkontrolliert zu- oder Leid verwundbar – egal ob wir in Brasilien, Nigeria um eine Veränderung der Gesellschaft als Ganzer. Hei- einzulassen. cken oder mit Lauten kommunizieren. Menschen mit oder Deutschland leben. Daher ist für den Theologen lung bedeutet dann die Anerkennung, dass alle Men- Behinderung wie die Theologin Nancy Eiesland haben Markus Schiefer Ferrari ein Menschenbild notwendig, schen, mit welchen Grenzen sie auch leben mögen, integ- Es fehlen Identifikationsfiguren in der Kirche erfahren, dass die meisten Kirchen (im wörtlichen und das nicht einseitig Aspekte von Selbstbestimmung und raler Bestandteil der Gesellschaft sind. übertragenen Sinne) auf einem steilen Berg liegen, der Autonomie stark macht, sondern auch Zerbrechlichkeit, Die Anerkennung von Menschen mit Behinderung Diskriminierende, einengende Bilder und Deutungen nur schwer zu erklimmen ist. Dazu kommt, dass in den Fragilität, Abhängigkeit und Angewiesenheit zulässt. sollte vor allem im praktischen Handeln von Menschen, Dr. Katharina von Behinderung finden sich häufig auch in christlichen unterschiedlichen christlichen Denominationen nur sel- Diese Vorstellung ist vereinbar mit der in Nigeria und die für die Kirche arbeiten, sichtbar werden. Dazu gehört Peetz ist wissen- Gemeinden. Dabei kommen Menschen mit Behinderung ten Menschen mit Behinderung in kirchliche Ämter or- anderen afrikanischen Ländern weit verbreiteten Vor- auch die (verstärkte) Zulassung von Menschen mit schaftliche Mitar- etwa als Empfänger*innen von Almosen in den Blick diniert werden oder Dienste in der Gemeinde verrichten. stellung von Ubuntu, die vor allem vom südafrikani- Behinderung zu kirchlichen Ämtern. Die Frage nach den beiterin im Bereich und erscheinen passiv und hilfsbedürftig. Der Umstand, Es fehlen für Menschen mit Behinderung also auch schen Geistlichen und Menschenrechtler Desmond Tutu Zugangsmöglichkeiten von Menschen mit Behinderung „Mission und dass Menschen mit einer Behinderung leben, macht sie repräsentative Identifikationsfiguren auf institutionell- geprägt wurde. Ubuntu besagt, dass alle Menschen aufei- zu kirchlichen Ämtern kann durch einen theologischen Fotos: Nacho Doce/REUTERS (1), epd bild (1) Gesundheit“ am für viele auch zu tragisch Leidenden, denen mit Mitleid struktureller Ebene. Es wird deutlich, dass Inklusion nander angewiesen sind und sich Menschlichkeit vor Gedanken Benjamin Connors gestärkt werden. Dem- Institut für Welt- zu begegnen ist. Leben in Fülle und Leben mit Behinde- eine kontinuierliche Aufgabe für christliche Kirchen ist. allem durch wechselseitige Anerkennung und Respekt nach ist es Gott, der alle Menschen dazu befähigt, auf kirche und Mission rung zusammenzudenken, ist nicht selbstverständlich. ausdrückt. ihre Weise von ihm Zeugnis zu geben: sprachlich oder in Frankfurt Sankt So scheint Leben mit Behinderung in Köpfen vieler Menschen erfahren, verletzlich zu sein nicht-sprachlich, in unterschiedlichen körperlichen und Georgen. Derzeit Christ*innen stets eingeschränktes, defizitäres Leben zu Die ganze Gesellschaft muss sich verändern geistigen Verfassungen. arbeitet sie an sein. Gerade in pfingstchristlichen und charismatischen Menschen mit Behinderung werden also in der Kirche Inklusion bedeutet, gemeinsam Kirche aller für alle einem Forschungs- Kreisen finden sich zunehmend problematische „spiritu- oft ausgeschlossen. Wie kann Kirche dann zu einem Ort Gottes Menschwerdung zeigt an, dass er mit seiner zu werden. Gemeinsam, das heißt im vielstimmigen Ge- projekt zu „Theo- elle“ Ausdeutungen des Phänomens Behinderung. Dem- werden, an dem Inklusion gelebt wird? Wenn Menschen Schöpfung in lebendiger Beziehung stehen will. Jesus spräch miteinander, im Hören auf die Bedürfnisse und logien der Behin- nach sind Menschen, die mit Behinderung leben, Gefan- in Nigeria und Brasilien durch Exklusion und Diskrimi- Christus ist Immanuel – Gott mit uns. In der Menschheit Wünsche von Menschen mit Behinderung und im enga- derung in Deutsch- gene ihrer Sünden oder sie befinden sich in den Fängen nierung in ihrem Menschsein missachtet werden, muss hat Gott sich verletzlich gemacht und sich menschlichen gierten Handeln für die Verwirklichung von gerechter land, Brasilien des Satans. Da Behinderung mit Sünde und Unglauben die Anerkennung ihres Menschseins und ihrer Würde in Erfahrungen ausgesetzt. Gen 1,31 verdeutlicht, dass Got- Teilhabe für alle. und Nigeria“. 6 weltbewegt weltbewegt 7
Schwerpunkt Ein Stadtteil für alle In Hamburg Altona entsteht ein neues Viertel. Hier wurden Menschen eingeladen, das Zusammenwohnen von vorn- Nadin Schindel (24) engagiert herein gemeinsam zu planen, Menschen mit und ohne sich auch politisch für Behinderung. Ein Experiment, das mit Herausforderungen Inklusion. So kandidiert sie unter anderem bei den verbunden ist. Für die Stadtplaner auch „ein großes Ge- Bürgerschaftswahlen in schenk“. Hamburg. Hedwig Gafga S onntagmorgen in Mitte Altona, dem Neubaugebiet auf dem ehemaligen Bahngelände in Ham- Damit betraten die Quartiers- entwickler absolutes Neuland. Hier ging es nicht darum, einzelne Wohn- Eine Mittlerinstanz ohne formale Macht, spielen die Forumsleute die Empfehlungen zwischen Forum und oder 12 Uhr aufstehen, abends wird sie früh ins Bett ge- bracht. „Ich wollte morgens in den Tag starten und abends wieder ins Bett gehen. Ich will mein Leben leben“, burg. Die meisten der fünf bis acht- gruppen, Werkstätten oder Treff- Entscheidungsträgern in Behörden sagt Nadin Schindel. Überraschend bekommt sie das stöckigen Wohnblocks sind bereits punkte in bestehende Stadtteile zu und Firmen hin und her. Später Angebot, allein in eine barrierefreie Wohnung in Mitte bezogen, an einigen wird noch ge- bringen, sondern ums Mitgestalten arbeiten kleinere Teams, zwischen Altona einzuziehen. baut. Familienfreundlich, autoredu- eines innerstädtischen Gebiets von 30 und 90 Leute, an verschiedenen Abends ist sie nun oft unterwegs. Bei einer Info- ziert und inklusiv soll die neue Anfang an. Menschen aus verschie- Themen mit. veranstaltung über das neue Teilhabegesetz illustriert sie Mitte sein, so steht es im städtebau- denen gesellschaftlichen Gruppen, die juristischen Ausführungen des Referenten durch lichen Vertrag der Stadt Hamburg Behinderte und Nichtbehinderte Junger Mensch mit Abitur praktische Beispiele aus ihrem Leben – zur Freude von mit den Eigentümern. Was das im wurden aufgefordert, ihre Vorstel- und Schwerbehinderung Referent und Zuhörerschaft. Sie wird für weitere Veran- Detail heißt, darüber besteht aus lungen und Erwartungen an das sucht Domizil staltungen angefragt, und kandidiert bei den Bürger- Sicht vieler, die hier wohnen, noch neue Quartier im Rahmen eines Fo- schaftswahlen in Hamburg auf Platz 52 der SPD-Landes- Klärungsbedarf. rums anzumelden. Weitere Foren Heute, wo der Abschluss des ersten liste. Eine Inklusionsexpertin sei sie nicht, wehrt sie ab. 3500 Wohnungen auf 25,9 ha und Zwischendurch-Teams sollten Bauabschnitts mit 1600 Wohnungen Das Wort Inklusion übersetzt sie lieber: „Aus prakti- Fläche, 1600 im ersten Bauabschnitt. die Entstehung des Quartiers über bevorsteht, ist die inklusive Hand- scher Erfahrung möchte ich aufs Zusammenhalten hin- Ein großes Wohngebiet, „die neue die gesamte Bauzeit hinweg beglei- schrift in Mitte Altona deutlich weisen, darauf, wie viel tatsächlich nur gemeinsam geht. Mitte Altona“ sollte entstehen, aber ten. „Wir sehen Menschen als Exper- erkennbar. Vor dem Eingang zu Dass ich heute diese Selbständigkeit habe, ist möglich für wen? Die Stadt hatte bei dem an ten für das, was sie bewegt, für ihre ihrem Wohnblock wartet Nadin durch ein Team.“ Dazu zählt sie einen Quartierslotsen die Schienen angrenzenden Gelände Nachbarschaft, für sich selbst, auch Schindel, 24, schmal, mit blondem, aus Alsterdorf, der ihren Einzug unterstützte, Lehrerin- auf ihr Vorkaufsrecht verzichtet, pri- für ihr Handicap“, sagt Lea Gies, die krausem Haar, im Rollstuhl. Sie ist nen, Pflegerinnen, Physiotherapeuten. Auch Technik sei vate Investoren waren am Zug. Viele vor mehr als zwei Jahren die Leitung spastisch gelähmt von Kindheit an. wichtig. Techniker seien „ihre Superhelden“. Deren Kön- befürchteten, dass im sozial durch- der Gesprächsplattform übernom- „Junger Mensch mit Abitur und nen verhalf ihr dazu, mit Hilfe einer Deckenliftkonst- mischten, aber durch Gentrifizie- men hat. Schwerbehinderung sucht Domizil“, ruktion, die sie aus dem Bett in den Rollstuhl hinein rung stark veränderten Altona ein Zum ersten Forum Anfang 2012 auf diese Formel bringt sie ihre schweben lässt, ohne fremde Hilfe aufstehen zu können. Wohnquartier nur für Besserverdie- kommen rund 250 Leute. Dicht ge- lange Suche nach einem Ort, an dem Jeder Schritt zu mehr Selbständigkeit ist ihr wichtig, nende entstehen würde. Zu dieser drängt sitzen Nachbarn, Rollstuhl- sie bleiben konnte und dabei fast zugleich ist sie für Hilfe dankbar. „Hilfe zu brauchen und Fotos: H. Gafga (1), P. Heinbockel (1), www.adpic.de (1) Zeit organisierte Projektleiterin Ka- fahrende, Menschen aus Vereinen die Hoffnung auf Gott und Men- auch anzunehmen“, gehört für sie zum Menschsein. ren Haubenreisser von der Stiftung und Initiativen, Fachleute aus Als- schen verloren hätte. Systematisch Auch weil ihre Eltern, die alkoholabhängig waren, keine Alsterdorf Treffpunkte für Men- terdorf und Behörden, Mitarbeiter habe sie die vorhandenen Listen von Hilfe hätten annehmen wollen, auch deshalb ist diese schen mit und ohne Behinderung aus beteiligten Firmen, Wohnungs- Beratungsstellen und Einrichtungen Botschaft für sie so zentral. unter anderem auch in Altona Alt- suchende, Bauwillige beieinander, in ganz Deutschland durchtelefo- stadt. Gut vernetzt mit Firmen und voller Neugier. Einige tragen selbst- niert, um festzustellen: „Es gibt Es spart Kosten, Menschen zu beteiligen, Initiativen, Verwaltung und Politik, sicher ihre Anliegen vor, andere fra- kaum Häuser für körperbehinderte die direkt betroffen sind brachte sie die Frage unter die Leute, gen vorsichtig, welche Themen im Menschen. Vorübergehend kommt ob in dem geplanten Neubaugebiet Forum eigentlich bearbeitet werden sie in einer Einrichtung für geistig Ohne die Arbeit des Forums „Eine Mitte für Alle“ wäre für nicht ein inklusives Quartier entste- sollen. In Erinnerung geblieben ist Behinderte, im Kinderhospiz oder Nadin Schindel kein Platz in Mitte Altona. Im ersten Jahr Hedwig Gafga hen könne. Anfang 2012 rief die die Aussage der Forumsleiterin, sich im Pflegeheim unter. Dann werden der Arbeit entwirft das Forum ein Leitbild für das Quar- lebt als freie Evangelische Stiftung Alsterdorf das nicht von vornherein zu beschrän- Schmerzen und Pflegesituation un- tier. Darin wird Inklusion weit gefasst. Nicht nur behin- Journalistin in Forum „Eine Mitte für Alle“ ins ken, sondern auch das zu sagen, was erträglich: Weil zu wenig Personal derte Menschen, auch Leute mit niedrigen oder mittleren Hamburg. Leben. Ein Experiment. einem vielleicht utopisch erscheine. vorhanden ist, kann sie erst um 11 Einkommen, Menschen, die auf dem Arbeits- und Woh- 8 weltbewegt weltbewegt 9
Schwerpunkt „Labor zum Testen“. Projekt- leiterin Lea Gies unterwegs im neuen Quartier. nungsmarkt kaum Chancen haben und Leute aus Einwan- Rollstuhlfahrende sollen an mögen ist ihm geblieben, besuchte te von Mekan, mit sehr kleinen Ren- dererfamilien sollen in dem Quartier leben und mitgestal- beliebte Orte kommen kön- sechs Treffen von „Bliss“, einer Bau- ten, seien stolz, in Mitte Altona einzu- ten können. Auf 5-10 Prozent der Geschossflächen soll nen gemeinschaft von Blinden, Sehbe- ziehen. Im Forum entstand die Idee, Raum für Integrationsprojekte mit behinderten Menschen hinderten und Sehenden, bevor er – vor allem aus praktischen Gründen entstehen. Beim Wohnungsbau empfiehlt das Forum einen Gegenüber der Kita „Sandvika Ul- per Abstimmung als Mitglied ge- – die mehrheitlich türkische „Mekan“- Drittelmix: ein Drittel geförderte Sozialwohnungen, ein na“, eine von vier inklusiven Kitas, wählt und kurz danach zum Spre- Gruppe und die deutsche Senioren- Drittel frei finanzierte Mietwohnungen und ein Drittel stehen Eltern sonntags um einen cher ernannt wurde. Wenn das enga- baugemeinschaft „Gemeinsam älter Eigentumswohnungen. „Ein großes Pfund war, dass die Holztisch mit Thermoskannen und gierte Forumsmitglied zu seinem werden“ zu einer Baugemeinschaft zu Politik in Altona unsere Arbeit stark unterstützt hat“, sagt Bechern herum, während die Kinder Verein „Tandem weiße Speiche“ oder verbinden. Lea Gies. Im Februar 2014 macht sich das Altonaer Bezirks- schaukeln oder auf Rädchen übers zu Schachturnieren unterwegs ist, Wie stark der inklusive Gedanke parlament die inklusiven Vorschläge zu eigen und be- Gelände kurven. Auf dem an- achtet er darauf, ob die Wege für das Viertel prägen wird, zeigt die Zu- schließt, dass sie auch für weitere Altonaer Bauvorhaben grenzenden Weg, der bis an den ho- Blinde sicher sind und bringt Verbes- kunft. Dann wohnen die inklusiven gelten sollen. Später werden die Vorgaben im städtebau- hen Zaun des Bahngeländes führt, serungsvorschläge ein. Er freut sich Baugemeinschaften auf dem Gelände lichen Vertrag vom 9. Mai 2014 zwischen der Stadt Ham- spielen junge Leute Boule und Wi- aufs gemeinsame Wohnen mit Ein- und auch die mehrheitlich von Ein- burg und den Eigentümern festgeschrieben. kingerschach. Durch die Straßen zelnen, Paaren und zwei Familien, wandererkindern besuchte Stadtteil- Birgit Ferber, Leiterin der zuständigen Planungsgruppe laufen kleine Gruppen, die sich, teils eine davon mit einem blinden Kind, schule aus dem benachbarten Bezirk der Stadtentwicklungsbehörde, nennt die Arbeit des Fo- mit Lageplan in der Hand, das inklu- die bald über sieben Stockwerke ver- kommt dazu. Jetzt schon hat sich her- rums „ein großes Geschenk“. Besonders bei den Treffen der siv gestaltete Quartier anschauen. teilt in einem Haus wohnen werden. umgesprochen, dass es möglich ist, Zwischendurch-Teams seien die unterschiedlichen Perspek- Selbst die Sandwege sind zusätzlich eigene Anliegen einzubringen und ge- tiven für sie nachvollziehbar geworden. Während bei Bau- befestigt. Auch auf dem Spielplatz Wie stark der inklusive hört zu werden. Die neuen Bewohner vorhaben sonst nur Stippvisiten mit späteren Bewohnern und in dem kleinen, mit Hügeln Gedanke das Viertel prägt, und ihre Nachbarn treten weiter für möglich seien, sei durch die Vermittlung der Forumsleute gestalteten Park sind die Wege mit wird sich zeigen inklusive Belange ein. Als die Ver- ein Gegencheck durch künftige Bewohner aus den Bauge- Rollstühlen befahrbar. Es sei wich- kehrsbehörde in der stark von Fuß- meinschaften ermöglicht worden – „eine große Bereiche- tig, dass auch Rollstuhlfahrende an Kein Zufall, dass auch Jan van den gängern genutzten Harkortstraße auf rung“. Sich daraus ergebende Änderungen habe sie durch beliebte Orte hinkommen, erklärt Heuvel, 80, von der Seniorenbauge- Tempo 50 besteht, erstreiten Kita- die Erfahrungen in den Treffen auch behördenintern besser Projektleiterin Lea Gies, das sei ein meinschaft „Mit Mekan gemeinsam Eltern, behinderte Menschen und an- vertreten können. Die Vorgaben aus Mitte Altona stellen Aspekt von Teilhabe. Über 90 Pro- älter werden“ in gesellschaftlichen dere Bewohner bei der zuständigen Weichen für weitere Bauprojekte. Der Drittelmix, der sich zent der Wohnungen seien bis zur Gruppen aktiv ist, im Bezirks-Senio- Behörde Tempo-30-Bereiche. später auch bei anderen Bauvorhaben durchsetzt, „der ist Türschwelle barrierefrei zugänglich. renbeirat und bei „Mekan“ (deutsch „Ein Labor zum Testen“, nennt Lea für Mitte Altona erfunden worden“, sagt Birgit Ferber. Sie hätte sich aber noch mehr Woh- „Zuhause“), einem interkulturellen Gies die Pionierarbeit des Forums. Fotos: H. Gafga (1), www.adpic.de (2) „Nicht nur Fachpersonal zu beteiligen, sondern auch nungen mit breiteren Türöffnungen Seniorentreff von überwiegend tür- „Gerade im Hinblick auf unterschied- Menschen, die eine Sache direkt betrifft, hat sich bewährt“, gewünscht. Davon hänge es ab, ob kischen Frauen und Männern, die liche Gruppen von behinderten Men- sagt Projektleiterin Lea Gies. „Das erspart Zusatzkosten, eine Rollstuhlfahrerin wie Nadin als „Gastarbeiter“ nach Deutschland schen fragen wir uns ständig: Was ist die anfallen, wenn Dinge nachträglich geändert werden Schindel zu Besuch kommen könne. kamen und nun oft allein zurückge- zu verbessern? Was klappt schon müssen“. Anfangs habe es geheißen: „Alles flach. Bis Leu- Es ist bei rund ein Drittel der Woh- blieben seien. Die Gruppe sei Famili- ganz gut?“ Ob der geplante zweite te vom Blindenverein sagten, das gehe leider gar nicht: nungen möglich. enersatz, man treffe sich regelmäßig Bauabschnitt auf dem Bahngelände ,Wir brauchen Bordsteinkanten, um uns zu orientieren.‘“ Die Wohnblöcke der Baugemein- zum Frühstück, feiere Weihnachten kommt, ist ungewiss. Auch bei dem Der erste Entwurf für die Mustersteine fiel bei den Blinden schaften, das Herzstück des inklusi- und das Fastenbrechen, besuche so- Vorhaben auf dem ehemaligen Hols- durch. Sie konnten die Markierungen in den Steinen nicht ven Lebens, sind in einigen Monaten gar die Kinder zusammen. Jan van tenareal gibt es ein gemeinsames Fo- gut genug ertasten. Auch bei den folgenden musste nach- bezugsfertig. Björn Beilfuß, Mitte 40, der Heuvel und seine Frau begleiten rum. Fraglich ist, ob es auch hier zur bearbeitet werden. „gesetzlich blind“, ein Rest Sehver- andere bei Behördengängen. Die Leu- Einigung kommt. Es bleibt spannend. 10 weltbewegt weltbewegt 11
Schwerpunkt können die auch was. Mindestanforderung beim Tisch- nennen es „Liebe“. Gemeinden nennen es „Verbunden- tennis: Bis elf zählen, Regeln kennen, aufmerksam sein. heit mit dem Leib Christi“. Ich hatte nicht die gleichen Fähigkeiten wie die anderen, So wuchs ich sechs Jahre gemeinsam mit anderen habe aber eine andere Funktion eingenommen. Dann Kindern im Dorf glücklich auf. Ich gehörte dazu und ent- sah mich ein anderer Urlaubsgast: „Willst du nicht mit- deckte spielend die Welt, na gut, das Dorf. Dass ich nicht spielen?“ Ich: „Doch, aber ich kann das nicht.“ Er über- alles machen konnte, störte weder mich noch andere. legt: „Ich habe da eine Idee“. Am nächsten Tag kam er Dann wurde ich in eine Sonderschule eingeschult. Ich wieder, hatte Schaumstoff und Schnüre dabei und sagte: hatte es schon damals nicht verstanden. Warum sollte ein „Ich versuche, dir einen Schläger an den Arm zu bin- normaler Menschen ohne Hände in eine Einrichtung den“. Ich hielt ihm meinen Arm hin und er hat mir den gehen, die ihn von der „normalen“ Gesellschaft aus- „Inklusion bedeu- Schläger drangebunden. Dann habe ich angefangen mit schließt? Warum sollte ein Kind mit Down-Syndrom nur tete für mich der wackeligen Konstruktion zu spielen. Ich konnte mit anderen Down-Syndrom-Kindern spielen und ler- schon früh: Ich plötzlich einen Aufschlag, kurze Bälle erreichen und die nen? Statt mit meinen Freunden zu Fuß zur Schule zu gehöre dazu“. links und rechts in der Ecke auch. Das war ein wunder- gehen, wurde ich nun mit dem Fahrdienst zur Sonder- Rainer Schmidt, bares Erfolgserlebnis. Warum treiben Menschen Sport? schule gefahren. Ich kam erst gegen 17 Uhr zurück. Im Pastor und Weil sie wunderbare Erfolgserlebnisse bekommen. Winter zu spät, um mit anderen Kindern draußen zu mehrfacher spielen. So kam es, dass bereits nach dem ersten Winter Goldmedaillenge- Gleich mit Rechten und Bedürfnissen die Trennung fatale Folgen in unseren Kinderköpfen hin- winner bei den terließ. Als meine Mutter im Frühling vorschlug, ich solle Paralympics im Wer Inklusion will, der sucht nach Beteiligungsmöglich- doch zum Spielen rausgehen war meine Antwort: „Was Tischtennis. keiten und Erfolgserlebnisse für alle. Kaum zuhause habe soll ich da? Die reden doch nur über die Schule und da ich zu meinem Vater gesagt: „Ich gehe in einen Tischten- gehöre ich nun nicht mehr dazu!“ Von meinen Freunden nisverein.“ Da wartete die nächste Barriere auf mich. vermisste mich nach einem halben Jahr keiner mehr. Die Zuerst in meinem Kopf. Was, wenn die Kinder mich Aufteilung der Menschen in Menschen mit und ohne ablehnen. Dann habe ich meinen Cousin gefragt. Behinderung war uns vorher fremd gewesen. Gemeinsam lassen sich Barrieren besser überwinden. Separation lässt Barrieren in allen Köpfen entstehen. Wer Inklusion I ch erzähle erst einmal, wie ich auf die verrückte Idee gekommen bin, Tischtennis, also Vorhand und Rück- Und dann hat uns mein Vater zum Training gefahren. Zum Trainer sagte er: „Das ist mein Sohn, der möchte Man wird einander fremd. Dauerhafte Separation ist die Reaktion unserer Gesellschaft auf verunsichernde Viel- hand zu spielen, obwohl ich nicht einmal Hände habe. gerne Tischtennis spielen“. Trainer: „Ich verstehe viel von falt. Inklusion ist dagegen der Mut, einander zu begegnen. will, braucht Wie ist bei mir die Teilhabe vonstatten gegangen, obwohl ich mich von anderen Tischtennisspielenden Tischtennis, habe aber keine Ahnung, wie man ohne Hände spielt. Wir können ja gemeinsam herausfinden, Mein Abitur habe ich übrigens nach der 13. Klasse auf dem Dietrich-Bonhoeffer-Gymnasium gemacht. Grund- sehr unterschieden habe? Ich war zwölf, als meine Eltern wie das geht.“ Was für ein Trainer! Gibt seine Verunsiche- sätzlich denke ich, vernebeln Klassen und Wettkämpfe Experimentierfreude auf die Idee kamen, Urlaub in einem 450 Seelen-Dorf in Österreich zu machen. Dort gab es eine Tischtennisplat- rung zu, lässt sich von meinen (offensichtlichen) Unfä- higkeitsbarrieren nicht abhalten und wird selbst zum den Blick für die Einzigartigkeit und Vielfalt der Men- schen. Es gibt viele Menschen mit versteckten Benachteili- te. Und natürlich habe ich versucht, Tischtennis zu spie- Lernenden. Wer Inklusion will, braucht keine fertigen gungen. Das Mädchen, das zuhause nur Türkisch spricht, Inklusion ist möglich, auch dann, wenn es len. Ich wollte machen, was alle machen. Also habe ich Konzepte, sondern Experimentierfreude und Lernbereit- wird im Fach Deutsch nicht mit dem Germanistik-Profes- um Wettkampf und Leistung geht. mir einen Schläger genommen und habe dann versucht, schaft. Ich habe mit Hilfe anderer meinen eigenen Weg soren-Sohn mithalten können. Muss es aber, weil wir den Ball zu schlagen. Ich merkte rasch, ich kam weder gefunden, an Tischtennis zu partizipieren. Also eine meist blind sind für diese Unterschiedlichkeit. Wo kämen Es kommt nur darauf an, wie wir die links noch rechts, schon gar nicht an die kurzen Bälle wunderbare inklusive Geschichte. wir hin, wenn jede*r eine Ausnahme bekäme? Wenn wir Lebensbereiche gestalten. dran. Und wenn die Kinder ernst gemacht haben, dann Als ich 1965 in eine ganz normale Familie hineinge- plötzlich Unterschiedlichkeit als Reichtum und nicht als war ich sofort erledigt. Schnell war mir klar: Tischtennis boren geboren wurde, ohne Hände, ohne Unterarme mit Problem ansehen würden? Wir könnten womöglich ins Rainer Schmidt ist nichts für mich. Ich bin gescheitert an der Barriere, einem verkürzten Bein, war der Schock zunächst groß. Reich Gottes gelangen. Dahin, wo der Mensch wichtiger die der Sport nun mal mit sich bringt, nämlich an der „Was soll aus dem Jungen werden?“ Zum Glück war nicht ist als die Summe seiner Leistungen. Was ist Inklusion? Fähigkeitsbarriere. Ich hätte mich nun auf mein Zim- nur die Verunsicherung meiner Eltern groß, sondern Meine kürzeste Definition: „Inklusion ist die Kunst des mer zurückziehen können. Aber ich fühlte mich zur auch deren Kampfeswille. Machten andere einen Vor- Zusammenlebens von sehr verschiedenen Menschen“. Die Gruppe der Urlaubskinder dazugehörig und wollte nicht schlag, mich in einer Einrichtung für behinderte Kinder Kunst des Zusammenlebens, also zusammen etwas außen vor sein. Intuitiv habe ich gemacht, was heute erziehen zu lassen, weil ich dort optimal gefördert werden machen, Sport treiben, wie auch immer, von sehr unter- jeden Pädagogen freuen würde. Wenn ich nicht machen würde, sagten meine Eltern: „Nein der gehört zu uns.“ schiedlichen Menschen. Es wird also zweierlei zusam- Foto: J. Hahn kann, was alle können, so suche ich eine neue Aufgabe, Inklusion bedeutete für mich schon früh: Ich gehöre mengedacht: Die Verschiedenartigkeit der Menschen und um trotzdem dabei zu sein. Ich wurde Schiedsrichter: dazu. Da, wo Menschen sich zugehörig fühlen, sich ver- die Gleichwertigkeit der Menschen. Jede*r ist anders, aber Fortsetzung Kannst nichts, bist aber wahnsinnig wichtig. Natürlich bunden fühlen ist das wichtigste schon geschafft. Eltern gleich in seinen Rechten und Bedürfnissen. Seite 14 12 weltbewegt weltbewegt 13
Schwerpunkt Niemand ist unbehindert welchen Strukturen leben wir? Wie kann man Inklusi- Dass Inklusion gelingt, ist nicht selbstverständlich. Dafür müssen und können wir einiges tun. 2008 trat die on fördern? Dazu ein weiteres Beispiel aus meinem Leben: Ich musste in der 12. Klasse im Gymnasium „Kirchen sollen Inklusionsagenten sein“ Behindertenrechtskonvention (BRK) in Kraft. Für mich 1000 m im Sportunterricht laufen. Um möglichst ist daran das Wichtigste die Relativierung der Auftei- schnell zu sein, habe ich, der Beinprothesenträger, jeden Worin liegen die Herausforderungen in Kirche und lung von Menschen. Früher gab es Menschen mit und zweiten Tag 1000 m trainiert. Übrigens, die Mädchen Gesellschaft? ohne Behinderung. Heute hat sich die Erkenntnis mussten nur 800 m laufen. Am Prüfungstag habe ich Rainer Schmidt: Es ist schlecht zu greifen, was Gesell- durchgesetzt, dass alle Menschen mehr oder weniger alles gegeben, kam aber als letzter ins Ziel. Noch hinter schaft ausmacht. Ich spreche lieber von konkreten gesell- begrenzt sind. Zusammenfassend gesagt hat die Behin- dem langsamsten Mädchen. Ein peinlicher Moment für schaftlichen Feldern. Schule ist eines der wichtigsten. Es dertenrechtskonvention mindestens zwei Perspektiv- mich als 18-Jährigen. Völlig ausgepumpt ging ich zu geht um längeres gemeinsames Lernen. Und es dürfte wechsel vollzogen: meinem Lehrer und fragte: „Wie war ich?“ „Ja, schau keine Separation aufgrund von Behinderung und sozialer 1. Niemand ist nur behindert, niemand ist unbehin- mal Rainer. 2:55 min ist eine Eins. Guck mal, das hier ist Herkunft geben. Ein anderes Feld heißt: Die großen Zen- dert. Niemand lebt ohne Begrenzungen. Einschränkun- die Zeit für eine Vier. Du kriegst... grübel ... eine Neun.“ traleinrichtungen gegen Hilfen vor Ort einzutauschen. Da- gen zu haben, ist ein völlig normales Phänomen. Auch Ich erwiderte: „Sie wissen schon, dass ich eine Prothese rüber hinaus: 90 Prozent des Wissens über Behinderung der aus medizinischer Perspektive behinderte Mensch am rechten Bein trage? Apropos, welche Zeit bin ich wird durch Medien vermittelt. Leider wird in den Medien ist ein begabter Mensch. Inklusion heißt, jede unnötige denn gelaufen?“ Seine Antwort: „07:35 min“. „07:35 viel zu unreflektiert von Menschen mit Behinderungen ge- Einteilung in Behinderte und Nichtbehinderte zu ver- min!“ rief ich erfreut: „Persönliche Bestzeit!“ Das ist das sprochen. Medienmacher müssen so über Menschen bannen. Im weiten Sinne geht es bei Inklusion um die Dilemma des Wettkampfsportes. Sollte er mir eine Eins mit Behinderungen berichten, wie die sich selbst sehen. Infragestellung von Zuordnungen und Kategorisierun- geben? Goldmedaille für Rainer Schmidt, obwohl er als Zum Beispiel sind Menschen im Rollstuhl nicht an diesen gen. Wer permanent Jungs von Mädchen, Schwarze von Letzter ins Ziel gekommen ist? Andererseits war ich der gefesselt. Der Rollstuhl ermöglicht Freiheiten. Niemand ist Weißen, Reiche von Armen, Große von Kleinen, Klugen einzige mit persönlicher Bestzeit und hätte eigentlich trotz Behinderung glücklich, sondern wegen eines glück- von Dummen unterscheidet, verfestigt Kategorien, die die beste Note bekommen müssen. Kaum hatte ich die- lichen Ereignisses. Die Aktion Mensch, früher Sorgenkind zuweilen unangemessen und oft genug schädlich sind. sen Gedanken ausgesprochen, meldete sich ein Mäd- steht beispielhaft für diesen Wandel: Einst gab es Medien- 2. Von der Einschränkung des Einzelnen hin zur chen: „Ich müsste eigentlich auch in eine andere Start- kampagnen über arme Behinderte, heute wird die Norma- Aufgabe, die alle angeht. Das bedeutet: Nicht‐Teilhabe klasse. Sabine ist 20 Kilogramm leichter als ich und 10 lität des Lebens mit Grenzen dargestellt. und Barrieren‐überwinden sind nicht mehr Probleme cm größer. Ist doch klar, dass die schneller laufen kann.“ eines Einzelnen. Es ist Aufgabe der gesamten Gesell- Da begriffen wir: Jeder Wettkampf ist immer ein Ver- Welche Rolle haben die Kirchen beim Thema Inklusion? schaft, Teilhabe zu ermöglichen. In Kurzform: Es heißt gleich zwischen Äpfeln und Birnen. Sport als Wett- Die Kirchen sollten eigentlich Inklusionsagenten sein. Das nicht mehr „Ich bin behindert“, sondern „Wir ermögli- kampf muss immer bemüht sein, faire Wettkampfklas- wäre der Anspruch. Meine Erfahrung ist: viele Menschen chen Teilhabe“. Wenn ich gefragt werde, was der Unter- sen zu bilden. Ich war schlicht in der falschen Klasse kümmern sich in den Kirchen um Teilhabe von Menschen schied zwischen einem behinderten Menschen und gestartet. Inklusion heißt nicht, jede und jeder muss mit Behinderung. Sehr engagierte Menschen. Es ist aber einem nichtbehinderten Menschen ist, sage ich gerne: immer und überall alles mitmachen dürfen. Ich habe noch immer viel zu oft ein Kümmern um andere, statt mit „Meine Behinderung sieht man. Ihre wird erst offenbar, übrigens von dieser Erkenntnis sehr profitiert. Gäbe es anderen etwas zusammen zu machen. Im Grunde handelt wenn wir Tischtennis gegeneinander spielen.“ Oder keine Startklasse für Herren, Kurzarmige, hätte ich nie es sich um eine Vorform des klassischen Diakoniemodells. wenn Sie predigen sollen, dann könnten Sie sich auch als Gold gewonnen. Nur in einem Wettkampf, der unter Den gedanklichen Wechsel hinzubekommen, dass Men- begrenzt erweisen. Auf dem Gebiet bin ich wiederum einigermaßen homogenen Teilnehmern stattfindet, schen mit Behinderung vollwertige Mitglieder der Kirche talentiert. Beim Klavierspielen habe ich wieder Nachtei- kann ich glänzen. Im Wettkampfsport sind Abgren- sind, müssen wir noch einüben. le. Ich bin von meinem Wesen her kein Behinderter, zungen also völlig legitim. Doch in einem wettkampf- Aber grundsätzlich gilt für mich: Ich bin froh, dass es sondern nur partiell eingeschränkt. Das gilt allerdings geprägten Bereich wie dem Sport ist Inklusion möglich. die Kirche gibt. Sie ist für mich ein Lebensraum, in dem Menschen nicht Rainer Schmidt auf dem für jeden Menschen. Die Lösung liegt in einer geänderten Aufgabenstellung, miteinander verglichen werden (müssen). Wo die Gleichwertigkeit aller Podium des Kirchentags 2013 zum Beispiel: „Jeder läuft in seinem Tempo. Nach 10 Menschen bei gleichzeitig großer Einzigartigkeit wenigstens noch gepredigt in Hamburg Probieren, wie Minuten sollt ihr einen Puls von 150 haben.“ oder es wird. Wo Jugendarbeit nicht aus Wettkampfspielen besteht. Gut, manchmal Teilhabe gelingt heißt: „Wir trainieren heute Beweglichkeit am Tisch entdecke ich auch in den Kirchen Barrieren. Schließlich sind Gemeinden (früher wäre es Beinarbeit gewesen, das aber können nicht identisch mit dem Reich Gottes: Wenn im Gottesdienst für Kranke und Rainer Schmidt ist Pastor, Wichtig in dem Zusam- einige von uns nicht mitmachen)“. Alle Teilnehmenden Behinderte gebetet wird, als würden nicht alle hin und wieder krank werden Buchautor, Dozent, Kabarettist menhang ist die Frage: sollen Erfolgserlebnisse haben und das Gefühl der Da- und als wären wir nicht alle arg begrenzt. Gerne zitiere ich die Theologin und Paralympicssieger im Fotos: epd bild (1), C. Plautz (1) Mit welcher Einstel- zugehörigkeit. Menschen sind soziale Wesen. Dorothee Sölle: „Gott hat keine anderen Hände als unsere.“ Ja, unsere! Also Tischtennis. Der mehrfache lung, inneren Haltung Ich erinnere noch einmal daran, wie mein Trainer meine nicht, aber die der anderen. Das heißt, es sind unsere Hände. Denn Weltmeister gehört mit sechs begegnen wir einan- beim ersten Training zu mir sagte: „Ich weiß nicht, wie Talente, Begabungen und Charismen haben wir, damit wir sie in den Dienst Goldmedaillen zu den erfolg- der? Betrachten wir du mit uns Tischtennis spielen kannst, aber wir werden des Zusammenlebens stellen. Eltern stellen sich in den Dienst der Kinder, wer reichsten Teilnehmern bei den einen Menschen als es gemeinsam herausfinden.“ Inklusion heißt: Gemein- predigt, macht das für andere. Ebenso sind wir alle Angewiesene. Inklusion ist Paralympics. Er beendete seine behindert oder ha- sam ausprobieren, wie mehr Teilhabe gelingen kann. eigentlich völlig selbstverständlich. Sportkarriere 2008 in Peking. ben wir Augen für Inklusion ist gut für alle, weil alle herzlich willkommen seine Talente? In sind und alle mitmachen sollen. 14 weltbewegt weltbewegt 15
Schwerpunkt Dem behinderten Gewagte Vorstellung Gott begegnen Schließlich möchte ich darüber nachdenken, als Ergebnis der Begegnung mit dem behinderten Gott eine riskierende Vorstel- bekommen. Die meisten Pfade erwiesen sich als heimtückisch und ungangbar. Wir sind unzufrieden und bereit, neue Vorstel- heit, der man unfreiwillig beitreten kann, ohne Vorwarnung und jederzeit. Dieses Risiko kann Kreativität und Offenheit hervorru- lung zu entwickeln. Ich habe eine Freundin, Alice Wexler, die von lungen zu riskieren, neue Symbole und erneuertes Bemühen fen für das, was Gott tun wird. Für einige ist es riskant, dem der Huntington-Krankheit bedroht ist, einer genetisch bedingten einzusetzen, um unsere versteckte Geschichte zu entdecken. behinderten Gott zu begegnen. Wie auch immer: Ich glaube, Die US-amerikanische Theologin Krankheit. Diese Erkrankung trifft Menschen in der Mitte ihres Wir stellen diese Frage auch anderen, die sich betreffen lassen: dass diese Begegnung die Möglichkeit eröffnen kann, wahrzu- und Professorin für Religionssoziologie fünften Lebensjahrzehntes und führt zu einem anhaltenden, fort- Bist du bereit, das Risiko einzugehen, Gott tiefer zu verstehen, nehmen, wie Gott schon in der Welt handelt, und neue und bes- schreitenden Verlust geistiger und nervlicher Fähigkeiten. Alice indem du dich auf volle Teilhabe von Menschen mit Behinderun- sere Vorstellungen zu entwickeln. Die Kirche muss sich selbst Nancy L. Eiesland, selbst von Geburt beobachtete ihre Mutter, wie sie einen langen und schmerzvol- gen und chronisch Kranken in deiner Gemeinschaft und darüber riskieren, wenn sie Gerechtigkeit verwirklicht sehen will. Ich bin an behindert, entwickelte eine Befrei- len Tod an dieser Huntington-Krankheit starb. Sie und ihre hinaus einlässt? Werden wir gemeinsam eine riskierende theolo- überzeugt, dass wir, wenn wir unsere christliche Tradition sorg- ungstheologie der Behinderung. Schwester haben hart daran gearbeitet, Forscher dabei zu gische Vorstellung entwickeln, die fragt, was Gottes Vision fältig und kritisch betrachten, Stücke einer verschütteten unterstützen, die genetische Spur dieser Krankheit zu entde- menschlichen Wohlergehens nicht allein für einige ist, sondern Geschichte entdecken und – vielleicht noch wichtiger – Wegzei- Zentral ist für sie die Erkenntnis, dass cken. Nach etwa einem Jahrzehnt wurde der genetische Marker für alle, nicht allein für die Ent-hinderten, sondern auch für die chen entdecken, die uns auf dem Weg zu menschlichem Wohl- der auferstandene Christus sich selbst gefunden und ein Test entwickelt, der Menschen mit dem Risiko Behinderten, nicht allein für die in den westlichen Ländern, son- ergehen weiterbringen. Wenn wir riskieren, dem behinderten als verwundeter, behinderter Gott zu dieser Erkrankung darüber Aufschluss geben kann, ob sie das dern auf der ganzen Welt? Menschen mit Behinderungen kön- Gott zu begegnen, werden wir möglicherweise mit größerer Gen in sich tragen, das heißt, ob sie die Huntington-Krankheit nen christliche Gemeinden befähigen, die Bedeutung von Unter- Klarheit wahrnehmen, in welcher Fülle Gott in der Unverwech- erkennen gab. Dem „behinderten Gott“ entwickeln werden – denn diese Gene zu haben bedeutet sicher, schiedlichkeit in unserer Mitte neu zu bedenken. Unsere Gegen- selbarkeit und Vielfalt um uns herum wahrzunehmen ist. begegnen bedeutet, Gerechtigkeit für die Krankheit zu bekommen. Nachdem sie für diesen Test gear- wart erinnert jede und jeden, dass die Abgrenzungen zwischen Menschen mit Behinderungen zu beitet hatte, entschied Alice sich jedoch, ihn nicht selbst durch- Gruppen gegenseitig sind und sich verschieben, ohne klare (Auszug aus: Nancy L. Eiesland „Dem behinderten Gott begegnen“ in: zuführen. Sie erklärte ihre Wahl, in dem sie mir und anderen Grenzen. Einzelne, die derzeit ent-hindert sind, können mit mehr Der Mensch lebt nicht vom Brot allein. Hg: Stephan Leimgruber, verwirklichen und das Risiko einzu- sagte, sie könnte mit dem Risiko leben, aber sie fände es – als fünfzigprozentiger Wahrscheinlichkeit körperlich behindert Annebelle Pithan, Martin Spiekermann, Comenius Institut Münster, gehen, alte theologische Gewissheiten gleich, ob der Test ein positives oder negatives Ergebnis hätte – werden, entweder auf Zeit oder auf Dauer. Wir sind eine Minder- 2001; Kasten: ebd, S. 22) und Lebensweisen kritisch zu prüfen sehr schwierig, sich damit abzufinden, nicht länger mit dem Risiko zu leben, wobei Risiko genetisch verstanden ist. Dem und neue zu entwickeln. Risiko ausgesetzt zu sein ist eine grundlegende Erfahrung menschlichen Lebens. Es ist unser Geburtsrecht. Welchen theologischen Nutzen wir daraus ziehen, liegt an uns. Wir kön- nen eine risikobereite Vorstellung pflegen, die versteht, dass wir, (...) Innerlich rasen wir gegenüber Gott oder uns selbst. wenn wir die Bedeutung von Behinderung und chronischer Wir rennen andauernd gegen die Begrenzungen Krankheit verstehen wollen, neue Wege in der Welt zu sein fin- unserer Menschlichkeit an. Wir entwickeln un- den können. Auf eine Veränderung zuzugehen, ist riskant. menschliche Zeitpläne, unmenschliche Erwar- Jedoch zu verharren, wo wir sind, ist tödlich. Hoffnungslosigkeit tungen an andere und uns selbst und un- für Menschen mit Behinderungen und für chronisch Kranke menschliche Bedürfnisse nach Reichtum und nimmt kein Risiko auf sich. Das ist, was uns beigebracht wurde. Erfolg. Stressbedingte Schädigungen wer- Aber die Entschlossenheit, Hoffnung zu üben im Kontext unse- den bald zu den wesentlichen Ursachen von res eigenen Lebens, unseres spirituellen Zuhauses und in der Behinderung in der westlichen Welt zählen, Welt ist riskant. Es gibt keine Gewissheit, dass unsere Mühen wenn wir unsere Körper zwingen, jenseits belohnt, unsere Klagen gehört, unsere Freuden gefeiert werden, gottgegebener Grenzen weiterzuarbeiten. dass unserem Schmerz Ehrfurcht gezeigt wird. Wir wissen nicht, Stressbedingte Behinderungen betreffen ob Gerechtigkeit geschehen wird, und trotzdem müssen wir Männer und Frauen im Alter zwischen drei- Hoffnung üben und für Gerechtigkeit arbeiten. Das ist Hoffnung ßig und fünfzig, etwa Bewegungsprobleme, als spirituelle Disziplin. Es gibt eine alte Geschichte, die Eli Wie- Schlaganfall oder Herzinfarkt. Sie lehren sel weitererzählt. Er sagt: „Ein Mann wanderte in einen tiefen uns, dass wir immer noch hören müssen auf Urwald und wusste nicht, wo er war. Plötzlich sah er einen älte- Gottes Ruf, in Fülle Mensch zu sein, was ren Mann auf sich zukommen, und so rief er: Hilf mir, ich habe bedeutet, die Grenzen unserer Sterblichkeit Abbildung: www.adpic.de mich verirrt! Der ältere Mann schüttelte den Kopf und sagte, zu akzeptieren. Es ist wichtig zu bemerken, auch er habe sich verirrt, aber er hätte einen guten Rat. Er deu- dass unsere Begrenzungen weder konstant tete rückwärts über seine Schulter. Gehe nicht in die Richtung. noch einheitlich sind. In der täglichen Glaubens- Die habe ich bereits ausprobiert.“ Theologisch haben Menschen praxis dem Ruf folgend, als Mensch und für an- mit Behinderungen fast alle, wenn nicht überhaupt alle, gut dere da zu sein, müssen wir lernen, unsere Sterb- gebahnten theologischen Wege ausprobiert, um eine Antwort lichkeit so zu lieben, wie Gott das tut. (...) auf unsere Frage nach der Bedeutung einer Behinderung zu 16 weltbewegt weltbewegt weltbewegt 17 17
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