Afghanistan: Der Westen scheitert - China und Russland gewinnen?
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NR. 59 SEPTEMBER 2021 Einleitung Afghanistan: Der Westen scheitert – China und Russland gewinnen? Der Blick aus Peking und Moskau Sabine Fischer / Angela Stanzel Russland und China gelten als machtpolitische Profiteure des westlichen Abzugs aus Afghanistan. Sowohl im chinesischen als auch im russischen Diskurs werden aber neben triumphierenden Kommentaren zum westlichen Scheitern auch ernste Befürch- tungen im Hinblick auf die regionale Sicherheitslage laut. Westliche Akteure sollten sich um ein differenzierteres Verständnis der Pekinger und Moskauer Perspektiven bemühen. Daraus könnten sich auch Möglichkeiten der Kooperation ergeben, die der Stabilisierung Zentralasiens und Afghanistans dienen. Angesichts des sich verschär- fenden globalen Systemwettbewerbs wird der Spielraum für Zusammenarbeit jedoch begrenzt bleiben. In der westlichen Debatte herrscht die Über- beschränkt, greift zu kurz. Denn das Schei- zeugung vor, Moskau und Peking nutzten tern des Westens bedeutet nicht automa- nun das Machtvakuum, das die USA und tisch einen Gewinn für Peking und Moskau. ihre Verbündeten in Afghanistan hinter- China und Russland müssen sich schließ- lassen haben, um ihre eigene Position aus- lich ebenfalls mit den Gefahren auseinan- zubauen. Dies trifft in Teilen sicherlich dersetzen, die von Afghanistan auf regio- zu: Die USA ziehen sich aus Afghanistan naler Ebene ausgehen und chinesische zurück, um ihren globalen Auftritt neu zu und russische Interessen direkt gefährden ordnen. Den europäischen Verbündeten könnten. bleibt nicht viel anderes übrig, als Washing- ton zu folgen. Damit ist der Abzug aus Afghanistan aus chinesischer und russi- Niedergang des Westens – scher Sicht ein weiterer Beleg für die fort- Beginn einer neuen Weltordnung schreitende Schwächung der westlichen Allianz. Das allein gibt Moskau und Peking Aus Moskauer Perspektive ist der westliche Auftrieb, die schon seit Jahren das Ende Rückzug aus Afghanistan ein Indiz für den einer westlich dominierten liberalen Welt- Niedergang der amerikanischen Hegemo- ordnung heraufbeschwören. Wer aber nie. Demnach vertieft der Afghanistan- beider Perspektive auf die globale Ebene Rückzug die Krise der amerikanischen Iden-
tität und zeugt insgesamt für die wachsende pazifik zu konzentrieren. Im offiziellen Instabilität und Anfälligkeit westlicher chinesischen Narrativ wird häufig darauf Demokratien und ihrer Außenpolitik. Das verwiesen, dass die USA und die Europäer westliche Scheitern in Afghanistan gilt Mos- ein Chaos in Afghanistan hinterlassen kau als ein weiterer Meilenstein auf dem haben und nun von China und Russland Weg zu einer multipolaren Weltordnung, erwarten, dass sie dessen Kosten und Folgen in der die USA nur mehr die Rolle einer tragen. Ob China jedoch mit den USA in Großmacht unter anderen spielen und zu- Afghanistan zusammenarbeiten werde, sehends unter chinesischen Druck geraten. hänge davon ab, wie die USA anderswo Ein disparater Westen unter geschwäch- (also: im Indopazifik) gegenüber China ter amerikanischer Führung wird in Zu- agierten. kunft von Demokratieexport mittels Regime- wechselpolitik in anderen Weltregionen absehen müssen. Der Abzug der Nato-Trup- Auf regionaler Ebene überwiegen pen wird so zur Chiffre für die neue Un- die Gefahren zuverlässigkeit Washingtons im Verhältnis zu seinen Partnern und Verbündeten in Unterhalb der Ebene globaler Weltord- aller Welt – aus russischer Sicht ist dies nungsfragen treten vielschichtige Risiken eine Botschaft, die in seiner Nachbarschaft in den Vordergrund, mit denen sich Mos- vor allem die Ukraine betrifft. Russische kau und Peking in Afghanistan konfrontiert Beobachterinnen und Beobachter registrie- sehen. ren aufmerksam die Enttäuschung jener Aus chinesischer Sicht ist die größte europäischen Nato-Partner, die sich von der Gefahr ein »spill-over«-Effekt, der sowohl Biden-Administration in Washington eine von dem radikal-islamischen Terrorismus Renaissance des transatlantischen Bündnis- als auch vom Zufluss von Drogen nach ses erhofft hätten. Die EU erweist sich in China ausgehen kann. Chinas Kerninteresse den afghanischen Wirren in den Augen mit Blick auf Afghanistan richtet sich seit Moskaus einmal mehr als unfähig, selb- langem einzig und allein auf die Sicherheit ständig zu handeln. Die Frage, ob und wie der eigenen Grenzen. Dies liegt einerseits viele Geflüchtete aus Afghanistan in Europa an den von Afghanistan ausgehenden aufgenommen werden sollten, stelle ihre Sicherheitsbedrohungen, andererseits an Mitgliedstaaten vor eine weitere Zerreiß- der Nähe zur autonomen Region Xinjiang. probe und unterlaufe den europäischen In Xinjiang vermutet Peking unter der mus- Wertekonsens. Im Hinblick auf Afghanistan limischen Minderheit der Uiguren poten- (und darüber hinaus) gehört die Bühne nun tielle islamistische Terroristen und hat daher China, Russland und relevanten regionalen eine Reihe neuer extremer Sicherheitsmaß- Akteuren wie Pakistan und Iran. nahmen getroffen, um die Kontrolle über Auch in Peking wird der westliche Rück- die Uiguren zu verschärfen; dazu gehören zug aus Afghanistan als weiteres Indiz etwa die sogenannten »Bildungszentren«, dafür gesehen, dass »der Westen absteigt bei denen es sich faktisch um Internie- und der Osten aufsteigt«, ein Narrativ, rungslager handelt. Die chinesische Regie- das im Kontext des globalen Systemwett- rung sieht in Terrorgruppen – insbesondere bewerbs immer öfter verwendet wird. Auch der Islamischen Bewegung Ostturkestan China hat den Rückzug der USA aus Afgha- (ETIM), die die Unabhängigkeit Xinjiangs nistan sogleich zum Anlass genommen, anstrebt – die größte Bedrohung der natio- anderen Ländern, auch europäischen, zu nalen Sicherheit. signalisieren, dass sie sich auf die USA nicht Insofern gilt der Sicherheitslage in Xin- verlassen können. Zugleich betrifft China jiang ein Hauptaugenmerk der Führung in dieser Rückzug insofern auch direkt, als die Peking. Als die Nato 2010 ankündigte, die USA angekündigt haben, ihre Ressourcen ISAF-Mission in Afghanistan zu beenden, fortan auf den Konflikt mit China im Indo- stellte sich für Peking bereits die Frage, ob SWP-Aktuell 59 September 2021 2
und wie bei einem schrittweisen Abzug der Regierung am ehesten in der Lage sein internationalen Truppen die Sicherheit in könnte, die Sicherheit der chinesischen Afghanistan auch langfristig gewährleistet Grenzen zu stabilisieren und ISIS-K in werden könne. Greifbarer wurde die Bedro- Schach zu halten. Mit dem Empfang der hung für China, nachdem sich ein Ableger Taliban in Tianjin hat China signalisiert, (ISIS-K, wobei das »K« für die historische dass es durchaus gewillt ist, eine Taliban- Region Khorsan steht) des »Islamischen Regierung in Kabul anzuerkennen. Im Staates« (IS) 2015 in Afghanistan etabliert Gegenzug, so ist zu vermuten, dürfte hatte. Peking befürchtet, dass ISIS-K auch in Peking Zusicherungen bekommen haben, der afghanischen Provinz Badakhshan Fuß dass die Taliban nach Kräften verhindern gefasst hat, die an China grenzt, und dass werden, dass radikal-islamistische Terror- sich eine wachsende Zahl von ETIM-Anhän- gruppen nach Xinjiang eindringen. gern der Gruppierung anschließen (eine Parallele zu den Entwicklungen Ende der Moskau verfolgt mit seiner Afghanistan- 1990er Jahre unter der damaligen Taliban- Politik vor allem drei Ziele: Die jetzige In- Herrschaft, als radikale Islamisten von stabilität in Afghanistan darf sich erstens Afghanistan aus die Separatistenbewegung nicht über dessen Grenzen hinaus nach in Xinjiang unterstützten). Zentralasien ausweiten. Dies betrifft Während die nur 76 Kilometer lange Kampfhandlungen, aber auch Flucht und Grenze (am östlichen Ende des Wakhan- Migration. Die Gefahr einer Destabilisie- Korridors gelegen) zwischen China und rung der verbündeten zentralasiatischen Afghanistan leicht kontrolliert werden Republiken bereitet große Sorge. Moskau kann (seit 2017 auch durch chinesisches bietet die gegenwärtige Situation auch eine Sicherheitspersonal auf afghanischer Seite), Gelegenheit, seine Position als Sicherheits- sieht China vor allem auch in Tadschikistan garant für die zentralasiatische Region zu Sicherheitsbedrohungen. Aufgrund der nur festigen. Eine erneute westliche Präsenz in schwer zugänglichen Gebiete an der Grenze Zentralasien zur Stabilisierung des Umfelds sowohl zu Afghanistan wie auch zu China rund um Afghanistan wird in Moskau als gilt Tadschikistan als Land, das Terrorgrup- unerwünscht explizit ausgeschlossen. pen in besonderem Maße die Gelegenheit Russland hat in seiner jüngsten Ge- bietet, nach Xinjiang einzudringen. China schichte eine Serie islamistisch motivierter führt daher inzwischen mit Tadschikistan terroristischer Anschläge erlitten und sieht gemeinsame Anti-Terrorismus-Übungen in der Kombination von islamistischen durch, die jüngste fand vom 18. bis 20. Au- Gruppierungen im russischen Nordkauka- gust 2021 statt, und pflegt seit 2016 mit sus, Rückkehrern aus Kriegsgebieten wie Afghanistan, Pakistan und Tadschikistan Syrien und transnationalen terroristischen eine Zusammenarbeit bei der Terrorismus- Netzwerken eine äußerst große Bedrohung. bekämpfung. Deshalb sollen, zweitens, transnationale China hat in den vergangenen Jahren in terroristische Gruppierungen wie ISIS(-K) bi- und minilateralen Formaten den Dialog oder al-Qaida daran gehindert werden, mit den Taliban gesucht (seit 2016 etwa wieder in Afghanistan Fuß zu fassen und im Rahmen der Quadrilateralen Koordinie- von dort aus in Zentralasien oder Russland rungsgruppe [QCG] zusammen mit Afgha- Operationen durchzuführen. Die Eindäm- nistan, Pakistan und den USA). Diese Kon- mung des Handels mit Drogen, die aus takte haben die Grundlage für den aktuel- Afghanistan stammen oder das Land auf len Austausch zwischen Peking und Tali- dem Transitweg passieren, ist das dritte Ziel ban-Vertretern geschaffen; Ende Juli kam der russischen Politik. es zu einem offiziellen Besuch der Taliban Wie Peking sieht auch die russische und einem Treffen mit dem chinesischen politische Führung die Hauptansprechpart- Außenminister Wang Yi in Tianjin. Pekings ner für die Umsetzung dieser primären Kalkül ist dabei, dass derzeit eine Taliban- Ziele in den neuen Herrschern in Kabul. SWP-Aktuell 59 September 2021 3
Die Taliban sind 2003 in Russland als ter- weise Russland. In chinesischen Medien roristische Organisation verboten worden. wird Afghanistan bereits eine Rolle in der Dennoch begann Moskau bereits Mitte chinesischen Seidenstraßeninitiative (BRI) des vergangenen Jahrzehnts – zunächst zugeschrieben. Eine chinafreundliche Tali- im Verborgenen, dann mit zunehmendem ban-Regierung könnte Peking im Gegenzug Selbstbewusstsein und vor den Augen der die Ausbeutung der vermeintlich immen- Weltöffentlichkeit –, mit den Taliban zu sen natürlichen Ressourcen (wie Kupfer sprechen. Es handelte sich dabei um eine oder Lithium) in Aussicht stellen. (unter vielen) Absetzbewegung(en) von Ob Afghanistan tatsächlich Teil der BRI westlich dominierten diplomatischen werden könnte (offiziell gab es bereits 2016 Initiativen. Die veränderte Haltung gegen- eine entsprechende Absichtserklärung Chi- über den Taliban entsprang aber vor allem nas und Afghanistans) und China in gro- der Erkenntnis, dass sie trotz der Präsenz ßem Stil in die afghanische Infrastruktur der US- und Nato-Truppen wieder an Ein- und den Abbau von Ressourcen investieren fluss gewannen. Vom raschen Kollaps wird, hängt in erster Linie davon ab, ob die der afghanischen Armee war Moskau Taliban imstande sein werden, das Land zu jedoch ähnlich überrascht wie die Nato- stabilisieren. Die Taliban kontrollieren bis Verbündeten. Bis heute herrscht Unsicher- dato nicht alle islamistischen Gruppierun- heit über den Charakter und die Ziele der gen in Afghanistan und schon gar nicht Bewegung, und über die möglichen Folgen ISIS-K, der für den Terroranschlag am Flug- ihrer Politik für Russland. Moskau folgt hafen von Kabul im August verantwortlich einer für die russische Außenpolitik typi- war. Solange chinesische Investitionen mit schen realpolitischen Linie und enthält sich großen Sicherheitsrisiken behaftet sind, jeder Stellungnahme zur innenpolitischen dürfte Peking sich zurückhaltend zeigen. Situation oder zur Menschenrechtslage in Völlig offen ist auch, ob die afghanische Afghanistan. Russische Diplomaten äußer- Regierung unter Führung der Taliban in der ten sich nach der Einnahme Kabuls zu- Lage sein wird, den Abbau der natürlichen nächst positiv über die ersten Schritte der Ressourcen des Landes zu organisieren. Taliban. Verteidigungsminister Sergei China müsste gegebenenfalls nicht nur in Schoigu bezog allerdings eine deutlich kri- Minen, sondern in erheblichem Maße auch tischere Position und verwies auf die gro- in die notwendige Infrastruktur investieren. ßen Sicherheitsrisiken, die sich aus der Ein weiteres Dilemma dürfte aus chinesi- neuen Situation in Afghanistan ergeben. scher Perspektive der Anbau von Schlaf- Die russischen Regierungsinstitutionen und mohn darstellen, der die größte Einzel- Sicherheitsdienste scheinen sich in ihrer einnahmequelle der Taliban ist und dies Einschätzung der Lage also nicht unbedingt voraussichtlich auch bleiben wird. Es dürfte einig zu sein. Dennoch deutet vieles darauf für jeden Partner einer Taliban-Regierung hin, dass Russland die Taliban anerkennen schwierig sein, sie davon zu überzeugen, und von der nationalen Liste terroristischer auf diese lukrative Einnahmequelle zu Organisationen streichen wird. verzichten. In Moskau herrschen kaum Zweifel, dass China die entscheidende Rolle bei der Wirtschaftlicher Gewinn? weiteren politischen und wirtschaftlichen Entwicklung Afghanistans spielen wird. Die Vertreter der Taliban äußerten während Wirtschaftlich hat Russland wenig zu bie- ihres Besuchs Ende Juli in Tianjin die Hoff- ten – wie in Syrien fehlt es ihm an Kapazi- nung, dass China ihr Land wirtschaftlich täten für Wiederaufbau und Entwicklung. und finanziell unterstützen werde. Tatsäch- Die extreme Instabilität schreckt auch russi- lich kann China Afghanistan, und poten- sche Investoren ab. Nicht umsonst dreht sich tiell auch einer Taliban-Regierung, wirt- der russische Diskurs nahezu ausschließlich schaftlich viel mehr bieten als beispiels- um Sicherheitsfragen. Die Eurasische Wirt- SWP-Aktuell 59 September 2021 4
schaftsunion, der ohnehin nur Kasachstan fehlt, selbst wenn es den politischen Wil- und Kirgistan als Vollmitglieder angehören, len hätte, die wirtschaftliche Kraft für spielt hier kaum eine Rolle. weitergehendes Engagement. Peking konzentriert sich auf die eng definierte Wahrung seiner Sicherheitsinteressen Fazit und zeigt bislang keine große Neigung, ökonomische Risiken einzugehen. Die Peking und Moskau haben bislang ihre wirtschaftliche Integration und Stabili- Äußerungen und Positionen zur Lage in sierung Afghanistans im Rahmen der BRI Afghanistan abgeglichen. Am 30. August ist daher zumindest mittelfristig unwahr- 2021 ließen sie durch Stimmenthaltung im scheinlich. Wie selten zuvor wird im rus- UN-Sicherheitsrat die Verabschiedung einer sischen Diskurs Chinas Primat als Staat Resolution zu, die die Taliban auffordert, unterstrichen, der für die wirtschaftliche weiterhin Menschen ausreisen und Afgha- und damit auch politische Zukunft Af- nistan nicht zu einem sicheren Hafen für ghanistans maßgeblich ist. Dies spricht transnationalen Terrorismus werden zu für die zunehmende Asymmetrie im rus- lassen. Es ist davon auszugehen, dass sie sisch-chinesischen Verhältnis. diese Form der Koordination auf internatio- ∎ Weil vor allem China bislang kein Inter- naler Ebene fortführen werden. Die an- esse an einem nennenswerten wirtschaft- haltende Ungewissheit verbietet weiterrei- lichen Engagement erkennen lässt, wird chende Aussagen darüber, wie die russische Afghanistan auch in Zukunft auf west- und die chinesische Politik sich entwickeln liche humanitäre und Entwicklungshilfe werden. Das bisher Gesagte lässt indes vor- angewiesen bleiben. Hier liegt auch das läufige Schlussfolgerungen zu: größte Potential für Deutschland, bzw. ∎ Russland wird vorerst durch seine bilate- die EU, sich zu engagieren – soweit ralen Beziehungen zu den zentralasia- das mit der neuen Taliban-Regierung tischen Staaten und durch die von ihm in Kabul möglich ist. Darüber hinaus geführte Organisation des Vertrags über wäre aber auch die Zusammenarbeit mit kollektive Sicherheit (OVKS) wichtigster Peking und Moskau wünschenswert. Der Sicherheitsgarant in Zentralasien blei- geopolitische Großkonflikt um die Aus- ben. Da China sich auf die Sicherung richtung der neuen Weltordnung, der der eigenen Grenzen konzentriert, wird die Haltung Moskaus und Pekings zu den es sich wahrscheinlich nur punktuell USA und zur EU bestimmt, wird dem engagieren. Auf dem Gipfel der Shang- jedoch enge Grenzen setzen. Kooperation haier Organisation für Zusammenarbeit mit den USA und der EU würde der (SOZ) in Duschanbe am 16. und 17. Sep- Großmacht-Rhetorik widersprechen, tember 2021 könnte bereits deutlich der sich beide Staaten derzeit bedienen. werden, ob und, falls ja, welche Rolle die China wie Russland machen deutlich, SOZ spielen wird. Wie intensiv Moskau dass sie nicht vom Westen geschaffene und Peking in Belangen regionaler Sicher- Probleme lösen werden. Selbst wenn heit kooperieren und ob möglicherweise Zusammenarbeit zustande käme, sollten Meinungsverschiedenheiten zur Sicher- westliche Akteure nicht der Illusion heitslage in Zentralasien auftreten wer- aufsitzen, dass sich an dieser Rhetorik den, wird davon abhängen, wie sich die und an den damit verbundenen Wahr- hochvolatile Situation in Afghanistan nehmungen etwas ändern wird. und entlang seiner Grenzen entwickeln Darüber hinaus erschweren grundsätz- wird. lich unterschiedliche Herangehens- ∎ Peking und Moskau werden sich in Afgha- weisen an Entwicklungszusammenarbeit nistan und in der benachbarten Region oder den Kampf gegen Terrorismus oder Zentralasien vor allem auf Sicherheits- Drogen jedwede praktische Kooperation: kooperation beschränken. Russland China und Russland setzen auf Sicher- SWP-Aktuell 59 September 2021 5
heit, Moskau insbesondere auf militä- lichkeit folgen. Begrenzte Zusammenarbeit rische Mittel. Die EU hingegen hatte in könnte zu einer langsamen Besserung der der Vergangenheit ihren Schwerpunkt Lage in Afghanistan führen – eine sub- auf zivile Hilfemaßnahmen, Staats- stanzielle Entspannung der Beziehungen aufbau, Polizeireform oder substanzielle zwischen der EU, Russland und China ist Entwicklungshilfe gelegt. Für die EU von ihr aber nicht zu erwarten. gilt es nun, mögliche Bereiche der Zu- sammenarbeit mit dem neuen Taliban- Regime zu identifizieren und sicher- zustellen, dass etwa die von der EU an- © Stiftung Wissenschaft gekündigte humanitäre Hilfe auch bei und Politik, 2021 der afghanischen Bevölkerung ankommt. Alle Rechte vorbehalten Ob dies aber in Zusammenarbeit mit Chi- na und Russland gelingen kann, ist frag- Das Aktuell gibt die Auf- lich. In Zeiten des Systemwettbewerbs fassung der Autorinnen wieder. sind eher Widersprüche und wechsel- seitige Blockaden zu erwarten als Syn- In der Online-Version dieser ergien. Je mehr dieser Wettbewerb Publikation sind Verweise zwischen den USA und China (und Russ- auf SWP-Schriften und land) an Schärfe gewinnt, desto weniger wichtige Quellen anklickbar. Spielraum bietet sich Akteuren wie SWP-Aktuells werden intern Deutschland und der EU für eine Zusam- einem Begutachtungsverfah- menarbeit. ren, einem Faktencheck und einem Lektorat unterzogen. Russland und China profitieren auf globaler Weitere Informationen Ebene von der Schwächung, die der Westen zur Qualitätssicherung der SWP finden Sie auf der SWP- nach dem Abzug aus Afghanistan erfahren Website unter https://www. hat. Die neue Situation konfrontiert sie aber swp-berlin.org/ueber-uns/ auch mit ernsten sicherheitspolitischen qualitaetssicherung/ Herausforderungen, für die sie bislang keine Lösung haben. Westliche Akteure SWP Stiftung Wissenschaft und müssen das berücksichtigen und sollten die Politik chinesische und russische Politik nicht nur Deutsches Institut für im geopolitischen Kontext interpretieren. Internationale Politik und Der Großkonflikt mit dem Westen über- Sicherheit lagert das gemeinsame Interesse an regio- naler Sicherheit und wird Kooperation Ludwigkirchplatz 3–4 10719 Berlin behindern, die der wirtschaftlichen und Telefon +49 30 880 07-0 politischen Stabilisierung Afghanistans und Fax +49 30 880 07-100 seiner Nachbarschaft dienen könnte. Die www.swp-berlin.org EU sollte dennoch mit beiden Staaten, vor swp@swp-berlin.org allem aber mit Peking das Gespräch dar- ISSN (Print) 1611-6364 über suchen – schon allein um der Ver- ISSN (Online) 2747-5018 antwortung gerecht zu werden, die west- doi: 10.18449/2021A59 liche Akteure für die humanitäre Kata- strophe in Afghanistan tragen. Russland ist in dieser Hinsicht ein zweitrangiger Spieler und wird China mit großer Wahrschein- Dr. Sabine Fischer ist Senior Fellow in der Forschungsgruppe Osteuropa und Eurasien. Dr. Angela Stanzel ist Wissenschaftlerin in der Forschungsgruppe Asien. SWP-Aktuell 59 September 2021 6
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