Alles auf Zucker - Max-Planck-Gesellschaft

 
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Alles auf Zucker - Max-Planck-Gesellschaft
FORSCHER & GRÜNDER_Peter Seeberger

Alles auf Zucker
Auf neun Start-ups bringt es Peter Seeberger inzwischen. Mit ihnen will der Direktor
am Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung in Potsdam Ergebnisse
seiner Grundlagenforschung in die Anwendung bringen. So möchte er etwa zucker-
basierten Impfstoffen gegen multiresistente Bakterien den Weg in die Medizin ebnen.

TEXT CATARINA PIETSCHMANN

P
             eter Seeberger reißt mit        anzustoßen. Und sie sind kritischer        nächst mit der chemischen Seite des
             Schwung die Tür auf. Der        Checkpoint für die Erkennung von           Problems vertraut. Am Massachusetts
             letzte Termin – es ging um      Freund und Feind. Auch Bakterien und       Institute of Technology (MIT) in Boston
             die jüngste Firma – hat et-     Viren besitzen solche Fühler und klet-     baute er dann einen alten DNA-Synthe-
             was länger gedauert als ge-     ten sich damit an menschliche Zellen.      sizer für die Synthese von Mehrfach­
dacht. Doch so ist er schon mitten im        Das macht diese Zuckerketten, Glykane      zuckern um und gründete 2002 seine
Thema und legt los. Er spricht extrem        genannt, für die Medizin so interessant.   erste Firma – Ancora Pharmaceuticals.
schnell, er hat ja auch keine Zeit zu ver-   Als Antigene in neuartigen Impfstoffen,    Sie stellt Glykane nach Maß her. Die
lieren. Denn die Ideen, die aus dem          als Diagnostika, therapeutische Anti-      Potsdamer Firma GlycoUniverse, die See-
53-Jährigen nur so hervorsprudeln, wol-      körper oder Wirkstoffe. Peter Seeberger,   berger 2013 gründete, macht mit dem
len umgesetzt werden.                        seit 2009 Direktor der Abteilung „Bio-     Glyconeer 2.1 – dem ersten kommerzi-
    Zucker – das ist sein Thema. Nicht       molekulare Systeme“ am Max-Planck-         ellen Synthesizer für Mehrfachzucker,
die feinen, weißen Kristalle des allgegen-   Institut für Kolloid- und Grenzflächen-    den sein Team entwickelte – die Welt der
wärtigen Süßmachers, die man gleich          forschung in Potsdam ist einer der         Glykane nun auch für andere Forscher
vor Augen hat. Auch nicht Diabetes.          Pioniere der Glykanforschung.              und die Industrie leicht zugänglich.
Nein, Peter Seeberger interessieren die                                                     Mit dem Synthesizer ist es nun fast
biologischen Funktionen von länger-          MIT EINEM SYNTHESIZER                      ein Kinderspiel, relevante Zuckerstruk-
kettigen Zuckermolekülen, den Oligo-         ZU IMPFSTOFFKANDIDATEN                     turen von Krankheitserregern nachzu-
sacchariden. Jede lebende Zelle, egal ob                                                bauen und damit Kandidaten für Impf-
von Mensch, Tier oder Pflanze, ist von       Angefangen hat alles in Boulder (Colo-     stoffe herzustellen, die das menschliche
diesen Molekülen umgeben wie von ei-         rado), wo der Nürnberger nach dem          Immunsystem anregen, Antikörper zu
nem feinen Pelz.                             Chemiestudium in Erlangen in Bioche-       bilden. Um bei der Entwicklung zucker-
    Dort sind sie Teile von großen Mo-       mie promovierte. Warum, fragte er          basierter Impfstoffe näher an die klini-
lekülen, nämlich Glykoproteinen und          sich dort, gibt es zwar Automaten, mit     sche Anwendung zu kommen, als das
                                                                                                                                   Foto: David Ausserhofer

Glykolipiden, die wie kleine Antennen        denen man jede beliebige DNA synthe-       an einem Max-Planck-Institut möglich
aus der Zelloberfläche herausragen.          tisieren kann – aber nichts Vergleich-     ist, hat Seeberger 2015 die Vaxxilon
Über sie kommuniziert eine Zelle mit         bares für Glykane? Im New Yorker           AG an den Start gebracht. Das Unter-
der Umwelt. Hier docken Botenstoffe          Labor des Zuckersynthese-Spezialisten      nehmen hat vor allem hartnäckige
an, um Signalkaskaden im Zellinneren         Samuel Danishefsky machte er sich zu-      Krankenhauskeime im Visier. Darunter

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Der Chemiker Peter Seeberger hat während
seiner Zeit am MIT Gründen als ganz
normalen Akt erlebt. Auch deshalb treibt er
mit einigen Start-ups Entwicklungen vor
allem im Bereich der Glykobiologie voran.

die besonders gefährlichen, weil gegen
viele Medikamente resistenten Klebsiel-
la pneu­moniae (Auslöser von Lungen-
entzündung und Sepsis) und Clostridi-
um difficile (Darmentzündungen).

AUF SCHNELLEM WEG ZUM
MALARIAWIRKSTOFF ARTEMISININ

Zu Seebergers Vorbildern gehört der
US-amerikanische Mediziner und Mi­
krobiologe Maurice Ralph Hillemann
(1919–2005), der fast 40 Impfstoffe ent-
wickelt hat. Darunter Vakzine gegen
Masern, Windpocken, Hepatitis A und
B. „Er hat es geschafft, dass am Ende die
Welt ein bisserl besser geworden ist“,
sagt Peter Seeberger. Dieser Satz um-
schreibt auch seine eigene Motivation:
durch seine Forschung die Welt „ein
bisserl besser“ zu machen. Vor allem in
Regionen der Erde, wo es keine medizi-
nische Rundumversorgung gibt.
    Seeberger betreibt mit seiner Abtei-
lung in Potsdam Grundlagenforschung
aus wissenschaftlicher Neugier. „Aber
wenn wir etwas Interessantes finden,
verfolgen wir es weiter. Okay, die Frage,
ob es auch anwendbar ist, stelle ich mir

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Automatisierte Zuckersynthese: Der Synthesizer bringt die Reaktionspartner zum richtigen Zeitpunkt in der richtigen Menge zusammen.
Das Verfahren hat Seeberger in den Firmen Ancora Pharmaceuticals und GlycoUniverse kommerzialisiert.

eigentlich immer.“ So sind bis Januar           schiedene Krebsarten und auch gegen              klinische Entwicklung neuartiger Cho-
2020 neun Firmen entstanden.                    einige Autoimmun­erkrankungen wirk-              lesterinsenker auf Zuckerbasis. Angeregt
    Mit einem der Unternehmen, der              sam ist.“                                        durch die Anfrage eines dänischen Kol-
2013 gegründeten ArtemiFlow GmbH,                   Eine kommerzielle Durchflusssyn-             legen, hatte sich Seebergers Team mit
nimmt der Chemiker den Kampf gegen              these entwickelt auch die 2016 ent-              seiner umfangreichen Glykan-Biblio-
die Malaria auf. Daran sterben jährlich         standene FluxPharm. Diese Firma                  thek auf die Suche nach einem Zucker
fast 500 000 Menschen – vor allem Kin-          möchte mit ihrer Methode ebenfalls               gemacht, der effektiv an PCSK9 bindet.
der. Im Unterfangen, dagegen etwas zu           wichtige Medikamente kostengünstig               Dieses Enzym ist ganz wesentlich am
tun, hat ein Team um Peter Seeberger            herstellen – auch direkt in Entwick-             Fettstoffwechsel beteiligt. „Es bei Men-
auch einen Abstecher weg von den zu-            lungsländern. Erst kürzlich hat Peter            schen mit hohen Cholesterinwerten zu
ckerbasierten Impfstoffen gemacht. Die          Seebergers Gruppe sogar ein Gerät zur            hemmen ist wichtig, um drohende
Forschenden entwickelten eine Durch-            autonomen chemischen Synthese ent-               Herzinfarkte zu verhindern. Doch Sta-
flusssynthese-Apparatur, die mittels UV-        wickelt und patentieren lassen. Kleine           tine, die klassischen Cholesterinsenker,
Licht einen entscheidenden Schritt hin          Anlagen, die an einem beliebigen Ort             wirken leider bei jedem fünften Patien-
zum Malariawirkstoff Artemisinin voll-          stehen können und die man via Lap-               ten nicht.“ Seeberger fand einen Zucker,
zieht: Eine Substanz aus dem Beifuß             top steuern kann. Dadurch wäre es                der PCSK9 über einen anderen Mecha-
lässt sich damit innerhalb von 15 Minu-         künftig möglich, medizinische Wirk-              nismus als die Statine blockiert und oral
ten in den Wirkstoff umwandeln. Arte-           stoffe nach Bedarf in Entwicklungslän-           eingenommen werden kann.
miFlow produziert Artemisinin mithil-           dern zu produzieren. Aber auch die                   Noch ganz frisch ist die Tacalyx
fe dieses Verfahrens im großen Stil.            Produktion in Industrienationen wür-             GmbH, gegründet 2019 in Berlin. In die-
    Inzwischen gibt es auch die Tochter-        de wirtschaftlicher. „Kein Pharmaun-             sem Unternehmen möchte Seeberger
firma ArtemiFlow USA. „In Ken­tucky             ternehmen müsste mehr seine Wirk-                einem sehr mächtigen Gegner auf den
bauen wir nun auf ehemaligen Tabak-             stoffe in Billiglohnländern wie China            Zuckerpelz rücken: Krebs. Denn auch
feldern Beifuß an“, sagt der Chemiker.          oder Indien produzieren, sondern man             bösartige Tumore tragen Glykanstruktu-
                                                                                                                                             Foto: David Ausserhofer

Die Wissenschaftler wollen Artemisi-            könnte sie vollautomatisch in Deutsch-           ren auf ihren Zelloberflächen. Könnte
nin auch als einen potenziellen Wirk-           land herstellen.“                                man nicht gegen Krebs impfen, indem
stoff gegen Krebs untersuchen. „Mitt-               2017 entstand die Draupnir Bio ApS,          man mit Zuckerstrukturen von Tumor-
lerweile gibt es klinische Studien, die         die Seeberger gemeinsam mit däni-                zellen eine Immun­antwort beim Men-
zeigen, dass die Substanz gegen 114 ver-        schen Partnern gründete – für die prä-           schen hervorruft?

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                    Bereits als Postdoktorand war Seeberger     Mit der Suche nach zuckerbasierten
                    auf einen Impfstoffkandidaten aufmerk-      Impfstoffen hätte es einfach immer
                    sam geworden, der dann 20 Jahre später      weitergehen können. Doch nach dem
                    in Asien getestet wurde und 50 Prozent      Umzug der Arbeitsgruppe 2015 vom In-
                    der Probanden vor Krebs schützte, weil      terimsquartier auf dem Campus der
                    ihr Immunsystem Antikörper gegen            Freien Universität Berlin in einen Er-
                    Krebszellen bildete. Die andere Hälfte      weiterungsbau am Max-Planck-Institut
                    der Studienteilnehmer reagierte nicht       in Potsdam bekam Seebergers For-
                    auf die Zucker. Tacalyx entwickelt nun      schung einen neuen Impuls. Dort hat
                    monoklonale Antikörper gegen Zucker         er kohlenhydratbasierte Materialien in
                    auf der Oberfläche von Krebszellen, um      den Blick genommen. Ein Thema, das
                    diese gezielt zu bekämpfen.                 sich regelrecht aufdrängte, denn in
                                                                Potsdam sitzen die Experten für Bio-
                    KLEIDUNG AUS KREBSSCHALEN                   materialien nebenan. „Strukturelle As-
                    UND REISSTROH                               pekte hatte ich ja vorher kaum betrach-
                                                                                                                 Süße Verteidigung: Peter Seeberger und sein
                                                                tet – nur die biologische Funktion“,             Team suchen zuckerbasierte Impfstoffe, um die
                    Dass Peter Seeberger Ergebnisse aus der     erzählt er. „80 Prozent der Biomasse             Immunabwehr zur Produktion von Antikörpern
                    Grundlagenforschung, die er vielver-        auf der Erde besteht aus Zuckern – und           zu stimulieren, die etwa auf Glykoproteine
                    sprechend findet, immer wieder in           die meisten dieser Zucker haben struk-           von Krankheitserregern spezialisiert sind.

                    Start-ups umsetzt, liegt zum einen an       turelle Funktionen! Etwa Cellulose im
                    der Haltung etablierter Unternehmen         Holz oder Chitin bei Schalentieren.“             geworfen. Und allein in Vietnam wer-
                    gegenüber diesen Entwicklungen: „Wir            Ließe sich Baumwolle, deren Anbau            den jährlich 170 Millionen Tonnen
                    machen meistens etwas völlig Neues,         große Flächen und viel Wasser bean-              Reisstroh, das auch zum großen Teil aus
                    was mit einem Paradigmenwechsel ver-        sprucht, nicht durch Gewebe aus Krebs-           Cellulose besteht, verbrannt. Was für
                    bunden ist“, sagt der Chemiker. „Damit      schalen ersetzen? „Wir überlegen auch,           eine Ressource! „Die Vision ist es, auf
                    tut sich die Industrie oft schwer.“ Zum     wie wir Chitin mit Cellulose zusam-              Basis nachwachsender Rohstoffe eine
                    anderen ist es für ihn naheliegend, For-    menbringen könnten. Denn beides ist              völlig neue Kreislaufwirtschaft zu ent-
                    schung und Unternehmertum zu ver-           flexibel, und beides formt Fibrillen.“           wickeln: weg vom Öl – hin dazu, alles
                    binden. Das hat auch mit seiner Vita zu     Unkonventionelle, nachhaltige Hybrid-            auf Zuckerbasis herzustellen. Und das
                    tun. Am Anfang seiner Karriere war er       stoffe würden so entstehen. T-Shirts,            nur aus tierischen und pflanzlichen Ab-
                    Professor am MIT in Cambridge, Mas-         Kleider und Bettwäsche, die nach Ver-            fällen!“ Auf diesem Feld läuft Peter See-
                    sachusetts. „Dort sind Firmengründun-       schleiß einfach auf den Kompost kom-             berger sich gerade erst warm. Gut mög-
                    gen ein ganz normaler Akt.“                 men und zu Humus werden.                         lich also, dass dabei in den nächsten
                        Seinen vielfältigen Erfahrungen mit         Krebsschalen aus der Shrimpszucht            Jahren noch ein, zwei oder drei weitere
                    Unternehmensgründungen haben See-           werden heute einfach wieder ins Meer             Start-ups herausspringen.
                    berger auch die größten Hürden dabei
                    aufgezeigt. „Die richtigen Leute für das
                    Management zu finden und natürlich
                    eine solide Finanzierung zusammenzu-           GLOSSAR
                    bekommen.“ Inzwischen kennt er viele
                                                                   Durchflusssynthese ist ein chemischer Prozess, bei dem das Reaktionsmedium durch eine
                    Leute und weiß, wer an welcher Stelle          Apparatur, in der die Umsetzung stattfindet, geleitet wird. Da sich die Reaktionsprodukte
                    eine Sache voranbringen kann. Auch die         dabei am Ende des Prozesses relativ leicht abtrennen lassen, bevorzugt die chemische
                    Arbeit von Max-Planck-Innovation sei           Industrie diese Art von Verfahren gegenüber einem Prozess, bei dem die Reaktion in einem
                    sehr hilfreich. Die Unterstützung bei der      geschlossenen Behältnis stattfindet. .
                    Wahl geeigneter Lizenzmodelle etwa             Glykan: ein Mehrfachzucker, der aus einer Kette von Einfachzuckern wie etwa Glucose oder
Foto: Adobe Stock

                    oder bei der Firmenfinanzierung schätzt        Fructose besteht. Ein Beispiel ist Cellulose. Auch in Signalmolekülen auf den Oberflächen
                                                                   von Zellen kommen Mehrfachzucker vor, und zwar in Verbindung mit Proteinen als Glyko-
                    er sehr. Noch mehr aber den Freiraum,          proteine oder in Kombination mit Fettmolekülen als Glykolipide.
                    den ihm die Max-Planck-Gesellschaft
                    generell in der Forschung bietet.

                                                                                                                          Spezial | 20 MaxPlanckForschung      43
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