Allgemeine Informationen zur Anwendung von Medizinalcannabis für Fachpersonen - www.sgcm-sscm.ch
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INHALT Wirkungen und Wirkmechanismen von THC und CBD........................................3 Einsatzgebiete von THC und CBD.................................................................................................. 4 In der Schweiz erhältliche medizinische Cannabispräparate.......................5 Kontraindikationen...............................................................................................................................................6 Vulnerable Patientengruppen................................................................................................................7 Dosierungen von THC und CBD.........................................................................................................8 Unerwünschte Arzneimittelwirkungen und Toxizität..............................................9 Interaktionen mit anderen Medikamenten.........................................................................10 Verkehrsteilnahme................................................................................................................................................11 Kostenübernahme der Versicherer...............................................................................................13 Reisen ins Ausland............................................................................................................................................. 14 Vorgehen zum Bezug eines Cannabisarzneimittels............................................... 14 Referenzen....................................................................................................................................................................15 2 | Fachinformation
WIRKUNGEN UND WIRKMECHA NISMEN VON THC UND CBD Die zwei Hauptcannabinoide in Cannabis, die für die medi- zinische Verwendung mehrheitlich wissenschaftlich unter- sucht und in der Praxis eingesetzt werden, sind das Delta-9- Tetrahydrocannabinol (THC) und das Cannabidiol (CBD). THC (Synonym Dronabinol) wirkt analgetisch, antispastisch, appetitanregend und ist gegen Übelkeit und Erbrechen wirk- sam. THC kann zudem den Augeninnendruck senken sowie den Schlaf verbessern. In hohen Dosen wirkt die Substanz berau- schend bzw. psychoaktiv; bei oralen, therapeutischen Dosie- rungen ist diese Wirkung jedoch eher selten. THC entfaltet seine vielfältigen Wirkungen über eine Bindung an spezifische Cannabinoid-Rezeptoren des Endocannabinoid-Systems, welches an der R egulation zahlreicher Prozesse (Schmerz verarbeitung, Stressregulation, Appetit etc.) in unserem Körper beteiligt ist. 1 CBD wirkt u.a. antiepileptisch, angstlösend, entzündungs hemmend und entspannend. Selbst in hohen Dosen führt die Substanz nicht zu einem «high»-Gefühl. Im Gegenteil: CBD kann in Kombination mit THC dessen psychoaktive Effekte vermindern. 2,3 Der genaue Wirkmechanismus von CBD ist bislang nicht vollständig geklärt. 1 Fachinformation | 3
EINSATZGEBIETE VON THC UND CBD THC und CBD können zur symptoma CBD tischen Therapie einer Vielzahl von → Frühkindliche, therapieresistente Erkrankungen eingesetzt werden. D ie Epilepsieformen (Dravet-Syndrom, wissenschaftliche Evidenz ist sehr Lennox-Gastaut-Syndrom) unterschiedlich (siehe dazu Therapie → Angststörungen und Panikattacken empfehlungen). hronische Entzündungen und → C THC Schmerzen → Spastik bzw. Muskelkrämpfe; z. B. bei Multipler Sklerose, amyotro- → Ver-/Anspannungen pher Lateralsklerose, Querschnitts- → Depressive Verstimmungen lähmung, Zerebralparese, Morbus Parkinson, Morbus Alzheimer u.a. inderung von Symptomen beim → L Entzug von anderen Medikamenten hronische Schmerzen; z. B. neuro- → C pathische Schmerzen, Tumor Die Wirkung von Cannabispräparaten ist schmerzen, Schmerzen bei Poly- sehr individuell und dosisabhängig. Die arthritis, Fibromyalgie, Migräne, Non-Responder-Rate für THC-haltige Kopfschmerzen u.a. Cannabispräparate beträgt ca. 30 %. belkeit, Erbrechen, Appetitlosigkeit → Ü Gemäss aktuellem Wissensstand resp. und Abmagerung (z. B. bei Krebs der vorhandenen Literatur kann eine patienten) Cannabismedikation nicht als First-Line Behandlung empfohlen werden. Jede eurologische Erkrankungen; z. B. → N Anwendung ist zum aktuellen Zeitpunkt Tourette-Syndrom, Restless-Legs- als ein individueller Therapieversuch zu Syndrom, Dyskinesien u.a. betrachten, wenn die Guideline-konfor- → Glaukom (grüner Star) meBehandlung nicht wirksam ist oder aufgrund von Nebenwirkungen nicht → Schlafstörungen toleriert wird. 4 | Fachinformation
IN DER SCHWEIZ ERHÄLTLICHE MEDIZINISCHE CANNABIS PRÄPARATE In der Schweiz sind verschiedene medizi- zugelassen sind. Frei erhältliche Cannabis- nische Cannabispräparate erhältlich. Dazu präparate sind nicht als Medikamente klassi- gehören ölige Lösungen (oder Kapseln) mit fiziert und können daher nicht verschrieben reinem THC (Dronabinol) oder CBD sowie werden. Diese Produkte unterstehen natürliche Cannabisextrakte in Form von keiner Qualitätssicherung oder inhaltlichen Tinkturen und Ölen. Diese sind grösstenteils Mindestanforderung, was eine medizinische zur oralen Einnahme oder lokalen Anwen- Anwendung zum jetzigen Zeitpunkt nicht dung in der Mundhöhle (Mundspray Sativex®) erlaubt. bestimmt. Für den Bezug von THC-haltigen Präparaten Zu den verfügbaren Präparaten zählen aktuell benötigt jeder Patient/jede Patientin ein Be- zwei von Swissmedic registrierte Fertigpräpa- täubungsmittelrezept. Eine BAG-Bewilligung rate: Sativex®, zugelassen zur Behandlung von ist hierfür ab dem 1. August 2022 nicht mehr Spastik bei Multipler Sklerose und Epidyolex®, zu beantragen. Im Zusammenhang mit einer zugelassen als Zusatztherapie bei Anfällen bei Verschreibung sind Ärztinnen/Ärzte allerdings Kindern ab 2 Jahren mit den Epilepsieformen verpflichtet, via online Meldesystem Angaben Lennox-Gastaut- und Dravet-Syndrom. zur Behandlung dem BAG zu übermitteln (www.gate.bag.admin.ch/mecanna). Für von Weiter sind zahlreiche Magistralrezepturen, der Swissmedic zugelassene Cannabisarznei- welche durch spezialisierte Apotheken in der mittel, welche «on-label» (gemäss der zu- Schweiz hergestellt werden, erhältlich. Diese gelassenen Indikation und Darreichungsform) unterscheiden sich in der Zusammensetzung verschrieben werden (Sativex®), ist eine Erfas- (unterschiedliche Verhältnisse der THC- und sung im BAG-Meldesystem fakultativ. Reine CBD-Konzentration) sowie im Trägermaterial. CBD-Präparate (THC-frei) können mit einem Eine umfassende Liste mit aktuell erhält- normalen Arztrezept verschrieben werden lichen Präparaten findet sich auf der Website und unterstehen keiner BAG-Meldepflicht. der SGCM-SSCM unter der Rubrik Therapie empfehlungen. Welches Präparat für welchen Weiterführende Informationen finden Patienten/welche Patientin am geeignetsten sich hier ist, muss im Einzelfall besprochen werden. → BAG: «Gesetzesänderung Cannabis arzneimittel» Anmerkung: In der Präparate-Liste wer- → Rechtliche Lage CBD: siehe Swissmedic, den nur Zubereitungen erwähnt, die unter BAG, BLV, BLW: «Produkte mit Canna Einhaltung der GMP-Standards durch eine bidiol (CBD) – Überblick und Vollzugs zertifizierte Apotheke als Magistralrezeptu- hilfe», Stand am 21.04.2021 (vierte, ren hergestellt werden oder von Swissmedic aktualisierte Version) Fachinformation | 5
KONTRAINDIKATIONEN Als absolute Kontraindikationen für medizinische Cannabis präparate gelten eine Allergie oder Überempfindlichkeit auf Cannabis, THC bzw. CBD oder herstellungsbedingte Begleit- stoffe (z. B. Erdnussöl bei Sativaöl 1 %, S esamöl bei Epidyolex®). Bei THC ist zudem eine strenge Indikationsstellung ange- bracht bei: → s chwerwiegenden kardiovaskulären Erkrankungen (manifeste koronare Herzkrankheiten, Herzrhythmus störungen, Angina pectoris, Herzinfarkt u.a.) → s chwerwiegenden psychiatrischen Erkrankungen (v. a. Psychosen und Panikattacken, auch in der Anamnese) → manifeste oder ehemalige Suchterkrankung → Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren Von einer Anwendung von THC oder CBD in der Schwanger- schaft und Stillzeit wird abgeraten. Die medizinische Fachinformation ist bezüglich Kontra indikationen, Nebenwirkungen etc. zwingend zu konsultieren bei registrierten Präparaten. 6 | Fachinformation
VULNERABLE PATIENTENGRUPPEN Kinder und Jugendliche < 18 Jahren Patientinnen und Patienten > 70 Jahre Bei THC-haltigen Präparaten sollte bei und polymedizierte Patienten Kindern und Jugendlichen < 18 Jahren Der Einsatz von THC und CBD bei das Nutzen/Risiko-Verhältnis beson- älteren Patientinnen und Patienten ist ders gut abgewogen werden, bevor ein möglich und in der Praxis sehr häufig. solches Präparat medizinisch eingesetzt Es ist in dieser Patientengruppe emp- wird. Grundsätzlich gilt es, eine regel- fehlenswert, die Startdosierung etwas mässige Exposition des sich entwickeln- tiefer zu setzen als üblich (z. B. 2- bis den Gehirns mit THC zu vermeiden, da 3-mal täglich < 1 mg THC p.o.), gefolgt neurokognitive Veränderungen respek- von einer langsamen Steigerung je nach tive bleibende Schäden im Bereich des klinischem Ansprechen und Nebenwir- Gedächtnisses und der Aufmerksam- kungen. Insbesondere auf die Nebenwir- keit zu erwarten sind. Ebenfalls können kungen Schwindel und Benommenheit Strukturänderungen in der weissen und sollte Acht gegeben werden, da diese zu grauen Hirnsubstanz auftreten, welche Stürzen mit potentiell schwerwiegenden teilweise persistieren, trotz nachfolgen- Folgen führen können. der Abstinenz. 4 Nur besonders schwer- Bei polymedizierten Patientinnen und wiegende pädiatrische Erkrankungen Patienten ist es wichtig, mögliche Inter- rechtfertigen daher den Einsatz von THC aktionen mit den bestehenden Medika- in dieser Patientengruppe. 5 menten vor Therapiebeginn abzuklären CBD ist in Form des Epidyolex® zugelas- (siehe dazu Abschnitt unten «Interaktio- sen zur Behandlung von zwei kindlichen nen mit anderen Medikamenten»). Auch Epilepsieformen (Dravet-Syndrom, in dieser Patientengruppe ist es ratsam, Lennox-Gastaut-Syndrom) als Zusatz mit einer etwas tieferen Startdosierung therapie bei Kindern ab 2 Jahren. Bei zu beginnen als üblich (z. B. 2- bis 3-mal anderen Indikationen wird wie bei THC täglich < 1 mg THC p.o.), gefolgt von eine sorgfältige Abwägung zwischen einer langsamen Steigerung je nach therapeutischem Potential/Effekt und klinischem Ansprechen und Nebenwir- den möglichen Nebenwirkungen emp- kungen. fohlen. Fachinformation | 7
DOSIERUNGEN VON THC UND CBD THC CBD Die optimale therapeutische Dosierung Bei CBD ist die Spannbreite der Dosie- von THC muss individuell ermittelt wer- rung enorm gross, in Studien wurden den. Die Dauer der Dosisfindung kann orale Dosen bis über 1000 mg CBD/Tag 2 Wochen oder länger dauern. Wichtig eingesetzt. Bei Kindern mit therapiere- ist, dass mit einer tiefen Dosierung ge- sistenten Epilepsieformen (z. B. Dravet- startet wird, z. B. 2- bis 3-mal täglich Syndrom, Lennox-Gastaut-Syndrom) 2.5 mg THC p.o., oder tiefer (z. B. bei äl- wurden in Studien orale Dosierungen teren und/oder polymedizierten Patien- zwischen 2 und 5, teilweise sogar bis ten und Patientinnen). Es empfiehlt sich, 50 mg CBD/kg Körpergewicht/Tag ein- die allererste Dosis abends einzuneh- gesetzt, aufgeteilt auf mehrere Gaben. men. Anschliessend kann die Dosierung Für die meisten weiteren Indikationen je nach Wirkung und Verträglichkeit fehlen evidenzbasierte Dosierungs langsam bis zum gewünschten Effekt empfehlungen. In der Praxis werden oft- erhöht werden. Das Motto lautet: «Start mals orale CBD-Dosierungen zwischen low, go slow, stay low». Also: «Beginne 2.5 mg und 100 mg CBD/Tag (teils auf- mit wenig, erhöhe langsam und halte die geteilt auf mehrere Gaben) verordnet. Dosis so gering wie möglich». Typische orale Tagesdosen von THC va- riieren in der Regel – je nach Ansprechen und Verträglichkeit – zwischen 2.5 mg und 30 mg THC (max. 50 mg THC/Tag, selten höher), in der Regelaufgeteilt auf mehrere Gaben. Als maximale orale Einzeldosis gelten 10 mg THC (selten höher). Die Wirkung von oral eingenommenem THC tritt nach 30 bis 90 Minuten ein und hält für rund 4 bis 6 Stunden an. Dies bedeutet, dass oft mehrmals täg- lich dosiert werden muss, um eine genü- gende Wirkung über den Tag verteilt zu erhalten. Je nach Beschwerden können jedoch auch sporadische Einzeldosen bei Bedarf ausreichend sein. 8 | Fachinformation
UNERWÜNSCHTE ARZNEIMITTELWIRKUNGEN UND TOXIZITÄT Bei medizinischen Cannabispräparaten Nebenwirkungen sind individuell, tre- gilt es zu unterscheiden zwischen Neben ten v. a. zu Beginn der Behandlung auf wirkungen von THC und CBD. und sind meist vorübergehend. Um Nebenwirkungen vorzubeugen, ist ein Zu den möglichen Nebenwirkungen von langsames Eintitrieren der Dosierung, THC zählen vor allem: insbesondere von THC, wichtig. Treten Müdigkeit, Sedierung, Benommen- → dennoch unerwünschte Wirkungen auf, heit, Schwindel so muss im Einzelfall evaluiert werden, ob eine Dosisbeibehaltung, eine Dosis- Mundtrockenheit, gerötete Augen → reduktion oder allenfalls ein Therapie Tachykardie, Hypotension → abbruch in Frage kommen. Übelkeit, Diarrhoe → Toxizität: Im Vergleich zu gewissen anderen Medikamenten weisen medizi- Kopfschmerzen → nische Cannabispräparate eine geringe Appetitzunahme → Toxizität auf. Letale Dosen beim Men- schen sind bisher nicht bekannt. psychotrope Effekte (Euphorie, → Dysphorie), Denk- oder Sprech Suchtentwicklung: Das Risiko einer störungen, Psychose, Wahnvor Suchtentwicklung ist bei korrekter medi- stellungen, Depressionen zinischer Anwendung äusserst gering. Zu den möglichen Nebenwirkungen von CBD zählen vor allem: Müdigkeit, Schläfrigkeit, Sedierung → Verminderter Appetit → (reversible) Erhöhung von Leber → enzymen Fachinformation | 9
INTERAKTIONEN MIT ANDEREN MEDIKAMENTEN Medizinische Cannabispräparate können Pharmakokinetische Interaktionen meistens zusätzlich zu den bestehen- THC und CBD werden in der Leber durch den Medikamenten eingesetzt werden. Cytochrom-P450-Enzyme metabolisiert In einigen Fällen können jedoch Dosis (CYP3A4, 2C9, 2C19 u.w.). Bei gleichzei- anpassungen notwendig sein, dies auf- tigem Einsatz von CYP-Inhibitoren (z. B. grund pharmakodynamischer und/oder Ketoconazol) sowie CYP-Induktoren (z. B. pharmakokinetischer Interaktionen der Rifampicin, Phenytoin) können daher er- Cannabinoide mit anderen Wirkstoffen. 6–8 höhte bzw. erniedrigte Plasmaspiegel der Cannabinoide auftreten. Pharmakodynamische Interaktionen Bei der Kombination von THC und/oder CBD scheint zudem gewisse CYPs CBD mit Sedativa, Hypnotika, Opia- hemmen zu können (z. B. CYP3A4, 2C9, ten, Alkohol und weiteren ZNS-aktiven 2C19). 7,8 Ab welcher CBD-Dosis eine Medikamenten ist eine Wirkverstärkung CYP-Hemmung auftritt, ist jedoch nicht (Müdigkeit, Sedierung, Benommenheit) etabliert. Klinisch relevante Interaktionen möglich. Beim gleichzeitigen Einsatz wurden mit CBD und einigen Antiepi- von THC und Antihypertensiva kann eine leptika (Clobazam, Rufinamid, Topira- verstärkte Hypotension eintreten, dies mat) 10 beobachtet. Ebenso wurden über v.a. zu Beginn der Therapie. Eine gleich- klinische bedeutsame Interaktionen mit zeitige Verabreichung von Sympatho- Warfarin 11, Tamoxifen 12 und Tacrolimus 13 mimetika mit THC kann zu verstärkter berichtet. Beim Einsatz von CBD ist da- Tachykardie führen. Eine Kombination her Vorsicht angebracht bei der Kombi- von Anticholinergika mit THC kann eine nation u. a. mit folgenden Medikamenten: verstärkte Mundtrockenheit, trockene → A ntiepileptika: Clobazam, Rufinamid Augen, sowie allenfalls ein erhöhtes und Topiramat > erhöhte Plasma- Risikofür Konfusion bewirken. spiegel der Substanzen bzw. aktiven Vorsicht ist weiter geboten beim Ein- Metaboliten (N-Desmethylclobazam) satz von THC/CBD bei Patienten, welche möglich 10 unter einer Immuntherapie mit Check- → T amoxifen: niedrigere Plasmaspiegel point-Inhibitoren (z. B. Nivolumab) des aktiven Metaboliten Endoxifen stehen. Hinweise auf eine möglicherwei- möglich 12 se abschwächende Wirkung der Immun- therapie durch Cannabinoide wurden Tacrolimus: erhöhte Plasmaspiegel → letzthin publiziert. 9 möglich 13 10 | Fachinformation
Orale Antikoagulantien: Phenprocoumon, Acenocoumarol → > erhöhte Plasmaspiegel und demzufolge Blutungsgefahr möglich Weitere CYP-Substrate mit enger therapeutischer Breite → Erfahrungswerte: Aus der Praxis kann berichtet werden, dass In- teraktionen von THC mit Begleitmedikation bei therapeutischen Dosen klinisch minimal respektive im therapeutischen Fenster zu sein scheinen. In bestimmten Fällen können Dosisanpassungen jedoch notwendig sein. Bei CBD wurden in der Praxis insbeson- dere bei hohen Dosierungen Interaktionen (z. B. mit Clobazam) beobachtet. Eine Abklärung von möglichen Interaktionen vor Therapiebeginn ist in jedem Fall empfehlenswert. VERKEHRSTEILNAHME Grundsätzliches am Strassenverkehr teilnimmt. Die medi- Um beurteilen zu können, ob eine motor- zinischen, physischen und psychischen fahrzeuglenkende Person am Strassen- Mindestanforderungen an Motorfahrzeug- verkehr teilnehmen darf, ist es wichtig, lenkende sind in Anhang 1 VZV (Verkehrs- die beiden rechtlichen Begriffe Fahr- zulassungsverordnung) aufgeführt. Fähigkeit und Fahr-Eignung zu kennen. Verkehrsteilnahme unter dem Einfluss Unter Fahr-Fähigkeit wird die momen- von Cannabis tane, physische und psychische Befä- In der Schweiz ist das Führen von Motor higung des Individuums zum sicheren fahrzeugen unter dem Einfluss von Lenken eines Fahrzeugs verstanden. Cannabis (Tetrahydrocannabinol, THC) Unter Fahr-Eignung wird die allgemeine, grundsätzlich verboten (sog. «Nulltole- zeitlich nicht umschriebene und nicht ranz» mit analytischem Grenzwert von ereignisbezogene, physische, psychische 1.5 µg/L = 1.5 ng/ml im Blut; Art. 2 Abs. 2 und charakterliche Eignung des Individu- Verkehrsregelnverordnung, VRV). ums zum sicheren Lenken eines Fahr- Diese «Nulltoleranz» gilt jedoch nicht, zeugs verstanden. falls THC-haltige Präparate ärztlich ver- Diese beiden Voraussetzungen (Fahr- schrieben sind (Art. 2 Abs. 2ter VRV). Fähigkeit und Fahr-Eignung) müssen Gelangen Patientinnen und Patienten, bei jeder Person stabil vorliegen, welche welche THC auf ärztliche Verschreibung Fachinformation | 11
hin einnehmen, in eine Polizeikontrolle Was sollte der verschreibende Arzt/die oder werden in einen Verkehrsunfall ver- verschreibende Ärztin betreffend Ver wickelt, so wird zunächst deren Fahr-Fä- kehrsteilnahme seinen Patienten, wel higkeit beurteilt (also die momentane Be- chen er/sie THC verschreibt, mitteilen? fähigung zum Lenken eines Fahrzeuges). Der verschreibende Arzt resp. die ver- Diese Beurteilung erfolgt nach dem sog. schreibende Ärztin hat im Rahmen der «3-Säulen-Prinzip» (polizeiliche Feststel- sog. Sicherungsaufklärung (Aufklärungs- lungen, ärztliche Untersuchungsbefunde, pflicht) den Patienten/die Patientin dar- forensisch-toxikologische Analyse-Resul- über aufzuklären, dass eine THC-Medika- tate), wobei es sich um eine gesetzlich tion sowohl die Fahr-Fähigkeit als auch gegebene, forensische Aufgabe handelt die Fahr-Eignung einschränken kann. (Rechtsmedizin & Toxikologie). Zudem kann der Arzt dem Patienten/der Falls zudem begründete Zweifel an der Patientin unter stabiler THC-Medikation Fahr-Eignung bestehen, wird gemäss den zu einer verkehrsmedizinischen Abklä- Strassenverkehrsgesetz(SVG)-Vorgaben rung der Fahr-Eignung raten. Zu beach- zusätzlich eine Fahr-Eignungs-Abklärung ten ist, dass diese nicht durch den be- angeordnet. Diese wird durch einen Ver- handelnden Arzt/die behandelnde Ärztin kehrsmediziner/eine Verkehrsmedizinerin selber vorgenommen werden kann, SGRM (Stufe 4) durchgeführt, und zwar sondern nur durch einen ausgebildeten unter Berücksichtigung aller relevanter Verkehrsmediziner/eine Verkehrsmedizi- Aspekte, d. h. der gesamten vorliegen- nerin SGRM (Stufe 4) erfolgen kann. den Erkrankungen, aller verschriebenen Eine ärztliche Anmeldung zur verkehrsme- Medikamente (insbesondere auch Benzo- dizinischen Abklärung der Fahr-Eignung diazepine, Z-Medikamente, Opiate, etc.), erfolgt in der Regel erst nach Einverständ- der Suchtmittel-Vorgeschichte, der unter nis des Patienten, darf aber aufgrund des THC-Medikation erreichten THC-Blutkon- ärztlichen Melde-Rechts gem. SVG auch zentration, der kognitiven Fähigkeiten ohne dessen Einverständnis in die Wege (evtl. zusätzliche verkehrspsychologische geleitet werden (eine Melde-Pflicht des Testung), etc. Die Fahr-Eignung ist nicht behandelnden Arztes/der behandelnden gegeben, falls ein verkehrsrelevanter Ärztin besteht hingegen nicht). Ebenfalls Missbrauch oder eine Abhängigkeit von möglich ist die Anmeldung durch den THC oder einer anderen psychotropen Patienten/die Patientin selber. Die Kosten Substanz vorliegt (Anhang 1 VZV). Eine einer verkehrsmedizinischen Abklärung Anamnese mit Missbrauch/Abhängigkeit (inkl. Verkehrspsychologie) muss die von illegalem Cannabis sollte nach ver- Motorfahrzeuglenkerin/der Motorfahr- kehrsmedizinischem Erachten eine ärzt- zeuglenker selber tragen (bei einer umfas- liche THC-Verschreibung ausschliessen senden Abklärung ca. CHF 2500.–). (sog. «Umschwenker-Problematik»). Bei Patienten mit einem Führerausweis der Ergeben die Abklärungen (bei einer Poli- höheren Kategorien «Bus, Car, Lastwagen, zeikontrolle bzw. einem Verkehrsunfall) Taxi, Fahrlehrer/-innen, Verkehrsexperten/ zur Fahr-Fähigkeit und danach auch be- -innen» ist wegen den deutlich höheren züglich Fahr-Eignung, dass beide Voraus- Anforderungen für eine Zulassung grund- setzungen nicht erfüllt sind, so zieht dies sätzlich von einer THC-Medikation abzuse- sowohl strafrechtliche, als auch administ- hen, zumal eine solche bei einer verkehrs- rativrechtliche, teils sogar versicherungs- medizinischen Beurteilung – gemäss VZV rechtliche Konsequenzen nach sich. 12 | Fachinformation
beispielsweise analog einer Substitutions- gegenseitiger Wirkungsverstärkung – bei Behandlung bei einem LKW-Chauffeur – in einer Medikation mit psychotrop wirken- aller Regel nicht befürwortet wird. den Präparaten (inkl. THC) immer eine Alkohol-Fahr-Abstinenz eingehalten wer- Auch wenn bei einem Patienten/einer den sollte (Fahren nur mit 0.00 Promille). Patientin die Fahr-Eignung unter stabiler THC-Medikation zugesprochen wurde, Wie sieht es aus bei der Verschreibung muss dieser/diese die Voraussetzungen von CBD? der Fahr-Fähigkeit erfüllen, wenn er/sie am Bei einer Einnahme von CBD auf ärztliche Strassenverkehr teilnimmt. Zudem kann Verordnung hin gelten sinngemäss die es im Einzelfall möglich sein, dass trotz be- gleichen Voraussetzungen für eine Ver- stätigter Fahr-Eignung diese bei einer Ver- kehrsteilnahme (der Patient muss fahr- kehrskontrolle bzw. einem Unfall nochmals fähig und fahr-geeignet sein). abgeklärt wird (z. B. aufgrund Änderungen Zu beachten ist bei CBD-Präparaten zu- in der Medikation, Dosierung etc.). dem, dass freiverkäufliche, legale CBD-hal- Letztlich ist jeder Motorfahrzeugfüh- tige Produkte < 1 % THC enthalten können. rer/jede Motorfahrzeugführerin selber Da diese Präparate nicht ärztlich verschrie- dafür verantwortlich, nur in fahrfähigem ben werden, findet bei THC-Nachweis im Zustand am motorisierten Strassen- Blut grundsätzlich die «Nulltoleranz»-Re- verkehr teilzunehmen, wobei – wegen gelung Anwendung (siehe oben). KOSTENÜBERNAHME DER VERSICHERER Die Krankenkassen der Schweiz (sowohl Grund- als auch Zusatzversicherungen) sind nicht verpflichtet, die Kosten einer Cannabistherapie (weder für die registrierten Fertigpräparate Sativex® und Epidyolex®,noch für die erhältlichen Magistral- rezepturen) zu übernehmen. Der behandelnde Arzt/die be- handelnde Ärztin kann jedoch ein Kostengutsprache(KoGu)- Gesuch an die Versicherung stellen. Teilweise verlangen die Krankenkassen einen zu Beginn selbstfinanzierten Therapie versuch, übernehmen die Kosten für eine bestimmte Zeit periode oder beteiligen sich mit einer Pauschale. Ein neutrales Kostengutspracheformular für Ärzte und Ärztinnen findet sich auf der Webseite der SGCM-SSCM unter der Rubrik Therapie empfehlungen sowie auf der Website der Schweizerischen Gesellschaft der Vertrauens- und Versicherungsärzte. Liegt keine Kostengutsprache der Krankenkasse vor, müssen die Therapiekosten vom Patienten selber finanziert werden. Fachinformation | 13
REISEN INS AUSLAND Jedes Land hat seine eigenen betäubungs- Für Reisen im Schengen-Raum besteht mittelrechtlichen Bestimmungen. Es ist zudem die Möglichkeit, sich vom Arzt/ somit wichtig, vor einer allfälligen Mitnah- von der Ärztin eine offizielle Bescheini- me von Medizinialcannabis ins Ausland in gung zum Mitführen des von Swissmedic jedem Fall die Botschaft bzw. das Konsu- zugelassenen Fertigpräparates Sativex® lat des Reiselandes zu kontaktieren. (Betäubungsmittel) ausstellen zulassen. VORGEHEN ZUM BEZUG EINES CANNABISARZNEIMITTELS Für THC-haltige Cannabispräparate muss der behandelnde Arzt/die behandelnde Ärztin für den Patienten/die Patientin ein Betäubungsmittelrezept ausstellen. Eine BAG-Bewilligung ist hierfür ab dem 1. August 2022 nicht mehr zu beantra- gen, wie dies jahrelang Praxis war. Allerdings sind Ärztinnen/Ärzte verpflichtet, via online Meldesystem Angaben zur Behandlung im Sinne einer Begleiter- hebung dem BAG zu übermitteln (www.gate.bag.admin.ch/mecanna). Für reine CBD-Präparate (THC-frei) ist ein normales Arztrezept ausreichend. Zu beachten ist, dass freiverkäufliche Cannabispräparate nicht als Medikamen- te klassifiziert sind und daher nicht verschrieben werden können. Diese Pro- dukte unterstehen keiner Qualitätssicherung oder inhaltlichen Mindestanforde- rung, was eine medizinische Anwendung zum jetzigen Zeitpunkt nicht erlaubt. 14 | Fachinformation
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Schweizerische Gesellschaft für Cannabis in der Medizin (SGCM-SSCM) Stand: 27.09.2022 Geschäftsstelle: Prof. Dr. pharm. R. Brenneisen, Frikartweg 9A, 3006 Bern Journal: Medical Cannabis and Cannabinoids PC Konto: 15-517638-1 www.sgcm-sscm.ch info@sgcm-sscm.ch In Zusammenarbeit mit:
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