ALTERNATIVEN ZUM KRIEG - Zivile Konfliktbearbeitung im Kontext internationaler Politik - Rosa Luxemburg Stiftung NYC

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ALTERNATIVEN ZUM KRIEG - Zivile Konfliktbearbeitung im Kontext internationaler Politik - Rosa Luxemburg Stiftung NYC
ALTERNATIVEN ZUM KRIEG
                  Zivile Konfliktbearbeitung im Kontext
ROSA
LUXEMBURG         internationaler Politik
STIFTUNG
NEW YORK OFFICE   Von Andreas Buro
ROSA
LUXEMBURG
STIFTUNG
NEW YORK OFFICE

Inhaltsverzeichnis

     Give Peace A Chance. Von den Herausgebern......................................................................................1

     Alternativen zum Krieg
     Zivile Konfliktbearbeitung in internationaler Politik.....................................................................2

     Von Andreas Buro

         Grundlage I: Folgen militärischen Konfliktaustrages......................................................................4

         Grundlage II: Was bedeutet und umfasst Zivile Konfliktbearbeitung?.......................................6

         Grundlage III: Auf welche politischen Institutionen kann sich Zivile Konfliktbearbeitung
         bereits heute beziehen?.....................................................................................................................7

         Perspektive I: Bestandsaufnahme von Ziviler Konfliktbearbeitung in der gegenwärtigen
         internationalen Politik.........................................................................................................................9

         Perspektive II: Widerstände gegen Zivile Konfliktbearbeitung, mit denen zu rechnen ist.......16

         Perspektive III: Strategien und Elemente der Durchsetzung von Ziviler Konfliktbearbeitung...18

         Schlussfolgerungen...........................................................................................................................22

Veröffentlicht von der Rosa-Luxemburg-Stiftung, Büro New York, Januar 2013

Herausgeber: Stefanie Ehmsen und Albert Scharenberg
Adresse: 275 Madison Avenue, Suite 2114, New York, NY 10016
E-Mail: info@rosalux-nyc.org; Telefon: +1 (917) 409-1040

Die Rosa-Luxemburg-Stiftung ist eine international tätige, progressive Non-Profit-Organisation für politische
Bildung. In Zusammenarbeit mit vielen Organisationen rund um den Globus arbeitet sie für demokratische
und soziale Partizipation, die Ermächtigung von benachteiligten Gruppen, Alternativen zur wirtschaftlichen
und sozialen Entwicklung und für friedliche Konfliktlösungen.

Das New Yorker Büro erfüllt zwei Hauptaufgaben: sich mit Themen der Vereinten Nationen zu befassen
und mit nordamerikanischen Linken in Hochschulen, Gewerkschaften, sozialen Bewegungen und der Politik
zusammenzuarbeiten.

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Give Peace A Chance

„Der Krieg ist eine bloße Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln“, schrieb einst der preußische
General Carl von Clausewitz. „Krieg ist manchmal notwendig”, sagte US-Präsident Brack Obama zwei-
hundert Jahre später, pikanterweise bei der Annahme des Friedensnobelpreises in Oslo.

Und die medialen Meinungsmacher springen ihm bei: Im Grunde seien die heutigen Militäreinsätze
gar keine Kriege mehr, sondern „humanitäre Aktionen“, die der Westen unternähme, um bedrängten
Menschen in aller Welt selbstlos beizustehen. Die Fernsehanstalten senden auch kaum mehr Bilder
der Grausamkeiten des Krieges, wie weiland aus Vietnam. Heute berichten stattdessen Journalisten
von der Front, die in das Militär „eingebettet“ sind. Entsprechend gibt es auch keine „Bombardements“
mehr, sondern nur noch „chirurgische Eingriffe“.

Dass Krieg mit medizinischen Eingriffen, die der Heilung dienen sollen, gleichgesetzt wird, veran-
schaulicht die Vollendung der aus George Orwells „1984“ bekannten Losung „Krieg bedeutet Frieden“.
Zur Erinnerung, dort heißt es weiter: „Freiheit ist Sklaverei. Unwissenheit ist Stärke.“

Wo Begriffe im Orwellschen Sinne verschwimmen, sodass Bomben geradezu das Werkzeug der Hei-
lung sein sollen, kann man getrost davon ausgehen, dass Ideologen am Werke sind. Ideologen, denen
es nicht darum geht, ein angemessenes Bild der Wirklichkeit zu zeichnen, sondern darum, Kriege zu
rechtfertigen. Man kann ebenfalls davon ausgehen, dass die realen Interessen der Kriegführenden
– seien sie materieller, geopolitischer oder anderer Natur – keine Erwähnung finden. Stattdessen wird
denen, die zumindest mitverantwortlich für den Krieg sind, der Mantel der Uneigennützigkeit, ja des
Humanismus übergestreift.

In den aktuellen Debatten über Krieg spielt deshalb auch die Mär von der „Alternativlosigkeit“ eine
zentrale Rolle: Angeblich gibt es nämlich keine Alternative zum gewaltsamen Austrag von Konflikten
– nicht in Serbien/Kosovo, nicht in Afghanistan, nicht im Irak, nicht in Libyen. Man ist geneigt zu glau-
ben: nirgendwo.

Andreas Buro, emeritierter Professor für Internationale Politik an der Universität Frankfurt am Main
und langjähriger Aktivist der bundesdeutschen Friedensbewegung, dem in diesem Frühjahr der
Göttinger Friedenspreis 2013 verliehen wird, widerspricht dieser scheinbaren Gesetzmäßigkeit. Der
Pazifist argumentiert in seiner Studie: Es gibt immer Alternativen – und die Alternative zum Krieg
heißt Zivile Konfliktbearbeitung. Buro zeigt zunächst die Folgen militärischen Konfliktaustrages auf
und entwickelt vor diesem Hintergrund die Grundlagen Ziviler Konfliktbearbei- tung. Er diskutiert, auf
welche politischen Institutionen sich die Methode zivilen Konfliktaustrags heute bereits beziehen
kann, aber auch, welche Widerstände es in der internationalen Politik gegen diese gibt. Seine
Leitfrage lautet: Was muss getan werden, damit das Zeitalter des Krieges beendet werden und das
der Zivile Konfliktbearbeitung beginnen kann?

                                                                Stefanie Ehmsen und Albert Scharenberg,
                                                                 Leiter des Büros New York, Januar 2013

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Alternativen zum Krieg
Zivile Konfliktbearbeitung im Kontext internationaler Politik

Von Andreas Buro

Wie kommt es eigentlich, dass ein griechischer           Geschichte ist ein Steinbruch für kriegerische
Philosoph namens Heraklit (etwa 520-460                  Argumente, wie zweifelhaft die Geschichtsin-
v.Chr.), von dessen Werk nur Bruchstücke über-           terpretation, welche die Bruchsteine liefert,
liefert sind, bis heute mit nur einem Satz, der          auch sein mag. Man liest beispielsweise, die
auch nur zum Teil zitiert wird, so berühmt ge-           Schüsse von Gavrilo Princip auf den österrei-
worden ist? Der Satz lautet: „Der Krieg ist der          chischen Thronfolger in Sarajewo hätten den
Vater aller Dinge.“ Er wird immer wieder vor-            Ersten Weltkrieg ausgelöst, obwohl die deut-
getragen in dem Sinne, dass Krieg der Motor              sche Heeresleitung und wohl auch der Kaiser
des Fortschritts sei, auf den man nicht verzich-         lange vorher planten, den Aufstieg Russlands
ten könne. Unabhängig davon, ob die richtige             durch einen Angriff zu stoppen. Man wartete
Übersetzung nicht heißen müsste: „Der Konflikt           nur auf einen günstigen Anlass, der es erlauben
ist der Vater aller Dinge“, wird Heraklits wichti-       würde, Russland die Schuld am Kriege zuzu-
ger Zusatz verschwiegen. Er lautet: „Die einen           schieben.1
macht er zu Göttern, die anderen zu Menschen,
die einen zu Sklaven, die anderen zu Freien.“            Gegen die Legitimation des Krieges stehen his-
Mit diesem Zusatz nimmt Heraklits Aussage                torisch immer wieder Versuche, ihn zu delegi-
eine ganz andere Wendung. Sie kann nicht                 timieren oder ihn zumindest einzuhegen. Im
mehr als Bejahung des Krieges gelesen werden.            vergangenen Jahrhundert gab es hierzu zwei
Denn durch sie treten Kriegsverbrechen und               hoch bedeutsame Versuche. Erstens die Grün-
riesige Zerstörungen – verharmlosend „Kolla-             dung des Völkerbundes 1920, also kurz nach
teralschäden“ genannt – in den Vordergrund.              Ende des Ersten Weltkrieges, dessen Aufgabe es
Nimmt man noch hinzu, dass Heraklit nicht                war, in Konflikten zu vermitteln, die Einhaltung
zwingend über Krieg sprach, sondern mögli-               von Friedensverträgen zu überwachen (eine Art
cherweise Konflikt meinte, dann ergibt sich die          Monitoring) und die Zusammenarbeit zwischen
Frage, ob die Konflikte, die es notwendigerwei-          den Staaten zu fördern. Dazu wurde ein System
se stets geben wird, nicht ohne grausame Krie-           „Kollektiver Sicherheit“, wie man heute sagen
ge gelöst werden können. Oder weiter gefasst,            würde, vereinbart. Doch die Vereinigten Staaten
ob der „Motor des Fortschritts“ nicht eher im            hatten sich dem Völkerbund verweigert, und die
gemeinsamen Bemühen als im Kampf gegenei-                divergierenden Interessen der Nationalstaaten
nander zu suchen sei. Kurz: Das selektiv genutz-         ließen sich vom Völkerbund nicht bändigen. Er
te und möglicherweise falsch übersetzte Zitat            scheiterte schließlich im Zweiten Weltkrieg.
des griechischen Philosophen von vor zwei-
einhalbtausend Jahren ist anscheinend nichts             Der zweite Versuch in gleichem Sinne war die
weiter als eine PR-Legitimationsformel für               Gründung der Vereinten Nationen (UNO) nach
weitere Rüstung und Anwendung militärischer              1   Für Anregungen und Kritik danke ich Prof. Dr. Hanne-
Gewalt.                                                      Magret Birckenbach und Dr. Volker Böge.

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NEW YORK OFFICE                                                                      ALTERNATIVEN ZUM KRIEG

Ende des Zweiten Weltkrieges. Diesmal betei-               Krieg zu beobachten war. Die UNO kann den
ligten sich die USA und hatten einen wesentli-             delegierten Militäreinsatz nicht mehr kont-
chen Anteil am Zustandekommen der UNO. Die                 rollieren, wenn dieser sich verselbstständigt
Präambel der UNO von 1945 verdeutlicht die                 und ganz andere Ziele als die vorgegebenen
grundsätzlichen Ziele dieses Zusammenschlus-               verfolgt.
ses der Staaten:
                                                           Wie groß die Zahl der gewaltsamen weltweiten
  Wir, die Völker der Vereinten Nationen – fest ent-       Auseinandersetzungen ist, zeigt das jährlich
  schlossen, künftige Geschlechter vor der Geißel          veröffentlichte Konfliktbarometer des Heidel-
  des Krieges zu bewahren, die zweimal zu unseren
                                                           berger Instituts für Internationale Konflikt-
  Lebzeiten unsagbares Leid über die Menschheit
  gebracht hat, unseren Glauben an die Grund-              forschung (HIIK).2 Im Jahr 2010 wurden von
  rechte des Menschen, an Würde und Wert der               insgesamt 363 beobachteten Konflikten 126
  menschlichen Persönlichkeit, an die Gleichberech-        bewaffnet und 28 „hochgewaltsam“, das heißt
  tigung von Mann und Frau sowie von allen Nati-           mit massivem Einsatz organisierter Gewalt,
  onen, ob groß oder klein, erneut zu bekräftigen,
                                                           ausgetragen. Die Zahlen des Instituts zeigen
  Bedingungen zu schaffen, unter denen Gerechtig-
  keit und die Achtung vor den Verpflichtungen aus         eindrucksvoll den Anstieg der Konflikte ver-
  Verträgen und anderen Quellen des Völkerrechts           schiedener Intensitätsgrade von 1945 bis 2010.
  gewahrt werden können, den sozialen Fortschritt          Mit je neun hochgewaltsamen Auseinanderset-
  und einen besseren Lebensstandard in größerer            zungen sind der Nahe und Mittlere Osten sowie
  Freiheit zu fördern, und für diese Zwecke Duld-          Asien, gefolgt von Afrika südlich der Sahara mit
  samkeit zu üben und als gute Nachbarn in Frie-
                                                           fünf, die am stärksten betroffenen Regionen
  den miteinander zu leben, unsere Kräfte zu verei-
  nen, um den Weltfrieden und die internationale           der Erde.
  Sicherheit zu wahren, Grundsätze anzunehmen
  und Verfahren einzuführen, die gewährleisten,            In diesem Text geht es um die Form und die da-
  dass Waffengewalt nur noch im gemeinsamen In-            raus resultierenden Folgen des internationalen
  teresse angewendet wird, und internationale Ein-
                                                           Konfliktaustrages. Wie kann zivile Konfliktbear-
  richtungen in Anspruch zu nehmen, um den wirt-
  schaftlichen und sozialen Fortschritt aller Völker       beitung – ein wichtiges Postulat der Vereinten
  zu fördern – haben beschlossen, in unserem Be-           Nationen – vorangebracht und der militärische
  mühen um die Erreichung dieser Ziele zusammen-           Konfliktaustrag mit seinen verheerenden Lei-
  zuwirken.                                                den und Schäden zurückgedrängt und schließ-
                                                           lich überwunden werden? In drei Kapiteln wer-
An diesen Zielen und Aufgaben ist festzuhalten,            den zunächst Grundlagen für eine Politik der
obwohl sie in der Folgezeit nicht verwirklicht             Zivilen Konfliktbearbeitung betrachtet; an-
werden konnten. Der West-Ost-Konflikt hat                  schließend geht es in weiteren drei Kapiteln
sie an den Rand geschoben. Auch nach seiner                um die Perspektiven der Zivilen Konfliktbear-
Beendigung kam man diesen Zielen kaum nä-                  beitung.
her. Künftige Geschlechter sind nach wie vor
nicht vor der Geißel des Krieges gefeit. Noch
immer sehen die meisten Nationalstaaten, die
den Frieden organisieren sollen, das Militär als
wichtiges, wenn nicht sogar als wichtigstes In-
strument der Durchsetzung ihrer Interessen.
Auch schließt die UN-Charta den Einsatz des
Militärs als Ultima Ratio (oder Ultima Irratio?)
                                                           2   Heidelberg Institute for International Conflict Research:
nicht aus. Eine verhängnisvolle Entscheidung,                  Conflict Barometer 2010, Heidelberg 2011, http://hiik.
wie etwa am Irak-, Afghanistan- und Libyen-                    de/de/konfliktbarometer.

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NEW YORK OFFICE                                                                          ALTERNATIVEN ZUM KRIEG

Grundlage I: Folgen militärischen Konfliktaustrages

Der berühmte Militärtheoretiker des 19. Jahr-                    Die Militärapparate, die meist besser mit Finan-
hunderts Carl von Clausewitz schrieb:                            zen ausgestattet sind als andere Institutionen,
                                                                 verfügen in Verbindung mit der Rüstungsindus-
   Der Krieg ist ein Akt der Gewalt, und es gibt in der          trie oftmals über die Fähigkeit, die politischen
   Anwendung derselben keine Grenzen; so gibt jeder
                                                                 Bedingungen für ihr weiteres Wachstum selbst
   dem anderen das Gesetz, es entsteht eine Wech-
   selwirkung, die dem Begriff nach zum Äußersten
                                                                 zu kontrollieren. Dies hat in vielen Ländern die
   führen muss.3                                                 Etablierung von Militärdiktaturen begünstigt,
                                                                 die nicht nur Demokratisierungsprozesse ver-
Wie zutreffend seine Aussage ist, zeigen die                     hindert, sondern auch die Bereicherung der Eli-
Kriege des 20. und des beginnenden 21. Jahr-                     ten auf Kosten der Bevölkerung ermöglicht ha-
hunderts mit ihren unfassbar und weiter wach-                    ben. Um ihre Position abzusichern, organisieren
senden Zerstörungspotenzialen sowie mit der                      sie Milizen, Geheimdienste und Foltercamps,
Ausweitung der Kampfebenen vom Land-, Was-                       mit denen sie jeglichen Widerstand gegen
ser- und Luftkrieg auf den sogenannten Cyber                     ihre Willkürherrschaft im Keime zu ersticken
War (Datenkrieg) und den Weltraum.                               versuchen.

Der militärische Konfliktaustrag tötet, hinter-                  Militärische Aufrüstung und Kriegführung ha-
lässt zerstörte Landschaften und zerrissene Ge-                  ben schon immer zivile Zuarbeit benötigt für
sellschaften und schafft häufig neue Feindschaf-                 die Herstellung von Rüstungsgütern – vom
ten, die zu langwierigen Bürgerkriegen – wie                     Schwert bis zu Giftgas, Atomwaffen und In-
etwa in Afghanistan nach dem Abzug der sowje-                    terkontinentalraketen. Die in vielen Staaten
tischen Truppen 1989 oder in Nicaragua 1981-                     betriebene Zivil-Militärische Zusammenarbeit
1990 – führten. Schritte zur Aussöhnung und                      (ZMZ) – oder Civil-Military Cooperation (CIMIC) –
Kooperation werden, wie sich im Kosovo zeigt,                    dient der Ausweitung der Nutzung ziviler Kapa-
wenn überhaupt, sehr mühsam sein und lange                       zitäten für die Durchsetzung militärischer Ziele
rückfallgefährdet bleiben.                                       und insbesondere auch zur Bewältigung von
                                                                 Nachkriegssituationen. Die ZMZ verkehrt auch
Die Vorbereitung auf den militärischen Konflikt-                 politische Ansätze, die sich auf zivile Konflikt-
austrag erzwingt eine permanente Steigerung                      prävention beziehen, in ihr Gegenteil. So wird
der Rüstung, und zwar quantitativ wie qualita-                   im Deutschen Bundestag der Unterausschuss
tiv, wodurch die gegenseitige Bedrohungslage                     „Zivile Konfliktprävention und vernetzte Sicher-
der Völker sich ständig verschärft, was wie-                     heit“ in beiden Bereichen in Verbindung mit
derum die Aufrüstung weiter vorantreibt. Es                      möglichen militärischen Aktivitäten gebracht.
entsteht so ein sich selbst verstärkender Rüs-                   Diese Gefahr besteht auch für die Entwicklungs-
tungskreislauf. Die Militärausgaben bewirken                     politik.
große finanzielle Belastungen – im weltweiten
Durchschnitt 2,6% des Bruttoinlandsprodukts.4                    Der deutsche Entwicklungsminister, Dirk Niebel
Zugleich versagen die allermeisten Staaten da-                   (FDP), drohte Nichtregierungsorganisationen
bei, ihre Entwicklungshilfe auch nur auf den zu-                 (NGOs) mit dem Entzug ihrer finanziellen Förde-
gesagten Satz von 0,7% zu bringen.                               rung, sollten sie nicht bereit sein, mit der Bun-

3 Carl von Clausewitz: Vom Kriege, Bonn 1966 [1832], S.92.          International Security, Kurzfassung auf Deutsch, Stock-
4 Vgl. SIPRI Yearbook 2011: Armaments, Disarmament and              holm 2011, S. 9.

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NEW YORK OFFICE                                                               ALTERNATIVEN ZUM KRIEG

deswehr zusammenzuarbeiten. Viele dieser Or-             und politischen Interessen durch Protestak-
ganisationen bemühen sich jedoch gerade um               tionen und zivilen Ungehorsam die militärge-
einen explizit nicht-militärischen Zugang zu der         stützte Politik empfindlich stören? Solche Be-
Bevölkerung in Konfliktregionen, beispielsweise          fürchtungen und die daraus resultierende Si-
in Afghanistan, weil sie wissen, dass sie nur auf        cherheitspolitik tragen tendenziell zum Abbau
zivile Art und Weise ausreichend Akzeptanz und           demokratischer Rechte und Strukturen bei, so
Vertrauen finden, um den Menschen helfen zu              etwa bei der Verschärfung des Demonstrations-
können.                                                  rechts und den Kontrollmöglichkeiten durch die
                                                         neuen Medien.
ZMZ ist also keine Zivilisierung des militärischen
Bereiches und auch keine Zurückdrängung des              Um Militäreinsätze wider besseres Wissen
militärischen Konfliktaustrags. Im Gegenteil             in der Öffentlichkeit zu legitimieren, werden
geht es um die Unterwerfung weiterer ziviler             Feindbilder von potenziellen Gegnern konstru-
Bereiche unter die Bedürfnisse des Militärs und          iert und verbreitet. Da man mit denjenigen,
deren Logik.                                             die derart gebrandmarkt wurden, keinen Dia-
                                                         log mehr führen kann, entledigt man sich der
Die Rüstungstechnologie vergrößert die Un-               Möglichkeiten friedlicher Einflussnahme. Dieje-
gleichheit in der Welt. Gekämpft wird auf höchst         nigen, die – wie die Friedensbewegung – zivile
unterschiedlichem technischem Niveau: von der            Mittel der Konfliktbearbeitung fordern, sollen
Steinschlossflinte bis zur Drohne. Dies hat die          entmutigt und als naiv diskriminiert werden.
Kriegsformen in den vergangenen Jahrzehnten              Diesen Feindbildmechanismen erliegen häufig
grundsätzlich verändert. Die für viele Staaten           auch diejenigen, die an der Feindbildschaffung
uneinholbare rüstungstechnische Überlegen-               selbst beteiligt sind. Feindbilder führen nämlich
heit der hochindustrialisierten Staaten hat zu           zu Realitätsverlust und somit zu gravierenden
asymmetrischen, unterschiedlichen Formen des             Fehlbeurteilungen von Konflikten und ihren
Krieges geführt. Diese Kämpfe überschreiten              Lösungsmöglichkeiten und im Ergebnis zu Se-
häufig bestehende Staatsgrenzen und haben die            rien von verpassten Chancen der Friedens-
Tendenz zur Ausweitung. Die Kriegführung der             stiftung.
militärisch-technologisch schwachen Kriegspar-
teien wird von den USA und der NATO als ter-             Die militärgestützte Politik, besonders der grö-
roristisch bezeichnet und in einem „Krieg gegen          ßeren Militärmächte, drängt die internationalen
den Terror“ bekämpft. Dieser wird gegenwärtig            Institutionen, die zum Zweck der Kriegsverhin-
zu einem Krieg ohne Kriegserklärungen und                derung und Kooperationsförderung geschaffen
ohne Grenzen ausgeweitet. Für ihn werden In-             wurden, immer weiter in den Hintergrund oder
terventionskräfte für Auslandseinsätze und die           zwingt sie in friedenspolitisch unproduktive Ko-
Drohnen-Technologie ausgebaut, um überall auf            operationen, die einer militärpolitischen Logik
der Welt militärisch zuschlagen zu können.               folgen. Dies betrifft zum Beispiel die Wirkungs-
                                                         möglichkeiten der OSZE und des Generalsekre-
Weil in diesem „Krieg gegen den Terror“ die Si-          tariats der UNO, vor allem wenn der Sicher-
cherheit nicht steigt, sondern die Bedrohung             heitsrat involviert ist.
durch reagierende Kräfte sich ausweitet, tref-
fen die Regierungen sicherheitspolitische Vor-           Diese bedrohliche militärische Entwicklung
kehrungen durch die polizeiliche Kontrolle der           findet vor dem Hintergrund großer globaler
Bevölkerung und den Abbau demokratischer                 Machtverschiebungen statt, in denen die so-
Rechte. Sie fragen sich: Könnten die Menschen            genannten BRICS-Mächte (Brasilien, Russland,
in Verfolgung ihrer wirtschaftlichen, sozialen           Indien, China, Südafrika) aufgrund ihrer wirt-

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NEW YORK OFFICE                                                               ALTERNATIVEN ZUM KRIEG

schaftlichen Konkurrenzfähigkeit aufsteigen             Entfaltung von Einsichten und Kapazitäten zur
und ihre Ansprüche auf die Ressourcen der Welt          friedlichen Konfliktlösung und Kooperation auf
zunehmend zur Geltung bringen. Klimabelas-              die Tagesordnung der Weltgemeinschaft. Diese
tungen steigern die Dramatik der Situation. Ein         Notwendigkeit muss zur Grundlage von Politik
militärischer Austrag dieser Konflikte wäre eine        werden. Zivile Konfliktbearbeitung ist eine vor-
Katastrophe für alle.                                   rangige Zukunftsaufgabe – und zwar nicht nur
                                                        für die unmittelbaren Konfliktparteien, sondern
Fazit: Da militärischer Konfliktaustrag zerstö-         auch für alle, die von außen vermittelnd helfen
rerisch und friedensunwirksam ist, gehört die           wollen.

Grundlage II: Was bedeutet und umfasst Zivile Konfliktbearbeitung ?

Zivile Konfliktbearbeitung (ZKB) bedeutet, dass            ⇒⇒ alle beteiligten Akteure auf gesellschaft-
Konfliktparteien miteinander in Beziehung tre-                licher, staatlicher und internationaler
ten, sich nachhaltig für eine konstruktive Lösung             Ebene zu informieren und zu beteiligen;
zugunsten aller Beteiligten einsetzen, einen Dia-
log aufnehmen und miteinander verhandeln.                  ⇒⇒ die normative Orientierung an den Men-
Sie beinhaltet demnach:                                       schen- und Minderheitenrechten in allen
                                                              ihren politischen, sozialen und kulturel-
   ⇒⇒ Konflikte ohne militärische Drohung und                 len Dimensionen, an kulturübergreifen-
      Militäreinsatz zu bearbeiten, das heißt sie             den ethischen Normen sowie an dem
      im Hinblick auf ihre Ursachenzusammen-                  Gebot, der Befriedigung menschlicher
      hänge zu verstehen, nach Lösungsmög-                    Grundbedürfnisse Priorität vor allen an-
      lichkeiten zu suchen und entsprechende                  deren Interessen einzuräumen;
      Prozesse in der Praxis einzuleiten;
                                                           ⇒⇒ zur Überwindung direkter, aber auch
   ⇒⇒ Konflikttransformation von der militäri-                struktureller Gewalt beizutragen, die in
      schen auf die politische Ebene zu fördern;              Armut und Hunger ihren Ausdruck fin-
                                                              det und häufig durch Gewalt abgesichert
   ⇒⇒ eine Politik der Kooperation, des gegen-                wird.
      seitigen Respekts und der Bereitschaft
      zum Dialog und zur Aussöhnung zu be-              Die Haltung, mit der ZKB zu betreiben ist,
      treiben;                                          kommt vielleicht am besten in den Satyagraha-
                                                        Normen Mahatma Gandhis zum Ausdruck:
   ⇒⇒ sich – auch durch einseitige Schritte und
      Vorleistungen – um Vertrauen zum all-               Gib dem Kampf einen positiven Inhalt! Dehne die
      gemeinen Nutzen zu bemühen;                         Ziele des Kampfes nicht aus! Schenke dem Geg-
                                                          ner Vertrauen! Begegne dem Gegner persönlich!
   ⇒⇒ Vorschläge so zu gestalten, dass sie für            Sei zum Kompromiss bereit! Richte den Kampf
                                                          gegen die Sache, nicht gegen die Person! Nütze
      alle Beteiligten annehmbar sein können
                                                          die Schwäche des Gegners nicht aus! Provoziere
      und nach Möglichkeit für alle Vorteile              den Gegner nicht! Wähle Mittel, die dem Ziel ent-
      bringen.                                            sprechen! Sei nicht abhängig von einer Hilfe von

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NEW YORK OFFICE                                                                         ALTERNATIVEN ZUM KRIEG

    außen! Sei opferbereit! Lebe dich in die Gesichts-             schaft, wie man im letzten Jahrzehnt etwa im
    punkte des Gegners ein! Verberge deine Pläne                   Irak und in Afghanistan beobachten konnte.
    nicht! Gestehe deine Fehler ein! Entziehe dem Geg-
    ner das Handlungsobjekt! Mache keine Sabotage!
    Sei loyal!5
                                                                   Die Methoden von ZKB können dagegen Em-
                                                                   pathie, Kooperation und Aussöhnung fördern
ZKB geht nicht von einem naiven, idealisie-                        und damit auch die Lebensbedingungen der
renden Menschenbild aus, setzt aber auf die                        Konfliktpartner verbessern. Damit dies auch
Lernfähigkeit von Menschen zugunsten ei-                           für die Mehrheit der Bevölkerung zutrifft, muss
gener Lebensgestaltung und Überlebensin-                           diese am ZKB-Dialog beteiligt sein und auf ihn
teressen. Sie bezieht sich nicht nur auf die                       Einfluss nehmen können. Wenn der ZKB-Dialog
Form des Konfliktaustrags, sondern auch auf                        nur unter den Eliten geführt wird, besteht die
die konkreten Inhalte des Konflikts, für den                       Gefahr, dass eine Verbesserung der Lebensbe-
ethisch vertretbare Problemlösungen gefun-                         dingungen der Bevölkerung zugunsten der Be-
den werden müssen. Wie im Fall des militä-                         reicherungsinteressen von Eliten ausbleibt. Die
rischen Konfliktaustrags besteht auch im Fall                      Frage nach der Überwindung struktureller Ge-
von ziviler Konfliktbearbeitung eine Beziehung                     walt durch ZKB ist demnach eng damit verbun-
zwischen den angewandten Mitteln und den                           den, ob auch die benachteiligten gesellschaft-
erreichbaren Zielen (Ziel-Mittel-Relation). Mi-                    lichen Kräfte einbezogen und von einer Prob-
litärische Mittel verstärken Hass und Feind-                       lemlösung erkennbaren Nutzen haben werden.

Grundlage III: Auf welche politischen Institutionen kann sich Zivile
Konfliktbearbeitung heute schon beziehen ?

Nach Kriegen, die mit Sieg und Niederlage ende-                    die Überlieferung, vielleicht ist es auch nur ein
ten oder wegen der Erschöpfung beider Seiten                       Mythos – nicht gekämpft, sondern sich mit dem
nicht fortgeführt werden konnten, kam – wenn                       Bevollmächtigten des Sultans beim Schachspiel
nicht das Chaos – die Stunde der Verhandlun-                       über eine friedliche Lösung des Zugangs zu Je-
gen. Es begannen die Gespräche der Diploma-                        rusalem geeinigt. Eine Tradition ist daraus indes
ten, die in der Regel zwar zivil, aber nicht vom                   nicht erwachsen; andere Konflikte hat Friedrich
Geist der Aussöhnung und der Bereitschaft zu                       II. durchaus mit Waffengewalt ausgetragen.
Kooperation der Kontrahenten getragen waren.
Bestimmend waren eher die verbliebenen Kräf-                       Verfassungen, Gesetze, Rechtsprechung, Institu-
teverhältnisse und der Blick auf neue Bündnisse,                   tionen der Gewaltenteilung und Verfahrensrege-
die eine Revanche ermöglichen sollten. Sicher                      lungen im Binnenverhältnis von Herrschaftsbe-
gab es Ausnahmen von dieser Regel. Von Kai-                        reichen und Staaten haben Willkürherrschaft
ser Friedrich II. wird berichtet, er habe sich dem                 unter Umständen begrenzen können. Gerichte
Wunsch des Papstes gefügt, einen Kreuzzug ins                      trafen Entscheidungen zwischen Kontrahenten
„Heilige Land“ zu führen. Dort habe er aber – so                   nach jeweils geltendem Recht. Jedoch waren
                                                                   solche Instrumente immer auch Ausdruck so-
5   Vgl. Andreas Buro: Meine Erfahrungen mit den ‚Satya-           wohl der Überwindung vorangegangener wie
    graha-Normen’ von Johan Galtung und Arne Naess nach
    Gandhi, in: Reiner Steinweg und Ulrike Laubenthal (Hg.):       auch der Etablierung neuer gesellschaftlicher
    Gewaltfreie Aktion, Frankfurt a.M. 2011, S. 174-185.           Herrschaftsverhältnisse. Das alte Athen, immer

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NEW YORK OFFICE                                                                  ALTERNATIVEN ZUM KRIEG

wieder als Wiege der Demokratie gelobt, unter-               der internationalen Sicherheit zu gefährden, be-
schied freie und unfreie Bürger; letztere waren              mühen sich zunächst um eine Beilegung durch
                                                             Verhandlung, Untersuchung, Vermittlung, Ver-
ausgegrenzt aus der Demokratie des Stadtstaa-
                                                             gleich, Schiedsspruch, gerichtliche Entscheidung,
tes. Häufig unterlag der Adel in Europa einer                Inanspruchnahme regionaler Einrichtungen oder
anderen Gerichtsbarkeit als die bäuerliche und               Abmachungen oder durch andere friedliche Mittel
städtische Bevölkerung. Und vor allem wurden                 eigener Wahl.
Menschen durch Rechtsordnungen zu Leibeige-
nen und Sklaven, die man oftmals als privates            Im Fall der Kubakrise 1962, als der Kalte Krieg
Eigentum behandelte.                                     in einen Atomkrieg zu münden drohte, hat sich
                                                         Artikel 33 als friedensrettend erwiesen. Damals
Internationale Verträge und internationales Recht        wandte sich der UN-Generalsekretär, Sithu U
spielen beim zivilen Austrag von Konflikten eine         Thant, an den Sicherheitsrat, verlangte dringend
bedeutende Rolle, besonders wenn sich die                Verhandlungen und informierte über seine eige-
Kontrahenten einer internationalen Gerichts-             nen Aktivitäten. Er appellierte an Kennedy und
barkeit unterwerfen. Man denke zum Beispiel              Chruschtschow, in ein zwei- bis dreiwöchiges
an die Festlegung von Hoheitsgewässern um                Moratorium einzuwilligen, und an den kubani-
Küstenstaaten, die dann dort ein alleiniges              schen Präsidenten Castro, den Aufbau von Mi-
Recht für Fischerei und die Ausbeutung von               litäranlagen zu unterbrechen, reiste zu Gesprä-
Bodenschätzen im Meer erhalten.                          chen mit Castro nach Havanna und diente Ken-
                                                         nedy and Chruschtschow als Mediator, indem
Staatsübergreifende regionale Zusammenschlüs-            er Botschaften kommunizierte und Zeit schuf.
se, wie etwa die EU und die ASEAN-Staaten,               Später dankten der US-amerikanische und der
spielen eine wichtige Rolle in der Überwindung           sowjetische Unterhändler dem Generalsekretär
gegenseitiger militärischer Bedrohung und des            in einem gemeinsamen Brief, in dem sie ihn ih-
Wettrüstens. Weil sie einen beständigen Dialog           rer gemeinsamen Wertschätzung für die geleis-
über all- oder gegenseitig interessierende Fra-          teten Vermittlungsbemühungen versicherten.
gen und Vereinbarungen führen, orientieren sie           Ein solcher Dank war und ist ungewöhnlich, weil
stärker auf Kooperation als auf Konfrontation.           in der Regel die Konfliktparteien den Erfolg für
Dies betrifft jedoch nicht ihr Verhalten nach au-        sich beanspruchen und Mediatoren in der Re-
ßen, bei dem nach wie vor militärgestützte Poli-         gel zur Vertraulichkeit verpflichtet werden. Das
tik eine Rolle spielt.                                   erklärt auch, warum die UNO für die tatsächlich
                                                         von ihr erbrachten Friedensleistungen so wenig
Unter den globalen Zusammenschlüssen neh-                Anerkennung erfahren.6
men die Vereinten Nationen (UNO) eine heraus-
gehobene Stellung ein. Mit ihrer Gründung im             Als Problem einer zivilen Konfliktbearbeitung
Frühjahr 1945 in San Francisco und der Unter-            durch die UNO hat sich die hohe, in der Charta
zeichnung der UN-Charta durch die Vertreter              vorgesehene Einflussnahme des Sicherheits-
von 50 Staaten begann nach dem Scheitern                 rates erwiesen. Der dortige Dialog wurde bald
des Völkerbundes ein neuer Versuch, durch                nach Gründung der Vereinten Nationen durch
eine Weltorganisation die Geißel des Krieges zu          den Kalten Krieg zwischen West und Ost und
überwinden und friedliche Konfliktregulierung            später durch die Vetomächte, die gemeinsame
voranzutreiben. Die Charta verpflichtet die Staa-        Entscheidungen mit einer einzigen Stimme zu
ten in Kapitel VI zur friedlichen Beilegung von          Fall bringen konnten, blockiert. Die kriegerische
Streitigkeiten und regelt in Artikel 33 Absatz 1:        Geschichte der Zeit nach 1945 und die enorme

  Die Parteien einer Streitigkeit, deren Fortdauer       6   Bertrand G. Ramcharan: Preventive Diplomacy at the
  geeignet ist, die Wahrung des Weltfriedens und             UN, 2008.

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NEW YORK OFFICE                                                                          ALTERNATIVEN ZUM KRIEG

Aufrüstung zeigen, dass der UN-Sicherheitsrat                  benspraxis, zum Beispiel der Quäker; im Islam
im Bereich der Friedensstiftung wenig erfolg-                  auf die Idee vom Zusammensein und Teilen mit
reich war, wenngleich er Konflikteskalationen                  den Armen. Sie können sich beispielsweise auf
bisweilen durch den Einsatz von Blauhelmen                     Immanuel Kants Schrift „Vom Ewigen Frieden“
verhindern konnte. Zusammen mit dem Ge-                        und seine Darlegung von Friedensbedingungen
neralsekretariat und der Generalversammlung                    berufen sowie auf die Bedeutung von Toleranz
bemühen sich aber mehrere Unterorganisatio-                    in dem Stück „Nathan der Weise“ von Gotthold
nen der UNO in vielen Bereichen mit Methoden                   Ephraim Lessing. Zu diesen Bezugnahmen ge-
des Dialoges, ihren Aufgaben zur Friedensstif-                 hören die Tradition des gewaltfreien Konflikt-
tung im Sinne ZKB nachzugehen.                                 austrags und Widerstands, die mit den Lehren
                                                               Mahatma Gandhis verbunden ist, wie auch der
ZKB und ihre Vertreter können sich ebenfalls                   Kampf der amerikanischen Bürgerrechtsbewe-
auf religiöse, philosophische und ethische                     gung gegen die Rassentrennung, den Martin
Überlegungen beziehen, die in allen Religionen                 Luther King anführte. Auch in der muslimischen
und Kulturen dokumentiert sind. Im christli-                   Welt gibt es inzwischen eine Fülle von Erfahrun-
chen Bereich auf die „Nächstenliebe“, ja sogar                 gen im gewaltfreien Aufstand, zuletzt mit dem
auf die „Feindesliebe“, sowie auf die Unterschei-              „arabischen Frühling“, die dringend wahrge-
dung zwischen Täter und Tat, auch auf die Le-                  nommen werden müssen.7

Perspektive I: Bestandsaufnahme von Ziviler Konfliktbearbeitung
in der gegenwärtigen internationalen Politik

Die Erhebungen in Tunesien und Ägypten, die                    bei den frühen Vorbereitungen auf die Volkser-
trotz repressiver Staatsgewalt bemüht waren,                   hebung gegen die Mubarak-Diktatur offenbar
ihre Proteste und Demonstrationen gewaltfrei                   Gene Sharps Leitfaden, „Von der Diktatur zur
zu gestalten, haben viel Bewunderung hervor-                   Demokratie“,8 vermittelt durch Friedensaktivis-
gerufen und die Öffentlichkeit auf die Themen                  ten aus Belgrad, die sich dort gegen die Milo-
Gewaltfreiheit und Zivile Konfliktbearbeitung                  sevic-Herrschaft gewandt hatten, eine wichtige
aufmerksam gemacht. Dies galt über lange                       Rolle gespielt.
Zeit auch für die Opposition in Syrien, wo die
Demonstrierenden aufgrund ihrer gewaltfrei-                    Da die gewaltsameren Konflikte heute ganz
en Haltung sogar eine ausländische Militär-                    überwiegend innerhalb von Staaten ausge-
intervention ablehnten. Desertierte syrische                   tragen werden, muss sich ZKB nicht zuletzt in
Soldaten, die einen bewaffneten Kampf gegen                    innerstaatlichen Krisen bewähren. Das heißt
das terroristische Regime aufnahmen, stellten                  umgekehrt freilich keineswegs, die schwerwie-
jedoch die Gewaltfreiheit der Volkserhebung in                 genden Krisen und Kriege im globalen Zusam-
Frage. Das gewaltfreie Verhalten war umso er-                  menhang könnten vernachlässigt werden; denn
staunlicher, als es in diesen drei Ländern keine               mag ihre Zahl auch geringer sein, so sind die
langfristigen Bemühungen einer Friedensbewe-                   Folgen eines internationalen Konfliktaustrags
gung um eine Kultur der ZKB gab. Allerdings hat                doch massiv und von langer Dauer.

7   Stephen Zunes: Nonviolence in the Islamic World, in:       8   Gene Sharp: Von der Diktatur zur Demokratie. Ein Leit-
    “Nonviolent Activist: Magazine of the War Resister’s           faden für die Befreiung, München 2008. (Das Buch
    League”, 1/2002.                                               wurde bereits 1993 in englischer Sprache veröffentlicht.)

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NEW YORK OFFICE                                                                      ALTERNATIVEN ZUM KRIEG

ZKB bezeichnet eine Haltung in und gegenüber                     sowie Beratung und Trainingsmaßnahmen in
Konflikten sowie eine friedenspolitische Praxis.                 ziviler Konfliktbearbeitung durchzuführen. Zu-
Bei der folgenden exemplarischen Bestands-                       sammen mit drei lokalen Organisationen wird
aufnahme dieser Praxis, die sich überwiegend                     die Geschichte gewaltlosen Widerstandes im
in einzelnen Projekten konkretisiert, wird zwi-                  Libanon dokumentiert.
schen innerstaatlichen und internationalen
Konflikten unterschieden.                                        Auf der philippinischen Insel Mindanao, wo
                                                                 seit 40 Jahren Konflikte andauern, werden ver-
Angesichts der großen Vielzahl der ZKB-Projek-                   schiedene Friedens- und Menschenrechtsgrup-
te werden im Folgenden einzelne Projekte „von                    pen sowie zivilgesellschaftliche Netzwerke ge-
unten“ exemplarisch vorgestellt; ähnliche Pro-                   fördert.
jekte werden von zahlreichen NGOs in vielen
Teilen der Welt ausgeführt.                                      Das Forum hatte 2010 für seine gesamte Arbeit
                                                                 (einschließlich der Akademie für die Ausbildung)
                                                                 ein Budget von etwa 4,4 Mio. Euro zur Verfügung.
Innerstaatliche Konflikte                                        Zum Vergleich: Der Militäretat der Bundesrepub-
                                                                 lik betrug nach SIPRI etwa 34 Mrd. Euro.
Das „Forum Ziviler Friedensdienst“ (ZFD) ist
1996 aus dem Zusammenhang der Deutschen                          Zur Veranschaulichung der unterschiedlichen
Friedensbewegung entstanden. Es arbeitet                         Aktionsformen sei hier noch auf das Projekt „Fe-
durch die Entsendung ausgebildeter Frauen                        rien vom Krieg“ des Komitees für Grundrechte
und Männer in Krisenherde im Inland (vorwie-                     und Demokratie verwiesen, das seit 1994 jähr-
gend kommunale Konfliktberatung) wie auch                        lich betrieben wird. Zunächst war es das Ziel,
im Ausland.9 Die ZFD-Gruppen bestehen aus                        Kinder der verfeindeten Ethnien auf dem Bal-
10-20 Personen mit guter Ausbildung.                             kan am Strand der Adria zusammenzuführen,
                                                                 um rassistische Feindbilder zu überwinden.
Im Programm „Westlicher Balkan“ stehen Pro-
jekte der Vergangenheitsarbeit und der Dialog                    Zunächst kamen Bosnier, Serben und Kroaten,
über ethnische Grenzen hinweg im Mittelpunkt.                    später auch Kosovo-Albaner. Bis 2011 waren
Zu den Handlungsfeldern zählen die Stärkung                      es weit über 20.000 Kinder und Jugendliche,
und Vernetzung politischer Initiativen der Ver-                  die sich spielerisch kennen und schätzen lern-
gangenheitsarbeit, die eine konstruktive, öf-                    ten. Im Rahmen dieser Aktion wurden später
fentliche Diskussion anstreben, sowie die För-                   Jugendliche aus Israel und Palästina zum ge-
derung interethnischen Dialogs im Bildungs-                      meinsamen Treffen eingeladen. Aus diesen Ak-
wesen.                                                           tivitäten sind inzwischen Folge-Projekte in den
                                                                 Heimatländern entstanden.
Im Programm „Israel & Palästina“ geht es seit
1999 um den Aufbau von Dialog-Strukturen und                     Eine andere Form der zivilen Intervention in
die Förderung von Friedenspädagogik. Im Liba-                    innergesellschaftliche Konflikte besteht in der
non baut das Forum ZFD seit 2009 zusammen                        Ausarbeitung, Veröffentlichung und Verbreitung
mit der Gesellschaft für internationale Zusam-                   von Konzepten, wie der jeweilige Konflikt dees-
menarbeit ein neues Programm auf, dessen Ziel                    kaliert und behandelt werden könnte. Sie initi-
es ist, die vergangenen Konflikte aufzuarbeiten                  ieren einen politischen Dialog über Alternativen
                                                                 zum Militär und machen die häufig verpassten
9   Forum ZFD: Geschäftsbericht 2010. Entwicklung und Fi-
                                                                 friedenspolitischen Chancen bewusst. Ein Bei-
    nanzen im Überblick, Bonn 2011.                              spiel hierfür ist das Monitoring-Projekt und da-

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NEW YORK OFFICE                                                                               ALTERNATIVEN ZUM KRIEG

rin das Dossier über den türkisch-kurdischen                         Tamilen und Singhalesen in Sri Lanka zu dees-
Konflikt.10 Dort heißt es im Editorial:                              kalieren, zu transformieren und schließlich zu
                                                                     einer friedlichen Bearbeitung des Konflikts zu
   Im Oktober 2006 hat die Guerilla einen neuen                      gelangen. Von deutscher Seite war besonders
   unbefristeten Waffenstillstand ausgerufen. Die                    die Berghof-Stiftung engagiert. Trotz großer
   EU-Staaten halten trotzdem an ihrem Terrorismus-
                                                                     Bemühungen setzte sich schließlich das Bestre-
   Vorwurf gegenüber der PKK und ihren Organisa-
   tionen fest und verbauen sich so die Möglichkeit,                 ben der Regierung in Colombo durch, die Ta-
   in den Konflikt vermittelnd eingreifen zu können.                 mil Tigers militärisch vernichtend zu besiegen,
   Es gilt, eine weitere Eskalation des gewaltsamen                  wodurch zwar Unterwerfung erreicht, aber der
   Konflikts zu verhindern und ihn mit zivilen Mitteln               Konflikt nicht gelöst werden konnte. Viele der
   beizulegen. Dazu können staatliche, internationale
                                                                     ZKB-Vermittler mussten sogar das Land verlas-
   und nicht-staatliche Stellen einen Beitrag leisten.
   Auch die Erfahrungen, die in Europa mit nationa-                  sen. Dieses Beispiel zeigt, dass die Bemühun-
   len Minderheiten gemacht wurden – zum Beispiel                    gen um ZKB durch nicht-staatliche Organisatio-
   das Südtirol-Abkommen zwischen Österreich und                     nen in einem Land mit innerstaatlichen Konflik-
   Italien – sollten herangezogen werden.                            ten keineswegs immer die Unterstützung ihrer
                                                                     jeweiligen Botschafter erhielten.11 Diese waren
Das Dossier enthält einen Fahrplan (Road-                            möglicherweise mehr an der Stabilität der be-
map) für die Lösung des türkisch-kurdischen                          stehenden Herrschaft als an der friedlichen Lö-
Konflikts. Diese Roadmap setzt auf einseitige                        sung der Konflikte interessiert.
Schritte, die Vertrauen schaffen, Ängste ab-
bauen und die jeweilig andere Seite zu eben-                         Wo gab es direkte Bemühungen von Staaten, in-
solchen Schritten veranlassen können. Einen                          nerstaatliche Konflikte im hier verstandenen
zentralen Stellenwert besitzen die Beendigung                        Sinne von ZKB zu schlichten? Bei der Überwin-
des Krieges durch die Bereitschaft der kurdi-                        dung der Apartheid in Südafrika etwa spielten
schen Seite, ihre Waffen unter internationaler                       die industrialisierten Großmächte, darunter
Kontrolle abzugeben und damit den Konflikt zu                        auch Deutschland, eine eher negative Rolle.
transformieren, sowie die Erklärung Ankaras,                         Und Interventionen waren oft mit Parteinahme
eine Politik der Aussöhnung anzustreben und                          für einen Konfliktpartner oder – wie in Libyen –
eine allumfassende Amnestie durchzusetzen.                           gar mit militärischer Unterstützung verbunden.
Die EU-Staaten sollen sich ernsthaft um Hil-                         Wo blieb die Unterstützung der Transforma-
fe bei der Lösung des Konflikts bemühen und                          tionsprozesse im arabischen Frühling, sei es
dazu ihren Terrorismus-Vorwurf gegenüber                             durch Aufnahme von Flüchtlingen, sei es durch
der kurdischen Seite fallen lassen und anerken-                      Investitionen und Maßnahmen, die geeignet
nen, dass es sich auch um Widerstand gegen                           wären, die Entwicklung der sozialen Frage posi-
die türkische Politik der Zwangsassimilierung                        tiv zu beeinflussen?
handelt.
                                                                     In Post-Konfliktsituationen richtet sich die Ein-
ZKB zwischen den Konfliktparteien vor Ort ist eine                   wirkung von außen vorwiegend auf den Aus-
weitere Form der zivilen Intervention. Als Bei-                      bau des sogenannten Sicherheitssektors. Im
spiel nenne ich hier die vielfältigen und lang-                      Vordergrund stehen Militär- und Polizeiaufbau,
jährigen Versuche von Stiftungen, Forschungs-                        Geheimdienste, die Sicherung des staatlichen
instituten und NGOs, den Konflikt zwischen                           Gewaltmonopols usw. Mit ZKB hat dies nur sel-
10 Andreas Buro: Monitoring-Projekt. Dossier III: Der türk-
                                                                     ten etwas zu tun.
   isch-kurdische Konflikt, Bonn 2007. Die Herausgabe
   des Dossiers begleitete die vieljährige Arbeit des Dia-           11 Norbert Ropers: A Systemic Approach: Reflections on Sri
   log-Kreises: „Die Zeit ist reif für eine politische Lösung           Lanka, 2011, www.berghof-handbook.net/documents/
   im Konflikt zwischen Türken und Kurden“.                             publications/ropers_handbookII.pdf.

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NEW YORK OFFICE                                                                 ALTERNATIVEN ZUM KRIEG

Auf der Ebene der internationalen Organisationen         zuweiten. Die Kommission hätte dann die Auf-
sind zuerst die Vereinten Nationen zu nennen.            gabe, gestützt auf einen Stab von Wissenschaft-
Sie haben nach Ende des West-Ost-Konflikts               lern und Praktikern der Konfliktbearbeitung in
eine wichtige Weichenstellung in Richtung recht-         Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft und
zeitiger, vorbeugender Konfliktbearbeitung vor-          den vorhandenen Frühwarneinrichtungen, de-
genommen. Ausgangspunkt war die Agenda for               taillierte Empfehlungen für eine rechtzeitige,
Peace, die vom damaligen UN-Generalsekretär              nicht-militärische Bearbeitung regionaler Kri-
Boutros Boutros-Ghali 1992 veröffentlicht wur-           sen durch die Vereinten Nationen zu erarbei-
de. Vorbeugende Diplomatie, Friedensschaf-               ten. Man könnte sich vorstellen, dass auch in
fung, Friedenssicherung und -konsolierung wa-            vielen Staaten sowie in der EU solche Kommis-
ren wichtige Pfeiler dieser neuen Orientierung.          sionen entsteht, sodass sich ein Mehrebenen-
Zu den Instrumenten gehörte allerdings auch              system der ZKB entwickeln kann, das von den
der Einsatz von UN-Truppen. Auch wenn es                 lokalen und nationalen Ebenen über regionale
sich also nicht um ein pazifistisches Konzept            Ebenen bis hin zur globalen Ebene reicht und
handelt, enthält es doch viele interessante An-          Erfahrungen bündelt.
sätze im Sinne von ziviler Konfliktbearbeitung.
Im Rahmen der Agenda wurde das Department                Bei allen positiven Entwicklungen auf dem Wege
of Political Affairs als Hauptabteilung des UN-          zur ZKB darf allerdings nicht vergessen werden,
Sekretariats mit der Aufgabe der Frühwarnung             dass der UN-Sicherheitsrat immer noch über
vor drohenden, eskalierenden Konflikten ge-              den Einsatz der Instrumente zu entscheiden
gründet. Der Nachfolger von Boutros-Ghali,               hat.12 In ihm spielen die jeweiligen (vermeint-
Kofi Annan, hat diese Orientierung weiter ver-           lichen) nationalen Interessen eine entschei-
folgt und von einer „Kultur der Prävention“ ge-          dende Rolle, insbesondere jene der mit einem
sprochen.                                                Vetorecht ausgestatteten Großmächte. Wie in
                                                         Deutschland mit der zivil-militärischen Zusam-
Die in der deutschen Zivilgesellschaft entstan-          menarbeit (ZMZ) besteht auch auf der globalen
dene Initiative PRO UNCOPAC hat sich ein ehr-            Ebene immer die Gefahr, dass der Friedensge-
geiziges und langfristiges Projekt zum Ziel ge-          danke und die ZMZ von den etablierten militär-
setzt: die Einrichtung eines Nebenorgans der             orientierten Institutionen gekapert werden. Auf
Generalversammlung der UNO – eine UN-Kom-                der Ebene der UNO hat dieser Mechanismus
mission für Frieden und Krisenprävention (UN-            dazu geführt, dass die „Agenda for Peace“ nicht
Commision on Peace and Crisis Prevention).               zufriedenstellend umgesetzt werden konnte.
Dazu wurde ein modellhaftes Statut erarbeitet,           Andreas Zumach schrieb bereits 1995:
das von Anfang an großes internationales Inte-
resse gefunden hat. In der Nachfolge hat sich              In der veröffentlichten Meinung ist zumeist undiffe-
das Forum Crisis Prevention e.V. vorgenommen,              renziert von der UNO die Rede – zumal, wenn über
                                                           Versagen und Fehler wie in Somalia, Ex-Jugoslawi-
Vorschläge in die politische Diskussion einzu-
                                                           en oder Ruanda berichtet wird. Diese Darstellung
bringen und Menschen aus möglichst vielen                  unterschlägt die Verantwortung einzelner Mit-
Ländern an seiner Arbeit für Zivile Krisenprä-             gliedstaaten, die mit ihren oft gegensätzlichen In-
vention zu beteiligen. Im Jahr 2005 hat die UNO            teressen und höchst unterschiedlichen politischen,
die Einrichtung einer Peace Building Commis-               wirtschaftlichen und militärischen Einflussmöglich-
                                                           keiten die Politik der UNO bestimmen. Die UNO als
sion für Post-Konflikt-Situationen beschlossen.
                                                           eigenständig handelndes Subjekt existiert nicht.13
Das Forum Crisis Prevention bemüht sich nun
mit anderen Initiativen darum, das Mandat die-
                                                         12 Vgl. UN: Reports of the Security Council.
ser Kommission auf pro-aktive Prävention un-             13 Andreas Zumach: special Vereinte Nationen, Reinbek
ter aktiver Mitwirkung der Zivilgesellschaft aus-           1995, S. 8.

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NEW YORK OFFICE                                                                ALTERNATIVEN ZUM KRIEG

Unterorganisationen der UNO spielen eine be-              Die ständigen Spendenbitten der humanitär
deutende Rolle in der Arbeit der UNO. Sie sind            ausgerichteten Unterorganisationen zeigen,
in der Regel nicht unmittelbar in die Deeskala-           wie knapp die Ressourcen für ihre Arbeit sind.
tion und Lösung gewaltsamer Konflikte einge-              Je mehr es gelingt, zivile Konfliktbearbeitung an
bunden, haben aber sehr wohl mit den Entste-              die Stelle von militärischem Konfliktaustrag zu
hungsbedingungen zu tun und werden von den                setzen, desto größer fallen Einsparung im militä-
Auswirkungen militärischen Konfliktaustrags               rischen Bereich aus, und desto mehr können die
betroffen. Die Unterorganisationen der UNO                Unterorganisationen auch hoffen, dass die Ein-
müssen für die Bewältigung ihrer Aufgaben an              sicht und Bereitschaft der UN-Mitgliedstaaten
friedlichen Verhältnissen und damit auch an der           wächst, diese Organisationen ausreichend zu
friedlichen, zivilen Bearbeitung von Konflikten           finanzieren.
interessiert sein. In dieser Hinsicht sprechen be-
reits die Namen der folgenden Organisationen
für sich:                                                 Internationale Konflikte

  ⇒⇒ Economic Commission for Africa                       Laut dem bereits benannten Konflikt-Barome-
                                                          ter des „Heidelberg Institute for International
  ⇒⇒ Food and Agriculture Organization                    Conflict Research“ hat die Zahl internationalen
                                                          Konflikte abgenommen. Zu ihnen zählen aller-
  ⇒⇒ Global Programme on Globalization, Li-               dings auch Interventionskriege wie in Afgha-
     beralization and Sustainable Human De-               nistan und im Irak sowie der Konflikt zwischen
     velopment                                            Israel und Palästina.

  ⇒⇒ International Labour Organization                    Soziale Bewegungen und NGOs haben immer
                                                          wieder gegen Kriege und die Kriegsteilnah-
  ⇒⇒ United Nations Children’s Fund                       me des eigenen Landes protestiert. Dies war
                                                          wirkungsvoll beim Interventionskrieg der USA
  ⇒⇒ United Nations Conference on Trade and               in Vietnam und hat die Bereitschaft in Wa-
     Development                                          shington gestärkt, über eine Friedenslösung
                                                          in diesem Kriege nachzudenken und schließ-
  ⇒⇒ United Nations Educational, Scientific               lich zu verhandeln. Die Bundesrepublik war
     and Cultural Organisation                            an diesem Kriege nicht unmittelbar beteiligt.
                                                          Trotzdem war es wichtig, im Bewusstsein sei-
  ⇒⇒ United Nations Environment Programme                 ner Bevölkerung eine Ablehnung des Krieges
  ⇒⇒ United Nations Framework Convention                  und damit eine kritische Haltung zu militär-
     on Climate Change                                    gestützter Politik zu fördern, auch wenn dies
                                                          Kritik an einem Bündnispartner bedeutete.
  ⇒⇒ United Nations High Commissioner for                 Das hat sich auch während des Interventions-
     Refugees                                             kriegs der USA und der NATO in Afghanistan
                                                          ausgewirkt. Er wird von etwa zwei Dritteln der
  ⇒⇒ UN System Network on Rural Develop-                  Bevölkerung in Deutschland abgelehnt, die ei-
     ment and Food Security                               nen Rückzug der Bundeswehr aus Afghanistan
                                                          und eine friedliche Lösung durch Verhandlun-
  ⇒⇒ UN Women – United Nations entity for                 gen fordert. So hat sich in etlichen Medien eine
     Gender Equality and the empowerment                  kritische Haltung zu diesem Krieg artikulieren
     of Women                                             können.

                                                     13
ROSA
LUXEMBURG
STIFTUNG                                                                                      ANDREAS BURO
NEW YORK OFFICE                                                                       ALTERNATIVEN ZUM KRIEG

Um in der Öffentlichkeit überzeugen zu kön-                      Der palästinensischen Administration gelang
nen, war es wichtig, eine zivile Alternative zur                 es in der Interimsperiode durchaus, die Grund-
Bearbeitung der Konflikte zur Diskussion stel-                   strukturen eines staatlichen Gemeinwesens her-
len zu können. Erneut kann exemplarisch die                      zustellen, obwohl ihre Befugnisse geographisch
Arbeit des Monitoring-Projekt14 genannt wer-                     und rechtlich weiterhin stark eingeschränkt wa-
den, in dessen Rahmen die ZKB-Alternativen                       ren. Die PA hatte am Ende der Interimsperiode
nicht nur zum türkisch-kurdischen und zum                        nur in 10% des Westjordanlandes und in 60%
israelisch-palästinensischen Konflikt, sondern                   des Gazastreifens die alleinige Kompetenz für
auch zum Iran- und Afghanistan-Krieg ausgear-                    Selbstverwaltung, innere Ordnung und Sicher-
beitet wurden.                                                   heit. Außerdem trieb Israel den Siedlungsbau
                                                                 weiter voran. Nach der Ermordung Rabins 1995
Dort, wo es finanziell und logistisch möglich ist,               hat Israel in der Folgezeit seine Verpflichtungen
wird auch weiterhin eine grenzüberschreiten-                     aus Oslo II nicht erfüllt, und die USA haben ihre
de Friedensarbeit geleistet. Neben wichtiger                     Vermittlungsbemühungen nicht mit Nachdruck
humanitärer Hilfe bestand sie bei den Balkan-                    weiter verfolgt.
kriegen in der Unterstützung dortiger Friedens-
gruppen, im Aufbau von Mediationsgruppen                         Eine wichtige Entwicklung auf der staatlichen
und in der Herstellung internationaler Kontakte                  Ebene ist die Bildung von regionalen Zusammen-
unterschiedlichster Art, so auch zwischen Schu-                  schlüssen. Ihr Anlass sind erhoffte ökonomische
len und Gemeinden.                                               Vorteile, etwa die wirtschaftliche Entwicklung
                                                                 durch Freihandel untereinander, und eine Stär-
Auf der staatlichen Ebene ist ZKB als Richtlinie                 kung des Einflusses der Region bei internationa-
der Politik noch kaum erkennbar. Als ein frag-                   len Verhandlungen. Als Vorbild diente oftmals
würdiges Beispiel kann der Oslo-Friedenspro-                     die Europäische Union, obwohl die zu bewälti-
zess gewertet werden. Dieser Oslo-Prozess                        genden Probleme jeweils in hohem Maße spe-
entstand im Rahmen von NGO-Workshops. Er                         zifisch sind. Zu nennen sind hier, neben der EU,
führte schließlich über geheime Parallelver-                     beispielsweise die Association of East Asian Na-
handlungen am 13. September 1993 zu einem                        tions (ASEAN), der Gemeinsame Markt Südame-
von Yitzhak Rabin und Jassir Arafat im Beisein                   rikas (Mercosur), die Schanghaier Organisation
von Bill Clinton in Washington unterzeichneten                   für Zusammenarbeit (SOZ), die Gemeinschaft
Prinzipienabkommen (Oslo I). Danach sollte die                   unabhängiger Staaten (GUS) sowie die Orga-
israelische Regierung schrittweise Territorium                   nisation für Islamische Zusammenarbeit (OIC),
und politische Zuständigkeiten an die zu bilden-                 der derzeit 57 Staaten angehören, in denen der
de Palästinensische Autorität (PA) übergeben.                    Islam Staatsreligion oder Religion der Mehrheit
Die zentralen Fragen nach dem Status Jerusa-                     bzw. einer großen Minderheit der Bevölkerung
lems, der Zukunft der Siedlungen, der Grenzzie-                  ist. Solche regionale Zusammenschlüsse von
hung usw. sollten in „Endstatusverhandlungen“                    Staaten haben den großen Vorteil, dass sie im
nach einer fünfjährigen Interimsperiode geklärt                  Binnenverhältnis einen militärischen Konflikt-
werden. Nach dem Interimsabkommen (Oslo II)                      austrag tendenziell ausschließen und die be-
von 1995 sollte dieser Prozess bis 1999 abge-                    stehenden Probleme über Dialoge regeln. Aller-
schlossen sein.                                                  dings ist ihr außenpolitisches Verhalten durch-
                                                                 aus auch militärgestützt.
14 Andreas Buro: Das Monitoring-Projekt. Zivile Konflikt-
   bearbeitung – Gewalt- und Kriegsprävention. Die Alter-        Die Organisation für Sicherheit und Zusammen-
   nativen der Friedensbewegung zum militärischen Konf-
   liktaustrag. Bürgerinnen- und Bürgerinformation, hgg.
                                                                 arbeit (OSZE) ist nach dem Ende des Ost-West-
   von der Kooperation für den Frieden, Bonn 2006.               Konflikts in der Nachfolge der Konferenz für

                                                            14
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