HOSPIZ-ZEITUNG - ANDERSARTIG - HOSPIZ HILFE MEPPEN
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Jahrgang 4, Heft Dezember 2016 1 AndersARTig Die Meppener Hospiz-Zeitung Trauergruppe Alles reine …Und die Welt Verwaiste Eltern Glaubenssache? steht still Selbsthilfegruppe aus Haselünne Leben und Tod im Islam, Konzerteinladung: Letzte Lieder und begeht zehntes Jubiläum Judentum und Christentum Geschichten von Menschen im Hospiz Seite 11 Seite 17 Seite 26
2 Leitgedanken Für hospizliche Unterstützung und Beharrlichkeit allen AndersARTig – oder: großen Dank! Für hospizliche Vision und Wachstum am ganz anderen allen Mut und Kraft! Liegt im Anderen, im Fremden, im Neuen, im Zu- künftigen die Chance meines Wachsens, wenn ich zulasse, dass es oder er oder sie mir vertraut wird? Nur auf ein Wort – einen anderen Gedanken Jetzt um wirklich zu werden braucht es eine Vision viele Träume verrückte Ideen und eine gewisse Beharrlichkeit Ihre Dr. Carmen Breuckmann-Giertz Vorsitzende der Hospiz-Hilfe Meppen e. V. was leicht aussehen mag ist Ergebnis harter Arbeit vieler Gedanken ist Frucht des Gebetes Tanz des Lassens Zärtlichkeit des Seins was sich ergibt ist weil es war und ist weil es sein wird Andrea Schwarz
3 Gesichter aus der Hospiz-Hilfe: Irmgard Wobken Mein Name ist Irmgard Wobken und seit Dezem- renamtlichen Helfer neben einem professionellen ber 2015 darf auch ich mich zu den Gesichtern der Team. Und genau das ist mir deutlich und wich- Hospiz-Hilfe Meppen zählen. Ich bin 42 Jahre alt, tig geworden in meiner Arbeit bei der Hospiz-Hilfe verheiratet und wir wohnen zusammen mit unseren Meppen e. V. elfjährigen Zwillingen in Haren Altenberge. Meine Krankenpflegeausbildung habe ich im Lud- millenstift in Meppen abgeschlossen und dort zehn Jahre gearbeitet. Bis im Dezember 2015 war ich im Hümmling Hospital Sögel auf der Intensivstation beschäftigt. Die Arbeit hat mir immer viel Freude gemacht. Dabei ging es einerseits um die medizi- nische Versorgung, aber da war auch der intensive Kontakt zu den Menschen und deren Familien in Krisensituationen. Das war abwechslungsreich, be- reichernd und oft herausfordernd. In den letzten Jahren hatte ich immer öfter das Ge- fühl, es fehlt etwas, vor allem, wenn die Menschen im Sterben lagen. Weitergeholfen hat mir die Be- schäftigung mit dem Lebenswerk von Cicely Saun- Während andere Institutionen die körperlichen ders. Sie hat in den 1960er Jahren das Konzept des Symptome beheben, können wir uns in der Hospiz- völligen Schmerzes oder Leids definiert, das „total Hilfe um soziale, spirituelle und seelische Probleme pain-Konzept“. Dieses Thema sprach mich während kümmern. Hier kann und darf ich zusammen mit meiner Palliative Care-Weiterbildung ganz beson- vielen engagierten Ehrenamtlichen den Mensch in ders an. seiner Persönlichkeit und mit seiner ganz individu- Inhaltlich beschreibt das Konzept die vier Dimen- ellen Biografie begleiten und unterstützen. Ich freue sionen von Schmerzen oder Leid. Dazu gehören: mich, dass ich zusammen mit einem großen Netz- körperlich, seelisch, sozial und spirituell. In der Me- werk und vielen Hospizlern dem sterbenden Men- dizin ist der Umgang mit Schmerzen und Leid oft ein schen und seinen An- und Zugehörigen zur Seite sehr körperorientierter. Die Ursache, Intensität und sein kann, um ein möglichst würdevolles Abschied- Behandlung von Schmerzen, Übelkeit oder anderen nehmen zu ermöglichen. Symptomen wird erforscht und soweit wie möglich behoben. Das ist wichtig, aber nicht ausreichend, „Sie sind wichtig, weil Sie eben Sie sind. um ein vollständiges Bild des Leids und der Situa- Sie sind bis zum letzten Augenblick Ihres tion des Betroffenen zu erfassen. Die vier verschie- Lebens wichtig, und wir werden alles tun, denen Ebenen beeinflussen sich gegenseitig und damit Sie nicht nur in Frieden sterben können gleichermaßen wichtig sein. sondern auch bis zuletzt Leben können.“ 1977 formulierte Cicely Saunders unter dem Begriff Cicely Saunders Palliative Care Basisprinzipien zur ganzheitlichen Begleitung. Sie betont dabei die Wichtigkeit der eh-
4 Landes- und Bundesebene NeuARTiges auf der wir werden alles tun, damit du nicht nur in Frieden sterben, sondern leben kannst bis zum Schluss.“ Landes- und Bundesebene: Diesem Leitgedanken bis heute verpflichtet, stellte Politik würdigt und fördert dann das Jahr 2015 in dieser jahrelangen Entwicklung bundesweit eine entscheidende Markierung der Be- hospizliche Entwicklung fragung und reflektierten neuen Ausrichtung dar, weil die Hospizarbeit in Verzahnung mit der palliativmedizi- Die Geschichte der Hospizarbeit in Deutschland ent- nischen und -pflegerischen Versorgung auf politischer wickelt sich mittlerweile seit etwa 25 Jahren. Unzählig Ebene konzentrierte Aufmerksamkeit erhielt. Es wur- viele Sterbende und ihre Angehörigen durften erfah- de deutlich, dass es unter den sich verändernden ge- ren, in den letzten Wochen, Tagen oder Momenten sellschaftlichen Bedingungen zu fragen gilt, was es ihres Lebens nicht alleingelassen zu werden, sondern an angepassten oder erneuerten Strukturen braucht, geschützt und begleitet zu sein. Wenn dieses wert- um Sterbende und Trauernde auch zukünftig gut be- volle Engagement einer „Kultur der Sorge“ weiter- gleiten zu können. Im Dezember 2015 wurden weitere hin Wachstum und Entfaltung erfahren soll, weil der Weichen gestellt. Mensch bis zum Schluss zählt und dessen Würde Welche Netzwerke, Strukturen und Sicherheiten auch in Zukunft der Maßstab gesellschaftlichen Wir- braucht hospizliche Arbeit? kens und Handelns sein soll, ist es unabdingbar – im Begleitendes auf Bundesebene Kleinen wie im Großen – von Zeit zu Zeit innezuhal- ten, sich in seinem Tun kritisch zu reflektieren, sich zur Die veränderte Gesetzeslage auf Bundesebene, die Echtheit und Tragfähigkeit der eigenen Motivation zu im Dezember 2015 in Kraft getreten ist, hat eine deut- befragen und schließlich neu auszurichten. liche Absage an die geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung artikuliert und mit dem neuen Hospiz- und Palliativgesetz (HPG) zugleich eine weitere Stär- kung der hospizlich-palliativen Arbeit erreicht. Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe betont: „Mit dem Hospiz- und Palliativgesetz und der Ent- scheidung des Deutschen Bundestags, geschäfts- mäßige Angebote der Beihilfe zur Selbsttötung zu verbieten, haben wir wichtige Schritte getan, um die menschliche Würde auch in der letzten Lebenspha- se zu schützen. Jeder Mensch soll die Gewissheit haben, am Lebensende gut betreut und versorgt zu werden. Mein besonderer Dank gilt daher allen haupt- und ehrenamtlichen Helfern in der Hospiz- und Pallia- tivversorgung in Deutschland, die sich mit viel Einsatz engagieren, Stütze, Trost und Hilfe geben.“ Prof. Win- Woher kommen wir? Wo stehen wir? Wohin wollen wir? fried Hardinghaus, Vorstandsvorsitzender des Deut- Hospizliches Engagement sieht sich ganz wesentlich schen Hospiz- und PalliativVerbands (DHPV) ergänzt: getragen von seinen Wurzeln, also von dem Bewusst- „Mit den beiden Gesetzen sind zwei äußert wichtige sein der Gründerin hospizlicher Arbeit, Cicely Saun- Entscheidungen zur Sterbebegleitung getroffen wor- ders, die die Begleitung eines Sterbenden unter den den, denn sie vereinen die klare Absage an organi- Maßstab höchster Achtung vor dem Leben des Ein- sierte und gewerbliche Formen der Beihilfe zum Suizid zelnen stellte: „Es geht nicht darum, dem Leben mehr und die Stärkung der zugewandten hospizlichen Be- Tage zu geben, sondern den Tagen mehr Leben. Und gleitung und palliativen Versorgung.“
5 Wichtige Kernbereiche des HPG, die sich auf die hos- Bewegt, um zu bewegen pizliche Arbeit auswirken, sind u. a. die qualitative Si- Um das tun zu können, braucht es nicht zuletzt Be- cherung zur Weiterentwicklung der Begleitsituationen wusstsein und Bereitschaft zur Bewegung, um sich für Sterbende und Trauernde, eine weitere finanzielle zum einen der Andersartigkeit jedes Einzelnen in ei- Unterstützung des ehrenamtlichen Engagements, das ner Begleitung und zum anderen der Entwicklungs- bislang in weit größerem Umfang die Vereine getra- notwendigkeit des großen Ganzen regelmäßig neu zu gen, diese aber mitunter an die Grenzen der Förder- stellen, denn: Bewegte Zeiten brauchen Bewegung möglichkeiten gebracht haben, sowie die qualitative – innen wie außen. Ein Beispiel für diese Fähigkeit Stabilisierung der hauptamtlichen Koordinatorinnen der Bewegung und Gestaltungsfähigkeit im hospiz- als zentrale Schnittstelle der Organisation gelingender lichen Einsatz als Antwort auf gesellschaftliche Ver- und umfassender Begleitung aller Betroffenen sowie änderungen sind schon in diesem Jahr entwickelte An- und Zugehörigen. erste Projekte zur Vorgabe des HPG, die Kooperation zwischen stationären Einrichtungen und hospizlicher Arbeit noch gezielter zu gestalten. In Zeiten des de- mographischen Wandels und der damit einherge- henden wachsenden Zahl an Menschen, die ihren Le- bensabend in stationären Einrichtungen und Heimen verbringen, gilt es nämlich, die gelingende Begleitung am Lebensende auch dort weiter auszubauen und zu stabilisieren. Weitere bewegte und bewegende Ant- worten werden zukünftig außerdem zu entwickeln sein, beispielsweise im interkulturellen Bereich der Begleitung von sterbenden und trauernden Men- schen mit Migrationshintergrund oder in der Beglei- tung von demenziell erkrankten Menschen und ihren Angehörigen. Was ist gute Sterbebegleitung auch in Zukunft? Wen und was braucht es dafür? Sterbende zu begleiten, ist ein Geschehen mensch- licher Zuwendung im bewussten Wechsel zwischen Nähe und Distanz in dem expliziten Bewusstsein, dass der Sterbende Lebender bleibt bis zum Schluss und als solcher in seiner Autonomie und unter Ach- tung all seiner psycho-sozialen, physischen und spiri- tuellen Bedürfnisse geschützt bleibt. Sich mit dem Weg der Sterbebegleitung auseinander- zusetzen, braucht angesichts dieses hohen Maßstabs Kopf, Herz und Hand, das heißt: ein umfangreiches Wissen – in Kopf und Herz –, zuverlässige Menschen in haupt- und ehrenamtlichen Netzwerkstrukturen sowie Unterstützung und Förderer auf den verschie- Anlässlich des Welthospiztages am 8. Oktober 2016 denen Bühnen gesellschaftlichen Geschehens, um forderte der DHPV daher unter dem Motto „Hospiz- daran mitzuwirken, dass die Hospizler auch zukünf- und Palliativversorgung. Stärken. Ausbauen. Vernet- tig Wort halten können in den Sprachlosigkeiten der zen.“, die im HPG vorgesehenen Verbesserungen Trauer und Verzweiflung angesichts des Todes. in der Versorgung schwerstkranker und sterbender
6 Landes- und Bundesebene Menschen weiterhin zügig umzusetzen, insbesonde- Palliativversorgung Niedersachsen e. V. unter Leitung re bezogen auf die auszubauenden Kooperationen von Ulrich Domdey, ebenfalls mit Sitz in Celle. In Trä- zwischen stationären Einrichtungen und ambulanter gerschaft vom HPVN, der Deutschen Gesellschaft für Hospizarbeit gemäß dem erneuerten Gesetz zur Ge- Palliativmedizin, dem Betreuungsnetz für schwerkran- sundheits- und Versorgungsplanung für die letzte Le- ke Kinder sowie vom Niedersächsischen Ministerium bensphase. „Denn nur mit einem gut ausgebauten für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung stellt der Angebot können wir sicherstellen, dass wir am Le- Stützpunkt eine übergeordnete Netzwerkstruktur dar bensende für alle Menschen da sind, die uns brau- mit dem Ziel, eine Bündelung und Übersicht über chen, unabhängig von Krankheit, Wohnort und Geld- sämtliche Angebote, Formen und Wege hospizlicher beutel“, so Prof. Hardinghaus. Begleitung in Niedersachsen zu geben und weiter- Das einzig Stetige bleibt der Wandel. zuvermitteln an alle interessierten Bürgerinnen und Begleitendes auf Landesebene Bürger, Verwaltungseinrichtungen, Politik, Leistungs- anbieter und Akteure in der Hospizarbeit und Pallia- Für erweiterte Aufgabenfelder braucht es erweiterte tivversorgung. Strukturen. Damit die wachsenden Bedarfsanfragen an hospizliche Arbeit im Spannungsbogen zwischen allen betroffenen Altersstufen, allen Tätigkeitsfeldern von Sterben, Tod und Trauer und dem Bedarf prä- ventiver Aufklärung und individueller Begleitung ge- währleistet werden können, haben sich auch auf der Landesebene in Niedersachsen die Netzwerkstruk- turen neu sortiert. Zukünftig arbeitet auf Landesebene zum einen der Hospiz- und Palliativverband Niedersachsen e. V. (HPVN, früher LAG) als Zusammenschluss der mehr als 15.000 Mitglieder niedersächsischer Hospizarbeit in rund 130 Hospizvereinen und -verbänden unter der neuen Leitung von Gert Klaus mit Sitz in Celle sowie zusätzlich der Landesstützpunkt Hospizarbeit und Weil Vielfalt zugleich Klarheit braucht, ist es das Ziel, Doppelstrukturen abzubauen und bisher getrennt oder parallel wahrgenommene Aufgaben zusammen- zuführen und koordinierende Unterstützung zu leisten, Kompetenzstrukturen zu vermitteln und am planvollen Danke! Ausbau der Versorgungsstrukturen in der niedersäch- sischen Hospiz- und Palliativversorgung mitzuwirken. Ein besonderer Dank gilt in diesem Jahr Frau Brügge- Dieses erfolgt insbesondere durch die strukturelle und mann und dem fleißigen Team vom Paulus-Café des inhaltliche Weiterentwicklung der Hospiz- und Pallia- Vitus-Werkes. Mit viel Liebe bereiten Sie seit nunmehr tivversorgung in Niedersachsen unter Einbeziehung vier Jahren immer im Januar unsere Tische für den vorhandener Institutionen und Organisationen. Ein Neujahrsempfang vor, decken ein köstliches Früh- besonderer Schwerpunkt werden die Belange des stück ein und bewirten uns mit viel Liebe, Umsichtig- Ehrenamtes sein. keit und großer Achtsamkeit. Wir dürfen uns an gedeckte Tische setzen – eine so wertvolle Geste der Einladung an das Leben! Allen Helfern im Team und der Organisatorin Frau Brüggemann: DANKE.
7 Presseerklärung des DHPV zur Veröffentlichung krankung, seiner persönlichen Lebenssituation oder der „Charta zur Betreuung schwerstkranker und seinem Lebensort bei Bedarf eine entsprechende sterbender Menschen in Deutschland“ Hospiz- und Palliativversorgung und Begleitung er- halte. Jeder Mensch hat ein „Das wiederum geht nicht ohne eine auf wissen- schaftlicher Grundlage und Qualitätssicherung beru- Recht auf ein Sterben unter hende Hospiz- und Palliativversorgung. Nur unter Be- würdigen Bedingungen rücksichtigung dieser drei zentralen Punkte können alle Beteiligten zum Wohle der Betroffenen zusam- Nationale Charta-Strategie fordert bedarfs- menwirken“, so Dr. Martina Wenker, Vizepräsidentin gerechte Begleitung am Lebensende als der Bundesärztekammer. Menschenrecht – Handlungsempfehlungen Im Kontext der Nationalen Strategie geht es darum, der Öffentlichkeit vorgestellt die Bedürfnisse und Rechte schwerstkranker und Berlin, 17. Oktober 2016. Die aus der „Charta zur Be- sterbender Menschen noch stärker in die politischen treuung schwerstkranker und sterbender Menschen in Entscheidungsprozesse und die Gesellschaft zu in- Deutschland“ hervorgegangenen Handlungsempfeh- tegrieren. Um dies umzusetzen, bedarf es eines ge- lungen zur Umsetzung im Rahmen einer Nationalen meinsamen Vorgehens von Politik, Zivilgesellschaft Strategie werden heute in Anwesenheit von Bundes- und Gesundheits- und Sozialsystem sowie der Über- gesundheitsminister Hermann Gröhe in Berlin der Öf- windung von Interessensgegensätzen im Rahmen ei- fentlichkeit vorgestellt. Drei Jahre liegen zwischen der ner solchen Nationalen Strategie. Auftaktveranstaltung „Von der Charta zur Nationalen Strategie“ im Jahr 2013 im Deutschen Bundestag und der Präsentation des Maßnahmenkatalogs, an dem 50 gesundheitspolitisch relevante Institutionen und Organisationen in einem Konsensus-Prozess mitge- wirkt haben. „Zentrales Anliegen des Charta-Prozesses und der erarbeiteten Handlungsempfehlungen ist vor allem eine in ganz Deutschland bedarfsgerechte und für alle Betroffenen zugängliche Hospiz- und Palliativ- versorgung mit hoher Qualität, die den Bedürfnissen schwerstkranker und sterbender Menschen und der ihnen Nahestehenden wirklich gerecht wird“, erklär- te Prof. Dr. Winfried Hardinghaus, Vorsitzender des Deutschen Hospiz- und PalliativVerbands. Zum Hintergrund „Knapp ein Jahr nach Verabschiedung des Hospiz- und Palliativgesetzes ist es nun dringend geboten, Im September 2008 begann unter der Trägerschaft die erforderliche qualitativ hochwertige Hospiz- und der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP), Palliativversorgung in Krankenhäusern, Pflegeeinrich- des Deutschen Hospiz- und PalliativVerbands (DHPV) tungen, weiteren Wohnformen und in der häuslichen und der Bundesärztekammer (BÄK) der Charta-Pro- Umgebung auch finanziell abzusichern“, unterstreicht zess. Im Jahr 2010 wurde die „Charta zur Betreu- Prof. Dr. Lukas Radbruch, Präsident der Deutschen ung schwerstkranker und sterbender Menschen in Gesellschaft für Palliativmedizin. Ziel der Nationalen Deutschland“ von über 50 Organisationen und Insti- Strategie sei es, dass jeder Mensch am Ende seines tutionen am Runden Tisch konsentiert. Lebens unabhängig von der zugrundeliegenden Er-
8 Landes- und Bundesebene Sterben, Tod und Trauer als Teil des Lebens zu be- Zu den Trägerorganisationen des greifen, dies im gesellschaftlichen Bewusstsein zu Charta-Prozesses verankern und allen Menschen in Deutschland ihren Die Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP) individuellen Bedürfnissen entsprechend einen ge- steht als wissenschaftliche Fachgesellschaft für die rechten Zugang zu einer würdevollen Begleitung und interdisziplinäre und multiprofessionelle Vernetzung: Versorgung am Lebensende zu ermöglichen – darum Knapp 5.400 Mitglieder aus Medizin, Pflege und wei- geht es im Rahmen der Umsetzung der Charta in ei- teren Berufsgruppen engagieren sich für eine um- ner Nationalen Strategie. fassende Palliativ- und Hospizversorgung in enger Zusammenarbeit mit allen Beteiligten. Gemeinsames Ziel ist es, bei schwerer Erkrankung für weitgehende Linderung der Symptome und Verbesserung der Le- bensqualität zu sorgen – in welchem Umfeld auch im- mer Betroffene dies wünschen. Der Deutsche Hospiz- und PalliativVerband e. V. (DHPV) vertritt die Belange schwerstkranker und ster- bender Menschen. Er ist die bundesweite Interessen- vertretung der Hospizbewegung sowie zahlreicher Hospiz- und Palliativeinrichtungen in Deutschland. Als Dachverband der überregionalen Verbände und Or- ganisationen der Hospiz- und Palliativarbeit sowie als selbstverständlicher Partner im Gesundheitswesen und in der Politik steht er für über 1.000 Hospiz- und Über 17.000 Institutionen und Einzelpersonen haben Palliativdienste und -einrichtungen, in denen sich mehr inzwischen die Charta unterzeichnet und damit be- als 100.000 Menschen ehrenamtlich, bürgerschaftlich kundet, dass sie deren Ziele und ihre Umsetzung un- und hauptamtlich engagieren. terstützen – darunter auch zahlreiche Persönlichkeiten Die Bundesärztekammer (BÄK) ist die Spitzenorgani- und Institutionen aus der Politik. Die beeindruckend sation der ärztlichen Selbstverwaltung; sie vertritt die große Resonanz und Unterstützung stimmt zuver- berufspolitischen Interessen der Ärztinnen und Ärzte sichtlich für die bundesweite gemeinsame Verwirkli- in der Bundesrepublik Deutschland. Als Arbeitsge- chung der Charta-Ziele. meinschaft der 17 deutschen Ärztekammern wirkt die Bundesärztekammer (BÄK) aktiv am gesundheitspo- litischen Meinungsbildungsprozess der Gesellschaft mit und entwickelt Perspektiven für eine bürgernahe und verantwortungsbewusste Gesundheits- und So- zialpolitik.
9 Regionales November 2015: Gruppe 13 Sie kennen den Weg, gehen ihn aber nicht selbst. Neun Frauen und zwei Männer begegnen sich zum Sie bleiben am Rand stehen, ersten Mal im Kloster Thuine. „Vorbereitungskurs Sterbe- und Trauerbegleitung, Gruppe 13“, so ist das zeigen anderen den Weg: Treffen überschrieben. Bis April 2016 kommen wir nun die Wegweiser. regelmäßig von Freitag bis Sonntag zusammen. Sie kennen den Weg nicht, Was erwartet uns? Bin ich, sind wir dem Thema ge- gehen ihn aber mit anderen. wachsen? Wie kommen wir als Gruppe mit diesem Thema zurecht? Herzlich werden wir begrüßt, Anto- Sie wandern treu zur Seite, nia Gruber und Manfred Hillmann stellen sich vor, da auch durch die dunkle Nacht: weicht schon einiges von der Befangenheit. „Leben ist die Wegbegleiter. gestaltbar, und der sterbende Mensch ist ein leben- Wer Sterbenden Geleit gibt, diger Mensch“, so führt uns Manfred ein. „Wollen wir uns duzen?“ Aber sicher! Atmosphärische Entspan- kriegt vieles mit. nung pur. Der Beginn ist geschafft. Petrus Ceelen So geht es weiter, fünf Wochenenden erleben wir ein- fühlsames Herangehen verbunden mit gründlicher Wissensvermittlung im gegenseitigen Verstehen und wohltuendem aufeinander Achtgeben. Juni 2016: Jahresausflug August 2016, die Gruppe kommt wieder zusammen, nicht im Kloster, sondern informell, privat. Der Kurs ist geschafft. Die meisten von uns haben die Einfüh- rungsgespräche hinter sich, einige begleiten schon im Auftrag der Hospiz-Hilfe Menschen, die begleitet werden möchten. Was kommt auf uns zu – Erwartung ist das Gefühl des Moments – sind wir den zukünftigen Aufgaben gewachsen? Erste Erfahrungsberichte werden ausge- tauscht. Die Vertrautheit, die wir gemeinsam im Klos- ter erlebt haben, stellt sich sofort wieder ein. Wir sind die „Gruppe 13“, wir sind in der Hospiz-Hilfe Meppen angekommen Marlies Gebben, Maria Herrmann, Sylvia Janzen, Heinz Kappen, Christa Kässens, Astrid Meyer- Das Thema unseres jährlichen Ausfluges lautete „Pil- Bergmann, Monika Müller, Helene Ostermann, gern auf unseren Hospizbegleiter-Spuren“. Nicht wis- Christa Overkamp, Angelika Specken, Fritz Georg send, wo uns der Nachmittag hinführen würde, haben Schnorr wir uns in Meppen bzw. Haselünne getroffen, um ge- meinsam mit dem Bus weiterzufahren. Die Spannung war groß, sodass während der Fahrt heftig gerätselt wurde, wo es hingehen mag… Nach halbstündiger Fahrt hatten wir das Ziel erreicht – das Heimathaus in Freren. Dort wurden wir von Herrn
10 Regional Kollenberg in Empfang genommen, einem Mitarbeiter des Heimatvereins Freren, der sich gemeinsam mit uns auf den Pilgerweg nach Thuine machte. Nach- dem uns Kathrin Plas begrüßt hatte, pilgerten wir los. Begleitet wurden wir außerdem von Irmgard Wobken mit einem Versorgungsfahrzeug voller Getränke. In kleinen Gruppen oder auch alleine folgten wir nun un- seren Spuren der Hospizarbeit. Es ergaben sich viele nette Gespräche, die Möglichkeit zum Austausch, aber auch stille Momente der Einkehr. Herr Kollenberg hatte viele Geschichten bezüglich des Weges parat und berichtete von den Hollandgängern, die diesen Weg zu früheren Zeiten nutzten. Beschwingt und leichten Fußes pilgerten wir weiter. Auch wenn der Wettergott es nicht immer gut mit uns meinte, tat dies der Stimmung keinen Abbruch. Beim nächsten Stopp ging es um das Verlassen und Geführt werden. Paarweise gesellten wir uns zusam- men. Jeder konnte nachempfinden, wie es ist, mit geschlossenen Augen geführt zu werden. „Vertrau- en“, unser letzter Impuls, der von den Hospiz macht Schule-Begleitern vorbereitet wurde. Mein Gefühl da- bei war es, mit sanfter Hand geführt sicher den vorge- gebenen Weg absolvieren zu können, gehalten, aber auch gelassen zu werden. Wechselweise legten wir so ein Stück des Weges zurück. Anschließend hat je- Beeindruckend waren die verschiedenen Überra- der über sein Empfinden gesprochen und uns wurde schungen der Hospizler, die den Weg mitgestaltet ha- eine Geschichte aus der Hospiz macht Schule-Pro- ben. An dieser Stelle ein ganz herzliches Dankeschön jektwoche vorgestellt. meinerseits an alle Impulsgestalter zu unserem Jah- Kurze Zeit später erreichten wir unsere letzte Station. resthema „Lebenswerte“ aus den ZeitRaum-, Hospiz So langsam zeichnete sich der Horizont des Thuiner macht Schule- und ambulanten Begleiter-Treffen. So Kirchturms ab, schnell wurde uns klar, das werde un- lautete zum Beispiel ein Impuls „Herzlichkeit“, dazu ser Ziel sein. So war es dann auch. Wir gingen ins war eine Waldhütte mit gehäkelten Herzen versehen, Haus St. Anna, in dem die meisten Meppener Hos- die von unserem ZeitRaum-Team liebevoll gestaltet pizler ihre Ausbildung absolvierten, und somit war der wurde. Bei dieser ersten Pause wurden wir zur Stär- Bogen zum Tagesmotto gespannt. Allen noch in be- kung mit selbstgebackenem Kuchen versorgt. Es ster Erinnerung, gab es den berühmten Kräuterquark wurden Texte gelesen und gemeinsam gesungen. mit anschließender Ofensuppe, was uns allen wie im- Weiter ging es durch einen herrlichen Laubwald zu mer hervorragend schmeckte. einem Hünengrab, das in seiner Art einzigartig ist und Ich denke, jeder hat diesen so schön vorbereiteten durch Herrn Kollenberg ausführlich erklärt wurde. Auch Nachmittag genossen, hat sich seinen Spuren des hier gab es wieder einen Impuls zum Wert „Fürsorge“ Lebens hingeben und bestimmt auch neue Kraft seitens der ambulanten Hospizbegleiter. Es wurden schöpfen können. Liedtexte verteilt und mit Gitarrenbegleitung gesungen. Sabine Schnellen, Kathrin Plas
11 Partnerschaft und bisher gute Freundschaften werfen August 2016: und das ganze Leben und die Zukunft infrage stellen. 10 Jahre Trauergruppe Der schwerste Schritt ist wohl der, sich trotz der in- neren Verzweiflung ein Herz zu fassen und sich bei „Verwaiste Eltern“ einer Gruppenleiterin zu melden, denn man hat doch gelernt, dass man alleine mit diesen Erlebnissen fertig Für gewöhnlich sind Jubiläen Anlass zu ausschwei- werden muss. Dort aber findet die eigene Not manch- fenden, fröhlichen, bis tief in die Nacht andauernden mal zum ersten Mal seit langer Zeit wieder ein offenes Festivitäten. Dass man auch anders feiern kann, er- Ohr. Gemeinsam wird entschieden, wann der richtige fuhren die Teilnehmer aus der Trauergruppe „Verwai- Zeitpunkt für den Einstieg in die Trauergruppe ist. ste Eltern“ zusammen mit Angehörigen, Kindern und Freunden am Speicherbecken in Geeste. Die Grup- penleiterinnen Kerstin Bloms und Rita Lingers hatten mit Ansgar Maul einen sowohl besinnlichen als auch geselligen Nachmittag vorbereitet, an dem viel erzählt, aber eben auch geweint und gelacht wurde. Es ist schon merkwürdig. Da gibt es in unserem Hospiz-Verein eine Gruppe, die sich im vierwöchigen Foto: Dagmar Bruns Rhythmus trifft, und man hört eigentlich nur ganz selten etwas darüber. Und ohne dass man darüber nachgedacht hätte, aber mit genau dieser Feststel- lung trifft man Kernpunkte, die in der Gruppe veran- kert sind: Verschwiegenheit und Schutz. Dennoch hat sich jetzt eine beherzte Mutter bereit er- klärt, von ihren Erfahrungen aus den gemeinsamen Mit Herzklopfen fährt man zum ersten Gruppena- Gruppenabenden zu berichten. Wie sie selbst sagt, bend, um festzustellen, dass sich schon nach kurzer habe sie sich dafür entschieden, weil sie auch anderen Zeit alle Ängste in Luft auflösen. Denn hier ist ein Ort, verwaisten Eltern, Müttern oder Vätern Mut machen wo die Trauer und das Gedenken an das verstorbene möchte, den ersten Schritt in die Gruppe zu wagen. Kind verstanden und willkommen sind. Wer berichten Frau A. hat mir in einem Gespräch diesen Einblick ge- möchte, was ihn gerade bewegt, tut das. Aber man währt: In der Trauergruppe sind Menschen, die ihre kann auch einfach nur da sein, schweigen und den Kinder in den verschiedensten Altersstufen verloren anderen zuhören. Keiner braucht anderen etwas zu haben. Sie trauern um Kinder, die bei einer Fehlgeburt beweisen. Alle Gespräche bleiben im Raum, absolute ihr Leben verloren haben genauso wie um Kinder, die Verschwiegenheit schafft Vertrauen und Wertschät- bereits erwachsen waren. Denn es kommt nicht auf zung. Von Zeit zu Zeit werden besondere Themen das Alter an, sondern auf die Beziehung, die zum Kind besprochen, um die Perspektiven der eigenen Trauer entwickelt wurde und die nun keinen Ort mehr findet. zu beleuchten und zu erweitern. Schwierige Fragen Im alltäglichen Leben reagieren Angehörige, Freunde wie „Kann ich je wieder vertrauensvoll ein Kind be- und Bekannte sehr oft mit Unverständnis, wenn die kommen?“ werden gemeinsam erörtert. Wie lange je- eigene Trauer ausgesprochen wird. Nicht selten hört mand in der Gruppe bleiben möchte, bleibt ganz allein man „Du kannst doch noch weitere Kinder haben“ oder dem Teilnehmenden überlassen. Das alles hilft, den „Jetzt musst du aber einmal Frieden damit machen“ schmerzlichen Verlust besser tragen zu können und und ähnliche vielleicht gut gemeinte Ratschläge. Nicht ihm einen Ort im Leben zu geben. Und gerne wieder- gelebte Trauer aber kann allmählich Schatten auf die zukommen.
12 Regional Frau A. bedauere, dass in unserer Gesellschaft so Whirlpool, ein Multimedia-, Snoezelen-, Kreativ- und wenig Raum für Trauer sei, denn so schwer Zeiten Bastelzimmer sowie einen Abschiedsraum. des Abschiedes auch sein mögen, so sehr machen Es ist sehr schön, dass die ganze Familie betreut wird sie auch bewusst, wie kostbar das Leben eigentlich und sich erholen kann. Die Angebote kann jeder für sei. Sie fürchte, dass die Menschen viel zu sehr dem sich oder die ganze Familie zusammen wahrnehmen, schnellen Glücksmoment nachjagen und dabei die z. B. Ausflüge mit dem Wattmobil, Rollfietstouren, Re- wahren Freuden übersehen. Mit großer Dankbarkeit laxen am Strand oder Ponyreiten. blicke sie daher auf die Gruppenleiterinnen, die durch Der Abschiedsraum ist sehr hell und freundlich. Jede ihr Engagement die Gruppe ins Leben gerufen haben Familie kann ihn durch eigene Gegenstände indi- und auf einfühlsame Weise kontinuierlich weiterführen. viduell für sich und das verstorbene Kind gestalten. Herzlichen Dank an Kerstin Bloms und Rita Lingers. Ebenso kann der Sarg individuell gestaltet werden. Das Bett ist mit einer Kälteplatte ausgestattet, sodass Susanne Klaußner in Absprache mit Frau A. das verstorbene Kind noch bis zu drei Tage aufge- bahrt bleiben kann. Somit ist ein geschützter Rahmen geschaffen, um in Ruhe Abschied zu nehmen. Wenn September 2016: Fahrt das Kind verabschiedet wird, stehen alle Mitarbeiter nach Wilhelmshaven mit Kerzen Spalier. Einmal im Jahr findet eine Gedenkfeier statt, zu der Pünktlich starteten wir zur Wilhelmshavenfahrt, die Familien eingeladen werden. Für jedes verstor- checkten im Hotel ein und gingen zum Angelika Rei- bene Kind wird ein Vogelhäuschen in einem extra chelt Kinder- und Jugendhospiz Joshuas Engelreich. dafür gestalteten Bereich im Garten aufgehängt. In Dort erwartete uns Kim Gesine Friedrichs. Sie hatte dieses Vogelhäuschen kann noch ein Abschiedsbrief die Aufgabe, uns die Arbeit des Hospizes und die Ein- gelegt werden. richtung zu zeigen und zu erläutern. Angelika Reichelt hat das Hospiz ins Leben gerufen. Als großherzige Spenderin ermöglichte sie den Erwerb und Umbau des Gebäudes. Ein Junge namens Joshua verbrachte viel Zeit in einem Erwachsenen-Hospiz, um in der Nähe seiner Familie sein zu können. Dort starb er auch. Er hatte sich ein Kinder- und Jugendhospiz in der Nähe gewünscht, damit die Familie nicht so weit fahren müsste. Da es sein Traum war, hat man seinen Namen genommen. Das Kinder- und Jugendhospiz nimmt unheilbar kran- ke Kinder ab Säuglingsalter und junge Erwachsene bis 24 Jahre auf. Es bietet Platz für acht schwerstkranke Gäste mit ihren Familien, Angehörigen oder Freunden. Für die Familien stehen acht Appartements zur Ver- Die Eltern können von ihren Kindern einen Hand- bzw. fügung. Ein großzügiger Garten bietet viel Raum für Fußabdruck machen und diesen gerahmt und mit Na- Spiel und Spaß, aber auch ruhige Plätze zur Erholung. men und Geburtsdatum versehen an die Flurwände Es gibt sogar eine Rollstuhlschaukel – für Rollikinder hängen. Wenn das Kind dann verstorben ist, wird der ein besonderes Erlebnis. Bilderrahmen während der Gedenkfeier an die Eltern Weiterhin gibt es im Haus Musik- und Spielzimmer übergeben. Als Erinnerung wird eine Feder mit Na- mit einer großen Klangorgel (diese durften wir aus- men an die Stelle aufgehängt. probieren – herrlich!), ein Pflegebad, einen Familien-
13 Jede Familie kann das Hospiz bis zu vier Wochen pro uns in der Hospizarbeit herausfordern und schwierig Jahr nutzen. In der letzten Lebensphase gibt es kei- sind, wie z. B. ne zeitliche Eingrenzung. Das Hospiz möchte, dass • Warum muss ich so viel Leid ertragen? Gäste und Familien einen kostenfreien Aufenthalt ha- • Wann hört Trauer auf? ben. Die Kranken- und Pflegekassen übernehmen • Wie lange dauert es noch, bis ... stirbt? 95 % der Kosten für die erkrankten Kinder. Weitere Mit unserem neu erarbeiteten Wissen über Bedürf- Angebote, beispielsweise Freizeit und Entspannung nisse und erfüllte oder nicht erfüllte Gefühle konnten für Eltern, werden nicht übernommen. Somit muss die wir Trauergespräche als Rollenspiel zu den gestellten Finanzierung aus Spendengeldern geleistet werden. Fragen führen. Frau Dr. Brinkmann hat uns in die Rolle Mit all diesen neuen Informationen haben wir uns der Trauernden, Trauerbegleiter und Beobachter ein- auf den Weg zurück ins Hotel gemacht, wo wir den geteilt. Anschließend wurden die Gespräche von allen Abend mit gutem Essen, Trinken und netten Gesprä- Beteiligten besprochen. chen beenden konnten. Nach dem sehr reichhaltigen Frühstück am Sams- tagmorgen wartete Dr. Tanja M. Brinkmann auf uns. Unser Thema des Workshops lautete wertschätzende Kommunikation. Für die Vorstellungsrunde lagen Stimmungskarten auf den Tischen. Jeder durfte sich eine oder zwei Karten aussuchen, zum Beispiel: • Welche Stimmungskarte haben Sie sich ausgesucht? • Was machen Sie in der Hospizarbeit? • Wie kam es dazu, dass Sie sich zu der Fortbildung angemeldet haben? • Wann ist Ihnen das letzte Mal eine Kommunikation nicht so gut gelungen? Somit waren wir schon ganz im Thema wertschät- Als Fazit können wir mitnehmen, dass es nicht leicht zende Kommunikation. Wir haben sehr viel über Be- ist, eine wertschätzende Kommunikation zu führen. dürfnisse und Gefühle gesprochen. Es gibt verschie- Aber es lohnt sich, diese zu üben. Viele kleine und dene Kategorien für Bedürfnisse: große Schwierigkeiten im Gespräch könnten leichter zu lösen sein. • Ich-bezogene und soziale Bedürfnisse, z. B. Abenteuer, Friede, Ritual, Sinn, Verstehen Nach der Abschlussrunde haben wir uns wieder auf • Soziale Bedürfnisse, z. B. Anerkennung, Liebe, den Heimweg gemacht. Ein herzliches Dankeschön Respekt, Wertschätzung an Kathrin für die gute Planung und Organisation und • Ich-bezogene Bedürfnisse, z. B. Alleinsein, ein herzliches Dankeschön an die Fahrer, die uns si- Ehrlichkeit, Ruhe, Wachstum, Weiterentwicklung cher und gut wieder nach Hause gebracht haben. • Körperliche Bedürfnisse, z. B. Atmen, Essen, Hier noch zwei Buchtipps: Trinken, Sicherheit Marshall B. Rosenberg: Gewaltfreie Kommunikation. Die „gewaltfreie Kommunikation“ sagt, dass man Eine Sprache des Lebens. Thesen und Annahmen selbst für die Bedürfnisse verantwortlich ist und nicht der gewaltfreien Kommunikation. andere. Es gibt nur erfüllte oder nicht erfüllte Gefühle. Als Kleingruppe durften wir Sätze aufschreiben, die Roland Kachler: Ein neuer Ansatz in der Trauerarbeit. Meine Trauer wird dich finden.
14 Regional von allen Verpflichtungen darf ich ihn genießen. Eine Oktober 2016: Matinee Zeit voller Licht, heiter und unbeschwert, lädt dazu ein, zum Welthospiztag im nur noch schöne Dinge zu tun. Am Ende des Tages setze ich mich an den reich gedeckten Lebensabend- hASETOR Kulturkino mit Brottisch. Wenn ich dann vieles vergesse, nennt sich das Lebensabend-Dämmerung. der Künstlerin Petra Afonin Das Buch wird beiseitegelegt. Wir wenden uns der Es ist nie genug: begleiten – gehen – zurückbleiben Realität zu. Irgendwann drehen sich die Gespräche nur noch um Krankheiten und Ärgernisse. Der Vater Was ist nie genug? Alles: Mein Einsatz, mein Umsor- erzählt von seiner Zahnprothese, seinen Einlagen, gen, meine Mitbringsel, meine Anrufe, meine Telefo- die er nun benötigt. Sie kann als Tochter ruhig mal nate. – Es ist nie genug. „Wann kommst du wieder? hinschauen. An einer bestimmten Stelle verursachen Ich bekomme hier keinen Besuch. Wann hast du mal sie Wundsein, die Einlagen. Ist das alles noch witzig? wieder Zeit für mich?“ Das schlechte Gewissen rührt Es kommt darauf an, wie wir damit umgehen. Es ist sich. Ich leiste nicht genug. Es ist einfach nie genug. eben das Leben. Humor ist ein Ventil, das sich bes- Erkennen Sie sich wieder? Stehen Sie auf der einen tens dafür eignet, alles ein wenig heiterer sehen zu oder auf der anderen Seite? Nöte gibt es hier wie dort. können. Vor dem Auftritt habe sie sich eingesungen, Der Pflegende will seiner Verantwortung ganz und gar verrät uns die Künstlerin. Die Tonleiter wurde nicht mit gerecht werden. Der kranke, hilfsbedürftige oder ster- dem üblichen „Lalala“ geübt, sondern mit den Silben bende Angehörige möchte sich anlehnen, möchte die „Na-sen-schleim-haut-ent-zün-dung“. Sicherheit spüren, umsorgt und nicht vergessen zu sein. Sein Appell: „Schau her, ich bin noch da!“ Das ist ein- dringlich. Da gibt es viele Bedürfnisse auf beiden Seiten. Petra Afonin fordert dazu auf, diese Dinge zum Thema zu machen, sie auszusprechen, sie beim Namen zu nennen. Es geht um Abschied. Es geht um Krankheit. Es geht um Sterben. Es geht um Überforderung und Bedürfnisse der Beteiligten. Darf man diese Dinge auch mit Humor behandeln? Man darf! Zunächst wollen sie noch im Halse stecken bleiben, die Lacher, doch dann dürfen sie frei heraus. Frei und befreiend! Petra Afonin sitzt als „Vorlesetante“ auf einem Hocker, in der Hand ein Buch mit geheimnisvoll anmutendem Umschlagbild. Sie liest die Geschichte von Ramona, dem Mädchen, das ihn sich vorstellt, Die Zuschauer werden nun auf ein Lied vorbereitet, den Lebensabend. Wie mag er wohl sein? das gar nicht lustig ist. „Erschrecken Sie nicht. Es Der begleitende Pianist erweckt die Bilder zum Le- wird laut und böse. Ich singe Ihnen den Fragebogen ben. Seine Finger bringen die Tasten zum Sprechen, des medizinischen Dienstes vor, der abzuarbeiten ist, heiter und beschwingt erzählen sie von der Jungend- wenn eine Pflegestufe beantragt wurde.“ zeit, bewusster und eindringlicher bewegen sie sich Monoton und eindringlich tönt es: in Richtung des letzten Lebensabschnittes. Bevor der „Wie alt sind Sie und wieviel wiegen Sie?“ Lebensabend kommt, berichtet Ramona, habe ich „Können Sie sich noch selbständig waschen?“ noch viel zu tun. Ich muss zur Schule gehen. Es fol- „Tragen Sie Einlagen?“ gen Beruf, Kinder, viel Arbeit und Mühe. Doch dann ist „Können Sie Ihre Gefühle benennen?“ er endlich da, der langersehnte Lebensabend. Befreit „Können Sie...? Können Sie...? Können Sie...?“
15 „Nennen Sie mir zehn Tiere.“ Angestrengt, immer leiser werdend, fast verzweifelt Trauer unter der Haut – kommt die Antwort. Wie Körperkunst im Trauer- „Schaf, Ziege, Hund, Katze, Huhn...........Huhn...... Huhn...Huhn.“ prozess unterstützen kann Auf Hannahs Oberarm kann man in den Sternenhim- mel blicken. Die Haut scheint sich an dieser Stelle zu öffnen und gibt den Blick frei in einen dunklen Raum voll hell leuchtender Punkte, dazwischen das Sternen- bild des Großen Wagens. „Wenn ich irgendwann nicht mehr da bin, bin ich auf diesem Stern“, hatte Han- nahs Großmutter ihr eines Abends gesagt, als beide die Sterne am Himmel betrachteten. Da war Hannah noch keine zehn Jahre alt und ihre Großmutter wuss- te bereits, dass sie unheilbar erkrankt ist. Zehn Jahre später sind Hannahs Erinnerungen an ihre Großmutter noch sehr präsent und der Moment unter dem Ster- nenhimmel als Tattoo auf ihrem Oberarm verewigt. „Durch das Tattoo denke ich jeden Tag an sie. Sie ist Ach, diese Not! Man hat sich doch so gut vorbereitet, jetzt so immer bei mir, gibt mir Kraft. Ich kann sie nicht will alles richtig machen und macht auch vieles richtig. mehr verlieren.“ Wer möchte schon eine Pflegestufe sein? So kommt man der Krankenkasse sehr entgegen. Die Angehöri- gen sind fassungslos und raufen sich die Haare. Wir sind doch so gut erzogen. Die Verse in den Poe- siealben aus Kindertagen zeugen davon. „Üb’ immer Treu und Redlichkeit...“ – „Wenn du noch eine Mutter hast...“ – „Mach den Eltern keine Sorgen...“ Am Ende regt sich bei der Mutter im Altenheim (nein, eigentlich heißt es ja heute fast nur noch „Senioren- residenz“) doch noch ein nie gekanntes Selbstbe- wusstsein. Schließlich hat sie nach dem Tod des Ehemannes zum ersten Mal ihr eigenes Konto. Also nimmt sie sich Freiheit, sich zu wehren: „Ich will kein püriertes Essen.“ „Ich will die Schunkellieder am bun- ten Seniorenabend nicht mitsingen.“ „Wie geht’s uns denn? – Ja geht’s noch???“ Das Bedürfnis, Erinnerungen und Lebensereignisse Petra Afonin hat in überzeugendem Ton den richtigen in Form von Bildern, Symbolen und Texten unter die Nerv getroffen. Sie hat nichts ausgelassen. Sie hat es Haut zu stechen, ist kein neumodischer Trend. Erste gewagt, uns herauszufordern. Zum Lachen, zum Wei- Tätowierungen gab es schon vor etwa 5000 Jahren, nen, zum Nachdenken. damals noch manuell mit in Farbe getunkten Holzna- deln und kleinen Hämmern unter die Haut gebracht. In mir wird es noch lange nachhallen, dieses Theater- Ein Tattoo kann auch heute noch ein rituelles oder sa- erlebnis der besonderen Art. Es endete mit dem Ge- krales Symbol sein, es gibt Hinweise auf die (Stam- bet: „Erhalte mir die Lachfalten an den Tränensäcken.“ mes-) Zugehörigkeit, persönliche Ansichten, wichtige Gertrud Berth
16 Regional Ereignisse und Personen oder dient als Schmuck. Im- So verschieden die einzelnen Geschichten auch sind mer jedoch ist es ein Mittel, etwas zu zeigen, auszu- – alle Interviewten machten deutlich, dass die Täto- drücken, sichtbar zu machen, aber auch sein Leben wierung für sie eine besondere Art der Verbindung lang zu bewahren, denn ein Tattoo verschwindet nie zum Verstorbenen darstellt. Als hilfreich und beruhi- und lässt sich auch mit modernen Methoden nur sehr gend beschrieben viele, dass die Erinnerung an die kostspielig und aufwendig entfernen. verstorbene Person nicht mehr verschwinden kann, Wenn ein geliebter Mensch stirbt, kann es ein Be- dass er oder sie immer da sein wird, sie immer be- dürfnis sein, die Erinnerungen wach zu halten, die gleiten wird, nicht vergessen werden kann. Der Ent- tiefe Verbindung zu diesem Menschen sichtbar zu schluss, sich tätowieren zu lassen, wurde als eine machen oder diesen einschneidenden Lebensab- Möglichkeit beschrieben, aktiv mit der eigenen Trauer schnitt auf der eigenen Haut zu verewigen. In meiner umzugehen. Dabei kann das Tätowieren selbst ein Abschlussarbeit für die Weiterbildung zur Trauerbe- heilsames und lösendes Ritual sein, in dem der oder gleiterin habe ich mich mit der Frage auseinanderge- die Verstorbene einen würdigen Platz erhält und man setzt, welche Rolle Tätowierungen im Trauerprozess sich selbst wieder aktiv dem Leben zuwenden kann. spielen. Welche Bedeutung hat die Tätowierung für Alle Interviewten beschrieben, dass das Tätowieren den Trauernden oder die Trauernde? Verändert sie die die Art der Trauer verändert hat, dass der Schmerz Beziehung zur verstorbenen Person? Hilft sie vielleicht danach weniger wurde, die schwere Zeit überwun- sogar bei der Trauerverarbeitung und öffnet den Blick den war. für das eigene Leben? Manchmal geht die Motivauswahl auch über die Erinnerung hinaus und zeigt einen direkten Bezug zum eigenen Leben. „I keep having dreams“ ist eine Zeile aus einem Lied, das Johanna und ihr Freund gerne zusammen hörten. Als er sich nach wieder- kehrenden depressiven Phasen das Leben nahm, fiel sie zunächst in ein tiefes Loch. Die Liedzeile auf dem Arm erinnert sie nun immer wieder an ihre eige- nen Träume und Wünsche, die mit seinem Tod nicht verloren gingen, die sie immer noch verwirklichen möchte. Das Tattoo ist eine Möglichkeit, Erinnerungen zu bewahren und das eigene Leben im Blick zu behal- ten, gleichzeitig aber auch offen und sichtbar mit Tod und Trauer umzugehen. Beides sind Themen, Im Rahmen meines Projektes habe ich sieben Frauen die viele Menschen bewegt, für die die Familie, die und Männer interviewt und fotografiert, die sich in Freunde oder die Gesellschaft oft keine Worte fin- Erinnerung an eine verstorbene Person tätowieren den. Ich würde mir daher wünschen, die Geschich- ließen. Jedes Tattoo ist dabei so einzigartig wie die ten und Bilder meines Projektes in einem belebten Geschichte dahinter: Namen der verstorbenen Cou- öffentlichen Raum ausstellen zu können. Es darf dort sine, die wie eine Schwester war, und des ungebore- Kaffee, Tee, Bier oder Wein getrunken werden. Man nen Kindes, das aufgrund einer schweren Erkrankung darf laut reden über Tod, Sterben und Trauer. Und nicht leben konnte. Ein Arrangement aus Symbolen über das Leben. Es darf diskutiert, gelacht und ge- der Vergänglichkeit in Erinnerung an die Mutter oder weint werden. Zusammen mit Fremden, Freunden, eine Zeile aus dem Lied, das an die Cousine erinnert, Arbeitskollegen, Kindern und Jugendlichen, mit der die sich das Leben genommen hat. Familie oder alleine.
17 Einblick „…das Leben der kommen- und des Todes“. Das bedeutet: Das Gute an unserer menschlichen Wirklichkeit ist in Jesus Christus bereits den Welt“: Wohin gehen gerettet, mag es auch noch so klein, schwach und be- droht erscheinen. Und wir Menschen sind eingeladen, wir nach dem Tod, was einander aus offenem Herzen zu geben, was das Le- bleibt? ben mehrt, vorbehaltlos zu lieben und so Hass, Streit und Gewalt zu überwinden. Der Glaube an das „Le- „Was kommt nach dem Tod?“ – Eine Frage, die viele ben der kommenden Welt“ will den Blick gerade auf Menschen und somit auch viele Christen bewegt. Da- das Hier und Jetzt lenken: auf die Menschen und die bei fallen selbst solchen Christen Antworten schwer, Schöpfung, vor allem in Situationen, wo es zunächst die regelmäßig im so genannten „Großen Glaubens- mehr um den Tod als um das Leben geht. bekenntnis“ sprechen: „Wir erwarten die Auferstehung der Toten und das Leben der kommenden Welt.“ Eine Spur, auf der sich besser verstehen lässt, was damit gesagt ist, um solche Aussagen dann im Vertrauen wirklich zu den unsrigen werden zu lassen (ohne, dass damit aller Zweifel und alles Suchen erledigt wären!), bietet das Leben Jesu von Nazareth: Wir bekennen im gleichen Glaubensbekenntnis von Jesus, dass er „wahrer Gott und wahrer Mensch“ ist: Gott selbst ist in unvergleichlicher Weise in diesem Menschen ge- genwärtig gewesen; Gottes Liebe ist sozusagen in ihn eingeströmt wie in ein vollkommen offenes Gefäß. Und durch Jesus wurde diese Liebe weitergegeben: durch Wort und Tat. Das zeigt sich bis zum Ende des irdischen Weges Jesu am Kreuz. Er hört nicht auf zu Wie dieses „Leben der kommenden Welt“ oder „der lieben, nicht einmal angesichts des Unrechts, das er Himmel“, wie wir auch oft sagen, dann genau in Voll- erleidet. Solche Liebe lässt Gott nicht im Tod, son- endung aussieht, was also dann letztlich bleibt? Dafür dern schenkt in der Auferweckung unzerstörbares findet die Bibel viele Bilder, die uns eine „Seh- und Leben. So hat Jesus als Christus, als Gesandter und Denkhilfe“ sein können. Eines davon ist das vom Gesalbter Gottes uns Hoffnung geschenkt, dass auch Festmahl, zu dem alle eingeladen sind – was für ein unser Leben sich einst vollenden wird wie das seine. Hoffnungsbild gerade in diesen Tagen, in denen uns Das Kreuz ist eben nicht Endpunkt eines Weges, Gewalt und Ungerechtigkeit so belasten: „Der Himmel auch wenn es erst einmal so scheint. Das Zeichen ist die Möglichkeit der Geschöpfe, ein Fest zu feiern, des Todes wird durch Gott zum Zeichen des Lebens. ohne den Tod zu brauchen, … Er ist die Befreiung Der Glaube an das „Leben der kommenden Welt“: Er vom Zwang des Nutzens, von der Nötigung, andere ist also im Kern Hoffnung darauf, dass einmal die gan- Geschöpfe zu Mitteln machen zu müssen, um die ei- ze Wirklichkeit, soweit sie sich dafür öffnet, in Jesu gene Identität erhalten zu können … An die Stelle des endgültiges Heil-Sein einbezogen und bei Gott sein tödlichen Gebrauchens tritt die Freude am nutzlosen wird. Dieses „Sein bei Gott“ bezieht sich aber auch Dasein, und die dunkle, zwingende Materie wird ganz schon auf das Leben vor dem Tod. Gottes Reich zum Ort der Freiheit.“ des Lebens in Fülle ist bereits angebrochen; es ist Gottfried Bachl nicht mehr aufzuhalten durch die „Macht der Sünde
18 Einblick Wo endet die Reise? Der Dieses Grableben ist für die Muslime auch der Ort der Abstrafung ihrer Sünden. Doch hier gibt es den Um- Blick des Islam auf den Tod stand, dass durch dieses Grableben das Verhältnis zwischen guten Taten und Sünden bereinigt werden Die Menschen, Tiere, Pflanzen, kurz gesagt alle Lebe- kann, sodass am Ende ein Übergang ins Paradies, wesen auf dieser Welt eint ein Schicksal. Das Leben, ohne ein Abbüßen in der Hölle, möglich sein könnte. das irgendwann in den Tod mündet. Auch wenn diese Das Grableben ist in vielen Aussagen des Propheten beiden Begriffe untrennbar miteinander vereint sind, genauestens beschrieben und stellt die erste Station verspürt der Mensch gegensätzliche Gefühle, wenn nach dem Tod dar. es um diese Begriffe und ihre Bedeutungen geht. Das Grableben endet mit dem Tag des Jüngsten Ge- Das Leben wird als mehrheitlich positiv und lebens- richts. An diesem Tag erstehen alle Menschen, die wert wahrgenommen und in vielen Liedern in vielen jemals auf der Erde gelebt haben auf und die Erde Ländern dieser Welt besungen. Das Verhältnis zum gleicht einer weißen Landschaft ohne Berge, Flüsse Tod ist allerdings ein anderes. Die Menschen spre- oder sonst etwas, was an das Leben auf der Erde er- chen ungern darüber, Erfahrungen aus dem eigenen innert. Dann wird den Menschen eine Art Tatenregister Umfeld lösen manchmal ungewollte Reaktionen vom vorgelegt, in dem ihre guten Taten und Sünden aufge- Weinen bis zur tiefen Trauer aus. Aber ist das Leben, listet sind. Wer dieses Tatenregister in die rechte Hand welches wir mit der Geburt starten und auch jedes bekommt, hat mehr gute Taten als Sünden. Wer es in Jahr auf den Punkt genau feiern, wirklich das einzig die linke Hand bekommt, hat dementsprechend mehr positive oder kann der Mensch dem Tod auch etwas Sünden begangen als gute Taten. Danach folgt die abgewinnen und bei der Trauerfeier vielleicht die Trau- Abrechnung, wo der Mensch vor Allah steht und alle er streichen? seine guten Taten und Sünden noch einmal bezeugt. Die meisten Menschen auf der Welt gehören den drei Die Menschen, die sich das Wohlgefallen Allahs ergat- großen Weltreligionen an, welche einen genauen Plan tert haben, werden diese Abrechnung nicht durchlau- davon zu haben scheinen, was auf die Menschen im fen. Nach der Abrechnung wird jede kleinste gute Tat Jenseits wartet. Im Islam, der zu den genannten Welt- und jede kleine Sünde berechnet und gegeneinander religionen gehört, gibt es auch eine genaue Vorstellung, aufgewogen. Wessen gute Taten bei dieser Waage wohin die Reise des Menschen nach dem Tod führen die Sünden überwiegen, der darf dann endgültig ins wird. Das Verhältnis zwischen Leben und Tod wird im Paradies eintreten. Wessen Sünden hier überwiegen Islam dadurch geprägt, dass das Leben als Prüfung oder wer nicht an Gott geglaubt hat, wird dann ent- oder Bewährungsprobe aufgefasst wird. Die Prüfung weder zum abbüßen oder auf ewig in die Hölle eintre- des Menschen besteht darin, sich an die Pflichten und ten. Diese Entscheidung wird dann deutlich, wenn der Verbote, die durch Koran und Sunna (prophetische Gang über die Sirat-Brücke ansteht. Wer in die Hölle Tradition) hervorgehen, zu halten und dadurch das Pa- muss, wird in den Abgrund fallen und wer ins Paradies radies als Lohn nach dem Tode zu ergattern. Dieser eintreten darf, wird diese Brücke schnell überwinden. Gedanke, dass im Jenseits der Lohn des Lebens auf Abschließend kann also gesagt werden, dass es für den Menschen wartet, beeinflusst auch das Leben die Muslime lohnenswert und erstrebenswert ist, und die Handlungen des Menschen. Es liegt eine Art sich in ihrem Leben in den Dienst der guten Taten System vor, das einmal zwischen gläubig und ungläu- zu stellen. Denn dann können auch die Ängste oder big und „gläubig, aber Sünder“ unterscheidet. Die, die Sorgen, die mit dem Tod in Verbindung stehen, bes- nicht an den Islam glauben, erwartet nach dem Leben ser verarbeitet und somit das Leben wieder lebens- die ewige Strafe in der Hölle. Aber hier gibt es auch wert werden. Unterscheidungen, denn nach dem Tod beginnt für die Menschen das Grableben, das bis zum jüngsten Tag Nasuh Bellikli andauert und als Bestrafung für die Sünden fungiert.
19 diese Frage. Und so schlug der Seelsorger vor, ein Über den Autor: anderes Mittel zu wählen: das Malen. Es hatte sich Nasuh Bellikli nämlich herausgestellt, dass Lambert tatsächlich ger- ne im Rahmen seiner Möglichkeiten zeichnete. Und so kam schließlich Folgendes dabei heraus: Lam- bert malte zunächst von rechts nach links ein langes gotisches Fenster auf einem großen, weißen Bogen im DinA3-Format. Das Fenster war in einem kräftigen roten Farbton mit einem breiten schwarzen Balken in der Mitte. Daneben entstand ein weiteres Fenster. Die Mitte blieb jedoch weiß. Daneben malte er ein weiteres Fenster, wieder mit einem breiten schwarzen Strich. Schließlich entstanden ein kleineres Fenster mit einem schwarzen Punkt und zuletzt ein noch kleineres mit einem kleinen schwarzen Pünktchen. Nachdem er so fertig geworden, behauptete er, dass sei sein Himmel. Er ist Student der Islamischen Theologie, Religionspä- dagogik und Geschichte in Osnabrück und zugleich ehrenamtlich tätig als Jugendvorstand in der Fatih- Moschee in Papenburg, Jugendkoordinator der Mo- scheejugenden der Region Oldenburg sowie Co-Vor- standsvorsitzender des DITIB Landesjugendverbands Niedersachsen-Bremen. Lamberts Himmel Lambert, Trisomie 21, 55 Jahre, lebte vor einigen Jah- ren in einem Wohnheim der Behindertenhilfe in Mep- pen. Er sah aus wie ein Mensch, der das Down-Syn- Als er das Bild erklären sollte, kam schließlich heraus, drom hat. Er war ein freundlicher angenehmer Mensch dass das große Fenster mit dem schwarzen Strich und spielte in seiner Freizeit mit seinem Gruppenleiter seine verstorbene Mutter darstellen sollte. Das zweite besonders gern Basketball. große Fenster mit dem schwarzen Strich sein verstor- Eines Tages begann er eine seltsame Frage zu stellen. bener Vater. Das kleine Fenster mit dem schwarzen Sie lautete: „Wie sieht der Himmel aus?“ Seine Grup- Punkt der verstorbene Hund und das ganz kleine Fen- penleiterin wusste zunächst keine Antwort und als er ster mit dem schwarzen Pünktchen sein verstorbener sie immer wieder neu und beharrlicher stellte, wandte Kanarienvogel. Und das dritte große Fenster mit der sie sich an den Theologen in der Einrichtung, denn weißen Mitte sein Platz war, der für ihn bestimmt war. der war ja schließlich der Experte. Aber dieser Seel- Am nächsten Tag ging seine Gruppenleiterin mit ihm sorger mochte auch nicht so recht einem Menschen auf den Friedhof seiner Eltern. Er zeigte mit dem aus- mit einer Beeinträchtigung erklären, was Theologen gestreckten Zeigefinger auf das Grab und behaupte- darunter verstehen, daher fragte er zurück: „Wie sieht te, dass er bald genau zwischen seinen begrabenen denn Lambert selbst den Himmel?“ Nun – Lambert Eltern zu liegen käme. konnte nicht gut sprechen und daher erübrigte sich
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