"mein avatar ist besser als ich" - curd michael hockel
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Schwerpunktthema: Jugend und neue Medien Curd Michael Hockel „Mein Avatar ist besser als ich“ Mediale „Mehrfach-Leben“ im Jugendalter als Problem beim Entwickeln einer gesunden, funktionstüchtigen „Patchworkidentität“ Der Brockhaus beschreibt „Avata- und Trollen, Schamanen oder wasch- ra“ als „die Verkörperung eines Got- echten Schurken schlüpfen. Sie können tes auf Erden, besonders die Verkörpe- alleine oder in „Gilden“ gegeneinander rung des Vishnu. Er nimmt auf der Erde spielen. Gestalt an, um die bedrohte Weltord- nung (dharma) zu schützen oder wie- Nach meinen persönlichen Erfah- der herzustellen…. Die Zahl der Avatara rungen mit der Vielfalt solcher animier- schwankt; auch Buddha wird unter die ter Profile haben diese den Rang von Avatara gerechnet.“ „Experimentalidentitäten“. Und da ich als personzentrierter Kinder- und Ju- Als 1992 Neal Stephenson in seinem gendlichenpsychotherapeut mit Iden- Science-Fiction-Roman Snow Crash den titätsentwicklung und Identitätssuche Begriff auf das Bild eines Avatar redu- stets konfrontiert bin, habe ich einige zierte und diesen Begriff populär mach- der Erfahrungen hier zusammengestellt. te, konnte er nicht wissen, dass er damit den bündigen Leitbegriff für die inzwi- Eine Leitfrage der kinderpsychothe- schen herangewachsene Konfiguration rapeutischen Fachdiskussion war in den einer künstlichen „Persönlichkeit/Iden- letzten Jahren die Frage nach der Gene- tität“, einer Rollenspielfigur im Internet, se der Gewalt, dem Thema einer ersten geprägt hatte. Innerhalb der Compu- Expertenkonferenz der Hans Seidl Stif- terszene wird ein Avatar nicht so „psy- tung bereits 19941. Inzwischen wird di- chologisch“ gesehen. Er kennzeichnet ese Frage u. a. zentriert auf die (behaup- nur ein vom User (Nutzer) selbst ge- teten/bewiesenen?) Gewalt fördernden schaffenes und animiertes Profil. Ein Auswirkungen von Medienkonsum. Avatar ist also eine künstliche, virtuelle Meine Ausführungen wollen hierzu ei- Person oder ein grafischer Stellvertre- nen erfahrungsbegründeten Zwischen- ter einer echten Person in der virtuellen ruf darstellen. Welt, beispielsweise in einem Compu- terspiel. Im „Second Life“, einem auch in Deutschland zunehmend populärer 1. Identitätssuche Curd Michael Hockel werdenden Computerspiel, kann sich cm@hockel.net jeder Spieler neu erfinden, sich seinen Wenn einst ein Jugendlicher in den Wunschcharakter verpassen. Ein „Ver- Spiegel blickte um zu sehen „aus wel- Diplom Psychologe, Studium der Phi- lierer“ im echten Leben kann im Spiel chem Holz bin ich geschnitzt?“, so losophie, eigene psychologische und zum großartigen Gewinner werden, machte er keinen großen Fehler. Noch psychotherapeutische Praxis, Ge- ein Unsportlicher darf sportlich sein, ein zu Goethes Zeiten wurde über die Ei- sprächspsychotherapeut GwG, Grün- Schwarzhaariger blondgelockt… Kurz- genschaften von Werther und anderen dungspräsident der Europäischen um, jede/jeder kann die- oder derje- Figuren, ja sogar über wirkliche Persön- Förderation der Berufsverbände von nige sein, der er im realen Leben ger- lichkeiten so gedacht: Menschen haben Psychologen, EFPA, Lehrbeauftrag- ne wäre, aber nicht ist. Im Second Life Charakter, und das ist etwas von Ge- ter am Lehrstuhl Klinische Psycholo- kann man Geschäfte machen, Grund- wicht, messbar in seiner Qualität wie gie der LMU-München, Dozent und stücke kaufen, lügen und betrügen, lie- andere Substanzen. Selbst die Psycho- Supervisor für mehrere staatlich an- ben und leiden. In Fantasiespielen wie logie hat in den ersten Entwicklungsjah- erkannte Psychotherapieausbildungs- „World of Warcraft“, dem weltweit am ren des Faches noch nach solcher ding- institute, Herausgeber des Handbuchs meisten gespielten „Massen-Multiplay- haften Identität geforscht. Ein Holzweg. der angewandten Psychologie (Eco- er-Online-Rollenspiel“, können die Spie- med) ler in die mystischen Rollen von Tauren 16 Gesprächspsychotherapie und Personzentrierte Beratung 1/08
Schwerpunktthema: Jugend und neue Medien Später begriffen sich junge Men- handeln meint, mutig und selbstver- enten, die meine Zugangsmöglichkeit schen als Teil eines Systems; in das Wur- trauend zu handeln. Erlebt sich ein jun- ins Netz nutzen wollten, um sich Anre- zelwerk ihres Herkommens, auf den ger Mensch kompetent in bestimmten gungen für Schularbeiten zu holen oder trüben Spiegel ihrer „unbewussten“ Fertigkeiten („Ballern“ oder „Dichten“), die mir demonstrierten, welche bedeut- Konfliktgeschichte blickend versuchten so kann es dazu kommen, dass er sei- samen Inhalte für sie dort zugänglich sie zu erkennen, was denn in der Tie- nen neu erworbenen Fertigkeiten mehr waren (von altmodischen Musikstar-Fan- fe ihrer Psyche sei. Das „Erkenne Dich vertraut als seinen erlernten Werten. Als Clubseiten über „Lieblingscomputer- selbst!“ wurde zur reflektorisch–analy- Rückseite der Mut – und Selbstvertrau- spiele“ zu „Blogs“ und „chatrooms“). tischen Detektivarbeit. Im System von ensmedaille wird hier die Frage nach der Es-Ich-Über-Ich seine eigene Systemkon- Selbststeuerungskompetenz zentral, der Inzwischen verwalte ich mei- figuration, seine eigene „Zusammenset- Fähigkeit eigenes Handeln in Grenzen ne Homepage selbst, nutze das uner- zung“, zu ermitteln, war leidvolles oder zu halten, an bewussten, gelernten, ge- schöpfliche (und teils sehr fragwürdige) lustiges Gedankenspielen. Aber auch achteten Werten zu orientieren. Wissensmeer des Internets alltäglich und dieses Systemparadigma, dieser „Glau- spiele ab und zu mal eine Runde. Was? benssatz“2 (obwohl heute noch herr- Moral als Kern einer Identität zu be- Verrate ich nicht. Als wer? Verrate ich schend) wird dem Menschen in seiner trachten ist altmodisch – und falsch, so- nicht. Diese Möglichkeit meinen Ava- Selbsterkenntnis nicht gerecht. lange Moral als Substanz gedacht wird. tar (oder deren Vielzahl) Abenteuer er- Moral als System steuernder Über-Ich leben zu lassen, ist faszinierend und in- Identität als Prozess – Frage nach Einschärfungen zu betrachten ist schä- tim. Und in der Begegnung mit meinen Mut und Selbstvertrauen digend, da es die innere Beziehung zu jugendlichen Klienten – oder mit Inter- Werten wie eine Knechtschaft gestaltet netbekanntschaften – entfaltet sich ein Das Struktur-Paradigma, die Grund- (insofern ist jedes „Über-Ich“ ein sadis- Kontakt- und Erfahrungsbereich, den es auffassung, nach der alles Seiende Pro- tisches Über-Ich, da es die Unfreiheit ins eben einst nicht gab. Und diesen kann zess ist, lässt heute die Frage nach der Selbstbild des Menschen zementiert4). und muss ich als Kinder- und Jugend- Identität zur Frage nach der ureige- Moralisch zu handeln – meint mit dem lichentherapeut heute nutzen. nen „Melodie“ eines Lebens werden. Mut zu eigenen Werten zu handeln – ist Die Identität einer Melodie bleibt erhal- ein Prozess. „Wie soll ich lieben, wenn Eine andere Erfahrung: In meiner Ju- ten, wie auch immer sie gespielt wird, ich nicht hassen darf?“ (Hockel, 1994) gend waren Deutschlehrer noch be- ob laut oder leise, mutig oder ängstlich. war der Titel meines zweiteiligen Rund- geistert, wenn sie hörten, dass der eine Hier zeigen sich die Eigenheiten jeweils funkvortrages zur Genese der Gewalt oder andere – und ich gehörte zu die- im Handeln. Identität wird zur Struk- bei Jugendlichen. Selbstvertrauen eines sen – eine „Brieffreundschaft“ mit je- tur handlungssteuernder Werte. Letz- Jugendlichen muss jenes Zutrauen sein, mandem pflegte, der „bettlägrig“ oder tere sind selbst Qualitäten im Prozess : das der eigenen emotionalen Steuerung „hinter dem eisernen Vorhang“ lebte. beispielsweise Mut und Selbstvertrau- zu vertrauen vermag, weil die obersten Heute wird in öffentlicher Debatte vor en. Spätestens seit mit der Erforschung handlungsleitenden Werte dem entspre- allem gefragt, ob es vielleicht gefährlich des Mutes3 deutlich geworden ist, was chen, was menschlich wertvoll ist. sei, wenn Kinder und Jugendliche in der Mut ist, gewinnt in der Frage nach der Internetnutzung versinken, ein „Second Identität junger Menschen – die Frage Als Psychotherapeut Life“ leben oder auf virtuellen Kriegs- nach der Werte-Sozialisation umfassend Nutzerkompetenz entwickeln: schauplätzen mit ihrem „Clan“ zu sie- – Bedeutung. Mut ist gelebte Wertfül- Homepage, Spiele, Blogs gen versuchen. le, Selbstvertrauen kennzeichnet solche Fülle als Selbstwahrnehmung. Als Angehöriger jener Generation, die Konstruktive pubertäre Selbstfindung die Entstehung des Internets auf diesem durch virtuelle Welten? Die Frage nach dem wachsenden Planeten mitzuvollziehen hatte, erwarb Gewaltpotential junger Menschen kann ich nur sehr langsam eine durchschnitt- Ich glaube, dass wir gegenwärtig erschreckend sein, wenn die Motive der liche „Nutzerkompetenz“ innerhalb die- die Vielfalt der konstruktiven Entwick- Gewalt völlig rätselhaft erscheinen. Ge- ser neuen Wirklichkeit. Ich war bereits lungen, die sich mit dem Internet und hen wir jedoch davon aus, dass jeder der „Senior“ in der Praxis als mir mei- mit den Computerspielen und virtuellen Mensch sich selbst vertrauen möchte ne jüngeren Kollegen beibrachten, dass Welten auftun, noch nicht einmal ah- und sich als wertvoll erleben möchte, so ich einen „elektronischen Briefkasten“ nen können. Klassische und aktuelle Per- sind Mut und die Fülle der geachteten und später eine „Homepage“ benötige. spektiven der Identitätsforschung stell- Werte Ziele im Entwicklungsprozess. Im Als Kinder- und Jugendlichenpsychothe- ten Heiner Keupp und Renate Höfer Rahmen personzentrierter Psychothera- rapeut war ich kontinuierlich herausge- (1998) zusammen; der dort entwickel- pie werden hier die Begriffe „Selbstaktu- fordert durch die Veränderungen in den te Begriff einer „Patchworkidentität“ ist alisierung“ und der „Attraktor“ seelischer Lebenswelten der Kinder. Und so waren sicher fruchtbar in einer Zeit, in welcher Gesundheit, die organismische Selbstre- manche meiner ersten Interneterkun- sich immer mehr Menschen als Glieder gulation wegweisend; authentisch zu dungen Dienstleistungen an kleine Kli- von Patchworkfamilien begreifen. Noch Gesprächspsychotherapie und Personzentrierte Beratung 1/08 17
Schwerpunktthema: Jugend und neue Medien bedeutsamer war mir jedoch die eben- sprechen werde (mit der ich auch ar- meine Generation die Fragen so beant- dort gegebene Reflexion von Bialas beite -als Psycho – siehe meine Home- worten könnte, wie sie sich das vor- (1998), der Identität im Zeitalter ihrer page www.hockel.net ), zu diskutieren. stellen. In welcher Form soll dieses Ge- technischen Simulierbarkeit betrachtete. So unterbreite ich Dir erst mal mei- spräch denn stattfinden? Ich nehme „Der Erfahrungsgehalt realer Welten, so nen Grundgedanken: Im reichen Nor- an per E-Mail, oder? meine These, bleibt in seiner Wirkmäch- den wissen wir heute (wie einst die Viele Grüße, Marc B. tigkeit zumindest tendenziell hoffnungs- Deutschen im Nazireich), dass täg- los hinter der kompositorischen Raffines- lich 30000 Kinder sterben, weil die So ermutigt, stellte ich ihm Fragen, se simulierter Welten zurück.“ (Bialas, Menschen ihrer Umgebung entwe- die er ebenfalls mit großer Offenheit be- 1998, S.54) Obwohl die dort weiter aus- der kein Interesse oder keine Möglich- antwortete. Da die Fragen in der Ant- geführten Überlegungen sehr anregend keit haben, sie am Leben zu erhalten wort aufgegriffen werden, hier nur die provozieren möchte ich sie doch nicht (das findet eben heute nicht in Ausch- Antwort von Marc: zustimmend übernehmen. witz statt, aber von Auschwitz wusste ja angeblich auch niemand – es findet Was ist eine Chance? Ich möchte zwei Seiten dieser Ent- in Afrika, Indien, Südamerika... und so- Eine Chance sehe ich als eine Mög- wicklung beleuchten, eine die unzweifel- gar vor unserer Haustüre statt). Und lichkeit, die man wahrnehmen kann haft positiv bereichernd ist und eine die wir haben die Chance, dennoch ein oder nicht. Das Leben ist voller Chan- entsprechend den Alarmrufen gefähr- unbeschwertes, glückliches, gebildetes, cen, sie warten an jeder Ecke, man dend ist. Wieweit die „Spielwiese“ der wohl versorgtes Leben zu entfalten, zu muss sie nur sehen. Für die einen ist Identitätsgestaltung, die mit der Mög- planen, zu realisieren und zu genie- es eine Chance, für die anderen nicht. lichkeit, sich als „Avatar“ beliebig zu for- ßen. Dagegen habe ich nichts. Und Oft denke ich jedoch, merkt man erst men und zu erproben, eine konstruktive ich weiß auch, dass Jugendarbeitslo- im Nachhinein, was für eine Chance Bereicherung der pubertären Selbstfin- sigkeit und andere Macken unser Sys- man da hatte, denn zum damaligen dungswege darstellt, wird vermutlich tem durchaus nicht rund laufen lassen. Zeitpunkt hat man diese Möglichkeit noch lange umstritten sein. Was mir je- Aber ich sehe doch in der Chance al- noch gar nicht als eine Chance wahr- doch heute schon deutlich ist: Sollte die- lein ein Risiko: dasjenige nämlich seine genommen, ist aber glücklich darüber, se Diskussion beschränkt bleiben auf die Ziele zu kurz zu stecken, wie Du so su- diesen Weg eingeschlagen zu haben. Frage nach der „Gewaltbereitschaft“, so perkritisch Dich anklagend sagst „ego- Welche Chancen und wie wir Chan- ist sie kurzsichtig und verfehlt das Phä- manisch“ zu sein. Ich glaube aber, un- cen wahrnehmen, das bildet mit un- nomen. sere Chancen können wir nur nutzen, sere Persönlichkeit. In gewisser Weise indem wir egomanisch im richtigen ist unser Weg vorgezeichnet, da wir als Sinne sind: authentisch unseren ganz bestimmte Persönlichkeit eben auch 2. Vom „Schwarzen Auge“5 zum eigenen jeweiligen Weg als Menschen bestimmte Chancen wahrnehmen. bunten Helden suchen und finden – denn Menschen Eine Chance wird erst zu einer Chance, brauchen Achtung und Beachtung... wenn wir sie wahrnehmen. Davor ist es Auf der Suche nach Anregungen zum Ich stoppe mich mal, denn noch weiß eher ein Angebot, eine Möglichkeit. Es Stichwort „wofür lohnt es sich zu leben6 ich nicht, ob Du an solch einem Ge- kommt darauf an, wer diese Möglich- „ stieß ich eines Tages auf eine Interne- spräch-geschreibe interessiert bist. keit für sich in Betracht zieht. Chancen tseite (einen „Blog“), die den seltsamen Wenn ja, dann wäre ich für ein Signal sind keine zufälligen Konstellationen, Namen hatte: „Gedanken im Glas“. Das und für alle Fragen, die diese Mail bei die uns zum Vorteil sind. Für Chancen was ich gesucht hatte war dort eine dir auslöste, herzlich dankbar. sind nämlich meine Mitmenschen ver- „Schublade“ und in diese hatte der Au- Herzlich Curd Michael Hockel antwortlich. Sie geben mir die Chan- tor, dessen Blog es war, einige interes- cen und bilden mein Leben. sante Gedanken zum Thema „wofür es Und er antwortete mir mit etwas Ver- sich zu leben lohnt“ abgelegt. So lernte zögerung: Welches Beispiel für „eine Chance ha- ich Marc kennen. Ich schrieb diesem Un- ben“ ist Dir aus Deinem Leben be- bekannten eine Mail: Hallo Herr Hockel, kannt? entschuldigen sie die späte Antwort, Als Christ, ist das die Chance mich für Betr.: Gesprächsangebot aber ich war bis heute eben auf Stu- meinen Glauben entschieden zu haben Lieber Marc, dienfahrt. Ihre Mail habe ich mit groß- und diesen frei ausleben zu können. Es ich schrieb gerade aus gegebenem em Interesse gelesen und finde mich ist die Chance, eine erstklassige Bil- Anlass den anhängenden Einstieg zu in dem angehängten Text passend dung zu genießen und mich zu einem einem Vortrag, den ich demnächst hal- beschrieben wieder. „Egomanisch im die Umwelt achtenden und vorausden- ten werde. Und da kam mir der Ge- richtigen Sinne“, ist eine sehr gute Be- kenden Menschen zu entwickeln. danke das, was ich denke und sagen zeichnung für das, was man sich als möchte, vielleicht vorher mit einem An- Ziel stecken sollte. Zu einem Gespräch gehörigen der Generation, über die ich wäre ich bereit und hoffe, dass ich für 18 Gesprächspsychotherapie und Personzentrierte Beratung 1/08
Schwerpunktthema: Jugend und neue Medien Beispiele von Gleichalten, die Chancen te in mir die Neugier durch eine vir- sondern nur über Headset und Chat hatten, die Du nicht hattest? tuelle Stadt zu laufen. Ich weiß nicht kennen gelernt habe. Mir war plötzlich Das waren wohl hauptsächlich Aus- woher das kam, aber es könnte dar- klar, dass die Menschen am anderen landsaufenthalte, für die bei uns nie das an liegen, dass ich früher schon immer Ende genauso sind wie ich, auch Eltern Geld da war. Nach längerer Zeit regte der Typ von Kind war, der hoffte, man haben, die über das unaufgeräumte ich mich nicht mehr darüber auf, dass könnte auf einem Foto in das Bild hin- Zimmer schimpfen, und dass da Men- es andere besser hatten, dafür können einschauen, hinter die Personen, wenn schen sind, die dieselben Sorgen haben sie ja nichts und schließlich kann man man seitlich darauf schaut. Ich glaube, wie ich. Ich entdeckte aber auch, wie auch ohne Geld „reich“ sein. Irgend- ich habe den Computer immer als eine viele Menschen einem etwas vorma- wie muss man nur genügend Geduld mystische Maschine gesehen, mit der chen können und wie wenig Mensch- haben, dann kommen einem die sel- man alles machen kann. Die Vorstel- lichkeit manchmal in Chat-Nachrich- ben Chancen früher oder später auch lung von diesem Flug durch die Kabel ten stecken kann. zugeflogen. und Leitungen, vorbei an der Festplat- te hinein in den Prozessor, war einfach Dein „Blog“ ist das was man früher Chancen die Du gar nicht haben möch- toll. Allerdings begannen meine ersten ein Tagebuch nannte – wann hast Du test? Schritte am Computer nicht mit der mit Tagebuch begonnen? Ist das et- Viel zu viel Geld, das mir Privilegien er- Zockerei, sondern eher mit dem Ver- was, was Deiner Auffassung nach viele öffnet, aber auch eine große Verant- such Geschichten und Texte zu tippen. Gleichalte nutzen? wortung aufladen würde, von der Ab- Ich war so fasziniert von dem blinken- Vorweg: Es ist nicht richtig, ein Blog grenzung vom Umfeld mal ganz zu den Cursor und den erscheinenden und ausschließlich mit einem persönlichen schweigen. Die Chance, skrupellos verschwindenden Buchstaben, über die Tagebuch gleichzusetzen, wie man es zu werden oder zu sein, die Chance, man die totale Kontrolle hatte. von Jugendlichen früher kennt, aber Macht über andere Menschen zu er- vielleicht mit solchen von Schriftstel- langen, will ich nicht haben, eher die Welche Rolle spielen Computerspiele lern oder Dichtern und Denkern; eine Chance ihnen mit solcher Macht zu heute in der Selbstentfaltung von Dir Art Briefwechsel mit der Umwelt. (Von helfen. und Deinen Mitschülern? rein informativen und Nachrichten- Persönlich sehe ich das so: Erstmal wird blogs abgesehen; und sicherlich gibt Was meint Risiko? der Spieldrang befriedigt, der noch aus es auch die von ihnen beschriebenen „Jedes gelöste Problem ist einfach.“ der Kiste mit Bauklötzen heraus kriecht. Blogs). Bei einem persönlichen Tage- (Thomas Alva Edison) Jedes Risiko ist Das Knüpfen sozialer Kontakte, quasi buch ist beim Schreiben keine öffent- im Nachhinein kein Risiko mehr. Risiko das Finden „von deinen Leuten“, dei- liche Komponente vorhanden. Das gegenüber einem selbst ist in Ordnung, ner „Crew“, deinem „Team“, treibt habe ich gemerkt, als ich begonnen Risiko gegenüber anderen Schicksalen die soziale Komponente ungemein habe zu bloggen. Persönliche Dinge sollte gut überlegt sein.Wann ist et- an. Das Gemeinschaftsgefühl ist ein- preiszugeben, macht die Sache für den was ein Risiko? Was manche als Risiko fach toll und es werden unendlich viele Leser interessant, da er so sehen kann, sehen, sehen andere als langweilige, Möglichkeiten und Aufgaben dafür an- dass auch andere gleiche Sorgen und schon tausendmal getroffene Entschei- geboten. Ich vermute aber: Die Ur-In- Probleme haben oder sich gleich füh- dung an. Die meisten Entscheidungen tention liegt im Drang zur Selbstpro- len wie er selbst, dass er vielleicht gera- werden erst zu Risikoentscheidungen, filierung und in der Neugier – eben de nicht der Einzige ist, der gelangweilt wenn man sie als solche wahrnimmt. typisch menschlich. Ist das dann ver- vor seinem Rechner sitzt und über den Gibt es Risiken in Deinem Leben, die flogen, sieht man das Spiel entweder Sinn des Lebens nachgrübelt. Manches Du „bewusst in Kauf nimmst“? wie den Sonntagnachmittags-Kick mit ist aber einfach nur nachvollziehbar Ja, das sind hauptsächlich die ty- den Kumpels auf dem Fußballplatz, wenn man den Text selbst verfasst hat. pischen jugendlichen Kavaliersdelikte, oder aber als eine Art Business, in dem Man ist sein eigener Film, ein Theater- aber eigentlich bin ich in dieser Hin- der Siegeswille seinen Platz findet und stück, das man aber auch interessant sicht eher ein Charakter, der ungern der Erfolgs-Durst gestillt werden muss. gestalten möchte um eine bestimmte alles auf eine Karte setzt sondern lieber Man baut sich so sehr schnell und ger- Atmosphäre zu übertragen. In meinem alles noch mal im Tresor liegen hat. ne ein „virtuelles Portfolio“ auf. Nicht Blog sind natürlich auch tagebuchähn- umsonst steht bei fast allen Online- liche Einträge, aber ich sehe dieses Blog Wann hast Du begonnen Dich für Profilen in Spiele-Communities und Li- eher als eine Art Plakat an der Wand Computer zu interessieren? gen in der Selbstbeschreibung eine His- einer Bahnhofsunterführung, an dem Das Interesse an Computern wurde torie der bisherigen Clans, bei denen die Menschen vorbeistreifen und an durch meinen Vater sehr früh in mir ge- man Mitglied war. Ich habe viel Men- dem sie kleben bleiben. Schlagworte, weckt. Ich dürfte so acht Jahre alt ge- schenkenntnis bei meiner damaligen Aphorismen, Bilder oder Schablonen- wesen sein. Für mich waren dabei sehr Mitgliedschaft in einem Counter-Strike Grafittis, die da prangen und uns früh virtuelle Welten interessant. Als Clan gesammelt, auch wenn ich diese dazu aufrufen, zu denken. Das funk- ich damals von so etwas hörte, brann- Menschen fast alle nie in Wirklichkeit, tioniert auch, wie mir einige Resonanz Gesprächspsychotherapie und Personzentrierte Beratung 1/08 19
Schwerpunktthema: Jugend und neue Medien aus meinem Bekanntenkreis zeigt. Ei- Jugendlichen haben kann. Die Genera- 2.3 Avatar – vertragsfähiges zweites nige finden die Texte ansprechend, ei- tion meiner eigenen Kinder, das waren Ich ner meinte sogar, er sei geradezu ver- die „Schwarzes Auge“- Spieler, und sie wirrt und depressiv, wenn er einzelne hatten mich natürlich einbezogen, denn In der Pseudoidentität eines Avatar Einträge gelesen hat. Es regt also wirk- ab und zu durfte ich mal „Spielführer“ liegen über die mit „Rollenübernahme“ lich zum Nachdenken an. Da ich nun sein und auf diese Weise das Gruppener- schon bekannten Spielmöglichkeiten schon seit einiger Zeit blogge und so leben, die lang anhaltende Faszination hinausreichende Handlungsmöglich- viele Kontakte zu anderen Bloggern ge- und Vielfalt solchen Rollenspielens ken- keiten, da die jeweilige Pseudoidentität knüpft habe, kann ich ziemlich sicher nen lernen. Ich prüfte die durch Marcs von anderen Avataren („Mitspielern“) sagen, dass dieses literarische, poe- Antworten entstandene positive Visi- ernst genommen wird als authentische, tische oder einfach das Mitteilungsbe- on mehrfach durch weitere Gespräche innerhalb des Bezugssystems (z.B. se- düfnis gegenüber der Umwelt und der mit Jugendlichen der heutigen Genera- cond life) verantwortliche und sogar Fremde (eben die im obigen Absatz ge- tion. Es wurde mir bestätigt, dass die- „vertragsfähige“ Person. Ein Avatar ist nannten Gründe), im Durchschnitt erst se Nutzung von Computerspiel und In- somit eine künstlich geschaffene Person in einem Alter zwischen 16 und 18 er- ternet als eine bereichernde Facette der mit jenen Eigenschaften, die sein Schöp- wacht. Dann beginnt man erst wirklich sozialen (Spiel)welt gesehen wird. Vom fer ihm mitgibt und/oder die dieser im nachzudenken. Davor ist man noch zu „Schwarzen Auge“ zum bunten Helden Spielverlauf erwirbt sehr mit sich selbst und kleineren Pro- – ansprüchliche jugendliche Selbstge- blemen, dem Entdecken der Welt auf staltungen nutzen sowohl die „Sims“ 2.4 Personzentrierte Unterstützung einer niedereren Ebene beschäftigt. als Übungswelten als auch das Internet Differenziertes aufgeklärtes Denken als Kommunikationsplattform. Und so In personzentrierten Begegnungen spielt hier sicher auch eine Rolle. Die möchte ich diese Seite der Erfahrung in können Jugendliche, die die fruchtbare ,,jungen Rebellen“ ab 20 und aufwärts folgende Thesen zusammenfassen: Vielfalt ihrer Patchworkidentität mit ei- bloggen eher in meiner Art, die meisten ner möglichen Vielfalt von „Persönlich- die so alt wie ich oder jünger sind, nut- 2.1 Pädagogische Wirkung keiten“ (Avataren) experimentell nutzen, zen das Medium Blog vorrangiger zur abhängig vom Umfeld eine Orientierung auf jene authentische Kommunikation. Aber irgendwann de- Identität erarbeiten, für die sie sich selbst maskiert sich dann die Welt und man Wie jede in das Leben von Kindern frei entscheiden. wird zu einer Art jungem Werther. Ja, und Jugendlichen hinein wirkende Wirk- das sollte die richtige Bezeichnung lichkeit sind Computerspiele und der vir- dafür sein. Man wird emotional und tuelle Lebensraum Internet in ihrer päd- Zocken und muss diese Emotionalität verarbeiten. agogischen Wirksamkeit mehr davon Persönlichkeitsveränderung Bei manchen tritt diese Phase, habe abhängig, wie das Kind, der Jugendli- ich den Eindruck, auch auf, bei ande- che im Elternhaus „gehalten, gelassen, Marc schrieb mir, als ich ihn an- ren nicht. Bloggen ist persönliche The- begleitet“7 wird als von den Eigenarten fragte, ob er mit einer Veröffentlichung rapie, bei der man seine Eindrücke und der Spiele und des Mediums. seiner Texte einverstanden sei, nicht nur Gedanken verarbeitet, neue Ideen oder seine Zustimmung, sondern auch noch persönliche Weltbilder entwickelt. Es ist 2.2 Identität fördernde Rollenspiele folgende Ergänzung: ein Prozess, bei dem jeder Eintrag eine Veränderung oder eine neue Ansicht Die Möglichkeiten, sich in der Rolle- Als Anregung/These würde ich ih- bringt. Man will damit die Welt mitge- nidentität eines „Spielers“ (in Compu- nen noch gerne ein paar Sätze zu der stalten oder auch sein eigenes Denken terspielen) kennen zu lernen und diese Frage schreiben, ob aus Computerspie- mitteilen. So ich hoffe, ich konnte ih- so entstandene Spielfigur handeln zu las- len entstehende virtuellen Realitäten Ju- nen zufrieden stellende Antworten ge- sen entspricht dem, was Kinder immer gendlichen schade oder nicht. Ich bin ben. schon taten: dem Identität entfaltenden der Ansicht, dass Computerspiele, auch Auf bald und viele Grüße, Rollenspiel. Grausamkeiten hinter der solche mit expliziter Gewaltdarstellung Marc „Panzerglasscheibe“ des Bildschirmes (Counterstrike, Unreal Tournament, sind den Spielenden in jedem Moment Quake etc.), also die „Ballerspiele“ nicht Bereichernde Facetten digitaler als „als ob“-Handlungen bewusst. Die automatisch einem Jugendlichen Scha- Kommunikation moralische Qualität solchen Rollenhan- den zufügen, wenn er einen gefestigten delns wird der moralischen Qualität des Charakter, einen guten Draht zu Bezugs- Die umfassenden Antworten wa- sonstigen Handelns entsprechen. Sind personen und ein intaktes soziales Um- ren nicht nur zufriedenstellend, son- die Spielwelten gewaltverherrlichend so feld, sowie genügend ausgleichende Ak- dern gaben mir ein sehr vertieftes Ver- kann der Jugendliche sich solchem Han- tivitäten (Musikinstrument, Sport etc.) ständnis von der Funktion, die sowohl deln nicht entziehen und benötigt star- zur Verfügung hat. Das wird gerne über- das Computerspielen als auch das öf- ke moralische Unterstützung in der wirk- sehen und auch von den deutschen Me- fentliche Medium Internet im Leben von lichen Welt. dien in Reportagen nicht beachtet. So 20 Gesprächspsychotherapie und Personzentrierte Beratung 1/08
Schwerpunktthema: Jugend und neue Medien konnte ich das zumindest bei mir beob- Betr.: update mal wieder Klausuren wenn man alles zum ers- achten. Wenn etwas aggressiver macht, Hallo Herr Hockel, ten mal gehört hat. Naja „Alles gut“ dann ist es das Spielen an sich, dieser Wie gehts ihnen so? Tut mir Leid, dass ist leider trotzdem noch nicht.. wahr- erhöhte Adrenalinspiegel, die Nervosi- ich so lang nichts hab hören lassen… scheinlich wird’s das auch nie werden. tät und die Ungeduld – wenn man so Ich mag meine Studienrichtung eigent- Aber manches wird sich bessern denke will der „Entzug“. Ebenfalls konnte ich lich ganz gern mittlerweile und find ich. Ich hab oft noch Rückfälle, heute beobachten, dass Lernen mit anschlie- alles sehr interessant, was wir da ler- z.B. haben wir die Noten einer Klau- ßendem intensivem Zocken oft dazu ge- nen, v. a. Programmieren und Model- sur rausbekommen, für die ich nach führt hatte, dass von dem Gelernten am lieren. Ich mach viel mit andern Kom- dem System gelernt hab, das ich mir nächsten Morgen nicht mehr viel übrig militonen und hab mich für ein extra ausgedacht hab, also immer das Buch war. Programmierprojekt in den Semester- mitgelesen und Folien nachträglich an- ferien gemeldet um ein bisschen Pra- geschaut. Es ist leider nur ne 2,3 ge- Mit fortgeschrittenem Alter wird dann xis zu kriegen. Letztendlich möchte ich worden, während ein anderer Kerl, der der „Zocker-Nerd“, der sich von der Um- da soweit kommen, dass ich irgend- nie in die Vorlesung geht und sich das welt abkapselt, und von dessen Art es in wo einen kleinen Job als Programmie- Zeug am Abend zwei Stunden vorher Schulzeit eine ganze Menge gab, als we- rer annehmen kann, um mir vielleicht angeschaut hat ne 1,7 hat. Ich ver- niger selbstverständlich angesehen. Die ne Wohnung zu finanzieren. In der Uni steh es einfach nicht, und so was zieht meisten haben dann, wenn man das so hängen oft viele Angebote aus für das, mich immer sehr runter. Nicht das ich drastisch formulieren will, „den Sprung was wir so lernen bei uns. Manchmal ihm seine 1,7 missgönnen würde aber geschafft“. In der Schule und frühen Ju- sind auch Angebote für nen WG Platz ich hab dafür soviel gemacht und so gend gab es eben die Personen, die am dabei. Bei einem hab ich’s schon ver- ein Ergebnis entwertet einfach meine Wochenende nicht weggegangen sind, sucht, war aber leider vergeben... Naja Arbeit. Mittlerweile bin ich auch der sondern halt gezockt haben. Das Inter- je nachdem wies kommt. Generell hab Meinung, dass ich gar nicht so intel- essante ist aber, dass es sich bei diesen ich mir das so zurechtgelegt, dass ich ligent bin wie ich immer dachte. So Personen im mir bekannten Umfeld oft nur zur Uni geh weil’s mich interessiert wies in dem Test, den ich bei ihrer Part- um sehr intelligente, begabte Menschen und ich später mal mit netten Leuten neragentur gemacht hab, auch raus- gehandelt hat, während die ganzen Klas- interessante Fragestellungen bearbei- kam. Ab und zu ein bisschen über dem senclowns und Schnellsten in Sport dem ten möchte, wobei ich glaube dass der Durchschnitt, aber mehr auch nicht. „Zocken“ sehr rasch mit fortschreiten- zweite Punkt sehr viel Gewicht hat. Vor Bei mir im Studiengang sind Leute, dem Alter eine sehr geringe oder über- allem beim Programmieren wird mir die marschieren einfach so durch al- haupt keine Priorität mehr eingeräumt das immer mehr bewusst. Ich hab frü- les durch. Ich weiß echt nicht wie die haben. Vielleicht besteht da irgendeine her schon versucht mir alle möglichen das machen. Ich hab mich auch mal Verbindung. Sprachen beizubringen aber bin ir- ein bisschen mit Lernpsychologie be- gendwann immer gescheitert. Es war schäftigt etc. aber dieses Niveau wird, 3. Besiegter Zwang wird Zwang einfach niemand da, dem ich meine ich glaub, ich nie erreichen. Eine Freun- zum Sieg? Ergebnisse hätte zeigen können und din von mir meinte mal ich zweifle sehr der sich mit mir daran gefreut oder ge- viel. Meinen sie, das hat was damit zu Die Schlussbemerkung von Marc be- messen hätte. Bei den Programmier- tun? Ich möcht nicht wieder das alte stätigte mich darin, neben seine Sicht praktika ist das jetzt anders. Ich hab Spiel provozieren, dass sie mir sagen, die eines anderen Jugendlichen zu stel- nen Partner mit dem ich alles zusam- wie gut ich doch bin, aber mich zieht len. Diese andere Seite der Erfahrungen men machen muss und hab nen recht das im Moment sehr runter. Ich hof- mit Computerspielen und Internetnut- guten Betreuer bei dem ich auch mein fe ich find da irgendwann mal ne be- zung wurde mir in einer Fallgeschichte Zusatzprojekt angemeldet hab. In letz- friedigende Lösung. Sei’s nun dass ich deutlich. Ein Kind, das ich wegen einer ter Zeit beobachte ich an mir, dass ich mich mit meinen mittelmäßigen bis Zwangserkrankung (erfolgreich) behan- mir zwar weniger Druck mache bei schlechten Noten abfinde oder dass ich delt hatte, kam einige Jahre später selb- allem, und ich mich auch etwas frei- eine gute Lernstrategie finde, die „mit ständig als Jugendlicher wieder zu mir: er fühle aber dafür bei allem zu spät mir im Einklang ist“... vielleicht auch Er hatte Angst in der Schule – beim Abi- oder gar nicht komme wo ich nicht beides. Aber ich denke wenn es soweit tur – zu versagen. Wieder hatten wir das zu mindestens 80% hin will... Das ist ist wird sich vieles ändern. Vielleicht Glück, erfolgreich miteinander zu arbei- vor allem bei Vorlesungen in der früh bleibts doch noch spannend mit mir. ten und der hochbegabte Knabe mach- schlimm, weil ich das ewige rumsitzen On my way to freedom ;) te ein gutes Abitur und studiert heute. und zuhören nicht immer aushalten, Robert Seither stehen wir in losem Internetkon- vor allem wenn ich nicht ausgeschla- takt und es entwickelte sich folgendes: fen bin. Da verpenn ich dann meistens und ärgere mich danach weil mich das Thema an sich schon interessiert hät- te. Außerdem isses immer schlecht für Gesprächspsychotherapie und Personzentrierte Beratung 1/08 21
Schwerpunktthema: Jugend und neue Medien Betr.: AW leicht sogar eher als Konditionierung lich stellt sich natürlich die Frage, ob Lieber Robert, bezeichnen: Der Spieler führt bestimm- das nicht auch mit einem realen Spiel herzlichen Dank für dieses update. Das te Aktionen aus und wird dafür durch möglich und vielleicht auch besser ge- klingt wunderbar. „On my way to free- positive Ereignisse wie z.B. Gold, (Er- wesen wäre... dom“ – genau. Ja, ich denke, dass sie fahrungs-)punkte oder auch einfach Ich merke auch heute noch immer wie- mit systematischem Selbstzweifel (und nur mit dem Weiterführen der Spielsto- der, wie groß der Unterschied zwischen ängstlicher Hemmung und spiegelnder ry durch Zwischensequenzen belohnt. realer und virtueller Welt bei mir ist. Sie Selbstabwertung und....) ihr eigent- Das Schlimme daran ist, dass man re- haben’s ja damals schon bemerkt: In liches Potential noch sabotieren. An- gelrecht verarmt vor seinem Computer. meinen E-Mails bin ich immer sehr of- dererseits: Wie wunderbar sich irgend- Nicht nur die körperliche Beweglichkeit fen zu ihnen und konnte mich auch ei- wann im gehobenen Mittelmaß wahr nimmt ab, sondern auch irgendwo die nigermaßen artikulieren im Gegensatz nehmen zu können und nicht immer geistige Beweglichkeit. zu unsere Sitzungen, wo alles immer überragend sein „zu müssen“? Wie Sie haben mir mal erzählt, Computer- Bröckchenweise aus mir herauskam. dem auch sei – so optimistisch und ent- spiele würden vom Einfluss auf die Hirn- Der Unterschied ist manchmal sogar so wicklungsoffen wie diese Mail hab ich chemie her wie eine Droge wirken, ins- groß, dass Menschen, die mich im In- Sie noch nie schreiben gehabt. Da wird besondere wegen des ständig erhöhten ternet kennen gelernt haben, mich bei das Lieben eines richtigen Tages in der Adrenalinspiegels. Letztens hab ich mit der ersten Begegnung im realen Leben richtigen Gestalt dann auch noch auf- paar Freunden, die vom Computerspie- ablehnen. Weit schlimmer ist allerdings tauchen – und bis dahin hätte ich eine len einfach nicht loskommen (wollen), der Realitätsverlust. Ich kann nicht ge- Anfrage: Ich bin dabei zwei Themen zu eine kleine LAN Party veranstaltet, und nau sagen ob’s an den Depressionen bearbeiten. Ich habe sie auf dem Anla- da seit langer Zeit zum ersten Mal wie- oder an dem Dauercomputerspielen geblatt genannt. Wenn Sie Lust haben der richtig gespielt. Vor allem wäh- liegt, aber ich nehme die Realität nicht könnten wir „concreativ“ Ideen hier rend der Echtzeitstrategiespiele hat- mehr so wahr wie früher, als ich noch zusammentragen? Was fällt ihnen zu te ich wieder dieses Gefühl von starker ein Kind war. Damals war alles irgend- den Themen ein? Wenn Sie keine Lust Nervosität und Anspannung, eben die wie auf seine eigene Weise schön und habe über so etwas nachzugrübeln, Anzeichen für einen hohen Adrenalin- aufregend. Bis ich 11 oder 12 war, war sagen Sie es einfach. spiegel. Das hat auch oft eine erhöhte das Leben noch bunt und voller inter- Jedenfalls wünsche ich Ihnen weiter Reizbarkeit zur Folge, wenn man den essanter Dinge, auch wenn ich damals diesen Aufschwung der Verselbständi- Effekt nicht kennt und von vornherein schon leicht neurotisch war. Irgend- gung, Versachlichung und allen Erfolg darauf vorbereitet ist. wann kamen dann die ganzen psy- den Sie sich wünschen. Allerdings liegt hier vielleicht auch ei- chischen Störungen und ich hab mehr Herzlich Curd Michael Hockel ner der ganz wenigen positiven Din- und mehr die Lebenslust verloren. ge, die ich der vielen Zeit, die ich mit Aber ich hatte ja zum Glück die Com- Und als Anhang sandte ich ihm zwei „Spielen“ verbracht hab, abgewin- puterspiele. Der einzige Lichtblick in von mir formulierte Vortragsthemen, an nen konnte. Ich hab damals nächte- meinem Leben voller Schmerzen und deren Ausarbeitung ich saß. Eines zur lang ein heute immer noch relativ po- Enttäuschungen. Es kam recht schnell Problematik der Computerspiele und puläres Echtzeitstrategiespiel mit dem der Punkt, wo’s eigentlich nichts gab, eines zur Identitätsentwicklung. Er griff Namen „Starcraft“ gezockt. Das ZDF was mir noch Spaß gemacht hätte, au- vor allem den ersten Themenvorschlag hat damals einen Fernsehbeitrag aus- ßer Computerspielen. Meine Mutter auf, in welchem ich die Frage gestellt gestrahlt, in dem die populärsten war immer furchtbar wütend´, weil ich hatte, ob denn „Computerspiele“ wirk- (Online)Spiele nach ihrer pädago- nur noch vor „dem Kasten“ saß und lich Spiele seien. Er antwortete mir: gischen Werthaftigkeit beurteilt wur- nichts mehr für die Schule gemacht den – auf Platz 1 gelandet ist letztend- hab. Aber trotzdem hatte ich noch ir- „Computerspiele sind keine Spiele son- lich Starcraft, wegen seiner Schulung gendwo ein Gefühl für die Realität, da- dern Trainingsabläufe“. Ich finde sie des Durchhaltevermögens und der psy- für, dass ich am Leben war und alles haben mit dem Standpunkt eigent- chischen Ausdauer. Begründung war, um mich rum sich wirklich ereignete. lich den Sachverhalt fast genauso ge- dass man bei jedem Spiel, ähnlich wie Irgendwann so zwischen 16 und 17 troffen, wie ich ihn mittlerweile auch bei Schach, immer wieder von vorn an- – ich hatte zwischendrin das Spiel ge- empfinde und an mir selber beobach- fangen musste und dadurch auch das wechselt von „Starcraft“ zu „Warcraft tet habe: Wenn jemand sagen wir z.B. verlieren gelernt hat (früher oder spä- III“ – hatte ich gemerkt, dass die Pha- „World of Warcraft“ spielt, dann tut ter). Ich für meinen Teil hab das Spiel sen in denen mir alles unwirklich vor- er im Prinzip nichts anderes als immer (zwangsweise, ich war ja süchtig) recht kam immer länger wurden. Ich hab wieder dieselben Tasten auf der Tas- intensiv geübt und konnte nach vie- einen meiner damaligen Teamkame- tatur zu drücken um in „belohnende“ len Niederlagen auch irgendwann mal raden gefragt, ob er das auch so emp- Spielsituationen zu gelangen. Deshalb entsprechende Erfolge vorweisen und fände. Er meinte zwar er würde densel- würde ich das ganze eigentlich nicht hab mich auch mal optimistischer an ben Effekt beobachen, aber bei ihm nur als Trainingsablauf, sondern viel- größere Gegner getraut. Aber letztend- wäre das nur temporär und würde 22 Gesprächspsychotherapie und Personzentrierte Beratung 1/08
Schwerpunktthema: Jugend und neue Medien Videospiele gene- 3.2 Langeweile und Einsamkeit rell zu verteufeln. Es verhält sich Auch in der virtuellen Welt sind die da ein bisschen großen Gefahren für Kinder und Ju- wie mit dem Al- gendliche Langeweile und Einsamkeit. kohol denke ich. Langeweile wird als Kernmotiv der Com- Computerspie- puternutzung und Einsamkeit als Zen- le sind eine Dro- tralergebnis der „Spielstruktur“ gese- ge, wenn auch hen10. Dagegen allerdings stehen die eine sehr subtile. oben unter eins berichteten positiven Es kommt jedoch Erfahrungen, die nicht vergessen wer- immer auf den den dürfen. Umgang mit die- ser Droge an und 3.3 Empathie und Moral sinken auf die Persön- lichkeit des ein- Computerspieler wollen Sieger sein zelnen. Wer an- – ihre Mitmenschlichkeit klammern sie fällig ist für so beim Spielen aus11 – und das kann bei was, der wird einer übermäßigen Zeit vor dem Com- früher oder spä- puter zur Selbstentfremdung in mensch- ter auch drauf lichen Qualitäten (Empathie, Moralität) reinfallen. In führen.12 dem Zusammen- hang sind Com- 3.4 Realitätsverlust sich wieder verflüchtigen; bei mir leider puterspiele viel- nicht mehr. Mittlerweile hab ich den leicht sogar die „gesündere“ Droge im Die Entwicklung von virtuellen Iden- Eindruck, die jahrelange Überflutung Vergleich zu Alkohol oder härteren Al- titäten (Avatar) ist dann gefährlich, mit Adrenalin und orgasmischen Hoch- ternativen. wenn solche „Selbstspiegelungen“ sich gefühlen ausgelöst durch die Compu- ganz aus der Aufgabenbewältigung in terspiele, haben mich gefühlsmäßig Aus dieser Fallgeschichte und vie- Computerspielen nähren, denn – siehe abstumpfen lassen, ähnlich Leuten len weiteren beunruhigenden Begeg- Fußnoten – der „Dispens von Empathie“ die jahrelang Heroin konsumiert ha- nungen destillierte ich für mich die fol- ist gefährdend für die Entwicklung einer ben und denen deshalb jedes alltäg- genden Thesen: reifen Persönlichkeit. liche Glückserlebnis absolut nichts ge- ben kann, weil einfach die Reizschwelle 3.1 Suchtfördernde 4. Verbieten? Das Wünschenswerte nicht überschritten wird. Handlungstrainings fördern! Vielleicht ist das auch der Grund, war- um mir nichts so recht Freude machen „Computerspiele“, in welchen der Neben der Zustimmung von Marc will, nachdem ich mir das Computer- „Spieler“ in einer vorgegebenen Rolle erhielt ich auch die von Robert. Und spielen selbst verleidet habe. Ich bin vorgegebene Handlungen reproduziert auch er ergänzte seine Mitteilungen mir nicht sicher ob sich das jemals wie- und in solchem Tun vor allem psycho- noch durch einen Text: der reversieren lassen wird, mittlerweile motorisch gefordert ist („Ballern“), sind kann ich mich schon auf kleine Sachen keine Spiele8. Es sind Wahrnehmungs- Also ich könnte ihnen vielleicht noch freuen, wie schlafen, wenn man sehr und Handlungstrainings9, die in der Ge- mehr Fallbeispiele liefern, die ihre The- müde ist oder auch wenn mal die Son- fahr sind, süchtig zu machen und eine sen untermauern. Sie kennen ja be- ne scheint und ich rausgehen kann. „zwanghafte“ Tendenz zu entwickeln, stimmt „Counterstrike“, das Killerspiel Was mir zur Zeit am meisten Freu- die trainierten Tätigkeiten möglicher- von Robert Steinhäuser aus Erfurt. Ich de macht ist eigentlich das Program- weise auch „in echt“ einzusetzen. Sie hab das auch mal lange Zeit gespie- mieren an einem der Winfo Lehrstüh- können somit als Spiel getarnt gerade lt und folgenden Sachverhalt beobach- le in der Uni. Ich mag die Leute da sehr das hervorrufen, was in der Kinder- und tet: Es gibt da ein (unter den Gamern gern, weil sie z. T. auch ähnliche Wer- Jugendlichenpsychotherapeutischen ziemlich verpöntes) Scharfschützenge- degänge wie ich haben, aber auch weil Praxis als Spielunfähigkeit diagnostiziert wehr, das beim ersten Treffer sofort tö- es irgendwie schön ist, zusammen et- werden muss: den Verlust der inneren tet und deswegen auch dementspre- was Neues zu lernen oder Aufzubau- Souveränität, der Freiwilligkeit des Tuns. chend unbeliebt ist (man ist sofort tot, en. Spielspaß = 0). Die Schwierigkeit an Abschließend zu dem Thema möchte der Waffe ist, dass man kein norma- ich aber davor warnen Computer- und les Fadenkreuz hat, sondern immer in Gesprächspsychotherapie und Personzentrierte Beratung 1/08 23
Schwerpunktthema: Jugend und neue Medien einen speziellen Zoom-Modus schalten down geht und immer schön die mobs den Kindern/Jugendlichen und deren muss, um halbwegs zielen zu können, fearen“). Andererseits hat er in dem Spielen so vertraut sein, dass sie solche was dann als Ausgleich zur Mächtig- Spiel auch eine Gilde gefunden und da begründeten persönlichen Urteile, sol- keit der Waffe das Blickfeld einschränkt. tatsächlich ne virtuelle Hochzeit(!) ge- che orientierende Wertentscheidungen Es gibt spezielle Karten auf denen man feiert (ich hab Screenshots davon...). fällen können. das Schießen mit dem Gewehr üben Generell ist das, denke ich, aber ein kann. Der Handlungsablauf den ich Argument bei allen Multiplayer Spie- Vorhandene Spiele gesetzlich zu ver- dabei gelernt hatte, war „Gegner ge- len, wo es nicht um den Kampf „Einer bieten scheint angesichts dessen, was sehen – Zoom – Schuss“. Das hab ich gegen Alle“ geht. Wenn sie in Coun- bereits produziert wurde, fast unver- dann auch recht exzessiv betrieben. terstrike auf Pro-Gamer Niveau Erfolg meidbar. Es sollte daher Einfluss auf die Als ich dann einmal aus unserm Haus haben wollen, also an Turnieren und Hersteller genommen werden, um statt auf die Straße gegangen bin, haben Ligen teilnehmen, wo es z.T. auch um einer gnadenlosen Gewaltspirale als die Straße weiter runter ein paar Kin- Geld geht, dann müssen sie sich ab- Umsatzdynamik eine Dynamik des Qua- der gespielt und ich hab eins von de- sprechen und wirklich vorher das Team litätswettbewerbes zu erreichen. nen in Gedanken tatsächlich anvi- auf eine Strategie einstimmen die dann siert...13 In Gedanken anvisiert klingt durchgezogen wird. Das ist aber meis- Verboten werden müsste die Herstel- ein bisschen abstrakt, ich glaube man tens eher die Ausnahme, zumindest lung von menschenverachtenden Szena- kann das so beschreiben, dass einfach bei Counterstrike auf öffentlich Ser- rien. Die Österreicher wählen den Weg das Gehirn die Situation seinen vorher- vern – da redet wirklich niemand mit der „positiven Prädikatisierung“. Dies higen Erfahrungen zugeordnet hat ihnen (außer wenn er grad tot ist und wäre auch für Deutschland ein gang- und die entsprechenden motorischen dementsprechend die Händefrei hat). barer Weg. Was spräche denn eigentlich Reflexe auslösen wollte. Mit solchen Er- Also ich hoff ich hab da nix überlesen, dagegen, wenn die Politik Preise für sol- fahrungsberichten werden die meisten aber was sie vielleicht noch reinbringen che Spiele, virtuelle und digitale Welten Spieler (ich eigentlich auch) aber eher könnten wenn’s zum Thema passt: So vergeben würde, in denen Kinder sich vorsichtig sein, denke ich. Die Spreng- komplexe virtuelle Welten mit vielen mit wünschenswerten Inhalten beschäf- kraft von einem „Geständnis“ dieser Möglichkeiten sind 1A, wenn sie vor tigen, wie gewaltfreier Kommunikati- Art ist schon recht groß, vor allem wenn irgendwas weglaufen wollen, egal ob on, friedliche, kreative und menschliche man das vor dem gegebenen Hinter- sie jetzt ein Jugendlicher sind oder ein Problemlösungen u. a. m? Hier wäre ein grund sieht („Alle Amokläufer spielen berufstätiger Mann. Es ist z. T. sogar weites Feld, in dem Psychotherapeuten gerne Doom und Counterstrike“). Wo besser als Alkohol und Drogen weil sie und Spieleindustrie zusammenwirken ihnen Gamer einen Strick draus dre- – ich denke mal um einiges vielschich- könnten. hen könnten, ist das Argument mit der tiger stimuliert werden. Na ja aber das Einsamkeit und dem Fehlen von Empa- hatte ich ihnen ja eh schon geschrie- thie. Ich hab einen Freund, der recht ben. Fußnoten aktiv World of Warcraft spielt (und zu- 1 In: Politische Studien, Heft 337, 45. Jahr- nehmend verwahrlost). Dem hab ich gang, September/Oktober 1994, ISBN 3- auch mal das vorgeworfen, was ich ih- Wie soll also die Politik 928561-36-7 wurde diese Diskussion do- nen schon geschrieben hatte: Er ver- reagieren? kumentiert. Mein Beitrag war damals „Der armt geistig und körperlich auf allen Zukunft beraubt – Wie soll ich lieben, wenn Ebenen. Allerdings hält er dann dage- Ich denke Untersuchungen der Me- ich nicht hassen darf?“ (S.50-64). Die Fach- diskussion setzte sich dort fort und wurde gen, dass je weiter man im Spiel fort- dienwirksamkeitsforschung müssen wei- erneut im Themenheft 1/2004 belegt: „Ag- schreitet, desto besser muss man sich ter entfaltet werden. Dieser Beitrag ver- gression und Straffälligkeit – Kinder und Ju- organisieren. Fortgeschrittene Ins- steht sich als Diskussionsbeitrag im Feld gendliche brauchen Struktur“, 55. Jahr- tanzen brauchen schon mal mindes- der Therapieszene. Das Spielen zu ver- gang, August 2004, ISBN 0032-3462. Dort tens 40 Spieler, damit man überhaupt bieten ist dann akzeptabel, wenn es dem reflektierte ich „Krank oder Böse? Wer- tungskategorien bestimmen Reaktionsmus- eine reelle Chance hat, durchzukom- Kind/Jugendlichen als ein erzieherisches ter, diese bestimmen Maßnahmen“. (S.52- men. Da ist dann schon sehr viel Em- Verbot von Menschen, die für seine Er- 72) pathie, Verhandlungsgeschick und Au- ziehung verantwortlich sind, vermittelt 2 Mit seiner erkenntnistheoretischen, wissen- torität nötig um überhaupt die Leute wird. Eltern können und sollten ihren schaftsgeschichtlichen, philosophischen Ar- unter der Fuchtel zu halten. Allerdings Kindern jene Spiele verbieten, in wel- beit „Substanz, System, Struktur“ hat Hein- rich Rombach bereits 1981 Grund gelegt ist das dann auch kein wirkliches Ge- chen sie selbst sich unmenschlich und für die später von ihm reich entwickelte spräch, sondern alle sind fokussiert auf normverletzend wahrnehmen würden. Sicht auf einen „Menschlichen Menschen“ das „Lösen der Aufgabe“ und wenn sie Personzentrierte Begegnungen finden (Rombach, 1987). Naiv begreifendes Subs- miteinander reden, dann halt nur so innerhalb dieser Spielwelten nicht statt tanz-Denken, abstrahierend funktionalisti- Insider-Trash-Talk wo es meistens auch – umso mehr sind sie in der familialen sches Systemdenken werden wissenschafts- geschichtlich beschrieben. Das schließlich nur um Taktik geht („tank pullt aggro Umwelt der Kinder und Jugendlichen zu entwickelte Struktur Paradigma gemeinsam auf den boss, priests rezzen wenn einer fordern. Dazu müssten Eltern aber mit 24 Gesprächspsychotherapie und Personzentrierte Beratung 1/08
Schwerpunktthema: Jugend und neue Medien mit der prozessorientierten Sicht auf die Prozessen ausführlich dokumentiert (Ho- Hockel, C. M. (1994). Der Zukunft beraubt – Personen, wie sie mein Rogers-Verständ- ckel, 1996, 2003, Weinberger 2001) Wie soll ich lieben, wenn ich nicht hassen nis mir ermöglicht, ist Hintergrund der fol- 9 Als solche Trainings zum Herabsetzen der darf? In Hanns Seidel Stiftung (Hrsg.), Poli- genden Ausführungen. Hemmschwelle für Tötungshandeln wur- tische Studien (Bd. 45, Sept/Okt, S. 50-63). 3 Die Emotionsforschung der Psychologie hat den sie zum Teil entwickelt. Grünwald: Atwerb Verlag. hier einiges beigetragen, jedoch nenne ich 10 In einer Darstellung durch Jürgen Fritz und Hockel, C. M. (1994). Wie soll ich lieben, wenn „Mutforschung“ vor allem jene Forschung, Wolfgang Fehr (www.bpb.de/themen/ ich nicht hassen darf? Sendung des Bay- die versuchte zu begreifen, welche Qualität YCK0P5,3,0,Virtuelle_Gewalt%3A_Modell_ rischen Rundfunks in 2 Teilen: 1. Gewalt - es ausmachte und ausmacht, dass in Dikta- oder_Spiegel.html#top) wird unter dem Ergebnis der Versachlichung, 2. Gewalt – turen Einzelmenschen solidarisch unter Ein- Stichwort „Dispens von Empathie“ aus- Antwort auf die Hoffnungslosigkeit. In N. satz ihrer Existenz gegen die Vorschriften geführt: „In der virtuellen Welt des Com- Matern (Hrsg.), Forum der Wissenschaft. der jeweiligen Diktatur handeln. Am Bei- puterspiels ist Empathie unangemessen. München: Manuskript BR. spiel jener Menschen, die im dritten Reich Das vom Computer generierte „Gegenü- Hockel, C. M. (1996). Das Spielerleben als Ent- Verfolgte (vor allem Juden) retteten, ist sol- ber“ lässt sich nicht empathisch erschlie- wicklungsraum. In C. Boeck-Singelmann che Forschung ausgearbeitet und bei Fo- ßen, sondern nur einschätzen hinsichtlich et. (Hrsg.), Personzentrierte Psychothera- gelmann (1995) dokumentiert. „Wir wa- seiner programmierten Reaktionsmuster. pie mit Kindern und Jugendlichen (Bd. 1, S. ren keine Helden“ ,sondern Menschen, die Nicht Empathie wird verlangt, sondern 155-177). Göttingen Bern Toronto Seattle: eine tragende Wertfülle erlernt hatten und strategisch-taktisches Verhalten im Rah- Hogrefe. mit dieser inneren Stabilität zu handeln men eines festgelegten Regelsystems, das Hockel, C. M. (2002). Kindheit in der virtuellen vermochten. für die jeweilige virtuelle Welt Gültigkeit Welt – Müssen Technikkenntnisse früh ver- 4 Peter Bieri (2001) hat mit seinem „Hand- hat. Die Figuren im Computerspiel sind nur mittelt werden? In Hanns-Seidel-Stiftung werk der Freiheit“ eine allgemein leserliche Handlungsträger in funktional bestimmten und VDE (Hrsg.), Der Mensch und die Zu- Alternative entwickelt, eine gegenwarts- Abläufen und keinesfalls Objekte, denen kunftstechnologien (S. 109-122). München: nahe Phänomenologie und „handwerk- man emotional getönte Empathie entge- Hanns-Seidel-Stiftung. liche“ Nutzbarkeitsanwendung für Freiheit genbringen müsste – obwohl es bei Jünge- Hockel, C. M. (2003). Angstbewältigung und und Selbstverantwortung. ren dazu kommen kann, dass sie bestimm- ein Fall von Zwangserkrankung im Jugend- 5 Ein seit 1984 entwickeltes Papier und Stift- te Comic-Figuren im Computerspiel süß alter. In C. Boeck-Singelmann et. (Hrsg.), Rollenspiel, das sich in einer ausgedachten und niedlich finden und auf Beeinträchti- Personzentrierte Psychotherapie mit Kin- Welt, vorwiegend im Land „Aventurien“ gungen dieser Figuren empathisch reagie- dern und Jugendlichen (Bd. 3, S. 202-236). bewegt. Die Spielanleitungen („Abenteu- ren. Ein virtuelles Gegenüber kann nur Ob- Göttingen Bern Toronto Seattle: Hogrefe. er“) sind als Textbücher gestaltet und müs- jekt im Rahmen funktionaler Denk- und Hockel, C. M. (2004). Krank oder Böse? Wer- sen von einem Spielführer zur Vorberei- Handlungsprozesse sein, nie Subjekt.“ tungskategorien bestimmen Reaktions- tung durchgearbeitet werden. In kleinen 11 Jürgen Fritz und Wolfgang Fehr (s.O.) muster, diese bestimmen Maßnahmen. In Gruppen kann ein Abenteuer dann Sze- schreiben auch: „Erfahrene Computerspie- Hanns Seidl Stiftung (Hrsg.), Politische Stu- ne um Szene durchgespielt werden und ler zeigen sich … irritiert und verwundert, dien Themenheft 1/2004 (Bd. 55/1, S. 52- die Gruppe selbst kann das Spielgeschehen wenn man ihre Spiele und damit ihre vir- 72). München: Atwerb Verlag. mit dem Spielführer jederzeit ändernd aus- tuellen Aufenthaltsorte nach Kriterien der Keupp, H., Höfer, R. (Hrsg). (1998). Identitätsar- handeln. So entstehen hier gruppendyna- Menschlichkeit und Moralität kritisiert. beit heute – Klassische und aktuelle Perspek- mische Interaktionen, die ein „Teamerle- Sie wollen gewinnen und keine Belege für tiven der Identitätsforschung. Frankfurt am ben“ auch als zusammenarbeitendes Team, ihre moralische Integrität schaffen. Dar- Main: Suhrkamp. das die Spielregeln zu ändern vermag, um- auf weist auch Leu hin, indem er betont, Rombach, H. (1981). Substanz, System, Struk- fassen. Es kann wochenlang weitergespielt dass Kindern und Jugendlichen die Vorstel- tur, Zwei Bände (Bde. 1-2). Freiburg Mün- werden, die Spielenden entwickeln Talente lung, „bestimmte Darstellungsformen als chen: Karl Alber. und Erfahrungen und suchen sich gemein- Ausdruck von Leiden bzw. von ‚gut‘ oder Rombach, H. (1987). Strukturanthropologie. sam neue Abenteuer. ‚böse‘ in einem moralischen Sinne wahrzu- Der menschliche Mensch. Freiburg Mün- 6 F. Wurst, H. Rothbucher, R. Donnenberg, nehmen, fremd ist.“ chen: Karl Alber. Hrsg. (1991) Wofür lohnt es sich zu leben? 12 Jürgen Fritz und Wolfgang Fehr (s.O) : Im- Schneewind, K. A. (2003). Freiheit in Grenzen Werte und Wertfindung in der Erziehung. mer längere Aufenthalte in der virtuellen – eine interaktive CD-ROM. München: Lud- Salzburg: Otto Müller Welt können schädigen, weil sich dadurch wig Maximilians Universität. 7 Dieser Dreiklang fasst für mich die Kennt- die Zeit vermindert, in der sich diese Empa- Weinberger, S. (2001). Kindern spielend helfen nisse der Entwicklungspsychologie in ihrer thie ausbilden könnte. – Eine personzentrierte Lern- und Praxisan- Anwendung auf Erziehung zusammen. Eine 13 Hervorhebung durch den Autor. leitung. Weinheim und Basel: Beltz Verlag. ausgezeichnete Veranschaulichung des da- Wurst, F., Rothbucher, H, Donnenberg, R. mit gemeinten Erziehungsstils gibt die in- LITERATUR (Hrsg.). (1991). Wofür lohnt es sich zu le- teraktive CD-Rom „Freiheit in Grenzen“ ben? Salzburg: Otto Müller. von K.A.Schneewind, 2005 (zu beziehen Bialas, W. (1998). Kommunitarismus und neue über www.freiheit-in-grenzen.org). Die von Kommunikationsweise. Versuch einer Kon- der GwG geforderte Medienbildung statt textualisierung neuerer philosophischer Medienkompetenz und entsprechende El- Diskussionen um das Identitätsproblem. In ternschulung kann nur unterstützt wer- Heiner Keupp, Renate Höfer (Hrsg.), Iden- den. Eine weitere konstruktive Vorgabe ist titätsarbeit heute- Klassische und aktuelle in dem bestehenden Programm www.fami- Perspektiven der Identitätsforschung (S. 40- lienteam.org zu sehen. 65). Frankfurt am Main: Suhrkamp. 8 Zu spielen ist eine Tätigkeit, die grund- Bieri, P. (2001). Das Handwerk der Freiheit. sätzlich freiwillig ist, offene Regeln umfasst München: Hanser. usw. Die persönlichkeitsförderliche, ja heil- Fogelmann, E. (1995). ‚Wir waren keine Helden‘ same Wirkung vom Spiel wurde insbeson- – Lebensretter im Angesicht des Holocaust. dere im Kontext von spieltherapeutischen Frankfurt/Main New York: Campus Verlag. Gesprächspsychotherapie und Personzentrierte Beratung 1/08 25
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