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Diagnostik des medullären Schilddrüsenkarzinoms: Von Biomarkern zur molekularen Bildgebung Malle P, Kohlfürst S, Igerc I, Sorschag M, Leixner G, Lind P Gallowitsch HJ Journal für Klinische Endokrinologie und Stoffwechsel - Austrian Journal of Clinical Endocrinology and Metabolism 2010; 3 (2), 6-12 Homepage: www.kup.at/klinendokrinologie Online-Datenbank mit Autoren- und Stichwortsuche Austrian Journal of Clinical Endocrinology and Metabolism Metabolism
Staudin ger Ab sofort in unserem Verlag Thomas i e n e l K Maurice Thomas Staudinger Maurice Kienel EC M O ECMO die Kitteltasche für die Kitteltasche für 2. Auflage Jänner 2019 ISBN 978-3-901299-65-0 2. Auflage 78 Seiten, div. Abbildungen 2018 Copyright eber au d in ger - Herausg 19.80 EUR Thomas St Bestellen Sie noch heute Ihr Exemplar auf Krause & Pachernegg GmbH www.kup.at/cd-buch/75-bestellung.html
Diagnostik des medullären Schilddrüsenkarzinoms Diagnostik des medullären Schilddrüsenkarzinoms: Von Biomarkern zur molekularen Bildgebung P. Malle, S. Kohlfürst, I. Igerc, M. Sorschag, G. Leixner, P. Lind, H. J. Gallowitsch Kurzfassung: Das medulläre Schilddrüsenkar- Methoden aus der Nuklearmedizin entscheiden- of familiar RET („Rearranged during transfec- zinom (MTC) entsteht aus den parafollikulären de Informationen in einem umfassenden diag- tion“) proto-oncogen mutation carriers who can Zellen der Schilddrüse (C-Zellen) und macht nostischen Work-up, insbesondere in der frühen subsequently be offered timely prophylactic thy- rund 5 % aller Schilddrüsenmalignome aus. Das Rezidivdiagnostik und bei metastasierendem roidectomy with an increased prospect of cure. MTC tritt entweder sporadisch (75 %) oder here- Tumorgeschehen, bereitstellen. In addition to clinical findings, biochemical ditär (FMTC, MEN-Typ 2A, MEN-Typ 2B) (25 %) markers, ultrasonography, scintigraphy and ul- auf. Genetische Testungen ermöglichen die Identi- Abstract: Diagnosis of Medullary Thyroid trasound-guided fine-needle aspiration punction, fikation von RET- („Rearranged during transfec- Carcinoma: From Biomarkers to Molecular functional nuclear medicine methods may con- tion“-) Protoonkogen-Mutationsträgern in MTC- Imaging. Medullary thyroid carcinoma (MTC) tribute valuable additional information to a com- Familien, bei denen eine rechtzeitige prophylak- originates from the parafollicular cells of the prehensive diagnostic work-up with particular tische Thyreoidektomie angestrebt werden soll- thyroid gland (C-cells) and accounts for approxi- impact on early recurrence diagnosis and reli- te. Zusätzlich zur Erhebung klinischer Befunde, mately 5 % of all thyroid malignancies. MTC oc- able ascertainment of metastatic disease. J Klin Bestimmung biochemischer Marker, Sonogra- curs either in sporadic (75 %) or hereditary Endokrinol Stoffw 2010; 3 (2): 6–12. phie, Szintigraphie und ultraschallgezielter Fein- (FMTC, MEN Type 2A, MEN Type 2B) (25 %) nadelaspirationspunktion können funktionelle forms. Genetic testing facilitates identification Einleitung sowie Chemotherapie entschieden werden. Bei nachgewiese- ner Somatostatinrezeptorexpression ausreichender Dichte Medulläre Schilddrüsenkarzinome (MTC) machen rund 5 % können langwirksame Somatostatinanaloga zum Einsatz aller Schilddrüsenmalignome aus [1, 2]. Bereits 1959 be- kommen. Durch die Entwicklung von mit Betastrahlern wie schrieben Hazard et al. [3] das MTC als eine eigene Tumor- 90 Y oder 177Lu gekoppelten Somatostatinanaloga existiert bei entität, die Diskrepanz eines undifferenzierten histologischen inoperablem und metastasierendem Tumorgeschehen auch Bildes und eines klinisch dennoch günstigeren Verlaufs mit die Möglichkeit einer gezielten systemischen Radionuklid- deutlich besserer Prognose als bei anaplastischen Karzinomen therapie [6]. wurde in den Folgejahren nur unzureichend verstanden. Der bahnbrechende Erklärungsansatz gelang Williams 1966 [4], indem er die neuroektodermalen parafollikulären Zellen, und Sporadisches und hereditäres MTC nicht die Thyreozyten, als Ausgangspunkt für die Entstehung In 75 % der Fälle tritt das MTC sporadisch, in einem Viertel eines MTC identifizierte. Histologisch zeigen sich meist uni- hereditär auf [7]. Bei den hereditären Varianten wird das fa- forme, rundoval bis spindelförmige Tumorzellen, die solide, miliäre Auftreten allein des MTC (FMTC) vom Syndrom der follikuläre und seltener papilläre Formationen bilden. Cha- multiplen endokrinen Neoplasie (MEN) Typ 2A und Typ 2B rakteristisch ist der immunhistochemische Nachweis von unterschieden. Calcitonin und karzinoembryonalem Antigen (CEA). Über 90 % der Patienten mit MEN Typ 2A entwickeln im Verglichen mit differenzierten Schilddrüsenkarzinomen ist Laufe ihres Lebens, meist bereits im jungen Erwachsenen- die Prognose von MTC schlechter. Bei MTC, die auf die alter, ein MTC. In mehr als der Hälfte der Fälle treten zusätz- Schilddrüse beschränkt sind, beträgt die 10-Jahres-Über- lich Phäochromozytome und in beinahe einem Drittel ein pri- lebensrate 95 %, bei lokoregionären Metastasen 75 % und bei märer Hyperparathyreoidismus auf. Einige Varianten der Fernmetastasen 40 % [2]. Zum Zeitpunkt der Erstdiagnose MEN Typ 2A sind außerdem mit dem Morbus Hirschsprung können allerdings bereits bei mehr als der Hälfte der Patienten sowie Lichen amyloidosus assoziiert. Bei der MEN Typ 2B zervikale Lymphknotenmetastasen nachgewiesen werden [5]. treten neben meist aggressiv verlaufenden MTC, die bei unzu- reichend rascher Diagnostik und Therapie bereits in den ers- Die rechtzeitige chirurgische Sanierung besitzt aufgrund häu- ten Lebensjahren tödlich verlaufen können, Phäochromo- fig erfolgloser Behandlungsalternativen einen herausragen- zytome, Ganglioneuromatosen, Neurinome der Schleimhäute den Stellenwert. Eine Radio-Jod-Therapie ist aufgrund der sowie ein marfanoider Habitus gehäuft auf, ein primärer fehlenden Jodakkumulation in parafollikulären Zellen nicht Hyperparathyreoidismus bleibt in der Regel aus [8]. geeignet, im Einzelfall muss über die Durchführung einer in der Literatur umstrittenen adjuvanten perkutanen Strahlen- Eine Schlüsselrolle in der Karzinogenese des MTC weist das RET- („Rearranged during transfection“-) Protoonkogen Aus der Nuklearmedizin und speziellen Endokrinologie – PET/CT-Zentrum, LKH (Chromosom 10q11.2) auf, welches aus 23 Exons besteht und Klagenfurt Korrespondenzadresse: Dr. med. Philipp Malle, Nuklearmedizin und spezielle für einen Tyrosinkinaserezeptor kodiert. Bei der MEN Typ Endokrinologie – PET/CT-Zentrum, LKH Klagenfurt, A-9020 Klagenfurt, St. Veiter 2A werden Mutationen häufig im Codon 634 des Exon 10, bei Straße 47; E-Mail: philipp.malle@lkh-klu.at der MEN Typ 2B im Codon 918 des Exons 16 beobachtet. 6 J KLIN ENDOKRINOL STOFFW 2010; 3 (2) For personal use only. Not to be reproduced without permission of Krause & Pachernegg GmbH.
Diagnostik des medullären Schilddrüsenkarzinoms Auch bei den sporadischen MTC können in bis zu 80 % der anderer sezernierter Peptide hat aufgrund deutlich geringerer Fälle somatische Missense-Punktmutationen im Codon 918 Spezifität eine untergeordnete Rolle. des Exons 16 nachgewiesen werden [8]. Calcitonin Grundsätzlich sollten alle Patienten mit MTC einer moleku- Calcitonin, erstmals 1961 von Copp und Cameron [12] als in larbiologischen Untersuchung unterzogen werden, im Falle der Kalziumhomöostase entscheidender Faktor detektiert und positiver Testergebnisse sollten auch Familienangehörige bereits kurze Zeit später von Foster et al. [13] als thyreoidalen nach eingehender Aufklärung über die Bedeutung und Konse- Ursprungs identifiziert, ist das wohl bekannteste, von den thy- quenzen getestet werden. Da die klinische Penetranz eines reoidalen C-Zellen sezernierte Peptidhormon. Trotz immun- MTC bei Familienangehörigen mit Mutationsnachweis mit- histochemisch gesicherter Expression auch in extrathyreoi- unter sehr hoch sein kann, wird die prophylaktische Thyreoid- dalem Gewebe wie ZNS, Lunge, Thymus, Uterus, Blase, Pro- ektomie je nach konkretem Mutationsnachweis mit unter- stata oder Gastrointestinaltrakt kann eine ektope Produktion schiedlicher Dringlichkeit empfohlen. von monomerem Calcitonin prinzipiell ausgeschlossen wer- den [14]. Sonographie, Szintigraphie und Fein- Die Möglichkeit, MTC durch die Bestimmung eines bioche- nadelpunktion mischen Markers frühzeitig erkennen zu können, scheint das Calcitoninscreening bei Struma nodosa trotz anfallender Kos- Aufgrund der breiten Verfügbarkeit und der geringen Kosten ten zu rechtfertigen. Zahlreiche Studien und Beiträge [15–19] sowie der hohen Aussagekraft bei geübten Untersuchern ist belegen mittlerweile die Sinnhaftigkeit eines Calcitoninscree- die Sonographie der Schilddrüse nach eingehender Anamnese nings bei Struma nodosa. Auch in einem evidenzbasierten sowie Erhebung des Inspektions- und Palpationsbefundes Konsensuspapier der Sektion Schilddrüse der Deutschen Ge- zweifelsfrei eines der bedeutendsten Diagnoseverfahren. sellschaft für Endokrinologie [20] wird die prinzipielle Mes- Dennoch lassen immer wieder als für das MTC typisch ange- sung basaler Calcitoninspiegel bei Struma nodosa empfohlen. führte sonomorphologische Kriterien wie Echoarmut, intra- Allerdings sollte in diesem Zusammenhang der in der klini- läsionale grobschollige Verkalkungen, fehlendes Halo-Zei- schen Routine durchaus häufige Fall eines falsch-positiven chen, unregelmäßige Randkonturierung, überproportional Messergebnisses angemerkt werden. Nicht nur medulläre, großer Tiefendurchmesser, zentrale Hypervaskularisation auch differenzierte Schilddrüsenkarzinome, vermutlich durch oder erhöhte Gewebehärte eine verlässliche Differenzierung Sekretion von konsekutiv auf C-Zellen parakrin wirksamen zwischen benignen und malignen Läsionen ohne weiterfüh- Substanzen, können in seltenen Fällen basale Calcitoniner- rende Diagnostik nicht zu. höhungen bedingen. Naturgemäß können erhöhte Calcitonin- messwerte bei anderen Tumoren des neuroendokrinen For- In der klinischen Routine wird in der Abklärung von Schild- menkreises, auch bei fehlender immunhistochemischer Calci- drüsenknoten meist eine Szintigraphie unter Verwendung von toninreaktivität, auftreten. Häufig falsch-positive Messergeb- 99m Tc-Pertechnetat oder 123I angeschlossen. Größere MTC nisse werden bei Patienten mit Autoimmunthyreopathien, sind meist als minderretinierende Areale erkennbar. Entschei- fortgeschrittener Niereninsuffizienz, alkoholischer Leberzir- denden Aufschluss über die Dignität eines Schilddrüsen- rhose oder schwerer Allgemeinerkrankung sowie unter The- knotens gibt die ultraschallgezielte Feinnadelaspiration, die rapie mit Protonenpumpenhemmern beobachtet [18, 21–25]. bei korrekter Durchführung geübter Punkteure Sensitivitäten Die Rate an falsch-negativen Testergebissen bei Messungen zwischen 82 % [9] und 89 % [10] erreichen kann. MTC zeigen basaler Calcitoninkonzentrationen ist, verglichen mit anderen sich in der Aspirationszytologie von sehr unterschiedlicher biochemischen Markern, äußerst niedrig. Zellularität, je nach Anteil der stromalen Fibrose und Amy- loideinlagerungen. Meist einzelne oder in losen Zellgruppen Die Höhe des positiven prädiktiven Werts erhöhter Calcito- liegende Tumorzellen können hinsichtlich ihrer Zellform ninmesswerte hinsichtlich der Detektion eines MTC hängt stark variieren. Zellkerne liegen häufig exzentrisch, mehr- grundsätzlich von der Höhe der ermittelten Calcitoninkon- kernige Tumorzellen können vorkommen. Intranukleäre zyto- zentration ab. Constante et al. [25] konnten bei sämtlichen Pa- plasmatische Einschlüsse können die Abgrenzung zum papil- tienten mit präoperativ ermittelten basalen Calcitoninkon- lären Schilddrüsenkarzinom erschweren, die definitive zyto- zentrationen > 100 pg/ml histologisch ein MTC verifizieren logische Diagnose gelingt aber meist durch den Nachweis von (positiver prädiktiver Wert: 100 %), der in dieser Studie ermit- Amyloid und die immunzytometrische Anfärbung gegen telte positive prädiktive Wert für basale Calcitoninlevels zwi- Calcitonin [11]. schen 50 und 100 pg/ml liegt bei lediglich 25 %, für basale Messergebnisse zwischen 20 und 50 pg/ml bei gar nur 8,3 % – Biomarker eine diagnostische Unschärfe, die ein grundsätzliches radika- les chirurgisches Vorgehen ohne anschließenden Pentagas- Einzigartig unter den malignen Schilddrüsentumoren ist die trinstimulationstest in Fällen gering erhöhter basaler Calci- Möglichkeit, MTC durch die Bestimmung biochemischer toninmesswerte nicht rechtfertigt. Routinemäßig zur Anwen- Marker frühzeitig detektieren zu können und damit die Chan- dung kommende Calcitoninstimulationstests mit Penta- ce einer kurativen Operation zu erhöhen. Auch in der Tumor- gastrin, einem synthetischen Pentapeptid mit der physiologisch nachsorge ist deren regelmäßige Kontrolle von entscheiden- wirksamen C-terminalen Aminosäuresequenz des Gastrins, der Bedeutung. Zu den bekanntesten Markern gehören Calci- weisen in Vergleichsstudien meist höhere Sensitivitäten auf tonin und karzinoembryonales Antigen (CEA), eine Reihe als Stimulationstests mit TRH oder Omeprazol [26]. J KLIN ENDOKRINOL STOFFW 2010; 3 (2) 7
Diagnostik des medullären Schilddrüsenkarzinoms Im Mittelpunkt des wissenschaftlichen Interesses steht die neuer Blutgefäße. Allerdings muss gerade in Anbetracht der Eruierung der prognostischen Aussagekraft gemessener Cal- auch beschriebenen Tachyphylaxie sowie der bislang weitge- citoninkonzentrationen. Zahlreichen Studien zufolge korre- hend ausbleibenden In-vivo-Daten mit abschließenden Beur- liert die Höhe der präoperativ ermittelten Calcitoninkon- teilungen hinsichtlich der eigenständigen Wirkung von Cal- zentration mit der Größe des Primärtumors, dem Tumor- citonin in der Tumorpathogenese sowie -progression bei stadium sowie der zu erwartenden postoperativen biochemi- MTC zugewartet werden. schen Remission [27–31]. Allerdings muss auch festgehalten werden, dass sowohl größere Primärtumoren mit fehlender als CEA und andere Biomarker auch kleinere Primärtumoren mit nachgewiesener Lymph- Eine geringere Spezifität für die Detektion eines MTC als knotenmetastasierung ähnlich hohe präoperative Calcitonin- Calcitonin besitzt CEA [40]. Das von neoplastischen C-Zel- levels produzieren können, sodass im Einzelfall eine verläss- len produzierte CEA wird routinemäßig in der Tumornach- liche Vorhersage auf Basis eines singulären Messergebnisses sorge kontrolliert, hohe Konzentrationen und ansteigende nicht getroffen werden kann [32]. Messergebnisse im Follow-up sind häufig mit einer Tumor- progression assoziiert [41]. Präoperativ wird eine relevante Nicht nur aus der Höhe eines singulären Messergebnisses, Rolle zur Risikostratifizierung diskutiert. Den Ergebnissen sondern insbesondere aus der zeitlichen Dynamik mehrerer von Machens et al. [42] zufolge ist ein kurativer therapeuti- Calcitoninwerte können auch postoperativ entscheidende scher Ansatz durch die alleinige Operation bereits ab präope- prognoserelevante Informationen akquiriert werden. Zwar rativ ermittelten Konzentration von > 30 ng/ml de facto nicht belegen zahlreiche, vorwiegend retrospektiv designte Studien mehr zu erwarten. mit oftmals geringeren Fallzahlen den Prognoseeinfluss vor- dergründig durch das TNM-Stadium oder zahlreiche meist Weitere, von neoplastischen C-Zellen sezernierte Peptide mit histopathologische Kriterien berücksichtigende Scores, Bar- allerdings geringerer Bedeutung in der Primärdiagnostik so- bet et al. [33] eruierten in ihrer multivariaten Datenanalyse die wie Tumornachsorge sind Chromogranin A, Somatostatin, Calcitoninverdoppelungszeit als einzigen unabhängigen Prä- Propiomelanocortin, vasoaktives intestinales Peptid, „Gas- diktor für das Überleben und postulierten somit dessen Über- trin-Releasing Peptide“, Neurotensin, „Calcitonin Gene- legenheit in Bezug auf die Prognoseermittlung auch gegenü- Related Peptide“, Prostaglandin, Kinin und Serotonin [43– ber dem klinischen Staging. Im Falle einer postoperativen 46]. Calcitoninverdoppelungszeit von < 6 Monaten lagen die 5- Jahres-Überlebensrate bei lediglich 25 % und die 10-Jahres- Möglichkeiten nuklearmedizinischer Überlebensrate bei nur 8 %, bei einer Calcitoninverdop- Diagnostik pelungszeit zwischen 6 Monaten und 2 Jahren stiegen diese Überlebensraten auf 92 % bzw. 37 %, bei längerer Calcitonin- Nuklearmedizinischen Verfahren kommt im Primärstaging verdoppelungszeit hingegen konnte kein tumorassoziierter sowie in der Rezidivdiagnostik eine entscheidende Rolle zu. Todesfall beobachtet werden. Bereits kleine Primärtumoren und Metastasen, die in der konventionellen Bildgebung (CT, MR) nicht als pathologisch Als recht zuverlässig und im Vergleich zur konventionellen interpretiert werden, können frühzeitig visualisiert werden. bildgebenden Diagnostik deutlich sensitiver gilt Calcitonin in Durch die Verwendung kombinierter SPECT/CT- und PET/ der Nachsorge des MTC, wobei die erste postoperative Kon- CT-Geräte können funktionelle Ergebnisse aus der Nuklear- trollmessung mit anschließendem Pentagastrinstimulations- medizin morphologisch präzise zugeordnet werden, wodurch test aufgrund der Halbwertszeit des Analyten nicht binnen der die diagnostische Aussagekraft nuklearmedizinischer Metho- ersten 2 postoperativen Wochen (besser: 8–12 Wochen post- den unabhängig vom verwendeten Radiotracer deutlich er- operativ) durchgeführt werden sollte [34]. Falsch-positive höht wird. Durch die Möglichkeit, funktionelle sowie mor- Messergebnisse, dann meist bedingt durch heterophile Anti- phologische Informationen in einem Untersuchungsgang zu körper, sind selten, eine Pentagastrinstimulation ist bei dieser akquirieren und damit die Vorteile der einzelnen Methoden Konstellation nicht gegeben [35]. Kriterien einer biochemi- komplementär zu nützen, ist auch in der Diagnostik des MTC schen Remission variieren, nach Barbot et al. [36] sollte der eine neue Ära angebrochen. postoperative Calcitoninanstieg im Pentagastrinstimulations- test nicht > 10 pg/ml sein. Dass eine biochemische Remission PET mit 18F-FDG mit einer überwiegend guten Prognose einhergeht, scheint Die Sensitivität der PET mit 18F-2-Fluordeoxyglukose (18F- hinreichend belegt [1, 37, 38]. FDG) (Abb. 1) hängt grundsätzlich vom 18F-FDG-Uptake der Tumorzellen ab. Der Zusammenhang zwischen der Wahr- Hinsichtlich der neuerdings postulierten Rolle von Calcitonin scheinlichkeit der Visualisierung eines MTC in der 18F-FDG- als möglicherweise eigenständig entscheidend mitwirkendem PET und dem Grad seiner Differenzierung sowie dem Aus- Peptidhormon in der Tumorpathogenese, insbesondere der maß seiner proliferativen Aktivität scheint hinreichend belegt Tumorprogression, existieren bislang kaum Daten. Chiguru- [47]. Je höher die Proliferationsrate neuroendokriner Tumor- pati et al. [39] analysierten in vitro biologische Effekte von zellen und je biologisch aggressiver der Tumor, desto höher aus Prostatakarzinomzellen stammendem Calcitonin und pos- die Sensitivität der 18F-FDG-PET. tulierten dessen angiogenesefördernde Wirkung. Ihren Aus- führungen nach fördert Calcitonin – ähnlich dem bekannten Nach Ong et al. [48] beläuft sich die durchschnittliche Sensi- „Vascular Endothelial Growth Factor“ (VEGF) – die Migrati- tivität der 18F-FDG-PET im Restaging auf 62 %. Zieht man on von Endothelzellen, deren Proliferation sowie Formation jedoch nur jene MTC mit basalen Calcitoninkonzentrationen 8 J KLIN ENDOKRINOL STOFFW 2010; 3 (2)
Diagnostik des medullären Schilddrüsenkarzinoms Abbildung 1: Visualisierung einer hepatischen Metastase sowie multipler pulmonaler Metastasen eines MTC mittels 18F-FDG-PET/CT. Abbildung 2: Visualisierung eines MTC mittels 18F-DOPA-PET/CT. von > 1000 pg/ml ins Kalkül, steigt die Sensitivität der Me- für die 18F-DOPA-PET (63 %) als die 18F-FDG-PET (44 %), thode auf 78 %, bei basalen Calcitoninkonzentrationen < 1000 wobei der 18F-DOPA-PET besondere Bedeutung im Hinblick pg/ml sinkt sie auf 20 %. Szakáll et al. [49] postulieren die auf die Detektion von Primärtumoren und Lymphkno- besondere Genauigkeit der 18F-FDG-PET hinsichtlich der tenmetastasen zugesprochen wurde. Zu ähnlichen Ergebnis- Detektion zervikaler, supraklavikulärer und mediastinaler sen kamen auch Koopmans et al. [54]: Sie errechneten eine Lymphknotenmetastasen und errechneten diesbezüglich Sensitivität für die 18F-DOPA-PET von 62 %, für die 18F-FDG- Sensitivitäten von bis zu 95 %. PET von lediglich 24 % und wiesen auch auf die Überlegen- heit der 18F-DOPA-PET gegenüber morphologisch bild- gebenden Verfahren wie CT oder MR (Sensitivität: 37 %) hin. PET mit 18F-DOPA Neuroendokrine Tumorzellen zeigen eine erhöhte Aktivität Dennoch muss angemerkt werden, dass die klinische Erfah- der L-3,4-Dihydroxphenylalanin- (DOPA-) Decarboxylase, rung mit 18F-DOPA bei MTC relativ gering ist. Wenige, bis- welche den Aminpräkursor DOPA Pyridoxalphosphat-abhän- lang allerdings konsistente Studienergebnisse [53–55] sind den- gig in das biogene Amin umwandelt, und werden daher dem noch vielversprechend. APUD- („Amine Precursor Uptake and Decarboxylation“-) Zellsystem zugerechnet [50–52]. Durch den Einsatz von 18F- PET mit Somatostatinrezeptoranaloga DOPA in der PET gelingt die quantitative Abschätzung der Die vermehrte Expression von Somatostatinrezeptoren an den DOPA-Decarboxylase-Aktivität (Abb. 2, 3). Membranen neuroendokriner Tumorzellen bildet die Grund- lage des Einsatzes von Somatostatinanaloga in der nuklear- Hinsichtlich Staging und Restaging von MTC errechneten medizinischen Diagnostik, im Mittelpunkt des Interesses ste- Hoegerle et al. [53] schon vor Jahren eine höhere Sensitivität hen 68Ga-markierte Peptide (z. B. 68Ga-DOTA-TOC oder J KLIN ENDOKRINOL STOFFW 2010; 3 (2) 9
Diagnostik des medullären Schilddrüsenkarzinoms Abbildung 3: Visualisierung einer pulmonalen Metastase eines MTC mittels 18F-DOPA-PET/CT. Abbildung 4: Visualisierung einer ossären Metastase eines MTC mittels 111 In-DTPA- Octreotid Somatostatin- rezeptorszintigra- phie (SPECT/CT). 68 Ga-DOTA-NOC). Reubi et al. [56] konnten bei 40–60 % der lische Halbwertszeit 6 Stunden) und die damit geringere untersuchten medullären Schilddrüsenkarzinome eine im- Strahlenexposition für den Patienten, geringere Kosten (Ge- munhistochemische Expression von Somatostatinrezeptoren nerator-Radionuklid) und die Möglichkeit der Durchführung nachweisen, verglichen mit neuroendokrinen Tumoren ande- eines Ein-Tages-Protokolls. rer Regionen ein relativ geringer Prozentsatz, wodurch der rationelle Einsatz nuklearmedizinischer Verfahren mit So- Bezüglich Sensitivität und Spezifität der Somatostatinre- matostatinrezeptoranaloga in der Primärdetektion und Rezi- zeptorszintigraphie bei MTC (Abb. 4) existieren sehr unter- divdiagnostik von MTC begrenzt scheint. schiedliche Angaben. Während Kaltas et al. [60] unter Ver- wendung von 111In-DTPA-Octreotid von einer Sensitivität Gegenüber der Somatostatinrezeptorszintigraphie bietet die von 50–75 % ausgehen, errechneten Baudin et al. [61] einen Somatostatinrezeptor-PET durch ihre bessere Auflösung eine deutlich niedrigeren Prozentsatz (37 %). Für die Somatosta- Reihe von Vorteilen. Sowohl kleinere, tief sitzendere Läsio- tinrezeptorszintigraphie mit 99mTc-EDDA/HYNIC-Tyr3-Octreo- nen als auch Tumorherde mit lediglich geringer Somato- tid werden allerdings erfolgversprechendere Daten publiziert, statinrezeptorexpression können durch die Somatostatinre- Czepczyñski et al. [62] berichten von einer Sensitivität von zeptor-PET verlässlicher visualisiert werden [57–59]. 79,5 % und einer Spezifität von 83 %. Die Verwendung von Somatostatinanaloga in der nuklear- Szintigraphie mit 123I-MIBG medizinischen Diagnostik bietet vor allem aber einen ent- Die Fähigkeit neuroendokriner Tumorzellen, Katecholamine scheidenden Vorteil: Je nach Rezeptorstatus kann über die aufzunehmen und zu speichern, bildet die Grundlage des Ein- Durchführung einer Peptidradiorezeptortherapie entschieden satzes von meist mit 123I oder 131I markierten Aminen, wie dem werden [58]. Norepinephrin strukturell ähnlichen Metajodbenzylguanidin (MIBG). Die Bedeutung der MIBG-Szintigraphie im Primär- Szintigraphie mit Somatostatinrezeptoranaloga staging sowie im Follow-up von MTC wird in Anbetracht der Wie die Somatostatinrezeptor-PET beruht auch die Szinti- diagnostischen Wertigkeit anderer funktioneller Methoden graphie mit Somatostatinrezeptoranaloga auf dem Prinzip der aus der Nuklearmedizin zusehends geringer, Sensitivitäten, Somatostatinrezeptordarstellung an den Oberflächen neuro- wie sie für diese Methode in der Diagnose von Phäochro- endokriner Tumorzellen. Von den insgesamt 5 bekannten hu- mozytomen errechnet werden (85–94 %) [63, 64], werden manen Somatostatinrezeptorsubtypen werden die höchsten beim MTC bei Weitem nicht erreicht (25–35 %) [65, 66]. Die Affinitäten der in der klinischen Nuklearmedizin verwende- Methode bietet allerdings den Vorteil, dass bei ausreichender ten Somatostatinanaloga, wie 111In-DTPA-Octreotid (Octreo- Speicherung eine Therapie mit 131I-MIBG durchgeführt wer- scan®) oder 99mTc-EDDA/HYNIC-Tyr3-Octreotid (Tektro- den kann. tyd®), zu den Rezeptorsubtypen 2 und 5 beobachtet, an der Entwicklung neuer Analoga mit höheren Bindungsaffinitäten Szintigraphie mit 99mTc-DMSA auch zu anderen Rezeptorsubtypen wird laufend gearbeitet. Die Anreicherung von in der nuklearmedizinischen Rezidiv- 99m Tc-markierte Somatostatinanaloga haben, verglichen mit diagnostik des MTC erstmals 1984 von Ohta et al. [67] einge- nach wie vor häufig verwendeten 111In-markierten Chelatkom- setztem 99mTc-DMSA („Dimercaptosuccinic acid“) ist an das plexen, eine Reihe von Vorteilen. Erwähnt werden sollten die Vorhandensein dissoziierter Pertechnetatanionen (Tc04–3), die günstigeren physikalischen Eigenschaften (140 keV, physika- eine strukturelle Ähnlichkeit mit dem in Neoplasien bekann- 10 J KLIN ENDOKRINOL STOFFW 2010; 3 (2)
Diagnostik des medullären Schilddrüsenkarzinoms termaßen vermehrt aufgenommenen Phosphation (P04–3) auf- Literatur: 18. Elisei R, Bottici V, Luchetti F, Di Coscio G, Romei C, Grasso L, Miccoli P, Iacconi P, weisen, gebunden. Die ursprünglich vielversprechenden Pu- 1. Kebebew E, Ituarte PH, Siperstein AE, Basolo F, Pinchera A, Pacini F. Impact of rou- Duh QY, Clark OH. Medullary thyroid carci- blikationen [67–69] wurden durch konsistente Nachfolge- tine measurement of serum calcitonin on noma: clinical characteristics, treatment, the diagnosis and outcome of medullary untersuchungen relativiert, der von Reiners [70] aus insge- prognostic factors, and a comparison of thyroid cancer: experience in 10,864 pa- staging systems. Cancer 2000; 88: 1139–48. samt 16 publizierten Arbeiten errechnete Mittelwert der tients with nodular thyroid disorders. J Clin 2. Roman S, Lin R, Sosa JA. Prognosis of Endocrinol Metab 2004; 89: 163–8. 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J Clin Pathol 1966; citonin measurement to detect medullary entstehen aus den neuroektodermalen parafollikulären Zellen 19: 114–8. thyroid carcinoma in nodular goiter: German der Schilddrüse. In 75 % der Fälle tritt das MTC sporadisch, 5. Scollo C, Baudin E, Travagli JP, Caillou B, evidence-based consensus recommendation. Bellon N, Leboulleux S, Schlumberger M. Exp Clin Endocrinol Diabetes 2004; 112: 52– in einem Viertel allerdings hereditär auf, weshalb grundsätz- Rationale for central and bilateral lymph 8. lich alle Patienten mit MTC einer molekulargenetischen node dissection in sporadic and hereditary 21. Gibelin H, Essique D, Jones C, Levillain Testung unterzogen werden sollten, um im Falle eines positi- medullary thyroid cancer. J Clin Endocrinol P, Maréchaud R, Kraimps JL. Increased cal- Metab 2003; 88: 2070–5. citonin level in thyroid nodules without ven Testergebnisses auch Familienangehörige rechtzeitig und 6. Frilling A, Weber F, Saner F, Bockisch A, medullary carcinoma. 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Kloos RT, Eng C, Evans DB, Francis GL, können und damit die Chance einer kurativen Operation zu Gagel RF, Gharib H, Moley JF, Pacini F, Zettinig G, Kaserer K, Bieglmayer C, Ringel MD, Schlumberger M, Wells SA Jr. Niederle B, Dudczak R, Pirich C. Frequency erhöhen, ist allerdings einzigartig unter den malignen Schild- and relevance of elevated calcitonin levels Medullary thyroid cancer: management drüsentumoren. Nuklearmedizinischen Verfahren kommt im guidelines of the American Thyroid Associa- in patients with neoplastic and nonneoplas- tion. Thyroid 2009; 19: 565–612. tic thyroid disease and in healthy subjects. J Primärstaging sowie in der Rezidivdiagnostik eine entschei- Clin Endocrinol Metab 2004; 89: 515–9. 9. Chang TC, Wu SL, Hsiao YL. Medullary dende Rolle zu, bereits kleine Läsionen, die in der konventio- thyroid carcinoma: pitfalls in diagnosis by 24. Van Veelen W, de Groot JW, Acton DS, nellen Bildgebung noch als unsuspekt interpretiert werden, fine needle aspiration cytology and relation- Hofstra RM, Höppener JW, Links TP, Lips CJ. ship of cytomorphology to RET proto-onco- Medullary thyroid carcinoma and können frühzeitig visualisiert werden. Durch die Verwendung gene mutations. Acta Cytol 2005; 49: 477– biomarkers: past, present and future. J In- kombinierter SPECT/CT- und PET/CT-Geräte können funk- 82. tern Med 2009; 266: 126–40. tionelle Ergebnisse aus der Nuklearmedizin morphologisch 10. Hsieh MH, Hsiao YL, Chang TC. Fine 25. Costante G, Meringolo D, Durante C, needle aspiration cytology stained with Rius Bianchi D, Nocera M, Tumino S, Crocetti U, präzise zugeordnet werden, wodurch die diagnostische Aus- method in quicker diagnosis of medullary Attard M, Maranghi M, Torlontano M, Filetti sagekraft nuklearmedizinischer Methoden unabhängig vom thyroid carcinoma. J Formos Med Assoc S. 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Science 1961; ker sind bekanntermaßen zentraler Bestandteil in der Diag- 22: 2038. 27. Machens A, Schneyer U, Holzhausen HJ, nostik des MTC. Genetische Testungen ermöglichen die Dralle H. Prospects of remission in medul- 13. Foster GV, Baghdiantz A, Kumar MA, lary thyroid carcinoma according to basal Identifikation von RET-Protoonkogen-Mutationsträgern Slack E, Soliman HA, Macintyre I. Thyroid calcitonin level. J Clin Endocrinol Metab origin of calcitonin. Nature 1964; 202: 2005; 90: 2029–34. in MTC-Familien, bei denen eine rechtzeitige prophylak- 1303–5. 28. Cohen R, Campos JM, Salaün C, tische Thyreoidektomie angestrebt werden sollte. Die 14. Engelbach M, Heerdt S, Görges R, Kunt Heshmati HM, Kraimps JL, Proye C, Sarfati rechtzeitige chirurgische Sanierung besitzt aufgrund häu- T, Pfützner A, Forst T, Diefenbach K, E, Henry JF, Niccoli-Sire P, Modigliani E. Walgenbach S, Beyer J. 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