Arbeitsbericht 2019 Interdisziplinäres Zentrum für die Erforschung der Europäischen Aufklärung Centre Interdisciplinaire de Recherche sur les ...
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Arbeitsbericht 2019 Interdisziplinäres Zentrum für die Erforschung der Europäischen Aufklärung Centre Interdisciplinaire de Recherche sur les Lumières en Europe Interdisciplinary Centre for European Enlightenment Studies
IZEA-ARBEITSBERICHT FÜR DAS JAHR 2019 INHALT 1 | Überblick ____________________________________________________________________ 1 2 | Direktorium und Internationaler Wissenschaftlicher Beirat _____________________________ 3 3 | Personal _____________________________________________________________________ 4 4 | Gastwissenschaftler ____________________________________________________________ 4 5 | Sachmittel ___________________________________________________________________ 6 6 | Bibliothek ____________________________________________________________________ 6 7 | Forschungsprojekte ____________________________________________________________ 7 8 | Humboldt-Professur __________________________________________________________ 36 9 | Immanuel-Kant-Forum_________________________________________________________ 37 10 | Dessau-Wörlitz-Kommission ____________________________________________________ 39 11 | Vortragsreihen und Einzelvorträge; Halle Lecture ___________________________________ 40 12 | Veranstaltungen und Tagungen _________________________________________________ 45 13 | Öffentlichkeitsarbeit __________________________________________________________ 46 14 | Vorträge der DirektorInnen und MitarbeiterInnen ___________________________________ 49 15 | Lehrveranstaltungen im IZEA____________________________________________________ 58 16 | Lehrveranstaltungen außerhalb des IZEA __________________________________________ 58 17 | Publikationen ________________________________________________________________ 62 18 |Mitgliedschaften und Kooperationen _____________________________________________ 69
1 Intern nahm die Evaluation viel Raum ein, der das 1 | ÜBERBLICK IZEA und sieben weitere Interdisziplinäre Zentren der Universität unterzogen wurden. Die von einer Kommission des Senats vorgenommene Evaluation bezog sich sowohl auf die Forschungsleistungen und Drittmitteleinwerbungen der vergangenen fünf 2019 war für das IZEA vor allem ein Jahr der vertief- Jahre als auch auf die Zukunftskonzepte der ver- ten internationalen Zusammenarbeit und gesteiger- schiedenen Zentren. Die Arbeit des IZEA erfuhr ten internationalen Präsenz. Die in Kooperation mit dabei viel Anerkennung, der wesentliche Beitrag des dem English Department der Universität Tulsa (USA) IZEA zum Profil der Universität wurde in für uns sehr veranstaltete Tagung „Place of Religion in the En- erfreulicher Weise bestätigt. lightenment“ mit zahlreichen amerikanischen Teil- * * * nehmerInnen repräsentiert dies ebenso wie die starke Präsenz des IZEA auf dem weltgrößten Auf- Aus dem ein Dutzend Tagungen oder Workshops klärungskongress, der kurz danach in Edinburgh sowie den etwa doppelt so vielen Einzelveranstal- stattfand, und die dort weiter vorangetriebene tungen des Jahres 2019 können hier nur wenige Kooperation mit der Voltaire Foundation an der hervorgehoben werden. Dem schnellen Überblick Universität Oxford, der international führenden dient auch eine Neuerung des vorliegenden Ar- Publikationsstätte für Aufklärungsforscher. Im Win- beitsberichtes. Die wichtigsten Plakate, mit denen tersemester 2018/19 startete überdies der neue wir für unsere Veranstaltungen geworben haben, binationale Master-Studiengang „Formen der Ratio- finden Sie am Ende des Arbeitsberichts in farbiger – nalität / Forme della razionalità“, getragen vom und natürlich formatreduzierter – Reproduktion. Philosophischen Seminar und geleitet von Prof. Dr. Die im Vorjahr neu etablierten Halle Lectures fan- Heiner Klemme in Kooperation mit der Universität den im Frühjahr 2019 zum ersten Mal im großen Tor Vergata in Rom. Saal des halleschen Stadthauses statt, der sich für Hilfreich dafür, dass das IZEA auch künftig die Rolle die Menge der Interessierten fast als zu klein er- eines Forums der internationalen Aufklärungs- wies. Die Vortragsreihe trug in diesem Jahr den Titel forschung spielen kann, war die im Frühjahr erfolgte „Vom Nutzen und Nachteil der Polemik.“ Am 2. Mai Bewilligung einer weiteren Tranche unseres Stipen- fragte Prof. Dr. Hartmut Rosa (Jena): „Was stimmt diums für Aufklärungsforschung durch die Fritz- nicht mit der Demokratie? Ein neues Konzept des Wiedemann-Stiftung. Wir danken allen Geldgebern Gemeinwohls“; am 26. November 2019 präsentierte sowohl der neubewilligten als auch der laufenden Prof. Dr. Bertrand Binoche (Paris) im Bibliothekssaal Programme für ihre Unterstützung! des IZEA seine Thesen unter dem anspielungsrei- chen Titel: „Beantwortung der Frage: Was sind die Neben der Vernetzung mit der weiten Welt der Lumières (und nicht die Aufklärung)?“ Die Halle AufklärungsforscherInnen spielte aber auch die Lectures sind eine Kooperation der vorrangig mit Besinnung auf den besonderen Ort, an dem wir dem 18. Jahrhundert befassten Einrichtungen in arbeiten, und die besonderen Umstände, unter Halle: des Interdisziplinären Zentrums für Pietismus- denen 1989 in Halle das erste Forschungszentrum forschung, der Franckeschen Stiftungen, des Lan- zur Aufklärung gegründet wurde, eine wichtige desforschungsschwerpunkts ARW, der Alexander Rolle. Denn in Gestalt seiner Vorgängerinstitution ist von Humboldt-Professur für neuzeitliche Schriftkul- das IZEA ein Teil der friedlichen Revolution von tur und europäischen Wissenstransfer und natürlich 1989/90, die neuerdings wieder stark und kontro- des IZEA. vers diskutiert wird in unserer Gesellschaft. Der am 15. April abgehaltene Studientag „Aufbrüche – Um- Den Höhepunkt des Jahres 2019 bildete die nur alle brüche“ führte zurück in die Gründungsphase vor 30 vier Jahre stattfindende Tagung der International Jahren. Neben neuerschlossenem Archivmaterial, Society for Eighteenth-Century Studies (ISECS) mit das Dr. Anne Purschwitz präsentierte, kamen Akteu- 1600 Teilnehmern. Das IZEA war mit vier Panels und re der ersten Stunde bzw. Jahre zu Wort, ebenso einem gut besuchten Informationsstand präsent. Ich Verantwortliche auf überregionaler Ebene wie der hatte die Ehre und das Vergnügen, den Abschluss- sächsische Staatsminister a.D. Prof. Dr. Hans- vortrag in der großartigen McEwan-Hall halten zu Joachim Meyer. Die unterschiedlichen und teilweise dürfen. In Edinburgh bekanntgegeben wurde auch gegensätzlichen Perspektiven verdeutlichten die das Ergebnis der zuvor gelaufenen Neuwahlen des Tragweite der damaligen Umbrüche und ermöglich- Exekutivkomitees der ISECS, in dem ich nun als Se- ten, wie ich hoffe, ein besseres Verständnis der cond Vice-President mitarbeiten darf. Konflikte, die in Ostdeutschland nach wie vor damit verbunden sind.
2 Die Vortragsreihe des Wintersemesters 2018/19 zu immer neuem Engagement und gemeinsamen stand unter dem Motto „Die Aufklärung und das Projekten. Recht / Das Recht der Aufklärung“ und wurde von Auch am Ende meiner vierten Amtszeit, nach Dr. Frank Grunert konzipiert und geleitet. Die Vor- 13 Jahren Geschäftsführung fasziniert mich das IZEA tragsreihe im Sommersemester 2019 widmete sich nach wie vor als Ort des unermüdlichen Studiums, der „Aufklärung auf der Iberischen Halbinsel“, die der horizonterweiternden Begegnung und der über- Leitung hatte Prof. Dr. Thomas Bremer. Die von mir raschenden Einsichten – ein inspirierender Ort, wie organisierte Vortragsreihe im Wintersemester es ihn auch in der Wissenschaft nicht zu oft gibt. 2019/2020 war „Aufklärung als Emanzipation“ beti- Die letzten Monate haben uns leider gelehrt, wie telt und präsentierte Neues aus der englischen und zerbrechlich unsere internationalisierte, dem be- amerikanischen Forschung“. fruchtenden Austausch von Wissen und Erkenntnis Die Jahrestagung der Dessau-Wörlitz-Kommission gewidmete akademische Welt ist: am 9. Oktober zog eine Bilanz zum Thema „100 Jahre Stiftungs- 2019 durch den Anschlag auf die hallische Synagoge gründungen im Zuge von Abdankungen und Fürs- und seit vielen Wochen nun schon durch eine Pan- tenenteignungen nach 1918/19“. Sie verglich die am demie, die zentrale Bereiche unserer Arbeit stilllegt Ende des ersten Weltkrieges in öffentliche Hand und unsere Aufmerksamkeit von der Erkenntnisge- überführten Kulturgüter und damit bis heute wirk- winnung auf Schutzmaßnahmen ablenkt. mächtige Strukturen. Umso dankbarer bin ich dafür, dass unsere Arbeit Ein großes, über viele Jahre am IZEA ansässiges und zuvor jahrelang fruchtbar, friedlich und vergleichs- durch die DFG gefördertes Projekt kam mit der weise wenig gestört vonstattengehen konnte. Publikation von gleich drei umfangreichen Bänden Dem Direktorium lag der Arbeitsbericht in seiner zu seinem erfolgreichen Abschluss: die Edition des Sitzung vom 15. Mai 2020 vor und wurde ohne Ein- zwischen Christian Wolff und dem Politiker und wände angenommen. Mäzen Ernst Christoph Graf von Manteuffel geführ- ten Briefwechsels. In den Publikations-Reihen des IZEA erschienen ebenfalls neue Titel. Prof. Dr. Daniel Fulda, * * * Geschäftsführender Direktor des Interdisziplinären Den Kolleginnen und Kollegen im Direktorium sowie Zentrums für die Erforschung der Europäischen den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des IZEA Aufklärung danke ich erneut für ihr großes Engagement und allen Freunden und Gästen des Hauses für ihr Inter- esse an unserer Arbeit und für ihre Beiträge. Den Mitarbeitern im Haus danke ich umso mehr, als längere Ausfallzeiten – z.T. freilich aus höchst er- freulichem Grund – zu verkraften waren. Die Ein- satzbereitschaft der Mitarbeiter weit über das Pflichtgemäße hinaus war beeindruckend! Die For- schungskoordinatorin Dr. Andrea Thiele verdient dabei besonders genannt zu werden. Frau Dr. The- resa Schön trat neu als wiss. Mitarbeiterin ins IZEA ein und bewährte sich sogleich glänzend, insbeson- dere mit der sehr aufwendigen Unterstützung des Antrags auf ein European Training Network (ERC- gefördertes Graduiertenkolleg mit Partnern aus sieben Ländern) zum Thema „Historicization and Its Counterparts“. Gezeigt hat sich allerdings auch, wie dünn die Per- sonaldecke des IZEA ist. Sollten die Mitarbeiter künftig zur vollen Lehre verpflichtet werden, könnte die bisherige Intensität der Forschung und Frequenz der Veranstaltungen nicht aufrechterhalten werden. Dank für vielfältige Anteilnahme und Unterstützung gebührt ebenso den Verantwortlichen und anderen Begleitern in der Universität und der internationa- len Wissenschaftlergemeinschaft. Sie ermutigen uns
3 2 | DIREKTORIUM UND INTERNATIONALER WISSENSCHAFTLICHER BEIRAT GESCHÄFTSFÜHRENDER DIREKTOR Prof. Dr. Daniel Fulda (Germanistik) MITGLIEDER DES IZEA-DIREKTORIUMS Prof. Dr. Thomas Bremer (Romanistik) Prof. Dr. Daniel Cyranka (Religionswissenschaft) Prof. Dr. Elisabeth Décultot (Germanistik) Prof. Dr. Jörg Dierken (Ev. Theologie) Prof. Dr. Robert Fajen (Romanistik) Prof. Dr. Daniel Fulda (Germanistik) Dr. Frank Grunert (Philosophie) Prof. Dr. Wolfgang Hirschmann (Musikwissenschaft) Prof. Dr. Heiner F. Klemme (Philosophie) Prof. Dr. Andreas Pečar (Geschichte) Prof. Dr. Jürgen Stolzenberg (Philosophie) Prof. Dr. Heinz Thoma (Romanistik) Prof. Dr. Sabine Volk-Birke (Anglistik) INTERNATIONALER WISSENSCHAFTLICHER BEIRAT Prof. Dr. Laurenz Lütteken (Universität Zürich, Schweiz) (Vorsitzender) Anke Berghaus-Sprengel (Halle), Direktorin der Universitäts- und Landesbibliothek Prof. Dr. Albrecht Beutel (Universität Münster) Prof. Dr. Ann Blair (Harvard University, USA) Prof. Dr. Michel Delon (Université Paris-Sorbonne, Frankreich) Prof. Dr. Avi Lifschitz (University of Oxford, Großbritannien) Prof. Dr. Robert Louden (University of Southern Maine, USA) Dipl. Ing. Brigitte Mang (Dessau-Rosslau), Direktorin der Kulturstiftung Dessau-Wörlitz Prof. Dr. Steffen Martus (Humboldt-Universität zu Berlin) Prof. Dr. Laura Stevens (University of Tulsa, USA)
4 3 | PERSONAL Über das Immanuel Kant-Forum waren Dr. Gabriel Rivero und Daniel Stader sowie Dr. Falk Wunderlich, jeweils vom Institut für Philosophie, mit dem IZEA verbunden. Das IZEA verfügte im Jahr 2019 in seiner Grundaus- Auch 2019 unterstützen mehrere studentische stattung über dreieinhalb Mitarbeiterstellen: Hilfskräfte die Geschäftsführung sowie die Projekte Durchgängig war Dr. Frank Grunert (Philosophie) als des IZEA: Julius Schwenke bis zur Aufnahme seines Wissenschaftlicher Mitarbeiter für das IZEA tätig. In Referendariats, seine Nachfolge trat im November Vertretung unserer Wiss. Mitarbeiterin Dr. Catheri- Jacques Fabiunke an. Laura Dürkop und Daniel Janz ne Ballériaux (Geschichte, im Mutterschutz ab Feb. waren ebenfalls als Hilfskräfte tätig. Im Thomasius- 2018) waren seit dem 15. Juni 2018 Dr. Theresa Projekt war durchgängig Moritz Waitschies, bis April Schön (Anglistik) sowie Dr. Holger Glinka (Philoso- 2019 Jan-Luca Albrecht von Mai bis Sept. 2019 Nico- phie) jeweils bis Feb. 2019 mit je einer 50 %-Stelle le Schindler sowie seit Sept. 2019 Paula Sturm tätig, im IZEA beschäftigt. Dr. Theresa Schön trat zum für das Sulzer-Projekt durchgängig Baptiste 1. Mai die Nachfolge von Dr. Ballériaux an, die nach Baumann. ihrem Mutterschutz eine Stelle bei der Europäi- Nicolo Marchi aus Padua (Italien) war von Anfang schen Union in Brüssel annahm und aus dem IZEA März bis Anfang Juli im Rahmen eines Eras- ausschied. Unsere Wiss. Mitarbeiterin Dr. Anne mus+Trainee-Programms als Praktikant der Ge- Purschwitz (Geschichte) (50%) befand sich ab Juli in schäftsführung am IZEA und stellte eine besondere Mutterschutz und Elternzeit. Ihre Vertretung trat im Unterstützung u.a. bei der Durchführung vieler November Donatus Herre an. Die Stelle der For- Veranstaltungen dar. Als freier Mitarbeiter gestalte- schungskoordinatorin des IZEA besetzte durchgän- te Ronny Edelmann wie bereits in früheren Jahren in gig Dr. Andrea Thiele. bewährter Zusammenarbeit den überwiegenden Dr. Martin Kühnel (Politikwissenschaft) und Dr. Teil unserer Plakate und Werbematerialien. Auch in Matthias Hambrock (Geschichte) arbeiteten weiter der Bibliothek arbeiteten verschiedene studentische als Wissenschaftliche Mitarbeiter an dem durch die Hilfskräfte als Aufsicht. DFG geförderten Projekt der Edition der Briefe von Die beiden vollen Stellen im Sekretariat waren 2018 und an Christian Thomasius. durchgehend mit Nancy Thomas und Josephine Das DFG-Projekt zur Historisch-kritischen Edition Zielasko besetzt. Ramona Abramowitsch seit 2018 des Wolff-Manteuffel-Briefwechsels gelangte zum Auszubildende zur Kauffrau für Büromanagement Druck, die drei Bände erschienen im Juni 2019, die im Sekretariat, verließ das IZEA im August 2019, um Stellen von Dr. Hanns-Peter Neumann und Dr. Ka- fortan die Personalabteilung der MLU zu verstärken. tharina Middell waren 2018 ausgelaufen. Technische Unterstützung erhielt das IZEA von Sei- ten der Universität durch die beiden Hausmeister Die Arbeit der im Rahmen der Alexander von Hum- Bernd Kraft und Raik-Peter Winkler. boldt-Professur von Prof. Dr. Elisabeth Décultot betriebenen Forschungsprojekte am IZEA wurde fortgesetzt. An der Sulzer-Edition arbeitete als Wis- senschaftliche Mitarbeiter(in) Dr. Jana Kittelmann (Germanistik). Prof. Dr. Helmut Zedelmaier hatte im 4 | GASTWISSENSCHAFTLER Rahmen der Forschungen der Humboldt-Professur von Prof. Dr. Elisabeth Décultot zu Autorschaft, Schriftkultur und Wissenspraktiken in der frühen Neuzeit eine Mitarbeiterstelle inne. Aleksandra Ambrozy war als Wissenschaftliche Mitarbeiterin für Im Jahr 2019 forschten wieder zahlreiche Gastwis- Elisabeth Décultot tätig. senschaftler und Stipendiaten am IZEA: In den zum Forschungsprogramm des IZEA gehö- Dr. Dragana Grbić (Belgrad/Köln), ehemals Stipendi- renden Projekten waren darüber hinaus im Jahr atin am IZEA, nahm im Wintersemester 2018/19 2019 folgende Wissenschaftler und Wissenschaftli- eine Gastprofessur am Institut für Slavistik der Mar- che MitarbeiterInnen in Universitätsinstituten tätig: tin-Luther-Universität statt. Im Sommer 2019 fan- den – auch im IZEA – Dreharbeiten mit einem serbi- PD Dr. Damien Tricoire, Dr. Paul Beckus (beide Insti- schen Fernsehteam für einen von Frau Grbić konzi- tut für Geschichte), Dr. Martin Dönike (Institut für pierten Film über den serbischen Aufklärer Dositej Germanistik), Dipl. theol. Constantin Plaul (Institut Obradovic statt. für Systematische Theologie und Praktische Theolo- gie und Religionswissenschaften)
5 April 2019 Forschungsprojekt: The origins of anti- Im April forschte Prof. Dr. Elena Agazzi (Universität intellectualism: Political practices in the French Bergamo (Italien)), mit einer Gastprofessur der revolutionary period Martin-Luther-Universität an der Philosophischen Vortrag am 8. Juli 2019: Les Origines de l’anti- Fakultät II in Halle. Am 11. April 2019 hielt sie einen intellectualisme: pratiques culturelles et politiques Vortrag am IZEA unter dem Titel: „L’homme est né de la Révolution française. imitateur“. Die besondere Vision der Antike in De August bis September 2019 l’origine des loix, des arts, et des sciences (1758) Dr. Sally Gomaa (Kairo, Ägypten) von Yves-Antoine Goguet. Hamburger Stiftung zur Förderung von Wissenschaft und Kultur April bis August 2019 Forschungsprojekt: Die Koranübersetzungen des Prof. Dr. Laura M. Stevens (Universität Tulsa (USA)), Theologen Friedrich Eberhard Boysen. Mitglied des IZEA-Beirats, war ausgestattet mit Vortrag am 30. September 2019: Friedrich Eberhard einem Fulbright-Stipendium von April bis August Boysens Koranübersetzung vor dem Hintergrund 2019 zu Gast am IZEA. Im Rahmen dieses Stipendi- der Übersetzungstraditionen des 18. Jh. ums war sie auch für die von ihr zusammen mit Prof. Dr. Sabine Volk-Birke und Prof. Dr. Daniel August bis September 2019 Fulda organisierte Tagung „The Place of Religion in Dr. Alessandro Nannini (Bukarest, Rumänien) the Enlightenment“ verantwortlich und brachte im Hamburger Stiftung zur Förderung von Wissenschaft Rahmen dieser Tagung wiederum viele amerikani- und Kultur sche Kolleginnen und Kollegen nach Halle. Forschungsprojekt: The Birth of Scientific Aesthetics at the Intersection between medicina mentis and Stipendienprogramme des IZEA the rise of Psychotherapy. Vortrag am 30. September 2019: Curing through Die 2017 erneut bewilligten Stipendienprogramme, Aesthetics. das jeweils im Frühjahr ausgeschriebene Stipendium für Aufklärungsforschung, finanziert von der Ham- September bis Dezember 2019 burger Stiftung zur Förderung von Wissenschaft und Morgan Golf-French (London) Kultur sowie das im Herbst ausgeschriebene Wie- Hamburger Stiftung zur Förderung von Wissenschaft demann-Stipendium für Aufklärungsforschung, und Kultur ermöglicht durch die Dr. phil. Fritz-Wiedemann- Forschungsprojekt: Kriegsgefangene im europäi- Stiftung, wurden erneut mit Frist zum 31. März und schen Denken im Zeitraum von 1700-1815. 30. September bekannt gemacht und vergeben. Vortrag am 9. Dezember 2019: Prisoners of War in European Thought 1700–1815. Nach wie vor werden die Stipendien gerade auch durch internationale Wissenschaftler stark nachge- fragt. Unsere Gäste aus dem In- und Ausland beför- dern den wissenschaftlichen Austausch am Haus in Gäste der Alexander von Humboldt-Professur für besonderem Maße. Dies waren im Jahre 2019: neuzeitliche Schriftkultur und europäischen Wissenstransfer Januar bis April 2019 Sebastian Abel (Universität Trier) 17. Juni 2019 bis 1. .Juli 2019 Wiedemann-Stipendium für Aufklärungsforschung Prof. Dr. Robert Norton (University of Notre Dame, Forschungsprojekt: Metaphysik und Wunderkritik – Indiana, USA) Leibniz, Wolff, Reimarus Auf Einladung von Prof. Dr. Décultot (Vortrag am 2. April 2019) Workshop 27.–28. Juni 2019: Lumières – Aufklärung - Enlightenment – Illuminismo: Kritische Auseinan- April bis Juli 2019 dersetzungen / Lecture critques / Critical reading Roey Reichert (UCLA, Californien) Hamburger Stiftung zur Förderung von Wissenschaft 24. Juni 2019 bis 30. Juni 2019 und Kultur Dr. Laura Macor (Verona) Forschungsprojekt: Nationalism and Cosmopolita- auf Einladung von Prof. Dr. Décultot nism in the Early German Enlightenment Workshop 27.-28. Juni 2019: Lumières – Aufklärung (Vortrag am 8. Juli 2019) – Enlightenment – Illuminismo: Kritische Auseinan- dersetzungen / Lecture critques / Critical reading Juni und Juli 2019 Dr. David Matteini (Fellow an der Fondazione Luigi Einaudi, Turin) Wiedemann-Stipendium für Aufklärungsforschung
6 5 | SACHMITTEL Für das Jahr 2019 wurden dem IZEA durch die Uni- versität 25.000 € Haushaltsgeld zur Verfügung ge- stellt. Die Dessau-Wörlitz-Kommission erhielt für ihre Aktivitäten im Jahre 2019 5.000 €. Für die Tagung über den Aufklärer Johann Karl We- zel stellte die Universität darüber hinaus 1.000 € zur Verfügung. Im Berichtsjahr konnten für 10706,73 € Bücher für die im Obergeschoss unseres Zentrums befindliche Bibliothek – Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt, Zweigstelle Ha 179 – angeschafft werden; zuzüglich kamen 2668,94 € aus dem Budget der Humboldt-Professur. Von den Hoch- schulpaktmitteln wurden der Bibliothek 1495,40 € zugesprochen; für den Zeitschriftenerwerb 3192,40 €. Aus den Overheadmitteln wurden insgesamt 6.483,68 € abgerufen. Für die Stipendien der Hamburger Stiftung zur För- derung von Wissenschaft und Kultur wurden 2019 13.800 €, aus Mitteln der Fritz-Wiedemann-Stiftung 6.900 € ausgegeben. Für den Studientag des IZEA am 15. April 2019 stell- te die Wiedemann-Stiftung zusätzlich 500 € zur Verfügung. 6 | BIBLIOTHEK Die Bibliothek ist am Montag, Mittwoch und Don- nerstag von 12.00 bis 18.00 Uhr, am Dienstag von 10.00 bis 18.00 Uhr und am Freitag von 10.00 bis 13.00 Uhr geöffnet. Der jährliche Anschaffungsetat, der dankenswerterweise mit Mitteln der Humboldt- Professur aufgestockt wird, erlaubt es, die bemer- kenswerte Sammlung von Quellen- und Forschungs- literatur kontinuierlich auszubauen. Der ‚Normalbe- trieb‘ verläuft – wie seit Jahren – problemlos. Das gute Einvernehmen zwischen dem Fachreferenten Götz-Olaf Wolff, der zuständigen Bibliothekarin Sylvia Queck, den studentischen Hilfskräften und dem Bibliotheksbeauftragten Dr. Frank Grunert sowie der Forschungskoordinatorin sorgt für rei- bungslose Abläufe.
7 7 | FORSCHUNGSPROJEKTE larisierung erhebliche Probleme verbunden. Einer- seits stellt er darauf ab, dass die Religion eine zu- nehmend ausdifferenzierte eigene Sphäre neben anderen Sphären des sozialen Lebens in Wirtschaft, Politik, Wissenschaft usw. wird. In dieser Sphäre A. IDEEN, PRAKTIKEN, INSTITUTIONEN gehe es nicht um Sekundäreffekte der Religion wie Moralbildung, soziale Integration usw., sondern Forschungsfeld 1: Religion würde durch solche Säkularisierung gerade Kulturmuster der Aufklärung als Religion – in Gestalt von Glauben, Kult und Frömmigkeit – praktiziert und käme damit geradezu zu sich selbst. Säkularisierung Andererseits wird unter Säkularisierung verstanden, dass die vormals in sakrale Formen eingekleideten – ein Kulturmuster der Aufklärung? und kommunizierten Gehalte nunmehr in weltliche Prof. Dr. Jörg Dierken Muster überführt werden. Klassische Beispiele sind die soziale Aufwertung des Individuums als Säkulari- Der Begriff der Säkularisierung gehört zu den sierung der Gottunmittelbarkeit des Einzelnen oder Schlüsselkonzepten zur Beschreibung des Verhält- das Konzept der Menschenrechte als innerweltlich- nisses von Religion und Gesellschaft nach der Auf- sakralisierende Umbesetzung der Vorstellung von klärung. Danach hat sich die Rolle der Religion und der Gottebenbildlichkeit des Menschen. Wesentli- ihrer institutionellen Repräsentanten in der Moder- che Begriffe des Rechts und der Politik wurden als ne dramatisch gegenüber vormodernen Zeiten ge- säkularisierte theologische Begriffe verstanden, ändert. Religion ist nicht mehr die nahezu allzustän- etwa Souveränität, Macht oder Entscheidung. Zu dige Instanz der Steuerung des Gemeinwesens. Mit den Paradoxien des Säkularisierungskonzepts ge- der Aufklärung hat sie ihre Funktion, zentrale Quelle hört auch, dass die Rede von einer säkularen Gesell- des Normativen zu sein und ein integratives Band schaft auf die Religion als Kontrastfolie zurückgrei- für die Mitglieder der Gesellschaft zu bieten, einge- fen muss, mithin das Religionsthema gerade im büßt. Der Rückgang ihrer Autorität ist unverkenn- Negativ präsent bleibt. Das Forschungsprojekt erör- bar. Gegenüber der Vernunft und ihren Autonomie- tert die Leistungskraft, aber auch die Grenzen dieses vorstellungen sowie gegenüber innerweltlich- Schlüsselkonzepts der Moderne nach der Aufklä- rationalen Formen des Handelns in Politik, Wirt- rung. schaft und Kultur ist sie in die Defensive geraten. Gesellschaft und Kultur scheinen in der Moderne zunehmend säkular zu werden. Und die Religion, sofern sie nicht unkenntlich wird oder gar ver- schwindet, scheint teils ganz ins Weltliche und seine Historisieren implizite Normativität einzugehen, teils sich in die Prof. Dr. Daniel Fulda Nischen und an die Ränder des sozialen Lebens zurückzuziehen. Säkularisierung wurde und wird vielfach als wesentliches Kulturmuster für die durch Zu historisieren, d.h. alles Sein in seinem Gewor- die Aufklärung entzauberte Moderne verstanden. In densein zu sehen und daraus zu verstehen, gilt seit diesem Sinne wurde und wird der Begriff der Säku- Troeltsch, Koselleck und Foucault als grundlegendes larisierung vielfach zur Beschreibung und Analyse Denkmuster der kulturellen Moderne, das entschei- der modernen Gesellschaft nach der Aufklärung dend im langen 18. Jahrhundert geprägt wurde. Zu verwendet. historisieren stellt Kontinuitäten her und reagiert dadurch auf eine spezifisch moderne Kontingenzer- Allerdings erheben sich eine Reihe offener Fragen. fahrung. Die praktische Relevanz ist vielfach und Phänomenal reibt sich die Diagnose eines perma- weitreichend: Geschichtlich zu denken steuert seit- nenten Schwundes von Religion mit ihrer Wieder- dem politische Legitimationsstrategien ebenso wie kehr, insbesondere in Gestalt von Fundamentalis- ästhetische Wertmaßstäbe, die Methodik der Geis- men verschiedenster Art. Sie betreffen nicht nur die teswissenschaften ebenso wie das Identitätsma- islamische Welt, sondern auch das Christentum und nagement moderner Subjekte. andere Religionen. Die Säkularität der Gesellschaft erweist sich als v. a. europäisches Phänomen, in Verstärktes Interesse findet das Historisieren seit anderen, durchaus stark modernisierten Gesell- einigen Jahren nicht nur hierzulande, sondern (als schaften sind religiöse Gruppen und Semantiken im historicizing oder historicization) auch in der anglo- öffentlichen Raum sehr stark vertreten. Auch ge- phonen Forschung. Gleichwohl ist die Forschungsla- danklich-konzeptuell sind mit dem Begriff der Säku- ge unbefriedigend:
8 1. Historisierung gilt als ein Vorgang, der im Laufe Agazzi: Romanhaftes Erzählen von Geschichte. Ver- der europäisch-westlichen Neuzeit immer weitere gegenwärtigte Vergangenheiten im beginnenden Bereiche von Kultur und Gesellschaft dem ‚histori- 21. Jahrhundert, Berlin/Boston: De Gruyter 2019, schen Denken‘ unterwarf. Doch ist die damit ein- S. 81–110. hergehende Annahme zu hinterfragen, mehr Histo- risieren gehe regelmäßig mit zunehmendem Gel- ‚Klassiker‘ als Konstrukt der Aufklärung tungsverlust der universalen Vernunft, einer als unwandelbar vorausgesetzten Natur, religiöser Prof. Dr. Daniel Fulda Transzendenzpostulate, der Tradition oder anderer Maßstäbe einher, die jeweils (noch) nicht histori- Das 18. Jahrhundert ist das klassizistische Jahrhun- siert sind oder als prinzipiell nicht historisierbar dert par excellence: In der Architektur, der Literatur vorausgesetzt werden. Mit der Leitfrage nach dem und der Kunst erlebte die formale und normative paradoxen Zusammenwirken von Historisierung und Vorbildlichkeit der Antike gleich mehrere Hochpha- ihren – weiterbestehenden oder sogar integrierten sen, ebenso prägte sie Diskurse und Ikonographien – ‚Widerparten‘ soll das Forschungsfeld neu geöff- der Politik und schlug sich in der Revolutionszeit net werden. sogar in der Mode nieder. Hinzu kam ein das Jahr- hundert durchziehendes Bestreben, selbst klassisch Unbefriedigend ist 2. die Konzentration der For- zu werden bzw. Werke, Künstler und Autoren der schung auf die Geschichtsvorstellungen der Philoso- eigenen Nation, ja eine ganze Epoche der eigenen phen und Dichter sowie auf die großen Autoren der Geschichte als normgebende Orientierungspunkte Historiographiegeschichte. Die im Forschungsfeld zu kanonisieren. In Frankreich feierte man die Epo- Historisierung unternommenen Untersuchungen che Ludwigs XIV. retrospektiv als höchste Blüte der zielen gleichermaßen auf die Praktiken der Histori- Kulturgeschichte, auf der anderen Seite des Rheins sierung, um deren immense Reichweite präziser erwartete man ein klassisches Zeitalter der deut- bestimmen zu können. Die Arbeit im Projektbereich schen Literatur für die nahe Zukunft. setzte D. Fulda u.a. mit der Planung und Organisati- Als Phänomen ist die Hochkonjunktur des Klassizis- on eines interdisziplinären Handbuchs zum Thema mus in der Aufklärung recht gut bekannt, doch wirft Literatur & Geschichte fort, das 2021 im Verlag de sie nach wie vor Deutungsfragen auf, die fundamen- Gruyter erscheinen soll (Mitherausgeber: Franz tal sind für unser Verständnis der Epoche: Wie ver- Leander Fillafer, Konstanz; Mitarbeit: Christian trug sich die massive, das Jahrhundert durchaus Helmreich, Germanistisches Institut Halle). kennzeichnende Neigung zum Klassischen, sei es das Antike, das Normative oder beides zugleich, mit Des Weiteren wurde ein ERC-Antrag auf Einrichtung der Ausrichtung auf eine bessere Zukunft und der eines European Training Network (Graduiertenkol- Autoritätskritik, die als charakteristisch für die Auf- leg) zum Thema „Historicization and its Counter- klärung gelten? Bestand hier ein fundamentaler parts / Historisierung und ihre Widerparte“ erarbei- Konflikt, oder ist das Verhältnis von Aufklärung und tet mit acht akademischen und einem nicht- Klassizismus als komplementäre Ergänzung zu ver- akademischen Partner aus sechs europäischen Län- stehen, die gerade deshalb produktiv wurde, sei es dern sowie zahlreichen Kulturinstitutionen und kulturell, sei es politisch, weil sie divergierende Medienhäusern. Nicht zuletzt dank der höchst en- Bedürfnisse integrierte? Wie viel normativ befestig- gagierten und ideenreichen Unterstützung durch Dr. te Beheimatung im Klassischen brauchten ein sich Theresa Schön konnte der Antrag pünktlich am als aufgeklärt begreifender, freier Geist und eine in 14. Januar 2020 abgegeben werden. Bewegung kommende Gesellschaft, in der die tradi- Vortrag: tionellen Ordnungen des Wissens, Glaubens und 6. Dezember 2019 Handeln keine selbstverständliche Geltung mehr Zentrum für Literatur- und Kulturforschung, Berlin, besaßen? Oder umgekehrt: wie viel Originelles soll- Jahrestagung „Historisieren“ Vortrag: Verlockung te in die Nachahmung der klassischen Vorbilder und Unvermeidlichkeit des Anachronismus. Grenzen eingehen; wie viel (bewusste) Konstruktion steckt in des Historisierens in der Gegenwartsliteratur [mit der idealisierenden Kanonisierung von Klassikern? Stoffen aus dem 18. Jh.] Dass das Verhältnis der Aufklärung zum Klassizismus kaum ohne Paradoxien auskam, zeigt exemplarisch Publikation: ein berühmtes Zitat Johann Joachim Winckelmanns: Daniel Fulda: Liebe geht durch alle Zeiten? Histori- „Der einzige Weg für uns, groß, ja, wenn es möglich sche und poetologisch-selbstreflexive Anachronis- ist, unnachahmlich zu werden, ist die Nachahmung men im romanhaften Geschichtserzählen von Se- der Alten“. Winckelmanns Wunsch, die Modernen xualität und Geschlechterrollen, in: Daniel Fulda u. möchten unnachahmlich werden, kann man so Stefan Jäger (Hg.), in Zusammenarbeit mit Elena verstehen, dass er sich die gelungene Orientierung
9 an den antiken Vorbildern zugleich als Emanzipation staltet. Unter dem Titel „Natural Law in Eastern von ihnen denkt. In der Tat fand seine Bewunderung Europe“ jenseits des westeuropäisch geprägten der Griechen in der Geschichte der Kunst des Alter- Mainstreams des Naturrechts und der Naturrechts- tums (1764) eine Form, die das ästhetische Ideal forschung ging es erstmals darum, Zugänge zum nicht nachahmt, sondern in eine andere Gattung Naturrecht im Osten Europa zu erschließen. Durch wechselt. Indem er den idealisierten Gegenstand die Thematisierung Osteuropas im Rahmen der aus einmaligen historischen Umständen erklärte, frühneuzeitlichen Naturrechtsforschung sollte ein rückte er ihn zugleich in eine gewisse reflexive Dis- seit langem formuliertes Desiderat eingelöst wer- tanz: Historisierung als eine Möglichkeit, Aufklärung den. Denn bisher sind systematische Forschungen und Klassizismus auszubalancieren. Insbesondere zu der Entwicklungsgeschichte des Naturrechts in die – von den Zeitgenossen erstmals als solche an- Osteuropa, und das meint hier den Teil Europas, der erkannten – ‚deutschen Klassiker‘ um 1800 wurden sich jenseits der Ostgrenzen des Alten Reichs befin- erst, so die These, möglich durch ein historisieren- det, unterblieben. Obwohl die politische Ideenge- des Selbstverständnis. schichte Osteuropas gerade in ihrer komplexen Interaktion mit derjenigen Westeuropas sowohl in Die Arbeit am Thema wurde 2019 u.a. durch die der Abgrenzung wie in der Rezeption in einer dop- Publikation eines Aufsatzes vorangetrieben. pelten Perspektive von besonderem Interesse ist, ist Neue Aufmerksamkeit galt dabei der gegenwärtigen das Naturrecht Osteuropas noch immer eine terra gesellschaftlichen Geltung von ‚Klassikern‘ und der incognita. Die dabei naheliegenden, sich in systema- Rolle, die das Verlagswesen dabei spielt. tischer, historischer und interdisziplinärer Hinsicht stellenden Fragen wurden noch nicht gestellt, ge- Vorträge: schweige denn beantwortet: Auf welchen Wegen 17. Januar 2019 wurden die Werke und Lehren des modernen Na- Goethegesellschaft Halle turrechts in Osteuropa rezipiert? Um welche Texte Vortrag: Seit wann und warum spricht man von handelte es sich genau? In welchem Maße beein- "deutschen Klassikern"? Eine Spurensuche, die nach flusste dieses Gedankengut die politischen Kulturen Wien führt, vor 230 Jahren... jenseits der Ostgrenzen des Alten Reiches? Mit 20. Mai 2019 welchen Beiträgen bereicherten Denker und Internationale Graduiertenschule „Verbindlichkeit Staatsmänner aus Osteuropa die gesamteuropäi- von Normen der Vergesellschaftung“, MLU Halle, sche Tradition des modernen Naturrechts? Vortrag: ‚Klassiker‘ als Erzeugung literarästhetischer Mit Beiträgen zum Naturrechtsunterricht in osteu- Verbindlichkeit ropäischen Städten wie u.a. Moskau, Sankt Peter- burg, Vilnius, Elbląg, Toruń, Prag, Wien, Tyrnau Publikation: (Trnava), Sárospatak und Klausenburg (Cluj-Napoca) Daniel Fulda: Klassiker – eine merkmalsunabhängige konnte der bisherige Stand der nur vereinzelten Wertzuschreibung. In: Paula Wojcik [u.a.] (Hg.): Forschug bedeutend weiterentwickelt werden. Klassik als kulturelle Praxis. Funktional, intermedial, Außerdem konnten grenzübergreifende Rezepti- transkulturell. Berlin, Boston: de Gruyter 2019 onsphänomene in den Blick genommen werden, (spectrum Literaturwissenschaft / spectrum Litera- etwa die Grotius-Rezeption von polnischen Sozinia- ture. 62), S. 73–108. nern, der Einfluss von Pufendorfs Lehrbüchern in den lutherischen Städten im Nordosten Polens oder die Naturrechtsrezeption der Unitarier in Sieben- bürgen. Jenseits dieser protestantischen Rezepti- onsbewegung bedienten sich aber auch Katholiken naturrechtlicher Argumente, dies gilt insbesondere Natural Law 1625–1850: für die Staatstheoretiker des Habsburgerreiches. An international Research Network Der Tagung gelang es, eine Besonderheit des osteu- ropäischen Naturrechtsdiskussion zu beleuchten, Europäischer Forschungsverbund unter der Leitung nämlich die Spannung zwischen den „von oben“ von Dr. Frank Grunert, Prof. Dr. Dr. Knud Haakons- oktroyierten Staatstheorien, Regelungen, Maßnah- sen (Erfurt/St. Andrews) und Prof. Dr. Diethelm men und Gesetzen und den „von unten“ entwickel- Klippel (Bayreuth) ten und gegen die zentralen Staatsgewalten gerich- teten Identitätsdiskursen von religiösen oder natio- Das vom Max-Weber-Kolleg der Universität Erfurt nalen Gruppierungen, die beide gleichermaßen auf und vom IZEA institutionell getragene internationale Elemente der modernen Naturrechtslehre zurück- Netzwerk „Natural Law 1625-1850“ hat vom 21. bis gegriffen haben. 23. November 2019 in Erfurt seine 5. Tagung veran-
10 Die Resultate der im Zusammenhang der Tagung Fiammetta Palladini: Samuel Pufendorf Disciple of durchgeführten archivarischen und philologischen Hobbes. For a Re-Interpretation of Modern Natural Grundlagenforschungen werden in die Datenbank Law des Netzwerkes „Natural Law 1625-1850“ aufge- Ein weiterer Band zu Kants „Naturrecht Feyer- nommen. Ein Sammelband der Konferenzreferate wird in englischer Sprache in der Bücherreihe des abend“ hat das Review-Verfahren erfolgreich durch- laufen und wird derzeit für den Druck vorbereitet, in Netzwerkes bei Brill erscheinen. Arbeit ist ein Sammelband zum Naturrecht von In Zusammenarbeit mit dem Forschungszentrum Johann Gottlieb Heineccius. Gotha hat das Netzwerk ebenfalls im November 2019 einen Workshop zu handschriftlichen Nutzer- Marginalien in Exemplaren von Grotius „De iure belli ac pacis“ durchgeführt: Marginalia at the cent- Konzentration und Selbstdisziplin. re: Contrasting readings of Grotius’ De iure belli ac Formen und Funktionen des Gebets im pacis. Der Forschung ist aufgefallen, dass das weit- langen 18. Jahrhundert in Großbritannien verbreitete naturrechtliche Hauptwerk von Grotius häufig Lesespuren aufweist, die für die Rezeptions- Prof. Dr. Sabine Volk-Birke geschichte des Werkes aufschlussreich sein können. Das Forschungsprojekt zu Formen und Funktionen Anhand von ausgewählten Beispielen wurde nun des christlichen Gebets im langen 18. Jahrhundert den Lesespuren nachgegangen. Auf dem Workshop ist prinzipiell international und multidisziplinär an- wurde eine größere Tagung verabredet, die der gelegt. Christliches Gebet in dieser Zeit wird maß- Grotius-Rezeption aus Anlass des Erscheinungsjubi- geblich durch drei Ereignisse geprägt: die Reforma- läums von „De iure belli ac pacis“ 2025 gewidmet tion, die Aufklärung, und die Ausbreitung des Glau- sein wird. bens durch Kolonisierung und Mission. Die Vorbereitungen zur Edition der als Manuskript Mein Forschungsschwerpunkt ist Teil einer Koope- vorliegenden Grotius-Vorlesung von Christian Wolff ration mit Prof. Dr. Laura Stevens, University of sind weiter vorangeschritten. Inzwischen ist ein von Tulsa (Oklahoma, USA) und Prof. Dr. William Gibson Holger Glinka und Frank Grunert verfasster Beitrag (Oxford Brookes University, GB). Während der Fo- in einem von Jörn Bohr herausgegebenen und der kus zunächst auf dem christlichen Gebet in den Edition von Kollegheften und Kollegnachschriften Jahren 1600–1800 liegt, ist eine Erweiterung des gewidmeten Sonderheft der Zeitschrift Editio er- Forschungsgebiets um andere Religionen (Islam, schienen, der das Manuskript und seine Tradierung Judentum, Hinduismus) für die Zukunft geplant. beschreibt. Für die Formulierung eines Drittmittel- antrags, mit dessen Hilfe die Edition durchgeführt Zum Phänomen des Gebets gehören sowohl Prakti- werden kann, ist die Auswertung einer weiteren ken wie Theorien, deren Zusammenspiel und Kon- Mitschrift von Wolffs Grotius-Vorlesung notwendig, textualisierungen bisher nicht ausreichend erforscht die in Danzig ausfindig gemacht werden konnte. Das wurden, auch wenn viele theologische Fragen, die Manuskript dokumentiert Wolffs frühe Beschäfti- Geschichte der Kirchen, sowie religiöse Kulturen gung mit Grotius‘ De iure belli ac pacis und ist daher untersucht wurden. Wenn man unter Gebet das mit Blick auf Wolffs Entwicklung in der Auseinan- Bemühen versteht, in Wort und Tat in einen dialogi- dersetzung mit dem Naturrecht von besonderem schen Austausch mit Gott zu treten, dann handelt es Interesse. Ein Scan des gesamten Manuskripts ist sich dabei um eine religiöse Praxis, die sich grundle- bestellt, liegt aber noch nicht vor. gend auf das menschliche Leben in all seinen Aus- prägungen bezieht, seien sie individuell oder ge- Die vom Netzwerk gegründete Reihe Early Modern meinschaftlich. Da das Gebet an keine gesellschaft- Natural law. Studies and Sources wird von Frank liche Schicht, Alter, Geschlecht, Bildung, Sprache Grunert, Knud Haakonssen und Diethelm Klippel oder sonstige Distinktionsmerkmale gebunden ist, beim Brill Verlag in Leiden herausgegeben. Im Be- kann es als Schnittstelle multidiziplinärer Untersu- richtszeitraum konnten die folgenden drei Bände chungen dienen und soll zu einem umfassenderen erscheinen: Verständnis nicht nur der kulturellen und politi- Simone Zurbuchen: The Law of Nations and Natural schen Verfasstheit, sondern auch der spezifischen Law 1625-1800. mentalen und spirituellen Grundlagen des langen 18. Jahrhunderts führen. Neben katechetischen Mads L. Jensen: A Humanist in Reformation Politics. Texten und einer reichen Andachtsliteratur sowie Philipp Melanchthon on Political Philosophy and deren Paratexten spielen nicht zuletzt Kunstformen Natural Law. wie z.B. Musik, Lyrik, Architektur, Malerei eine gro- ße Rolle.
11 Die literatur- und kulturwissenschaftlichen anglisti- Forschungsfeld 2: schen Forschungen zu diesem Gebiet müssen den Das Denken der Aufklärung: Gegensatz zwischen Anglikanischer Kirche und Ka- tholizismus einerseits, und Dissent andererseits Begriffe, Argumente, Systeme berücksichtigen. Auch die Überschreitung von Gren- zen, die durch die Rezeption von Andachtsliteratur aus anderen Sprachen und Kulturkreisen vollzogen Kants Angewandte Ethik werden, erfordern Vermittlungs- wie Abgrenzungs- Prof. Dr. Heiner F. Klemme prozesse, die Einblick in die jeweiligen theologi- In dieser als Monographie geplanten Publikation soll schen, politischen und mentalen Erfordernisse des derjenige Bereich der praktischen Philosophie Rezipientenkreises ermöglichen. Kants, der im heutigen Sprachgebrauch als „ange- Die Forschungen zu den Libretti von Händels sakra- wandte Ethik“ bezeichnet werden kann, bearbeitet ler Musik sind erweitert worden in den Bereich der werden. Grundlage des Projekts ist eine Arbeit zu Gender Studies und in den Bereich des englischen Kants „Grundlegung zur Metaphysik der Sitten“ Kirchenlieds (s. Vorträge). Letztere Forschung ist (1785), die im Reclam Verlag publiziert worden ist verzahnt mit der Thematik der internationalen und (Klemme, Heiner F.: Kants „Grundlegung zur Meta- interdisziplinären Konferenz (Halle im Juni 2019) physik der Sitten“. Ein systematischer Kommentar, „Ort und Orte der Religion in der Aufklärung / Place Stuttgart 2017). and places of religion in the enlightenment“ am IZEA in Zusammenarbeit mit der University of Tulsa (OK). Die Publikation ausgewählter Beiträge der Konferenz ist in Vorbereitung. Auch die beiden in- ternational besetzten Sektionen auf der ISECS in Kant in South America Edinburgh mit dem Thema „Shaping sacred space in Prof. Dr. Heiner F. Klemme the enlightenment“, die ich gemeinsam mit Laura Battigelli (SUNY, Plattsburgh) organisiert habe, und In den letzten zwei Jahrzehnten hat die Erforschung die auf großes Interesse stießen, wurden durch die der Philosophie von Immanuel Kant in Südamerika Tagung des IZEA angeregt. einen enormen Aufschwung erlebt. Als ein Meilen- Laufzeit: bis 2021 stein darf der 2005 an der Universität von São Paulo (Brasilien) durchgeführte X. Internationale Kant- Kongress gelten. Das von der EU (H2020-MSCA-RISE- 2017) geförderte Projekt „Kant in South America“ (KANTINSA) will einen international sichtbaren Bei- RCP: The Interdisciplinary Research Network on trag zur Intensivierung der bereits zwischen süd- Christian Prayer, 1500–1800 amerikanischen und europäischen Forschern beste- Theologies, Texts, Performance, Aesthetics henden Kontakte leisten. Prof. Dr. Sabine Volk-Birke Mit dem 2014 am Seminar für Philosophie und am „Interdisziplinären Zentrum für die Erforschung der Interdisziplinäres Forschungsprojekt, zus. mit Prof. Europäischen Aufklärung“ (IZEA) gegründeten Laura Stevens (Anglistik/Amerikanistik), Prof. Immanuel-Kant-Forum verfügt die Martin-Luther- Matthew Drever (Religion), beide University of Universität über eine international bereits hervorra- Tulsa, Oklahoma, USA, sowie Dr. Claire Haynes gend vernetzte Institution, deren Bedeutung durch (Kunstgeschichte, Norwich) und Prof. William Gib- KANTINSA weiter gestärkt wird. Der Schwerpunkt son (Theologie, Oxford Brookes University). der in Halle tätigen Forscher liegt auf der prakti- Prof. Laura Stevens forschte und lehrte als Fulbright schen Philosophie (Ethik, politische Philosophie, Fellow im Sommersemester 2019 in Halle. Rechtsphilosophie) Kants und ihrer Bedeutung für die Gegenwart. An dem Projekt (Laufzeit 2018– 2021) sind folgende Universitäten und Forschungs- einrichtungen beteiligt: Universität Catania, London School of Economics, Universität Lissabon, Universi- tät Santa Caterina (UFSC), Universität Minas Gerais (UFMG), Universität Buenos Aires/ CONICET und MU Halle-Wittenberg.
12 Die Philosophie der Aufklärung Im Allgemeinen kann unter einem Gesetz eine Regel und ihre Kritiker (Hegel, Heidegger, verstanden werden, deren Befolgung notwendig ist Neo-Aristotelismus und andere) (praktische Notwendigkeit, moralische Notwendig- keit). Prof. Dr. Heiner F. Klemme Das Projekt verfolgt eine dreifache Zielrichtung: Im Rahmen dieses Projektes sollen maßgebliche Erstens sollen die verschiedenen Bedeutungen von kritische Stellungnahmen zur Philosophie der Auf- Verbindlichkeit in moralischer und rechtlicher Hin- klärung auf ihren sachlichen und philosophischen sicht im Zeitalter der Aufklärung geklärt und auf Gehalt hin überprüft und diskutiert werden. Ein ihren philosophischen Gehalt hin überprüft werden. Schwerpunkt des Projektes liegt auf der praktischen Zweitens ist danach zu fragen, in welchem Verhält- Philosophie und der Theorie der Subjektivität. Zu nis der Begriff der Verbindlichkeit zu modernen den thematisierten Philosophinnen und Philoso- Theorien praktischer Vernunft (Rationalität) gene- phen gehören u.a. G. W. F. Hegel, Hannah Arendt, rell steht. Und drittens schließlich sollen Bedeu- Martin Heidegger, Philippa Foot, Elisabeth Anscom- tungsfelder von Verbindlichkeit in interdisziplinärer be und John McDowell. Perspektive (Theologie, Geschichte, Literatur etc.) Ein Projekt zum Thema „Kants Begriff der erschlossen werden. (Un)Mündigkeit in historischer und systematischer Perspektive“ ist von der DFG bewilligt worden und „Verbindlichkeit“ ist das Thema einer Internationa- wird seit dem 1. Februar 2018 durchgeführt. Seine len Graduiertenschule („Verbindlichkeit von Nor- Mitarbeiter sind Dr. Gabriel Rivero und Daniel Sta- men der Vergesellschaftung“), die zum Winterse- der. mester 2018/19 an der MLU eingerichtet wurde. Sie wird von Dr. John Walsh koordiniert und von Prof. Dr. Heiner Klemme und Prof. Dr. Andreas Pečar geleitet. Nähere Informationen: Verbindlichkeit und praktische Vernunft http://www.arw.uni-halle.de/ Prof. Dr. Heiner F. Klemme Publikationen „Verbindlichkeit“ wird in der (philosophischen, juris- tischen, theologischen) Terminologie des 18. Jahr- Klemme, Heiner F.: „Freiheit und Selbstherrschaft. hunderts neben dem Wort „Verpflichtung“ als Über den gemeinsamen Grund von Theodizee und Übersetzung von „obligatio“ verwendet (wichtig moralischer Verbindlichkeit beim frühen Kant“, in: sind u. a. Pufendorf und Wolff). Gelegentlich findet Jörg Noller und Sasa Josifovic (Hg.), Freiheit nach sich auch die Verwendung des Begriffs der Pflicht, Kant, Leiden 2019 (Critical Studies in German Idea- der jedoch im engeren Sinne synonym mit „offici- lism, 22) um“ verwendet wird. Während „Verbindlichkeit“ Klemme, Heiner F.: „Über den Begriff einer „Meta- die Beziehung oder das Band („vinculum“) bezeich- physik der Tugend“. Die Vorrede zur Tugendlehre“, net, die oder das zwischen den Menschen und ihren in: Otfried Höffe (Hg.): Immanuel Kant, Metaphysi- allgemeinen Handlungsregeln besteht, drückt der sche Anfangsgründe der Tugendlehre. Berlin, Bos- im engeren Sinne des Wortes gebrauchte Begriff der ton 2019 (Klassiker auslegen). Pflicht eine konkrete Handlung aus, deren Vollzug Publikationen aus dem Projekt s. Kap. 17: Publikati- durch eine Regel, ein Gesetz oder eine Norm von onen. einer Person verlangt wird. Die Verbindlichkeit einer Regel, eines Gesetzes oder einer Norm geht typi- scherweise auf einen Willen zurück, der die Autori- tät besitzt, eine andere Person zu verpflichten (akti- Religionsphilosophie nach der Aufklärung ve und passive Verbindlichkeit bzw. Verpflichtung). Prof. Dr. Jörg Dierken, Dr. Constantin Plaul Prinzipiell betrifft dies den Willen Gottes (göttliches Gesetz) oder den Willen eines Menschen (menschli- Der seit 1770 nachweisbare Begriff der Religionsphi- ches Gesetz). Mit dem Begriff des natürlichen Ge- losophie bezeichnet eine Form des Denkens über setzes stellt sich die Frage, ob dieses auf den Willen Religion, die sich der Vernunft verpflichtet weiß. Gottes selbst zurückgeht oder eine von Gott unab- Begrifflich-kategoriales Nachdenken aus und über hängige Geltung besitzt. Im letzteren Falle (Anti- die göttlichen Dinge ist zwar bereits sehr alt, aber es Voluntarismus) wird die Verbindlichkeit des natürli- gewinnt mit Aufklärung und Moderne eine neue chen Gesetzes auf die Vernunft zurückgeführt, de- Qualität und Dynamik. Dazu gehört maßgeblich, ren Notwendigkeit auch der göttliche Wille unter- dass Religion als ‚Angelegenheit des Menschen‘ worfen ist (Grotius, Wolff). (Spalding) verstanden wird. Die seit 1770 in rascher Folge entstehenden Religionsphilosophien greifen zunächst die ältere theologia naturalis auf, die teils
13 als Ergänzung, teils als kritisches Korrektiv zu der in Vergesellschaftung und Freiheit der biblischen Offenbarung gegründeten Theologie aufgekommen war. Vorformen der Religionsphilo- Prof. Dr. Heinz Thoma sophie reichen in den englischen Deismus und fran- Das Projekt Vergesellschaftung und Freiheit geht zösischen Rationalismus zurück. Inhaltlich entzünde- von drei Beobachtungen aus. Eine erste besteht te sich das neue Interesse der aufkeimenden Religi- darin, dass sich seit dem letzten Drittel des 20. Jahr- onsphilosophie an Fragen der Kompatibilität von hunderts die Diagnosen häufen, dass die Art des Vernunfteinsicht und Offenbarungsautorität sowie Wirtschaftens und des Zusammenlebens des westli- der Bedeutung von Religion für die moralisch- chen Gesellschaftsmodells an seine Grenzen zu praktische Lebensführung. Die Logik und Geltung geraten scheint (Club of Rome, Die Grenzen des von Religion sollte erörtert und mit Blick auf plau- Wachstums 1972). Eine andere Bobachtung betrifft sible humane Erfordernisse der Lebensdeutung und die damit zeitlich zusammenfallende Kritik an der Lebensgestaltung erwiesen werden. Zudem ging es Aufklärung, welche von einem Jahrhundert der darum, das Christentum im Kontext anderer Religi- Emanzipation in ein Jahrhundert der Domestizie- onen und deren Geschichte zu betrachten. rung umgedeutet wird, Hauptvertreter dieser Den- Mit der durch das kritische Denken von Immanuel krichtung ist Michel Foucault. Gleichsam eine Ver- Kant eröffneten Deutschen Klassik kam es zu einem kehrung der Ausgangserwartung der bürgerlichen massiven Aufschwung religionsphilosophischer Formation, die bereits Adorno schon vor Foucault, Entwürfe. Religion wurde zu einem philosophischen in der Dialektik der Aufklärung, allerdings unter den Thema ersten Ranges, bei dem die Vernunft mit Prämissen von Faschismus und Kulturindustrie in ihren Mitteln ihren Grund und ihre Grenzen auslo- Gang gebracht hatte. Eine dritte Beobachtung geht tet. Es geht mithin bei der Religion immer auch um schließlich davon aus, dass sowohl das Zeitalter der die letzte Einheit der Vernunft, welche zugleich an Aufklärung wie unsere jüngere Gegenwart ihre mentale Vollzüge zurückgebunden bleibt. Die damit Infragestellungen des jeweiligen Gesellschaftszu- angezeigte Reformulierung klassischer metaphysi- stands bzw. ihre Selbstthematisierung im Medium scher Themen fokussierte zum einen Struktur und anthropologischer Reflexion vollziehen – mit je Verlaufsweisen menschlicher Subjektivität, zum unterschiedlichen Grundannahmen zum Verhältnis anderen rückte das Feld sozialer Lebensformen in von Vergesellschaftung und Freiheit und entspre- Gesellschaft und Kultur mitsamt ihrer Geschichte in chend unterschiedlich gerichteten geschichtsphilo- den Blick. Religion wurde und wird in den großen sophischen Prämissen (letztere kennt die Antike systematischen Entwürfen, die von der Deutschen nicht): Klassik ausgehen, im Zusammenhang der Struktur von Subjektivität verstanden, und sie wird im Hori- Im 18. Jahrhundert geht es um Freiheitsgewinn, zont der Vielfalt kultureller Gestalten erörtert. Glücksversprechen und, wenn auch nicht unwider- sprochen, um erwartbaren Fortschritt, heute spricht Damit ist der Zusammenhang religionsphilosophi- man vom Ende der Geschichte, von Erschöpfung scher Debatten im 19. und im 20. Jahrhundert mar- und Depression als epochalem Grundsachverhalt. Es kiert. Das betrifft sowohl Versuche einer konstrukti- scheint sich in der Aufklärung, wie in der jüngeren ven Fortschreibung der Impulse, die von den Religi- Gegenwart jeweils um eine Schwellen- bzw. Krisen- onsphilosophien der Klassik ausgegangen sind, als situation von hohem Veränderungsbedarf zu han- auch die vielfältigen Formen ihrer Kritik. Zu diesen deln, die, was unsere Jetztzeit angeht, dann beson- Debatten leistet das Forschungsprojekt wesentliche ders zutage trat, als die Denkfiguren der Systemau- Beiträge: durch kategoriale Klärung von religionsphi- seinandersetzung und des Kalten Krieges in ihrer losophischen Grundbegriffen (insbes. dem der Reli- Legitimation erloschen und als die Reproduktion des gion), durch Rekonstruktion maßgeblicher Dis- planetaren ökologischen Haushalts gefährdet kurskonstellationen von Meisterdenkern (wie Kant, schien. Nun erscheint auch deutlicher noch als zu Fichte, Schelling, Hegel und Schleiermacher), durch Beginn der postmodernen Ära die Subjektposition in Forschungen zu deren Wirkungsgeschichte (etwa einer scheinbar unentrinnbaren Dialektik von Frei- bei Troeltsch, Weber, Tillich, Wagner, Luhmann heit und Zwang gefangen und ist eine Richtung des u. a. m.) und durch systematische Arbeit an religi- Geschichtsprozesses nicht mehr zu erkennen. Das onsphilosophischen Schlüsselkonzepten (wie Sub- Projekt erschließt den Zusammenhang in Fallstu- jektivität, Kultur, Geschichte, aber auch Wahrneh- dien. mung, Ausdruck und Symbol). In seinem Buch untersucht Heinz Thoma, ob unsere Gesellschaft westlichen Typs im Begriff steht, den Kern ihrer gesellschaftlichen Voraussetzungen zu verlassen, und inwiefern die Ursache für diese Ver- lustgeschichte bereits im Zeitalter der Aufklärung
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