ASTROTEILCHENPHYSIK IN DEUTSCHLAND-PERSPEKTIVEN UND EMPFEHLUNGEN STRATEGIEPAPIER FÜR ERUM-PRO (2020-2023) KOMITEE FÜR ASTROTEILCHENPHYSIK
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Astroteilchenphysik in Deutschland – PERSPEKTIVEN und EMPFEHLUNGEN Strategiepapier für ErUM-Pro (2020-2023) Komitee für Astroteilchenphysik 9. Mai 2019
Impressum Das vorliegende Dokument wurde vom Vorsitzenden und stellvertretenden Vorsitzenden des KAT in enger Abstimmung mit den gewählten KAT-Mitgliedern und deren Stellvertreterinnen und Stellvertretern sowie den ex-officio Mitgliedern aus dem Wissenschafts- bereich erarbeitet und editiert. Es berücksichtigt Kommentare und Änderungsvorschläge der Astro- teilchenphysik-Gruppenleiterinnen und -leiter. Herausgeber Komitee für Astroteilchenphysik (KAT) c/o Prof. Dr. Uli Katz Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg Erlangen Centre for Astroparticle Physics Erwin-Rommel-Str. 1 91058 Erlangen uli.katz@physik.uni-erlangen.de Druck Karlsruher Institut für Technologie (KIT) Design und Layout Beatrix von Puttkamer © KAT Mai 2019
Inhalt 1 Astroteilchenphysik: Stand des Feldes................................................................ 5 2 Strategieprozess in der deutschen Astroteilchenphysik....................................... 7 3 Zusammenfassung der Empfehlungen................................................................ 9 3.1 Empfehlung des KAT für ErUM-Pro (2020-2023)......................................................................... 9 3.2 Weitere Forschungsempfehlungen des KAT................................................................................. 9 4 Zentrale Fragen und Methoden der Astroteilchenphysik.................................... 11 5 Detaillierte Empfehlungen................................................................................ 17 6 Gesellschaftliche Relevanz und Anwendungen.................................................. 23 Anhang 1 Astroteilchenphysik-Experimente in ErUM-Pro..................................................................... 25 Anhang 2 Gruppenleiterinnen und Gruppenleiter und die Entwicklung der Astroteilchenphysik in Deutschland............................................................ 26 Anhang 3 Innovative Technologien aus der Astroteilchenphysik........................................................... 28 Anhang 4 Das Komitee für Astroteilchenphysik (KAT)........................................................................... 30
Perspektiven der Astroteilchenphysik 06.05.2019 1 Astroteilchenphysik: Stand des Feldes Astroteilchenphysik ist ein dynamisches, national und sortien geplant, gebaut und betrieben. Bei vielen der international schnell wachsendes und höchst erfolg- maßgeblichen Experimente sind deutsche Forscher- reiches Forschungsfeld, das sich in den letzten Jahr- gruppen signifikant und vielfach in führenden Rollen zehnten interdisziplinär im Grenzbereich von Astro-, beteiligt. Diese Spitzenstellung wurde durch die kon- Teilchen- und Kernphysik entwickelt hat und grund- struktive Zusammenarbeit zwischen Helmholtz- und legende physikalische Fragestellungen untersucht, die Max-Planck-Instituten und den Universitäten möglich, diese Felder der Physik – d.h. Vorgänge auf den kleins- wobei die Förderung von Universitätsgruppen durch ten und größten uns bekannten Längenskalen – in Be- ErUM-Pro ein essenzielles Element ist. Das KAT sieht ziehung setzt. diese Grundlage der Forschungsförderung in der Ast- roteilchenphysik als unabdingbar an und hofft, dass sie Die Methode, verschiedene Signaltypen zu kombinie- unter Berücksichtigung der wissenschaftlichen Erfolge ren – die Multi-Messenger-Astronomie – hat 2017 mit und der wachsenden Community weiter gestärkt wird. der Evidenz für eine erste astrophysikalischen Quelle Das KAT erachtet es weiterhin als sehr wichtig, dass die hochenergetischer Neutrinos sowie mit der Beobach- Balance zwischen Großprojekten und kleineren Expe- tung der Verschmelzung zweier Neutronensterne mit rimenten mit kürzeren Zeitskalen, z.B. zur Etablierung Gravitationswellen und elektromagnetischer Strahlung neuer Methoden und Detektorkonzepte, aufrechter- entscheidende Durchbrüche gefeiert. Die Einbezie- halten wird. hung von Gravitationswellen in diese Forschung hat sich als extrem fruchtbar erwiesen; schon kurz nach Die Gravitationswellenforschung ist thematisch eng ihrer Entdeckung (Nobelpreis 2017) haben Gravitati- mit den anderen Forschungsthemen der Astroteilchen- onswellen-Messungen und insbesondere auch simul- physik – insbesondere der Multi-Messenger-Astrono- tane Beobachtungen von Gravitationswellen- und mie – verzahnt und ist eines der Themenbereiche des elektromagnetischen Signalen im Frequenzbereich von KAT. Neu sind nunmehr der Übergang von der reinen Radio- bis Gammastrahlung zu völlig neuen astrophysi- Detektorentwicklung zu vielfachen Gravitationswellen- kalischen Erkenntnissen geführt – im Fall des genann- beobachtungen und der astrophysikalischen Auswer- ten Neutronenstern-Ereignisses z.B. zum Ablauf des tung der Ergebnisse, sowie Vorbereitungen für ein Ex- Verschmelzungsvorgangs, zur Natur von Kilonovae und periment der nächsten Generation. Das KAT sieht es als zur Nukleosynthese in Folge solcher Prozesse. Im Be- essenziell an, den Universitäten in dieser Phase Zugang reich der kosmischen Strahlung hat das Auger-Experi- zu diesem Feld zu ermöglichen und regt deshalb an, ment mit der erstmaligen Beobachtung einer Anisotro- die Gravitationswellen in die Forschungsförderung in pie bei höchsten Energien einen Durchbruch erzielt. ErUM-Pro neu aufzunehmen, mit einem resultierenden Aufwuchs der geförderten Gruppen und Standorte, Im Bereich der Niederenergie-Astroteilchenphysik wur- der sich auch im Umfang der Förderung widerspiegeln den bei der Untersuchung der Neutrinoeigenschaften sollte. und der Suche nach Dunkler Materie große Fortschrit- Die jüngsten Erfolge der Astroteilchenphysik wurden te erzielt. So wurden bei der Suche nach dem neu- durch neue experimentelle Methoden und immer trinolosen doppelten Betazerfall neue Rekord-Aus- empfindlichere Instrumente möglich, die rasant wach- schlussgrenzen erreicht, die Messung des gesamten sende Datenraten liefern. Es ist zu erwarten, dass sich Spektrums der solaren Neutrinos aus der pp-Kette in diese Tendenz beschleunigt fortsetzt. Zunehmende Echtzeit erfolgt jetzt mit einem einzigen Experiment, Aufmerksamkeit gilt deshalb dem Themenbereich Da- und die Messung der Neutrinomasse mit um eine Grö- ten und Computing, wobei Rechen- und Speicherka- ßenordnung erhöhter Empfindlichkeit hat gerade be- pazität der entsprechenden Rechner-Infrastrukturen, gonnen. Die Parameter der mit atmosphärischen und schneller Datentransfer zwischen Rechenanlagen und solaren Neutrinos entdeckten Neutrinooszillationen Nutzern, der Einsatz von Methoden des maschinellen (Nobelpreis 2015) werden immer präziser vermessen. Lernens sowie die Umsetzung von Open Data Access Die Sensitivitäten bei der Suche nach Dunkler Materie im Mittelpunkt stehen. Die deutsche Astroteilchenphy- verzehnfachen sich weiterhin etwa alle 3 Jahre. Kürz- sik-Community ist an entsprechenden übergreifenden lich wurde zudem das erste Mal der neutrinobehaftete Initiativen (ErUM-Data, NFDI, EOSC) intensiv beteiligt. doppelte Elektroneneinfang am Isotop Xe-124 nachge- Das KAT gibt zu bedenken, dass die Nutzung künftiger wiesen und die längste je direkt gemessene Halbwerts- Lösungen innerhalb dieser Großinitiativen Vorarbeiten zeit veröffentlicht. auf Experimentebene erfordert, deren Förderung als Die meisten Experimente und Observatorien der As- Methodenentwicklung im Rahmen von ErUM-Pro von troteilchenphysik werden von internationalen Kon- hoher Bedeutung sein wird. 5
Perspektiven der Astroteilchenphysik 06.05.2019 Die Astroteilchenphysik ist wissenschaftlich eng ver- hin beflügelt die Forschung in der Astroteilchenphysik zahnt mit der Teilchen-, Kern- und Hadronenphysik, re- hochtechnologische Entwicklungen und deren Anwen- präsentiert durch die Komitees KET und KHuK (Physik dung auf teilweise völlig anderen Gebieten, wie z.B. der kleinsten Teilchen in ErUM-Pro). Ausgelöst durch in der Bildverarbeitung oder der Medizintechnik. Die den Strategieprozess der europäischen Teilchenphy- grundlegenden Fragestellungen und die extrem an- sik (European Particle Physics Strategy Update) gab es spruchsvollen technischen Herausforderungen begeis- 2017/2018 eine Reihe gemeinsamer Workshops, bei tern insbesondere junge Menschen, sich intensiv mit denen übergreifende Strategien für bestimmte For- Forschung, Entwicklung und neuen Technologien zu schungsfelder – wie etwa die Neutrinophysik – dis- beschäftigen. Viele junge Menschen entscheiden sich kutiert und beschlossen wurden. Diese Schlussfolge- gerade deswegen für ein Studium im MINT-Bereich. rungen fließen in das vorliegende Papier ein. Das KAT Das KAT sieht es als essenziell an, dass die Wissen- sieht die Verzahnung der Komitees sehr positiv und ist schaftler proaktiv auf die Gesellschaft zugehen, um bestrebt, diese insbesondere auf den Rat Deutscher ihre Forschung zu vermitteln und Begeisterung dafür Sternwarten (RDS) zu erweitern und synergetisch zu zu wecken. nutzen, u.a. auch für Querschnittsaufgaben in Berei- Dieses Papier fasst die wissenschaftlichen und förder- chen wie Computing und Outreach. politischen Prioritäten der deutschen Astroteilchen- Die gesellschaftliche Relevanz der Forschung auf dem physik-Community für die nächste Förderperiode von Gebiet der Astroteilchenphysik und den angrenzen- ErUM-Pro (2020-23) zusammen. Es konzentriert sich den Gebieten wie Astronomie und Teilchenphysik daher auf die großen Projekte in diesem Feld, deren reicht weit über die eigentlichen wissenschaftlichen deutsche Beteiligung Gegenstand dieser Förderung ist Fragestellungen hinaus. Sie beinhaltet den zentralen und/oder werden soll. Um jedoch ein vollständiges und kulturellen Aspekt der Frage nach dem Ursprung des unverzerrtes Bild des Forschungsfeldes darzustellen, Weltalls, der Materie und des Lebens, der als Triebfe- werden zusätzlich auch Empfehlungen formuliert, die der von Erkenntnisstreben und damit des Fortschritts nicht direkt auf ErUM-Pro zielen. von enormer gesellschaftlicher Bedeutung ist. Weiter- 6
Perspektiven der Astroteilchenphysik 06.05.2019 2 Strategieprozess in der deutschen Astroteilchenphysik Das KAT organsiert seit 2015 jeweils gegen Jahresen- lichen Fragestellungen der wachsenden deutschen de Strategietreffen im Physikzentrum der DPG in Bad Astroteilchenphysik-Gemeinschaft im Rahmen realisti- Honnef, zu denen die Gruppenleiterinnen und Grup- scher finanzieller Mittel und Ressourcen auch in Zukunft penleiter der Astroteilchenphysik in Deutschland sowie erfolgreich bearbeitet werden können. Der Strategie- Vertreter von den angrenzenden Komitees, BMBF, DFG prozess findet in enger Abstimmung zwischen den For- und Projektträger eingeladen sind. Bei diesen Treffen schern an deutschen Universitäten, Helmholtz-Zentren werden neue Entwicklungen diskutiert und ein Mei- und Max-Planck-Instituten statt und erfolgt in Diskus- nungsbild zu strategischen Entscheidungen gebildet. sion mit dem BMBF. Der europäische Strategieprozess, Im September 2018 fand in Mainz zudem das Treffen der im Rahmen des APPEC durchgeführt wurde, und der deutschen Astroteilchenphysik-Community mit fast sich jetzt in der Phase der Umsetzung befindet, findet 200 Teilnehmern statt. hierbei ebenso Berücksichtigung wie die globalen in- ternationalen Entwicklungen und nationale Interessen. Seit dem letzten Strategiegespräch mit dem BMBF im April 2016 haben KAT, KET und KHuK eine Reihe von Die Empfehlungen beinhalten Fortführungen und Wei- Workshops organisiert, die Zukunftsperspektiven für terentwicklungen von erfolgreichen Projekten, die In- die Forschung im Bereich der Elementarteilchen-, As- betriebnahme von kurz vor dem Start befindlichen Ex- troteilchen-, Hadronen- und Kernphysik und insbeson- perimenten und eine Selektion von exzellenten neuen dere die deutsche Position im Hinblick auf den Euro- Experimenten. Insbesondere durch die außerordentlich pean Particle Physics Strategy Upgrade (EPPSU) Prozess erfolgreiche Positionierung der deutschen Astroteil- zum Thema hatten. Aus einem Abschluss-Workshop chenphysik in den letzten Jahren werden auch in den im Mai 2018 ging eine gemeinsame Stellungnahme nächsten Jahren wesentliche Fortschritte und weitere hervor und das KAT hat die Astroteilchenphysik-As- Durchbrüche bei der Beantwortung der vier identifizier- pekte in einem Dokument zusammengefasst, das an ten Grundfragen – Eigenschaften von Neutrinos, Natur EPPSU submittiert wurde. der Dunklen Materie, Verständnis des nicht-thermischen Universums und Ursprung der kosmischen Strahlung, Im Mai 2018 fand in Hannover ein gut besuchtes Tref- Entwicklung des Universums – erwartet. Dies setzt na- fen der deutschen Wissenschaftlerinnen und Wissen- türlich voraus, dass die entsprechenden Rahmenbe- schaftler statt, die an der Gravitationswellenforschung dingungen für die hierzu erforderlichen innovativen, interessiert sind. Der Letter of Intent für das Einstein-Te- hochtechnologischen und methodischen Entwicklungen leskop wurde u.a. von Teilnehmern aus 15 deutschen zumindest vorhanden bleiben, wenn nicht ausgebaut Universitäten gezeichnet. Die sehr unterstützende Hal- werden. Der Bau der hierzu erforderlichen Großgeräte tung und das breite Interesse an einer Beteiligung an und darüber hinaus gehende F&E-Arbeiten ermöglichen diesem Feld wurden auch beim KAT-Strategietreffen im es nicht nur, wissenschaftliches Neuland zu betreten November 2018 deutlich. und fundamentale Fragen zu beantworten, sondern sie Die Schlussfolgerungen der genannten Treffen, Work- schaffen auch einen hohen Mehrwert für Industrie und shops und Dokumente bilden die Grundlage für das Gesellschaft. Die Astroteilchenphysikerinnen und -physi- vorliegende Papier. ker in Deutschland sehen sich gut gerüstet, diesen Weg Angesichts der großen wissenschaftlichen und finan- konsequent weiterzugehen. Eine starke Vernetzung in- ziellen Herausforderungen der kommenden Jahre hat nerhalb der Astroteilchenphysik und mit benachbarten sich das KAT zum Ziel gesetzt, klare Empfehlungen und Wissenschaftsfeldern spielt dabei auf nationaler wie in- Priorisierungen für die deutsche Astroteilchenphysik zu ternationaler Ebene eine zunehmend bedeutsame Rolle. erarbeiten. Sie sollen aufzeigen, wie die wissenschaft- 7
Perspektiven der Astroteilchenphysik 06.05.2019 3 Zusammenfassung der Empfehlungen Die hier vorgeschlagenen Forschungsschwerpunkte Entwicklung des Universums: und Empfehlungen für zukünftige Themen gründen –– F&E und experimentnahe Entwicklungsarbeiten auf einer sorgfältigen Abwägung des wissenschaftli- für einen Gravitationswellendetektor der nächsten chen Potenzials, des fundamentalen Charakters der Generation (Einstein-Teleskop). wissenschaftlichen Fragen, der Stärken der deutschen Gruppen in den jeweiligen Feldern, sowie auf der Be- Theorie: rücksichtigung einer realistischen Finanzierung. –– Förderung experimentnaher theoretischer Im Folgenden werden stichpunktartig die vom KAT Arbeiten. empfohlenen Schlüsselexperimente und aktivitäten zu den zentralen Fragen der Astroteilchenphysik aufge- Querschnittsthemen: führt. Aufgrund der besonderen Förderungslandschaft –– Unterstützung von Methodenentwicklung im in Deutschland gehen wir dabei zuerst auf spezielle Bereich der Digitalisierung des Forschungsfeldes, Empfehlungen für die ErUM-Pro Förderperiode 2020- komplementär zu ErUM-Data und NFDI. 2023 ein. –– Wissenschaftskommunikation und Outreach: Transfer von Ergebnissen in andere Fachbereiche und in die Gesellschaft. 3.1 Empfehlung des KAT für ErUM-Pro –– Maßnahmen zur Vernetzung und zur Strukturbil- (2020-2023) dung der Astroteilchenphysik auf nationaler und internationaler Ebene. Eigenschaften von Neutrinos: –– Vollständige Ausschöpfung des Empfindlich- keitspotenzials des KATRIN-Experiments für die 3.2 Weitere Forschungsempfehlungen des KAT Messung der Neutrinomasse und die Suche nach sterilen Neutrinos. Eigenschaften von Neutrinos: –– Unterstützung der Doppelbetazerfall-Suche mit –– F&E zur Entwicklung und Fortentwicklung neu- dem GERDA-Nachfolgeexperiment LEGEND-200 artiger Technologien zur Neutrino-Massen- und Vorbereitung von LEGEND-1000. bestimmung, z.B. ECHo. Natur der Dunklen Materie: –– Durchführung von Flüssigszintillator-Experimenten zur Massenhierarchie (JUNO) und zur Suche nach –– Unterstützung der direkten Suche nach Dunkler sterilen eV-Neutrinos (STEREO). Materie mit XENONnT. –– Ausschöpfung des astrophysikalischen Potenzials –– Beteiligung an der Vorbereitung von DARWIN von JUNO. und CRESST-III. –– Ausschöpfung des neutrinophysikalischen Potenzi- als von IceCube-Gen2 Phase 1. Nicht-thermisches Universum: –– Durchführung von mindestens einem der Expe- –– Aufbau und Inbetriebnahme des Gamma-Ob- rimente ORCA und PINGU zur Bestimmung der servatoriums CTA und Unterstützung der beiden Massenhierarchie mit atmosphärischen Neutri- Vorgängerexperimente H.E.S.S. und MAGIC bis nos, falls dies früher realisiert werden kann als zum Start von CTA. die beschleunigerbasierten Neutrinoexperimente –– Fertigstellung und Inbetriebnahme von AugerPrime Hyper-Kamiokande und DUNE. und Ausnutzung seiner vollen Empfindlichkeit. –– Untersuchung der kohärenten Neutrinostreuung mit –– Ausnutzung der vollen Empfindlichkeit von Ice- CONUS und F&E zur Entwicklung von CONUS100 Cube, Vorbereitung und Aufbau von IceCube- zur Ausschöpfung des Physikpotenzials. Gen2 Phase 1, sowie F&E für IceCube-Gen2. 9
Perspektiven der Astroteilchenphysik 06.05.2019 Natur der Dunklen Materie: Nukleare Astrophysik: –– Suche nach Axionen und axionartigen Teilchen in –– Terrestrische Laborexperimente mit astrophysika- Koordination mit der Teilchenphysik. lischer Relevanz, z.B. mit dem kurz vor der Inbe- triebnahme stehenden Beschleuniger im Dresdener Nicht-thermisches Universum und Entwicklung des Felsenkeller und dem im Aufbau befindlichen Universums: LUNA-MV-Beschleuniger im italienischen Unter- grundlabor LNGS. –– Intensivierung von Multimessenger-Messungen (Gammas, kosmische Strahlung, Neutrinos, Gravi- –– Interdisziplinäre Netzwerke zur Erforschung der tationswellen) und Sicherstellung des Betriebs und kernphysikalischen Aspekte von Stern- und Super- der Weiterentwicklung der Observatorien. nova-Physik, extremer Materieformen wie Neu tronensternen und schwarzer Löcher sowie deren –– Aufrechterhaltung der deutschen Expertise bei Akkretions- und Verschmelzungsprozessen. Unterwasserteleskopen (KM3NeT) und langfristige Hinarbeit auf volle Himmelsabdeckung in der Neu- trinoastronomie mit IceCube und KM3NeT. Übergeordnete Themen: –– Weiterentwicklung von Infrastrukturen, Anpassung –– Weiterentwicklung der Radiodetektionstechnik der Personalstrukturen, Förderung des wissen- für den Nachweis von kosmischer Strahlung und schaftlichen Nachwuchses durch gezielte Qualifika- ultrahochenergetischen Neutrinos in großskaligen tionsangebote. Observatorien. –– F&E für die Entwicklung von Gamma-Teleskopen mit großem Gesichtsfeld (z.B. HAWC South). –– Volle Nutzung des wissenschaftlichen Potenzials der Gravitationswellenastronomie. Astroteilchenphysik-Theorie: –– Beibehaltung und Weiterentwicklung der experi- mentunabhängigen theoretischen Forschung in der Astroteilchenphysik. –– Experimentübergreifende und Multimessen- ger-Analysen, sowie die Unterstützung der Obser- vatorien in Planung, Bewertung, Design, Beobach- tungsprogramm und Auswertung. –– Fortführung von Arbeiten zu Modellierung astrophysikalischer Prozesse, insbesondere des nicht-thermischen Universums. 10
Perspektiven der Astroteilchenphysik 06.05.2019 4 Zentrale Fragen und Methoden der Astroteilchenphysik Die Astroteilchenphysik kombiniert unser Wissen über Die wichtigsten Forschungsthemen sind: die größten Strukturen des Universums mit dem über die –– Eigenschaften der Neutrinos; kleinsten Bausteine der Materie und die Kräfte zwischen –– Natur der Dunklen Materie; ihnen. Es ist ein faszinierendes Wissenschaftsgebiet, das an den Schnittstellen von Astronomie, Astrophysik, Kos- –– Verständnis des nicht-thermischen Universums und mologie, Elementarteilchenphysik, Kernphysik und Infor- Ursprung der kosmischen Strahlung; mationstechnologie lebt. –– Entwicklung des Universums. Die Astroteilchenphysik hat zu Schlüsselentdeckungen Bei der Erforschung der Natur der Neutrinos und der geführt (z.B. Neutrinooszillationen, Gravitationswellen, Dunklen Materie liefert die Astroteilchenphysik zur erste Evidenz für eine Quelle hochenergetischer kosmi- beschleunigerbasierten Teilchenphysik komplemen- scher Neutrinos, ...), die unser Verständnis der funda- täre Informationen, die meist nur mit den Methoden mentalen Gesetze der Teilchenphysik und der Kosmo- der Astroteilchenphysik gewonnen werden können. logie, sowie der Prozesse in unserem Universum und Die Suche nach Axionen und axionartigen Teilchen wie es mit dem Urknall begann, wesentlich erweitert ist nicht beschleunigerbasiert, wird aber auch im Be- haben. Die Astroteilchenphysik beschäftigt sich mit reich der Teilchenphysik betrieben. Die Erforschung grundlegenden und bislang ungelösten Fragen, wie des nicht-thermischen Universums und des Ursprungs etwa der Natur der Dunklen Materie und der Objekte der kosmischen Strahlung hat wichtige Verbindungen und Prozesse, in denen ultrahochenergetische kosmi- mit den Zielen der (bodengebundenen) Astrophysik in sche Strahlung auf das Millionenfache der LHC-Strah- Deutschland. In beiden Fällen sind allerdings die Me- lenergie beschleunigt werden. Europa und insbeson- thoden und Instrumente spezifisch für die Astroteil- dere Deutschland spielen eine führende Rolle in vielen chenphysik ausgelegt. Die Entwicklung des Universums Teilgebieten der Astroteilchenphysik und die Astroteil- zwischen Urknall, Gegenwart und Zukunft ist ein zent- chenphysik-Forschungsgruppen aus Deutschland ge- rales Thema von Kosmologie und Astrophysik und hat nießen weltweit höchstes Ansehen. Als führende Part- enge Anbindung an die Gravitationsphysik und – z.B. ner in zahlreichen Feldern der Astroteilchenphysik sind über die Dunkle Materie – an die Teilchenphysik. Auch sie hervorragend positioniert, Antworten auf zentrale hier liefern die Instrumente und Methoden der Astro- Fragen zu finden und moderne Methoden für das For- teilchenphysik Erkenntnisse, die das Feld entscheidend schungsfeld zu entwickeln. voranbringen. Das Verständnis, ob eine bestimmte wissenschaftliche Die Astroteilchenphysik untersucht hochenergetische Frage primär zur Astroteilchenphysik oder zu einem an- kosmische Teilchen-, Gamma- und Neutrino-Strahlung deren Forschungsfeld gehört, ist aufgrund ihrer Über- sowie Gravitationswellen als Boten aus dem Universum schneidung mit verschiedenen Nachbargebieten und mit neuartigen, äußerst empfindlichen Nachweisme- aus historischen (und forschungspolitischen) Gründen thoden, die oft an entlegenen Standorten betrieben von Land zu Land unterschiedlich. Daher möchten wir werden müssen. Laborexperimente vermessen die die Forschungsschwerpunkte der deutschen Gemein- Masse der Neutrinos oder suchen nach extrem seltenen schaft der Astroteilchenphysik klären: Ereignissen wie dem neutrinolosen doppelten Betazer- fall oder Reaktionen von Teilchen der Dunklen Materie. –– Studium kosmisch relevanter Elementarteilchen Für solche Experimente müssen experimentelle Unter- jenseits der Möglichkeiten terrestrischer Teilchen- grundsignale, wie z.B. durch die kosmische Strahlung beschleuniger zum Verständnis ihrer Eigenschaften oder radioaktive Kontaminationen, um viele Größen- und ihrer Rolle bei astrophysikalischen und kosmo- ordnungen unterdrückt werden. logischen Prozessen; Astroteilchenphysik-Experimente der heutigen Gene- –– Astrophysik mit Boten aus dem Universum jenseits ration sind aus diesen und weiteren Gründen extrem der elektromagnetischen Strahlung im Radio- bis anspruchsvoll. Zur Durchführung sind besondere In Röntgenbereich. frastrukturen notwendig, die gemeinsam mit interna- tionalen Partnern betrieben werden. Zur direkten Mes- sung der Neutrinomasse im KATRIN-Experiment etwa 11
Perspektiven der Astroteilchenphysik 06.05.2019 wird das Tritiumlabor des KIT in Karlsruhe benötigt. ßem Potenzial, das ein einzigartiges Fenster zur Physik Zur Suche nach Dunkler Materie und zur Erforschung jenseits des Standardmodells der Teilchenphysik bietet der intrinsischen Eigenschaften von Neutrinos sind die und mit der Entdeckung der Neutrinooszillationen (No- Abschirmungseigenschaften (Faktor eine Million) von belpreis 2015) dieses auch bereits geöffnet hat. Zu den Untergrundlaboren, wie z.B. dem LNGS im Gran-Sas- wichtigsten wissenschaftlichen Fragen gehören die so-Massiv in Italien erforderlich. Die Beobachtung von Bestimmung der absoluten Masse der Neutrinos, die extraterrestrischen Hochenergie-Neutrinos wird an Anordnung der Neutrinomassen, ob Neutrinos iden- Orten wie im antarktischen Tiefeneis bzw. in Meeren tisch mit ihren Antiteilchen sind (Majorana-Teilchen), oder tiefen Seen vorangetrieben. Für eine erfolgreiche eine mögliche CP-Verletzung im Neutrinosektor, die Hochenergie-Gamma-Astronomie und zur Beobach- Präzisionsbestimmung der Mischungswinkel und die tung der kosmischen Strahlung werden streulichtarme mögliche Existenz steriler Neutrinos. Die Messungen Verhältnisse und große unbewohnte Flächen benötigt, von Massenhierarchie, Oszillationsparametern und der wie sie nur an wenigen Orten weltweit – etwa in Nami- CP-Verletzung im Neutrinosektor erfordern Experimen- bia, La Palma, Chile oder Argentinien – zu finden sind. te mit Reaktor-, Beschleuniger- sowie atmosphärischen Neutrinos. Sowohl die experimentellen als auch die theoretischen Arbeiten in den genannten Schwerpunkten sind eng Die Untersuchung des Betaspektrums aus dem Triti- miteinander verknüpft, und die wissenschaftlichen Fra- um-Zerfall ermöglicht den Zugang zur absoluten Mas- gestellungen können nur im Rahmen der bestehenden senskala von Neutrinos mit Sub-eV-Empfindlichkeit so- engen Koordination innerhalb der Astroteilchenphysik wie zu sterilen Neutrinos im eV- und keV-Bereich mit und ihrer angrenzenden Forschungsfelder beantwortet hoher Empfindlichkeit. Das KATRIN-Experiment (CERN werden. Ein Beispiel ist der Multi-Messenger-Ansatz, Recognised) ist weltweit einzigartig und hat gerade der die Messungen von hochenergetischen Photonen, mit der Datennahme begonnen. Seine Empfindlich- Neutrinos und Atomkernen sowie von Gravitations- keit kann durch ein neues Detektorsystem zum Elekt- wellen verbindet, um die höchstenergetischen Prozes- ronnachweis (TRISTAN) und die Entwicklung geeigneter se in unserem Universum verstehen zu lernen. Diese differenzieller Methoden (z.B. Flugzeitspektroskopie) Forschung nutzt ein Portfolio aus anspruchsvollen signifikant gesteigert werden, insbesondere auch für Experimenten, modernen Methoden aus der Infor- sterile keV-Neutrinos. Ein längerfristiges Ziel ist die mationstechnologie sowie Infrastrukturen, die i.d.R. Entwicklung einer quasi-atomaren Tritium-Quelle zur nur gemeinsam mit internationalen Partnern betrie- weiteren Verringerung systematischer Unsicherheiten. ben werden können. Die Flexibilität und Diversität der Die Entwicklung neuer komplementärer Techniken, Methodik ist eine grundlegende Eigenschaft des For- wie z.B. der Zyklotronstrahlungs-Emissionsspektrosko- schungsfeldes und ist für die wissenschaftlichen Erfol- pie mit Projekt 8 und der Vermessung des Elektronen ge maßgeblich. einfangs von Ho-163 mit Kryobolometern bei ECHo, wird vorangetrieben, um den Bereich der invertierten Die Beiträge der deutschen Gruppen zu den Erfolgen Massenskala über die KATRIN-Sensitivität hinaus abzu- der letzten Jahre wären ohne die Finanzierung durch decken. die Verbundforschung Astroteilchenphysik des BMBF, Die Massenhierarchie der Neutrinos stellt eine der noch die Deutsche Forschungsgemeinschaft, die Europäi- unbeantworteten fundamentalen Fragen der Neutrino- sche Union, sowie die Helmholtz-Gemeinschaft, die physik dar, deren Beantwortung u.a. auch von großer Max-Planck-Gesellschaft und die Universitäten nicht Bedeutung für die Untersuchung von CP-Verletzung möglich gewesen. Diese Erfolge haben zu einem ste- im Neutrinosektor ist. Die Neutrino-Massenhierarchie tigen Wachstum der nationalen und internationalen kann mit den Methoden der Astroteilchenphysik un- Gemeinschaft der Astroteilchenphysikerinnen und tersucht werden, komplementär zu Experimenten an -physiker geführt. Wir sind bereit, uns weiteren Her- Beschleunigerstrahlen (Hyper-Kamiokande und DUNE): ausforderungen zu stellen und die nächsten Entde- Mit zukünftigen dicht instrumentierten Neutrinoteles- ckungsphasen in Angriff zu nehmen. kopen (PINGU als Teil von IceCube Gen2 oder KM3NeT/ ORCA, unter Auswertung der Richtungs- und Energie- verteilung atmosphärischer Neutrinos) oder durch die Eigenschaften von Neutrinos Untersuchung der Oszillationen von Reaktorneutrinos Neutrinos sind neben Photonen die häufigsten Ele- (JUNO). Die Kombination der Messungen mit atmo- mentarteilchen im Universum. Sie sind etwa eine Mil- sphärischen und Reaktorneutrinos steigert die Emp- liarde Mal zahlreicher als Atomkerne oder Elektronen, findlichkeit synergetisch. Ein wichtiger Beitrag in die- extrem leicht und bilden einen kleinen Teil der Dunk- sem Feld ist die starke deutsche Beteiligung an dem len Materie. Die Neutrino-Physik ist ein dynamisches, CERN Recognised Experiment JUNO und an den Un- Community-übergreifendes Forschungsfeld mit gro- tersuchungen zu Oszillationen atmosphärischer Neu- 12
Perspektiven der Astroteilchenphysik 06.05.2019 trinos, bei denen die Durchführung von mindestens unbekannte Materieform, die wir Dunkle Materie nen- einem der beiden Experimente ORCA/KM3NeT und nen. Diese Dunkle Materie bildet “Halos” um Galaxien PINGU/IceCube sehr wünschenswert ist. wie die Milchstraße. In der Astroteilchenphysik wird versucht, Dunkle-Materie-Teilchen direkt mit technolo- Wenn Neutrinos identisch mit ihren Antiteilchen sind, gisch neuartigen Detektoren nachzuweisen, die sich in dann tritt – äußerst selten – der neutrinolose doppelte Untergrundlaboratorien unter mehr als einem Kilome- Betazerfall auf. Aus der Halbwertszeit dieses Prozesses ter Abschirmung aus Felsgestein befinden. Derzeit füh- kann auf die Neutrinomasse geschlossen werden. Viele ren die Experimente CRESST-III (niedrige WIMP-Mas- Theorien jenseits des Standardmodells der Teilchenphy- sen) und XENON1T (mittlere und große Massen) mit sik sagen die Existenz dieses Zerfalls voraus und lassen deutscher Beteiligung die direkte WIMP-Suche an. Mit sich dadurch testen Die Entdeckung des neutrinolosen der Erweiterung von CRESST-III auf 100 Detektoren Doppelbetazerfalls hätte weitreichende Konsequenzen und dem Umbau von XENON1T auf XENONnT wird für unser Verständnis, warum das Universum aus Ma- diese Suche wesentlich sensitiver. In der kommenden terie und nicht aus Antimaterie aufgebaut ist. Bei der Förderperiode sollen die Arbeiten am DARWIN-Projekt Suche nach diesem sehr seltenen Zerfall hat das von beginnen, für das deutsche Gruppen im XENON-Pro- Gruppen aus Deutschland initiierte GERDA-Experiment gramm führende Expertise gewonnen und entschei- (Ge-76) als erstes Experiment weltweit eine Sensitivität dende Vorarbeiten geleistet haben. Die deutlich erhöh- für die Halbwertszeit jenseits von 1026 Jahren erreicht. te Empfindlichkeit von DARWIN für WIMPs soll darüber Als Zusammenschluss der GERDA-Kollaboration, der hinaus durch ein breites Programm zur Neutrinophysik US-amerikanischen MAJORANA-Kollaboration und (neutrinoloser Doppelbetazerfall, Messung von solaren weiterer Gruppen wurde die LEGEND-Kollaboration und Supernova-Neutrinos) ergänzt werden. gegründet. In einer ersten Phase wird die GERDA-In- frastruktur am LNGS für das LEGEND-200-Experiment Mit Neutrino- oder Gamma-Teleskopen wie IceCube umgebaut; der Beginn der Datennahme ist für das Jahr oder CTA oder mit dem AMS II-Experiment auf der ISS 2021 geplant. Parallel hierzu laufen die Vorarbeiten zu wird komplementär zur direkten Suche indirekt nach LEGEND-1000 in intensiver Zusammenarbeit mit Part- Teilchen gesucht, die bei der Paarvernichtung oder dem nern aus den USA, wo das DOE einen down-select- Zerfall von Teilchen der Dunklen Materie entstehen. Prozess zur Auswahl des Doppelbeta-Experiments der Diese beiden Methoden sind auch komplementär zur nächsten Generation initiiert hat. Des Weiteren ist eine Suche nach Dunkler Materie am LHC. Bei einer Entde- deutsche Gruppe am geplanten nEXO-Experiment be- ckung von Kandidatenteilchen am LHC müssten wei- teiligt, das im Isotop Xe-136 angereichertes Xenon ver- tere Messungen der Astroteilchenphysik klären, ob sie wendet. Die DARWIN-Kollaboration mit starker deut- hinreichend langlebig sind und im frühen Universum in scher Beteiligung beabsichtigt, mit natürlichem Xenon hinreichender Anzahl gebildet werden konnten. neben der Suche nach WIMPs (Weakly Interacting Mas- Ein weiterer Kandidat für die Dunkle Materie sind Axi- sive Particles) auch nach dem neutrinolosen Doppel onen. Die Suche wird sich hier auf das Solar-Axion-Ex- betazerfall von Xe-136 zu suchen. periment IAXO (erste Phase Baby-IAXO) und das Expe- riment MADMAX zur Suche nach Axionen der Dunklen Die kohärente, elastische Streuung von Neutrinos an Materie konzentrieren, die beide bei DESY angesiedelt Atomkernen ist ein im Rahmen des Standardmodells werden sollen. erwarteter Prozess, der sich aber lange der experimen- tellen Beobachtung entzogen hat und erst vor kurzem Weitere Möglichkeiten für Dunkle Materie, wie z.B. das erste Mal nachgewiesen wurde. Er ist interessant, primordiale schwarze Löcher, Wolken aus ultraleichten weil er zum einen die gleiche experimentelle Signatur Bosonen, aber auch andere gravitativ wechselwirkende erzeugt wie die Streuung von Teilchen der Dunklen Dunkle Materie, können mit Hilfe von zukünftigen Gra- Materie an Atomkernen und somit einen irreduziblen vitationswellendetektoren wie dem Einstein-Teleskop Untergrund für entsprechende Suchen darstellt. Zum untersucht werden. anderen hat der Prozess astrophysikalische Relevanz und kann zur Suche nach neuer Physik verwendet wer- Verständnis des nicht-thermischen Universums und den. Er wird u.a. mit dem von deutschen Gruppen be- Ursprung der kosmischen Strahlung triebenen CONUS-Experiment untersucht. Aus dem Universum treffen Teilchen mit bis zu millio- nenfach höherer Energie auf die Erde, als sie ein irdi- scher Beschleuniger wie der LHC erzeugen kann. Diese Natur der Dunklen Materie kosmischen Boten treten in Form von geladener kos- Die bekannte Materie, die aus Atomen aufgebaut ist, mischer Strahlung, hochenergetischer Gammastrah- macht nur etwa ein Sechstel der Materie im Univer- lung und Neutrinos auf. Sie demonstrieren – wie auch sum aus. Der überwiegende Anteil ist eine uns noch Röntgen- und Gammastrahlung jenseits der Strahlung 13
Perspektiven der Astroteilchenphysik 06.05.2019 heißester kosmischer Gase im keV-Bereich sowie Ra- Datenanalyse essenzielle Kontinuität zu gewährleisten, diostrahlung mit eindeutig nicht-thermischen Spek- sollen H.E.S.S und MAGIC bis zum Start von CTA wei- tren – die Omnipräsenz und überragende Bedeutung terbetrieben werden. Für Hochenergie-Neutrinos sind hochenergetischer Prozesse in der Astrophysik. Kern- die wichtigsten Projekte auf globaler Ebene IceCube und Hochenergie-Physik mit relativistischen Teilchen ist mit seinen zukünftigen Erweiterungen IceCube-Gen2, Grundlage der Prozesse in kosmischen Extremen wie das Mittelmeer-Experiment KM3NeT und GVD im Sternexplosionen, Sternkollisionen, Neutronensternen, Baikal-See in Russland. Die deutsche Community en- und Materie-Energie-Umwandlungen am Rand Schwar- gagiert sich vor allem im Bereich IceCube-Gen2, aber zer Löcher mit der Bildung hochenergetischer Jets. Die auch in KM3NeT. Alle diese Experimente haben außer- Gesamtheit solcher Prozesse wird als nicht-thermisches dem ein einzigartiges Programm zur Teilchenphysik, Universum bezeichnet. Wir wollen verstehen, wo die- das die Untersuchung teilchenphysikalischer Wechsel- se Teilchen herkommen, wie kosmische Beschleuniger wirkungsmodelle jenseits von LHC wie auch die Suche bei den höchsten Energien funktionieren und welche nach Urknallrelikten und indirekten Signalen der Dunk- astrophysikalische Rolle nicht-thermische Prozesse spie- len Materie beinhaltet. Auger, CTA, IceCube, KM3NeT len. Durch die gleichzeitige Beobachtung von mehr als und MAGIC sind als CERN Recognised Experiments einem Botentyp aus derselben Quelle oder demselben anerkannt. Quellentyp potenzieren wir unser Verständnis. Mit dem Pierre-Auger-Observatorium (Auger) werden die höchstenergetischen kosmischen Teilchen gemes- Entwicklung des Universums sen, ihre Zusammensetzung bestimmt und ihre Quellen Obwohl viele Aspekte der Entwicklung des Universums gesucht; kürzlich wurden erste Hinweise auf Quellkan- zwischen Urknall und Gegenwart (wie z.B. der kosmi- didaten gefunden. Mit Auger konnte 2017 erstmals sche Mikrowellen-Hintergrund, die Strukturbildung und eine Anisotropie der höchstenergetischen kosmischen die Expansion des Weltalls) im Rahmen des Standard- Strahlung nachgewiesen werden. Dieses Ergebnis modells der Kosmologie zumindest prinzipiell verstan- wurde von physics world als einer der Top 10 break- den sind, bleiben Fragen offen, deren Beantwortung zu throughs of 2017 gerankt. Mit dem Neutrinoteleskop neuen Erkenntnissen und sogar Paradigmenwechseln IceCube wurde im Jahre 2013 entdeckt, dass auch führen kann. Dazu gehören unter anderem die Häufig- sehr hochenergetische Neutrinos aus dem Universum keit, Massenverteilung, Genese und Entwicklung der auf die Erde treffen. Ein weiterer Durchbruch gelang schwarzen Löcher sowie die Synthese der schweren 2017 mit der Assoziierung eines hochenergetischen Atomkerne. Neutrino-Ereignisses zu einer astrophysikalischen Quel- le (einem Blazar) durch Multimesseger-Beobachtungen Schon die ersten Messungen von Gravitationswellen von IceCube, MAGIC und dem Fermi-Satelliten und der mit LIGO (Nobelpreis 2017) und Virgo haben das Po- nachfolgenden Identifikation mehrerer weiterer Neu- tenzial dieses neuen Beobachtungsfensters für astro- trinoereignisse aus der gleichen Richtung in den archi- physikalische Erkenntnisse gezeigt. So konnten mehr- vierten IceCube-Daten. Mit Cherenkov-Teleskopen wie fach Prozesse beobachtet werden, bei denen zwei H.E.S.S. und MAGIC werden hochenergetische Gam- schwarze Löcher zu einem schwereren schwarzen Loch maquanten gemessen; deutsche Gruppen leisten da- verschmolzen sind. Aus den Signalen konnten u.a. rüber hinaus substantielle Beiträge zum FACT-Teleskop die Entfernung dieser Vorgänge und die Massen der und zum Wasser-Cherenkov-Detektor HAWC. H.E.S.S. schwarzen Löcher im Anfangs- und Endzustand ermit- und MAGIC haben zusammen mit dem US-amerikani- telt werden. Die breite Relevanz der Gravitationswel- schen VERITAS-Projekt die Hochenergie-Gammastrah- lenforschung zeigt sich auch daran, dass LIGO, Virgo lungs-Astronomie etabliert. Mit dem Nachfolgeprojekt, und das weltraumbasierte LISA-Projekt als CERN Reco- dem Cherenkov Telescope Array CTA, wird diese neue gnised Experiments anerkannt sind. astronomische Disziplin mit den Methoden der Astro- 2017 wurde erstmals ein Gravitationswellensignal von teilchenphysik Routine werden. der Verschmelzung von zwei Neutronensternen beob- Für kosmische Strahlung ist AugerPrime als das Upgra- achtet und durch Multi-Messenger-Beobachtungen mit de des Pierre-Auger-Observatoriums das weltweit wich- elektromagnetischer Emission vom Radio- bis hin zum tigste Projekt. Darüber hinaus ist als Zukunftsprojekt Gamma-Bereich korreliert. Auch dieses Ergebnis wurde ein globales Observatorium zur Messung der höchst von physics world als einer der Top 10 breakthroughs energetischsten Teilchen des Universums angedacht. of 2017 gerankt. Es stellt sich heraus, dass bei diesem Für hochenergetische Gammastrahlen sind Aufbau und Ereignis auch kernphysikalische Prozesse abgelaufen Betrieb des Cherenkov Telescope Array (CTA) das zent- sind, die im Mittelpunkt des Interesses der nuklearen rale Ziel. Um die gerade für die Multimessenger-Astro- Astrophysik stehen – einem weiteren Kernbereich der nomie und für den Erhalt der Expertise in Betrieb und Astroteilchenphysik. Diese Prozesse sind eng verknüpft 14
Perspektiven der Astroteilchenphysik 06.05.2019 mit der chemischen Entwicklung von Sternen und für Datenzugriff, -verarbeitung, -rekonstruktion und Galaxien und beinhalten Aspekte der Kern-, Neutri- -analyse zu entwickeln. Wichtige Stichworte sind hier no- und Atomphysik sowie der Astronomie. Kürzlich Deep Learning und offener Datenzugriff. Das gesamte konnte z.B. mit Hilfe hochaufgelöster Spektroskopie Forschungsfeld wird in eine neue Ära des Forschungs- gezeigt werden, dass ein einziger Verschmelzungspro- datenmanagements eintreten und eine nachhalti- zess zweier Neutronensterne die Häufigkeit schwerer ge und interdisziplinäre offene Wissenschaftskultur Atomkerne in allen alten Sternen der Zwerggalaxie entwickeln, wie sie auch für eine optimal effiziente Reticulum II signifikant angereichert hat. Multimessenger-Forschung unerlässlich ist. Die Astro- teilchenphysik-Community beteiligt sich proaktiv an Mit ihren jüngsten Ergebnissen haben die bodenge- entsprechenden nationalen (NFDI, ErUM-Data) und in- bundenen Gravitationswellen-Interferometer dieses ternationalen (EOSC) Prozessen. weitere Beobachtungsfenster zum Universum geöff- net. Schon für die gerade angelaufene neue Beob- Viele der diskutierten Themen und Projekte erfordern achtungsmission O3 wurden die Empfindlichkeit und auch erhebliche technologische Entwicklungen in somit die erwartete Rate von Beobachtungen erneut den Bereichen Detektoren, Auslese, Kalibration und massiv gesteigert. Die Instrumente der nächsten Ge- Synchronisation. Beispiele aus dem Detektorbereich neration (Einstein-Teleskop und LISA) werden unse- sind kostengünstige Einzelphotonen-Detektoren mit re kosmologischen Modelle noch präziser testen, die hoher Granularität oder die Herstellung hochreiner Verteilung von Materie und Dunkler Materie kartieren Materialien hinsichtlich radioaktiver Verunreinigungen. und empfindlich auf Effekte neuer Physik jenseits des Aufgrund der sehr langen Zeiträume vieler der derzeit Standardmodells der Teilchenphysik und jenseits der vorgeschlagenen Projekte wird es unerlässlich sein, das Standard-Kosmologie sein. Gravitationswellen können technologische Know-how in der Gemeinschaft zu er- Informationen aus der frühen Entwicklung des Univer- halten und weiterzuentwickeln. sums liefern – also aus der Epoche vor dem kosmischen Eine herausragende europäische Forschungslandschaft Mikrowellen-Hintergrund, aus der Inflationsphase und in der Astroteilchenphysik ist die Grundlage für den zu möglichen frühen Phasenübergängen erster Ord- wissenschaftlichen Fortschritt und die Attraktivität nung. Ein wachsender Anteil der deutschen Astroteil- des Feldes. Um die Kontinuität und Entwicklung der chenphysik-Gemeinschaft ist entschlossen, sich nach unverzichtbaren Expertise in der Forschung und der Möglichkeit intensiv – auch im Sinne der Multi-Mes- kollaborativen Forschungsinfrastruktur (Computer, senger-Astronomie – an der Entwicklung dieser Expe- Software und Detektoren) zu gewährleisten, müssen rimente der dritten Generation zu beteiligen und an die Personalstrukturen an die langfristige Dauer der deren wissenschaftlichem Ertrag zu partizipieren. Experimente angepasst werden, die die Laufzeit der Bewilligungszeiträume weit übersteigt. Junge Wis- senschaftler sind oft die Quelle neuer Ideen und ver- Übergreifende Themen fügen in vielen Bereichen über Spitzenkompetenz. Sie sind darauf angewiesen, dass ihre wissenschaftlichen Alle oben genannten Projekte werden wichtige, und technischen Beiträge hohe Sichtbarkeit erhalten, manchmal sogar entscheidende Impulse für die Wei- und sie brauchen Förderung und realistische Karriere- terentwicklung der fundamentalen theoretischen perspektiven. Grundlagen der Physik liefern. Die physikalische Inter- pretation der experimentellen Daten basiert auf einem Im Zuge von Outreach und Wissenschaftskommu- immer tiefer werdenden theoretischen Verständnis und nikation teilen Wissenschaftler ihre Begeisterung für erfordert an vielen Stellen die detaillierte Modellierung die Forschung und deren Ergebnisse mit der weltwei- astrophysikalischer Prozesse unter Einbeziehung eines ten Öffentlichkeit, um diese für den gesellschaftlichen breiten Spektrums theoretischer Methoden. Eine enge Nutzen der Grundlagenforschung zu sensibilisieren und Zusammenarbeit zwischen Experiment und Theorie ist um ihre Unterstützung zu werben. Outreach-Program- daher Voraussetzung für die Weiterentwicklung des me schaffen auch Möglichkeiten für junge Menschen, Forschungsgebietes. Die Theorie stellt auch die Verbin- Vorbilder zu treffen und Einblicke in den Forschungs- dungen zwischen den verschiedenen Themen her und prozess zu gewinnen. Der offene Online-Zugang zu identifiziert frühzeitig Möglichkeiten für zukünftige Ex- Daten oder Masterclass-Programmen ermöglicht die perimente. Beteiligung der Öffentlichkeit an der wissenschaftli- chen Forschung. Beispiellose Datenraten und -mengen der nächsten Ex- periment-Generation erfordern die Nutzung moderns- ter Methoden aus den Bereichen Computing- und Datenmodelle, Algorithmik und Software, um adäquate Computerkonzepte und innovative Prozesse 15
Perspektiven der Astroteilchenphysik 06.05.2019 5 Detaillierte Empfehlungen Neutrinoeigenschaften rexino und Double-Chooz wird in dem neuen Großex- periment JUNO (Jiangmen Underground Neutrino Ob- Wie groß ist die Neutrinomasse? Das weltweit führen- servatory) in China Verwendung finden, das im Jahre de Experiment zur direkten Neutrinomassen-Messung 2021 mit der Datennahme beginnen soll. Mit JUNO ist das KATRIN-Experiment am KIT unter deutscher wird die Massenhierarchie mit Hilfe von Reaktorneutri- Führung. KATRIN vermisst das Betaspektrum des Triti- nos und damit komplementär zu Beschleunigerexperi- um-Zerfalls und hat 2019 mit der Datennahme begon- menten und zu atmosphärischen Neutrinos untersucht. nen. KATRIN wird während der kommenden Förderpe- JUNO lässt darüber hinaus weitere Beiträge zur Erfor- riode die entscheidenden Daten nehmen. Parallel läuft schung astrophysikalischer Neutrinoquellen erwarten, die Entwicklung neuer Methoden zur Steigerung der wie etwa eine erste Messung der solaren CNO-Neu- Empfindlichkeit und des Physikpotenzials von KATRIN. trinos oder als Observatorien für Supernova-Neutrinos. Zudem werden in Deutschland im Rahmen weiterer Dieses Potenzial kann durch Entwicklungsarbeiten zu Projekte innovative und zur Messung des Tritium-Be- richtungsauflösenden Szintillatoren und ultraschnellen taspektrums komplementäre Technologien entwi- Lichtsensoren für zukünftige Neutrinodetektoren noch ckelt, z.B. mit dem unter deutscher Leitung stehenden weiter gesteigert werden. ECHo-Experiment, um die Empfindlichkeit von Experi- Ein anderer, vielversprechender Ansatz zur Messung menten auf international führendem Niveau in Zukunft der Neutrino-Massenhierarchie ist die Untersuchung nochmals signifikant steigern zu können. Das langfris- von Oszillationen atmosphärischer Neutrinos auf ihrem tige Ziel ist eine Sensitivität, die es erlaubt, auch solche Weg durch die Erde mit dicht instrumentierten Neu- Modelle zu testen, denen zufolge die Neutrinomassen trinoteleskopen. Sowohl IceCube wie auch KM3NeT sogar noch unterhalb der Empfindlichkeitsgrenzen der haben Letters of Intent für entsprechende Detektoren jetzt anlaufenden Experimente liegen könnten. (PINGU bzw. ORCA) vorgelegt, wobei deutsche Grup- Sind Neutrinos identisch mit ihren Antiteilchen? Kom- pen in beiden Fällen maßgebliche Beiträge geleistet ha- plementär zur direkten Neutrinomassen-Messung und ben. Insbesondere ORCA hat ein hohes Potenzial, da es verbunden mit der Überprüfung, ob Neutrinos ihre deutlich vor den beschleunigerbasierten Experimenten eigenen Antiteilchen sind, ist die Suche nach dem Hyper-Kamiokande und DUNE in Betrieb gehen kann. neutrinolosen doppelten Betazerfall. Die Expertise der Auch der kürzlich genehmigte Ausbau von IceCube Gruppen aus Deutschland ist im GERDA-Experiment (Gen2 Phase 1) eröffnet die Möglichkeit neuer Erkennt- gebündelt und die Gruppen haben sich eine weltweite nisse in der Neutrinophysik, insbesondere durch die Sichtbarkeit und Anerkennung in diesem kompetitiven Messung von Tau-Neutrinos, sowie durch Kombination Feld erarbeitet. Die Vorbereitung des Nachfolgeexpe- mit den JUNO-Daten auch in der Neutrino-Massenhie- riments LEGEND-200 schreitet entsprechend der Pla- rarchie. nung voran und der Beginn der Datennahme ist für Eine Steigerung der Empfindlichkeit von KATRIN wird 2021 geplant. Vorarbeiten für einen neuen Detektor die Suche nach sterilen Neutrinos im keV-Massenbe- LEGEND-1000 haben begonnen. Die DARWIN-Kol- reich ermöglichen. Weiterhin wird deutsche Szintilla- laboration untersucht derzeit die Empfindlichkeit des tor-Technologie im Experiment STEREO am Forschungs- geplanten multi-purpose-Experiments bezüglich des reaktor ILL in Frankreich verwendet, um bei sehr kurzen neutrinolosen doppelten Betazerfalls von Xe-136. Baselines nach Oszillationen steriler Neutrinos zu su- Ist die Massenhierarchie der Neutrinos so wie bei den chen. anderen Elementarteilchen und gibt es weitere, sterile Was lernen wir von kohärenter Neutrinostreuung? Die Neutrinos? In der letzten Dekade wurde das Phänomen kohärente, elastische Streuung von Neutrinos an der Neutrinooszillationen in mehreren Experimenten Atomkernen ist sowohl als Untergrundprozess für die weltweit eindrucksvoll bestätigt. Oszillationsparame- direkte WIMP-Suche als auch für Teilchen- und Astro- ter konnten mit immer höherer Präzision vermessen physik relevant. Sie wird in Deutschland mit dem CO- werden, insbesondere auch der Mischungswinkel Q13, NUS-Experiment untersucht. dessen Größe für die Planung künftiger Experimente von entscheidender Wichtigkeit ist. Beiträge deutscher Gruppen wurden hier besonders in den Experimenten Eine substantielle deutsche Beteiligung am kom- Borexino, Double Chooz, OPERA und T2K sichtbar. Die menden Doppelbetazerfall-Experiment LEGEND von deutschen Gruppen vorangetriebenen Entwicklun- und starke Anstrengungen zur Erhöhung der di- gen der Technologie ultrasensitiver Flüssigszintillatoren rekten Neutrino-Massenempfindlichkeit von La- bei niedrigsten radioaktiven Verunreinigungen in Bo- borexperimenten werden empfohlen. Das KAT 17
Perspektiven der Astroteilchenphysik 06.05.2019 empfiehlt weiterhin, KATRIN und LEGEND die aus der Paarvernichtung oder dem Zerfall von Teilchen notwendigen Mittel zur Verfügung zu stellen, um der Dunklen Materie (indirekte Suche). Sie sind beson- ihr Empfindlichkeitspotenzial vollständig auszu- ders auf Dunkle-Materie-Teilchen mit hohen Massen schöpfen sowie die Weiterentwicklung von KAT- empfindlich und damit im Phasenraum komplementär RIN und LEGEND zu unterstützen. F&E-Arbeiten zu den Experimenten der direkten Suche. bezüglich der Empfindlichkeit von DARWIN auf Dunkle Materie wurde bisher nicht entdeckt und die Neutrinoeigenschaften sollen gefördert werden. WIMP-Hypothese auch nicht durch Entdeckung neuer Das KAT empfiehlt die Beteiligung an JUNO und Physik z.B. am LHC gesichert. Es ist daher notwendig, an mindestens einem der Experimente (ORCA, die Suche auch auf Teilchen jenseits von WIMPs auszu- PINGU) zur Bestimmung der Neutrino-Massen- weiten. Die vielversprechendsten Alternativen sind Axi- hierarchie mit atmosphärischen Neutrinos, falls onen und axionartige Teilchen sowie sterile keV-Neu- dieses deutlich eher realisiert werden kann als trinos. Die Suche nach solchen Teilchen kann nur zum die beschleunigerbasierten Neutrinoexperimen- Teil mit den oben genannten Detektoren durchgeführt te Hyper-Kamiokande und DUNE. Das KAT emp- werden und erfordert neue, spezialisierte Experimen- te. Andere Alternativen, wie z.B. primordiale schwar- fiehlt, die Vorbereitung und den Aufbau von ze Löcher, können mit Gravitationswellen untersucht IceCube-Gen2 Phase 1 zu unterstützen. Das KAT werden. unterstützt ebenfalls die Bestrebungen zur Suche nach sterilen Neutrinos (KATRIN, STEREO) sowie Das KAT empfiehlt, sowohl CRESST wie auch die Fortentwicklung neuartiger Technologien zur XENONnT zu unterstützen, so dass sie ihr Poten- Neutrino-Massenbestimmung, z.B. Kryobolome- zial voll ausschöpfen können. Darüber hinaus ter bei ECHo, sowie atomare oder quasi-atomare sollten für den Upgrade von CRESST-III und für Tritiumquellen bei Project 8 und KATRIN. Die Aus- DARWIN als erstklassig positionierte Projekte mit schöpfung des Physikpotenzials von CONUS zur führender deutscher Beteiligung die notwenigen Untersuchung kohärenter Neutrinostreuung so- Mittel bereitgestellt werden. Weiterhin empfiehlt wie die Weiterentwicklung zu CONUS100 werden das KAT in Koordination mit den Axion-Gruppen befürwortet. der Teilchenphysik die Suche nach Axionen und axionartigen Teilchen zu intensivieren, insbeson- dere mit den Experimenten MADMAX (am DESY Dunkle Materie angesiedelt) und IAXO. Was ist die Dunkle Materie? Da die Masse der Teilchen Dunkler Materie unbekannt ist, empfiehlt das KAT die folgenden komplementären Wege, die es der deut- Nicht-Thermisches Universum und schen Astroteilchenphysik-Gemeinde erlauben wird, weiterhin führend bei der Suche und der erhofften Ursprung der kosmischen Strahlung Entdeckung der Dunklen Materie mitzuwirken: Wo befinden sich die Teilchenbeschleuniger im Univer- Bei der direkten Suche im Bereich sehr leichter WIMPs sum und wie funktionieren sie, welche Rolle spielt die (Weakly Interacting Massive Particles) besitzt das kosmische Strahlung in der Entwicklung unserer Milch- CRESST-Experiment mit einer speziellen, in Deutsch- straße und des Universums? Zur Untersuchung des Hochenergie-Universums werden alle drei Arten von land entwickelten Kryobolometer-Technologie die Botenteilchen, d.h. geladene kosmische Strahlung, beste Empfindlichkeit. Im Bereich mittelschwerer und Gamma-Strahlung und Neutrinos, sowie die Gravita schwerer WIMPs hat XENON1T die weltweit beste tionswellen genutzt. Empfindlichkeit, die ab Winter 2019/2020 mit dem XENONnT-Detektor um eine weitere Größenordnung Die Aktivitäten der Gamma-Astronomie konzentrieren gesteigert werden wird. Hierzu steuern deutsche Grup- sich auf den Bau und die Inbetriebnahme von CTA, pen u.a. bei der entscheidenden weiteren Reduktion das als Großgerät des BMBF betrieben werden wird. von Störsignalen wesentliche innovative Technologien Die Tatsache, dass die derzeit laufenden Gammastrah- bei, die für das DARWIN-Projekt eine entscheidende lungs-Teleskope – H.E.S.S. und MAGIC – an vielen Mul- Rolle spielen werden. Die deutlich erhöhte Empfind- timessenger-Beobachtungen und insbesondere auch lichkeit auf WIMPs wird bei DARWIN ergänzt durch ein an Multimessenger-Entdeckungen der vergangenen breites Programm zur Neutrinophysik. Jahre beteiligt waren, demonstriert das Potenzial der Gamma-Astronomie auch in diesem Bereich. Die weiter unten genannten Experimente zum Hoch energie-Universum (CTA und IceCube) verfolgen einen Im Rahmen der Erforschung der kosmischen Strahlung anderen Zugang: Sie suchen nach sekundären Teilchen ist das Pierre-Auger-Observatorium das führende Expe- 18
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