Aufschwung AVINEWS APRIL 2021 - Schweizerische Vogelwarte Sempach

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Aufschwung AVINEWS APRIL 2021 - Schweizerische Vogelwarte Sempach
Dorngrasmücke (Foto: Marcel Burkhardt)

AV I N E W S                               APRIL 2021

Aufschwung
Mit einer Vorwärtsstrategie will     Britain» will Kulturlandflächen für   verbindliche Sicherung besonders       nach mehr Natur entgegen, der
die Vogelwarte der Schweizer         die Natur zurückgewinnen.             wertvoller Biodiversitätsflächen       im Shutdown spürbar gewachsen
Vogelwelt zum Aufschwung und             Und hierzulande? Bis 2040 soll    wird nur als «zu prüfende Mass-        ist. Naturschutzgebiete waren
unserem Land zu mehr attrakti-       die Schweiz über eine funktions-      nahme» aufgeführt. Das klingt          im letzten Jahr beliebte Aus-
vem Lebensraum verhelfen.            fähige ökologische Infrastruktur      nicht nach einem ambitionierten        flugsziele und Erholungsgebiete.
                                     verfügen – sowohl im ländlichen       und visionären Plan, um die letz-      Studien zeigen ausserdem, dass
Der weltweite Rückgang der Bio-      als auch im städtischen Raum, so      ten Naturparadiese zu schützen.        Naturerlebnisse Menschen glück-
diversität schreitet weiter voran.   der Aktionsplan Strategie Bio-        Wieso opfern wir für Siedlungs-        licher und gesünder machen. Hier
Er kann nur mit entschlossenem       diversität Schweiz. Als Sofort-       und Infrastrukturprojekte schier       setzt das neue Vorhaben der
Handeln gestoppt werden. Joe         massnahme sollen bestehende           unbegrenzt und unwiderruflich          Vogelwarte an: Mit dem Projekt
Biden, der neue Präsident der        Schutzgebiete revitalisiert wer-      Land und tun uns schwer damit,         «Aufschwung für die Vogelwelt»
Vereinigten Staaten, hat schon       den. Doch das reicht nicht. Die zu-   Flächen für die Biodiversität zu si-   wollen wir eine Trendwende ein-
wenige Tage nach Amtsantritt ein     nehmende Überbauung und Zer-          chern, selbst wenn davon letzt-        läuten und gemeinsam mit vie-
ambitiöses Naturschutzziel ver-      schneidung von Lebensräumen           lich unsere eigene Existenz ab-        len Partnern im ganzen Land at-
kündet. Bis ins Jahr 2030 sollen     und die weitere Intensivierung        hängt?                                 traktive Lebensräume schaffen.
30 % der Landesfläche geschützt      der landwirtschaftlichen Nut-             Was die Vogelwelt braucht,         Nicht nur die Vögel werden dar-
werden, um den Verlust an Bio-       zung auch in den Berggebieten         ist eine Vorwärtsstrategie, die ihr    auf fliegen!
diversität zu stoppen. Heute sind    werden den bereits starken Druck      zum nötigen Lebensraum verhilft.
es in den USA erst 12 %. Auch        auf die Biodiversität noch weiter     Denn ausreichender und guter                      Matthias Kestenholz,
in Grossbritannien wächst die Er-    erhöhen. Im Aktionsplan wird          Lebensraum ist genauso wich-           Vorsitzender der Institutsleitung
kenntnis, dass für Wildtiere jetzt   daher vorgeschlagen, zusätz-          tig wie saubere Luft und saube-
mehr Platz geschaffen werden         liche Schutzgebiete einzurichten.     res Trinkwasser. Zudem kommt
muss: Die Bewegung «Rewilding        So weit, so gut. Doch schon die       er dem Wunsch der Bevölkerung
Aufschwung AVINEWS APRIL 2021 - Schweizerische Vogelwarte Sempach
AVINEWS APRIL 2021: IM FOKUS

Aufschwung für die Vogelwelt – machen Sie mit!
                                                                                                                              – naturnahe Lebensräume, aber
                                                                                                                              von Menschenhand erschaffen.

                                                                                                                               Vorzeigeprojekte weisen den
                                                                                                                               Weg
                                                                                                                               Die Vogelwarte hat bereits in
                                                                                                                               verschiedenen Regionen unse-
                                                                                                                               res Landes Gebiete ökologisch
                                                                                                                               aufgewertet. Im Schaffhauser
                                                                                                                               Klettgau hat sie mitgeholfen,
                                                                                                                               im Ackerbaugebiet grossflächig
                                                                                                                               Buntbrachen und Hecken an-
                                                                                                                               zulegen. Gleiches gelang in der
                                                                                                                               Champagne genevoise. Die Be-
                                                                                                                               stände von Dorngrasmücke,
                                                                                                                               Schwarzkehlchen und Orpheus-
                                                                                                                               spötter erholten sich in den
                                                                                                                               immer grösseren Ausgleichs-
                                                                                                                               flächen. In der Wauwiler Ebene
                                                                                                                               halfen neu angelegte Blumen-
                                                                                                                               wiesen und wechselfeuchte
                                                                                                                               Standorte, die letzten Bestände
                                                                                                                               von Feldlerche und Kiebitz im
Diese Fläche in der Wauwiler Ebene LU wurde für den Kiebitz renaturiert. Wechselfeuchte Standorte sind auch für rastende       Luzerner Mittelland zu stärken.
Zugvögel und die ganze Biodiversität sehr wertvoll. Vielerorts fehlen sie, da seit 1850 über 90 % der Feuchtgebiete in der     Bei all diesen Vorzeigeprojekten
Schweiz zerstört wurden (Foto: Schweizerische Vogelwarte).
                                                                                                                               war die gute Zusammenarbeit
                                                                                                                               zwischen ökologisch gesinnten
                                                                                                                               Landwirten, Vogelwarte und Be-
Vögel brauchen Raum zum Leben             dass viele einheimische Vogel-             den Vögeln mehr Lebensraum                hörden entscheidend.
in ausreichender Menge und                arten mit etwas höheren An-                zur Verfügung zu stellen und                 Diese Erfolge weisen den Weg
Qualität. Hier setzt das neue             sprüchen an ihren Lebensraum               dies in ausreichender Quali-              in die Zukunft. Vom Bodensee bis
Grossprojekt «Aufschwung für die          weiter zurückgedrängt werden.              tät. Denn es reicht nicht mehr,           zum Genfersee braucht es mehr
Vogelwelt» an, das die Vogelwarte         Die Vogelwarte hat daraus den              das noch Vorhandene zu be-                Refugien für die Vögel und die
in den nächsten Jahren zusammen           dringlichen «Handlungsbedarf               wahren. Es braucht neue at-               Biodiversität. Insbesondere im
mit Partnern umsetzen wird.               in 11 Punkten» abgeleitet. Ein             traktive Lebensräume, in denen            Kulturland und in den Feucht-
                                          zentrales Anliegen dabei ist es,           die Biodiversität Vorrang erhält          gebieten gibt es viel zu tun. Wer
Tag für Tag wird in der Schweiz
Natur zerstört. Der Lebensraum
für Wildpflanzen und -tiere
schwindet, viele Vogelbestände
schrumpfen. Rund ein Drit-
tel aller einheimischen Pflan-
zen-, Tier- und Pilzarten ist be-
droht, bei den Vögeln sind es
40 %. Immer mehr Fläche wird
vom Menschen beansprucht,
was für den Naturschutz rele-
vante Fragen aufwirft: Wenn
der Gemüseanbau mehr und
mehr unter Plastik oder in Ge-
wächshäusern stattfindet, wo
findet dann die Feldlerche noch
Platz zum Brüten? Wenn in den
Wiesen nur noch Löwenzahn
blüht und nachher nichts mehr,
wovon leben dann die Insekten
und wovon der Baumpieper?
Wenn das Wegnetz immer dich-
ter wird und den Zugang in die
entlegensten Wälder eröffnet,
wo findet das Auerhuhn noch
ungestörte Wälder?                            Die Bürger- und Einwohnergemeinde Saint-Gingolph VS wertet zusammen mit der Vogelwarte, die das Biodiversitätskonzept
   Der Schweizer Brutvogelatlas               beisteuerte, und verschiedenen Geldgebern einen einst traditionell genutzten Edelkastanienhain auf (Foto: Schweizerische
                                              Vogelwarte).
2013–2016 hat deutlich gezeigt,

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AVINEWS APRIL 2021: IM FOKUS

In einer Bergblumenwiese wachsen an die 50 Gras- und Wiesenblumenarten, den            Als Hotspots für die Biodiversität und als Kohlenstoffspeicher erhalten Moore heute
ganzen Frühling hindurch blüht etwas. Insekten finden hier über mehrere Monate         wieder vermehrt Aufmerksamkeit. So unterstützt die Vogelwarte die Renaturierung
Nahrung. Davon profitieren auch Insektenfresser wie das Braunkehlchen. Die intensive   und Wiedervernässung von Mooren und setzt sich damit neben der Artenförderung
Landwirtschaft hingegen führt zu Kunstwiesen mit wenigen Pflanzenarten.                auch für den Klimaschutz ein (Foto: Schweizerische Vogelwarte).
Dementsprechend kurz ist die Blütezeit und dementsprechend wenige Insekten
kommen dort vor (Foto: Roman Graf).

über Land fährt, hält vielerorts           welchen die Vogelwarte gross-               gaben im Vogelschutz wie zum               setzungen sollten aber erfüllt
vergebens Ausschau nach Land-              zügig bedacht wurde, kann sie               Beispiel Nistkastenparks, die              sein: (1) Das Land, das für die
schaften, in denen sich Äcker              in den kommenden Jahren meh-                Schaffung von Kleinstrukturen,             Vogelwelt und die Natur auf-
und Wiesen mit hochstämmigen               rere Millionen Franken in solche            Sensibilisierungsprojekte, Kam-            gewertet und langfristig ge-
Obstgärten, Buntbrachen und                Vorhaben investieren. Die ent-              pagnen oder Veranstaltungen                sichert werden kann, ist min-
extensiven Weiden abwechseln.              stehenden Lebensräume sollen                sind nicht Gegenstand dieses               destens 3 ha gross und liegt an
Und vielen Feuchtgebieten fehlen           grossflächig sein, d.h. mindes-             Projekts. Aber alle, die über die          einem Ort, der sich für die Förde-
breite Schilfufer und daran an-            tens 3 Hektar umfassen. «Auf-               Nutzung einer geeigneten grös-             rung der Biodiversität eignet. (2)
schliessende ungedüngte Sumpf-             schwung für die Vogelwelt» ist              seren Fläche (mit)bestimmen kön-           Die Realisierung wird von einer
wiesen. Eine solche ökologische            auch ein Vorbote zum 100-Jahr-              nen, rufen wir auf, mitzuhelfen.           Erfolgskontrolle begleitet und
Infrastruktur soll nun geschaffen          Jubiläum der Vogelwarte 2024.               Wir freuen uns, wenn Sie sich als          eine langfristige, zielorientierte
werden, einerseits als Lebens-             In Form von Vogelparadiesen                 Waldeigentümer, Kiesgruben-                Nutzung oder Pflege der Fläche
raum für Vögel und andere Wild-            möchten wir der Schweizer Be-               besitzerin, Landschaftsschutzver-          ist gesichert. Die Fachleute der
tiere. Andererseits aber auch als          völkerung etwas zurückgeben als             band, Korporation, Bürger- und             Vogelwarte sind gerne bereit mit-
attraktive Naherholungsgebiete             Dank für die langjährige Treue zur          Einwohnergemeinde, Landwirt,               zuhelfen, um das Projekt von der
für uns Menschen. Gerade die               Vogelwarte. Die Projekte sollen             Firma, Naturschutzorganisation,            Idee bis zur Ausführung voran-
letzten Monate haben gezeigt,              beständig sein und langfristig              kommunale, kantonale oder na-              zubringen.
dass jede Gemeinde über Natur-             vertraglich gesichert werden, so            tionale Behörde, private Land-                 Ziel ist ein langfristiger Auf-
oasen verfügen sollte.                     dass sie auch weit über das Jubi-           besitzerin oder als regionaler             schwung für die Vogelwelt und
                                           läum hinaus zum Wohl der Vögel              Naturpark mit einer Idee, einem            die ganze Biodiversität, an dem
Landesweiter «Aufschwung für               erhalten bleiben.                           Vorhaben oder einem Projekt bei            sich hoffentlich noch viele zu-
die Vogelwelt»                                Die Vogelwarte ist dabei auf             uns melden.                                künftige Generationen erfreuen
Die Vogelwarte will die Schaf-             Partnerinnen und Partner an-                   So unterschiedlich die Part-            können.
fung von solchen Naturoasen                gewiesen. Wenn Sie als Ge-                  nerinnen und Partner sind, so
vorantreiben und lanciert daher            meindevertreterin eine Allmend              unterschiedlich werden auch die                                     Petra Horch
das Projekt «Aufschwung für die            ökologisch gestalten möchten                Projekte und ihr Stand der Aus-
Vogelwelt». Sie möchte damit               oder als innovativer Landwirt               arbeitung sein. Folgende Voraus-
einen langfristigen Beitrag leis-          der Vogelwelt zum Aufschwung
ten und gemeinsam mit ver-                 verhelfen wollen, wenn Sie in
schiedensten Partnerinnen und              ihrem lokalen Naturschutzver-
Partnern zahlreiche Projekte im            ein ein grösseres Naturschutz-
                                                                                           Ein Projekt anmelden
ganzen Land realisieren. Es geht           projekt realisieren oder als Wald-
darum, geeignete Flächen auf-              besitzerin ihren Forst naturnah                 Schildern Sie uns Ihre Idee oder schicken Sie uns Ihr Projektdossier, mög-
zuwerten oder neu zu gestalten             bewirtschaften möchten, dann                    lichst mit Angaben zum Gebiet und seiner Lage, dem Ausgangszustand
und langfristig zu sichern, um             melden Sie sich bei uns.                        und dem Potenzial für die Biodiversität, zum geplanten Vorgehen, allen-
für die bedrohten Vögel und die                                                            falls auch einer groben Kostenschätzung und einem Hinweis, wie die Flä-
ganze Biodiversität attraktive             Gesucht: Flächen und Ideen!                     che langfristig gesichert werden soll. Helfen Sie mit beim «Aufschwung
Lebensräume zu schaffen. Dank              Die Vogelwelt können wir nur ge-                für die Vogelwelt»! aufschwung@vogelwarte.ch
Legaten und Erbschaften, mit               meinsam retten. Wichtige Auf-

                                                                                                                                                                     3
Aufschwung AVINEWS APRIL 2021 - Schweizerische Vogelwarte Sempach
AVINEWS APRIL 2021: VOGELSCHUTZTHEMEN ERKLÄRT

Kormoran und Fischerei – gefangen im Konflikt?
Der Kormoran ist immer wie-
der Thema heftig geführter Dis-
kussionen. Die Vogelwarte setzt
sich dafür ein, dass diese auf Fak-
ten beruhen und dass die Dis-
kussionspartner Umweltprobleme,
welche Fische und Vögel betreffen,
gemeinsam angehen.

Fische gehören zu den gefähr-
detsten Tiergruppen der Schweiz.
Durch menschliche Aktivitäten
wurden die natürlichen Struk-
turen in ihren Lebensräumen
vielerorts zerstört und ihre Wan-
derungen durch Dämme und an-
dere Bauwerke unterbunden. Um
diese Verluste zu kompensieren,
wurden Gewässer auch mit ge-
bietsfremden Fischarten besetzt,
die in Konkurrenz zu den heimi-
schen Fischen traten. Pestizide,         Ein Kormoran trocknet nach einem Tauchgang seine Flügel (Foto: Marcel Burkhardt).
Spurenstoffe wie Arzneimittel-
rückstände und Mikroplastik
sowie die Folgen des Klima-           auch in der Schweiz, der Bestand        scheinbare Widerspruch zu stark             unterhalb des Fangmasses liegen,
wandels wirken schon heute auf        lag 2020 gemäss Zählungen bei           gesunkenen Fischfangerträgen                sind anhand des Fischereiertrags
manche Fischart kritisch. Zudem       2468 Brutpaaren. Wie bei vie-           ist mit methodischen Schwierig-             keine Aussagen möglich. Kormo-
ist wissenschaftlich erwiesen,        len grossen Vogelarten wird der         keiten zu begründen. Selbst mit             rane nutzen jedoch genau diese
dass die fischereiwirtschaftliche     Kormoranbestand kaum durch              grösstem Aufwand kann der tat-              Fische in hohem Masse. Eine Zu-
Nutzung an manchen unserer            Prädatoren, sondern vor allem           sächliche Fischbestand nur un-              nahme fischfressender Vögeln
Seen das Mass der Nachhaltig-         durch die Verfügbarkeit von             genau erfasst werden. Meist                 bei gleichzeitig rückläufigem
keit übersteigt. Doch trotz erheb-    Nahrung und Nistplätzen bzw.            wird der Fangertrag der Berufs-             Fangertrag ist somit noch kein
licher Bestandsrückgänge vieler       Konkurrenz mit Artgenossen li-          fischer als Mass für den Fisch-             Nachweis eines Schadens oder
Fischarten und sinkender Erträge      mitiert. Die seit 2016 geringe          bestand verwendet. Doch dieser              einer Gefährdung der Fischbe-
der Berufs- und Angelfischer ver-     jährliche Zuwachsrate des Brut-         wird z.B. vom Befischungsauf-               stände durch die Vögel.
bleiben die Kormoranzahlen auf        bestands deutet darauf hin, dass        wand, den Mindestfanggrössen,                  Kormorane bevorzugen Fi-
hohem Niveau. Der Konflikt wird       diese Faktoren zu wirken begin-         aber auch von den Vorlieben für             sche zwischen 10 und 15 cm
sich weiter verschärfen, wenn         nen. Die limitierende Ressource         wenige, wirtschaftlich relevante            Länge, ausnahmsweise können
massgebende menschgemachte            scheint dabei eher die Verfüg-          Fischarten beeinflusst. Über die            sie bis um 40 cm gross sein. Ge-
Einflüsse auf unsere Gewässer         barkeit geeigneter Nistplätze zu        Bestände wirtschaftlich wenig               nutzt werden vor allem jene Fi-
ausgeblendet werden.                  sein, als knapp werdende Nah-           interessanter Fischarten sowie              sche, die am einfachsten und
                                      rung. Darauf weist die Tatsache         von Jung- und Kleinfischen, die             häufigsten verfügbar sind. Das
Bestandsentwicklung mit               hin, dass sich alle Schweizer Brut-
Grenzen                               kolonien in Schutzgebieten be-
Der Kormoran ist eine ein-            finden.
heimische Art, die seit histori-
schen Zeiten bei uns überwintert.     Komplexe Zusammenhänge
Der Bestand der in der Schweiz        Lange Zeit stiegen die Fischfang-
überwinternden Kormorane              erträge und die Bestände des
hat sich seit einem Maximum in        Kormorans parallel an. Doch
den 1990er Jahren inzwischen          in den letzten Jahren wuchsen
bei rund 5500 Individuen ein-         nur noch die Kormoranzahlen.
gependelt. Seit Jahrhunderten         Mancherorts fangen Kormorane
verfolgt, wurde er in Europa in       inzwischen ähnlich viel Fisch wie
den 1960er Jahren an den Rand         Berufsfischer. Ist also der Kor-
des Aussterbens gebracht. Nach        moran Schuld am Zusammen-
Unterschutzstellung erholte sich      bruch der Fischfangerträge?
sein Bestand aber rasch. Bei der      Der Zusammenhang zwischen
letzten Erfassung im Jahr 2012        Fischfangertrag und Kormoran-
wurden in Europa etwa 370 000         bestand ist wesentlich komple-
Brutpaare der im europäischen         xer. Ein über Jahre steigender Be-          An kanalisierten Gewässern, wie hier am Linthkanal, ist der Fischbestand aufgrund
Binnenland heimischen Unterart        stand an fischfressenden Vögeln             des Mangels an natürlichen Strukturen stark reduziert. Zudem finden die Fische
                                                                                  keine Refugien vor einfliegenden Kormoranen (Foto: Parpan05 | CC BY-SA 3.0 |
sinensis gezählt. Seit 2001 brü-      bedeutet, dass ausreichend Nah-
                                                                                  wikimedia.org).
tet er ohne menschliches Zutun        rung vorhanden sein muss. Der

  4
Aufschwung AVINEWS APRIL 2021 - Schweizerische Vogelwarte Sempach
AVINEWS APRIL 2021: VOGELSCHUTZTHEMEN ERKLÄRT

können auf Laichgründen aber                                 2500
auch seltene Fischarten sein. Der                                           sonstige Seen
tägliche Nahrungsbedarf eines                                               Greifensee
einzelnen Kormorans hängt von                                2000
                                                                            Zugersee
seiner Grösse, sowie seinem Ge-
schlecht und Alter ab, aber auch                                            Sempachersee

                                        Anzahl Brutpaare
vom Nährwert der Beutefische.                                               Lago Maggiore
                                                             1500
Bei kalten Luft- und Wasser-                                                Genfersee
temperaturen sowie Störun-                                                  Neuenburgersee
gen, welche die Kormorane zur
                                                             1000
Flucht zwingen, steigt der Appe-
tit. Im Schnitt benötigt ein Kor-
moran täglich etwa 300 bis 500 g
                                                               500
Fisch. Dabei führen die täglichen
Jagdflüge bis in Distanzen von
100 km.
                                                                 0
                                                                     2000          2002           2004       2006          2008          2010       2012         2014          2016           2018       2020
Viel Fisch, viele Nutzer
Analysen der Vogelwarte zeigen,                             In den letzten Jahren ist der Brutbestand des Kormorans kaum grösser geworden. Im Gegenteil: 2020 war der Brutbestand
dass der Fischfangertrag positiv                            erstmals tiefer als im Vorjahr, wenn auch nur geringfügig. Drei Viertel des Bestands brütet am Neuenburger- und Genfersee
                                                            (Grafik: Schweizerische Vogelwarte).
mit der Anzahl der Kormorane
korreliert. Dies ist angesichts der
Nutzung einer gemeinsamen
Ressource einleuchtend, verstärkt
jedoch das Konkurrenzgefühl                                  9000
und den Wunsch nach Mass-
nahmen. Der Kormoran ist in der                              8000

Schweiz im Winter jagdbar. Zwi-
                                                             7000
schen 2010 und 2019 wurden
gemäss eidgenössischer Jagd-                                 6000
                                        Anzahl Individuen

statistik pro Jahr durchschnitt-
lich 1509 Kormorane erlegt (inkl.                            5000
Spezialabschüsse). Problematisch
ist dies, wenn dadurch störungs-                             4000
empfindliche überwinternde
                                                             3000
Vogelarten beeinträchtigt und
die Schutzziele von Wasser- und                              2000
Zugvogelreservaten gefährdet
werden. Vom 1. Februar bis 31.                               1000
August geniesst der Kormoran
eine Schonzeit, doch reicht seine                                0
                                                                     1967

                                                                            1970

                                                                                    1973

                                                                                           1976

                                                                                                    1979

                                                                                                            1982

                                                                                                                    1985

                                                                                                                           1988

                                                                                                                                  1991

                                                                                                                                          1994

                                                                                                                                                 1997

                                                                                                                                                        2000

                                                                                                                                                                2003

                                                                                                                                                                        2006

                                                                                                                                                                                2009

                                                                                                                                                                                       2012

                                                                                                                                                                                                2015

                                                                                                                                                                                                       2018
Brutzeit regelmässig bis weit in
den September. Die Kantone
können zudem jederzeit Mass-                                Der Winterbestand des Kormorans hat seit Beginn der Zählungen 1967 bis Anfang der 1990er-Jahre stark zugenommen.
nahmen gegen einzelne Kor-                                  Danach ging er wieder zurück und ist inzwischen seit mehr als 20 Jahren stabil bei rund 5500 Individuen (Grafik:
                                                            Schweizerische Vogelwarte).
morane, die erheblichen Scha-
den anrichten, anordnen oder
erlauben. In den angrenzenden
EU-Staaten ist der Kormoran hin-      erfassungen am Défilé de l’Écluse                                    weichen sie rasch innerhalb des                     ohne andere Schutzziele zu ge-
gegen ganzjährig geschützt. Er        in Frankreich zeigen, dass dort                                      Gewässers oder auf Flüsse aus,                      fährden. Diese Haltung vertritt
kann dort nur mit Ausnahme-           im Herbst bis zu 20 000 Kormo-                                       wo der Frassdruck auf die durch                     die Vogelwarte nach Abwägung
bewilligung geschossen werden,        rane durchziehen, die zuvor die                                      den Klimawandel bereits stark                       der bekannten Fakten. Sie setzt
die allerdings regelmässig aus-       Schweiz passiert haben. Diese                                        gefährdete Äsche künstlich er-                      sich unverändert dafür ein, dass
gestellt wird.                        Zahl veranschaulicht auch die                                        höht werden könnte.                                 Diskussionen und getroffene
                                      Sinnlosigkeit, über winterliche                                                                                          Massnahmen auf Fakten beruhen
Was bringen Massnahmen zur            Abschüsse in der Schweiz einen                                       Wichtig sind Massnahmen zum                         und zielführend sind.
Schadensabwehr?                       Bestandsrückgang erwirken zu                                         Artenschutz                                             Die Vogelwarte ruft zudem
Ein Grossteil der bei uns nisten-     wollen.                                                              Die Vogelwarte lehnt gezielte                       alle von der Kormorandiskussion
den Kormorane zieht im Win-              Wirkung könnte durch Ver-                                         Massnahmen gegen den Kor-                           Betroffenen dazu auf, sich durch
ter Richtung Iberische Halbinsel,     grämungsabschüsse erzielt wer-                                       moran zum Schutz der Äsche                          einen allfälligen Konflikt nicht
insbesondere Jungvögel. Unsere        den (ein Vogel wird erlegt, der                                      während der Laichzeit nicht ab.                     von ihren gemeinsamen Zielen
Wintergäste stammen gemäss            Rest eines Trupps flieht). Dadurch                                   So kann an begradigten Fluss-                       abbringen zu lassen, die Lebens-
Ringfunden primär von der Nord-       mag bei konsequentem Vor-                                            läufen durch den gezielten Ver-                     bedingungen für Fische und
und der Ostsee. Abschüsse im          gehen die Kormoranpräsenz zwar                                       grämungsabschuss weniger Kor-                       Vögel an den Schweizer Seen
Winter haben somit kaum Ein-          lokal reduziert werden, doch gilt                                    morane der Äschenschutz an den                      und Flüssen zu verbessern.
fluss auf bei uns brütende Kor-       es, genau abzuwägen: Werden                                          wenigen verbliebenen Laich-
morane. Systematische Zugvogel-       Kormorane an Seen vergrämt,                                          gründen gewährleistet werden,                                                Stefan Werner

                                                                                                                                                                                                          5
Aufschwung AVINEWS APRIL 2021 - Schweizerische Vogelwarte Sempach
AVINEWS APRIL 2021: ARTENFÖRDERUNG

Vom absehbaren Aus zur erfolgreichen Rückkehr?
Nach Jahren in denen die Zwerg-        Die Ökologie der Zwergohreule
ohreule in der Schweiz kurz vor        besser verstehen
dem Verschwinden stand, erobert        Schon sehr früh hat sich die Vogel-
sie nun verlorenes Terrain zurück.     warte mit Unterstützung des Kan-
Der Bestand wird sich aber nur         tons Wallis für die Förderung und
bei gezielter Förderung halten         den Erhalt dieser Lebensräume
können.                                eingesetzt. Dank Studien der
                                       Vogelwarte mit den Universitäten
Früher konnte man den Ge-              Lausanne und Bern wissen wir
sang der Zwergohreule im Wal-          heute recht gut, was die Zwerg-
lis, im Genferseebecken, am            ohreule zum Überleben braucht.
Südufer des Neuenburgersees            Das Revier einer Zwergohreule
sowie in einigen Bündner und           umfasst 10 bis 30 ha. An Orten
Tessiner Tälern hören. Zu Be-          mit hoher Bestandsdichte, also
ginn des 21. Jahrhunderts war          mit 3–4 Sängern pro km2, sind die
er jedoch fast überall verstummt.      Singwarten der Männchen 150 bis
Eingesetzt hatte der starke Be-        250 m voneinander entfernt.
standsrückgang dieses Lang-                Mit diesem Wissen können wir
streckenziehers, der sich in           jetzt gezielte Schutzmassnahmen            Dank des rindenfarbenen Gefieders verschmilzt die Zwergohreule optisch perfekt
der Schweiz nur von April bis          ergreifen. Untersuchungen zur              mit ihrer Umgebung. Sie macht sich vor allem durch ihre typischen Rufe
                                                                                  bemerkbar, die man in der Schweiz immer öfter hört (Foto: Peter Keusch).
September aufhält, schon in            Raumnutzung der Zwergohr-
den 70er-Jahren. Bis kurz nach         eule und zur verfügbaren Nah-
der Jahrtausendwende waren             rung zeigen, dass extensiv bewirt-
auch die Vorkommen im Wal-             schaftete Wiesen mit geringer           einen Flächenanteil von 10–20 %          nahmen zur Wiederherstellung
lis auf ein einziges Brutpaar          Düngerzufuhr und Bewässerung            ausmachen, denn bei grösserer            von vergandeten Wiesen und
bei Sitten geschrumpft. Ursa-          sowie spätem Grasschnitt mehr           Gehölzfläche sinkt der Anteil            Weiden im Wallis konsequent
che dafür sind zwei gegensätz-         Insekten beherbergen als inten-         an Magerwiesen und die Wahr-             weiter. Mehr als 5 ha konnten
liche Entwicklungen. Die erste,        siv genutzte Steppen oder Wie-          scheinlichkeit steigt, dass sich         wir in den letzten Jahren wie-
zunehmende Überbauung und              sen. Angesichts des Rückgangs           dort auch Fressfeinde wie Wald-          der offenlegen. Ein weiterer
Intensivierung der Landwirt-           der Insektenbestände sind               kauz oder Waldohreule ansiedeln.         Schwerpunkt ist die Pflanzung
schaft, führt zum Verschwinden         diese Lebensräume für ein aus-          Unsere Fördermassnahmen sind             neuer, bzw. Verjüngung alter,
vielfältiger Extensivwiesen mit        reichendes Nahrungsangebot von          deshalb auf zwei Aspekte fo-             kurz vor dem Lebensende stehen-
alten, Höhlenbäumen und för-           Insektenfressern sehr wichtig. Ein      kussiert: Forstliche Eingriffe zu-       der Hochstamm-Obstgärten, die
dert stattdessen Weinberge,            Zwergohreulenrevier sollte min-         gunsten der Zwergohreule und             auch als Brutbiotop für Höhlen-
Wohnquartiere und monotone             destens 30 % extensiv genutzte          die Erhaltung der traditionellen         brüter wie Gartenrotschwanz
Intensivkulturen. Die zweite           Mähwiesen oder Weiden auf-              Agrarlandschaft, dazu das Schaf-         und Wiedehopf wichtig sind.
ist die Nutzungsaufgabe auf            weisen.                                 fen von Rückzugsgebieten für In-             Bei der Anlage eines extensiv
schwer zugänglichen Flächen,              Zwergohreulen nutzen zum             sekten, etwa mit Hilfe von nicht         genutzten Hochstamm-Obst-
die dann verganden. Auch diese         Brüten meist Grünspecht-                gemähten Krautstreifen.                  gartens schaffen wir unterschied-
Entwicklung geht zulasten tradi-       höhlen in alten Bäumen. Feld-                                                    liche Kleinstrukturen. So dienen
tioneller Extensivwiesen, die der      gehölze, Baumhecken und Einzel-         Wiesen freilegen, Bäume                  ungemähte Bereiche, Ast- und
auf Grossinsekten spezialisierten      bäume sind deshalb für die Fort-        pflanzen                                 Steinhaufen als Unterschlupf für
Eulenart als Speisekammer die-         pflanzung und Jagd sehr wichtig.        Nach ersten ermutigenden Er-             Insekten und kleine Wirbeltiere
nen.                                   Sie sollten im Revier aber nur          gebnissen führen wir die Mass-           und werten die Lebensräume zu-

Luftaufnahmen der Region um Savièse aus den Jahren 1946 (links) und 2019 (rechts). Wohnquartiere, Weinberge und Waldparzellen haben zulasten von Wiesen und
dorfnahen Obstgärten flächenmässig stark zugelegt (© swisstopo).

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Aufschwung AVINEWS APRIL 2021 - Schweizerische Vogelwarte Sempach
sätzlich auf. Überdies ist es zwin-
gend, auch auf höherer Ebene
aktiv zu werden: Bei der an-
stehenden Erneuerung der kom-
munalen Nutzungspläne wird
sich die Schweizerische Vogel-
warte dafür einsetzen, dass die
Lebensräume der Zwergohreule
berücksichtigt und für die neuen
Planungsperioden geschützt wer-
den.

Gute Aussichten
Dank der Zunahme in den letz-
ten 20 Jahren könnte der Zwerg-
ohreulenbestand im Wallis
möglicherweise bereits selbst-
erhaltend und nicht von der Ein-
wanderung aus anderen Ge-
bieten abhängig sein; er ist aber        Freilegen alter, vor einigen Jahren noch als Wiesen oder Weiden genutzter Terrassen. Heute sind sie von Gehölzpflanzen
nach wie vor stark aufgesplittert.       überwuchert, vor allem von Hartriegeln und Eschen (Foto: Jean-Nicolas Pradervand).
Nach einem Anstieg der Brut-
paarzahlen in den Hanglagen
folgte die Besiedlung der Ebene       zu Einflügen in Gebiete ausser-
und des Oberwallis, wo lokal klei-    halb des Wallis und des Tessins.
nere Kernbestände entstanden          2020 war dies aber offenbar nicht
sind, zum Teil sogar in Siedlungs-    der Fall, zumindest nicht in dem
nähe. Insgesamt beherbergte das       Ausmass wie im Wallis. Es wird
Wallis in den letzten Jahren wie-     darum interessant sein, zu er-
der etwa 30 Zwergohreulen-            fahren, welcher Anteil der neuen
reviere. Im Tessin registriert man    Reviere auch in den kommenden
alljährlich 3–5 Sänger, in Grau-      Jahren noch besetzt sein wird.
bünden und ab und zu im Kan-              Weil die Zwergohreule unter
ton Genf weitere 1–2, während         Druck steht, müssen wir sie genau
Bruten in der übrigen Schweiz         im Auge behalten und können
selten sind.                          nicht annehmen, ihre Rückkehr
    2020 sind die Brutbestände        sei schon dauerhaft gesichert.
im Wallis mit grösserem Auf-          Der gesamteuropäische Trend
wand kartiert worden. Rund 20         jedenfalls ist wenig ermutigend.
Freiwillige fanden auf ihrer nächt-   Zwar könnte sich die Klima-              Öffnen einer vergandeten Parzelle und Anlegen eines Hochstamm-Obstgartens. Bis
lichen Suche rund 70 Reviere!         änderung in Osteuropa und in der         die Bäume die erforderliche Grösse erreicht haben, dienen Nistkästen als Brutplatz-
                                                                               Alternativen (Foto: Jean-Nicolas Pradervand).
Diese Zahl überrascht, denn sie       Schweiz positiv auf die Bestände
liegt doppelt so hoch wie der         auswirken, vor allem in den tro-                        Otus scops
Mittelwert der letzten Jahre. Der     ckensten Brutgebieten in Frank-
grössere Kartierungsaufwand           reich und Spanien ist aber eher
dürfte bei dieser Zunahme nur         mit rückläufigen Populationen zu                 500
eine geringe Rolle spielen. Denn      rechnen. Die Bemühungen um
die neu gefundenen Territorien        überlebensfähige Brutbestände                    400
liegen vor allem an den Rändern       und intakte Lebensräume in der
bisher besetzter und deshalb          Schweiz und speziell im Wal-
auch schon früher regelmässig         lis müssen also uneingeschränkt                  300
                                                                              Index

überwachter Gebiete. Es könnte        weitergehen, damit der Gesang
also sein, dass die Neuzuzügler       der «Pioute», wie die Zwerg-                     200
durch die alteingesessenen Vögel      ohreule von der französisch-
angelockt worden sind.                sprachigen Bevölkerung im Wal-
    Ausnahmejahre wie 2020 sind       lis genannt wird, auch in Zukunft                100
bei der Zwergohreule durchaus         zu hören sein wird.
bekannt. Bereits in den 1980er-                                                           0
Jahren wurde darauf hin-                      Jean-Nicolas Pradervand
gewiesen, dass ein nordwärts                                                                  1990     1995       2000      2005       2010       2015      2020
verlängerter Heimzug zu unter-
schiedlich starken Einflügen füh-                                              Die Fördermassnahmen wirken, denn seit 20 Jahren nehmen die Bestände der
ren kann. In der Schweiz kommt                                                 Zwergohreule deutlich zu, wenn auch mit gewissen Schwankungen (Grafik:
                                                                               Schweizerische Vogelwarte).
es in solchen Fällen regelmässig

                                                                                                                                                             7
Aufschwung AVINEWS APRIL 2021 - Schweizerische Vogelwarte Sempach
AVINEWS APRIL 2021: NEUES AUS DER FORSCHUNG

Fragmentierung und Habitatverlust unterscheiden
                                                                                    unterschiedlichen Prozesse aus-       tiv aus. In diesen Fällen sollte
                                                                                    einanderzuhalten. Das Verständ-       man bei Schutzmassnahmen da-
                                                                                    nis ihrer Wechselwirkungen ist        rauf achten, begrünte Weinberg-
                                                                                    aber entscheidend, um die Ziele       flächen möglichst am Stück zu er-
                                                                                    für Nutzungsplanungen festlegen       halten. Ist ihr Anteil in einem Re-
                                                                                    zu können.                            vier aber höher als 30 %, sollten
                                                                                        Eine von Laura Bosco und          die begrünten Weinbergparzellen
                                                                                    Alain Jacot geleitete Studie der      möglichst fragmentiert und
                                                                                    Walliser Aussenstelle der Schwei-     gleichmässig verteilt sein. Dann
                                                                                    zerischen Vogelwarte wollte des-      führt die Zerstückelung zu einem
                                                                                    halb den Einfluss von Lebens-         Mosaik vielfältiger Lebensräume.
                                                                                    raumfragmentierung und -verlust       Diese Empfehlungen sollten bei
                                                                                    auf die Habitatwahl der Heide-        der Nutzungsplanung berück-
                                                                                    lerche ermitteln. Zwischen 2014       sichtigt werden, um möglichst
                                                                                    und 2016 wurden 49 Vögel be-          positive Effekte für den Arten-
                                                                                    ringt und mit Radiosendern aus-       schutz zu erzielen.
                                                                                    gerüstet, um herauszufinden, wie
                                                                                    sie ihren Lebensraum in den schö-             Bosco, L., S. A. Cushman,
                                                                                    nen, begrünten Walliser Wein-                 H. Y. Wan, K. A. Zeller, R.
Die Heidelerche gilt in der Schweiz als verletzlich und zieht im Wallis Weinberge   bergen nutzen. Die Bestimmung                Arlettaz & A. Jacot (2020):
mit spärlicher Bodenvegetation anderen Lebensräumen vor (Foto: Ralph Martin).       der Habitatqualität erfolgte mit              Fragmentation effects on
                                                                                    Hilfe von Satellitenaufnahmen.              woodlark habitat selection
                                                                                        Aufgrund der Ergebnisse er-        depend on habitat amount and
Um gefährdete Arten zu erhalten,            Lebensraumverlust und -frag-            scheint es sinnvoll, die beiden         spatial scale. Anim Conserv 24:
ist es wichtig, ihre Lebensräume            mentierung tragen wesentlich            Prozesse zu unterscheiden. In          84–94. https://doi.org/10.1111/
zu schützen und die auf die Habi-           zum Rückgang der Biodiversität          Revieren mit weniger als 20 %                                acv.12604.
tate einwirkenden Faktoren bes-             bei. Allerdings ist es schwierig,       begrünter Weinbergfläche wirkt
ser zu verstehen.                           die Auswirkungen dieser beiden          sich die Fragmentierung nega-

Ist die Schweiz zu aufgeräumt für den Steinkauz?
Politische Grenzen können einen            sen als in der Schweiz. Auch
grossen Einfluss auf die Eignung           alte Hochstamm-Obstbäume mit
einer Region als Lebensraum                vielen potenziellen Bruthöhlen
haben. Dies zeigt sich deutlich            kamen häufiger vor. Zudem waren
am Beispiel des Steinkauzes, bei           Kleinstrukturen wie Asthaufen
dem die Besiedlung in der Schweiz          und Trockensteinmauern in Süd-
langsamer verläuft als in Süd-             deutschland rund drei Mal häufi-
deutschland.                               ger, was sich auf das Angebot an
                                           Bruthöhlen und Beutetieren aus-
Ein für die Schweiz und Ba-                wirkt. Grund dafür sind sozio-
den-Württemberg erstelltes                 kulturelle, historische und recht-
Habitateignungsmodell zeigte,              liche Unterschiede in der Land-
dass weite Teile des Landwirt-             nutzung über politische Grenzen
schaftsgebiets beider Regionen             hinweg. Auch unterschiedliche               Der Steinkauz bewohnt strukturreiche und wenig intensiv bewirtschaftete
als Lebensraum für den Stein-              Anreize der Agrarpolitik spielen            Landwirtschaftsgebiete (Foto: Mathias Schäf).
kauz geeignet wären. Trotzdem              eine Rolle: Zum Beispiel wurden
nahm in den letzten Jahren die             viele Schweizer Hochstamm-Obst-
süddeutsche Population stark               gärten nach dem Zweiten Welt-            Steinkauzes in der Schweiz er-              Tschumi, M., P. Scherler, J.
zu, während der Schweizer Be-              krieg durch staatlich unterstützte       fordert also ein Umdenken in            Fattebert, B. Naef-Daenzer &
stand trotz Fördermassnahmen               Rodungsaktionen ausgemerzt.              der Agrarpolitik und mehr Tole-        M. U. Grüebler (2020): Political
vergleichsweise langsam an-                Diese Unterschiede führen zu             ranz gegenüber unproduktiven              borders impact associations
stieg. Die Gründe dafür zeigt              einer unterschiedlich intensiven         Strukturen und scheinbarer «Un-            between habitat suitability
eine neue Studie der Schweize-             Nutzung und damit auch zu einer          ordnung» wie alten Hütten und                predictions and resource
rischen Vogelwarte.                        unterschiedlichen Verfügbarkeit          grossen Einzelbäumen mit ab-               availability. Landscape Ecol
    In Baden-Württemberg fan-              von überlebenswichtigen Ressour-         gestorbenen Ästen, wovon auch             35: 2287–2300. https://doi.
den die Fachleute deutlich mehr            cen wie Nahrung oder Nistplätzen.        viele weitere gefährdete Arten              org/10.1007/s10980-020-
extensiv bewirtschaftete Wie-              Die erfolgreiche Förderung des           profitieren würden.                                            01103-8

   8
Aufschwung AVINEWS APRIL 2021 - Schweizerische Vogelwarte Sempach
AVINEWS APRIL 2021: IM FOKUS

Koexistenz dank ausreichendem Brutplatzangebot
Die Mittelmeermöwe zeigte in            len könnten eine Begrenzung der                              1600
den letzten Jahrzehnten eine            Nahrungsverfügbarkeit und eine                                             restliche Schweiz
starke Dynamik in Bestand und           Limitierung des Brutplatzangebots                            1400          Neuenburgersee
Ausbreitung. Dabei ist oft auch         auf den Kiesinseln durch auf-                                              Dachbruten
die Brutplatzkonkurrenz mit klei-       kommende Vegetation, aber auch                               1200
neren Laridenarten ein Thema, die       Prädation, welche den Bruterfolg

                                                                                  Anzahl Brutpaare
aber mit geeigneten Massnahmen          vermindert. Trotzdem kommt es                                1000
entschärft werden kann.                 immer wieder zu Konkurrenz-
                                        situationen der Mittelmeermöwe                                800
Nach einem starken Bestands-            mit Lachmöwe und Flusssee-
anstieg im Mittelmeerraum brü-          schwalbe. Diese beiden kleineren,                             600
tete 1968 die Mittelmeermöwe            regelmässig in der Schweiz brüten-
erstmals bei uns. Bis heute hat         den Laridenarten brüten ebenfalls                             400
sie die meisten Seen und einige         im Übergangsbereich zwischen
Flussabschnitte der Niederungen         Wasser und Land. Da ihre natür-                               200
der Schweiz besiedelt. Der Be-          lichen Brutplätze durch Gewässer-
stand ist bis 2015 auf über 1400        verbauungen grösstenteils zerstört                             0

                                                                                                            1968

                                                                                                                   1972

                                                                                                                          1976

                                                                                                                                 1980

                                                                                                                                        1984

                                                                                                                                               1988

                                                                                                                                                       1992

                                                                                                                                                              1996

                                                                                                                                                                     2000

                                                                                                                                                                            2004

                                                                                                                                                                                   2008

                                                                                                                                                                                          2012

                                                                                                                                                                                                 2016

                                                                                                                                                                                                            2020
Brutpaare deutlich angewachsen.         wurden, sind sie heute auf künst-
Heute brüten etwa 80 % des Be-          liche Bruthilfen wie Plattformen
stands am Neuenburgersee auf            und Flosse angewiesen. Die                           Bestandsentwicklung der Mittelmeermöwe in der Schweiz, seit der ersten Brut
4 grossen Inseln im Fanel BE/NE         konkurrenzstärkere Mittelmeer-                       1968. Markiert ist auch der Anteil der Dachbruten am Gesamtbestand (Grafik:
                                                                                             Schweizerische Vogelwarte).
und bei Cheseaux-Noréaz VD.             möwe übernimmt diese Brutplätze
Eine weitere grosse Kolonie be-         teilweise und nimmt Bruthilfen in
findet sich im Reussdelta UR mit        Beschlag, die sonst Dutzende von
etwa 100 Paaren. An den weite-          Nestern der kleineren Arten be-         Flussseeschwalbe ab Ende April                                        von Prädatoren in Kolonienähe
ren Brutplätzen brüten einzelne         herbergen könnten. Zudem kann           zum Brüten freigegeben werden,                                        (in den letzten Jahren wurden
bis mehrere, maximal aber 10–           sie bei Gelegenheit auch Eier und       in dem man die Flosse erst dann                                       z.B. auch Schwarzmilan, Mäuse-
30 Paare. Nach der quasi voll-          Jungvögel und ab und zu auch Alt-       auswassert oder Plattformen bis                                       bussard, Uhu und Rabenkrähe
ständigen Besiedlung der ver-           vögel von anderen Wasservogel-          dahin zugedeckt lässt. Sobald                                         nachgewiesen) ein Ausweichen
fügbaren grossen Kiesinseln in          und Laridenarten erbeuten.              sich eine Kolonie von Lachmöwen                                       auf andere Brutplätze möglich ist.
der Schweiz nimmt seit 2010 die             Um die Konkurrenz der Mittel-       oder Flussseeschwalben gebildet                                           Die bisherigen Massnahmen
Zahl der Dachbruten deutlich zu.        meermöwe mit Lachmöwe und               hat, können die brütenden Paare                                       zum Schutz der beiden kleine-
Die grössten Kolonien befinden          Flussseeschwalbe zu entschärfen,        den Brutplatz gegen die grössere                                      ren Arten scheinen erfolgreich
sich auf Flachdächern bei Mägen-        ist es wichtig, das bestehende          Art meist gemeinsam verteidigen.                                      zu sein: Der Bestand der Lach-
wil AG und bei Allaman VD mit           Angebot von Bruthilfen weiter-          In den letzten Jahren haben sich                                      möwe hat sich mittlerweile auf
je rund 80 Paaren. 2019 brütete         hin zu pflegen und auszubauen.          auch Metallgitter bewährt, die                                        tiefem Niveau mehr oder weni-
etwa ein Sechstel des Bestands          Durch Renaturierung von Ge-             den kleineren Arten den Zugang                                        ger stabilisiert, während der Be-
auf diesen «künstlichen Felsen»,        wässern und Wiedervernässung            ermöglichen und der Mittelmeer-                                       stand der Flussseeschwalbe seit
die analog zu den Inseln Schutz         von Feuchtgebieten können lang-         möwe die Landung verunmög-                                            Jahren deutlich ansteigt, und neu
vor Bodenfeinden bieten.                fristig wieder natürliche Brut-         lichen. Das genügend grosse An-                                       angebotene Brutplätze besiedelt
    Seit einigen Jahren aber ist der    plätze geschaffen werden. Kurz-         gebot an Brutplätzen für Lach-                                        wurden.
Bestand der Mittelmeermöwe sta-         fristig hilft es, wenn bestehende       möwe und Flussseeschwalbe
bil bis leicht rückläufig. Die Gründe   Bruthilfen erst bei der Ankunft         ist auch wichtig, damit bei An-                                                                    Claudia Müller
dafür sind unklar, eine Rolle spie-     der Lachmöwe ab März oder der           siedlungen und Spezialisierung

Die Mittelmeermöwe brütet bevorzugt auf Inseln, immer mehr Bruten finden aber   Brutplattform Strandweg bei Rapperswil SG mit Spezialaufbau, der den Lachmöwen
auch auf Flachdächern statt (Foto: Pascal Rapin).                               Zugang bietet und die Mittelmeermöwe aussperrt (Foto: Klaus Robin).

                                                                                                                                                                                                        9
Aufschwung AVINEWS APRIL 2021 - Schweizerische Vogelwarte Sempach
AVINEWS APRIL 2021: IM FOKUS

Blinde Passagiere auf dem Vogelzug
Viren, Bakterien und Parasiten sind        allem zwei Fragestellungen von
Bestandteil des Lebens. Infektio-          Interesse: Wie wirken sich Blut-
nen mit ihnen können sehr unter-           parasiten beispielsweise auf den
schiedliche Auswirkungen haben.            Sauerstoffverbrauch von Zug-
Welche Effekte Blutparasiten auf           vögeln in Ruhe und in Bewegung
Zugvögel haben, wird in einem              aus? Und inwiefern beeinflussen
internationalen Forschungsprojekt          die Parasiten den Zugablauf und
untersucht.                                die Zugwege?
                                               Der jährliche Zug aus den Brut-
Blutparasiten sind in vielen Vogel-        gebieten in die afrikanischen
arten anzutreffen. Diese Parasi-           Winterquartiere und zurück ist be-
ten leben in den Blutzellen ihrer          reits für nicht-infizierte Vögel eine
Wirte und benötigen für ihren              grosse physiologische Heraus-
Lebenszyklus sowohl einen Vogel            forderung. Ob die «blinden Pas-
als Hauptwirt als auch ein Insekt          sagiere» in den Vogelblutzellen
als Zwischenwirt. Nach dem Stich           diese Herausforderung noch ver-
eines infizierten, blutsaugenden           grössern, wurde an Drosselrohr-
Insekts und der Übertragung der            sängern durch Messung ihrer                    Blutparasiten werden von blutsaugenden Insekten auf den Wirtsvogel übertragen
Parasiten bleibt der Vogel chro-           Stoffwechselraten untersucht.                  (oben). Die Parasiten vermehren sich zuerst in den Zellen des Vogels (hellgrau)
                                                                                          und nach einer erneuten Mahlzeit eines blutsaugenden Insekts (unten) in dessen
nisch infiziert, meist ohne Symp-          Überraschenderweise unter-
                                                                                          Gewebe (dunkelgrau) – danach kann der Lebenszyklus von vorne beginnen
tome zu zeigen.                            schieden sich Drosselrohrsänger,               (Grafik: Tamara Emmenegger).
    Blutparasiten sind weltweit            welche Blutparasiten in sich tru-
verbreitet. Wenn man aller-                gen, kurz vor und während des
dings auf die Verbreitung einzel-          Herbstzuges in ihrem Sauer-                 schiedlichen Zugstrategien von                Unsere bisherigen Ergebnisse
ner Parasiten-Linien schaut, fin-          stoffverbrauch kaum von nicht-              Interesse, was in einer anderen            haben gezeigt, dass Blutparasiten
det man sowohl solche, die bei-            infizierten Vögeln. Allerdings              Studie an Sperlingen untersucht            verschieden starke Effekte auf
spielsweise nur in Afrika oder             konnte in einer parallelen Stu-             wurde. So waren ziehende Sper-             Zugvögel haben können. Woher
nur in Europa übertragen wer-              die mit Hilfe von Geodaten- und             linge im Vergleich zu nicht zie-           diese Unterschiede kommen,
den, als auch solche, die nahezu           Aktivitätsloggern nachgewiesen              henden weniger häufig infiziert,           werden wir in zukünftigen Pro-
global übertragen werden. In frü-          werden, dass infizierte Drossel-            wiesen im Gegenzug aber eine               jekten untersuchen. Da blut-
heren Untersuchungen zur Wir-              rohrsänger die Brutgebiete im               vielfältigere Parasitenfauna auf,          saugende Insekten als Zwischen-
kung von Blutparasiten auf Vögel           Herbst später verlassen und we-             da sie auf ihrem Zug vermut-               wirte eine wesentliche Rolle in der
waren die Ergebnisse nicht ein-            niger weit fliegen als ihre nicht-          lich mit einer grösseren Vielfalt          Übertragung und räumlichen Ver-
deutig – man hat sowohl sehr               infizierten Artgenossen. Jedoch             an Erregern in Kontakt kamen.              breitung von Blutparasiten spie-
milde als auch gravierende Ef-             schienen infizierte Drosselrohr-            Neben der Zugstrategie scheint             len, werden wir sowohl deren
fekte festgestellt. Ungeklärt war          sänger ihren späten Aufbruch                auch die Populationsgeschichte             Wechselwirkungen mit Vögeln
vor allem die Wirkung von Blut-            teilweise kompensieren zu kön-              einer Vogelpopulation ein wich-            näher untersuchen, als auch die
parasiten auf Zugvögel. Des-               nen, indem sie längere Etappen              tiger Einflussfaktor zu sein: So           klimatischen Faktoren, die die
wegen erforscht die Schweize-              flogen und weniger Zeit in den              beherbergen in Deutschland                 Verbreitung und zeitliche Dyna-
rische Vogelwarte seit 2013 ge-            Rastgebieten verbrachten.                   neu etablierte Bienenfresser-              mik dieser Insektenarten mass-
meinsam mit Projektpartnern                    Parallel zur Frage nach dem             populationen weniger artspezi-             geblich beeinflussen.
aus ganz Europa die Wechsel-               Einfluss der Blutparasiten auf den          fische Parasiten als solche, die
wirkungen zwischen Zugvögeln               Vogelzug ist auch die Zusammen-             noch in ihrem ursprünglichen                          Tamara Emmenegger &
und ihren Blutparasiten. In die-           setzung der Blutparasiten ver-              Verbreitungsgebiet im Mittel-                                   Silke Bauer
sem Zusammenhang sind vor                  schiedener Vogelarten mit unter-            meerraum brüten.

Drosselrohrsänger mit Geodaten-/Aktivitätslogger (links) und Mikroskopie-Bild von roten Blutkörperchen eines Drosselrohrsängers, der mit Blutparasiten (violett eingefärbt)
infiziert ist (rechts) (Fotos: Tamara Emmenegger, Raffaella Schmid).

   10
AV I N E W S A P R I L 2 0 2 1 : S T I F T U N G S R AT

Wechsel im Stiftungsrat der Vogelwarte
Mitte März hat Kurt Bollmann das      den Anforderungen, die mit dem          getreten ist Marguerite Trocmé.         ner Müller als Vertreter von Bird-
Präsidium des Stiftungsrates der      Wachstum der Vogelwarte und             Als Nachfolge für sie und Richard       Life Schweiz angetreten.
Schweizerischen Vogelwarte Sem-       der zunehmenden Regulierungs-           Maurer wurden Anna Baumann,                 Der Stiftungsrat ist das Auf-
pach übernommen und folgt damit       dichte verbunden sind, meistern         die Direktorin des Tierparks Gol-       sichtsgremium der Vogelwarte.
auf Richard Maurer.                   zu können. Stiftungsrat und Be-         dau, und der Luzerner Stadtrat          In ihm sind sechs Organisatio-
                                      legschaft sind ihm für sein enor-       Adrian Borgula in den Stiftungs-        nen vertreten. Als Gründerin der
Kurt Bollmann wurde von der Ala       mes Engagement und seine                rat gewählt. Ebenfalls zurück-          Vogelwarte nominiert die Ala 4
(Schweizerische Gesellschaft für      massgeblichen Beiträge zum Ge-          getreten ist Reinhard Schnidrig         Personen und stellt das Präsidium.
Vogelkunde und Vogelschutz) als       deihen der Vogelwarte zu gröss-         als Vertreter des Bundesamts für        Die anderen Organisationen ent-
neuer Stiftungsratspräsident der      tem Dank verpflichtet.                  Umwelt. Sein Sitz ist derzeit noch      senden je eine Person. Die weite-
Vogelwarte gewählt. Der 59-jäh-          Als weitere Vertreterin der          vakant. Bereits im Herbst hat Raf-      ren Sitze sind nicht an Organisa-
rige Biologe aus Effretikon ZH        Ala aus dem Stiftungsrat zurück-        fael Ayé die Nachfolge von Wer-         tionen gebunden.
ist Forschungsgruppenleiter für
Naturschutzbiologie an der WSL
und unterrichtet an der ETH Zü-
rich. Dem Stiftungsrat der Vogel-
warte gehört er seit 2017 an.
    Er tritt die Nachfolge von Ri-
chard Maurer an, der zwölf Jahre
lang das oberste Führungsorgan
der Vogelwarte präsidierte.
Unter Maurers Ägide wurde
das Besuchszentrum gebaut, in
der Leitung ein Generationen-
wechsel vollzogen und der
neue Schweizer Brutvogelatlas
herausgegeben. Konsequent in-
tegrierte er zusätzliche nicht-          Kurt Bollmann (links) ist zum neuen Präsidenten des Stiftungsrats gewählt worden. Er übernimmt von seinem Vorgänger
ornithologische Kompetenzen              eine prosperierende Vogelwarte. Richard Maurer (rechts) hat die Geschicke der Vogelwarte 12 Jahre geprägt (Fotos:
                                         Schweizerische Vogelwarte).
im Stiftungsrat, um die steigen-

                                                                                                     AVINEWS APRIL 2021: PERSONELLES

Veränderungen im Vogelwarte-Team
Nicht immer sind Kolleginnen          Aussenstelle in Sion, beispiels-        von verschiedenen Vogelarten                Diesen Frühling müssen wir
und Kollegen, die wir in die-         weise im Projekt «Ökologische           sammeln. Joanna Wong wird               uns aber auch von zwei Kollegen
ser Rubrik vorstellen, neu an der     Trittsteine in den Walliser Wein-       uns bei den anstehenden Aus-            und einer Kollegin verabschieden.
Vogelwarte.                           bergen».                                wertungen unterstützen.                 Luca Pagano, welcher unser Team
    Raffaella Schmid kam im               Wir konnten in den ver-                 Mit der Anstellung von Hubert       in der Aussenstelle im Tessin ver-
Herbst 2017 an die Vogel-             gangenen Monaten aber auch              Schürmann, einem ausgebildeten          stärkte, hat sich entschieden in
warte und arbeitet seither in         mehrere neue Stellen besetz­en.         Landwirt, der selber noch einen         Zukunft für ein Ökobüro zu arbei-
verschiedenen Projekten zur           So wird Irmgard Zwahlen an-             Betrieb führt, können wir unser         ten. Tom Mason, Mitarbeiter
Vogelgesundheit. Unter ande-          stehende Arbeiten in den Pro-           Know-How im Bereich Landwirt-           in der Vogelzugforschungs-
rem untersucht sie mittels klas-      jekten «Demographisches                 schaft stärken. Sein landwirt-          abteilung kehrt Ende April nach
sischer Mikroskopie und geneti-       Populationsmonitoring» und              schaftlicher Hintergrund, kom-          England zurück. Er erhielt eine
scher Analyse Blutproben, um zu       «Populationsdynamik von Wiede-          biniert mit seinem Wissen als           Festanstellung an der Universität
bestimmen, welche und wie viele       hopf und Wendehals» über-               Wirtschaftsingenieur, ist in der        Bristol. Tamara Emmenegger,
Krankheitserreger in Zugvögeln        nehmen. Zudem verstärkt Ali-            Beratung von Bauern ein gros-           ebenfalls Mitarbeiterin der Ab-
vorkommen.                            cia Mabillard unser Team bei der        ser Gewinn.                             teilung Vogelzug, zieht weiter
    Seit Frühling 2020 arbeitet       Entwicklung und Einführung der              Nicolas Sironi, arbeitete bisher    an die Universität Lund.
Franz Steffen im gemeinsam            online-Applikation PopMon im            als Feldassistent im Schleiereulen-         Die Vogelwarte dankt beiden
mit dem Naturpark Pfyn-               Populationsmonitoring.                  projekt. Nun tritt er die Nach-         Kollegen und der Kollegin ganz
Finges durchgeführten Projekt             In der Vogelzugabteilung lies-      folge von Chiara Scandolara in          herzlich für ihr Engagement und
«Förderung des wildtierfreund-        sen sich dank dem Einsatz von           der Aussenstelle Tessin an und          heisst die Neuen herzlich will-
lichen Rebbaus im Wallis». Wei-       Geodatenloggern umfangreiche            übernimmt dort die Projekte der         kommen.
ter unterstützt er die Kollegen der   Daten zu individuellen Zugrouten        Artenförderung.

                                                                                                                                                      11
AVINEWS APRIL 2021: HERAUSGEPICKT

Ein Schweizer Rotmilan fliegt nach
Sardinien
In einem grossen Projekt unter-       der Abreise erreichte das Weib-
sucht die Vogelwarte die Fak-         chen die französische Mittelmeer-
toren, die sich auf Überleben,        küste, wo es einen Tag rastete.
Fortpflanzung, Zu- und Ab-            Am Morgen des 12. Oktober flog
wanderung des Rotmilans aus-          es weiter nach Südwesten, wurde
wirken. Dieses Projekt bietet         aber vermutlich von starken Win-
seit Jahren immer wieder über-        den abgetrieben und aufs Meer
raschende Einblicke in das Leben      hinaus verweht.                      Dank Wetterradaren können die Zugbewegungen von Fledermäusen über grosse
dieser faszinierenden Greifvögel.         Nach einer Nacht über offe-      Entfernungen und über lange Zeit analysiert werden (Foto: Pixnio.com).
Dank GPS-Sendern ist es möglich,      ner See befand sich der Vogel
die Bewegungen der Rotmilane          rund 95 Kilometer vor der alge-
detailliert zu verfolgen. So lassen   rischen Küste. Die geringe Flug-     Fledermäuse auf dem Radar
sich Rückschlüsse auf das Zugver-     geschwindigkeit deutete dar-
halten sowie auf Aufenthaltsorte,     auf hin, dass er völlig erschöpft    Dank Daten von Wetterradaren          in den Süden und überwintern
die zum Fressen oder Ruhen ge-        war. Mit Westwinden liess sich       werden die grossräumigen Be-          in Mexiko.
nutzt werden, ziehen. Dabei sind      der Rotmilan nach Osten treiben      wegungen von ziehenden Tie-              Inwiefern der Klimawandel
die Rotmilane auch für Über-          und erreichte nach über 30 Stun-     ren in den letzten Jahren immer       das Zugverhalten der Kolonie der
raschungen gut, wie folgende          den und 950 Kilometern auf dem       besser sichtbar. Ermöglicht wird      Bracken Cave beeinflusst, konnte
Geschichte zeigt: Am Morgen des       Meer schliesslich die Südspitze      dies unter anderem durch das          ein Team um Birgen Haest von der
8. Oktober 2020 machte sich ein       Sardiniens. Von 470 besender-        internationale Monitoringprojekt      Vogelwarte Sempach nun unter-
junges Weibchen auf den Weg           ten Rotmilanen ist dies erst der     GloBAM, an dem sich auch die          suchen. Dabei dienten Wetter-
nach Süden. Die meisten jungen        zweite, der über das offene Meer     Vogelwarte Sempach beteiligt          radar-Aufzeichnungen von über
Rotmilane verlassen im Herbst         flog. Als Thermikflieger sind Rot-   und als Koordinatorin mitwirkt.       mehr als 20 Jahren als Grund-
die Schweiz und überwintern           milane auf Aufwinde angewiesen          GloBAM hat zum Ziel, glo-          lage. Interessanterweise hatte
auf der deutlich wärmeren Iberi-      und ziehen deshalb normaler-         bale Zugbewegungen nicht nur          die Temperatur keinen Einfluss
schen Halbinsel. Drei Tage nach       weise über Land.                     aufzuzeigen, sondern auch vor-        auf das Zugverhalten. Auf dem
                                                                           herzusagen und deren Gesetz-          Frühlingszug spielten jedoch die
                                                                           mässigkeiten besser zu verstehen.     Windbedingungen an Rast- und
                                                                           Ein Beispiel ist die Brasilianische   Winterplätzen eine grosse Rolle,
                                                                           Bulldogg-Fledermaus (Tadarida         während im Herbst vor allem
                                                                           brasiliensis), die unter anderem      der Niederschlag entscheidend
                                                                           in den USA vorkommt. Sie bil-         war. Mit den sich ändernden Be-
                                                                           det riesige Kolonien; die grösste     dingungen können die Fleder-
                                                                           in der texanischen Bracken Cave       mäuse den Frühlingszug nun 16
                                                                           umfasst schätzungsweise 20 Mil-       Tage früher beginnen als noch vor
                                                                           lionen Tiere. Im Herbst ziehen sie    25 Jahren.

                                                                              IMPRESSUM

                                                                              Redaktion: Livio Rey
Dank GPS-Sendern kann das Verhalten von besenderten Rotmilanen genau          Übersetzung: Johann von Hirschheydt
beobachtet werden (Foto: Valentijn van Bergen).                               Mitarbeit: Matthias Kestenholz, Petra Horch, Stefan Werner, Michael
                                                                              Schaad, Jean-Nicolas Pradervand, Chloé Pang, Claudia Müller, Tamara
                                                                              Emmenegger, Silke Bauer, Martina Schybli, Barbara Trösch, Felix Tobler
                                                                              Auflage: 4100 Ex.
AGENDA
                                                                              Ausgaben: April, August und Dezember
                                                                              ISSN: 1664-9451 (elektronische Ausgabe: 1664-946X)
                                                                              Papier: Gedruckt auf 100 % Recyclingpapier
1.–31.5.2021
Vogelwarte Fotowettbewerb: https://photo.vogelwarte.ch

              Schweizerische Vogelwarte                             Tel. 041 462 97 00
              Station ornithologique suisse                         Fax 041 462 97 10
              Stazione ornitologica svizzera                        info@vogelwarte.ch      Postkonto 60-2316-1
              Staziun ornitologica svizra      CH-6204 Sempach      www.vogelwarte.ch       IBAN CH47 0900 0000 6000 2316 1
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