Humanité - Helfen in den Trümmern Beiruts - 1 | 2021 - Schweizerisches Rotes Kreuz

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Humanité - Helfen in den Trümmern Beiruts - 1 | 2021 - Schweizerisches Rotes Kreuz
Humanité                                         1 | 2021

Libanesisches Rotes Kreuz

Helfen in den
Trümmern Beiruts

Coronakrise in der Schweiz
Regionale Unterstützung nach Bedarf

Internierung der Bourbaki-Armee vor 150 Jahren
Die Geburtsstunde der
humanitären Neutralität
Bolivien
Ein Dorf gegen Corona
Humanité - Helfen in den Trümmern Beiruts - 1 | 2021 - Schweizerisches Rotes Kreuz
Gemeinsam für eine nachhaltige Entwicklung
                                                                                       Das Schweizerische Rote Kreuz engagiert sich für die Nachhaltigkeitsziele der
                                                                                       Vereinten Nationen, besonders für 11 dieser Ziele. Beispiele dafür finden Sie in
                                                                                       dieser Ausgabe. Erfahren Sie mehr zu den Zielen ➔ report.redcross.ch

                                                                                         4     REPORT – Libanesisches Rotes Kreuz
                                                                                               Helfen in den Trümmern Beiruts
    Impressum                                                                                  «Eine Krise zu viel»
    Humanité 1/2021
    Februar 2021
                                                                                                                                                 1   2   3 10 17

    ISSN 1664-1159                                                                     12 EINBLICK – Syrienkonflikt
    Foto Titel- und Rückseite: Jean Safi, SRK / LIKWID                                 		Zehn Jahre ohne Ende
    Herausgeber: Schweizerisches Rotes Kreuz,                                                                                                    1   2   3 10 17
    Rainmattstrasse 10, Postfach, 3001 Bern
    Telefon 058 400 41 11, info@redcross.ch,
    www.redcross.ch
                                                                                       14 ENGAGIERT – Blutstammzellspende
    Spenden: Postkonto 30-9700-0
                                                                                       		 Grenzenlose Solidarität und prominente
    IBAN CH97 0900 0000 3000 9700 0
    Beratung für Legate: Telefon 058 400 42 83
                                                                                       		Unterstützung
                                                                                                                                                                 3
    Adressänderungen: E-Mail an pf.service@redcross.ch
    oder Telefon 058 400 44 64
                                                                                       16 BLICK ZURÜCK – Internierung der Bourbaki-Armee
    Redaktionsadresse: Schweizerisches
    Rotes Kreuz, Redaktion Humanité,                                                   		Die Geburtsstunde der humanitären Neutralität
    Postfach, 3001 Bern,
                                                                                                                                                                 16
    humanite@redcross.ch, www.magazin-humanite.ch

    Redaktion: Tanja Reusser (Redaktionsleitung), Sabrina Hinder                       18 ZUR SACHE – Coronakrise in der Schweiz
    (allgemeine Kommunikation), Ursula Luder (Kommunikation
    Gesundheit und Integration), Katharina Schindler (Kommuni-                         		Rotkreuzdienst: Grösste Einsatzbereitschaft
    kation Internationale Zusammenarbeit)
                                                                                       		 Regionale Untersützung nach Bedarf
    Mitarbeitende dieser Ausgabe: Patrick Bondallaz, Franziska
    Bundi, Célia Francillon, Markus Mader, Ursula Meier Ruf, Janine                                                                                          1   3
    Michel, Evelyne Monnay, Marco Ratschiller, Sandra Weiss
                                                                                       22 ÜBERZEUGT – Social Responsibility Fonds
    Abo-Kosten: Das Abonnement kostet CHF 6.–
    pro Jahr und ist für SRK-Gönnerinnen und                                           		Eine menschliche Geldanlage
    SRK-Gönner im Beitrag enthalten.
    Erscheinungsweise: vier Mal jährlich                                                                                                                     1 10
    Sprachen: Deutsch, Französisch und Italienisch
    Gesamtauflage: 132 655
    Bildrechte aller Fotos ohne Hinweis:
                                                                                       23 VOR ORT – Bolivien
    Schweizerisches Rotes Kreuz
                                                                                       		Ein Dorf gegen Corona
    Übersetzungen: Übersetzungsdienst SRK                                                                                                            1   2   3   6
    Layout, Lektorat und Druck: Vogt-Schild Druck AG,
    Derendingen
                                                                                       26      PERSÖNLICH – Autobiografie eines Delegierten
    Nächste Ausgabe: Juni 2021
                                                                                       		«Es geht immer um menschliche Schicksale»

                                                                                       29 KREUZ & QUER
                Drucksache
                                                                                       		 Mit Liebe fürs Detail
    myclimate.org/01-21-792201                                                         		Rätsel/Cartoon
                                 Für Humanité wird ausschliesslich Recyclingpapier
                                 verwendet, das aus 100 % Altpapier hergestellt wur-
                                 de. Dies schont Ressourcen und somit die Umwelt.

2       Humanité 1/2021
Humanité - Helfen in den Trümmern Beiruts - 1 | 2021 - Schweizerisches Rotes Kreuz
© Roland Blattner
                                                                                        E D ITOR I A L

                    In Gedanken anderswo

                    Liebe Leserin, lieber Leser

                    Es ist eines der schlimmsten Szenarien, welches wir uns nicht vorstellen möchten: Mitten
                    in der Corona-Pandemie eine Katastrophe, die Tausende Menschen verletzt, Todesopfer
                    fordert, Wohnhäuser, Spitäler und die Infrastruktur zerstört. Die Explosion im Hafen
                    von Beirut vom 4. August 2020 trifft ein bereits verwundetes Land. In Libanon rutschen
                    viele Menschen immer tiefer in Not und Armut.

                    Die Armutsspirale dreht sich schneller. Die Corona-Pandemie verschärft die Not in weni­
                    ger entwickelten Ländern dramatisch. Insbesondere Menschen in Afrika, Asien und
                    Südamerika können je nach Situation ihre Häuser nicht mehr verlassen und haben als
                    Tagelöhner darum kein Einkommen. Auch Spitäler, Schulen, der Tourismus oder andere
                    Wirtschaftszweige sind schwer betroffen und die Menschen wissen nicht mehr weiter.
                    Ich zähle ganze Kontinente auf. Das zeigt, wie gewaltig die schlimmsten Folgen welt-
                    weit sind. Ich frage mich, ob wir angesichts dessen das Leid der Menschen in anderen
                    Ländern zu wenig thematisieren?

                    Auch in dieser Ausgabe berichten wir, wie sich die Kantonalverbände des SRK und der
                    Rotkreuzdienst in der Schweiz engagieren. Jedoch haben wir den Fokus auf die interna-
                    tionale Zusammenarbeit gelegt, wo die Errungenschaften der letzten Jahrzehnte wie die
                    Halbierung der Kinder- und Müttersterblichkeit, die Eindämmung von Malaria, Tuber­
                    kulose oder Aids stark gefährdet sind und noch kein Impfmittel gegen Corona in Sicht ist.
                    Es ist uns wichtig, Ihnen einen Einblick in die Herausforderungen anderswo zu geben.

                    Mit besten Grüssen

                    Markus Mader
                    Direktor des Schweizerischen Roten Kreuzes

                                                                                            Humanité 1/2021	   3
Humanité - Helfen in den Trümmern Beiruts - 1 | 2021 - Schweizerisches Rotes Kreuz
R E PO RT

    Libanesisches Rotes Kreuz

    Helfen in den
    Trümmern Beiruts
    Im ganzen Land war die Detonation zu spüren, die am 4. August 2020 Beirut erschütterte.
    Für Hunderttausende Menschen war es ein traumatisierender Schock. Sie verloren Angehö-
    rige, wurden verletzt oder ihr Zuhause wurde unbewohnbar. Sechs Monate später erzählt
    Yussef Baalbaki (links) dem SRK-Landeskoordinator Jyri Rantanen, wie er als Rotkreuz-Frei-
    williger pausenlos im Einsatz stand. Die Menschen versuchen unter äusserst schwierigen
    Bedingungen ihr Leben wieder in den Griff zu bekommen. Das Rote Kreuz hilft ihnen dabei,
    unter anderem mit finanzieller Unterstützung.

    TEXT: KATHARINA SCHINDLER   FOTOS: JEAN SAFI, SRK / LIKWID

4   Humanité 1/2021
Humanité - Helfen in den Trümmern Beiruts - 1 | 2021 - Schweizerisches Rotes Kreuz
Humanité 1/2021   5
Humanité - Helfen in den Trümmern Beiruts - 1 | 2021 - Schweizerisches Rotes Kreuz
R E PO RT

    R    ania Hassounah Abu Laban sitzt auf
         dem Sessel in ihrer kargen Wohnung
    im Dahie Distrikt von Beirut. «Die Explo-
    sion hat uns alles genommen», sagt die
    fünffache Mutter. An der Wand hängt
    das Bild einer sympathischen, intakten
    Familie – Vater, Mutter, fünf Kinder. Das
    Foto entstand drei Wochen vor der Ex-
    plosion aus Anlass des Schulabschlusses
    der zweitältesten Tochter. Das Leben
    in Beirut war schon damals sehr hart.
    Denn aufgrund der Wirtschaftskrise, die
    das Land seit bald zwei Jahren beutelt,
    waren die Einnahmen aus dem klei-
    nen Quartierladen, den der Ehemann
    führte, massiv eingebrochen. «Aber
    als Familie waren wir glücklich», sagt
    die Vierzigjährige. Dieses private Glück    Das Familienfoto links entstand drei Wochen bevor der Vater durch die Explosion ums Leben
    wurde am 4. August abrupt zerstört,         kam – Familie Abu Laban erhält durch das Rote Kreuz eine finanzielle Unterstützung

    als ihr Mann gegen Abend zum Hafen
    fuhr, um einen Verwandten im Spital         dadurch für vorerst sechs Monate ihre         auch mehrere Enkel zählen, ist er der
    abzuholen. Bei der Explosion um 18.06       dringendsten Auslagen decken. Für 460         einzige mit einem regelmässigen Ein-
    Uhr wurde das Auto, in dem er mit ei-       dieser Familien, darunter auch jene von       kommen. Doch sein Beamtenlohn in lo-
    nem Neffen unterwegs war, in die Luft       Rania Hassounah Abu Laban, kommt              kaler Währung verliert laufend an Wert.
                                                das SRK mit Unterstützung der Glücks-         Die Familie kann ihre Rechnungen nicht
    «Wir waren auch in dieser                   kette auf.                                    mehr bezahlen. Als bei der Explosion
    schweren Zeit eine glückliche               «Die monatlichen Geldbeträge sind für         die Wohnung stark beschädigt wurde,
    Familie, bis die Explosion uns              die betroffenen Familien in dieser ver-       wussten sie nicht mehr ein noch aus.
    alles genommen hat.»                        zweifelten Lage enorm wichtig», erklärt       Auch Monate später sind die Fenster
                                                Jyri Rantanen, der Landeskoordinator          nur notdürftig mit Plastik verklebt und
    geschleudert. Es dauerte Stunden, bis       des SRK in Beirut. Die Auswahl der Fami-      die winterliche Kälte dringt ein. Dank
    Rania Hassounah Abu Laban wusste,           lien erfolgt nach klaren Kriterien, damit     der finanziellen Unterstützung des Ro-
    was passiert war. Hektische Stunden der     wirklich die Verletzlichsten profitieren.     ten Kreuzes können sie endlich die Me-
    Hoffnung, Angst und Verzweiflung. Der       Begünstig werden in erster Linie Fami-        dikamente wieder bezahlen und auch
    Schmerz ist gross, die Probleme sind es     lien, deren Wohnungen grosse Schä-            die Reparaturen werden in Angriff ge-
    auch, denn die Familie hat ihren Ernäh-     den erlitten hatten, die alleinerziehend,     nommen.
    rer verloren.                               besonders arm oder von chronischen
    Von den fünf Kindern hat erst die älteste   Krankheiten betroffen sind.
    Tochter einen Teilzeitjob als Zahnarzt-     Die Unterstützung wird in US-Dollar
    helferin. Die andern sind noch in der       ausbezahlt, denn dadurch verliert der
    Schule oder in der Ausbildung. Zwar         Betrag des Roten Kreuzes nicht an Wert.
    erhält jede libanesische Familie, die bei   Innerhalb eines Jahres hat das libanesi-
    der Explosion ein Mitglied verlor, eine     sche Pfund 80 % seiner Kaufkraft verlo-
    staatliche Entschädigung. Als palästi-      ren, wodurch viele Familien in die Armut
    nensische Flüchtlinge sind die Abu La-      abgerutscht sind.
    bans von dieser Hilfe ausgeschlossen,
    obschon sie schon seit Jahrzehnten im       Kein Geld für Reparaturen
    Libanon leben und arbeiten.                 Zu ihnen zählt die Familie von Clemence
                                                Dib im lebhaften Quartier Bourj Ham-
    300 Dollar für das Nötigste                 mud gleich hinter dem Hafenviertel. Ihr
    Familien wie sie, die aus unterschied-      Mann ist chronisch herzkrank und hat
    lichen Gründen durch die Explosion in       Diabetes, selber leidet sie an Arthritis
    eine besonders prekäre Situation gera-      und Osteoporose. Die Medikamente
    ten sind, unterstützt das Rote Kreuz mit    sind unerschwinglich teuer. Von den
    monatlichen Beiträgen von 300 US-Dol-       beiden Söhnen lebt nur noch der ältere,       Jyri Rantanen (links) vom SRK ist beein-
    lar. Insgesamt 10 000 Familien können       30-jährige. In der Grossfamilie, zu der       druckt vom Engagement der Freiwilligen

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Humanité - Helfen in den Trümmern Beiruts - 1 | 2021 - Schweizerisches Rotes Kreuz
REPORT

Viele Menschen stehen noch immer un-         mit Kollegen vom Roten Kreuz fuhr sie
ter Schock oder sind traumatisiert. Die      zurück nach Beirut: «Der Anblick der zer-
finanzielle Unterstützung ermöglicht         störten Stadt war ein Schock», berichtet
es ihnen, in dieser extrem schwierigen       sie. Im Büro des Roten Kreuzes lagen
Zeit das Nötigste zu bezahlen. «Es hilft     überall Glassplitter und Trümmer, die
ihnen, ein wenig durchzuschnaufen            Fensterscheiben waren zerborsten und
und etwas Boden unter die Füsse zu be-       auch sonst war vieles zerstört. Pamela
kommen», sagt der SRK-Delegierte Jyri        Saab übernahm sofort den Aufbau einer
Rantanen.                                    Hotline, die sie dann zwei Monate lang
                                             koordinierte. «Die Telefonleitungen wa-
Viele traumatisierte Freiwillige             ren überlastet. Wir mussten innert Kürze
Durchschnaufen – das konnten die loka-       ein Team zusammenstellen, um die vie-
len Helferinnen und Helfer bisher kaum.      len Anfragen zu beantworten. Viele rie-
Viele von ihnen waren selber von der Ex-     fen auch an, weil sie helfen wollten, das
plosion getroffen und sind traumatisiert.    war in dieser Situation ein Trost.»
Umso eindrücklicher ist die Leistung, die    Die ersten zwei Wochen hat sie unun-
sie in den letzten sechs Monaten erbracht    terbrochen gearbeitet. Sie hat kaum
haben und immer noch erbringen. Weni-        gegessen und geschlafen, alle verstö-        Clemence Dib wünscht sich, dass sie im
ge Minuten nach der Explosion standen        renden Gedanken verdrängt. Dann, als         Winter die zerstörten Fenster ersetzen kann

die Freiwilligen und Mitarbeitenden des      sie einmal kurz durchschnaufen konnte,
Roten Kreuzes an vorderster Front im Ein-    kamen die Emotionen hoch: «Ich brach         wieder gefangen und weitergearbeitet.
satz und unterstützen auch jetzt noch die    in Tränen aus und alles brach aus mir        Immer dort, wo es sie am dringendsten
Menschen in Not.                             heraus», berichtet sie. All die Eindrücke,   brauchte. Pamela Saab ist dankbar, in
Pamela Saab erinnert sich an den Mo-         die verzweifelten Menschen, die Freun-       dieser Situation helfen zu können. «Ich
ment, der am 4. August alles veränderte.                                                  bin froh, dass ich beim Roten Kreuz ar-
Die Rotkreuz-Mitarbeiterin war gerade        «Die Telefonleitungen waren                  beite und dazu betragen kann, dass sehr
von der Arbeit nach Hause gekommen,          überlastet. Wir mussten schnell              vielen Menschen geholfen wird. Das ist
als sie – 20 km ausserhalb der Haupt-        ein Team zusammenstellen,                    meine Passion, ich liebe meine Arbeit»,
stadt – die gewaltige Detonation hörte       um die vielen Anfragen zu be-                sagt die 23-Jährige.
und spürte. Sie wusste sofort, dass etwas    antworten.»
Schlimmes geschehen war. «Mein erster                                                     Unglaublich anstrengende Einsätze
Gedanke war, dass es ein Erdbeben oder       de, die alles verloren hatten, aber auch     Auch der gleichaltrige Yussef Baalbaki
ein Bombenanschlag war. Ich wollte so-       der Gedanke daran, was passiert wäre,        ist seit der Explosion fast pausenlos im
fort helfen. Aber gleichzeitig hatte ich     wenn sie an diesem Abend eine Stunde         Einsatz. «In den ersten Tagen transpor-
auch Angst», erinnert sie sich an die auf-   länger im Büro geblieben wäre – alles        tierte ich Blutprodukte aus den Blut-
wühlenden ersten Stunden. Zusammen           kam hoch. Danach habe sie sich rasch         spendezentren des Roten Kreuzes, denn
                                                                                          diese wurden dringend gebraucht», be-
                                                                                          richtet der Rotkreuz-Freiwillige. Als Teil
                                                                                          des Logistik-Teams des Roten Kreuzes in-
                                                                                          stallierte er anschliessend mit dem Zivil-
                                                                                          schutz Lichtmasten am Hafen, damit die
                                                                                          Rettungskräfte auch in der Nacht arbei-
                                                                                          ten konnten. Zudem kümmerte er sich
                                                                                          um die Entgegennahme von Hilfsgü-
                                                                                          tern. Schliesslich war er Teil des Teams,
                                                                                          das von Haus zu Haus ging, um die indi-
                                                                                          viduellen Schäden abzuklären, und heu-
                                                                                          te engagiert er sich im Bargeld-Projekt.
                                                                                          «Es ist unglaublich anstrengend, in einer
                                                                                          solchen Situation über so lange Zeit zu
                                                                                          arbeiten. Viele Menschen haben extrem
                                                                                          viel verloren. Ich bin froh, dass wir ihnen
                                                                                          ein wenig helfen können, damit sie den
                                                                                          Mut nicht verlieren. Das gibt mir die nö-
Aus Geldmangel keine Instandsetzung – LRK-Mitarbeiterin Pamela Saab schildert dem SRK-    tige Energie, um weiterzumachen.»
Landeskoordinator, wie sie in den Trümmern der Stadt wochenlang im Einsatz stand          ➔   redcross.ch/libanon

                                                                                                                Humanité 1/2021	       7
Humanité - Helfen in den Trümmern Beiruts - 1 | 2021 - Schweizerisches Rotes Kreuz
R E PO RT

    Interview mit Laurence Perroud, Programmverantwortliche Libanon

    «Eine Krise zu viel»
    Schon vor der Explosion in Beirut befand sich der Libanon in einer schweren Krise. Das Rote
    Kreuz ist stark gefordert und spielt bei der Hilfe für die Verletzlichsten eine Schlüsselrolle.
    Laurence Perroud erläutert, wie das Libanesische Rote Kreuz (LRK) mithilfe des SRK seine
    Kapazitäten in den letzten Jahren massiv ausgebaut hat und weshalb Bargeldhilfe für die
    betroffenen Menschen am effizientesten ist.

    INTERVIEW: KATHARINA SCHINDLER

    Was ist die grösste Herausforderung            Mittlerweile leben gemäss Schätzun-                             Wie nachhaltig ist eine temporäre finan-
    in dieser prekären Situation?                  gen der UNO mehr als die Hälfte der                             zielle Unterstützung und wie wählt
    Priorität hat immer noch die Kata­             Menschen unter der Armutsgrenze, vor                            das Rote Kreuz aus, wer diese erhält?
    strophenbewältigung. Die Folgen der            wenigen Jahren waren es noch 20 Pro-                            Wenn die Menschen in dieser ersten,
    Explosion sind deshalb so gravierend,          zent. Die Wirtschaftskrise spitzt sich                          sehr harten Zeit keine Unterstützung
    weil sich das Land schon vorher in ei-         dramatisch zu und es gibt Proteste                              erhalten besteht die Gefahr, dass sie
    ner schweren Krise befand. Die Infra-          gegen die politische Elite. Zusätzlich                          noch schneller in die Armut und die
    struktur und die Dienstleistungen wa-          kämpft das Land gegen hohe Corona-                              Verzweiflung rutschen. Die finanziel-
    ren schon am Limit. Seit zehn Jahren           Fallzahlen. Die Massnahmen gegen                                le Unterstützung soll ihnen etwas Luft
    herrscht Krieg im Nachbarland Syrien.          die Virusausbreitung belasten die                               geben, damit sie sich erholen können
    Der Libanon hat 1,5 Mio. Flüchtlinge           Menschen enorm. Familien, die vorher                            oder eventuell sogar einen neuen Job,
    aufgenommen. Das entspricht einem              noch über die Runden kamen, rutschen                            ein neues Auskommen finden – auch
    Viertel seiner Bevölkerung und ist eine        immer tiefer in die Armut. Die Explo­                           wenn das aufgrund der Wirtschafts­
    grosse Herausforderung. Zudem ver-             sionskatastrophe in der Hauptstadt ist                          krise sehr schwierig ist. Das LRK hat kla-
    lor das libanesische Pfund innerhalb           eine Krise zu viel für dieses gebeutelte                        re Kriterien festgelegt, um besonders
    nur eines Jahres 80 Prozent an Wert.           Land.                                                           verletzliche Familien zu begünstigen. Es
                                                                                                                   sind Familien, die weniger als 3 km vom
                                                                                                                   Explosionsort leben, deren Wohnungen
                                                                                                                   stark beschädigt wurden, die allein­
                                                                                                                   erziehend, besonders arm oder von
                                                                                                                   chronischen Krankheiten betroffen sind.
                                                                                                                   Um diese Kriterien zu erfassen, hat das
                                                                                                                   Rote Kreuz 40 000 Familien besucht und
                                                                                                                   Fragebogen ausgefüllt. Diese werden
                                                                                                                   auch mit anderen Organisationen ab-
                                                                                                                   geglichen um sicherzustellen, dass keine
                                                                                                                   Familie doppelt Hilfe erhält, aber auch,
                                                                                                                   dass niemand durch die Maschen fällt.

                                                                                                                   Warum eine finanzielle Unterstützung
                                                                                                                   und keine Hilfsgüter?
                                                                                                                   Der grosse Vorteil von finanzieller Un-
                                                                                                                   terstützung ist, dass die Familien genau
                                                                                                                   das kaufen können, was sie wirklich am
                                                                                              © Monika Flückiger

                                                                                                                   dringendsten brauchen. Das ist nicht
                                                                                                                   für alle das Gleiche. Eine Familie muss
                                                                                                                   ihr Haus reparieren, in einer anderen
    Laurence Perroud (Bildmitte) im Gespräch mit syrischen Flüchtlingen bei einem Besuch im                        Familie wurde jemand verletzt und sie
    Libanon 2019 – sie leitet die Programme des SRK im Libanon und in Syrien                                       hat hohe Arztrechnungen. Eine dritte

8     Humanité 1/2021
Humanité - Helfen in den Trümmern Beiruts - 1 | 2021 - Schweizerisches Rotes Kreuz
REPORT

                                                             © LRK

                                                                                                                                     © LRK
Vom SRK unterstützte Ambulanzen im Einsatz nach der Katastrophe      Lebensrettend: der modernisierte Blutspendedienst des LRK

Familie braucht das Geld fürs Essen,        die sehr gut geschult sind. Das haben          zung aus dem Ausland angewiesen ist,
weil das Familienmitglied mit dem           sie einmal mehr bewiesen. Langfristig          sondern einen massgeblichen Teil der
Haupteinkommen durch die Explosion          ist es sinnvoll und nachhaltiger, wenn         Mittel selber beschaffen kann.
den Job oder gar das Leben verloren         eine so professionelle Organisation            ➔   redcross.ch/libanon
hat. Diese Form von Hilfe ist folglich      weniger stark auf finanzielle Unterstüt-
effizient. Je nach Situation werden und
wurden aber auch Hilfsgüter abgege-
ben, vor allem unmittelbar nach der
                                             Die Unterstützung im Libanon in drei Bereichen
Katastrophe. Auch psychosoziale Un-
                                                    GESUNDHEIT
terstützung ist wichtig.
                                                    2012–2017: Ambulanzen
                                                    Dank der Unterstützung des SRK konnte das LRK seine Ambulanzen ausbauen
Das Rote Kreuz war nach der                         und medizinisches Notfallpersonal ausbilden. Das LRK ist der wichtigste Ambu-
Explosion rasch und effizient im                    lanzdienst im Libanon.
Einsatz. Wie war das möglich?
                                                    Seit 2012: Blutspende
Unter dem Eindruck der Syrienkrise hat              Das SRK unterstützt das LRK beim Aufbau des Blutspendedienstes. Die Qualität
das LRK seine Kapazitäten in den letzten            und Sicherheit der Blutprodukte haben sich verbessert, dies hilft Leben retten.
Jahren massiv ausgebaut. Dabei wurde
                                                    Seit 2020: Kampf gegen das Coronavirus
es vom SRK massgeblich unterstützt. Vor
                                                    Finanzierung des Schutzmaterials zur Ausstattung der Ambulanzen, sowohl
allem in das Katastrophenmanagement,                für die Freiwilligen als auch für das Personal der Blutbanken.
die Ambulanzdienste und das Blutspen-
dewesen haben wir viel investiert. Diese            STÄRKUNG DES PARTNERS
langfristige Unterstützung des SRK hat              Seit 2014: Stärkung des LRK
sich nach der Explosionskatastrophe                 Das SRK unterstützt das LRK beim Aufbau von Kapazitäten, damit es auf den
ausbezahlt, denn all diese Bereiche wa-             Katastrophenfall vorbereitet ist. Die Ausbildung des Personals wird landesweit
                                                    gefördert und die Infrastruktur verbessert. Auch die Mittelbeschaffung und die
ren extrem wichtig. Das LRK konnte sehr             Kommunikation des LRK werden nachhaltig gestärkt.
effizient helfen. Seine Teams sind bes-
tens ausgebildet.                                   NOTHILFE
                                                    2016–2019: Winterhilfe
Wie hat das SRK direkt nach der                     Winterhilfe für syrische Flüchtlinge (80 %) und benachteiligte libanesische
Katastrophe geholfen?                               Familien (20 %) durch Gutscheine für den Kauf von Heizöl.
Wir haben die erste Nothilfe finanziell
                                                    2015–2021: Sachhilfe
unterstützt: Nahrung, Wasser, Notun-                Verteilung von monatlich 1000 Lebensmittelpaketen für syrische Flüchtlingsfamilien
terkünfte, Hygienemassnahmen und                    (80 %) und benachteiligte libanesische Familien (20 %) im Norden Libanons (Akkar).
die Beschaffung von Blutprodukten.
                                                    2016–2021: Bargeldhilfe
Erfolgreich war auch unsere Unter-                  Bargeldhilfe für syrische Flüchtlingsfamilien (80 %) und benachteiligte libanesi-
stützung der Spendensammlung des                    sche Familien (20 %) im Norden Libanons (Akkar).
LRK. Unmittelbar nach der Katastro-
                                                    2020–2021: Unterstützung nach der Explosion in Beirut
phe haben Internet-Fachleute des SRK
                                                    Finanzierung von Wasser, Lebensmitteln, Notunterkünften und Hygienemass-
das libanesische Fundraising-Team bei               nahmen sowie Versorgung mit sicheren Blutprodukten. Das SRK unterstützt
der Lancierung einer Online-Spen-                   seine Schwestergesellschaft bei der Online-Spendensammlung und leistet
denplattform unterstützt. Das LRK hat               Bargeldhilfe für Familien, die schwer unter den Folgen der Katastrophe leiden.
400 Angestellte und 8000 Freiwillige,

                                                                                                                  Humanité 1/2021	          9
Humanité - Helfen in den Trümmern Beiruts - 1 | 2021 - Schweizerisches Rotes Kreuz
Sigrid Joss-Arnd
          hat ein nachhaltiges
          Zeichen gesetzt

       «Es ist ein gutes Gefühl,
       wenn alles geregelt ist –
       machen Sie es doch auch.»

Sigrid Joss und ihr Mann waren sich einig: das Rote
Kreuz hat beide ein Leben lang begleitet, es soll
darüber hinaus wirken. Nebst engen Verwandten
hat sie deshalb in ihrem Testament auch das
SRK begünstigt – das Hilfswerk ihres Vertrauens.
Setzen auch Sie ein nachhaltiges Zeichen? Danke!                                                            Für mehr Menschlichkeit

                                                                                                                           Das SRK im Testament
Bitte senden Sie mir kostenlos den SRK-Testamentratgeber   Telefon                                                         berücksichtigen –
                                                                                                                           Liebe für die Nächsten:
                                                                                                                           vorsorge.redcross.ch/
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Vorname                                                    Geburtsdatum

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                                                           Rainmattstrasse 10, Postfach, CH-3001 Bern oder bestellen Sie
PLZ/Ort
                                                           den Ratgeber per E-Mail bei marianne.daetwyler@redcross.ch

   SRKGS20-019_Legate-Inserat_Humanite_180x270_de.indd 1                                                                          27.10.20 12:11
KU R Z & BÜ N D I G

                                       © iStock/mixetto
Silber und Bronze
für SRK-Apps
■ Die Jury von «Best of Swiss Apps» hat
gleich zwei Smartphone-Apps des SRK
ausgezeichnet. Die App, welche den

                                                                                                                                               © ERCS
Freiwilligen des Rotkreuz-Fahrdienstes
alles Administrative erleichtert, wurde
mit Bronze für die Benutzerfreundlichkeit
                                                          Äthiopien – eine Million Geflüchtete
geehrt. Gar Silber – und somit den zwei-                  ■ In Äthiopien haben gewaltsame Kon-           sammen mit dem Äthiopischen Roten
ten Platz – erhielt in der Kategorie «Edu-                flikte in der Region Tigray fast eine Milli-   Kreuz die Nothilfe zu verstärken. Unter-
cation» die App, die für den Babysitting-                 on Menschen in die Flucht getrieben. Ein       stützt vom Bund und vom SRK werden
Kurs SRK entwickelt wurde. Sie dient als                  Teil von ihnen suchte im benachbarten          die geflüchteten Menschen mit Bargeld-
Nachschlagewerk und bietet ein Quiz, mit                  Sudan Zuflucht. Die meisten flüchteten in      Beiträgen und psychosozialer Hilfe ver-
dem junge Babysitter ihr Wissen testen                    andere Regionen Äthiopiens. Viele sind         sorgt. Zudem ist der Suchdienst des SRK
können. Zudem erleichtern anschauliche                    traumatisiert, die Situation ist prekär. In    im Kontakt mit Menschen, die von Fami-
Videos und Abbildungen das Verständnis.                   beiden Ländern hilft das Rote Kreuz bzw.       lienmitgliedern getrennt sind, und unter-
                                                          der Rote Halbmond mit dem Nötigsten.           nimmt sein Möglichstes zur Wiederher-
                                                          Eine Expertin des SRK ist vor Ort, um zu-      stellung von abgebrochenen Kontakten.

                                                          2 Ï Weihnachten: enorme Solidarität
                                                          ■ Die 24. Aktion von 2 Í Weihnach-             wina, Moldawien und Kirgistan zum
                                                          ten hat die Bevölkerung stark mobili-          Ausdruck gebracht. Die Anzahl sowie
                                                          siert. Zehntausende haben Pakete mit           der Wert der Online-Pakete hat sich im
                                                          Grundbedarfsartikeln für Menschen              Vergleich zum Vorjahr mehr als verdop-
                                       © SMSV

                                                          zusammengestellt, die in der Schweiz           pelt und erstmals wurde mehr als eine
                                                          in prekären Verhältnissen leben. Insge-        halbe Million Franken für Online-Pake-
Ausbildungslager 2021                                     samt wurden 49 000 Post-Pakete ge-             te gespendet. Das Schweizerische Rote
■ Der Schweizerische Militär-Sanitäts-                    spendet. Tausende weitere haben mit            Kreuz, die SRG, die Schweizerische Post
Verband (SMSV) organisiert vom 17. bis                    einem Online-Paket ihre Solidarität mit        und Coop, die die Aktion gemeinsam
24. Juli auch dieses Jahr das Ausbildungs-                den von Armut betroffenen Menschen             organisieren, danken der Bevölkerung
lager AULA. Ziel des Lagers ist es, bis zu                in Armenien, Bosnien und Herzego-              für diese riesige Welle der Solidarität.
200 Jugendlichen im Alter von 13 bis 22
Jahren eine erlebnis- und lehrreiche Wo-
che rund um die Laienrettung zu bieten.
Im Zentrum steht die Ausbildung in Erster
Hilfe mit Fachreferaten und praktischen
Übungen. Das Lager bietet aber auch
Sport, Freizeitspass und Geselligkeit. Das
hochwertige Programm des AULA ist
möglich dank vielen Freiwilligen, dem
Engagement von Organisationen und
der Schweizer Armee. Letztere stellt
                                                          © Ruben Ung

Material und Unterkunft zur Verfügung.
Noch gibt es freie Plätze.
➔   aula-jugendlager.ch

                                                                                                                              Humanité 1/2021	 11
E INBLIC K

     Syrienkonflikt

     Zehn Jahre ohne Ende
     Seit Beginn des Konflikts im Jahr 2011 leistet das Schweizerische Rote Kreuz (SRK) Unter-
     stützung in Syrien. Als es sieben Jahre nach Kriegsbeginn ein Büro in Damaskus eröffnet,
     scheint dies ein Hoffnungsschimmer zu sein. Doch nun ist die Situation schlimmer denn je:
     Der nicht enden wollende Krieg im Norden des Landes zwingt Zehntausende von Menschen
     zur Flucht. Hinzu kommen eine zerstörerische Wirtschaftskrise, die Corona-Pandemie sowie
     Naturkatastrophen wie Überschwemmungen und Brände. SRK-Mitarbeitende im In- und
     Ausland erleben das Leid, doch auch bereichernde Begegnungen mit Syrerinnen und Syrer.

     TEXT: CÉLIA FRANCILLON UND JANINE MICHEL

                                                stattung seiner Ambulanzen, bei der
                                                Ausbildung des Sanitätspersonals und
                                                weiterhin bei der Eindämmung des Coro-
                                                navirus unterstützen. Unser langfristiges
                                                Engagement trägt zur Entwicklung der
                                                nationalen Rotkreuzgesellschaft bei.»

     Maya Helwani, SRK-Delegierte in                                                        Sabrina Stucki, Psychotherapeutin
     Damaskus                                                                               beim Ambulatorium SRK
     «Es reicht nicht mehr, Lebensmittel­                                                   «Die aus Syrien stammenden Patien-
     pakete zu verteilen. Die Menschen müs-                                                 tinnen und Patienten sind seit 2019
     sen sich wieder eine Existenz aufbauen                                                 die grösste Gruppe am Ambulatorium
     können. Aber das ist schwierig. Insbe-                                                 für Folter- und Kriegsopfer SRK. Sie
     sondere wegen der Wirtschafts- und                                                     leiden psychisch sehr. Traumatherapie
     Coronakrise. Deshalb sorgt das SRK für                                                 ist vor allem dann erfolgreich, wenn
     eine längerfristige Unterstützung. 2021    Dorothee Pujol, Leiterin Alltags-­          die Wahrscheinlichkeit einer anhalten-
     wird das SRK das Starthilfe-Programm       ­in­tegration, SRK Graubünden               den oder erneuten Traumatisierung
     weiterführen. Dieses gibt den Familien     «In einem fremden Land Fuss zu fassen,      ausgeschlossen oder sehr gering ist.
     junge Hühner oder Schafe, damit sie sich   ist eine grosse Herausforderung. Begeg-     Leider müssen aus Syrien Geflüchte-
     eine neue Existenzgrundlage aufbauen       nungen und ein regelmässiger Austausch      te jedoch jederzeit damit rechnen,
     können. Zudem lancieren wir ein Bar-       mit der einheimischen Bevölkerung un-       vom gewaltsamen Tod einer naheste-
     geldprogramm. Dies ist eine essenzielle    terstützen das Einleben. Unsere Integra-    henden Person zu erfahren. Auch das
     Hilfe für verletzliche Personen, deren     tionsangebote eins zu eins und peer to      Schuldgefühl, selber in Sicherheit zu
     Einkommen weggebrochen ist. Eben-          peer setzen genau dort an. Oft entstehen    sein, und der grosse Verantwortungs-
     so fortgeführt wird die Instandsetzung     aus den anfänglichen Treffen zwischen       druck, den Verwandten zu helfen,
     von Wasserpumpen in der Provinz Deir-      der Migrationsbevölkerung und unseren       erschweren einen traumatherapeuti-
     Ezzor. Wir werden den Syrisch-Arabi-       Freiwilligen neue Freundschaften.»          schen Prozess.»
     schen Roten Halbmond bei der Aus-

12     Humanité 1/2021
E IN B LI C K

                                             Schuldgefühlen der Geflüchteten aus
                                             Syrien konfrontiert. Sie haben es in die
                                             sichere Schweiz geschafft, während das
                                             Leben ihrer Angehörigen noch immer
                                             durch den Krieg bedroht ist. Das huma-
                                             nitäre Visum ist leider oft die einzige
                                             Möglichkeit, auf legalem und sicherem
                                             Weg international Schutz zu ersuchen.
Petra Meyer, Fachspezialistin                Wir engagieren uns für die Menschen,       Danilo Mezzadri, Sozialarbeiter
Migration Beratungsdienst für                die an Leib und Leben gefährdet sind       beim Asyl- und Flüchtlingsdienst
humanitäre Visa SRK                          und Schutz suchen, sowie für die Zu-       Uri des SRK
«Täglich sind wir mit der grossen Ver-       sammenführung von syrischen Familien       «Wir begleiten im Auftrag des Kantons
zweiflung, der Belastung und den             in der Schweiz.»                           Menschen, die in der Schweiz um Asyl
                                                                                        bitten. Vermehrt kommen Syrerinnen
                                                                                        und Syrer, die wegen des Kriegs flie-
                                                                                        hen mussten. Sie zu begleiten, gibt mir
       «Die Menschen müssen sich wieder eine
                                                                                        etwas zurück: Ich lerne herzliche Men-
    Existenz aufbauen können. Das ist aktuell sehr
      schwierig. Deshalb sorgt das SRK für eine                                         schen sowie eine neue Kultur kennen.
        längerfristige Unterstützung in Syrien.»                                        Dadurch kam dieser Krieg auch für
               Maya Helwani, SRK-Delegierte in Syrien                                   mich näher.»

                                                                                        Jean-Paolo Spoto, Fachspezialist
                                                                                        Suchdienst SRK
                                                                                        «Syrische Familien in der Schweiz wen-
                                                                                        den sich häufig an uns, weil eine ver-
                                                                                        wandte Person im Heimatland verhaftet
                                                                                        wurde. Oft wissen sie nichts über das
                                                                                        Schicksal einer seit Jahren vermissten Per-
                                                                                        son. Für die Familien ist es entscheidend,
                                                                                        dass die Vermissten nicht vergessen
                                                                                        werden. Wir begleiten die Angehörigen
                                                                                        in der Schweiz durch die lange Zeit der
                                                                            © SARC

                                                                                        Ungewissheit. Leider ist nur begrenztes
Das SRK unterstützt den Syrisch-Arabischen Roten Halbmond unter anderem beim            Suchen vor Ort möglich.»
Ausrüsten von Ambulanzen und bei der Eindämmung des Coronavirus                         ➔   redcross.ch/syrien

                                                                                                              Humanité 1/2021	 13
E NGAGIERT

     Blutstammzellspende während der Pandemie

     Grenzenlose Solidarität und
     prominente Unterstützung
     Millionen weltweit registrierter Blutstammzellspenderinnen und -spender geben Men-
     schen mit lebensbedrohlichen Blutkrankheiten wie Leukämie Hoffnung. Auch während der
     Covid-19-Pandemie stieg ihre Anzahl kontinuierlich. Sehr anspruchsvoll war der weltweite
     Transport von Transplantaten.

     TEXT: URSULA MEIER RUF, BLUTSPENDE SRK SCHWEIZ

     D    er Schweizer Sänger Luca Hänni
          sagt zu seiner Registrierung als
     Blutstammzellspender: «Es ist ganz ein-
                                                   krankten, die auf eine Transplantation
                                                   mit fremden Blutstammzellen angewie-
                                                   sen sind, kein passender Spender, keine
                                                                                               In der Schweiz zählte das Register Ende
                                                                                               2020 mehr als 160 000 Personen, davon
                                                                                               liessen sich rund 20 700 im vergangenen
     fach!» Über 37 Millionen Menschen auf         passende Spenderin gefunden.                Jahr neu registrieren. Das ist von zu Hause
     der Welt wissen das, denn sie haben sich                                                  aus sehr einfach möglich. Ein Testset mit
     ebenfalls registriert. Und sie wissen, dass   Sich zu Hause registrieren                  Stäbchen für einen Wangenabstrich wird
     jede einzelne Registrierung zählt. Noch       Während der Covid-19-Pandemie spielte       per Post zugeschickt. Damit können die
     immer wird für 25 bis 30 Prozent der Er-      die Solidarität mit Erkrankten weiterhin.   Gewebemerkmale anschliessend in ei-

     Auf einen Blick, wie man sich für die Blutstammzellspende engagieren kann: Indem man unter anderem einen Informationsanlass organisiert, Geld

14     Humanité 1/2021
E N G AG I E R T

                                                    Sich wie Luca Hänni engagieren?
                                                    Auch Sie können sich für die Blutstammzellspende engagieren!
                                                    JUNGE MÄNNER MOTIVIEREN
                                                    Junge Männer zwischen 18 und 30 sind aus medizinischen Gründen als Blutstamm-
                                                    zellspender besonders gesucht. 2020 betrug das Verhältnis von Männern zu Frauen im
                                                    Schweizer Register 35 zu 65 Prozent. Ziel ist es, dieses Verhältnis auszugleichen.
                                                    Haben Sie Freunde oder Söhne, Neffen oder Enkel in diesem Alter? Erzählen Sie ihnen
                                                    von der Blutstammzellspende. Es ist ganz einfach, sich zu Hause online zu registrieren.
                                                    Jede Registrierung kann ein Leben retten.
                                                    ➔   blutstammzellspende.ch/de/blutstammzellspender-werden

                                                    GELD SPENDEN
                                                    Jede neue Registrierung kostet das Schweizer Register 140 Franken, da vor allem die
                                                    Bestimmung der Gewebemerkmale teuer ist. Deshalb ist Blutspende SRK Schweiz auf
                                                    Geldspenden angewiesen. Mit jeder Geldspende unterstützen Sie den Ausbau des Re-
                                                    gisters und geben Patientinnen und Patienten mit bösartigen Blutkrankheiten Hoffnung.

           nem spezialisierten Labor bestimmt und   tation mit fremden Blutstammzellen,
                                                                                                   KURZ BEFRAGT
           im Register hinterlegt werden. Und von   beginnt die Suche nach der Nadel im
           den Gewebemerkmalen hängt alles ab.      Heuhaufen. Nur dank der weltweiten              LUCA HÄNNI
                                                                                                    Der 26-jährige Musi­
                                                    Vernetzung der Register haben Patien-
                                                                                                    ker gewann 2012
           Weltweites Geben und Nehmen              tinnen und Patienten eine Chance, ei-           «Deutschland sucht den

                                                                                                                                 © Thomas Buchwalder
           Bei den Gewebemerkmalen gibt es un-      nen passenden Spender zu finden.                Superstar» und wurde
           zählige verschiedene Kombinationen.      Dies zeigt ein Blick auf die Schweiz. 2020      2019 Vierter am Euro­
                                                                                                    vision Song Contest.
           Braucht ein Mensch eine Transplan-       stammten die Transplantate für Schwei-          Er ist registrierter Blut-
                                                    zer Patientinnen und Patienten aus 15           stammzellspender.
                                                    verschiedenen Ländern, darunter waren
                                                    beispielsweise die Türkei und Argentini-
                                                                                                    «ZUSAMMEN LEBEN RETTEN»
                                                    en. Umgekehrt waren die Produkte aus
                                                    der Schweiz, das heisst 70 Entnahmen            WIESO HAST DU DICH ALS
                                                                                                    BLUTSTAMMZELLSPENDER
                                                    von Blutstammzellen und vier Nabel-
                                                                                                    REGISTRIERT?
                                                    schnurbluteinheiten, für Patientinnen
                                                                                                    Nach einem Auftritt 2012 bei
                                                    und Patienten in 19 verschiedenen Län-          «Deutschland sucht den Superstar»,
                                                    dern bestimmt, davon 11-mal für Er-             lernte ich eine junge Patientin kennen,
                                                    krankte in der Schweiz.                         die an Leukämie erkrankt war. Das
                                                                                                    machte mich sehr betroffen. Sie gab
                                                                                                    den Anstoss. Wenn ich helfen kann,
                                                    Erschwerte Transporte                           mache ich das sehr gerne.
                                                    Sind Blutstammzellen einmal entnom-
                                                    men, muss das Transplantat so rasch wie         DU HAST EINEN VIDEO-CLIP
                                                    möglich an seinen Bestimmungsort gelan-         FÜR DIE BLUTSTAMMZELL­
                                                                                                    SPENDE GEDREHT. WAS MACHST
                                                    gen. Bereits unter normalen Umständen
                                                                                                    DU SONST NOCH DAFÜR?
                                                    sind Transporte über Landesgrenzen und
                                                                                                    Ich spreche immer wieder meine Kol-
                                                    weite Distanzen anspruchsvoll. Während          legen darauf an, erzähle ihnen von der
                                                    der Covid-19-Pandemie änderten sich             Blutstammzellspende. Da sich junge
                                                    von einem Tag auf den anderen die Rah-          Männer als Blutstammzellspender be-
                                                                                                    sonders gut eignen, will ich ein Vorbild
                                                    menbedingungen komplett: geschlos-
                                                                                                    sein und nutze meine Bekanntheit, um
                                                    sene Grenzen, Flugzeuge am Boden,               meine Altersgruppe anzusprechen.
                                                    wechselnde Quarantänevorschriften. So
                                                    brauchte es Spezialbewilligungen für            UND WIE MACHST DU DAS
                                                    Grenzübergänge, individuelle Transport-         GENAU?

                                                    möglichkeiten wurden geprüft. Es war al-        Ich sage ihnen gleich am Anfang, dass
                                                                                                    es nicht weh tut und ganz einfach
                                                    les sehr aufwendig. Irgendwie musste es         ist. Praktisch null Aufwand. Und erst
                                                    gehen. Und es ging – zum grossen Glück          danach, dass man so zusammen Leben
                                                    für die Patientinnen und Patienten.             retten kann. Bei den meisten wirkt das.
spendet und sich registrieren lässt                 ➔   blutstammzellspende.ch/engagement

                                                                                                                             Humanité 1/2021	 15
B L I C K Z URÜ CK

     Internierung der Bourbaki-Armee vor 150 Jahren

     Die Geburtsstunde der
     humanitären Neutralität
     Vor 150 Jahren nahm die Schweiz 87 000 notleidende Soldaten der französischen Bourbaki-
     Armee auf und verpflegte sie. Die sogenannte «Internierung der Bourbaki» wird als Ge-
     burtsstunde der humanitären Neutralität der Schweiz angesehen und war der erste grosse
     Hilfseinsatz des noch jungen Schweizerischen Roten Kreuzes (SRK). Das grossartige Engage-
     ment der ganzen Bevölkerung nach den Grundsätzen des Roten Kreuzes ist bedeutsam für
     die militärische und diplomatische Geschichte der Schweiz.

     TEXT: PATRICK BONDALLAZ, HISTORIKER DES SRK

     D     ie französische Armee von Gene-
           ral Charles Denis Sauter Bourbaki
     befindet sich vor 150 Jahren in einer
     verzweifelten Situation. Im Deutsch-
     Französischen Krieg wurde sie am Ju-
     rafuss durch die Preussen geschlagen.
     Ohne Rückzugsmöglichkeit und durch
     Hunger und Kälte gebeutelt, erhält die
     Bourbaki-Armee am 1. Februar 1871 in
     der Schweiz Asyl. Sogleich strömen un-
     unterbrochen mehr als 87 000 Soldaten,
     11 800 Pferde und 1150 Militärfahrzeu-
     ge bei Les Verrières in die Schweiz.
     An der Grenze müssen die fliehenden
     Kämpfer ihre Waffen abgeben. Wäh-
     rend sechs bis acht Wochen werden die
     geschwächten Männer in 24 Kantonen
     untergebracht, verarztet und gepflegt.
     Es ist eine riesige Herausforderung: Der
     noch junge Bundesstaat mit damals le-
     diglich 2,8 Millionen Einwohnerinnen
     und Einwohnern nimmt in Rekordzeit
     84 000 Menschen auf, was drei Prozent
     seiner Bevölkerung entspricht. Wie
     könnte da nicht von einer logistischen
     und humanitären Meisterleistung ge-
     sprochen werden?

     Anonyme, barmherzige
     Samariterinnen und Samariter
     Gemäss einer Bundesverordnung sind
     die Militärverwaltung sowie die poli­
     tischen Behörden für die Umsetzung         Auch der berühmte Albert Anker hat in seinem Werk «Die Bourbaki» von 1871 die Nothilfe durch die
     der Internierungsmassnahmen ausländi-      Das Original misst 95 Ï 151 cm und befindet sich im Musée d’art et d’histoire in Neuenburg.

16     Humanité 1/2021
BL IC K Z U RÜ C K

          scher Truppen zuständig. Die Behörden      Diese Unterkünfte sehen aus wie Not-
                                                                                                   APROPOS
          sind jedoch schnell überlastet und die     spitäler, in denen die Frauen aus der
          Zahl der mobilisierten Soldaten reicht     Umgebung ihre Hilfe anbieten. Die Sol-             AUSFLUGSTIPP: BOURBAKI
                                                                                                        PANORAMA LUZERN
          bei Weitem nicht aus. In den Neuenbur-     daten leiden an Frostbeulen, Lungen-
          ger und waadtländischen Grenzgemein-       entzündungen, Typhus oder Pocken und               Der Maler Edouard Castres hat als
                                                                                                        freiwilliger Sanitäter des Roten
          den befinden sich die Einwohnerinnen       brauchen fast alle medizinische Versor-            Kreuzes den Grenzübertritt in Les
          und Einwohner folglich an vorderster       gung. Wer viel Glück hat, darf bei Pri-            Verrières selber miterlebt. Er malte
          Front.                                     vatpersonen übernachten. Die anderen               die Szene 1881 als 112 Í 10 m
          In den Zeugenberichten werden be-          begnügen sich damit, im Freien um ein              grosses Rundbild. Das Bourbaki
                                                                                                        Panorama befindet sich in einem
          wegende Szenen von Menschlichkeit          Feuer zu nächtigen, bevor sie ihren Weg            denkmalgeschützten Gebäude am
          beim Vorbeiziehen der Bourbaki-Armee       ins Innere des Landes fortsetzen.                  Löwenplatz in Luzern. Öffnungszei-
          geschildert: Schnell werden den Solda-                                                        ten und weitere Informationen:
          ten Lebensmittel, warme Kleidung, De-      Das humanitäre Feuer                              ➔    bourbakipanorama.ch

          cken und Schuhe gebracht. Die schnee­      verbreitet sich
          bedeckten Strassen sind übersät mit        Überall, von Genf bis zum Rorschacher-
          Weinkrügen und Suppentöpfen zur Stär-      berg, wiederholen sich unermüdlich der
          kung. Die Labore der Brennereien dienen    gleiche Elan und die gleiche Grosszügig-      verpflichtet sind, hält sie nicht davon
          als improvisierte Küchen, während die      keit. Spontan bilden sich Ad-hoc-Hilfs-       ab, weiterhin einen guten Kontakt zur
          Schulen, Bauernhöfe, Schuppen, Herber-     komitees in den Quartieren, Dörfern           Schweizer Bevölkerung zu pflegen. Aber
          gen, Gotteshäuser und sogar die Imkerei-   und Bezirken des Landes. Angeführt            nicht alle kehren nach Frankreich zurück:
          en in Schlafstätten umgewandelt werden.    von Kirchenvertretern, Lehrpersonen,          1700 Soldaten sterben an den Folgen
                                                     angesehenen Persönlichkeiten oder             der Krankheiten und Verletzungen.
                                                     Mitgliedern des lokalen Roten Kreuzes
                                                     schliessen sie sich mit den Behörden zu-      Humanitäre Werte und
                                                     sammen. Diese Gruppen koordinieren            Selbstlosigkeit
                                                     die Aktionen, starten die Spendenauf-         Die damalige Mobilisierungsfähigkeit
                                                     rufe, organisieren die Sammlungen und         der Bevölkerung ist bemerkenswert. Sie
                                                     kümmern sich um das Wohlergehen der           lässt sich insbesondere durch die ent-
                                                     Internierten.                                 scheidende Rolle der Zivilgesellschaft
                                                     Diese Solidarität, die manchmal zu einer      erklären. Die Zentralmacht ist schwach
                                                     regelrechten Besessenheit wird, liefert       und es fehlt die politische Vielfalt. Die-
                                                     viele Geschichten und Anekdoten: So           se Schwäche wird aufgewogen durch
                                                     werden in Burgdorf in der Nacht vom           eine hohe Vereinsdichte mit zahlrei-
                                                     5. Februar 1000 Soldaten, die mit dem         chen Wohltätigkeitsvereinen. Bei seiner
                                                     letzten Zug ankamen, innert drei Stun-        Gründung 1866 war das SRK noch un-
                                                                                                   bekannt. Fünf Jahre später wird es 1871
                                                     Die grosse Solidarität der                    zum Symbol eines grossen Zusammen-
                                                     Bevölkerung liefert viele                     gehörigkeitsgefühls, das sich durch akti-
                                                     Geschichten und Anekdoten.                    ve Neutralität und Solidarität ausdrückt.
                                                                                                   Der Deutsch-Französische Krieg ist in der
                                                     den verpflegt. In Luzern willigt man          Tat ein Meilenstein für das SRK, das bis
                                                     sogar ein, dass zwei Feuer in der prunk-      anhin über wenig Handlungsmöglich-
                                                     vollen Jesuitenkirche – dem ersten Ba-        keiten und schwache kantonale Struk-
                                                     rockgebäude der Schweiz – angezündet          turen verfügte. Ab dem Kriegsausbruch
                                                     werden. In Fribourg wiederum werden           1870 bilden sich ungefähr zwanzig loka-
                                                     1600 Bourbaki-Soldaten, die als letzter       le Sektionen und machen die Grundsät-
                                                     Ausweg in zwei kalten und feuchten            ze von Dunant bekannter. Die erfolgrei-
                                                     Kirchen untergebracht wurden, innert          che Internierung der Bourbaki-Soldaten
                                                     weniger als einer Stunde von mitfühlen-       beruht letztlich auf einem subtilen Zu-
                                                     den Einwohnerinnen und Einwohnern             sammenspiel von humanitären Werten
                                                     geholt und bei ihnen zu Hause aufge-          und Selbstlosigkeit. Auch heute wäre
                                                     nommen.                                       das SRK ohne die Unterstützung durch
                                                     Während ihres Aufenthalts haben die           die vielen Freiwilligen nicht in der Lage,
                                                     Internierten die Möglichkeit, zu arbei-       die nationalen und internationalen Her-
Schweizer Bevölkerung festgehalten.                  ten, sich zu amüsieren oder sich gar zu       ausforderungen zu meistern.
                                                     bilden. Die militärische Disziplin, der sie   ➔   geschichte.redcross.ch/bourbaki

                                                                                                                         Humanité 1/2021	 17
Z UR SAC HE

     Rotkreuzdienst während der Coronakrise

     Grösste Einsatzbereitschaft
     Während den beiden Weltkriegen waren die damaligen Krankenschwestern verpflichtet,
     Rotkreuzdienst (RKD) für das Land zu leisten. Fachleute aus dem Gesundheitsbereich ent-
     scheiden sich seit 1974 bewusst dafür, diese Verpflichtung einzugehen und erhalten eine
     militärische Ausbildung. Die Angehörigen des RKD sind vorbereitet, die Schweizer Armee
     bestmöglich zu unterstützen. Wie aktuell während der Corona-Pandemie.

     TEXT: TANJA REUSSER

                                                                                                ren, dass während der ersten Welle nicht
                                                                                                dringende Behandlungen aufgeschoben
                                                                                                wurden.» Der Einsatz habe gar in einigen
                                                                                                Fällen die Kurzarbeit verhindert.
                                                                                                Oberst RKD Gisela Rütti ist am 1. Juni
                                                                                                2020 als Rotkreuzchefin angetreten.
                                                                                                «Ich habe mich mit dem nötigen Res-
                                                                                                pekt sehr auf meine Aufgabe gefreut.
                                                                                                Diesen Respekt möchte ich nie verlieren.
                                                                                                Er macht eine Führungsperson besser.»
                                                                                                Sie erinnert sich, als sie sich 1996 in der
                                                                                                Ausbildung zur dipl. Pflegefachfrau für
                                                                                                den Rotkreuzdienst entschied: «Ich woll-
                                                                         Seit bald einem
                                                                                                te bereit sein, um im Ernstfall helfen zu
                                                                         Jahr unterstützt
                                                                         der Rotkreuzdienst,    können.» Noch immer sei genau dies die
                                                                         wenn alle Armee-       Hauptmotivation der meisten Angehö-
                                                                         angehörigen bei        rigen RKD. «Deshalb hat es mich keines-
                                                                         Dienstantritt auf
                                                                         das Coronavirus        wegs überrascht, dass alle so viel Einsatz
                                                                         getestet werden        gezeigt haben. Sie haben trotz teils he-
                                                                                                rausfordernden privaten Umständen

     G     efreite RKD Livia Amsler, 23, leistet
           ab Mitte Januar Assistenzdienst im
     Medizinischen Zentrum (MZR) der Armee
                                                   Gisela Rütti, kennt dieses Phänomen: «Es
                                                   braucht Überwindung, einen Kollegen
                                                   zu stechen. Junge Männer getrauen sich
                                                                                                ohne zu Zögern zugesagt. Auch Frauen,

     in Thun. «Ich lerne hier viel Praktisches,    eher, einer Frau gegenüber dies einzuge-
     das ich an der Uni nicht lerne.» Sie pro-     stehen und Fragen zu stellen.» Dieses Ver-
     fitiert als junge Medizinstudentin von        trauen hilft auch in der Coronakrise, wenn
     der Berufserfahrung ihrer Kameradin,          die Frauen des RKD komplett in Schutz-
     der medizinischen Praxisassistentin Se-       montur den neu Eingerückten den Ab-
     line Recktenwald. Blutentnahmen, das          strich für den Coronatest entnehmen und
     korrekte Messen von Blutdruck, Sauer-         bei der Betreuung von isolierten, erkrank-
     stoffsättigung und der Körpertempera-         ten Soldaten helfen. Der Einsatz der An-
     tur: Dies und mehr beherrscht Gfr RKD         gehörigen des RKD ist derzeit besonders
     Recktenwald genauso wie den Umgang            wichtig, da das Coronavirus zusätzlichen
     mit den meist männlichen Patienten am         Aufwand verursacht. Die Rotkreuzchefin
     MZR. Ihre weibliche Art der Selbstsicher-     korrigiert das Vorurteil, dass Angehörige
     heit überträgt sich auf die Angehörigen       RKD an ihrer Arbeitsstelle im Gesund-
     der Armee. Auch dann, wenn sie bereits        heitswesen fehlen würden: «Wir haben
     in den ersten Wochen den unerfahre-           letztes Jahr nur Frauen aufgeboten, die
     nen Rekruten beibringt, eine Infusion zu      abkömmlich waren. Medizinstudentin-          Oberst RKD Gisela Rütti hat eine 18-jähri-
     legen. Die Chefin des Rotkreuzdienstes,       nen oder Frauen, die davon betroffen wa-     ge Tochter und lebt in Malters

18     Humanité 1/2021
Z U R SAC H E

welche die Kinderbetreuung organisie-          im Militär gelernt, wie man ausserhalb        gagement als Minderheit in der Armee
ren mussten.» Diese hohe Einsatzbereit-        des Spitals mit dem Nötigsten Erste Hilfe     weiterhin gewürdigt wird.» Dafür setzt
schaft diene der ganzen Gesellschaft.          leistet und pflegt.» Noch immer sind es       sich Oberst RKD Rütti täglich ein. Immer
«Die Zugehörigkeit zum Roten Kreuz ist         fast ausschliesslich Frauen, die bereits im   noch voller Energie bilanziert sie nach
immer noch wichtig, um Gesundheits­            Alter von zwanzig Jahren eine Erstaus-        dem anstrengenden ersten Halbjahr:
personal für den RKD zu gewinnen.»             bildung im Gesundheitsbereich vorwei-         «Es hat sich gezeigt, wir sind da, wenn
Man gewinne dadurch junge Fachkom-             sen können. Fachmänner Gesundheit             es uns braucht. Ich bin enorm stolz auf
petenz für den Sanitätsdienst der Ar-          und medizinische Praxisassistenten sind       die Einsatzbereitschaft und die Fach-
mee. Junge Menschen, die wiederum              nach wie vor Ausnahmen. «Ich wünsche          kompetenz der 260 Angehörigen des
viel für sich und ihren Beruf dazulernen.      mir für die Zukunft auch männliche An-        Rotkreuzdienstes!»
«Ich selber habe als Pflegefachfrau erst       gehörige RKD. Zudem, dass unser En-           ➔   rkd-scr.ch

 Coronakrise in der Schweiz                                                                  Mobilität während der Corona-Pande-
                                                                                             mie eine Herausforderung. Die Freiwil-
 Regionale Unterstützung                                                                     ligen des Rotkreuz-Fahrdienstes brin-

 nach Bedarf                                                                                 gen solche Menschen – und weiterhin
                                                                                             alle mit einer Mobilitätseinschränkung
 In dieser schwierigen Zeit sind die Dienstleistungen des Schwei­                            – sicher und zum Unkostentarif zu me-
 zerischen Roten Kreuzes (SRK) wichtiger denn je. Manchmal müs­                              dizinischen Terminen. Das Schutzkon-
 sen diese von einem Tag zum nächsten angepasst werden. Die                                  zept wird bei jeder Fahrt eingehalten.
 24 Rotkreuz-Kantonalverbände kennen die Besonderheiten ihrer
 Region und sind bestens vernetzt, wenn es um die rasche Unter­                              11,5 Millionen Franken Soforthilfe
 stützung von Menschen in Not geht. Es haben sich einige Aktionen                            Bisher zeigte sich Armut zeitverzögert.
 entwickelt, die auf die Bedürfnisse der Verletzlichen des jeweili­                          Betroffene versuchen zuerst, ihre Aus-
 gen Kantons abgestimmt sind.                                                                gaben zu reduzieren, indem sie spa-
                                                                                             ren. Doch mit der Coronakrise fehlte in
 TEXT: URSULA LUDER UND EVELYNE MONNAY                                                       vielen Haushalten plötzlich ein Teil des
                                                                                             Einkommens. Die Betroffenen konnten
 Koordinationsstelle zur                       Coronakrise ins Leben gerufen. «Die           im letzten Jahr bei ihrem kantonalen
 Unterstützung des Gesundheits-                Nachfrage hat unsere Erwartungen              Roten Kreuz ein Gesuch für finanzielle
 wesens im Kanton Waadt                        weit übertroffen», sagt die Luzerner          Unterstützung stellen. Mit der finanziel-
 Der Kanton Waadt hat das regionale Rote       SRK-Geschäftsführerin Erica Züst. Bei         len Soforthilfe unterstützte das SRK von
 Kreuz beauftragt, eine Koordinationsstel-     der Warenausgabe bildeten sich lan-           April bis Dezember 2020 14 000 Perso-
 le zu betreiben, um passendes Aushilfs-       ge Schlangen. Wegen des Versamm-              nen mit total 11,5 Millionen Schweizer
 personal für Betriebe im Gesundheits-         lungsverbots werden die Taschen seit          Franken. Die Gelder wurden am häu-
 bereich ausfindig zu machen. Wer eine         Dezember bis vor die Haustür geliefert.       figsten zur Bezahlung von Miet- oder
 abgeschlossene Ausbildung im Gesund-                                                        für Gesundheitskosten eingesetzt. Die
 heitsbereich hat und derzeit über freie Ka-   Der Rotkreuz-Fahrdienst fährt für             Soforthilfe war möglich dank Spenden
 pazität verfügt, wird dringend gebeten,       die Risikogruppen                             aus der Sammlung der Glückskette, der
 sich für temporäre Einsätze beim Roten        Für verletzliche Menschen, insbeson-          Wirtschaft und von Privatpersonen.
 Kreuz Waadt zu melden. Ebenso gesucht         dere aus den Risikogruppen, ist die           ➔   redcross.ch/de/coronavirus
 sind Aushilfen für andere Bereiche zur Ent-
 lastung der Institutionen (Administration,
 Küche usw.). Die Koordinationsstelle stellt
 sicher, dass Betriebe mit Personalbedarf
 passende Aushilfen zur Überbrückung ei-
 nes personellen Engpasses finden.             Ein Beispiel für
                                               regionale Unter-
                                               stützung: essen
 essen + mehr in Luzern
                                               + mehr vom SRK
 Freiwillige des SRK Luzern liefern ein-       Luzern entlastet ein
 mal monatlich Lebensmittelpakete aus          knappes Haushalts-
                                                                                                                                     © Monika Flückiger

 an Menschen, die darauf angewiesen            budget monatlich
                                               mit einer Tasche
 sind. Die aufwändige Aktion essen +           voll Waren für den
 mehr hat das SRK Luzern während der           Grundbedarf

                                                                                                                   Humanité 1/2021	 19
WIR MACHEN MIT

                                         Die Allianz Suisse unterstützt den
                                         Rotkreuz-Fahrdienst.
                                         Rund 7200 freiwillige Fahrerinnen und Fahrer
                                         fuhren im letzten Jahr für 62 400 Fahrgäste
                                         über 18 800 000 Kilometer.

humanite_srk_180x270_ssp_d_0120.indd 1                                                  04.01.21 12:15
© IFRC
                                                                                                       KU R Z & BÜ N D I G

Erdbeben in Kroatien
■ Eine Reihe von Erdbeben hat Kroati-
en erschüttert. Das schlimmste mit einer
Stärke von 6,4 richtete am 30. Dezember
2020 rund 50 km südlich der Hauptstadt
Zagreb schwere Schäden an. In der Stadt
Petrinja und in den umliegenden Dör-
                                            Dolmetschen ermöglicht Therapieerfolg
fern wurden Tausende Gebäude zerstört       ■ Gemäss Studien leiden mindestens 40          Verbunds Support for Torture Victims eine
oder so stark beschädigt, dass sie unbe-    Prozent aller geflüchteten Menschen un-        Resolution mit Massnahmen formuliert.
wohnbar sind. Sieben Menschen kamen         ter Trauma-Folgeerkrankungen. Doch eine        Eine Lösung für die Finanzierung durch
ums Leben, Dutzende wurden verletzt.        Psychotherapie ist für viele von ihnen nicht   das Gesundheitswesen wäre für alle Be-
Das Kroatische Rote Kreuz war sofort zur    möglich. Sprachliche Barrieren verhindern      teiligten von Vorteil: Traumatisierte Ge-
Stelle. Mehr als 600 Mitarbeitende und      oft eine geeignete Therapie, weil in den       flüchtete hätten dadurch rascher Zugang
Freiwillige halfen bei der Bergung der      meisten Kantonen Übersetzungskosten            zu einer Therapie. Betroffene Geflüchtete
Opfer, leisteten Erste Hilfe und errich-    vom Gesundheitssystem nicht getragen           würden weniger häufig chronisch erkran-
teten Zelte. Lebensmittel, Wasser, war-     werden. Weil das interkulturelle Dolmet-       ken. Somit könnten die Folgekosten für
mer Tee, Decken und Jacken wurden an        schen für eine erfolgreiche Therapie uner-     die Gesellschaft gesenkt werden.
Menschen verteilt, die ihr Zuhause verlo-   lässlich ist, wurde an der Fachtagung des      ➔           redcross.ch/interpretation
ren hatten. Die Hilfe wird noch lange ge-
braucht, denn die Schäden sind enorm.
Das SRK nimmt Spenden für die Opfer
                                            Die Werte des Roten Kreuzes im Parlament
des Erdbebens mit dem Vermerk «Erd-         ■ Im Herbst 2019 sorgte die 32-jährige         ser Krise so viel verloren haben, wieder
beben Kroatien» entgegen und leitet sie     Johanna Gapany für Aufsehen: Sie wur-          eine Perspektive zu geben.» Abgesehen
weiter an das Kroatische Rote Kreuz.        de die jüngste je gewählte Ständerätin         von diesen Herausforderungen bringt
                                            der Schweiz, nachdem sie die politische        das neue Jahr eine glückliche Verände-
                                            Karriereleiter auf Gemeinde- und Kan-          rung im Privatleben. Im Januar ist die
Authentisch berichten                       tonsebene hochgeklettert war. Im An-           Ständerätin Mutter geworden.
■ Gemeinsam mit neun anderen Ent-           schluss an den Wahlsieg übernahm die           ➔           politdialog.redcross.ch
wicklungsorganisationen bekennt sich        Freiburger Ständerätin und ehemalige
das SRK mittels eines Manifests zu einer    Projektleiterin am Freiburger Daler-Spital
verantwortungsvollen Kommunikation          das Co-Präsidium der Parlamentarischen
der internationalen Zusammenarbeit. Es      Gruppe Rotes Kreuz: «Ermutigung zum
umfasst sieben Leitlinien. Diese halten     Erhalt oder zur Erlangung von Autono-
unter anderem fest, dass die Berichter-     mie, Gesundheitsförderung, Unterstüt-
stattung ein authentisches, wahrhaftiges    zung in Krisen – für diese und weitere An-
Bild vermittelt und den Respekt sowie       liegen des SRK möchte ich im Parlament
die Würde der Menschen im globalen          einstehen.» 2021 wird ein anspruchsvol-
Süden wahrt. Wenn möglich sollen diese      les Jahr. Auf der politischen Agenda der
selber zu Wort kommen. Diese Leitlinien     Gesundheits-, Finanz- und Bildungskom-
konkretisieren die ZEWO-Standards. Das      missionen, welchen, Gapany angehört,
Manifest wurde von den Träger- und          stehen die Folgen der Pandemie: «Es geht
Partnerorganisationen der Arbeitsge-        darum, die Zukunft möglich zu machen,
                                                                                           Foto: zVg

meinschaft Alliance Sud erarbeitet.         all unsere Freiheiten zurückzuerlangen
➔        redcross.ch/manifest-iza           und jenen Menschen, die aufgrund die-

                                                                                                                           Humanité 1/2021	 21
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