Humanité - Die Not der ältesten Generation - 3 | 2021 - Schweizerisches Rotes Kreuz

 
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Humanité - Die Not der ältesten Generation - 3 | 2021 - Schweizerisches Rotes Kreuz
Humanité                                 3 | 2021

Moldawien

Die Not der
ältesten Generation

Resilienz
Wie Kinder Schlimmes besser überstehen

Ergotherapie bei Long Covid
Hilfe für den langen Weg
zurück in den Alltag
Kampf gegen Covid-19 in Bangladesch
Millionen brauchen wieder
ein Einkommen
Humanité - Die Not der ältesten Generation - 3 | 2021 - Schweizerisches Rotes Kreuz
Gemeinsam für eine nachhaltige Entwicklung
                                                                                       Das Schweizerische Rote Kreuz engagiert sich für die Nachhaltigkeitsziele der
                                                                                       Vereinten Nationen, besonders für 11 dieser Ziele. Beispiele dafür finden Sie in
                                                                                       dieser Ausgabe. Erfahren Sie mehr zu den Zielen ➔ report.redcross.ch

                                                                                         4     REPORT – Moldawien
                                                                                               Die Not der ältesten Generation
    Impressum                                                                          		      Hilfe für das ärmste Land Europas
    Humanité 3/2021
    August 2021
                                                                                                                                                 1   2   3 10 11

    ISSN 1664-1159                                                                     12 FÜR SIE DA – Ergotherapie bei Long Covid
    Foto Titel- und Rückseite: Chişlari Oleg                                           		Hilfe für den langen Weg zurück in den Alltag
    Herausgeber: Schweizerisches Rotes Kreuz,                                                                                                                3   4
    Rainmattstrasse 10, Postfach, 3001 Bern
    Telefon 058 400 41 11, info@redcross.ch,
    www.redcross.ch
                                                                                       14      BLICK ZURÜCK – Jubiläum REDOG
    Spenden: Postkonto 30-9700-0
                                                                                       		      50 Jahre Pioniergeist
    IBAN CH97 0900 0000 3000 9700 0                                                                                                                              4
    Beratung für Legate: Telefon 058 400 42 83

    Adressänderungen: E-Mail an spenden@redcross.ch                                    16 ERLEBT – Augenmedizin im Südsudan
    oder Telefon 058 400 44 64
                                                                                       		Die Kinder wieder sehen – nach 13 Jahren Blindheit
    Redaktionsadresse: Schweizerisches                                                                                                                   1   3 10
    Rotes Kreuz, Redaktion Humanité,
    Postfach, 3001 Bern,
    humanite@redcross.ch, www.magazin-humanite.ch                                      18 ENGAGIERT – Integrationsangebot Mitten unter uns
    Redaktion: Tanja Reusser (Redaktionsleitung), Sabrina Hinder                       		Bereichernd für uns alle
    (allgemeine Kommunikation), Ursula Luder (Kommunikation
    Gesundheit und Integration), Katharina Schindler (Kommuni-                                                                                               3 10
    kation Internationale Zusammenarbeit)
                                                                                       22 VOR ORT – Kampf gegen Covid-19 in Bangladesch
    Mitarbeitende dieser Ausgabe: Franziska Bundi,
    Sibylle Dickmann-Perrenoud, Célia Francillon, Thomas                               		Millionen brauchen wieder ein Einkommen
    Heiniger, Markus Mader, Janine Michel, Marco Ratschiller,
    Katrin Schöni, Dagmar Wurzbacher                                                                                                                     1   3 10

    Abo-Kosten: Das Abonnement kostet CHF 6.–
    pro Jahr und ist für SRK-Gönnerinnen und
                                                                                       24 IM GESPRÄCH – Resilienz
    SRK-Gönner im Beitrag enthalten.
    Erscheinungsweise: vier Mal jährlich
                                                                                       		Wie Kinder Schlimmes besser überstehen
    Sprachen: Deutsch, Französisch und Italienisch                                                                                                           3 10
    Gesamtauflage: 130 929
    Bildrechte aller Fotos ohne Hinweis:
    Schweizerisches Rotes Kreuz                                                        26      EINBLICK – Quarantänezentren in Laos
    Übersetzungen: Übersetzungsdienst SRK                                              		Das Nötigste zum Ausharren
    Layout, Lektorat und Druck: Vogt-Schild Druck AG,
    Derendingen                                                                                                                                              1   2

    Nächste Ausgabe: Dezember 2021                                                     29 KREUZ & QUER
                                                                                       		Rezept/Rätsel/Cartoon

                Drucksache
    myclimate.org/01-21-792201

                                 Für Humanité wird ausschliesslich Recyclingpapier
                                 verwendet, das aus 100 % Altpapier hergestellt wur-
                                 de. Dies schont Ressourcen und somit die Umwelt.

2       Humanité 3/2021
Humanité - Die Not der ältesten Generation - 3 | 2021 - Schweizerisches Rotes Kreuz
E D ITOR I A L

                                                       © Ruben Ung
Verlässlichkeit und Menschlichkeit passen zusammen

Liebe Leserin, lieber Leser

Wer sich nicht selbst um die Liebsten kümmern kann, möchte wenigstens die
Gewissheit, dass jemand anders gut für sie sorgt. Töchter und Söhne, die ihre be-
tagten Eltern in Moldawien wegen einer Arbeit im Ausland zurücklassen müssen,
haben diese Gewissheit häufig nicht. Noch gibt es in unseren Programmländern
zu viele ältere, hilfsbedürftige Menschen, die unter unwürdigen Bedingungen sich
selbst überlassen ihren Lebensabend verbringen.
Was wir in Moldawien anstreben, ist ein ähnliches Modell, wie wir es hier in der
Schweiz haben: Viele Freiwillige engagieren sich mit grosser Verlässlichkeit für
hochbetagte oder kranke Menschen. Ergänzt wird ihr Engagement durch profes­
sionelle Hauspflegedienste.

Das SRK hat in der Schweiz ein Angebot zur Entlastung von pflegenden Angehöri-
gen und von Familien. Die Dienstleistungen der Rotkreuz-Kantonalverbände kön-
nen eine familiäre Notsituation entschärfen und die Entwicklung von betrof­fenen
Kindern nachhaltig positiv beeinflussen. Zu diesem Thema empfehle ich Ihnen
gerne den Beitrag von Seite 25.

Mit herzlichen Grüssen

Thomas Heiniger
Präsident des Schweizerischen Roten Kreuzes

PS: Kurzfristig erhalten wir aus Bangladesch den Beitrag von Seite 22. Unsere
Mitarbeiterin schildert, wie sich die Armut wegen Corona dramatisch verschlim-
mert. Der rechtzeitige Erfolg der Impfkampagne ist entscheidend, um eine noch
gravierendere Katastrophe zu verhindern.

                                                                       Humanité 3/2021	   3
Humanité - Die Not der ältesten Generation - 3 | 2021 - Schweizerisches Rotes Kreuz
R E PO RT

4   Humanité 3/2021
Humanité - Die Not der ältesten Generation - 3 | 2021 - Schweizerisches Rotes Kreuz
Moldawien

Die Not der ältesten
Generation
Mit Unterstützung des SRK-Delegierten Viorel Gorceag gelangt der 91-jährige Ion Dascal
auf die Terrasse. In Moldawien leben viele ältere Menschen sich selber überlassen in extre-
mer Armut. Jüngere Angehörige, die ihnen im Alltag helfen könnten, arbeiten häufig im
Ausland. Das Schweizerische Rotes Kreuz (SRK) ermöglicht den Hauspflegedienst für Pfle-
gebedürftige und fördert die Selbsthilfe von Seniorengruppen.

TEXT: CÉLIA FRANCILLON   FOTOS: CHIŞLARI OLEG

                                                                               Humanité 3/2021   5
Humanité - Die Not der ältesten Generation - 3 | 2021 - Schweizerisches Rotes Kreuz
R E PO RT

    E   ugenia Jelihovschi zupft ihr Foulard
        zurecht und wirft einen letzten Blick
    in den Spiegel, bevor sie das Haus ver-
    lässt. Wie jede Woche begibt sich die
    76-Jährige zur Seniorengruppe Roman-
    tica in Corpaci, einem 1000-Seelen-Dorf
    im Norden Moldawiens. Es regnet in
    Strömen, aber nichts kann ihre Energie
    bremsen: Sie kann es kaum erwarten,
    ihre Landsleute zu treffen, um der Ein-
    samkeit zu entfliehen. Sie will sich nütz-
    lich fühlen, indem sie anderen hilft. Das
    Leben von Eugenia Jelihovschi war nicht
    rosig. Vor 20 Jahren starb ihr Mann an
    den Folgen von Diabetes. Ihre Arbeit
                                                              © Chişlari Oleg

    als Rumänisch- und Französischlehrerin
    musste sie aus gesundheitlichen Grün-
    den aufgeben. Sie leidet an Bluthoch-
    druck, Arteriosklerose und Hepatitis C.
    «Ich habe begonnen, auf mich acht zu                      berufliche Perspektiven, eine marode In-      lebenden Mann gut und er kann trotz
    geben. Viele meiner Leiden habe ich                       frastruktur, tiefe Löhne – es gibt zahlrei-   seines Handicaps zu Hause leben. Denn
    mit Heilkräutern kuriert. Dank dem In-                    che Gründe für diesen Exodus», erklärt        er ist geistig fit und lässt den Kopf nicht
    ternet habe ich mein Wissen vertieft.                     Viorel Gorceag, SRK-Delegierter in Mol-       hängen: «Mein Traum ist es, einen elek­
    Meine Tochter hat mir gezeigt, wie ich                    dawien. Viele Seniorinnen und Senioren        trischen Rollstuhl zu haben. Dann könn-
    es nutzen kann.» Jetzt ist sie aber allei-                bleiben also alleine zurück, ohne Ange-       te ich rund um mein Haus fahren.»
    ne: Ihre Tochter ist zum Arbeiten nach                    hörige, die sie begleiten. «Zudem hat
    Griechenland gezogen und ihr Sohn ist                     die Pandemie die Einsamkeit der Senio-        Soziale Benachteiligung
    in Deutschland.                                           rinnen und Senioren verstärkt und dazu        Liubovi Pilipetcaia (84) arbeitete ihr Le-
                                                              geführt, dass die Einkommen generell          ben lang auf Kolchosen in der ehema-
    Abwanderung junger Menschen                               gesunken sind», ergänzt der Delegierte.       ligen Sowjetunion. Ihr Körper trägt die
    Das ist die traurige Realität der älteren                 Viele Menschen haben ihre Stelle verlo-       Spuren dieser harten Arbeit. Da sie seit
    Menschen in Moldawien: Die Jungen                         ren. Es war nicht mehr möglich, im Aus-       acht Jahren verwitwet ist, erhält sie eine
    verlassen das Land, um in Europa oder                     land Arbeit zu suchen. Ältere Menschen
    Russland Arbeit zu suchen. «Fehlende                      leiden erst recht unter einer schwierigen     «Die Pandemie hat die Einsam-
                                                              Lebenssituation: Ihre Renten sind mager       keit der Seniorinnen und
                                                              und das Gesundheitssystem schwach.            Senioren verstärkt und dazu
                                                              Seit Victor Gașco als Dreijähriger von        geführt, dass die Einkommen
                                                              einem Auto angefahren wurde, leidet           generell gesunken sind.»
                                                              der heute 65-Jährige unter einem Mus-
                                                              kelschwund an den Beinen. Er erhält           bescheidene finanzielle Unterstützung
                                                              monatlich 80 Euro Rente. Seit die Eltern      von ihren vier Kindern. Sie sieht sie je-
                                                              und der Bruder verstorben sind, lebt          doch fast nie. Eine Pflegefachfrau von
                                                              er allein im Elternhaus im Dorf Hitresti,     CASMED besucht sie täglich. Sie ist vor
                                                              zwei Stunden nördlich der Hauptstadt          sechs Monaten schwer gestürzt und
                                                              Chișinău. Sein Alltag mit der körperli-       war lange bettlägerig. Mittlerweile geht
                                                              chen Einschränkung ist unvorstellbar          es ihr besser. «Alina Draganel massiert
                                                              schwer. Das Haus hat weder eine Toilet-       mich und macht mit mir Bewegungs-
                                                              te noch fliessendes Wasser. Er kann sich      übungen. Ich hoffe, dass ich mich bald
                                                              nur mit grosser Mühe in seinem Haus           ohne Hilfe bewegen kann.»
                                                              fortbewegen, was ihn viel Zeit und Ener-      Alle Rentnerinnen und Rentner Molda-
                                                              gie kostet. Wenigstens kann er nun den        wiens profitieren von einer Krankenver-
                                            © Chişlari Oleg

                                                              Hauspflegedienst von CASMED nützen,           sicherung, die durch den Staat gedeckt
                                                              der vom Schweizerischen Roten Kreuz           wird. Doch nur für rund 20 % der hilfs-
                                                              (SRK) unterstützt wird. Mehrmals pro          bedürftigen Personen zahlt die Kranken-
    Die Seniorengruppe ist tatkräftig und                     Woche hilft ihm Valentina Donighevici         versicherung den dringend benötigten
    kreativ, um Betagte zu unterstützen                       im Haushalt. Der Kontakt tut dem allein-      Hauspflegedienst. «Das SRK hilft älte-

6     Humanité 3/2021
Humanité - Die Not der ältesten Generation - 3 | 2021 - Schweizerisches Rotes Kreuz
REPORT

                    Eugenia Jelihovschi
                    beim Folkloretanz:
                    Das vielfältige
                    Freizeitprogramm
                    der Seniorengruppe
                    bewahrt die allein-
                    lebende 76-Jährige
                    vor Einsamkeit

                        Die 84-jährige
                        Liubovi Pilipetcaia
                        ist der Pflegefach-
                        frau von CASMED

                                                                                                                                    © Chişlari Oleg
                        sehr dankbar für die
                        Pflege, die sie nach
                        ihrem schweren
                        Sturz erhalten hat

ren Menschen, die ohne Unterstützung
nicht in Würde leben könnten», erklärt
Viorel Gorceag. Zudem setzt sich das
Rote Kreuz für eine gerechtere Vertei-
lung der Krankenkassengelder ein. Das
SRK unterstützt die lokalen Behörden
dabei, Dienstleistungen aufzubauen, die
auf ältere Menschen zugeschnitten sind.
Zum Beispiel den wichtigen Hauspflege-
dienst. Zudem setzt sich das SRK dafür
ein, dass längerfristig die Finanzierung
der Gesundheitsversorgung nachhaltig
sichergestellt werden kann. Dies mit dem
Ziel, dass CASMED finanziell unabhängig

                                                                                                                                    © Chişlari Oleg
wird.

Engagierte Seniorengruppen
Ion Dascal wirkt noch immer wie ein            Ohne den Hauspflegedienst könnte Victor Gașco nicht allein wohnen – er freut sich, dass
                                               Viorel Gorceag ihm heute hilft, mit dem Rollstuhl in den Garten zu gelangen
schneidiger Cowboy. Doch er ist 91 und
erhält keinerlei Unterstützung. Zum
Glück kann er auf Eugenia Jelihovschi          gagement: «Ich verbringe viel Zeit in der     niorengruppen durch eine eigene Mit-
zählen. Sie besucht ihn mit zwei ande-         Gruppe. Wir wollen älteren Menschen           telbeschaffung.
ren Mitgliedern der Seniorengruppe             helfen, denen es weniger gut geht als         Zum Glück musste CASMED die Besuche
Romantica. Die drei bringen ihm einen          uns.» Zudem haben die Mitglieder in           bei pflegebedürftigen Seniorinnen und
Sack mit Lebensmitteln und trinken zu-         den letzten Jahren realisiert, wie sie sich   Senioren trotz der Corona-Pandemie
sammen Tee.                                    mit politischem und sozialem Engage-          nicht einstellen. Und die Mitglieder von
Seniorengruppen sorgen für soziale             ment im Dorf selber helfen können. Vio-       Romantica sind während der Pandemie
Kontakte und setzen sich aktiv ein, um         rel Gorceag freut sich darüber sichtlich:     telefonisch in Kontakt geblieben. Stets
die Situation der älteren Menschen in          «Durch unsere Unterstützung lernen die        angetrieben durch die Lebenskraft von
Moldawien zu verbessern. Romantica             Seniorengruppen immer besser, wie sie         Eugenia Jelihovschi: «Die Pandemie hat
wurde 2017 gegründet und bietet sei-           ihre Bedürfnisse gegenüber den lokalen        mich Gott sei Dank nicht getroffen. Ich
nen Mitgliedern Tanz, Gesang, Spiele           Behörden vertreten können. Zum Bei-           stärke weiterhin mein Immunsystem,
sowie Informationsanlässe zum Corona-          spiel fordern sie, dass an einer Bushal-      bekämpfe Krankheiten mit Heilkräutern
virus. Die Mitglieder engagieren sich zu-      testelle eine Sitzbank installiert wird.»     und halte die Schutzmassnahmen ein.»
dem gemeinnützig. Sie besuchen hilfs-          Sinnvolle und nachhaltige Massnahmen          Optimistisch meint sie: «Ich bin sicher,
bedürftige Menschen wie Ion Dascal.            unterstützt das SRK mit bis zu 30 %. Den      dass alles gut wird!»
Eugenia Jelihovschi hilft das soziale En-      restlichen Aufwand finanzieren die Se-        ➔   redcross.ch/moldawien

                                                                                                                  Humanité 3/2021	                   7
Humanité - Die Not der ältesten Generation - 3 | 2021 - Schweizerisches Rotes Kreuz
R E PO RT

    Moldawien

    Hilfe für das ärmste
    Land Europas
    Die Abwanderung der Jungen ist in mehrfacher Hinsicht problematisch für das kleine ost-
    europäische Land. Um die Not in Moldawien zu lindern, unterstützt das Schweizerische
    Rote Kreuz (SRK) lokale Organisationen beim Aufbau eines Haus- und Pflegedienstes, der
    für alle erschwinglich ist. Sie besuchen kranke und behinderte Menschen regelmässig und
    bieten eine medizinische Grundversorgung.

    TEXT: CÉLIA FRANCILLON

    D     as Leben in Moldawien ist von Ar-
          mut geprägt. Auf dem Land muss
    das Wasser meistens beim Brunnen ge-
                                                 te die Bevölkerungszahl der ehemaligen
                                                 Sowjetrepublik bis 2050 auf weniger als
                                                 zwei Millionen schrumpfen. 35 % der
                                                                                                    wandern die jungen Menschen ins Aus-
                                                                                                    land ab, um eine Arbeit zu suchen. Der
                                                                                                    Mangel an Fachkräften ist entsprechend
    holt werden, die Toiletten befinden sich                                                        gross, besonders im medizinischen Sek-
    auf dem Hof. Im Winter stellt das Heizen     Es wird befürchtet, dass die                       tor. Obwohl 2004 eine obligatorische
    der schlecht isolierten Häuser eine He-      Coronakrise eine Rezession in                      Krankenkasse eingeführt wurde, wird
    rausforderung dar. Wer krank und ge-         Moldawien auslösen wird.                           zahlreichen hilfsbedürftigen Menschen
    brechlich wird, gerät rasch in grosse Not.                                                      der dringend benötigte Hauspflege-
    Seit seiner Unabhängigkeit im Jahr 1991      Bevölkerung Moldawiens werden dann                 dienst nicht bezahlt. In einem Land, in
    ist die Bevölkerungszahl Moldawiens von      über 60 Jahre alt sein. Wegen tiefen               dem verhältnismässig viele ältere Men-
    4,3 Millionen auf 3,3 Millionen gesunken.    Löhnen, der mangelhaften Infrastruktur             schen leben, ist dies ein grosses Problem
    Wenn sich diese Tendenz fortsetzt, könn-     und fehlenden beruflichen Perspektiven             der öffentlichen Gesundheit. Von der
                                                                                                    demografischen Entwicklung betroffen
                                                                                                    ist auch das Rentensystem: Die Zahl der
                                                                                                    einzahlenden Personen nimmt ab, wäh-
                                                                                                    rend die Zahl der pensionierten Personen
                                                                                                    steigt. Zudem wird befürchtet, dass die
                                                                                                    Corona-Pandemie 2021 eine Rezession
                                                                                                    auslösen wird. Wegen der Coronakrise
                                                                                                    haben zahlreiche Moldawierinnen und
                                                                                                    Moldawier ihre Stellen im Ausland ver-
                                                                                                    loren, während andere ihr Glück im Aus-
                                                                                                    land erst gar nicht versuchen konnten.
                                                                                                    Die politische Situation in Moldawien ist
                                                                                                    zurzeit stabil, aber eine Gewalteskalation
                                                                                                    ist nicht auszuschliessen. Östlich des Flus-
                                                                                                    ses Dnjestr liegt Transnistrien, ein nach
                                                                                                    wie ein separates Gebiet, wo russische
                                                                                                    Truppen stationiert sind. Transnistrien gilt
                                                                                                    zwar als unabhängig, wurde jedoch von
                                                                                                    keinem anderen Staat anerkannt und
                                                                                                    wird weiterhin von Moldawien bean-
                                                                                         © CASMED

                                                                                                    sprucht. Seit fast dreissig Jahren bedroht
                                                                                                    der eingefrorene Konflikt die Sicherheit
    Ausserhalb der Städte haben die meisten Häuser kein fliessendes Wasser – das Wasser für         des Landes.
    den gesamten Haushalt muss wie hier mit einem Eimer aus der Tiefe geholt werden                 ➔   redcross.ch/moldawien

8     Humanité 3/2021
Humanité - Die Not der ältesten Generation - 3 | 2021 - Schweizerisches Rotes Kreuz
REPORT

                                                                                                      KURZ BEFRAGT
                                                                                Eine Mitarbeiterin
                                                                                vom Hauspflege-       ALEXANDRA PAPIS
                                                                                dienst besucht        Die Programmverant-
                                                                                ihren Klienten mit    wortliche für Molda-
                                                                                dem Fahrrad – un-     wien ist in der IZ SRK
© Chişlari Oleg

                                                                                befestigte Strassen   zuständig für den The-
                                                                                prägen das Dorfbild   menbereich Gesund-
                                                                                in ländlichen Regi-   heit und Alter. Sie hat
                                                                                onen                  ein MAS in Internatio-
                                                                                                      naler Gesundheit.

                                                                                                      WIESO ENGAGIERT SICH DAS
                                                                                                      SRK IN MOLDAWIEN?
                                                                                                      Es handelt sich um das ärmste Land in
                                                                                                      Europa, das mit zahlreichen Proble-
                                                                                                      men zu kämpfen hat. Eines davon
                                                                                                      ist die Abwanderung der Jungen ins
                                                                                                      Ausland, was zu einem gravierenden
                                                                                                      Fachkräftemangel führt, besonders im
                                                                                Mitglieder der        medizinischen Bereich. Das Ziel unse-
                                                                                Seniorengruppe        res Engagements ist eine Verbesserung
                                                                                verteilen die weni-   der Lebenssituation von älteren Men-
                                                                                gen Lebensmittel
                                                                                                      schen. Das erreichen wir insbesondere,
© Chişlari Oleg

                                                                                gerecht auf, um
                                                                                                      indem der Beruf der Pflegehelfenden
                                                                                sie zu den Bedürf-
                                                                                                      finanziert und organisiert wird und
                                                                                tigsten nach Hause
                                                                                                      durch die Anerkennung der Hauspfle-
                                                                                zu bringen
                                                                                                      gedienste. Das sind zwei Gebiete, auf
                                                                                                      denen das SRK Experte ist.
                  APROPOS
                                                                                                      UNTERSTÜTZT DAS SRK DESHALB
                                                                                                      AUCH DEN BLUTSPENDEDIENST?
                     DAS ENGAGEMENT DES SRK IN MOLDAWIEN
                                                                                                      Ja, auch hier verfügt das SRK über
                     Ein würdevolles Leben für ältere Menschen ist das derzeitige Ziel der            Kompetenzen, von denen Moldawien
                     Arbeit des SRK. Das beinhaltet eine positive Einstellung zum Altern und          direkt profitieren kann. Wir konnten
                     die Integration von älteren Menschen in das Gesellschaftsleben. Das SRK          bereits zur Ausbildung des Personals
                     unterstützt Behörden darin, eine Altersstrategie zu entwickeln, die den          und zur Modernisierung der Maschi-
                     Bedürfnissen der älteren Generation Rechnung trägt.                              nen für die Blutverarbeitung beitra-
                                                                                                      gen. Zurzeit sind wir in der letzten
                     Seit 2004: Winterhilfe                                                           Phase, die darauf abzielt, das mol-
                     Das SRK unterstützt das Winterhilfe-Programm mit Suppenküchen des Molda-         dawische Blutspendesystem auf den
                     wischen Roten Kreuzes und verteilt Hygieneartikel und Lebensmittel, welche       europäischen Standard zu bringen.
                     durch die Aktion 2xWeihnachten gespendet werden. Seit drei Jahren werden
                     mit dem Erlös der gespendeten Online-Pakete die Waren vor Ort eingekauft.        WIE KANN ICH SICHER SEIN,
                                                                                                      DASS DIE HILFE BEI DEN
                     2008–2011: Basisgesundheit
                                                                                                      BEDÜRFTIGEN PERSONEN
                     Die Kenntnisse von Fachpersonen im Gesundheitsbereich wurden verbessert und
                                                                                                      ANKOMMT?
                     die Kompetenzen von Personen im Bereich der Gesundheitsförderung gestärkt.
                     Unterstützung von Frauen für ein eigenes Einkommen. Zur Umsetzung des Pro-       Wir arbeiten mit anerkannten und
                     gramms in vier Bezirken hat das SRK mit der NGO focus.dh zusammengearbeitet.     vertrauenswürdigen lokalen Akteuren
                                                                                                      zusammen, die mittels einer Ausschrei-
                     2014–2022: Blutspende                                                            bung ausgewählt wurden. CASMED
                     Stärkung des Blutspendesystems im ganzen Land durch Ausbildung des Perso-        ist die Referenz in Sachen Hauspflege-
                     nals und einer Modernisierung der Infrastruktur für die Blutverarbeitung.        dienste: Sie sind jung, motiviert und
                                                                                                      sehr vernetzt. Wir arbeiten mit Institu-
                     2014–2023: Gesundheit im Alter                                                   tionen auf regionaler und nationaler
                     Das SRK arbeitet im Norden des Landes mit CASMED zusammen für                    Ebene zusammen. Dadurch können
                     die Hauspflege und die Unterstützung von älteren Bevölkerungsgruppen.            wir gezielt, effizient und nachhaltig
                     Unterstützung auf nationaler Ebene bei der Institutionalisierung des Berufs      handeln. Zudem ist unser Delegierter
                     der Pflegehelfenden und Beitrag zur Verbesserung des Zugangs zu Haus­            vor Ort Moldawier. Er verfügt über ein
                     pflegediensten.                                                                  sehr gutes Netzwerk. Unsere Koordi-
                                                                                                      nationskosten sind gering. Das Geld
                     2018–2023: Unterstützung der Behörden im Gesundheitsbereich                      fliesst in Programme, welche direkt die
                     Im Auftrag der Deza (Mandat) stärkt das SRK zusammen mit CASMED und              Verletzlichsten erreichen. Moldawien
                     HOMECARE zivilgesellschaftliche Organisationen wie Patientengruppen oder         ist ein kleines Land: Mit wenig können
                     den Verband der medizinischen Berufe. Damit sollen der Zugang zu den Ge-         wir viel erreichen.
                     sundheitsdiensten und deren Qualität nachhaltig verbessert werden.

                                                                                                                                Humanité 3/2021	   9
Humanité - Die Not der ältesten Generation - 3 | 2021 - Schweizerisches Rotes Kreuz
Teilhaben an
humanitären Projekten.

swisscanto.ch/redcross

Mit dem Swisscanto (CH) Bond Fund Sustainable Global Aggregate
Swiss Red Cross (ISIN: CH0511961432) kombinieren Sie eine nachhaltige
Geldanlage mit der Unterstützung humanitärer Projekte. An Ihrem
Anlageerfolg beteiligen Sie das Schweizerische Rote Kreuz. Fondsanteile
können direkt bei Ihrer Hausbank gezeichnet werden.

Diese Angaben dienen ausschliesslich Werbezwecken und stellen keine Anlageberatung oder Offerte dar. Alleinverbindliche Grundlage für den Erwerb
von Swisscanto Fonds sind die jeweiligen veröffentlichten Dokumente (Fondsverträge, Vertragsbedingungen, Prospekte und/oder wesentliche Anleger-
informationen sowie Geschäftsberichte). Diese können unter swisscanto.ch sowie in Papierform bei der Swisscanto Fondsleitung AG, Bahnhofstrasse 9,
8001 Zürich, kostenlos bezogen werden.
KU R Z & BÜ N D I G

Neu im Rotkreuzrat
■ Die 27-jährige Freiburgerin Aline Mul-
ler ist seit ihrem sechsten Lebensjahr en-
gagierte Samariterin und übernahm in
der Samariterbewegung verschiedene
                                                Nothilfe nach Vulkanausbruch im Kongo
Aufgaben und Ämter. Im Rotkreuzrat will         ■ Ein Vulkanausbruch im Osten der De-        Regina Wenk leitet junge Freiwillige an
sich die Ökonomin stark machen für eine         mokratischen Republik Kongo hat mehr         beim Bau von Unterkünften für ein pro-
Vernetzung der Generationen, Regio-             als 400 000 Menschen in die Flucht ge-       visorisches Camp. Zwei Logistiker des
nen und Organisationen. Sie ist bestens         trieben. Viele von ihnen haben durch         SRK koordinieren den Einkauf des Bau-
vernetzt in der Samariterbewegung und           den Lavastrom ihr Obdach verloren und        holzes, vorwiegend auf lokalen Märk-
in den Jugendorganisationen des SRK.            werden nun vom Roten Kreuz mit dem           ten. Sobald die Situation es erlaubt, keh-
Aline Muller übernimmt das Amt von              Nötigsten versorgt. Drei Experten des        ren die betroffenen Familien an ihren
Danielle Breitenbücher, die 2013 als erste      SRK sind vor Ort und unterstützen die        alten Wohnort zurück und bauen ihre
Jugendvertreterin in den Rotkreuzrat ge-        koordinierte Nothilfe der Internationa-      Häuser mit Unterstützung des Roten
wählt wurde.                                    len Rotkreuz-Bewegung. Die Architektin       Kreuzes wieder auf.

B2Mission und B2Run: Aktive Mitarbeitende für einen guten Zweck
■ ««B2Mission
     B2Mission hat unseren guten Team-          gagierten, sportlichen Mitarbeitenden ha-    Herbst Unternehmen in Bern, Basel, Zü-
geist noch verstärkt und die Mitarbeiten-       ben wir mit dafür gesorgt, dass mit B2Mis-   rich, St. Gallen und Zug in Bewegung.
den von unserem Velokurierdienst fan-           sion insgesamt 3500 Franken an Spenden       Dabei wird ein Teamerlebnis geschaffen
den es spannend, teilzunehmen», erzählt         für das SRK zusammengekommen sind.           und für einen guten Zweck gelaufen. Für
Manuel Wiesner, Co-Geschäftsführer der          Unsere FWG-Foundation hat dies animiert,     jede Läuferin und jeden Läufer spendet
Familie Wiesner Gastronomie (FWG) und           zusätzliche 1000 Franken zu spenden.»        B2Run einen Franken an das SRK!
Teilzeit-Velokurier (links auf dem Foto).       Nach B2Mission folgt B2Run  B2Run!! Der      ➔   b2run.ch
Zum Familienunternehmen gehören in              Schweizer Firmenlauf bringt diesen
der Deutschschweiz mehrere Restaurants
wie beispielsweise Nooch Asian Kitchen
                    Bar. Die Restaurants lie-
und Negishi Sushi Bar.
fern ihre Mahlzeiten mit einem eigenen
Velokurierdienst aus. Auch deshalb hat
FWG entschieden, an der B2Mission Red
Cross Trophy mitzumachen. Pro Kilometer
zu Fuss oder per Velo haben freiwillig teil-
nehmende Mitarbeitende Punkte zusam-
                                                                                                                                    © Familie Wiesner Gastronomie

mengetragen. «Es machte richtig Spass,
die eigenen Fortschritte und die Erfolge
des Teams über die App mitzuverfolgen»,
so Joe, ein Velokurier. Manuel Wiesner, der
selber auch einige Punkte mit Velofahren
beigetragen hat, meint: «Dank unseren en-

                                                                                                                  Humanité 3/2021	 11
F Ü R SIE DA

     Ergotherapie bei Long Covid

     Hilfe für den langen Weg
     zurück in den Alltag
     Eine 41-jährige Frau leidet seit einem halben Jahr an den Spätfolgen des Coronavirus, dem
     sogenannten Long Covid. Ergotherapeutin Mirjam Busch vom SRK Graubünden leistet Pio-
     nierarbeit, um Menschen wie sie zu unterstützen. Dank ihrem ergotherapeutischen Wissen
     und ihrer Erfahrung erleichtert sie Betroffenen den Weg zurück ins normale Leben.

     TEXT: KATRIN SCHÖNI    FOTOS: ZUR VERFÜGUNG GESTELLT

     D    ie Ostschweizerin* sitzt vor dem
          Computer und will Zahlen von ei-
     nem Gutscheincode eintippen. Sie kann
     die Zahlen zwar lesen, aber nicht verar-
     beiten: Ihr Gehirn streikt. «Es ist schwie-
     rig zu verstehen, was da gerade mit mir
     passiert», sagt sie. Vor nicht einmal ei-
     nem halben Jahr machte sie noch Über-
     stunden als Digital Content Manager in
     einem grossen, internationalen Konzern
     und hatte wesentlich anspruchsvollere
     Aufgaben zu bewältigen. Im Dezember
     erkrankte sie an Covid-19 und litt an den
     üblichen Symptomen, welche das Coro-
     navirus auslöst.
     Nach zwei Wochen, wenn es Erkrankten
     meist besser geht, fühlte sie sich immer

     «Es ist schwierig zu verstehen, was
     mit meinem Körper passiert.»

     noch erschöpft. Im Februar 2021 wird
     klar: Die 41-Jährige leidet an Long Covid.
     «Wenn an Covid-19-Erkrankte zwölf
     Wochen nach einer Infektion immer
     noch an Beschwerden leiden, spricht
     man von Long Covid», erklärt Mirjam
     Busch, Ergotherapeutin des Schweizeri-
     schen Roten Kreuzes (SRK) Kanton Grau-
     bünden.
     Ergotherapie hilft nach Verletzungen
     oder Krankheiten, den Alltag zu bewälti-      Die betroffene Patientin kann nicht mehr arbeiten und am gesellschaftlichen Leben teil-
                                                   nehmen – ihre Katze hilft ihr, das Alleinsein auszuhalten
     gen. Sie unterstützt Menschen jeden Al-
     ters, mit einem veränderten Körper neu
     leben zu lernen. Auch dann, wenn das          trächtigung bezeichnet. Einige Kanto-         21 Personen, die an Long Covid erkrankt
     Wahrnehmen und Denken nicht mehr              nalverbände des SRK betreiben eigene          sind. In einer aktuellen britischen Studie
     wie gewohnt funktioniert. Dies wird in        Ergotherapiezentren wie das Rote Kreuz        schätzen Forschende, dass ein Drittel al-
     der Fachsprache als kognitive Beein-          in Chur. Mirjam Busch behandelt zurzeit       ler Covid-Erkrankten betroffen sind.

12     Humanité 3/2021
FÜ R SIE DA

Nebel im Hirn
Die 47-jährige Ergotherapeutin beglei-
tet bereits Menschen, die aus anderen
Gründen an chronischer Müdigkeit
leiden. Diese Erfahrung kann sie nun
bei der Behandlung von Long-Covid-
Erkrankten einsetzen. Nebst der Müdig-
keit gehören Blutdruckschwankungen,

«Ich vergesse ständig die
einfachsten Sachen und verliere
den Blick fürs Wesentliche.»

Appetitlosigkeit und Schlafstörungen
zu den Symptomen. Betroffene können
Angst- und Panikstörungen entwickeln
oder in eine Depression abrutschen.
Auch das Phänomen «Brain Fog» ist ver-
breitet.
Der «Nebel im Hirn» raubt Betroffenen
häufig die Konzentration. «Ich verges-        Ergotherapeutin Mirjam Busch vom SRK Graubünden sucht mit der Patientin nach All-
                                              tagslösungen, die Körper und Geist fördern und nicht überforden
se ständig die einfachsten Sachen und
verliere den Blick fürs Wesentliche.» So
beschreibt es die Patientin von Mirjam        PEM kann beispielsweise kognitive Ein-      erst dann die Einkäufe zu erledigen –
Busch. Dieser «Brain Fog» ist der Grund,      schränkungen, Fieber, Muskelschmerzen       und zwar in einem langsamen Tempo.
weshalb sie es nicht schafft, die Zahlen      oder Erschöpfung hervorrufen. Deshalb       «Ich bin dankbar für die Gespräche mit
vom Gutschein abzutippen.                     müssen Betroffene schonend mit den vor-     Mirjam Busch. Sie hat Ideen, auf die ich
                                              handenen Ressourcen umgehen. In der         selber nicht kommen würde. Zum Bei-
Stress vermeiden                              Therapie lernen sie, die PEM zu erkennen    spiel Entspannungsmethoden oder der
Die betroffene Frau ist seit April 2021 in    und besser auf ihren Körper zu achten.»     Tipp, mir für die Arbeiten im Haushalt
Behandlung. «Wie ist es Ihnen in den                                                      eine Entlastung zu suchen», meint die
letzten Wochen ergangen?», fragt die          Arbeiten mit Lösungen                       Patientin zu den Tipps. «Hoffentlich ge-
Ergotherapeutin.«Ich habe grosse Mühe,        Diese Patientin ist in ihrem Alltag stark   lingt es mir dadurch, dass ich in kleinen
mich zu konzentrieren. Ich weiss Dinge        eingeschränkt: Es wird Mittag, bis sie      Schritten einem normalen Alltag näher-
nicht mehr, die ich mir früher problem-       aufstehen kann. Meistens schafft sie        komme. Ich wünsche mir, dass ich eines
los merken konnte. Das macht mir grosse       es nach dem Duschen nicht mehr, die         Tages wieder arbeiten kann.»
Angst», erzählt die Patientin. Ob sie ein     Haare zu föhnen. «Zum Glück ist Som-
Beispiel machen könne, will Mirjam Busch      mer, die Sonne ersetzt den Haartrock-       Wissen weitergeben
wissen. «Vor der Krankheit wusste ich         ner und ich kann mich dabei ausruhen»,      Im Ergotherapiezentrum des SRK Grau-
auswendig, wann welche Lebensmittel           sagt die 41-Jährige mit einem Lächeln.      bünden häufen sich die Anfragen für
im Kühlschrank ablaufen. Jetzt muss ich       Aufmerksam hört Mirjam Busch zu. Ziel       eine Long-Covid-Behandlung. Mirjam
die Daten jeden Tag überprüfen und ver-       dieser Gespräche ist es, gemeinsam Lö-      Busch will ihr Wissen weitergeben. Sie
gesse sie dann doch wieder», erzählt sie      sungen zu suchen, welche sich im All-       erstellt ein Konzept für diese spezifische
weiter. Mirjam Busch will wissen, welche      tag umsetzen lassen. Zum Beispiel ist       Therapie. Zusammen mit weiteren Ex-
Aktivitäten ihre Patientin in den letzten                                                 pertinnen und Experten führt sie eine
Tagen unternommen hat. «Das Energie-          «Ich bin dankbar für die                    online Schulung für SRK-Ergotherapeu-
level ist bei Long-Covid-Patientinnen und     Gespräche mit Mirjam Busch.                 tinnen und Ergotherapeuten durch.
Patienten eingeschränkt. Wie bei einem        Sie hat Ideen, auf die ich selber           «Diese Schulung stösst auf grosses In-
Akku, der nie vollgeladen ist. Dieses Ener-   nicht kommen würde.»                        teresse, denn Long Covid wird uns noch
gielevel darf nicht überstrapaziert wer-                                                  lange beschäftigen», ist sich die Fachfrau
den», weiss die erfahrene Ergotherapeu-       es für diese Patientin wichtig, selber      sicher. «Aber mit Ergotherapie können
tin. «Eine Überforderung kann zu einer        einkaufen zu gehen. Auch wenn sie da-       wir den Betroffenen den Weg zurück ins
Verschlimmerung der Symptome nach             nach total erschöpft ist. Die Ergothera-    normale Leben erleichtern.»
einer körperlichen, geistigen, oder emo-      peutin schlägt ihr vor, nach der Ankunft    ➔   redcross.ch/ergotherapie
tionalen Anstrengung führen. Dies nennt       im Einkaufszentrum noch ein paar Mi-        *Die Patientin möchte nicht namentlich
man «Post Exertional Malaise» (PEM). Die      nuten im Auto sitzen zu bleiben. Und        genannt werden

                                                                                                                Humanité 3/2021	 13
B L I C K Z URÜ CK

     Jubiläum REDOG

     50 Jahre Pioniergeist
     Von einer kleinen Pionierorganisation zu einer tragenden Such- und Rettungsorganisation:
     2021 blickt REDOG auf 50 Jahre Geschichte zurück. Die orange gekleideten Retterinnen und
     Retter mit ihren Hunden sind ein Symbol für die Ortung von verschütteten und vermissten
     Menschen geworden.

     TEXT: DAGMAR WURZBACHER           FOTOS: REDOG

     W       er den Initiator von REDOG, dem
             Schweizerischen Verein für Such-
     und Rettungshunde, noch kannte, spricht
                                                      was sehr Schönes und Beeindruckendes.»
                                                      Seine Augen leuchten. Er sorgte dafür,
                                                      dass die Schweizer Armee Hundeführer
                                                                                                    Schweiz, Toni Frisch, ganz und gar nicht
                                                                                                    despektierlich, «haben fantastische Arbeit
                                                                                                    geleistet. Selbstverständlich in Zusammen-
     mit grossem Respekt von ihm: «Ohne Urs           für die Katastrophenhilfe ausbildet. Noch     arbeit mit allen beteiligten Teams.»
     Ochsenbein würde es REDOG nicht ge-              heute können junge Menschen die Rek-          1981 gehörte REDOG zu den Gründungs-
     ben.» Ende der 1960er-Jahre entwickel-           rutenschule als Milizhundeführerin oder       mitgliedern der Rettungskette, 1984
     ten Hundeführerinnen und Hundeführer             -führer absolvieren. Nach Abschluss sind      stiess REDOG als Rettungsorganisation
     die Vision, mit ihren Lawinenspürhunden          sie Mitglied von REDOG.                       zum Schweizerischen Roten Kreuz (SRK).
     Menschen auch unter Trümmern zu orten.           Hunde helfen und begleiten den Men-           In seiner Gratulation zum Jubiläum sagt
     Der Pol in ihrer Mitte: Urs Ochsenbein, Publi-   schen seit Jahrtausenden, doch als Ret-       SRK-Präsident Thomas Heiniger anerken-
     zist und einer der profundesten Kenner der       ter werden sie erst seit Beginn des 20.       nend: «REDOG bringt viel Kompetenz ein
     Beziehung zwischen Hund und Mensch. Er           Jahrhunderts eingesetzt: Der Lawinen-         bei der Suche und Ortung, sei es mit Hun-
     konnte einen Hund rasch einschätzen. «Mit        spürhund im Schnee, der Sanitätshund          den oder technischem Know-how.»
     dem schaffst du es nie», konnte sein Urteil      zum Aufspüren verwundeter Soldaten
     lauten. Oder das Gegenteil. Und er sollte        und der Trümmerhund, der Menschen             Die Pionierarbeit heute
     immer Recht behalten. Unermüdlich tüf-           während des Zweiten Weltkriegs in zer-        Die partnerschaftliche Zusammenarbeit
     telte die Gruppe an Trainingsmöglichkei-         bombten Häusern aufspürte.                    wird angesichts der möglichen Folgen
     ten, karrte eigenhändig Schutt heran und         «Es war Learning by Doing», erklärt Peter     der Erderwärmung noch wichtiger. Die
     konstruierte Trümmerhaufen oder nutzte           Kradolfer. Mit jedem Einsatz verfeinerten     Bereichsleiterin der Verschüttetensuche,
     Hausabbrüche, um realitätsnah zu trainie-        die Hundeführerinnen und Hundeführer          Linda Hornisberger, hat erlebt, was dies
     ren. Wie aber entstand die Idee, Hunde für       die Ausbildung. Peter Kradolfer stand mit     bedeutet. Sie stand 2019 mit ihrem
     die Suche in Trümmern auszubilden? Peter         Urs Ochsenbein bereits vor der Gründung       Border Collie im Einsatz, nachdem ein
     Kradolfer, enger Wegbegleiter Ochsen-            zweimal im Einsatz. Nach einem Unglück        Gewitter einen lieblichen Bergbach in
     beins, meint bescheiden: «Vom Lawinen­           in der Sprengstofffabrik Dottikon und         einen reissenden Fluss verwandelte, der
     kegel zum Trümmerberg: Für die Suchar-           nach einem Fels-Lawinensturz im Wägi-         zwei Menschen wegspülte. «Auf solche
     beit war es eigentlich kein grosser Schritt.»    tal. Beiderorts witterten die Hunde Gary      Naturereignisse, die zunehmen werden,
                                                      und Ari Menschen unter Trümmern. «Das         müssen wir uns vorbereiten.»
     Der Weg zur Rettungsorganisation                 bedeutete, wir waren auf dem richtigen        Der Pioniergeist der Gründerzeit in­
     Der heute 82-Jährige war erster Präsident        Weg.» Bald schon trainierten in der gan-      spiriert REDOG bis heute. Als eine der
     und Namensgeber des SVKA, des Schwei-            zen Schweiz lokale Gruppen. Mit dem Zu-       ersten Organisationen prüfte REDOG
     zerischen Vereins für die Katastrophen-          sammenschluss im SVKA engagierten sich        in den 1980er-Jahren zusätzlich zu den
     hunde-Ausbildung, wie REDOG bei der              über die Sprachbarriere hinweg Deutsch-       Hundenasen den Einsatz der modernen
     Gründung 1971 hiess. Peter Kradolfer war         und Französischsprachige für die nationa-     Technik mit Kameras und Horchgeräten
     leidenschaftlicher Ausbildner. Zuerst von        le Rettungshundearbeit. 1974 schloss sich     für die Suche in Trümmern. Seit fünf Jah-
     Lawinensuchhunden, später von Hunden             der Kreis mit der Tessiner Gruppe.            ren werden Drohnen zur Suche vermiss-
     für den Katastropheneinsatz. «Sicher, das        1985 gelang REDOG in Mexico City interna-     ter Menschen im weitläufigen Gelände
     Laufen in Trümmern ist für Hunde nicht           tional der Durchbruch. Beim Einsatz mit der   eingesetzt. Dank Spenden kann REDOG
     einfach. Da hat es Balken, Mauerteile,           Rettungskette Schweiz orteten die Hunde-      den hohen Standard der Professionalität
     Armierungseisen, oft auch Glassplitter.          teams neun Menschen lebend unter den          und die Qualität stets den neuen Anfor-
     Doch wenn sie selbstständig hinaufklet-          Trümmern. «Die Hündeler», und das meint       derungen entsprechend ausbauen.
     tern und zu suchen beginnen – das ist et-        der damalige Leiter der Rettungskette         ➔   redog.ch/50-jahre-redog

14      Humanité 3/2021
1                                                    6                                                   11

2                                                    7                                                   12

                                                     8

3                                                                                                        13

4                                                    9

5                                                    10                                                  14

    1 E
       rster Einsatz 1969: Schäferhund Ari in den   6 1 979: Die Ausbildung des «Katastrophensuch-     11 Japan 2011: Linda Hornisberger (links)
      Trümmern der Sprengstofffabrik Dottikon           hundes» wird offiziell in der Armee eingeführt       leitet den REDOG Einsatz nach Erdbeben
    2 Ohne ihn würde es REDOG nicht geben: Urs      7 J ugoslawien 1979: Urs Ochsenbein (links)            und Tsunami
       Ochsenbein auf einer Aufnahme aus dem            gibt letzte Anweisungen                          12 Chamoson, Wallis 2019: Naturereignisse wer-
       Jahr 1984                                     8 Seit 1982 bildet REDOG auch Hundeteams               den mit der Klimaerwärmung zunehmen
    3 Gemeinsames Training mit Rettern: Peter          für die Geländesuche aus                         13 Zusammenarbeit: Immer wieder fliegen
       Kradolfer und Ari, ca. 1973                   9 Nordjemen 1982: Erster Einsatz im Rahmen         12 REDOG und die Rega gemeinsam in den
    4 Azoren 1974: Von Anfang an gehörten Frau-        der Rettungskette Schweiz                            Einsatz (Nordjemen 1982)
       en selbstverständlich zu den Rettungsteams    10 M
                                                         exico-City 1985: 9 Menschen werden             14 Die Technik unterstützt die Hundenase:
    5 Friaul 1976: 16 Menschen werden gerettet.        gerettet. Durchbruch für REDOG und die               1982 eingeführt, wurde die technische
       Der Erfolg geht durch die Weltpresse             Rettungskette Schweiz                                Ortung stets moderner
E R L E BT

     Augenmedizin im Südsudan

     Die Kinder wieder sehen –
     nach 13 Jahren Blindheit
     Eine Mutter sieht zum ersten Mal ihre Kinder. 13 Jahre war sie blind, weil es keine Behandlungs-
     möglichkeit gab in ihrer Region. Die Operation im Augencamp gibt ihr das Augenlicht zurück.

     TEXT: FRANZISKA BUNDI      FOTOS: TATJANA GERBER

     A     dau Diing Maduol ist auf beiden
           Augen am Grauem Star erblindet.
     Die achtfache Mutter aus dem Südsudan
                                                                                                    chen das Augencamp: Das Schweizerische
                                                                                                    Rote Kreuz (SRK), das Südsudanesische
                                                                                                    Rote Kreuz, die katholische Diözese von
     erinnert sich, dass es vor etwa 13 Jahren                                                      Wau, das Gesundheitsministerium und
     vor der Geburt ihres fünften Kindes pas-                                                       das Teaching Hospital von Wau. Ein Au-
     siert ist. Plötzlich spürte sie Schmerzen im                                                   gencamp macht Augenmedizin in abgele-
     linken Auge, als sie auf dem Feld arbei-                                                       genen Gebieten für alle zugänglich. Es er-
     tete. Ihre Sicht wurde schlechter, bis sie                                                     reicht Menschen wie Adau Diing Maduol,
     das Augenlicht ganz verlor. Das gleiche                                                        die unter einer heilbaren Augenkrankheit
     wiederholte sich auf dem rechten Auge.                                                         leiden. Denn auf dem Land, wo die Men-
     «Es ging mir miserabel», sagt sie. «Ich                                                        schen kein fliessendes Trinkwasser und
     konnte nichts mehr selber machen und                                                           keinen Strom haben, fehlt es auch an
     es tat sehr weh.» Zum Glück sprangen ihr                                                       einer Gesundheitsversorgung. Für rund
     Mann und ihre Söhne für sie im Haushalt          Adau Diing Maduol ist seit 13 Jahren blind    14 Millionen Menschen im Südsudan gibt
                                                      – sie wartet mit ihrem jüngsten Kind auf
     ein. Zwei der jüngeren Buben kümmerten           dem Schoss auf die Voruntersuchung            es zurzeit nur fünf Augenärztinnen und
     sich um ihre Mutter und übernahmen das                                                         -ärzte gegenüber 1080 in der Schweiz.
     Kochen. Dies, obschon in ihrer Kultur die        gebar weitere drei Kinder, als sie bereits
     Frauen dafür zuständig sind. Die neun-           blind war. «Sie nicht sehen zu können,        Voruntersuchung an drei Orten
     und dreizehnjährigen Knaben gehen bis            war sehr hart für mich.»                      Schnell hat sich herumgesprochen, dass
     heute nicht zur Schule. Die Bauernfami-                                                        ein Augencamp stattfindet. Um zu ver-
     lie lebt in sehr einfachen Verhältnissen         Kaum augenmedizinische Versorgung             hindern, dass Menschen mit nicht behan-
     auf dem Land. «Manchmal musste ich               Ihr Schicksal wendet sich zum Guten im        delbaren Augenkrankheiten von weit her
     Nachbarn um Hilfe bitten und ihnen et-           Augencamp. Dieses wird rund 100 km            anreisen, findet zuvor an drei Orten eine
     was zahlen, damit sie unsere Felder be-          von ihrem Dorf entfernt in der Stadt Wau      Triage statt. Der Andrang ist sehr gross.
     stellten», erzählt Adau Diing Maduol. Sie        aufgebaut. Fünf Organisationen ermögli-       Das Personal des Regionalspitals von Wau,

     Die Rotkreuz-Freiwilligen sorgen massgeblich für einen effizienten Be-   Menschen, die an Augenkrankheiten leiden, werden vorgängig
     trieb des Augencamps und für das Einhalten von Schutzmassnahmen          registriert, auch diese Aufgabe übernehmen Rotkreuz-Freiwillige

16     Humanité 3/2021
E R LE B T

Patientinnen und Patienten sowie ihre Begleitpersonen warten            Einige Erkrankte reisen mit dem Esel-Taxi zur Vorauswahl an
bei über 40 Grad Celsius, bis sie an der Reihe sind
                                               Adau Diing Maduol
                                               sieht nach der
                                               erfolgreichen Ope-
                                               ration ihre jüngeren
                                               Kinder zum ersten
                                               Mal und ist über-
                                               glücklich

                                                   Nach der Operation
                                                   reisen die Men-
                                                   schen mit einem
                                                   Sammeltransport in
                                                   ihre Dörfer zurück

unterstützt von den Rotkreuz-Freiwilligen,       Durchschnittlich operieren sie in zehn Stun-   Camp in Wau. Sie hoffen, operiert und
begutachtet über 1000 Personen mit Au-           den pro Tag 56 Patientinnen und Patien-        geheilt zu werden. Die Rotkreuz-Frei-
genleiden. Einigen kann aufgrund ihrer Er-       ten. Die Freiwilligen des Südsudanesischen     willigen müssen viele von ihnen zurück-
krankung nicht geholfen werden. Andere           Roten Kreuzes kümmern sich um das Orga-        weisen. Doch einige haben Glück und
kommen auf eine Warteliste. Menschen,            nisatorische: Sie helfen bei der Aufnahme      bekommen einen frei gewordenen Platz.
die wegen dem Grauen Star erblindet sind,        der Erkrankten, zeigen ihnen, wo sie war-
werden zuerst ausgewählt. Denn ihnen             ten können und führen sie in den Operati-      Grosser Erfolg
hilft eine kurze Operation: Die getrübte         onssaal. Sie sorgen dafür, dass alle die Co-   Das Augencamp fand 2019 zum ersten
Linse wird durch eine Kunstlinse ersetzt. So     rona-Schmutzmassnahmen einhalten. Am           Mal in Südsudan statt. Es ist eine Erfolgs-
gewinnen sie ihr Augenlicht zurück. Adau         Folgetag untersuchen die Augenärzte, wie       geschichte, die in der guten Zusammen-
Diing Maduol ist eine von 586 Erkrankten,                                                       arbeit von allen Beteiligten wurzelt: Dem
die für eine Operation registriert werden.       Täglich kommen zusätzlich                      Roten Kreuz, dem lokalen Gesundheits-
Darunter waren neun Kinder. Sie kann ihr         spontan über 600 Menschen                      personal und der katholischen Diözese
Glück kaum fassen: «Ehrlich gesagt, hatte        mit Augenkrankheiten unange-                   Wau, die verantwortlich ist für die Gesamt­
ich die Hoffnung verloren, je wieder sehen       meldet zum Augencamp.                          organisation. Die Bevölkerung und die re-
zu können, weil wir arm sind und kein Geld                                                      gionalen Behörden schätzen das Angebot
haben.»                                          gut die frisch Operierten sehen können. Sie    sehr. Jürg Graf ist SRK-Programmverant-
                                                 sind zufrieden mit dem Ergebnis: Nur bei       wortlicher Südsudan. Er unterstreicht die
56 Operationen pro Tag                           einem Prozent der Operierten gibt es keine     Bedeutung der Augencamps: «Sie sind
Drei Augenärzte und medizinisches As-            Besserung. Vier Wochen nach der Operati-       sehr wertvoll, weil sie eine grosse Wirkung
sistenzpersonal reisen aus der 600 km            on erfolgt eine zweite Kontrolle.              erzielen. Mit einer einfachen Operation
entfernten Hauptstadt Juba ins temporär          Der Bedarf an Augenmedizin ist sehr            wird eine blinde Person sehend gemacht
errichtete Augencamp. Zuerst überprü-            gross in Südsudan. Dies bezeugt die lan-       oder eine Seheinschränkung geheilt. Be-
fen sie die Diagnose und die medizinische        ge Warteliste von den Voruntersuchun-          troffene können wieder arbeiten und am
Verfassung von allen, die für eine Operati-      gen. Zudem kommen täglich spontan              sozialen Leben teilnehmen, was ein Mehr-
on registriert sind. Während zwölf Tagen         über 600 Menschen mit verschiedenen            wert für die ganze Gesellschaft ist.»
arbeiten sie im Regionalspital von Wau.          Augenkrankheiten unangemeldet zum              ➔   redcross.ch/augenmedizin

                                                                                                                      Humanité 3/2021	 17
E N GAGIERT

                         «Ich nehme mir gerne Zeit für Ali, wenn er eine Frage hat oder wenn ich denke, dass wir etwas besprechen sollten»

     Integrationsangebot Mitten unter uns

     Bereichernd für uns alle
     Ursula Santner betreut als Freiwillige des SRK Kanton Zürich den 19-jährigen Ali aus dem
     Tschad. Die Mutter von 14-jährigen Zwillingen will Vorurteile abbauen und zeigen, dass ein
     solches Engagement auch im Alltag von Berufstätigen Platz findet. Sie berichtet ehrlich von
     ihren Erfahrungen und wie sehr dieser Einsatz bereichert.

     AUFGEZEICHNET VON TANJA REUSSER	  FOTOS: RUBEN UNG

     V    or ungefähr drei Jahren habe ich be-
          schlossen, dass ich etwas weiterge-
     ben will. Ich suchte nach einem sinnstif-
                                                  zeugt: Fremdsprachige Kinder oder junge
                                                  Erwachsene besuchen wöchentlich eine
                                                  deutschsprachige Familie oder Einzelper-
                                                                                                Aela und Manolo waren einverstanden.
                                                                                                Ich meldete mich umgehend beim SRK
                                                                                                Kanton Zürich. Die SRK-Koordinatorin
     tenden Engagement, das in meinen Alltag      son. Dies, um die Sprache zu erlernen und     kennt die jeweiligen Jugendlichen und
     als berufstätige, damals alleinerziehende    mehr über das Leben in der Schweiz zu         kann somit einschätzen, wer zu einer frei-
     Mutter passt und meine Kinder mitein-        erfahren. Es passt wunderbar zu den Wer-      willig tätigen Person und dessen Umfeld
     bezieht. Zudem war es mir ein Anliegen,      ten, die ich meinen Kindern mit auf den       passt. Alles ist durchdacht. Ich fühlte mich
     die Vorurteile gegenüber Flüchtlingen        Weg geben möchte: weltoffen und hilfs-        gut durch das SRK vorbereitet.
     abzubauen. Damals arbeitete ich bei der      bereit für andere da sein. Sie sollen durch   Beim ersten Treffen war die Koordinatorin
     Credit Suisse und erfuhr so über die Zu-     andere Lebensgeschichten erkennen, wie        mit dabei und beantwortete unsere Fra-
     sammenarbeit mit dem SRK. Als ich über       gut es uns geht und auch etwas beitra-        gen, was für alle wertvoll und vertrauens-
     Mitten unter uns las, war ich sofort über-   gen. Meine damals 11-jährigen Zwillinge       bildend war. Die ersten Wochen gelten als

18     Humanité 3/2021
E N G AG I E R T

unverbindliches Kennenlernen. Sowohl            Schweiz. Er erzählt manchmal von früher
wir als auch unser Gast können ohne             und von seiner Flucht aus dem Tschad, wo
weitere Begründung dem SRK melden,              er sich gegen eine Ungerechtigkeit ge-
wenn wir das Engagement nicht weiter-           wehrt hat. Er beschreibt, wie es ist, wenn
führen möchten. Obschon Ali fünf Jahre          die Gesundheitsversorgung schlecht ist
älter ist als Aela und Manolo, haben wir        und wenn das Leben eines Einzelnen
rasch den Zugang zueinander gefunden.           abhängig ist vom sozialen Status. Ali ist
Heute ist Ali 19 Jahre alt, die Zwillinge       Moslem. Während des Ramadans erzählt
sind 14. Als wir ihn kennen lernten, war        er, wie es ihm geht und wie spannend das
Ali seit ein paar Monaten in der Schweiz.       sogenannte Fastenbrechen ist.
Er wohnte in einer Einrichtung für unbe-        Als Gast würde ich Ali längst nicht mehr
gleitete Jugendliche aus Krisengebieten.        bezeichnen, sondern als Familienmit-
Erstaunlicherweise sprach und verstand          glied. Die Zwillinge sind sehr wichtig für
er damals schon recht gut Deutsch. Als er       Ali, da es in seiner Situation nicht einfach
volljährig wurde, konnte er einen Integra-      ist, «echte» Freunde zu finden. Als wir
tionskurs besuchen, in dem Basiswissen          umgezogen sind, hat uns Ali ganz selbst-
für bildungsferne Migrantinnen und Mi-          verständlich dabei geholfen. An unserem
granten vermittelt wird. Nun beginnt Ali        Weihnachtsfest war er dabei. Da er kaum
im August eine zweijährige Lehre zum            Geld hat, um Geschenke zu kaufen, hat er
eidgenössischen Berufsattest (EBA) als Rei-     jedem von uns eine Weihnachtskarte ge-
fenpraktiker. Das ist möglich, weil Ali von     schrieben. Ich freue mich immer über eine
ihm wohlgesinnten Menschen ermutigt             WhatsApp-Nachricht von ihm. Manchmal
wurde. Ich meine, wir alle brauchen Men-        sendet er mir ein Foto von einem selbst ge-
schen, die uns fördern und inspirieren.         kochten Gericht, dass er mit uns gemein-
Wenn ich nun zurückschaue, auf die              sam gekocht hat und nun selbst probiert.
letzten zweieinhalb Jahre, stelle ich fest,     Das zeigt mir, wie sehr er uns vertraut.
wie viel sich verändert hat. Ali hat zu uns     Es gibt Momente, in denen ich ein ernstes
ein Vertrauensverhältnis aufgebaut. Er          Gespräch mit ihm führe. Dabei geht es bei-       «Gute Stimmung beim Kochen – ich sehe
                                                                                                 immer wieder, wie stark die Freundschaft
bezeichnet mich liebevoll als seine zwei-       spielsweise um den Umgang mit Geld. Wir
                                                                                                 zwischen Ali und den Zwillingen gewor-
te Mutter. Mein Sohn Manolo ist eine            sprechen darüber, wie wichtig es ist, ein Ziel   den ist, was mich sehr freut»
Art «kleiner Bruder», obwohl sie schon          zu haben und kurzfristig auf gewisse verlo-
gleich gross sind. Auch die Verbindung          ckende Anschaffungen zu verzichten. Das          darf. Manchmal bin ich überrascht, wie
mit meiner Tochter Aela ist von Herzlich-       untermauere ich mit Beispielen aus mei-          wenig sich die Personen und Ämter unter-
keit geprägt. Ali ist in unsere Patchwork-      nem eigenen Alltag. Vor Kurzem haben             einander austauschen, die professionell
Familienverhältnisse integriert. Meinen         wir über Verantwortung und seine Pflich-         mit der Integration von Ali beschäftigt
                                                ten bezüglich der Lehre gesprochen. Wir          sind. Ansonsten gibt es keinen einzigen
«Es ist mir wichtig, die Gräben                 haben gemeinsam erarbeitet, was wichtig          negativen Aspekt. Ich würde mich sofort
zu verringern, die sich in unserer              sein wird, um das EBA erfolgreich abzu-          wieder für diese Art der Integration ei-
Gesellschaft auftun.»                           schliessen. Ali freut sich auf die physische     nes Geflüchteten engagieren. Es ist mir
                                                Arbeit, aber es wird ihm voraussichtlich         enorm wichtig, einen Beitrag zu leisten,
Partner Tom kennt er von Anfang an,             schwerfallen, den Schulstoff zu bewälti-         um die Gräben, die sich in unserer Gesell-
und wenn meine Kinder bei ihrem Vater           gen. Seine schriftlichen Deutschkenntnisse       schaft auftun, zu verringern und Vorurtei-
Hans-Jürg sind, dann ist Ali auch dort ein      sind noch nicht so gut. Darum suchen wir         le abzubauen. Denn nur was man nicht
gern gesehener Gast.                            eine Person für den Nachhilfeunterricht.         kennt, macht Angst. Darum möchte ich
Ali war immer schon sehr höflich, anfangs       Er ist sich bewusst, welche Chance er be-        alle ermutigen: Machen Sie mit! Engagie-
eher schüchtern. Heute begrüsst er mich         kommt. Wir haben die Zusage vom Lehr-            ren Sie sich und seien Sie versichert – Sie
wie ein Gentleman: «Hallo Uschi! Schön          betrieb gefeiert und drücken ihm nun die         bekommen sehr viel zurück!
dich zu sehen. Wie geht es dir?» Dabei          Daumen. Im Vorfeld habe ich Kontakt zu           ➔   redcross.ch/mittenunteruns
wirkt er älter als 19. Ali ist herzlich, res-   seinem Lehrmeister aufgenommen. Das
pektvoll und sehr ordentlich. Deshalb hat-      gab ihm die Gelegenheit, mit mir über all-                         URSULA SANTNER
                                                                                                                   Die 50-Jährige arbeitet
te er zwischenzeitlich Mühe, sein Zimmer        fällige Bedenken zu sprechen.
                                                                                                                   als Business Managerin
mit einem anderen Flüchtling zu teilen. Er      Ich spüre, dass Ali unsere Gespräche zu                            und Coach. Sie lebt in der
fühlte sich gestört beim Lernen, konnte         schätzen weiss. Dabei geht es oft um                               Region Zürich mit ihrem
nicht ausreichend schlafen und er mochte        für uns ganz banale Dinge wie Wäsche                               Partner und den beiden
                                                                                                                   Kindern, welche abwechs-
es ordentlicher als sein Zimmergenosse.         waschen, Zahlungen, Beziehungen oder                               lungsweise auch bei
Ali lebt ohne Familienangehörige in der         welche Geschenke man wem machen                                    ihrem Vater leben.

                                                                                                                       Humanité 3/2021	 19
Sigrid Joss-Arnd
          hat ein nachhaltiges
          Zeichen gesetzt

       «Es ist ein gutes Gefühl,
       wenn alles geregelt ist –
       machen Sie es doch auch.»

Sigrid Joss und ihr Mann waren sich einig: das Rote
Kreuz hat beide ein Leben lang begleitet, es soll
darüber hinaus wirken. Nebst engen Verwandten
hat sie deshalb in ihrem Testament auch das
SRK begünstigt – das Hilfswerk ihres Vertrauens.
Setzen auch Sie ein nachhaltiges Zeichen? Danke!                                                            Für mehr Menschlichkeit

                                                                                                                           Das SRK im Testament
Bitte senden Sie mir kostenlos den SRK-Testamentratgeber   Telefon                                                         berücksichtigen –
                                                                                                                           Liebe für die Nächsten:
                                                                                                                           vorsorge.redcross.ch/
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                                                           den Ratgeber per E-Mail bei marianne.daetwyler@redcross.ch

   SRKGS20-019_Legate-Inserat_Humanite_180x270_de.indd 1                                                                          27.10.20 12:11
KU R Z & BÜ N D I G

Jahresbericht 2020
■ Das Schweizerische Rote Kreuz (SRK)
war vergangenes Jahr aufgrund der Coro-
na-Pandemie enorm gefordert. «Das SRK
konnte beweisen, dass es in der Lage ist,
Extremsituationen zu bewältigen – ge-
meinsam mit Tausenden von Freiwilligen,
die sofort bereit waren, bei der Pandemie-
bewältigung mitzuhelfen», so SRK-Präsi-

                                                 © Libanesisches Rotes Kreuz
dent Thomas Heiniger. Von einem Tag auf
den anderen benötigten viele Menschen
Hilfe. Durch die Rotkreuz-Kantonalver-
bände und dank grosszügigen Spenden
konnte das SRK 14 400 notleidende Perso-
nen mit finanzieller Soforthilfe in der Höhe
von insgesamt 11,5 Millionen Franken
unterstützen. Zudem wurden im Verbund            Zunehmende Armut im Libanon
mit den Rotkreuz-Rettungsorganisationen          ■ Ein Jahr nach der verheerenden Ex-      Dollar unterstützte das SRK zusammen
170 spezifische Hilfsprojekte über gesamt-       plosion im Hafen von Beirut vom 4. Au-    mit der Glückskette 660 Familien, die
haft 7,9 Millionen Franken umgesetzt.            gust 2020 ist die Situation im Libanon    durch die Explosion in besonders grosse
Zum Jahresbericht 2020:                          weiterhin äusserst schwierig. Das Land    Not geraten sind. Manche hatten ihren
➔                         report.redcross.ch     befindet sich in einer schweren Wirt-     Ernährer verloren, andere ihr Haus und
                                                 schaftskrise. Immer mehr Menschen         ihr gesamte Hab und Gut. «Die Beiträge
                                                 rutschen in die Armut ab. Mittlerwei-     halfen ihnen, wieder etwas Boden unter
                                                 le leben 55 % der Bevölkerung unter       die Füsse zu bekommen», sagt Laurence
                                                 der Armutsgrenze. Das SRK verstärkte      Perroud, die Libanon-Verantwortliche
                                                 die Nothilfe des Libanesischen Roten      beim SRK. Um den Menschen weiterhin
                                                 Kreuzes in verschiedenen Bereichen.       beizustehen, plant das SRK eine Fortset-
©Blutspende SRK Schweiz

                                                 Mit monatlichen Beiträgen von 300 US-     zung seines Engagements im Libanon.

                                                 Rotkreuzpreis und Förderpreis 2021
                                                 ■ Der Verein Afghanistanhilfe erhält      Die Jury des Schweizerischen Roten
                                                 den Rotkreuzpreis 2021. Jury-Präsident    Kreuzes (SRK) hat zudem einen Förder-
Weltblutspendetag                                Daniel Biedermann zum Entscheid:          preis an den Verein Sportegration aus Zü-
■ Anlässlich des Weltblutspendetages             «Die Afghanistanhilfe beeindruckt uns     rich vergeben. Der Verein bietet in Zürich
vom 14. Juni gehen die Bundesräte Igna-          insbesondere durch ihre grosse Brei-      und Umgebung Sporttrainings sowie
zio Cassis und Guy Parmelin mit gutem            tenwirkung und die Tatsache, dass der     Bildungskurse für geflüchtete Menschen
Vorbild voran: Sie spenden Blut. Bundesrat       Verein vollständig ehrenamtlich ge-       an. Damit unterstützt der Verein die be-
Cassis (Bild) sagt dazu: «Blut gibt Leben. Als   führt wird.» Dank der Afghanistanhilfe    rufliche und gesellschaftliche Integra-
Arzt kenne ich die Unentbehrlichkeit dieser      können sich Zehntausende Menschen         tion von Migrantinnen und Migranten
Spende – es ist gelebte Solidarität.» Viele      in Afghanistan medizinisch versorgen      – eines der wichtigsten Ziele des SRK.
Parlamentarierinnen und Parlamentarier           lassen. Die Afghanistanhilfe engagiert    Der Förderpreis soll Sportegration dabei
tun es ihnen gleich. Ihr Weg ist kurz, denn      sich seit über 30 Jahren und wurde von    unterstützen, sein Angebot auf weitere
Blutspende SRK Schweiz ist auf dem Bun-          der Schaffhauserin Vreni Frauenfelder     Regionen in der Schweiz auszuweiten.
desplatz präsent. Die Aktion steht unter         gegründet. Der Verein unterhält in Af-
dem Patronat des Nationalratspräsidenten         ghanistan ein Spital sowie verschiede-
Andreas Aebi und des Ständeratspräsiden-         ne kleinere Gesundheitszentren. Die
ten Alex Kuprecht. Blutspenden ist wichtig.      Afghanistanhilfe engagiert sich auch in
Erst recht im Sommer, wenn es schwieri-          der Bildung, bekämpft die Armut und
ger ist, genügend Blutspenderinnen und           leistet Nothilfe. Vereinspräsident Mi-
-spender zu finden. Dementsprechend              chael Kunz (Mitte) nimmt den Preis von
der Slogan vom Weltblutspendetag 2021:           SRK-Präsident Thomas Heiniger und
«Give Blood and keep the World beating.»         dem Jury-Präsidenten Daniel Bieder-
➔                         blutspende.ch          mann entgegen.

                                                                                                                Humanité 3/2021	 21
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