AUS POLITIK UND ZEITGESCHICHTE - Geschlechtergerechte Sprache - Bundeszentrale für politische ...
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72. Jahrgang, 5–7/2022, 31. Januar 2022 AUS POLITIK UND ZEITGESCHICHTE Geschlechtergerechte Sprache Anne Wizorek · Andreas und Miriam Lind · Damaris Nübling Silvana Rödder · Nele Pollatschek · SPRACHE UND Anatol Stefanowitsch · Helga Kotthoff · BEWUSSTSEIN Thomas Kronschläger SECHS PERSPEKTIVEN Kristina Bedijs · Bettina Kluge · Dinah K. Leschzyk Horst J. Simon WIE GENDERN DIE ANDEREN? SPRACHE MACHT EMOTIONEN DISKURSE IN SPANIEN, Carolin Müller-Spitzer BRASILIEN UND FRANKREICH ZUM STAND DER FORSCHUNG Kristina Peuschel Peter Eisenberg GENDERGERECHTE SPRACHE WEDER AUS DER PERSPEKTIVE DES GESCHLECHTERGERECHT LEHRENS UND LERNENS NOCH GENDERSENSIBEL ZEITSCHRIFT DER BUNDESZENTRALE FÜR POLITISCHE BILDUNG Beilage zur Wochenzeitung
Geschlechtergerechte Sprache APuZ 5–7/2022 ANNE WIZOREK · ANDREAS UND MIRIAM LIND · DAMARIS NÜBLING SILVANA RÖDDER · NELE POLLATSCHEK · SPRACHE UND BEWUSSTSEIN ANATOL STEFANOWITSCH · HELGA KOTTHOFF · Zwischen Sprache, Geschlecht und Bewusstsein THOMAS KRONSCHLÄGER besteht ein komplexes Beziehungsgeflecht. Um SECHS PERSPEKTIVEN es zu verstehen, braucht es die Einsicht, dass Was bedeutet Geschlechtergerechtigkeit in der Sprache bewusstseinsbildend sein kann – und Sprache, und wie ließe sie sich herstellen? Die einen differenzierten Geschlechterbegriff. sechs Perspektiven bilden Schattierungen einer Seite 36–42 Debatte ab, in der es mehr gibt als nur glasklare Positionierungen für oder gegen das Gendern. Seite 04–15 KRISTINA BEDIJS · BETTINA KLUGE · DINAH K. LESCHZYK WIE GENDERN DIE ANDEREN? HORST J. SIMON DISKURSE IN SPANIEN, BRASILIEN SPRACHE MACHT EMOTIONEN UND FRANKREICH Welche Instanzen sind für sprachliche Normset- Wie wird in Spanien, Brasilien und Frankreich zung maßgeblich, und welche Akteure beeinflus- über geschlechtersensible Sprache debattiert? sen Sprachwandel am stärksten? In der Debatte Die Beispiele zeigen, dass nicht die jeweilige ums Gendern zeigt sich, dass Sprache vielleicht Sprachstruktur entscheidend ist, sondern gar nicht die primäre Diskursmotivation ist. politische Gegebenheiten und Haltungen. Seite 16–22 Seite 43–48 CAROLIN MÜLLER-SPITZER KRISTINA PEUSCHEL ZUM STAND DER FORSCHUNG ZU GENDERGERECHTE SPRACHE AUS DER GESCHLECHTERGERECHTER SPRACHE PERSPEKTIVE DES LEHRENS UND LERNENS Die Diskussion um geschlechtergerechte Sprache Im Kontext des Deutschlernens gibt es keinen erschöpft sich allzu oft in Pro- und Contra- Grund, gendergerechte Sprache nicht auch als Positionen. Dabei gibt es eine Bandbreite Lerngegenstand zu etablieren. Welche Chancen von linguistischen Aspekten und empirischen und Hürden damit verbunden sind, ist jedoch Studien zum Thema zu betrachten. noch nicht ausreichend erforscht. Seite 23–29 Seite 49–54 PETER EISENBERG WEDER GESCHLECHTERGERECHT NOCH GENDERSENSIBEL Sprachliches Gendern vergeht sich an unserem höchsten Kulturgut und führt oftmals zu autoritärem, widerrechtlichem Verhalten. Mit Geschlechtergerechtigkeit oder Gendersensibili- tät hat all das kaum etwas zu tun. Seite 30–35
EDITORIAL „Nun sag’, wie hast du’s mit dem Gendern?“ Die Frage nach der Art und Weise geschlechtergerechten Sprachgebrauchs scheint zur modernen Gretchen- frage geworden sein. Sie betrifft nicht nur ausnahmslos alle, die Deutsch spre- chen oder schreiben, sie ist oftmals auch mit einem Bekenntnis beziehungs- weise der Zuschreibung einer Haltung verbunden, die weit über sprachliche Geschmacksfragen hinausweist und bis ins Weltanschauliche reicht. Die vehe- ment geführte Debatte um Gendersternchen und generisches Maskulinum – und um alles, was dazwischen liegt – trägt mitunter Züge eines Kulturkampfs, bei dem Sprache nur stellvertretend für andere gesellschaftliche Großthemen verhandelt wird. Das Anliegen geschlechtergerechter Sprache erscheint indes nicht vermes- sen: Es geht um die sprachliche Gleichberechtigung und Sichtbarmachung aller Geschlechter, um die heutige gesellschaftliche Realität besser abzubilden, als es allein mit männlichen Personenbezeichnungen möglich sei. Denn auch, wenn sie geschlechterübergreifend gemeint sind, erzeugen männliche Formen nach wie vor eher Vorstellungen von Männern. Während Beidnennungen wie Bürgerinnen und Bürger oder Ärztinnen und Ärzte zumindest in öffentli- chen Anreden mittlerweile Standard sind, entzündet sich Streit vor allem um Schreib- und Sprechweisen, die auch nicht-binäre Menschen einschließen – etwa Bürger*innen und Ärzt:innen. Der Rat für deutsche Rechtschreibung empfiehlt Genderzeichen im Wortin- nern bislang nicht zur Aufnahme ins amtliche Regelwerk, konstatiert aber zugleich, dass geschlechtergerechte Sprache eine gesellschaftliche Aufgabe sei, „die nicht allein mit orthografischen Regeln und Änderungen der Rechtschrei- bung gelöst werden kann“. Zugleich führen Kommunen und Hochschulen Leit- fäden zur Umsetzung geschlechtergerechter Sprache ein, die ebendiese Zeichen nahelegen. Die Vielfalt dazwischen spiegelt sich auch in APuZ wider: Ob und wie gegendert wird, überlassen wir unseren Autorinnen und Autoren. Johannes Piepenbrink 03
APuZ 5–7/2022 GESCHLECHTERGERECHTE SPRACHE? Sechs Perspektiven zu verwenden. Genauer gesagt, benutze ich mitt- Vom Gender-Kampfplatz lerweile den Begriff „geschlechtergerechtere Spra- che“. Damit lässt sich nicht nur der Gender-Kof- zum Sprachspielraum fer ablegen, sondern es wird klarer, dass Sprache ohnehin nie hundertprozentig gerecht sein kann. Anne Wizorek Sie kann sich aber annähern und unserer Wirklich- keit dabei gerechter werden, als sie es bisher mit dem generischen Maskulinum war. Gendern. Allein das Wort ist schon anstrengend. Das sogenannte generische Maskulinum – also Das liegt zunächst daran, dass der englische Begriff so zu schreiben und zu sprechen, dass immer nur gender, von dem es sich ableitet, bereits seit Jahr- die männlichen Bezeichnungen wie Schüler, Leh- zehnten als Kofferwort benutzt wird. Darin wird rer, Autor etc. verwendet werden – das ist, entge- alles verpackt, was lächerlich, absurd oder sogar be- gen der allgemeinen Annahme, auch eine Form des drohlich ist. Vor allem von konservativer und rech- Genderns. In der Regel ist das generische Masku- ter Seite wird der Gender-Begriff auf diese Weise mit linum bloß die Variante des Genderns, die wir als Zerrbildern und Lügen aufgeladen und damit von erste gelernt haben und die uns damit am längsten seiner tatsächlichen Bedeutung entfernt. Gender geläufig ist. Wenn etwas zur Norm wird, ist diese Mainstreaming wird dann zum Beispiel als „Gen- gleichzeitig allgegenwärtig und in ihrer Normalität der-Wahnsinn“ verunglimpft oder die Geschlechter- dennoch unsichtbar. Statt Sprache dann als unse- forschung als „Gender-Ideologie“ zum übermäch- ren eigenen Handlungsspielraum wahrzunehmen, tigen Feindbild aufgebaut. Dabei steht Gender für „haben [wir] das Gefühl, eine bereits vorhande- das soziale, das gelebte und das gefühlte Geschlecht. ne Sprache lediglich zu benutzen“.01 Beim gene- Kurz gesagt, ist Gender das Geschlecht, was sich in rischen Maskulinum führt es dazu, nicht groß zu unserem Kopf abspielt – und nicht das, was wir in hinterfragen, dass Männer jahrtausendelang über unserer Unterhose haben. Für alle Menschen ohne gesellschaftliche Strukturen und Konventionen Fachwissen ist es aufgrund der anhaltenden Be- bestimmten und sich das auch auf unsere Sprache griffsverzerrung aber längst weniger nachvollzieh- auswirkte. Stattdessen soll das generische Maskuli- bar geworden, was die Diskussion über Gender soll. num sogar als „neutral“ verkauft werden, obwohl Geht es wiederum ums Gendern und darum, wie es unsere Sprache eindeutig männlich prägt. Ne- Geschlecht in der Sprache Ausdruck findet, wird der ben Männern gibt es nun mal auch Frauen und Koffer an Verfälschungen bereits mitgeschleppt. Als Menschen anderer Geschlechter. Das ist so, seit es Anglizismus verdeckt er außerdem, worum es kon- Menschen gibt, und damit keineswegs neu oder gar kret geht, nämlich die geschlechtliche Vielfalt un- irgendein „Trend“. Auch das Bundesverfassungs- serer Wirklichkeit auch sprachlich besser abzubil- gericht hat 2017 mit seinem Urteil zum dritten Ge- den. Unsere Welt besteht nun einmal nicht nur aus schlechtseintrag diese Realität endlich anerkannt.02 Männern, warum sollten wir sie also ausschließlich Die Forderungen nach einer geschlechterge- in männlicher Form denken? Wie wir sprechen und rechteren Sprache weisen darauf hin, wie insbeson- schreiben, drückt immer auch unsere eigene Vorstel- dere Frauen und nicht-binäre Menschen heutzuta- lungswelt aus und hat wiederum einen Einfluss da- ge immer noch ausgeschlossen und diskriminiert rauf, was wir uns eigentlich vorstellen. Hier besteht werden. Über Sprache wird Macht ausgeübt, und eine Wechselwirkung, denn: Sprache schafft Wirk- es muss reflektiert werden, wie das auch in Bezug lichkeit – und Wirklichkeit schafft Sprache. auf Geschlechter geschieht. Mit Hilfe von Sprache Persönlich bevorzuge ich die Bezeichnung drücken wir jeden Tag aus, was wir denken, was „geschlechtergerechte Sprache“, statt „Gendern“ wir wollen, wer wir sind. Sie ist unser wichtigstes 04
Geschlechtergerechte Sprache APuZ Werkzeug und unzertrennlich mit unserer Iden- Während es bei den einen darum geht, den Blick tität verknüpft. Gerade mit zunehmendem Alter auf unsere Gesellschaft zu erweitern und das Be- fällt es uns eher schwer, uns neuen sprachlichen wusstsein für Diskriminierungen zu schärfen, dür- Vorschlägen zu öffnen, da wir uns so auch in un- fen wir nicht unterschätzen, dass die Zerrbilder und serer Identität angegriffen fühlen. Diese Abwehr- Lügen von anderen mit Absicht verbreitet werden. haltung gilt es zu hinterfragen. Wo kommt sie her? Die Debatte ums Gendern ist so anstrengend, weil Und warum halte ich Sprache für wichtig genug, es nicht um den bloßen Austausch von Argumenten um damit Männer anzusprechen, aber sträube auf einer abstrakten Metaebene geht. Hier wird ein mich gegen die Sichtbarkeit anderer Geschlechter? Kulturkampf vom rechten politischen Lager geführt, In12 der Debatte ums Gendern wird gerne vorge- der reale Konsequenzen hat, vor allem für Men- schoben, dass es doch weitaus wichtigere Baustel- schen marginalisierter Geschlechter. Die Brutalität len zu beseitigen gebe, um zur gewünschten Ge- der Angriffe gegen Gendersternchen, Unterstrich schlechtergerechtigkeit zu gelangen. Den Gender & Co. zeigt immerhin auch, wie weit wir schon ge- Pay Gap abzuschaffen, sei dringender, als das Gen- kommen sind. Der Backlash ist auch Teil des Erfolgs. dersternchen in Schrift und Wort zu etablieren, weil Noch vor zehn Jahren waren geschlechtergerechtere dieses gar keine direkte Geschlechtergerechtigkeit Schreibweisen viel weniger verbreitet. Heute finden auslösen könne. Das ist allerdings ein Strohmann- sie sich immer öfter auf den Webseiten und Social- Argument, schließlich wird nirgends behauptet, Media-Kanälen großer Medienhäuser. Leider sind dass geschlechtergerechtere Sprache wie ein Zau- ebenso viele Medienhäuser besessen davon, Pro- berspruch direkt ins feministische Paradies führt. und-Contra-Diskussionen zum Thema Gendern zu Auch die Einführung des Frauenwahlrechts vor gut führen, die selten einen Mehrwert haben, da sie in ih- hundert Jahren hat uns nicht automatisch in den rer Zuspitzung so starr und binär bleiben wie unsere Zustand einer geschlechtergerechten Gesellschaft momentane Geschlechterhierarchie. Dabei darf die versetzt, ebenso wenig die Wahl der ersten Bundes- ablehnende Seite sogar Vergleiche mit der DDR oder kanzlerin 2005. Zusammengenommen bringen uns dem Nazi-Regime ziehen. Währenddessen muss die all diese Schritte aber immer weiter, um eine Gesell- befürwortende Seite sachlich und ruhig bleiben, um schaft möglicher zu machen, in der niemand mehr überhaupt gehört zu werden. aufgrund des Geschlechts diskriminiert wird. Die realen Geschlechter- und Machtverhält- Geschlechtergerechtere34 Sprache anzuwenden, nisse werden so verzerrt und mitunter sogar als ist also kein Allheilmittel, sondern vielmehr ein Bau- „Terror der Minderheiten“ völlig umgekehrt.04 stein im Gesamtbild. Dabei dürfen wir bestehende Die Anti-Gender(n)-Rhetorik spielt dabei eine Probleme nicht gegeneinander ausspielen, sondern zentrale Rolle, rechte Ideologie im gesamten poli- können uns genauso gegen die schlechte Bezahlung tischen Spektrum der Gesellschaft anschlussfähig in sozialen Berufen einsetzen wie gegen sexualisier- zu machen und allgemein zum Angriff auf Ge- te Gewalt, Altersarmut oder eben diskriminierende schlechtergerechtigkeit zu blasen. Das lässt sich Sprache. Zumal diese Probleme mit dem Blick aufs nicht nur allein daran beobachten, wie zum Bei- große Ganze alle miteinander verwoben sind und spiel AfD-Mitglieder rund um den Gender-Be- deshalb die symbolische Ebene ebenso angegangen griff förmlich verbale Kriegsführung betreiben. werden muss wie die praktische. „Jede unkonven- Die Frage ist also: Überlassen wir das Feld je- tionelle Sprachänderung schafft eine Grundlage für nen, die Sprache in ein reines Waffenarsenal um- eine veränderte Vorstellung. Daher verfügt sie auch schmieden? Oder nehmen wir Sprache als lebendi- über das Potenzial eines großen sozialen Wandels“, ge wie politische Handlungsform an? Wollen wir bringt es Lann Hornscheidt, Professorens für Gen- weiter diskriminierende oder verletzende Sprache der Studies und Sprachhandeln, auf den Punkt.03 verwenden? Oder wollen wir etwas daran ändern und gemeinsam überlegen, wie das am besten mög- 01 Lann Hornscheidt, Sprachgewalt. Erkennen und sprachhan- lich ist? Und: Finden wir dabei vielleicht auch end- delnd verändern, Berlin 2018, S. 5. lich den Spaß an all dem wieder und die sprichwört- 02 Vgl. Bundesverfassungsgericht, Leitsätze zum Beschluss des lichen Spielräume, die uns unsere Sprache bietet? Ersten Senats vom 10. Oktober 2017, 1 BvR 2019/16. 03 Hornscheidt (Anm. 1), S. 6. Hornscheidt versteht sich als genderfrei und nutzt daher die Pronominaform -ens. ANNE WIZOREK 04 Vgl. Franziska Schutzbach, Die Rhetorik der Rechten. ist Beraterin, Referentin und Autorin. Rechtspopulistische Diskursstrategien im Überblick, Zürich 2018. www.annewizorek.de 05
APuZ 5–7/2022 männlich dominierten universalen Rationalismus zurückgewiesen – ein altes Dilemma des Postko- Sprache und Macht lonialismus, der den Grundlagen des westlichen Rationalismus doch nicht entkommen kann. Und Andreas Rödder · Silvana Rödder so kann auch die gegenderte Sprache der argu- mentativen Auseinandersetzung mit dem gene- rischen Maskulinum nicht entgehen, die auf vier Gegenderte Sprache soll Frauen und nicht-weib- Ebenen geführt wird: einer semantischen, einer liche oder -männliche Personen sprachlich sicht- grammatikalischen, einer sprachpraktischen und bar machen, die sich durch das generische Mas- einer politisch-kulturellen. kulinum nicht vertreten sehen. Dieser Annahme Auf semantischer Ebene nimmt das gene- liegt die Vorstellung zugrunde, dass Sprache ein rische Maskulinum für sich in Anspruch, dass Machtkonstrukt ist. Sie geht auf den französi- grammatikalisches und biologisches Geschlecht schen Dekonstruktivismus der 1970er und 80er nicht identisch sind: Ich bin der Mensch, die Per- Jahre und die berühmte Formulierung des Philo- son und das Subjekt. Daher stelle das generische sophen Jacques Derrida zurück: „Es gibt nichts Maskulinum als genus commune eine vom biolo- außer Text.“01 Mit anderen Worten: Es gibt keine gischen Geschlecht unabhängige allgemeine und Realität jenseits der Sprache, und diese Sprache ist übergreifende Form der Bezeichnung dar. Dem- Teil von Machtverhältnissen. Der Umkehrschluss gegenüber schließt die oft als Kompromisslösung liegt darin, mittels Sprache Benachteiligungsver- verwendete Bezeichnungsform der Bürgerinnen hältnisse sichtbar zu machen und abzubauen. Die- und Bürger nicht-binäre Personen nicht ein, son- se Bewegung hat in dem Maße zugenommen, wie dern befestigt gerade die Binarität. Konsequen- sich die identitätspolitische Kritik an als männ- terweise ist dies ein Ausschlusskriterium gegen- lich, weiß und heterosexuell markierten Ordnun- derter Sprache, wenn es darum geht, nicht-binäre gen vor allem in den 2010er Jahren verstärkt hat Personen sichtbar zu machen. Alternativ gern – wobei der Begriff „geschlechtergerechte Spra- verwendete Partizipialkonstruktionen wie Stu- che“ seinerseits ein machtpolitisches Instrument dierende wiederum sind nicht immer möglich, sie ist, weil er andere Formen des Sprechens impli- sind oftmals sachlich falsch (ein schlafender Stu- zit als „ungerecht“ bezeichnet und ihnen damit dierender ist keiner, und ein toter Autofahrender Legitimität abspricht. In der Tat hat die morali- ist ein Widerspruch in sich), und sie funktionie- sche Aufladung der Diskussion über Sprache, die ren nur im Plural. weit über den üblichen Sprachwandel hinausgeht Um auch nicht-binäre Personen sprachlich (in dem etwa ein Begriff wie der des „Fräuleins“ sichtbar zu machen, ist die einzig konsequen- aus dem Verkehr gezogen wurde), zu einer Pola- te Alternative zum generischen Maskulinum der risierung und Verhärtung insbesondere über den Genderstern. Er wirft aber auf grammatikalischer, Genderstern geführt. sprachpraktischer und politisch-kultureller Ebe- Denn in dieser Diskussion steht zur Debatte, ne Probleme auf. Denn Sonderzeichen wie Stern, wer durch Sprache transportierte Benachteiligun- Doppelpunkt oder Unterstrich im Wortinneren gen definiert und wer Regeln diskriminierungs- passen nicht zum grammatikalischen System der freier Sprache festlegt. Die identitätspolitische deutschen Sprache, zumal mit ihren Artikeln und Antwort lautet, dass diese Deutungsmacht bei Genitivkonstruktionen, und sie stören den Fluss denjenigen liegt, die Opfer von Diskriminierung der Sprache. Wer eine*n Steuerberater*in sucht, sind – und letztlich die Eigenwahrnehmung von kann dies weder schriftlich noch mündlich kor- Benachteiligung entscheidend ist. Damit sind rekt tun, und das gilt erst recht, wenn man sich in Grundfragen der gesellschaftlich-politischen Ver- die Obhut des/der Ärzt*in begibt. ständigung aufgerufen. Denn demgegenüber geht Wenn der Rat für deutsche Rechtschreibung die klassische Auffassung demokratischer Öf- die Empfehlung formuliert, Texte sollten nicht fentlichkeit davon aus, dass der rationale Diskurs nur sachlich korrekt und verständlich, sondern durch „gute Gründe“02 bestimmt wird, die in- auch lesbar, vorlesbar und erlernbar sein,03 ist tersubjektiv einsichtig und nachvollziehbar sind. zugleich eine sprachpraktische Ebene angespro- Aus identitätspolitischer Sicht hingegen wird die- chen, auf der wortinterne Sonderzeichen grund- se Auffassung als Machtkonstrukt eines weiß und sätzliche Probleme hervorrufen. Dies gilt nicht 06
Geschlechtergerechte Sprache APuZ zuletzt für die Fähigkeit zu vertieftem Lesen und Moralisierung und Polarisierung identifiziert der zur konzentrierten Aneignung von Texten, die an Politikwissenschaftler Wolfgang Merkel als we- Schulen und Hochschulen ohnehin als ein zen- sentliche aktuelle Gefährdungen der Demokratie.06 trales Bildungsproblem identifiziert wird. Visuel- Sprache ist das zentrale Medium öffentlicher le Stolpersteine beim Lesen erschweren diese ele- Auseinandersetzungen. Ihre Eigenschaft als Ge- mentare Kulturtechnik123 weiter.04 meingut ist zugleich der Schlüssel für einen kon- Bleibt noch die politisch-kulturelle Ebene, ist struktiven Umgang mit ihr in der demokratischen die „geschlechtergerechte Sprache“ doch ein we- Öffentlichkeit. Sie verträgt keine Anmaßung von sentlicher Bestandteil der sogenannten Identitäts- Wahrheit und kein Oktroi, sondern erfordert ratio- politik. Der Genderstern ist Ausdruck einer be- nale Auseinandersetzung und „gute Gründe“. Da- stimmten gesellschaftlich-politischen Auffassung, bei sprechen zu viele Argumente auf unterschied- nämlich der Vorstellung „fluider Geschlechtlich- lichen Ebenen gegen die eingeführten Formen keit“, die das tradierte binäre Geschlechtersystem gegenderter Sprache, zumal sie als eingefordertes von Männern und Frauen infrage stellt. Die Er- Novum der Begründungspflicht unterliegen und wartung der Benutzung des Gendersterns wird nicht das generische Maskulinum. Dessen Eigen- von dessen Kritikern daher als Geste der Affir- schaft als inklusives genus commune hingegen ist mation und als Bekenntniszwang empfunden – sachlogisch nicht widerlegt worden. Zugleich haben verstärkt durch (selbst erlebte) Markierungen auch die Vertreter gegenderter Sprache inzwischen von Nutzern des generischen Maskulinums als erkannt, dass Sprache nicht automatisch die Realität „rechts“ oder „transphob“. verändert – vielmehr erinnert die Vorstellung, Reali- In solchen Fällen geht gegenderte Sprache mit tät durch Sprache zu verändern, an Praktiken totali- der Anmaßung einer höheren Moral für die eige- tärer Regime. Umgekehrt haben sich fundamentale, nen Auffassungen und der moralischen Diskredi- historische Veränderungen in den Geschlechterver- tierung des Anderen einher. Die liberale Publizis- hältnissen in den vergangenen Jahrzehnten ohne ge- tin Anne Applebaum hat die Auswirkungen eines genderte Sprache durchsetzen lassen. identitätspolitischen Puritanismus an amerikani- Eine angemessene Konsequenz all dieser Be- schen Universitäten geschildert, der von einem funde könnte eine zweifache sein: zum einen ein emanzipatorischen Anliegen in repressiven Kon- entspannterer Umgang mit der Sprache inklusi- formitätsdruck umgeschlagen ist: Ein falsches, als ve dem generischen Maskulinum; zum anderen „verletzend“ verstandenes Wort reicht aus, um das Beharren auf Sprachsensibilität. In der per- Mechanismen der Ausgrenzung in Gang zu setzen, sönlichen Anrede gilt das ohnehin – dort sagen die bis zur Vernichtung der beruflichen und sozi- auch wir: „Liebe Bürgerinnen und Bürger, liebe alen Existenz reichen.05 Den6 „neuen Puritanern“ Anwesende.“ Ebenso gilt es bei Begriffen, die be- stehen die Anhänger Donald Trumps gegenüber, stimmte Assoziationen hervorrufen – Soldaten die sich in die Blase einer gestohlenen Wahl einge- zum Beispiel ist nach wie vor mit der Vorstellung sponnen haben und von dort aus die liberale De- von Männern verbunden –, und es gilt gegenüber mokratie samt ihrer Institutionen unterminieren. allen Sprachformen, die als herabwürdigend emp- funden werden können. Das geht ohne Moralisie- rung, sondern durch sachliche Begründung und 01 Jacques Derrida, De la grammatologie, Paris 1967, S. 227. 02 Julian Nida-Rümelin, Gründe und Lebenswelt, Oktober Bereitschaft zur Rücksicht, übrigens auf allen 2006, www.philosophie.uni-muenchen.de/lehreinheiten/philoso- Seiten. Denn Ignoranz wird in der Öffentlichkeit phie_4/dokumente/jnr_gruende_lebnswlt.pdf, S. 3. nicht mehr toleriert – auch das ein Beispiel für die 03 Vgl. Rat für deutsche Rechtschreibung, Geschlechtergerech- Möglichkeiten zivilen Sprachwandels nach den te Schreibung: Empfehlungen vom 26. 3. 2021, www.rechtschrei- Regeln der demokratischen Öffentlichkeit. brat.com/DOX/rfdr_PM_2021-03-26_Geschlechtergerech- te_Schreibung.pdf. 04 Vgl. die Stavanger-Erklärung von 130 Leseforschern: Zur ANDREAS RÖDDER Zukunft des Lesens, 11. 1. 2019, www.faz.net/-16000793. ist Professor für Neueste Geschichte an der 05 Vgl. Anne Applebaum, The New Puritans, 31. 8. 2021, www. Johannes Gutenberg-Universität Mainz. theatlantic.com/magazine/archive/2021/10/new-puritans-mob- justice-canceled/619818. 06 Vgl. Wolfgang Merkel, Neue Krisen. Wissenschaft, Mo- SILVANA RÖDDER ralisierung und die Demokratie im 21. Jahrhundert, in: APuZ ist Oberstudienrätin für Deutsch und katholische 26–27/2021, S. 4–11. Religion am Rabanus-Maurus-Gymnasium Mainz. 07
APuZ 5–7/2022 nicht annähernd so weit verbreitet oder gramma- tikalisch verwurzelt, wie es im Deutschen der Fall They: Gendern auf Englisch ist. Der englische Gedanke ist schlicht und ergrei- fend dieser: Der Weg zur Gleichheit ist Gleichheit. Nele Pollatschek Wenn wir wollen, dass Männer und Frauen gleich sind, dann müssen wir sie gleich behandeln, auch in der Sprache. Jede sprachliche Sichtbarmachung Während meiner Studienzeit in England fragte von Geschlecht hebt das Geschlecht hervor, weist mich ein Professor: „Stimmt es, dass ihr im Deut- auf Unterschiede hin, betont, dass eben dieses Ge- schen Angela Merkel immer ‚BundeskanzlerIN‘ schlecht so wichtig ist, dass es in jeder Lebensla- nennt?“ „Ja“, antwortete ich. „Angela Merkel ist ge erwähnt werden muss, und zementiert damit ‚BundeskanzlerIN‘. Helmut Kohl war Bundes- die Ungleichheit. Als deutsche Zeitschriften anfin- kanzler.“ „Aber machen denn die Feministen gar gen, statt von Schauspielern von Schauspielern und nichts gegen diesen Sexismus in der Sprache?“, Schauspielerinnen, Schauspielenden, Schauspieler fragte er erstaunt. Ich schaute verwirrt zurück. Innen, Schauspieler_innen und Schauspieler*innen „Es ist doch sexistisch, wenn das Wort für Frau- zu schreiben, beschloss der „Guardian“ – die eng- en, die einen Beruf ausüben, ein anderes ist!“, sag- lische Zeitung der progressiven feministischen Lin- te er. Ich atmete tief durch und erläuterte ihm die ken – nur noch das Wort actor zuzulassen und ac- Geschichte der geschlechtergerechten Sprache tress zu streichen. In ihren Stilrichtlinien erklären in Deutschland, erklärte die Sache mit dem Plu- sie bis heute, dass actress, genau wie authoress, co- ral, den Gender-Gaps und Gendersternchen und medienne, manageress, lady doctor, male nurse und dass es vor allem um die Sichtbarmachung weib- ähnliche Termini, aus einer Zeit kommt, in der Be- licher Identität geht. Dass viele Menschen, wenn rufe größtenteils einem einzigen Geschlecht offen- sie Berufsbezeichnungen hören, sofort das Bild ei- standen (meistens dem männlichen). Und dass die- nes Mannes im Kopf haben und dass wir weibliche se gegenderten Berufsbezeichnungen heute, wo die Wortformen verwenden – gerade auch in Stellen- Berufe allen Geschlechtern offenstehen, nicht mehr ausschreibungen –, um zu verdeutlichen, dass der verwendet werden sollten. Beruf auch von Frauen ausgeübt wird. „Und habt Die Maskulinität von generischen Berufsbe- ihr dann auch ein Morphem für schwarze, schwu- zeichnungen wirft ein Henne-Ei-Problem auf: le oder jüdische Menschen?“ „Nein, natürlich Sind die Berufsbezeichnungen inhärent männlich nicht“, antwortete ich. „Aber die Standardvorstel- und brauchen daher eine parallele weibliche Form, lung ist doch die eines weißen, christlichen, hete- oder sind sie inhärent generisch und wirken nur rosexuellen Mannes, wäre es dann nicht genauso deswegen männlich, weil sie historisch nur von wichtig, in einer Stellenausschreibung auch deut- Männern ausgeführt werden durften? Aus engli- lich zu machen, dass es auch Juden, Schwarze und scher Perspektive ist Letzteres der Fall. Das Wort Schwule machen können? Wenn Frauen durch Prime Minister bezeichnet de facto für den Groß- Morpheme sichtbar gemacht werden, warum dann teil der englischen Geschichte einen Mann, einfach nicht auch Juden?“ „Weil das antisemitisch wäre“, schon deshalb, weil Frauen weder wählen noch sagte ich, und noch bevor der Professor die nächs- gewählt werden durften. Die englische Lösung für te Frage stellen konnte, wusste ich, dass ich auf sie dieses Problem ist es nicht, eine weibliche Form keine Antwort haben würde. „Wie kann es richtig einzuführen, obwohl Prime Ministress durchaus sein, Weiblichkeit in jeder Berufsbezeichnung als ginge, sondern eine Frau zu wählen. Spätestens ab Morphem anzuzeigen, wenn es falsch wäre, Reli- 1979, als Margaret Thatcher Premier wurde, wur- gion, Hautfarbe, Orientierung, Gewicht oder eine de das Wort Prime Minister de facto generisch und Behinderung mit einem Morphem sichtbar zu ma- wird mit jedem weiblichen PM immer generischer, chen?“ In diesem Moment wurde mir schlagartig wobei zur vollen Gleichheit noch einige Dutzend klar: Aus der englischen Perspektive ist das „Gen- weibliche Prime Ministers fehlen. dern“, wie wir es in Deutschland betreiben, sexis- Hätte Deutschland den angelsächsischen tisch, antiquiert und kein bisschen inklusiv. Weg der Geschlechtergerechtigkeit eingeschla- Zwar hat das Englische, wie das Deutsche, die gen, dann gäbe es heute Jugendliche, für die das Möglichkeit, das weibliche Geschlecht sprachlich Wort „Bundeskanzler“ in erster Assoziation ein in Berufsbezeichnungen anzuzeigen. Diese ist aber weibliches ist, weil dieses Amt zu ihren Lebzeiten 08
Geschlechtergerechte Sprache APuZ vor allem von Angela Merkel ausgeführt wurde. für die zweite Person Singular (du) zu verwen- Durch die Verwendung der beiden unterschied- den. Keiner käme heute mehr auf die Idee, „du“ lichen Wörter „Bundeskanzler“ und „Bundes- mit thou zu übersetzen, obwohl dies historisch kanzlerin“ haben wir uns um diesen Sprachwan- die korrekte Form ist und you eigentlich „ihr“ del gebracht. Und das, obwohl wir durchaus an bedeutet. die Möglichkeit solchen Wandels glauben, weil Geschlechtergerechte Sprache wird im Deut- wir sie an anderer Stelle bereits erfolgreich ein- schen zusätzlich dadurch erschwert, dass es Men- gesetzt haben: Anstatt unverheiratete weibliche schen gibt, die intersex sind, die also keine me- Menschen als „Fräulein“ und nur verheiratete dizinisch eindeutig als männlich oder weiblich weibliche Menschen als „Frau“ zu bezeichnen, bestimmbaren Genitalien, Hormonhaushalte oder haben wir das Wort „Frau“ von der Bedeutungs- Chromosomensätze haben. Diese biologische Re- ebene „verheiratet“ getrennt. Wer sich erst mal alität wird rechtlich mittlerweile anerkannt, und daran gewöhnt hat, eine Frau zu sein, möchte Formulierungen wie „Journalist (m/w/d)“ sind in kein Fräulein mehr sein, und wer sich daran ge- Stellenausschreibungen zum Standard geworden. wöhnt hat, dass das eigene Geschlecht in der Be- Dennoch stellt sich früher oder später die Fra- rufsbezeichnung nichts verloren hat, der möchte ge: Wie nennt man jemanden, der schauspielt und oft nicht gegendert werden, egal, wie gerecht es „divers“ ist? Schauspielende scheitert spätestens gemeint ist. Für mich war es jedes Mal befremd- am Artikel (der oder die?). Und wer glaubt, man lich, wenn ich in Deutschland aus englischer Ge- könne in jeder Singularverwendung mehrere Arti- wohnheit auf die Frage, was ich beruflich ma- kel und einen Gender-Gap mitsprechen, der sollte che, antwortete, dass ich Student sei, und dann das mal ausprobieren (Ein_e gute_r Schauspieler_ von meinem Gegenüber mit einem entschiedenen in weiß, wie er/sie ihre/seine Zuschauer_innen un- „StudentIN“ verbessert wurde. Stimmt ja, dach- terhalten kann). Noch akrobatischer sind nur die te ich in solchen Momenten, in Deutschland bin geschlechtsneutralen Zusammenziehungen und x- ich ja nicht Student; in Deutschland bin ich Frau. Formen (Einx gutx Schauspiel-erx weiß, wie xier Das größte Problem für einen Englisch-Ge- xiese Zuschauerx unterhalten kann). Auf Englisch schädigten wie mich ist aber, dass man diesem ist ein Mensch, der schauspielt und divers ist, ein- intuitiven Unbehagen auf keinen Fall Ausdruck fach actor und they. Actor lässt sich durch beliebig verleihen sollte. Denn wenn man das tut, dann viele Geschlechteridentitäten erweitern, eben weil bekommt man sofort Applaus aus der ganz fal- es diese nicht anzeigt. Die Sätze, die so entstehen, schen Richtung. Nämlich meistens von Konser- sind leicht zu verstehen: „A good actor knows vativen, die sich freuen, wenn eine junge Frau how they can entertain their viewers.“ Schwierigkeiten mit dem Gendern hat, und dabei Eine vergleichbare Lösung, die niemanden nicht begreifen, dass die Perspektive – die ja nur ausgrenzt, konnte ich für das Deutsche bis jetzt die englische ist – gar nicht weiter weg sein könn- nicht finden. Stattdessen wurschtel ich mich te von der des durchschnittlichen deutschen Gen- durch, versuche niemanden zu verletzen, gende- der-Gegners. re an den Stellen, wo ich weiß, dass es Menschen Was die Unsichtbarmachung von Geschlecht- wichtig ist, wechsele im Zweifelsfall ins Engli- lichkeit betrifft, ist im englischsprachigen Raum sche und hoffe, dass es niemand merkt. Ich glau- zunehmend das Wort they in der Einzahl ge- be aber, dass wir in Sachen geschlechtergerechte bräuchlich. Bei einem Satz wie „the professor said Sprache früher oder später nach Großbritannien they like the student“ wird an keiner Stelle mehr blicken werden. Denn für echte Gleichheit und angezeigt, welches Geschlecht die beteiligten Per- die Inklusion geschlechtlicher Minderheiten mei- sonen haben. Natürlich gibt es auch in Großbri- ne ich im Vergleich zu erkennen, wer den besse- tannien die konservativen Sprachpfleger, die da- ren Lösungsansatz hat: They do. rauf bestehen, dass man doch ein Pluralwort nicht im Singular verwenden kann. Diese stehen aller- NELE POLLATSCHEK dings auf sehr dünnem Eis, zum einen, weil diese ist promovierter Literaturwissenschaftler und Autor. generische Verwendung von they bis ins 18. Jahr- 2020 erschien „Dear Oxbridge: Liebesbrief an hundert weit verbreitet war. Zum anderen, weil England“ (Verlag Galiani Berlin). Dieser Text ist eine es schon seit Shakespeares Zeiten üblich ist, you gekürzte Version des Kapitels „They: Gendern auf sowohl für die zweite Person Plural (ihr) als auch Englisch“. 09
APuZ 5–7/2022 sprachaktivistisch engagierte und linguistisch for- schende Menschen dazu inspiriert haben, inno- Diagnose: „Männersprache“ vative Therapien zu entwickeln. Die Vorschläge reichen dabei von orthografischen Neologismen Anatol Stefanowitsch mit Binnen-I (StudentIn), Unterstrich (Student_ in) oder Gendersternchen (Student*in), bis hin zu tieferen Eingriffen in das Genussystem und Wenn wir über das Für und Wider des „Genderns“ die Wortbildung des Deutschen, etwa mit ge- diskutieren, darf dabei nicht die zugrundeliegende schlechtsneutralen Nachsilben -x (dix Studierx)02 Diagnose aus dem Blick geraten, die die Sprach- oder -y (das Studenty).03 Diese Lösungen müs- wissenschaftlerin Luise Pusch vor über 40 Jahren sen uns nicht auf Anhieb gefallen – sie widerspre- gestellt hat: Das Deutsche ist eine Männerspra- chen zwar nicht, wie oft behauptet, grundsätzli- che.01 Der Mann ist der sprachliche Normalfall, chen Regeln der deutschen Grammatik, aber sie auf den immer zurückgegriffen wird, wenn es kratzen an Sprachgewohnheiten von Menschen, nicht explizit und ausschließlich um Frauen geht in deren sprachlicher Sozialisation das Maskuli- – und oft sogar dort, wo das doch der Fall ist. num der Normalfall war. Deutlich zeigt sich das in der Gebrauchstra- Aber das darf nicht dazu führen, dass die dition des „generischen“ Maskulinums, mit dem Diagnose wegdiskutiert wird, wie es etwa der geschlechtlich gemischte Gruppen oder abstrak- Sprachwissenschaftler Peter Eisenberg versucht. te Kategorien von Menschen sprachlich so darge- Er zieht dabei die sogenannte Markiertheitstheo- stellt werden, als bestünden sie nur aus Männern: rie heran, die unter anderem auf der Beobachtung „Viele Studenten haben finanzielle Probleme.“ beruht, dass bei Wortpaaren mit gegensätzlicher Manchmal betrifft das sogar unmissverständlich Bedeutung manchmal eines der Wörter als Ober- weiblich markierte Einzelpersonen: „Meine Toch- begriff für beide verwendet werden kann. So kann ter ist Student.“ Es zeigt sich aber auch an tief in das Wort „Tag“ den Zeitraum zwischen Sonnen- der Grammatik versteckten Strukturen. Das Fra- aufgang und Sonnenuntergang bezeichnen und gepronomen „wer“, zum Beispiel, ist nicht nur steht damit in Opposition zu „Nacht“ als Zeit- sprachgeschichtlich in Analogie zum männlichen raum zwischen Sonnenuntergang und Sonnen- „er“ entstanden, es verhält sich auch heute noch aufgang. „Tag“ kann aber auch in der Bedeutung so, als beziehe es sich auf Männer. So beginnt ein „0 bis 24 Uhr“ verwendet werden und damit ei- Artikel in der „B. Z.“ vom 9. Februar 2003 mit der nen Zeitraum bezeichnen, der Tag und Nacht Frage: „Was spielt sich in den ersten Wochen im umfasst. In der Markiertheitstheorie wird das da- Bauch der Frau ab?“, um dann zu erklären: „Wer mit erklärt, dass das Wort „Tag“ das Bedeutungs- schwanger ist, der ist nicht krank, er muss nur merkmal ablegen könne, das es von „Nacht“ un- sorgfältiger mit seinem Körper umgehen.“ terscheide (hell vs. dunkel). So kann es dann den Nun hat das Deutsche immerhin Mittel, um gesamten Zeitraum bezeichnen, der unter Einbe- Frauen als solche zu benennen: „Viele Studentin- ziehung dieses Merkmals in Tag (hell) und Nacht nen“, „Meine Tochter ist Studentin“, „Eine Frau, (dunkel) unterschieden würde.04 Genau so seien die schwanger ist“ und so weiter. Wollen wir da- Maskulina wie „Student“ in der Lage, das Merk- gegen auf die Nennung des Geschlechts verzich- mal „männlich“ abzulegen und als geschlechts- ten oder über nonbinäre Personen sprechen, die neutrale Oberbegriffe für Maskulina und Femi- sich mit den Kategorien Mann und Frau nicht nina zu dienen. identifizieren, geht das nur noch im Plural, wo Ob die Analogie zwischen „Tag“ als Ober- wir aus einem Partizip oder Adjektiv abgeleite- begriff für „Tag und Nacht“ und „Student“ als te Substantive verwenden können, zum Beispiel Oberbegriff für „Student und Studentin“ tatsäch- Studierende oder Schwangere. Im Singular funk- lich funktioniert, sei dahingestellt. Selbst, wenn tioniert das nicht: Der Studierende ist männlich wir sie akzeptieren, stellt sich ja die Frage, wa- und die Studierende weiblich markiert. Für den rum das Wort „Tag“ als Oberbegriff dient und Satz „Mein (nonbinäres) Kind ist …“ fehlt eine nicht das Wort „Nacht“. Eine offensichtliche entsprechende Form. Erklärung wäre, dass der (helle) Tag für uns der Es sind diese Diagnose und die fehlenden Normalfall ist – die Zeit, in der die meisten ge- Hausmittel zu ihrer Behandlung, die betroffene, sellschaftlich und kulturell relevanten Aktivitä- 10
Geschlechtergerechte Sprache APuZ ten stattfinden. Analog dazu ist es die männliche zu seiner auf Männer beschränkten Bedeutung Form, die als Oberbegriff dient, weil der Mann gekommen. Diesen Prozess, so das Argument, der gesellschaftliche und kulturelle Normalfall könnten wir umkehren, indem wir das Maskuli- ist. Damit aber sind wir wieder bei der Ausgangs- num als einzige Form verwenden. Tatsächlich gibt diagnose angelangt: Das Deutsche ist eine Män- es Hinweise darauf, dass die konsequente Ver- nersprache. Das zeigt – jenseits aller sprachstruk- wendung von Doppelformeln (Studentinnen und turellen Überlegungen – im Übrigen auch die Studenten) die gesellschaftliche Akzeptanz des psychologische Forschung, die in einem Experi- „generischen“ Maskulinums leicht verringert,06 ment nach dem anderen nachgewiesen hat, dass Die Interpretation von Maskulina als männlich maskuline Personenbezeichnungen vorrangig findet sich aber auch in Sprachen wie dem Fran- (und oft ausschließlich)1234 männlich interpretiert zösischen, in denen das Maskulinum (noch) weit- werden.05 gehend unangefochtener Normalfall ist.07 Die Auf die Selbstheilungskräfte des Deutschen männliche Bedeutung maskuliner Personenbe- zu bauen und zu hoffen, dass sich das Problem zeichnungen ist nämlich nicht nur dort angelegt, im Zuge eines natürlichen Sprachwandels von al- wo sie generisch gebraucht werden, sondern auch leine löst, ist ebenfalls keine Option. Im Engli- dort, wo das nicht der Fall ist: der Mann vs. die schen, das man als heute weitgehend geschlechts- Frau, der Sohn vs. die Tochter, der Mönch vs. die neutrales Vorbild heranziehen könnte, hat der Nonne und so weiter. Abbau der grammatischen Markierung von Ge- Es hilft alles nichts: Die Diagnose vom Deut- schlecht im Zuge eines allgemeineren Lautwan- schen als Männersprache hat allen Versuchen wi- dels 500 Jahre gebraucht – solange können Frau- derstanden, sie zu bestreiten, und Hausmittel wie en und non-binäre Personen nicht warten. Davon Partizipien und geschicktes Paraphrasieren kön- abgesehen sind Sprachwandelprozesse keine Na- nen zwar Linderung verschaffen, bekämpfen aber turgesetze, es wäre also weitgehend Zufall, wenn nicht die Ursachen. Wenn wir ein geschlechter- das Deutsche denselben Weg gehen würde wie gerechteres Deutsch wollen, müssen sich unsere das Englische. Hoffnungen auf die derzeit vorhandenen innova- Zuweilen678 findet sich die Behauptung, die Dia- tiven Therapievorschläge richten. Auch die sind gnose selbst habe das Problem überhaupt erst ver- keine Wundermittel – erste Forschungsergebnis- ursacht – das Maskulinum habe ursprünglich eine se zeigen zum Beispiel, dass das Gendersternchen generische Bedeutung gehabt und sei erst durch zwar (wie auch andere Formen des „Genderns“) die verstärkte Verwendung weiblicher Formen die mentale Repräsentation von Frauen erhöht, aber (noch?) nicht die von nonbinären Perso- nen.08 Auf der Suche nach einer Lösung stehen 01 Vgl. Luise Pusch, Das Deutsche als Männersprache – wir also erst am Anfang. Die Aufgabe der Sprach- Diagnose und Therapievorschläge, in: Linguistische Berichte 69/1980, S. 59–74. wissenschaft ist dabei nicht, eigene Vorschläge zu 02 Vgl. Lann Hornscheidt, feministische w_orte, Frankfurt/M. machen. Wir können aber bestätigen, dass das 2012, S. 293–302. Problem ein reales ist. Wir können die Wirkungs- 03 Vgl. Thomas Kronschläger, Entgendern nach Phettberg, weise und Wirksamkeit bestehender Vorschläge Braunschweig 2020. untersuchen und auf der Grundlage linguistischer 04 Vgl. Eugenio Coseriu, Einführung in die strukturelle Betrach- tung des Wortschatzes, Darmstadt 1978, S. 237 f. Modelle Ideen dazu beisteuern, wie neben neu- 05 Ein Überblick dieser Studien findet sich in Helga Kotthoff/ en Formen auch die beabsichtigten Bedeutungen Damaris Nübling, Genderlinguistik, Tübingen 2018. etabliert werden könnten. Wir können der ro- 06 Vgl. Juliane Schröter/Angelika Linke/Noah Bubenhofer, mantisierenden Vorstellung begegnen, die Spra- „Ich als Linguist“ – Eine empirische Studie zur Einschätzung und che der Vergangenheit sei natürlich gewachsen Verwendung des generischen Maskulinums, in: Susanne Günth- ner/Dagmar Hüpper/Constanze Spieß, Genderlinguistik, Berlin und deshalb unantastbar. Und wir können Ängs- 2012, S. 359–379. ten begegnen, dass bewusste Eingriffe ins Sprach- 07 Vgl. Pascal Gygax et al., Generically Intended, but Specifi- system zu dessen Kollaps führen. cally Interpreted: When Beauticians, Musicians, and Mechanics Are All Men, in: Language and Cognitive Processes 23/2008, S. 464–485. 08 Vgl. Melissa Koch, Kognitive Effekte des generischen Mas- ANATOL STEFANOWITSCH kulinums und genderneutraler Alternativen im Deutschen – eine ist Professor für die Struktur des heutigen Englisch empirische Untersuchung, Braunschweig 2021. an der Freien Universität Berlin. 11
APuZ 5–7/2022 len Bilderwelt jenseits von Sprache verankert sein muss. Ausgewogen waren die Nennungen von Zwischen berechtigtem Frauen und Männern bei den Schrägstrichschrei- Anliegen und bedenklicher bungen, während bei den Binnenmajuskeln mehr Frauen genannt wurden. Umgekehrt schließt vor Symbolpolitik allem ein geschlechterübergreifendes Maskuli- num im Plural weibliche Nennungen nicht aus, es verringert sie aber je nach Kontext mehr oder Helga Kotthoff weniger deutlich.03 Das Spektrum der gendersensiblen Formu- lierungen reicht von der Substantivierung von Seit rund 40 Jahren beschäftigt uns im deutsch- Präsenspartizipien (Studierende), über Beidnen- sprachigen Raum die Debatte um den Zusam- nungen (Studentinnen und Studenten) bis hin zu menhang von Genus und Personenreferenz. Tra- Kurzschreibungen mit verschiedenen Zeichen ditionell galt in der Sprachwissenschaft dazu eine an der Morphemgrenze (Student:innen, Stu Ansicht, die der Linguist Theodor Lewandow- dent_innen, Student*innen und andere mehr). ski unter der Rubrik „Genus“ so formulierte: Im Mündlichen gehört ein morphologischer Fe- „Grammatisches Geschlecht; grammatische Ka- mininplural mit ins Bild, der mit einem Glottis- tegorie, Merkmal von Substantiv, Artikel, Ad- schlag gesprochen wird: BäckerInnen wird also jektiv, Pronomen, das sich im Allgemeinen von „Bäcker-innen“ ausgesprochen. Des Weiteren seiner Bindung an das natürliche Geschlecht fast finden sich Feminisierungen lexikalischer Mas- ganz gelöst hat.“01 Dies gelte uneingeschränkt kulina (Gästin, Vorständin) – und zu all diesem auch für Personenreferenz. Vor allem Luise ein breiter Unterweisungsdiskurs durch ent- Pusch stieß mit ihrem viel beachteten Buch „Das sprechende Leitfäden von Städten, Hochschulen Deutsche als Männersprache“ jedoch eine De- und Firmen. Der Sprachwandel des Genderns batte darüber an: „Seit Mitte der siebziger Jah- wird auf diese Weise immer stärker institutio- re erlebt mann mit wachsendem Befremden, wie nell gelenkt. frau die deutsche Sprache instandbesetzt. Frü- Die stark im Pro und Contra geführte Debat- her fand sie keinen Raum in dieser Herrberge, te ließe sich dadurch entschärfen, dass das gene- genannt ‚Muttersprache‘ (ausgerechnet). Inzwi- relle Anliegen, in Texten etwas dafür zu tun, dass schen jedoch hat frau sich eingerichtet und mit nicht überwiegend männliche Personen vor un- der Sanierung begonnen. Die Regeln der Gram- ser inneres Auge treten, anerkannt wird – wohl- matik, morsches Gebälk, werden feminisiert und gemerkt: in Texten, nicht in Einzelsätzen. Wenn dadurch humanisiert.“02 man dabei auch Praktikabilitätsgesichtspunkte In der Sprach- und Kognitionspsychologie ernst nimmt, kann eine Studie von Jutta Roth- haben zahlreiche Experimentalstudien zur Wir- mund und Brigitte Scheele als Anregung dienen: kung von geschlechterübergreifend gemeinten Die Psychologinnen gehören zu den wenigen, die Maskulina jedoch differenziertere Befunde zu- ihre Proband(inn)en längere Texte haben lesen tage gefördert, als dass es „keinen Raum“ für lassen.04 Ihre Studie zeigt, dass es je nach Kontext Frauen gebe. Elke Heise ließ beispielsweise 150 und Gegenstand gar nicht nötig ist, einen gan- Versuchspersonen Fortsetzungen von Geschich- zen Text konsequent durchzugendern, wenn man ten produzieren, deren Personennennungen mal grundsätzlich um geschlechtersymmetrische Re- als „Vegetarier“ vorkamen, mal als „Vegetari- präsentation bemüht ist. er/innen“ und mal als „VegetarierInnen“. Zu- Statt sich also vermehrt Schreib- und Sprech- dem enthielten die Texte „neutrale“ Nennungen praktiken zu bedienen, die wenig irritieren wie „Kinder“ und „Angestellte“. Sowohl die ge- und doch zu gendersymmetrischen Assoziati- schlechterübergreifenden Maskulina (im Artikel onen führen, beobachten wir ein Hochschrau- als „generisch“ bezeichnet) als auch die neutra- ben von Symbolpolitiken. Verschiedene Grup- len Substantive führten zu viel mehr männlichen pierungen innerhalb der Pro-Gendern-Fraktion Realisierungen in den Folgetexten. Dies deutet grenzen sich beispielsweise darüber voneinan- darauf hin, dass die Dominanz männlicher Per- der ab, welche Zeichen vor dem Femininsuffix sonenvorstellungen auch tief in einer kulturel- gesetzt werden sollen. In den Ende September 12
Geschlechtergerechte Sprache APuZ 2021 beschlossenen Empfehlungen für eine ge- Ebenso zeugen verschiedene Aussagen von schlechtergerechte Sprache der Landeskonferenz Unterstützern und Betreiberinnen des Gen- der Gleichstellungsbeauftragten an den wissen- derns davon, dass es ihnen mehr um eine allge- schaftlichen Hochschulen Baden-Württembergs mein-progressive Haltungsanzeige geht als um wird verkündet, insbesondere Asterisk, Unter- eine Sichtbarmachung von Frauen und anderen strich und Doppelpunkt würden geschlechtliche nichtmännlichen Personen. So etwa auch im Falle Vielfalt1234 ausdrücken.05 Damit wird eine Setzung der ehemaligen Fernsehmoderatorin Petra Gers- vorgenommen. ter, die „Geschichte, Herkunft, Ethnie, Hautfar- Der Doppelpunkt gewinnt derzeit vor allem be und Geschlecht – kurz (…) Identität“ anzuzei- an Hochschulen und in Museen an Terrain. In gen meint.07 der feministischen Zeitschrift „Missy Magazine“ Im Leitfaden zu geschlechtergerechter Spra- wird hingegen entschieden gegen diese Schrei- che der Stadt Freiburg heißt es sehr ähnlich im bungsvariante geschrieben, weil sie zu wenig irri- Vorwort des Bürgermeisters Martin Horn: „Der tiere: „Sternchen und Unterstrich sind konzipiert Gender-Gap soll die Grenzen der binären Kate- worden, um zu einem Nachdenken über die bi- gorisierung in der Sprache auflösen und bindet näre Vergeschlechtlichung der deutschen Sprache neben der geschlechtlichen Identität und der sexu- anzuregen. Bei Sternchen und Unterstrich geht es ellen Orientierung weitere soziale Dimensionen nicht um bloße Repräsentation, sondern um eine mit ein, u. a. Alter, eine mögliche Behinderung, aktive Störung der Sprech-, Schreib- und Sehge- kulturelle Herkunft, Religion oder Weltanschau- wohnheiten. Der Doppelpunkt sieht für Sehende ung.“08 Solche Verlautbarungen sind schlichtweg aus wie ein kleines i, sticht weniger hervor, kommt Unsinn. Personenreferenzen wie „Freiburger“, somit weniger radikal daher und stört sehende cis „Schwimmerin“, „Verkäufer“ oder „Chirurgin“ Menschen vermutlich viel weniger als Sternchen enthalten bestenfalls über die sie umgebenden oder Unterstrich.“06 Hier wird eine Sprachpolitik Texte Informationen dazu, dass die Person eine aktiver Störung favorisiert. Sprachwandel setzt spezifische Herkunft oder Religion hat. Welche aber auf Ususbildung und kann mit permanenter Anzeige soll denn der Asterisk auf welche Weise Störung gar nicht bewirkt werden. Es kommt so- in Richtung Alter bewirken? Soll ich mir Lehrer_ mit der Verdacht auf, dass den FreundInnen der innen älter vorstellen als Lehrer/innen? Welcher laufenden Irritation gar nicht primär an einem Religion hängt der Schwimmer* an? machbaren Sprachwandel in Richtung symmetri- Gerster und die Freiburger Gleichstellungs- scher Vorstellungen von Personen verschiedener stelle wollen kundtun, dass diejenigen, die diese Geschlechter liegt.78 Zeichen verwenden, einer Gruppe angehören, die sich über all dies Gedanken macht. Sprache kom- muniziert ja immer irgendwie auch Zugehörig- 01 Theodor Lewandowski, Linguistisches Wörterbuch 1, Heidel- berg 1979³, S. 230. keit. Wer etwa jugendsprachlich spricht, betreibt 02 Luise Pusch, Das Deutsche als Männersprache, Frankfurt/M. das Anzeigen von doing youth, auch wenn sie 1984, S. 2. oder er die Jugend lange hinter sich hat. Die Pro- 03 Vgl. Elke Heise, Sind Frauen mitgemeint?, in: Zeitschrift für gressivitätsanzeige der Sternchen-, Unterstrich- Sprache und Kognition 9/2000, S. 3–13. und Doppelpunkt-Nutzung beansprucht zu- 04 Vgl. Jutta Rothmund/Brigitte Scheele, Personenbezeich- nungsmodelle auf dem Prüfstand, in: Zeitschrift für Psycholo- sätzlich moralische Überlegenheit. Praktiken des gie 1/2014, S. 40–54. Moralisierens so stark in mündliche und schriftli- 05 Siehe https://lakog-bw.de/wp-content/uploads/LaKoG- che Ausdrucksweisen einzuschreiben, dient einer Empfehlung-Geschlechtergerechte-Sprache-2021.pdf. Verschärfung des Pro- und Contra-Diskurses. 06 Eddi Steinfeldt-Mehrtens, Hä? Was heißt denn: Genderdop- Ein gelassener Umgang mit je nach Kontext mehr pelpunkt?, 8. 3. 2021, https://missy-magazine.de/blog/2021/03/ 08/hae-was-heisst-denn-genderdoppelpunkt. oder weniger Gendern sieht anders aus. 07 Petra Gerster übers Gendern: „Mit so viel Wut hatte ich nicht gerechnet“, 15. 11. 2021, www.rnd.de/medien/petra-gers- ter-uebers-gendern-mit-so-viel-wut-hatte-ich-nicht-gerechnet- HWPTSEWKOZFKJODOI34O7GN3IY.html. 08 Martin Horn, Vorwort, in: Stadt Freiburg im Breisgau, Ge- schäftsstelle Gender und Diversity (Hrsg.), Gender & Diversity in HELGA KOTTHOFF Wort und Bild. Formen antidiskriminierender Sprachhandlungen, ist emeritierte Professorin für Germanistische Leitfaden, Freiburg/Br. 2019³, S. 6. Linguistik an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. 13
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